Mitchell Weiser – Ein Abgang auf Raten?
Die Rückrunde von Hertha verläuft, wie man es als Fan gewohnt ist. Zwar hat die “Alte Dame“ endlich ihre Auswärtsschwäche im Griff, punktet dafür zu Hause umso weniger und konnte in der gesamten Rückrunde erst zwei Siege einfahren. Auch der Fußball, den Hertha in den letzten Monaten darbietet, reißt nicht gerade aus den Sitzen. Da man sich jedoch mit Platz 11 im Niemandsland der Tabelle befindet, ist das zumindest punktetechnisch alles nicht weiter schlimm. Während Hertha nach außen also mal wieder wenig Gesprächsstoff bietet, laufen intern schon die ersten Planungen für die kommende Saison. Der Vertrag mit Arne Maier wurde jüngst langfristig verlängert, auch Peter Pekarik bleibt dem Verein erhalten. Ein anderer Spieler, der maßgeblich am Erfolg der letzten Jahre beteiligt war, droht, den Verein zu verlassen. Nach übereinstimmenden Medienberichten steht Mitchell Weiser unmittelbar vor einem Wechsel zu Bayer 04 Leverkusen. Sowohl Leverkusens Sportdirektor als auch Mitchell Weiser selbst bestätigten das Treffen. Die Zeichen stehen also auf Abschied. Das haben wir zum Anlass genommen, ein Fazit von Weisers Zeit in Berlin zu ziehen und zu zeigen, welche Auswirkungen sein Abgang hätte.
Die Ankunft von Mitchell Weiser: „Der ist nächstes Jahr wieder weg.“
Es war der 2. Spieltag der Saison 2015/2016. Hertha spielte im heimischen Olympiastadion gegen Werder Bremen. Das Spiel war ausgeglichen, als in der 75. Minute beim Stand von 1:1 ein gewisser Mitchell Weiser das Spielfeld betrat und mit einer seiner ersten Ballaktionen im Trikot von Hertha BSC gleich mal elegant zwei Gegenspieler aussteigen ließ. Das Stadion raunte, mein Kumpel, mit dem ich in der Ostkurve stand, guckte mich an und sagte: „Der ist nächstes Jahr wieder weg.“ Aktionen wie diese hatten und haben bei Hertha Seltenheitswert. Mitchell Weiser zeigte damit schon nach wenigen Minuten, dass er das sonst so statische Spiel um eine überraschende Komponente erweitern und damit die Person sein könnte, die Hertha nach Ronnys furioser Zweitliga-Saison so sehr fehlte.
Vom Rekordmeister zum Abstiegskandidaten
Dass sich ein Spieler mit dem Potenzial von Mitchell Weiser überhaupt der „Alten Dame“, die im Vorjahr nur knapp dem Abstieg entgangen war, anschloss, war schon verwunderlich genug. Dem allgemeinen Vernehmen nach waren auch Leverkusen und Schalke 04 im Rennen um den hochveranlagten Deutschen, der auf der rechten Seite sowohl in der Viererkette als auch eine Position weiter vorn eingesetzt werden kann. Weiser jedoch entschied sich für Hertha BSC und damit vor allem für die Garantie auf Spielzeit. Nachdem er sich bei Bayern mit seinen jungen 21 Jahren nicht durchsetzen konnte und selbst zugab, dass es ihm zeitweise an der richtigen Einstellung mangelte (“Ich habe mich hinterfragt, ob ich immer 100 Prozent gegeben habe. Wenn man den Vergleich zieht, sieht man, dass es nicht immer 100 Prozent waren.”), sah der gebürtige Troisdorfer in Hertha eine “sehr spannende Herausforderung“. Es war wohl der richtige Schritt zur richtigen Zeit. In einem Alter, in dem sich ein Spieler auf der Schwelle vom Talent zum vollwertigen Profi befindet, wie es bei Weiser der Fall war, muss dieser regelmäßig spielen. Der Wechsel in eine Mannschaft, in der er zu diesem Zeitpunkt der wohl mit weitem Abstand talentierteste Spieler war, machte vor diesem Hintergrund fraglos sehr viel Sinn.
Weiser hebt Hertha auf ein neues Niveau
Heute weiß man, dass dieser Plan voll aufging. Mitchell Weiser entwickelte sich auf Anhieb zum Stammspieler und etablierte sich schnell als absoluter Leistungsträger des Vereins. Ab dem 4. Spieltag seiner Debütsaison stand Weiser in jedem Spiel, sofern er nicht gesperrt oder verletzt war, in der Startformation und steuerte in Liga und Pokal addiert zwei Tore und zehn Assists bei. Diese Zahl ist durchaus beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er in 21 von 33 Partien als Rechtsverteidiger auflief. Daraus lässt sich schon ablesen, was Weiser von Herthas anderen Außenverteidigern abhebt. Er hat die Qualität, sich nach vorn einzuschalten, ohne dabei seine defensiven Aufgaben zu vernachlässigen und interpretiert die Rolle komplett anders, als beispielsweise Peter Pekarik.
Zwar schaltet sich auch der Slovake nicht selten nach vorn ein, bei ihm beschränkt es sich jedoch in der Regel darauf, die rechte Linie entlang zu laufen und aus dem Halbfeld in den Strafraum zu flanken. Weiser hingegen besitzt die gesamte Klaviatur eines defensiven Außenspielers. Er weiß, wann er seinen Partner hinterlaufen muss, geht bis zur Grundlinie durch und kann mit seiner Beidfüßigkeit problemlos ins Dribbling gehen und ins Zentrum ziehen, um von dort das Spiel zu gestalten. Diese Eigenschaft ist es, die sein Trainer Pal Dardai besonders schätzt. So bezeichnete der Ungar seinen Spieler in der Berliner Morgenpost als “Spielmacher von außen”.
Mit Weiser in die Europa League
Trotz dieser starken Zahlen ist es keineswegs so, als hätte es Weiser in Berlin bislang jeden Tag einfach gehabt. Nachdem Hertha im Zuge einer schwachen Rückrunde 2015/2016, von der auch Weiser nicht verschont blieb, die direkte Europa League-Qualifikation verpasste, musste Hertha in die Qualifikation gegen Brondby. Das Ende ist bekannt. Hertha verlor das Rückspiel in Dänemark mit 1:3 und beendete das Abenteuer Europa damit schon, bevor es überhaupt begonnen hatte. Als einer der Sündenböcke wurde Mitchell Weiser ausgemacht, den Pal Dardai damals zum Einzeltraining verdonnerte. Kurze Zeit später verlängerte Mitchell Weiser seinen Vertrag. Dieses Verhalten zeigt, wie reif der Spieler, der es in München wegen mangelnder Einstellung nicht packte und zwischenzeitlich nach Kaiserslautern verliehen wurde, inzwischen geworden ist. Dass er in dieser Situation den Kampf annimmt und nicht davon läuft, ist in seinem jungen Alter keineswegs selbstverständlich. Auch auf dem Platz zeigte Mitchell Weiser die einzig richtige Antwort. Gegen Regensburg erzielte er in der 1. Pokalrunde kurz vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleichstreffer und rettete Hertha so ins Elfmeterschießen, das die Berliner für sich entscheiden konnten. Auch der Saisonstart verlief herausragend. Weiser hob sein Spiel nochmal auf eine höhere Stufe als im Vorjahr, überzeugte nun auch im rechten Mittelfeld, was in der Spielzeit davor nicht der Fall war und legte erneut eine tolle Hinrunde aufs Parkett. Bis zum 10. Spieltag war er im Schnitt in jedem zweiten Spiel an einem Treffer beteiligt. Hertha war zu diesem Zeitpunkt auf Platz 4 der Tabelle. Diese Phase war die bislang beste von Mitchell Weiser im blau-weißen Trikot. Unter den Fans waren sich viele einig, dass nicht Marvin Plattenhardt, sondern Mitchell Weiser der erste deutsche Nationalspieler seit Arne Friedrich werden würde. Es kam bekanntlich anders.
Weiser verletzte sich und bestritt bis zum Saisonende nur noch acht Spiele, davon lediglich eins über 90 Minuten. Diesen Ausfall konnte Hertha weder punktetechnisch und erst recht nicht spielerisch auffangen. Am Ende lief Hertha zwar noch auf Platz Sechs und damit in der Europa League ein, bot den Fans aber fußballerische Schwerkost. Viele sahen Weisers Verletzung als Hauptgrund dafür.
Ein unwürdiger Abschied?
Auch in der aktuellen Saison kommt Mitchell Weiser nicht annähernd an seine Form aus der vorherigen Hinrunde heran. In bis dato 28 Spielen stehen vier Torbeteiligungen auf der Habenseite – sein mit Abstand schwächster Wert. Zwar lässt sich das mit der U21-EM, bei der Weiser mit seinem Siegtor im Finale zum Held wurde und der fehlenden Vorbereitung sowie der Dreifachbelastung in der Hinrunde erklären. Schließlich ereilte auch Niklas Stark dasselbe Schicksal. Doch im Gegensatz zu Herthas Innenverteidiger schaffte es Weiser nicht, die Formkurve in der Rückrunde wieder nach oben zu reißen. Das Thema Nationalmannschaft ist aktuell, obwohl man auf der Position mit Ausnahme von Joshua Kimmich nicht gerade Talent im Überfluss besitzt, in weite Ferne gerückt. Auch Herthas defensiv ausgelegter Fußball kommt Weiser nicht gerade entgegen, wenn es darum geht, sich für Joachim Löw zu empfehlen. Dementsprechend verwundert es nicht, dass in den letzten Wochen vermehrt Gerüchte um einen Wechsel aufkamen. Dass es an Interessenten nicht mangelt, ist angesichts des Potenzials von Weiser auch nur allzu logisch. Bayer Leverkusen scheint wohl in der Pole Position zu sein. Dass dieser Wechsel sportlich und finanziell Sinn macht, steht keineswegs zur Debatte.
Ärgerlich ist aus Berliner Sicht lediglich der Zeitpunkt. Hertha befindet sich gerade im Umbruch. Zahlreiche ältere Spieler verlassen den Verein (Langkamp) oder werden durch Jüngere ersetzt (Skjelbred). Weiser hätte eine zentrale Stütze in diesem Veränderungsprozess werden können. Jedoch darf es niemanden verwundern, dass ein Spieler seines Formats Hertha nur als Durchgangsstation wahrnimmt. Man wäre als Fan zudem falsch beraten, ihm das negativ auszulegen. Weiser betonte mehrfach, dass es sein langfristiges Ziel sei, in der Champions League zu spielen. Diese Perspektive kann Hertha ihm nicht bieten. Dass ein Abgang angesichts des Potenzials Weisers ärgerlich wäre, ist dennoch nicht von der Hand zu weisen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass er dieses Potenzial seit nunmehr fast eineinhalb Jahren nicht mehr abruft. In der aktuellen Verfassung würde sein Fehlen daher keinen sportlichen Verlust darstellen. Ebenso ist es gut möglich, dass Weiser sich gedanklich schon von Berlin verabschiedet hat und seine Leistung deswegen so überschaubar ist. Aber das sind alles nur Spekulationen.
Ebenso spekulativ ist die kolportierte Ablösesumme. Angeblich besitzt Weiser bis zum Sommer eine Ausstiegsklausel in Höhe von rund 12 Millionen Euro. In Zeiten, in denen selbst Vereine wie Köln 17 Millionen Euro für einen Jhon Cordoba zahlen, wäre diese Summe aus Berliner Sicht sehr bescheiden. Doch selbst, wenn es so kommt, stünde unter dem Strich ein Spieler, der ablösefrei nach Berlin kam und in einer Vielzahl seiner Spiele herausragend war und Hertha zwischenzeitlich auf ein anderes Niveau hob. Weiser hatte zudem einen Bärenanteil daran, dass sich die “Alte Dame“ von einem Fahrstuhlverein zu einem Europa League-Aspiranten entwickelte. All das sollte man nicht vergessen. Auch ist es Michael Preetz nach den Transfers, die er in den letzten Jahren getätigt hat, absolut zuzutrauen, dass er einen adäquaten Ersatz für Mitchell Weiser verpflichtet. Immerhin gelang es ihm, John Anthony Brooks, der Hertha für rund 17 Millionen Euro im Sommer den Rücken kehrte, mit Karim Rekik für 2,5 Millionen Euro mindestens gleichwertig zu ersetzen. Es gibt also keinen Grund, sollte der Wechsel über den Tisch gehen, in Verzweiflung auszuarten. Vielmehr sollte man sich freuen, dass man Weiser zwei Jahre länger als gedacht in Berlin halten konnte.
Wie blickt ihr auf Weisers bisherige Zeit in Berlin zurück? Haltet ihr einen Wechsel für wahrscheinlich und welche Auswirkungen hätte das auf die Mannschaft? Wir freuen uns auf eure Kommentare!
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