Felix Magath – Altmeister trifft auf „Alte Dame“

Felix Magath – Altmeister trifft auf „Alte Dame“

Es sind wilde Zeiten bei Hertha BSC. Trainer Tayfun Korkut wurde nach nur nach nur 14 Spielen entlassen. Mit Felix Magath kehrt ein alter Hase zurück auf die Trainerbank in der Bundesliga. Eine Lösung, mit der wohl niemand gerechnet hat. Fredi Bobic muss derweil endlich zeigen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft, sonst wird man im Sommer vor der Mission „Direkter Wiederaufstieg“ stehen.

Unsere erste Einschätzung nach Magaths Antritts-Pressekonferenz

Ein kleines mediales Beben

Es war DIE Meldung in Fußballdeutschland am späten Sonntagabend: Trainerlegende Felix Magath kehrt in die Bundesliga zurück. Er soll die abstiegsbedrohte „Alte Dame“ vor dem Gang in die zweite Liga bewahren und damit Stand jetzt ein kleines Fußballwunder bewirken. Dies ist Magath natürlich auch bewusst: „Es geht darum, dass der Klub in einer Situation ist, wo er breite Unterstützung braucht.“ Dabei nimmt er einerseits die Mannschaft, andererseits aber auch das gesamte Umfeld inklusive Fans in die Pflicht: „Jeder muss da mitmachen. Jeder sollte in den letzten acht Spielen mithelfen, dass dieser Verein in der Bundesliga bleibt.

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(Photo credit should read PATRIK STOLLARZ/AFP via Getty Images)

Der erste Eindruck von Magath selbst ist durchaus ein positiver: Entspannt und schmunzelnd sitzt er da, vielleicht genießt er auch ein klein wenig den Rummel um seine Person nach Jahren der Abstinenz in Deutschlands höchster Spielklasse. Dass die Rückkehr nicht unbedingt geplant war, gibt Magath unumwunden zu. Gleichzeitig stellt er aber klar: „Ich kann nicht anders. Ich bin Fußballer, ich will Fußball, ich liebe Fußball“. Er habe sein gesamtes Leben fast nichts anderes gemacht. Vielleicht braucht die Mannschaft nach dem zwar sympathischen und netten, aber eben nicht gerade emotionalen Korkut genauso so einen Typ.

Mannschaft erfährt von Magath aus den Medien

Wie die erste Reaktion ebenjener Mannschaft auf die Verkündung ihres neuen Cheftrainers war, kann man nur ahnen. Manager Bobic teilte den Spielern am Sonntagvormittag mit, dass ab der kommenden Woche ein neuer Übungsleiter auf dem Schenckendorffplatz das Sagen haben würde, wer genau das sein wird, ließ er dabei jedoch noch offen. „Schaut immer auf eure Handys, weil da guckt ihr oft rauf“ waren die Worte, mit denen er denen er sie anschließend in den trainingsfreien Montag schickte.

Nach der Verkündung dürfte dann vor allem das Handy von Peter Pekarik geglüht haben. Der Routinier arbeitete bereits 2009 mit Felix Magath zusammen, damals wurde man Deutscher Meister. „Ich denke mal, dass sich der ein oder andere Spieler jetzt schon bei ihm erkundigt hat, wie schön das in den nächsten Tagen wird“ vermutet auch Magath, der sich nach diesem Satz süffisant schmunzelnd zurücklehnte. Eine Verhaltensweise, die bei der Mannschaft in der näheren Zukunft sicher nicht auftreten wird.

Diese Trainerentscheidung von Bobic muss sitzen

Nach der dringend benötigten Trennung von Tayfun Korkut muss Bobic sich zunehmend die Frage stellen lassen, ob er die richtigen Entscheidungen trifft. „Man kennt sich natürlich über die Jahre“ ist beim Sportvorstand der „Alten Dame“ ein Muster, dass sich auch in der Verpflichtung von Magath findet.

Dass der neue Trainer jedoch ein ganz anderer ist als der letzte, steht nicht zur Debatte. „Wir brauchen einen Trainer mit einer starken Persönlichkeit, jemand der sich für Disziplin einsetzt und eine klare und harte Hand zeigt“, erläutert Bobic. Charaktereigenschaften die wohl auf keinen so sehr zutreffen, wie auf Felix Magath.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Doch klar ist auch, sollte auch der bereits zweite Trainerwechsel der laufenden Saison scheitern, muss sich der Manager damit auseinandersetzen, dass er der Verein in die zweite Liga geführt und damit auch seinen letzten verbliebenen Kredit bei den Fans vollständig verspielt hat.

Die berüchtigten Trainingsmethoden des Felix M.

Von Medien und Fans zum Teil „Quälix“ genannt, gibt es kaum einen Trainer, der mehr auf körperliche Arbeit und Disziplin setzt als Felix Magath. Er rechtfertigt diesen Ansatz: „Disziplin gehört halt nun mal zum Sport, das habe ich doch nicht erfunden. Und wenn man Mannschaftssport betreibt, dass muss man halt auf den Mitspieler Rücksicht nehmen.“ Und er schiebt nach: „Die Spieler müssen begreifen, dass Disziplin zum Mannschaftssport gehört.“

Mit Blick auf den von außen gesehen gefühlt immer noch fehlenden Mannschaftsgeist bei Hertha könnte Magath eventuell genau der Trainer sein, den es braucht, um dieses Problem zu beheben. Auf die Nachfrage, welchen Wert er auf die Infrastruktur des Trainingsgeländes legt, antwortet der neue Übungsleiter: „Es war mir immer völlig egal, ob nur ein Hang oder eine Treppe da war oder ob dann ein Hügel gebaut wurde. Es ging immer nur darum, die Spieler optimal zu trainieren.“ Eins scheint aber klar zu sein: genau wie die Spieler bei seinen vergangenen Stationen werden sich auch die Herthaner auf kräftezehrende Einheiten einstellen dürfen.

Mark Fotheringham wird Co-Trainer unter Magath

Unterstützt wird Magath dabei von Mark Fotheringham, den er aus seiner Zeit beim FC Fulham noch kennt: „Ich habe bei der Auswahl Wert darauf gelegt, dass ich einen Mann an meiner Seite habe, der ein bisschen jünger als ich ist und näher an den Spielern dran ist.“ Fotheringham könne aufgrund seiner bisherigen Co-Trainer Station in Karlsruhe und Ingolstadt außerdem perfekt deutsch sprechen.

Man darf also auf das erste Spiel unter dem neuen Trainer am kommenden Wochenende gegen die TSG Hoffenheim gespannt sein, auch mit einem Punkt wäre Magath für den Beginn zufrieden. Ob in der anschließend stattfindenden Länderspielpause ein Trainingslager stattfindet, überlässt der Coach, erneut mit einem Schmunzeln, derweil den Akteuren auf dem Feld: „Wenn die Spieler mich darum bitten, dann würde ich das machen.“ Die Fans würden das den Spielern nach den letzten Auftritten sicherlich gönnen.

[Titelbild: Jamie McDonald/Getty Images]

Ein Hauch von 2012

Ein Hauch von 2012

In Berlin wird es niemals langweilig und bei Hertha BSC dieser Tage sowieso nicht. Ein Kracher folgt auf den nächsten, der Verein scheint keine Chance zu haben, zur Ruhe zu kommen. Und selbständig scheint man dazu auch nicht mehr in der Lage zu sein. Nachdem am Sonntagvormittag Tayfun Korkut entlassen wurde und damit nur folgerichtig auf die letzten Entwicklungen reagiert wurde, schepperte es an der Hans-Braun-Straße direkt ein weiteres Mal. Mit Felix Magath wurde ein sehr prominenter Nachfolger verpflichtet. Ein Kommentar.

Parallelen zur Vergangenheit

Einen Trainer ohne sportliche Not entlassen, einen erfolglosen verpflichtet, fünf Niederlagen in Folge, eine Trainerentlassung, ein prominenter Nachfolger und am Ende steigt man ab. Genau so sah die Reihenfolge in der Saison 2011/2012 in Berlin aus. Und zumindest die ersten fünf Punkte haben sich nun bei Hertha BSC zehn Jahre später wiederholt. Es ist erschreckend und gleichzeitig faszinierend, wie sich gewisse Gesetzmäßigkeiten im Fußball und in der Bundesliga niemals zu ändern scheinen.

Erinnern wir uns an die Situation im Winter 2011/2012. Die Hertha war als Aufsteiger zurück in der Bundesliga und befand sich nach der Hinrunde auf einem akzeptablen 11. Platz. Doch die damals handelnden Personen um Michael Preetz und wohl weiteren Hertha-Funktionären überwarfen sich mit dem Aufstiegstrainer Markus Babbel und eine sportlich nicht zu rechtfertigende Entlassung war perfekt. Michael Skibbe sollte folgen und avancierte zum erfolglosesten Hertha-Trainer aller Zeiten. Nach vier Niederlagen in der Bundesliga und einer weiteren im Pokal durfte er nach wenigen Wochen wieder die Koffer packen. Otto Rehhagel folgte, brachte einen gewissen Glamour in die Hauptstadt und unterhielt insbesondere die Journalist*Innen auf den Pressekonferenzen mit seinem Humor.

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(Photo credit should read CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Der sportliche Erfolg war überschaubar, am Ende stieg die Mannschaft nach einem legendären Relegationsdrama gegen Fortuna Düsseldorf ab. Zehn Jahre später lassen sich die Namen Babbel, Skibbe, Rehhagel und Preetz hervorragend durch Dardai, Korkut, Magath und Bobic ersetzen. Natürlich ist die Mannschaft noch nicht abgestiegen und immerhin kann man Korkut noch zusprechen, dass er vor seinen fünf Niederlagen in Folge, auf die seine Entlassung folgte, noch ein paar Punkte sammelte. Im Pokal schied allerdings auch er aus.

Das Hertha-Drama der letzten Wochen und Monate

Die Nachrichten, die sich nahezu im Stundentakt bei der Hertha überschlagen, sorgen für eine gewisse Schnelllebigkeit und lassen kaum zu, sich mit gewissen Themen noch einmal eingehend zu beschäftigen. Tayfun Korkut wird sehr wahrscheinlich keine Gemeinsamkeiten mehr mit Hertha BSC haben in der Zukunft und trotzdem ist er allgegenwertig. Auch wenn er nicht mehr in der Verantwortung steht.

Als ich Ende November 2021 ein Kommentar zum Einstieg von Tayfun Korkut verfasst habe, erwähnte ich, dass die Spieler eine Mannschaft seien und lediglich Orientierung benötigen. Außerdem, dass Tayfun Korkut die Chance hat, aus der Schublade des chronisch erfolglosen Trainers zu steigen. Einige Wochen später muss man konstatieren, dass die Mannschaft, die damals möglicherweise tatsächlich noch ein Team war, mittlerweile keins mehr ist. Und das liegt auch oder vielleicht sogar vor allem an Korkut. Aber nacheinander, es gibt einige Stellen, die Korkut brennend hinterlassen hat.

Personal und Teamhierarchie

Korkut hatte mit seinen Personalentscheidungen im großen Stil Leistungsträger, wie Marco Richter und Suat Serdar und zuletzt sogar den durchaus zu Recht in der Kritik stehenden Torhüter Alexander Schwolow abgesägt, nachhaltig frustriert und verunsichert. Ob Niklas Stark oder Dedryck Boyata Kapitän waren, war eigentlich vollkommen uninteressant, nach außen hin wurde nie einer der beiden von Korkut dahingehend unterstützt oder gar gestärkt.

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(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Spieler, die Leistungen gezeigt haben, wie Maximilian Mittelstädt, mussten wie gegen Gladbach plötzlich um Einsätze bangen. Selbiges bei Ishak Belfodil eine Woche zuvor gegen Frankfurt. Die einzige Konstante war mangels Alternativen Peter Pekarik, der nahezu konkurrenzlos die rechte Seite beackerte, aber mittlerweile Bundesliganiveau stark vermissen lässt. Wer weiß, ob er als einziger Deutscher Meister im Kader unter seinem ehemaligen Förderer und Meistertrainer aus Wolfsburger Tagen einen zweiten (oder eher zehnten) Frühling feiern kann.

Die Taktik

Korkut begann die ersten Spiele mit dem wohl einfachsten System, einem 4-4-2, respektive 4-2-2-2. Bis Weihnachten lohnte sich dieses System, bis auf einer deutlichen 0:4-Klatsche in Mainz sogar. Das fehlende Offensivspiel wurde endlich angekurbelt und die Qualitäten, die ja durchaus in der Mannschaft schlummern, konnten entfacht werden. In dieser Zeit spielte Hertha den attraktivsten und erfolgreichsten Fußball, mit dem krönenden Höhepunkt am 17. Spieltag gegen Dortmund.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Doch die Taktik und das System sind sicherlich ein netter Einstieg, aber keine Variante zur taktischen Weiterentwicklung. In keinem der Spiele 2022 war die Hertha in der Lage über mehr als eine Halbzeit zu überzeugen. Und das vor allem weil Korkut mit persönlichen Machtkämpfen gegen die Mannschaft beschäftigt war und taktisch zu limitiert, um der Mannschaft eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Im Endeffekt stehen 2022 neun Spiele in der Bundesliga zu Buche, in denen ganze zwei Punkte gesammelt werden konnten. Das Aus im Pokal kommt erschwerend hinzu.  

Auch die Außendarstellung hat Hertha geschadet

Ich möchte hier in keiner Weise etwas gegen die Privatperson Tayfun Korkut sagen. Der Mann könnte durchaus ein sehr sympathischer Kerl und witziger Zeitgenosse sein. Seine Außendarstellung seit seinem Amtsantritt in Berlin sorgte allerdings nie auch nur im Geringsten für Aufbruchsstimmung. Er wirkte meistens fahrig, überfordert und so, als wäre er gerne überall, nur nicht in Berlin.

Sicherlich wird das auch auf die Spieler abgestrahlt haben, die nur die Tage zählten, bis es vorbei war. Trauriger Höhepunkt war seine ins Fernsehen übertragende Trainingsrede aus einem wirren Mix aus Englisch und Deutsch. Wie fruchtbar diese Ansage war, sah man am kläglichen Auftritt in Mönchengladbach.

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Ob die Entlassung von Tayfun Korkut zu spät kam, wird sich nach dem 34. Spieltag und möglicherweise sogar erst nach der Relegation zeigen. Die Hypothek durch Korkut ist gewaltig und die einzige Hoffnung ist, dass der Schaden, der hinterlassen wurde, reparabel ist. Die Mannschaft ist hochgradig verunsichert, vermutlich hapert es stark an Disziplin und es herrscht aufgrund vieler Vertragsungereimtheiten eine schwache Moral und kaum eine Hierarchie.

Felix Magath muss vermutlich auch psychisch viel Arbeit leisten. Warum und weshalb die Wahl auf Magath fiel werden auch wir in weiteren Texten ergründen müssen. Doch die aktuelle Situation zeigt auch, dass ein Klassenerhalt wohl kaum die Probleme rund um den Verein lösen wird. Das Gewitter um den Verein wütet seit über zweieinhalb Jahren und wird auf die unseriösesten und respektlosesten Arten nur noch mehr gepushed. Ein Abstieg wäre trotz allem katastrophal.

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(Photo by Martin Willetts/Getty Images)

Tayfun Korkut war insgesamt nur ein Symptom, nicht der Grund für die Talfahrt. Die Lage ist schlecht, sehr schlecht, aber noch ist sie nicht hoffnungslos.

[Titelbild: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images]

Exklusive Doku-Einblicke: Lars Windhorst ist schuld

Exklusive Doku-Einblicke: Lars Windhorst ist schuld

Unter der Woche wurde bekannt, dass die viel besprochene Doku über das Engagement zwischen Hertha BSC und der Tennor-Holding von Lars Windhorst gestoppt wurde und nicht ausgestrahlt wird. Ein Grund soll gewesen sein, dass insbesondere über Windhorst selbst negativ und in „ehrabschneidender“ Form gesprochen wurde. Hertha BASE hatte das Glück, an die brisanten Aufnahmen zu kommen. Wir konnten das Videomaterial sichten, analysieren und haben bewusst darauf geachtet, ob der zu ehrende Lars Windhorst wirklich so schlecht bei wegkommt.

Mai 2020: Der geheime Raum von Windhorst

Deutschland hängt fest in den Klauen der Corona-Pandemie. Seit Monaten steht das Leben still und auch der Fußball muss eine nie dagewesene Krise bewältigen und ebenfalls pausieren. Das Filmteam, welches sich selbst so langsam unter Zugzwang sieht, darf zum ersten Mal die Geschäftsstelle an der Hans-Braun-Straße besuchen und seine Arbeit aufnehmen.

Pressesprecher Max Jung und der damalige Sportvorstand Michael Preetz empfangen das Team am Eingang. Nach einem kurzen Plausch will man keine Zeit verlieren und die Dreharbeiten in Form einer Home-Story beginnen. Michael Preetz führt das Team durch die Geschäftsstelle, ein Shake-Hand mit Ingo Schiller hier, ein Fistbomb mit dem zufällig durchs Bild huschenden Werner Gegenbauer da und auch der ein oder andere flotte Spruch in die Büros der Social-Media-Abteilung darf natürlich nicht fehlen. Der sonst so steife Preetz zeigt sich als extrem nahbarer Kumpeltyp und bemüht sich die Räumlichkeiten der Hertha so attraktiv wie möglich zu präsentieren.

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(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Die Geschäftsstelle wird durchleuchtet als wäre es ein Tag der offenen Tür. Nur ein Raum bleibt geschlossen. „Lars Windhorst und Jens Lehmann benötigen den Raum um an ihren Images zu arbeiten. Was darin geschieht weiß niemand. Vertraglich mussten wir versichern, dass der Raum geschlossen bleibt und von niemanden betreten werden darf.“, erwähnt Preetz nur kurz, während sich sein Gesicht verfinstert. „Ganz komisch, Jürgen Klinsmann hat sich in seiner Zeit praktisch durchgehend darin verbarrikadiert. Lediglich wimmernde Worte wie „Mehrwehrt“ und „Hahohe“ waren zu hören.“, fügt Max Jung geheimnisvoll hinzu.

Vereinzelt laufen Spieler durchs Bild, zeigen ihre Freizeiträume und geben erste Kommentare ab. Allgemein herrscht eine gelöste Stimmung. Alle scheinen happy zu sein, dass es wieder losgeht. Im Hintergrund sieht man Salomon Kalou mit seinem Smartphone ein Video drehen. Ein Mitglied der medizinischen Abteilung kommt schnellen Schrittes auf ihn zu und gestikuliert mit einem Corona-Teststäbchen in der Hand. Es zeigt die lebendige Stimmung in Berlin. Dieser Tage gibt es nur positives zu berichten.

Party nach dem Derby-Sieg

Die Hertha ist extrem gut aus der Corona-Pause gekommen. Nach einem 3:0-Sieg in Sinsheim, nimmt die „Alte Dame“ den Lokalrivalen aus Köpenick in einem tollen und dominanten Spiel mit 4:0 auseinander. Matheus Cunha ist der neue große Star im Berliner Ensemble. In einer edlen Berliner Lokalität feiert das Team den Derby-Sieg.

Ausgerechnet Cunha nimmt an den Feierlichkeiten nicht teil. Er wird noch am selben Abend Vater und weilt deshalb bei seiner Freundin und seinem Neugeborenen im Krankenhaus. Das Filmteam ist derweil mitten drin auf der Party und nimmt brisante Szenen auf. Trainer Bruno Labbadia und Michael Preetz sind in ein Gespräch vertieft. Viel zu hören ist nicht, aber Wortfloskeln wie „Matheus‘ …nichts…Treffen mit … Frau wissen, okay Michael?“, sind deutlich zu vernehmen. Währenddessen zwinkert Labbadia Preetz vielsagend zu. Lars Windhorst ist auch für kurze Zeit zugegen, um dem Team seine Glückwünsche zu übermitteln.

Das gelingt ihm allerdings nur bedingt. Der DJ ist nicht bereit die Musik leiser zu stellen oder gar zu stoppen. Beleidigt zieht Windhorst ab und betont, es würde Konsequenzen für solch ein Verhalten geben. Lukas Klünter versucht ihn zu beruhigen und lädt zum Virtuosen-Treffen in den nächsten Tagen ein.

Karim Rekik hat Oberschenkelprobleme

Die Sommerpause läuft für Hertha mittelmäßig. Kaum ein Wunschtransfer kann ermöglicht werden. Auf der Geschäftsstelle herrscht Stress. Das Filmteam traut sich trotzdem die Kamera voll draufzuhalten. Am heutigen Tag wird Max Jung begleitet. Er zeigt, wie die Arbeit des Pressesprechers läuft. Das Mannschaftstraining ist durch und er, Michael Preetz und Bruno Labbadia auf dem Weg zur Spieltags-Pressekonferenz.

Auf dem Weg zur Pressekonferenz wird ihm von seinem Praktikanten auch noch ein kleiner Zettel zugesteckt. Anscheinend hatte der Berater von Abwehrspieler Karim Rekik den Transfer zum FC Sevilla finalisiert.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Max Jung, der auf dem Weg in den Presseraum tief grübelt und anscheinend keine Ahnung hat, wie er noch vor der Pressekonferenz Preetz und Labbadia auf diese Nachricht aufmerksam machen kann, muss improvisieren. Seine Ausrede, dass Karim Rekik für das folgende Spiel auf Grund muskulärer Probleme im Oberschenkel nicht zur Verfügung stehen würde, lassen Preetz und Labbadia verwundert aufhorchen, war doch Rekik gerade eben beim Training noch fit dabei.

Es ist nicht der Tag des Pressesprechers. Ausgerechnet heute sammeln sich die Pressemitteilungen auf dem Tisch von Max Jung. Und die Meldung zu Karim Rekik war nicht einmal die brisanteste. Ausgerechnet die Einladungen an Werner Gegenbauer, Paul Keuter, Michael Preetz und Bruno Labbadia von Lars Windhorst zum Dinner im Grill Royale verpasst er weiterzuleiten.

Pal Dardai wird überredet, wieder Trainer zu werden

In Berlin hat sich einiges getan. Die Mannschaft steckt in einer tiefen Krise. Der langjährige Sportvorstand Michael Preetz und Trainer Bruno Labbadia müssen gehen. CEO Carsten Schmidt und Arne Friedrich sitzen in Schmidts Büro und sprechen über einen möglichen Nachfolger.

„Ruf du an.“, sagt Friedrich zu Schmidt. „Nee, mach du mal bitte. Du kennst ihn viel besser, Arne.“, erwidert Schmidt fast schon flehend. Beiden ist anzumerken, dass es ihnen unangenehm ist auf einen Sonntag im Hause Dardai anzurufen. Aber sie tun es. Friedrich muss nicht viel sagen. Am anderen Ende der Leitung hört man nicht viel. Pal Dardai scheint allerdings emotional zu sein und aufbrausend. „…müssen… und… Investor…akzeptieren….keiner….Tagesform.“, ist zu hören.

Am nächsten Montag stehen Pal Dardai, Zecke Neuendorf und Admir Hamzagic auf dem Trainingsplatz. Pal Dardai freut sich auf einen guten Schluck Rotwein in seinem Haus in Westend. Das Kamerateam begleitet ihn auf dem Heimweg. Vor der Tür steht eine Flasche des teuersten Chateau-Rotwein. Dardai sieht die Flasche, nickt relativ desinteressiert, während er sie zu seinem großen Depot im Keller legt und sich einen feinen Merlot genehmigt. Den Zettel mit „Alles Gute Herr Dardai, ihr L.W.“, übersieht er.

Die Corona-Pause sorgt nicht nur für Spielausfälle

Die Rückrunde läuft nicht wie gewünscht und die Mannschaft befindet sich weiterhin im Abstiegskampf. Zu aller Schrecken grassiert nun auch noch das Coronavirus direkt im Team. Die Beteiligten beraten, wie mit der Situation umzugehen ist. Sportdirektor Arne Friedrich muss das Training übernehmen, doch es klingt stark danach, als würde das Ganze noch größere Ausmaße annehmen.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Weil die Kette nicht mehr nachzuverfolgen ist, muss das gesamte Team in Quarantäne. Arne Friedrich und einzelne Spieler werden auf ihren Heimwegen vom Filmteam begleitet. Die Stimmung ist schlecht. die meisten sind genervt. Arne Friedrich, der meist perfekt organisiert ist, hatte in der Nacht zuvor vergessen den Akku seines Smartphones zu laden und kann deshalb nicht auf seinen Kalender zurückgreifen.

Auf dem Heimweg grübelt er immer wieder laut vor sich hin, dass heute Abend noch ein Termin anstehen würde. Welchen genau wisse er aus dem Kopf gerade nicht, aber er muss ihn noch dringend absagen. Doch direkt zuhause rein muss er sich dem Medienhagel widmen. Erst spät am Abend schafft es Friedrich sein Smartphone an die Ladestation zu schließen. Währenddessen sitzt Lars Windhorst allein im Borchardt und  hat durch die Medien erfahren, was los ist.

Der Klassenerhalt ist geschafft

Die Mannschaft, die sich mit einem Kraftakt und vielen Spielen in kürzester Zeit in der Bundesliga halten konnte, feiert in der Kabine. Das Filmteam ist wieder mitten drin. Lars Windhorst, der wieder einmal der Mannschaft seine Glückwünsche mitteilen will, versucht eine Live-Verbindung zum Team aufzubauen, da er persönlich nicht im Stadion sein konnte. Per Beamer soll die Rede in der Kabine übertragen werden.

(Photo by Filip Singer – Pool/Getty Images)

Doch die wilde und von Bier und Sekt durchtränkte Party zerstört die Technik schnell und macht die Übertragung unmöglich. Auf dem Handy verfolgt lediglich Lukas Klünter die Rede und verspricht Windhorst schon bald auf seiner Yacht mit feinem Piano-Spiel zu beglücken. Die Uhren, die der Investor als Belohnung dem Verein in die Kabine geschickt hat, vergisst das Team in der Kühltruhe für die Getränke. Am Abend geht die Feier in der Unterkunft in Grunewald weiter.

Der Sportstudio-Auftritt von Pal Dardai   

Das Filmteam wünscht sich ein exklusives Interview mit Pal Dardai. Am liebsten würde man ihn für O-Töne und weiteres gewinnen. Der Ungar, der bisher kein Interesse an diesem Projekt hatte und so gut es ging nichts mit dem Investor zu tun haben wollte, lässt sich überreden. Im Garten des Domizils sitzt er vor einem Monitor und kommentiert, erzählt und ordnet so seriös wie möglich die Szenen ein.

Doch der Trainer wirkt zu langweilig. Die Film-Crew überredet ihn ein weiteres Mal. Dieses Mal soll er sich eine der Zigarren anzünden, die ihm wenige Stunden zuvor Paul Keuter nach Feststehen des Klassenerhalts geschenkt hatte. Lars Windhorst hatte dem Filmteam gegenüber immer wieder erwähnt, dass er sich Szenen wünsche, die die Personen rund um die Doku in anderen, als den üblichen Situationen, festhalten. Szenen, die noch nie zuvor zu sehen waren und was ganz neues aufdecken. Pal Dardai wird also ausgestattet mit Rotwein und Zigarre und soll einen liebenswerten und feiernden Trainer darstellen, der sich nach den harten Wochen wohlverdient belohnt.

Bildquelle: Aktuelles Sportstudio

Lars Windhorst, der per Video zugeschaltet ist, ist stolz auf das, was geleistet wird. Kurz bevor das Interview startet, stürmt Pressesprecher Max Jung auf das Set zu. Das aktuelle Sportstudio will ihn jetzt sofort für ein Fernseh-Interview haben. Pal Dardai lässt sich nicht zweimal bitten. Wenige Sekunden später ist er mit dem Studio verbunden und wird in betont lässiger Pose und Rotwein und Zigarre ins Fernsehen übertragen. Ein Interview für die Ewigkeit, mit Szenen, die so noch niemand gesehen hat. Die Verbindung zu Lars Windhorst musste er für die Übertragung kappen.

[Titelbild: ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images]

Abschied von Arne Friedrich: Die unromantische Realität

Abschied von Arne Friedrich: Die unromantische Realität

Die Woche ist gerade zur Hälfte rum und Hertha BSC hat schon wieder Schlagzeilen über Schlagzeilen produziert. Und dabei ist die Meldung, dass Arne Friedrich vorzeitig den Verein verlassen hat, nicht einmal die spektakulärste. Und doch die wohl emotionalste.

Ein letztes Mal Ehrlichkeit

Halbzeit im Berliner Olympiastadion. Arne Friedrich tritt recht zerknirscht zum Interview bei Sky an und versucht die mal wieder schwer enttäuschende Leistung der Hertha Mannschaft zu erklären. Hertha lag zu diesem Zeitpunkt 0:1 gegen Eintracht Frankfurt zurück. Seiner Forderung, dass die Mannschaft „endlich den Arsch hochkriegen müsse“, folgte keiner. Mit einer saftigen 1:4-Klatsche ging das Team wie so oft in den letzten Wochen unter. Der einzige, der „seinen Arsch hochkriegte“ war Arne Friedrich selbst. Und das zwei Tage später. Am Montag ging von mehreren Seiten die Meldung raus, dass er sein Engagement bei der Hertha vorzeitig abbrechen würde.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Friedrich selbst begründete via Social Media seinen vorzeitigen Abschied damit, dass sein Einfluss als Sportdirektor nicht mehr gegeben war. Fredi Bobic bestätigte das auf der am Dienstag angesetzten Pressekonferenz relativ nüchtern. Wie bereits erwähnt und hinlänglich bekannt, war der Abschied sowieso beschlossene Sache. Allerdings für den Sommer. Ob es einen neuen Sportdirektor geben würde, war noch nicht abschließend geklärt, wirkliche Gerüchte oder gar Meldungen gab es noch in keiner Weise. Und dennoch regt wieder einmal die Art und Weise, der Zeitpunkt und das komplette Bild, welches der Verein dieser Tage abgibt, zum tiefen Nachdenken an.

Friedrichs Engagement bei Hertha glich einer Zeitenwende

Hertha Ende November 2019: Seit dem Sommer war der Einstieg von Lars Windhorst und seiner Tennor-Holding beschlossene Sache, der Saisonstart verlief allerdings alles andere als zufriedenstellend und Trainer Ante Covic musste Platz machen. Jürgen Klinsmann, der zu dem Zeitpunkt als Berater von Lars Windhorst aktiv war, sollte als Nachfolger einspringen. Es begann eine der surrealsten Zeiten, die man als Hertha-Fan jemals kennenlernte. Facebook-Live-Auftritte, große Sprüche über die Champions League, Trainingslager in den USA, Treffen auf der Yacht von Lars Windhorst.

Mitten drin einer, den Klinsmann mitbrachte, aber als alter Bekannter kein neuer war: Arne Friedrich. Als sogenannter „Performance Manager“ war sein Aufgabenbereich schwer zu definieren. Mal sollte der ehemalige Profi, der immerhin von 2002-2010 auf 288 Pflichtspiele für Hertha BSC kommt, die Verteidigung trainieren, mal versuchte er mit seinen Erfahrungen aus US-amerikanischen Tagen Einflüsse aus dem Militär im Training der Hertha einzubinden und wieder ein anderes Mal, sorgte er mit Q&A’s auf Instagram für Fannähe.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Arne Friedrich gilt als attraktiv, eloquent, weltoffen und extrem wissbegierig. War er der Protagonist auf einer Pressekonferenz, konnten sich Journalist:innen über Offenheit und Warmherzigkeit freuen und zusätzlich über intelligente Aussagen. Friedrich strahlte eine riesige Professionalität aus, die neu war in Berlin. Bei Hertha hatte man sich mittlerweile an einen meist mies gelaunten Michael Preetz gewöhnt, der stets so wirkte, als hätte er sich lediglich dank des einen oder anderen Managementkurses ein etwas gehobenes Sprachniveau aneignen können. Von den polternden Pal-Dardai-Pressekonferenzen ganz zu schweigen. Jürgen Klinsmann wirkte dieser Tage auch mehr wie eine narzisstische und selbstverliebte Person, als ein gestandener ehemaliger Spieler und Trainer von Weltniveau.

Zusätzlich hatte Arne Friedrich schon in seiner aktiven Zeit in Berlin auf dem Platz einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als ehemaliger Kapitän, Leistungsträger und noch dazu als Herthas erfolgreichster Spieler der deutschen Nationalmannschaft genießt er seit vielen Jahren in Berlin Legendenstatus.

Aus dem Schatten von Preetz an die Spitze

Als im Frühjahr 2021 Hertha wieder im tiefen Abstiegskampf stand und neben dem damaligen Trainer Bruno Labbadia auch Michael Preetz gehen musste und damit eine zwölf Jahre lange Ära endete, schlug Friedrichs Zeit. Seine Stelle war von nun an definiert. Vom Performance-Manager zum Sportdirektor. Zusammen mit dem neuen Vorstand Carsten Schmidt überzeugte er Pal Dardai von seiner Rückkehr und seinen alten Freund und Kollegen aus der Nationalmannschaft, Sami Khedira, von einer letzten Profi-Station. Es folgte eine Rückrunde, die mit dem Klassenerhalt, nach der mittlerweile legendären Corona bedingten Pause, beendet wurde. Arne Friedrich selbst leitete sogar für einen Tag lang das Training und bezeichnete sich später mit einem Augenzwinkern als Hertha-Trainer, mit der kürzesten Amtszeit.

(Photo by MICHAEL SOHN/POOL/AFP via Getty Images)

Doch diese goldene Zeit Friedrichs, die dem Verein so viel Professionalität verlieh, sollte enden, als mit Fredi Bobic der neue Vorstand Sport an der Spree die Zügel in die Hand nahm. Friedrich sollte seine Position als Sportdirektor behalten, allerdings sollte von nun an Fredi Bobic die öffentlichen Termine wahrnehmen. Er war der lang gesuchte und seit vielen Wochen ersehnte Sportvorstand. Aus Frankfurt war Bobic nach Berlin gekommen, wo er bereits von 2003 bis 2005 für zwei Jahre spielte. Er hatte sich über die Jahre in der Bundesliga einen mehr als respektablen Ruf erarbeitet. Aus dem ehemaligen Abstiegskandidaten Eintracht Frankfurt hatte er innerhalb kurzer Zeit einen Pokalsieger und Europa-League-Halbfinalisten gemacht. Er war für unpopuläre Entscheidungen bekannt, aber eben auch für Erfolg.

Bobics radikaler Umbruch fordert Opfer – Am Ende auch Friedrich

Ab dem Sommer 2021 änderte sich der Wind in Berlin komplett. Als neuer starker Mann installierte Bobic neue Leute, trieb einen radikalen Kaderumbruch an, war mutig genug, sämtliche Leistungsträger der letzten Saison zu verkaufen und zeigte sich regelmäßig vor den Berliner Medien als professioneller, aber eiskalter und nicht gerade nahbarer Manager.

Die Installation verschiedener neuer Personen im Kader forderte Opfer alter Wegbegleiter. Der langjährige Teammanager und als Vereinsikone beliebte Nello DiMartino wurde in die Jugend geschickt. Mit Benjamin Weber ging nach 18 Jahren der Akademie-Leiter, der erfolgreiche Jugendtrainer Michael Hartmann wird ihm wohl folgen. Für den Abschied von CEO Carsten Schmidt, der wie Arne Friedrich Professionalität und eine gewisse Form von Sympathie und Wärme versprühte, konnte Bobic nichts. Schmidt ging bekanntlich aus privaten Gründen.

Doch der Aufgaben– und Machtbereich Bobics sollte sich dadurch nur vergrößern. Es folgte die Entlassung Pal Dardais und die Einstellung von Tayfun Korkut auf der Trainerposition. Angeblich war Arne Friedrich in diese Entscheidung mit eingebunden.

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(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Doch wie tief Arne Friedrich noch ins Tagesgeschäft mit eingebunden war, muss hinterfragt werden. Mehr als das ein oder andere Feld-Interview vor Spielen oder in der Halbzeitpause bot Friedrich kaum noch. Er wurde zunehmend isoliert. Trotz allem stellte er sich bei der Konfrontation zwischen Mannschaft und Ultras zwischen die Parteien um zu vermitteln. In der Szene und beim Team beliebt, konnte er immer ein Bindeglied darstellen.

Der Abschied kommt nicht überraschend

Auch wenn Arne Friedrich stets betonte, dass er Herthaner und dem Verein dankbar sei, war es nie sein Plan, länger als nötig zu bleiben. Friedrich, der bekannt für seinen speziellen Lebensstil ist und seinen Lebensmittelpunkt eher in den USA sieht, kam zufällig in die Rolle bei Hertha. Doch er war bereit für die neue Herausforderung. Er hat sie zu jeder Tages- und Nachtzeit mit unfassbar viel Herzblut ausgefüllt und war ein Gesicht des Vereins, für viele sogar eine Identifikationsfigur.

Und Er hat dem Verein in der Außendarstellung unfassbar gut getan. Doch Friedrich ist keiner, der es nötig hat sich anzubiedern. Sobald man ihm zeigt, dass er nicht mehr gebraucht wird, macht er Platz. Eine neue Herausforderung für sein Leben findet er ohne große Schwierigkeiten.

Und nun?

Der Aderlass, den die Hertha in den letzten Monaten hinnehmen musste, war schwer zu verdauen. Bis heute ist er das nicht komplett. Im Verein herrscht seit viel zu langer Zeit eine Unruhe, die ihres gleichen sucht.

Wie man den Streit mit dem Investor beilegen soll, ist eine der großen zentralen Fragen in den nächsten Tagen und Wochen. Wie die Mannschaft die Klasse halten soll, die wohl größte und besorgniserregende. Mit Arne Friedrich ist der letzte große Kopf der Prä-Bobic-Ära nun weg. Mittlerweile ist es Fredi Bobic gelungen keinen nennenswerten Gegenspieler im Verein mehr zu haben und seine Leute in vielen Bereichen zu installieren. Seine Entscheidungen beäugt er selbst nach außen hin vollkommen unkritisch.

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(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Die kontroverseste war definitiv die des Trainers. Die Tage zeigen mal wieder, dass es im Fußball viel um Business und Stärke geht und Romantik und Vergangenes oft keinen Platz haben. Die Mannschaft steht dem Abstieg in die 2. Bundesliga extrem nahe und Machtkämpfe und Kritikunfähigkeit sind fehl am Platz. Und gerade jetzt wären Ruhe und Professionalität gefragt. Charakterzüge, die Arne Friedrich mit Bravour ausfüllen konnte.

[Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images]

Warum ich Hertha so liebe

Warum ich Hertha so liebe

Es sind mal wieder dunkle Zeiten rund um Hertha BSC. Die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre schmerzt gewaltig, der Versuch ein international erfolgreicher Club zu werden, scheint krachend gescheitert zu sein. Doch sind wir Hertha-Fans mal ganz ehrlich, darum geht es nicht.

“Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

Die schwachen Spiele der letzten Wochen und Monate haben reingehauen und sie taten – nein, sie tun auch immer noch – weh. Die aktuelle Situation ist gefährlich und als Fan weiß man nicht so richtig, wie man sich damit abfinden soll. Die Saison war spätestens mit dem Ausscheiden im Pokal verschenkt, es geht einzig und allein ums nackte Überleben. Und im Fußball-Business ist das alles wichtig. Es ist sogar überlebenswichtig. Doch es gibt einen Fangesang, der vieles ausspricht, was eigentlich viel wichtiger ist. Gerade in diesem brutalen kapitalistischen Business: „Gemeinsam werden wir wieder siegreich sein, Hertha BSC – Traditionsverein! Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

Hertha
(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Ich bin seit knapp 18 Jahren Fan von Hertha BSC. Damit habe ich leider die goldenen Jahre in der Champions League um die Jahrtausendwende verpasst, doch auch ich kann von wundervollen Ereignissen um die Hertha zehren. Im Übrigen auch im sportlichen Bereich. In den letzten Jahren habe ich etwas gelernt, was mir immer mehr bewusst wird. Jede Generation, ja jeder Fan als Individuum schreibt seine eigene Geschichte und Legende mit dem Verein. Erlebnisse werden zu Erinnerungen. Erzählungen älterer Fans werden zu Mythen, die man immer wieder hört, sich in der eigenen Romantik ausschmückt und Unwissenden nur zu gerne weitererzählt.

Wenn ich Anekdoten vom legendären Nebelspiel gegen Barcelona höre oder Highlights vom Sieg gegen den FC Bayern München 2001, als Pal Dardai und Zecke Neuendorf das Spiel entschieden, sehe, dann sind das für mich wundervolle Momente, die der nahen Vergangenheit angehören, für mich aber trotzdem so etwas wie romantische Mythen rund um den Verein sind. Hertha BSC steht für vieles, insbesondere für eine beeindruckende Geschichte. Auch wenn der Verein seit seinen Meisterschaften Anfang der 1930er Jahre keine nennenswerten Titel mehr sammeln konnte, hat dieser Verein eine Vergangenheit, bei der von der Spannung her, in Berlin höchstens noch Tasmania Berlin mithalten kann.

Wie alles begann

Als ich als kleiner Junge – es wird 2002 oder 2003 gewesen sein – meine ersten großen Berührungspunkte mit Fußball hatte, war mein fußballerischer Lebenslauf bei weitem nicht so vorgezeichnet, wie er sich entwickelt hat. Meine Eltern waren trotz ihrer DDR-Vergangenheit große Bayern-Fans, mein späterer Stiefvater Fan von Bayer Leverkusen. Mein erstes Trikot, welches ich besaß, war also ein Kinder-Trikot von Oliver Kahn. Das EM-Finale 2004 zwischen Griechenland und Portugal war das erste Spiel, welches ich komplett verfolgt hatte, ohne mir vor kindlicher Langeweile eine andere Beschäftigung zu suchen. Und wahrscheinlich hätte es mir niemand verübelt, wenn ich gerade das Spiel, was wahrlich kein fußballerischer Leckerbissen war, auch nicht zu Ende geschaut und mich komplett vom Fußball distanziert hätte. Doch genau dieses Spiel ist bis heute sehr bezeichnend für mein Verständnis von Fußball und meiner Liebe zu Hertha.

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Ich brauche nicht die große Explosion, aber ich will das Feuer, das die Spieler in sich tragen, auf dem Platz sehen. Und über viele Jahre bekamen wir genau das von unserer „Alten Dame“. Nach einigen Sportschau-Abenden mit meinem Vater hab ich ihn also gefragt, ob wir mal ins Stadion gehen könnten. Gesagt getan. Am 6. November 2004 saß ich als neun jähriger Junge zum ersten Mal auf der Tribüne des Olympiastadions. Vom Spiel gegen Werder Bremen habe ich damals nicht viel mitbekommen, denn – und hier kommen wir zu einem weiteren Punkt, den sicherlich sehr viele Fans der Hertha mit mir teilen und auf den ich im späteren Verlauf dieses Texts nochmal eingehen werde – ich war praktisch innerhalb weniger Sekunden von der Magie des Olympiastadions gefesselt.

Mit offenem Mund und großen Augen schaute ich mich um. Ich hatte noch nie so ein großes und lautes Gebäude gesehen und wusste kaum wie mir geschah. Zwischendurch fragte ich meinen Vater, ob denn das Spiel schon begonnen hätte? Dass ich nicht mitbekommen hatte, dass das Spiel seit über einer halben Stunde lief, lässt entweder bezüglich der Spielqualität tief blicken oder verdeutlicht nochmal meine kindliche Begeisterung für das Spektakel, welches das Geschehen auf dem Rasen begleitete. Das Spiel endete 1:1. Alexander Madlung hatte in der allerletzten Sekunde den Ausgleich erzielt. Ich wirbelte meinen Hertha-Schal, den mir mein Vater kurz vor Anpfiff noch gekauft hatte, rum, als wäre es das was ich seit Jahren tun würde.

Hertha
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An diesem Tag hatte Hertha BSC einen neuen Fan gewonnen. Über die nächsten Monate festigte sich meine Liebe nur noch mehr. Die Mannschaft machte es mir auch leicht. Spieler wie Gilberto, Yildiray Bastürk und insbesondere Zauberer Marcelinho verzauberten die Fans. Für mich ist diese Mannschaft die prägendste meines Fandaseins gewesen. Und schon damals war alles Himmel und Hölle. Einerseits schoss Marcelinho gegen den SC Freiburg das wohl spektakulärste Tor, was ich je im Stadion live gesehen habe, andererseits musste ich mit ansehen, wie die Mannschaft 2005 am letzten Spieltag gegen Hannover 96 den Einzug in die Champions League verspielte.

Hertha begeistert Menschen

Es folgte ein Leben, in dem der Fußball und ausgerechnet dieser Verein einen sehr zentralen Punkt einnahmen. So kitschig und antik das klingen mag, aber mit meinen  Freunden hörte ich jeden Samstag-Nachmittag dass RBB Info-Radio mit der Bundesliga-Konferenz, während wir die Spiele in meinem Zimmer mit einem Gummiball und Schüssen gegen die Wand nachspielten. Abends durfte die Sportschau niemals fehlen. Wenn ich mit meinen Eltern an einem Samstagnachmittag unterwegs war, bestand ich selbstverständlich immer darauf im Auto sitzen zu bleiben, um Radio hören zu können.

Hertha bemühte sich in den Jahren sehr darum, Kinder und Jugendliche an den Verein zu binden. Auf Einladung des Kids-Clubs, dessen Mitglied ich damals war, bin ich mit einem alten Schulfreund zu einem Kino-Event gegangen, wo wir „Der König von Narnja“ schauten. Ein Event, das im Vorfeld von Maskottchen Herthinho und Zecke moderiert wurde. Einen Kinosaal mieten und einen aktuellen Film kostenlos für Kinder und Jugendliche ausstrahlen. Es kann so einfach sein junge Fans an sich zu binden.

Wenige Jahre später durfte ich meinen Onkel, der damals Arzt auf einer Krebsstation war, und seine Kollegen und Patienten zu einem Hertha-Spiel begleiten. Hertha gewann das Spiel gegen die Freunde aus Karlsruhe mit 4:0 und beendete die Hinrunde auf Platz 3. Es war die legendäre „Fast-Meistersaison“ 2008/2009. Auch hier bemühte sich Hertha wieder um die Nähe zu den Fans. Das Spiel, welches wir in einer VIP-Loge des Olympiastadions verfolgen durften, wurde abgerundet durch die damals verletzten Spieler Josip Simunic und Sofian Chahed. Beide schauten mit uns das Spiel, waren für lustige Gespräche zu haben und standen für viele Fotos zu Verfügung. Wieder eine sehr einfache Möglichkeit Nähe zu Fans aufzubauen. 

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Nach der erfolgreichsten Bundesligasaison, die ich als Hertha-Fan miterleben durfte, folgte dagegen die schlechteste. 2010 stieg Hertha sang- und klanglos ab, aber da hatte mich der Verein schon so sehr an sich gebunden, dass ich mich trotz der enttäuschenden Saison nicht mehr lösen konnte. Und selbst aus dieser Saison stammen Kuriositäten, von denen sich Herthaner bis heute erzählen. Etwa die von Torhüter Sascha Burcherts Kopfballklärungen verursachten Gegentreffer vom HSV oder dass die Mannschaft trotz ihrer aussichtslosen Position auf dem letzten Tabellenplatz stehend den amtierenden Meister VfL Wolfsburg mit 5:1 besiegte. Den Abstieg verfolgte ich damals als 14 Jähriger – wie sollte es anders sein – am Radio. Nach einem Unentschieden gegen Bayer Leverkusen am 33. Spieltag war er besiegelt und ich stand mit Tränen in den Augen am Küchenfenster und wollte nicht wahrhaben, dass wahrgeworden war, was sich seit Wochen angekündigt hatte.

Ab der folgenden Saison änderte sich meine Art Fan zu sein. Ich ging nicht mehr mit meinen Eltern oder anderen Erwachsenen ins Stadion. Von nun an wollte ich mit Freunden regelmäßig ins Olympiastadion gehen und die Mannschaft lautstark unterstützen. Auch die Plätze auf der Tribüne änderten sich. Vom Familienblock ging es in den Oberring, wo durch die Ostkurve angeleitet, eine brachiale Stimmung aufgebaut wurde. Begünstigt durch die guten Spiele in der 2. Bundesliga und den Wiederaufstieg erfuhr ich wie es war Teil einer riesigen Gemeinschaft zu sein. Schulter an Schulter vorm Spiel einschwören, mit erhobenen Schals Frank Zanders „Nur nach Hause“ singen und in jedem Spiel Vollgas geben und die Mannschaft zum Sieg schreien oder sie zumindest lautstark zu begleiten.

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Als Jugendlicher und Schüler, der immer noch finanziell schwer von seinen Eltern abhängig war, gab ich so ziemlich all mein Taschengeld für Stadiontickets aus. Heutzutage weiß ich gar nicht mehr, wie ich mir nebenbei noch etwas anderes leisten konnte. Ich gab viel zu viel Geld für Hertha aus bzw. wurde von dubiosen Leuten bei Ebay auch gerne mal ordentlich abgezockt. Mit Freunden fuhr ich am späten Freitagabend bis an die Ränder Berlins, nur um in dunklen Gassen noch schnell Karten für den nächsten Samstag zu bekommen. Ich versuchte, viele Leute von Hertha zu überzeugen und nahm regelmäßig unterschiedliche Personen mit ins Stadion. Manche konnte ich mit meiner Leidenschaft anstecken, andere nicht und das war okay.

Legenden werden geboren

Bis heute erlebte ich um Hertha Ereignisse, die im Laufe der Jahre zu Legenden geworden sind, obwohl man sie zum Zeitpunkt ihres Geschehens nie als diese wahrgenommen hätte. Jahre später sind sie Anekdoten zum in Erinnerung schwelgen. Ausnahmespieler wie Marcelinho und Marko Pantelic. Ein auf dem Cottbusser Mittelkreis tanzender Dieter Hoeneß. Raffaels Lauf auf das leere Tor gegen Hoffenheim am letzten Spieltag 2012. Die folgende Relegation gegen Fortuna Düsseldorf sowieso.

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Ob es ein Luhukay-Ausraster auf einer Pressekonferenz war, die erstaunlich gut auch jetzt, viele Jahre später, 2022 hervorragend passen würde. Die beste Zweitligasaison aller Zeiten mit 18 Toren Ronnys, die er zum Teil mit brachialer Gewalt erzielte. Eine viereinhalb Jahre haltende Ära mit Pal Dardai. Europa-League-Spiele in Bilbao und Östersund. Ein Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund, wofür es sogar Sondertrikots gab.

Bayern-Spiele, in denen entweder in der bereits abgelaufenen Nachspielzeit der Sieg aus den Händen gerissen wurde oder noch viel besser, ein Sieg im ausverkauften Olympiastadion gegen den Rekordmeister. Nur drei Stück gab es davon seit 2001, was diese Spiele zu besonderen Momenten macht. Der Einstieg Lars Windhorsts, das Engagement von Jürgen Klinsmann, die Transferphase im Winter 2020, das Ende der Ära Michael Preetz, die Rückkehr Pal Dardais, der Abstiegskampf 2021 während der Corona-Pandemie.

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Doch auch zu Hertha gehören Dinge wie absurde Marketingkampagnen, Versuche, Hertha BSC in anderen Orten und Schichten der Stadt zu verankern. Komische Marketingsprüche, mit denen man sich eher blamiert, als dass sie ein cooles Image ermöglichen. Doch auch die Mitarbeiter des Vereins haben irgendwann festgestellt, dass man zwar die Vielfalt der Stadt leben kann und auch sollte, aber niemals die Grundsätze, die Fans und die Seele des Vereins verändern kann.

Die Macht des Olympiastadions

Als ich mich im Vorfeld auf diesen Text vorbereitet habe, habe ich einige meiner Freunde gefragt, warum sie Fans von Hertha BSC geworden sind und es immer noch sind. Jeder hat über die Macht des Olympiastadions gesprochen. Es gehört zu den vielen Mythen rund um den Verein. Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Bauwerk aus der wohl dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte stammt. Damit wurde sich in der Vergangenheit aber schon häufig genug auseinandergesetzt. Das Olympiastadion steht schon lange nicht mehr für das, für was es gebaut wurde.

Doch in diesem Stadion gab es für einen jeden Fan geballte Emotionen, ein Wechsel aus Freude und Trauer. Kinder wurden und werden immer noch zu Fans in dem Stadion, ob man will oder nicht. Es ist ein Bauwerk, das für viele Hertha-Fans eine Hassliebe darstellt. Riesig, einer Hauptstadt würdig und bei weitem kein seelenloser Stadionklotz, wie er in vielen deutschen Städten steht. Dazu eine Tartanlaufbahn, die ikonisch für das Stadion ist. Auf der anderen Seite sorgt genau diese Bahn für eine extreme Entzerrung des Stadions, durch das Marathontor zieht bei schlechtem Wetter unangenehmer Wind und die Einlasssituation am Olympiastadion ist für moderne Veranstaltungen schon lange nicht mehr ausgelegt.

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Doch die Macht und Magie des Stadions sollte nicht unterschätzt werden. Am 9. November 2019, also fast genau auf den Tag 15 Jahre nach meinem Stadiondebüt, konnte ich auch meine kleinen Brüder für Hertha BSC begeistern. Die damals ebenfalls Neunjährigen mussten zwar eine 2:4-Niederlage gegen RB Leipzig mit ansehen. Aber es waren nicht die sehr schönen Tore von Timo Werner, die sie begeisterten, es war die Mauer-Choreo, die vor dem Spiel organisiert wurde. Die Retro-Trikots, die Hertha für dieses Spiel trug und die bombastische Stimmung der Ostkurve. Auch sie haben 15 Jahre nach mir zum ersten Mal den üblichen Kuttenträger gesehen, der mit einem Gürtel aus etlichen Vereinsschals und einer Bierflasche in der Hintertasche zum Stadion trottet.

Es sind noch immer dieselben Bilder und Szenen, die die Menschen vom Fußball begeistern. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie dieser Begeisterung nicht nachhaltig geschadet hat. Zusammen mit einem meiner besten Freunde ist es uns auch gelungen, seinen kleinen Bruder für Hertha zu begeistern. Kaum zu glauben nach einem 0:0 gegen den FC Augsburg, Temperaturen um den Gefrierpunkt und 90 Minuten Dauerschneeregen direkt ins Gesicht. Auch wenn es möglicherweise Zeit ist für ein neues Stadion, sollte der Verein die Macht des Olympiastadions nicht unterschätzen und beim Bau einer neuen Heimstädte darauf hoffen, dass die Seele niemals verloren geht.

Hertha
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Genauso wie die Geschichten, die den Klub ausmachen. Schwer gebeutelt vom Nationalsozialismus, zwischendurch verboten worden, aber vor allem mit einer wundervollen Gründungsgeschichte. Die Restauration des Dampfers, nach dem der Verein 1892 benannt wurde, ist zwar schon ein jahrelanges Thema, aber es ist so wichtig für die Identifikation des Vereins. Allein der Vereinsname ist einzigartig. Ebenso wie das Logo, was sich über die vielen Jahre zwar nach und nach veränderte, aber immer Wiedererkennungswert hatte und heute mit „Fahne pur“ wohl in seiner schönsten Form existiert.

Die Geschichten um den Wedding, wo das erste Stadion der Hertha stand. Die „Plumpe“ musste irgendwann Wohnhäusern Platz machen, doch ein kleines Denkmal steht noch. Schon zur Zeit der Deutschen Teilung war Hertha ein Sehnsuchtsort vieler Menschen, die Fans heutiger Lokalrivalen waren und vom Osten aus versuchten die Atmosphäre des von der Mauer nur wenige hundert Meter entfernten Stadions zu erleben.

Oder die vielen Weddinger Talente, die Hertha in den 2000er Jahren von den Bolzplätzen locken konnte. Die Boatengs, Ben Hatiras, Dejaghas und Eberts sorgten für eine nie dagewesene Spielergeneration, die für einen unfassbaren Imagebooster des Vereins sorgten.

Hertha ist …

Hertha ist nicht das plastische Marketingprojekt, was man mit der modernen Start-Up-Mentalität kreieren möchte. Hertha ist eine trockene, zu harte Brezel im Olympiastadion oder fantastische Hotdogs, die leider viel teuer sind. Der Verein ist ein fettiges Schnitzelbrötchen, an dem man sich beim ersten Bissen ziemlich fies den Gaumen verbrennt und letztendlich schmeckt es dennoch köstlich. Hertha ist eine schier unendliche U-Bahn-Fahrt. Für mich, der aus Pankow kommt, heißt es einmal komplett die U2 zu fahren, um am Olympiastadion anzukommen.

Man kennt die Geschichten, dass sich Fans an einem bestimmten Ort in ihrer Stadt treffen und dann gemeinsam zum Stadion pilgern und von Straße zu Straße die Leute dazustoßen. Das ist in einer Metropole wie Berlin nur schwer zu organisieren. Aber eine U-Bahnfahrt ist vergleichbar. Wenn Spieltag ist, ist Spieltag und das merkt man. An jeder Station steigt jemand dazu. Spätestens ab der Station Zoologischer Garten ist die Bahn rappelvoll und die Stimmung wird heißer. Der Weg vom Bahnhof bis zum Stadion gehört zum Ritual, zum Spannungsaufbau. Genauso wie das kleine Wäldchen, das viele gerne für ihre letzte Notdurft nutzen.

Ich denke Hertha-Fans wissen, was ich meine. Hertha steht nicht nur für Charlottenburg-Wilmersdorf, wo das Olympiastadion steht oder für den Wedding, wo früher gespielt wurde. Der Verein steht für die komplette Millionenstadt, hat Fans in jedem Winkel, sogar im Speckgürtel und in Brandenburg. Man fühlt, dass man als Herthaner niemals allein ist. Ein Gefühl, dass Fans von Vereinen, die sich nie getraut haben über einen einzigen Bezirk hinwegzuschauen, möglicherweise nicht kennen. Irgendwer vor dir an der Supermarkt-Kasse hat immer eine EC-Karte im Hertha-Style. Vor ein paar Tagen habe ich eine Aussage gehört. die mich sehr schmunzeln ließ. „Hertha ist eine augenscheinlich langweilige Person, die in irgendeiner verrauchten Altberliner Kneipe sitzt und vor ihrer Biertulpe übers Leben meckert. Aber wenn man sich mit ihr beschäftigt, hat die Person Unmengen zu erzählen.“

Und so ist es. Sportlich sind es unfassbar schwere Zeiten und wir alle wünschen uns, dass die Mannschaft schnell zurück in ruhige Fahrgewässer findet und bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber auch wenn es den Verein nach neun Jahren wieder treffen sollte, dann ist es unfassbar traurig und es wird gerade im personellen Bereich riesige Veränderungen geben. Doch eines ist sicher. Die Geschichte und die Seele bleiben für immer und es liegt an uns sie weiterzuschreiben.

HaHoHe

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Alles nach Plan

Alles nach Plan

Die instabile Defensive, eine unstrukturierte und planlose Offensive: Nachdem Hertha mit Spielen wie gegen Dortmund oder Bielefeld vor Weihnachten so etwas wie Aufbruchsstimmung entfacht hatte, wurde diese im neuen Jahr schon im Keim wieder erstickt. Eine große Rolle spielen dabei altbekannte Probleme – die auch der neue Trainer Tayfun Korkut offensichtlich nicht in den Griff bekommt.

Viele Trainer haben sich bei Hertha in den vergangenen drei Jahren ausprobiert. Covic, Klinsmann, Nouri, Dárdai und Tayfun Korkut haben dabei alle etwas gemeinsam: Eine klare Spielidee brachten sie nicht mit zu Hertha. In seiner ersten Pressekonferenz beschrieb etwa der aktuelle Trainer Korkut seine Spielphilosophie so, dass er „Spiele gewinnen“ wolle. Darüber hinaus wolle er seine Taktik daran anpassen, was am besten zum Kader passe.

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Auch wenn seine Vorgänger ihre Herangehensweise gegenüber der Öffentlichkeit teilweise anders präsentierten, die Ergebnisse auf dem Platz sehen seit drei Jahren mehr oder weniger gleich aus. Was die Frage aufwirft: Sind Herthas Probleme dadurch begründet, dass Hertha eben Hertha ist? Oder kann man etwas dagegen tun?

Verschiedene Vorbilder in der Bundesliga

Aktuell gibt es in der Bundesliga zwei Vereine, die sich vor nicht allzu langer Zeit in einer ähnlichen Situation wie Hertha befunden haben. Trainerwechsel nach Trainerwechsel, eine sich immer weiter drehende Abwärtsspirale – das dürfte den meisten Köln- oder Mainz-Fans nur allzu bekannt vorkommen. Beide Vereine sind Hertha dabei einen Schritt voraus, aktuell stehen sie nämlich nicht nur tabellarisch deutlich besser da als die Berliner.

Geschafft haben beide Vereine das durch einen Trainerwechsel und der damit einhergehenden Installation einer klaren Spielphilosophie, die sich nicht nur nach Kader oder Gegner richtet. Sowohl Svensson bei Mainz als auch Baumgart in Köln übernahmen dabei Mannschaften, die noch näher am Abgrund standen als Hertha es aktuell tut. Erste Erfolge stellten sich aber bei beiden schnell ein – und das auch, obwohl die Kader nicht perfekt auf den jeweiligen Fußball abgestimmt waren.

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Dass beide Teams dabei vor allem durch ihren Pressingfußball glänzen, ist aber nur Zufall. Andere Mannschaften wie Union oder Bochum zeichnen sich auf andere Art und Weise aus. Und auch in Dárdais erster Amtszeit war Hertha mit einer klaren Philosophie unterwegs.

Was ist ein Plan?

Aber was ist überhaupt eine „Spielphilosophie“? Natürlich gibt es nicht die eine Definition, ein möglicher Erklärungsansatz könnte sich aber zum Beispiel an den vier Phasen eines Fußballspiels nach Louis van Gaal entlanghangeln.

Für jede dieser vier Phasen braucht eine Mannschaft einen klaren Plan, an dem sie sich orientieren kann, und insgesamt müssen sich diese Teilideen zu einer konsistenten und funktionierenden Gesamtidee zusammensetzen lassen. Wenn diese Gesamtidee in jedem Spiel im Großen und Ganzen dieselbe ist, kann man von einer Spielphilosophie sprechen.

Die Kardinalsfrage einer jeden Philosophie ist dabei die Herangehensweise, mit der man sich Tore erarbeiten will. Das Vertrauen in die Fähigkeiten einzelner Spieler ist natürlich eine Möglichkeit – dafür, dass das aber keine besonders gute Idee ist, gibt es in den letzten Jahren bei Hertha aber einige Beispiele.

Bei Hertha sind es dagegen in der jüngeren Vergangenheit nicht nur die Formationen gewesen, die von Woche zu Woche wechselten. Auch die grundlegende taktische Herangehensweise wurde immer wieder verändert – was es den Spielern nicht einfacher machte, sich auf ihre Aufgaben einzustellen.


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Mögliche Verbesserungen sind nicht immer offensichtlich

Ein besonders gutes, weil noch sehr präsentes Beispiel ist dabei das Spiel gegen Mainz im Dezember: Hertha ging mit einer eher abwartenden und passiven Haltung ins Spiel, lief die Mainzer also nicht früh an, sondern verharrte eher abwartend in einem flachen 4-4-2.

Bei Ballbesitz sollte die Mannschaft dann in ein 4-Raute-2 umschalten – das gelang allerdings nur äußerst selten, weil die Mainzer nach eigenen Ballverlusten sofort energisch nachsetzten und die Hertha-Spieler keinen Plan hatten, um a) dieses Pressing ins Leere laufen zu lassen und damit b) dem eigenen Mittelfeld genug Zeit zu geben, sich zur Raute umzustrukturieren.

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Auch beim „Mentalitätsproblem“, das bei Hertha immer wieder gerne angeführt wird, könnte ein klarer Plan etwas ändern. Weder der Mainzer noch der Kölner Kader waren vor zwei Jahren als Mentalitätsmannschaften verschrien. Durch ihre klaren taktischen Marschrouten fällt es den Spielern dort aktuell aber leichter, auch bei Rückschlagen an den eigenen Erfolg zu glauben.

Dass eine Spielphilosophie auch Herthas Defensive stabilisieren und der Offensive zu mehr Gefahr verhelfen könnte, steht dabei eigentlich außer Frage. Die Qualität im Kader ist abgesehen von der Rechtsverteidigerposition ähnlich hoch wie bei anderen Mittelklasse-Bundesligisten, nur macht Hertha aktuell zu wenig aus den Stärken seiner Einzelspieler.


Das Transferfenster ist zu. Wir besprechen in unserem Podcast die letzten Aktivitäten von Hertha BSC auf dem Spielermarkt und werfen nochmal einen Blick auf das Team, welches den Abstieg verhindern soll. Wie sieht unsere Aufstellung aus? Was hätten wir uns noch gewünscht?


Was passt zu Herthas Kader?

Trotzdem, und das zeigt spätestens das Scheitern von Bruno Labbadia bei Hertha, muss auch eine gewisse Kompatibilität zwischen Kader und Spielphilosophie gegeben sein. Ein Gedanke, den Fredi Bobic bei der Trainersuche mit Sicherheit im Hinterkopf behalten wird.

Sollte im Sommer ein Trainer mit einer ähnlichen Pressing-Philosophie wie Baumgart oder Svensson übernehmen, würde sich zum Beispiel die Frage stellen, wie man Ishak Belfodil in ein solches System integriert. Verpflichtungen wie Marco Richter oder Suat Serdar im vergangenen Sommer deuten aber daraufhin, dass Bobic einen solchen Stil favorisieren könnte.

(Photo by Joosep Martinson/Getty Images)

Falls Hertha das Spiel dagegen mehr über den eigenen Ballbesitz definieren möchte, fehlt eigentlich ein Organisator im Mittelfeld. Eine Rolle, die vielleicht Lucas Tousart ausfüllen könnte, sollte er nach bisher anderthalb durchwachsenen Jahren seine Form aus Vor-Hertha-Zeiten wiederfinden. Dafür könnten sich Jurgen Ekkelenkamp oder auch Fredrik Bjørkan in einem solchen System wohlfühlen, weil sie bei ihren alten Vereinen viel Ballbesitz und Dominanz gewöhnt waren.

Insgesamt zeigt aber der Blick nach Köln und Mainz, das Spieler auch in neue Rollen hineinwachsen und sich auch im höheren Fußballalter noch weiterentwickeln können. Nötig ist dafür vor allem ein Trainer, der ihnen eine Entwicklung zutraut, ihnen spezifische Aufgaben gibt und sie dabei unterstützt, mit ihren Herausforderungen umzugehen.

[Titelbild: Maja Hitij/Getty Images]