Nationalität ist keine Leistung
Normalerweise geht es in dieser Kolumne nur um Fußball. Aber Hertha BASE hat sich in der vergangenen Woche der #wirsindmehr-Bewegung angeschlossen und sich dabei klar als Fürsprecher von Vielfalt und Toleranz positioniert. Hintergrund waren die Vorkommnisse in Chemnitz, bei denen sich offensichtlich normale Bürger hinter ganz klar Rechtsradikalen versammelten und die es auch nicht störte, dass mehrfach der Hitlergruß gezeigt und anders aussehenden Menschen Angst gemacht wurde. Ich fand die Positionierung auf der Hertha-BASE-Facebookseite richtig gut. Doch was dann passierte, ist in vielerlei Hinsicht so bemerkenswert, dass ich in dieser Kolumne noch einmal darauf eingehen will.
Horizont nur bis zum nächsten Heimspiel
Es gab Hunderte Kommentare von Menschen, deren Horizont offensichtlich nur bis zum nächsten Heimspiel reicht. Die sich an Kleinigkeiten aufhängten, statt die eigentliche Message des Textes verstehen zu wollen. Die nicht die Ablehnung von jeglicher Form von Rassismus, Abgrenzung und Unterdrückung sahen, sondern eine Art der Bevormundung. Als würde das Statement einer Facebook-Page ihnen eine Meinung diktieren.
Etwas mehr als 70 Menschen entschlossen sich aufgrund dieses Statements, ihr Like für Hertha BASE zurückzuziehen. Ein Like für eine Fanseite eines Sportvereins, dessen bestes Fußballteam aus 35 Spielern besteht, von denen 22 mindestens einen Migrationshintergrund haben oder sogar Ausländer sind. Eines Sportvereins einer Stadt, die so multikulturell ist wie vermutlich keine andere in Deutschland und nur wenige in der Welt. Eines Sportvereins, für den es selbstverständlich ist, “sich entschlossen und geschlossen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung jeder Ausprägung entgegenzustellen.” Um es mit Barack Obamas Worten zu sagen: “Wie schwer kann es da sein, zu sagen, dass Nazis böse sind?”
Auf Basis des Grundgesetzes
Um das hier direkt mal festzuhalten: Ich halte jeden, der jemand anderen wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen herabwürdigt oder benachteiligt für einen schlechten Menschen. Ich halte umgekehrt auch jeden für einen schlechten Menschen, der sich wegen oben genannter Attribute für etwas Besseres hält. Es ist eine Leistung, für Hertha gegen Schalke zwei Tore zu erzielen. Aber es ist keine Leistung, eine bestimmte Nationalität zu haben. Das gleiche gilt übrigens für Religionen. Trotzdem will ich hier niemanden belehren. Natürlich gibt dieser Text meine Meinung wider, die aus meinen Erfahrungen und meiner Sozialisierung entstanden ist. Es kann jeder eine andere haben. Solange wir uns auf der Basis des Grundgesetzes bewegen, bin ich diskussionsbereit.
Schon klar, Nationalitäten helfen manchmal sehr. Ich wollte diesen Text zum Beispiel eigentlich so beginnen: “Wisst ihr noch, als uns ein Bosnier am ersten Spieltag nach Vorlage eines Österreichers mit angolanisch-griechischen Wurzeln zum Sieg geschossen hat? Und dann, eine Woche später auf Schalke! Der erste Sieg nach gefühlten 100 Jahren in Gelsenkirchen. Ein Niederländer mit Wurzeln in Surinam spielt einen Slowaken frei – Tor! Der Slowake trifft danach nochmal, weil ein Deutsch-Pole einen Freistoß in guter Position herausgeholt hatte. Was man schon nach zwei Spieltagen definitiv sagen kann: Migration hat Hertha BSC nicht geschadet. Ganz im Gegenteil.”
Nationalität sagt nichts aus
Das zeigt wunderbar die internationale Vielfalt bei Hertha, hat aber auf der anderen Seite nichts mit der Qualität der Spieler oder Menschen dahinter zu tun. Ob der Deutsch-Pole ein guter Fußballer oder Mensch ist, kann ich nicht an seiner Nationalität ablesen. Man kann sich natürlich an Erfahrungen orientieren, aber wenn es danach geht, hätte Hertha nach Artur Wichniarek eigentlich alles polnische auf den Index setzen müssen…
Was ich damit sagen will: Weil Osama bin Laden ein Terrorist war, sind nicht alle Muslime Terroristen. Weil Adolf Hitler im Namen aller Deutschen Millionen von Juden vergast hat, sind nicht alle Deutschen 80 Jahre später noch potenzielle Massenmörder. Und weil ein syrischer Flüchtling eine Frau vergewaltigt, sind nicht alle syrischen Flüchtlinge Vergewaltiger.
Wo sind wir hingekommen?
Für manche ist das offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr. Und es ist ja auch verständlich, dass man sich eine gewisse Skepsis aneignet, wenn man einmal schlechte Erfahrungen gemacht hat. Aber sich abzuschließen und das eigene Weltbild unveränderbar abzuspeichern, ohne Änderungsmöglichkeiten zuzulassen? Das sorgt für Frustration und Hass. Und es geht sehr oft nur noch um Gruppen, die in der humansten Ausprägung ausgewiesen oder, das ist dann die unterste Schublade, gleich vergast werden müssen. Wo sind wir eigentlich hingekommen, dass man so etwas nicht nur denkt, sondern auch öffentlich äußert?
Ich habe vor zwei Tagen eine Geschichte gelesen, in der ein Vater seinen Kindern beim Kriegspielen zuschaut. Er ruft sie daraufhin zu sich und sagt ihnen, dass er es nicht mag, seine Kinder beim Kriegspielen zu sehen, sie sollten doch bitte lieber Frieden spielen. Die Kinder nicken, stecken die Köpfe zusammen und sagen dann: “Papa, kannst du uns sagen, wie man Frieden spielt?”
Es sind immer 50 Shades of Grey
Das ist das Problem. Es ist einfach, jemanden zu hassen, weil er aus einem anderen Land kommt, eine (andere) Religion praktiziert oder einfach anders ist, als man selbst. Früher passierte es häufiger, dass Spieler von gegnerischen (oder sogar eigenen) Teams nach besonders guten (oder eben schlechten) Leistungen in Verbindung mit ihrer Nationalität beschimpft wurden. Obwohl die natürlich absolut gar nichts mit der Leistung auf dem Platz zu tun hatte. Aber es ist halt ungleich schwieriger, zu beschreiben, warum eine Leistung schlecht war.
Es ist auch einfacher, sich sein Weltbild selbst zu malen, wenn man beim echten nicht mehr hinterherkommt. Die ganze Welt wird immer komplexer, nur schwarz und weiß gibt es nicht mehr, es sind immer mindestens 50 Shades of Grey. #Lügenpresse, wenn es nicht mehr in den Kopf passt. Komplexität ist nichts für die Massen. Deshalb lieben ja alle Fußball: Weil er grundsätzlich so einfach ist. Aber es ist eben auch deutlich einfacher, mit gehobenem Arm “Heil Hitler” zu rufen, als sich darüber Gedanken zu machen, wie wir in dieser großen Welt in Frieden zusammenleben können.
Die Bösen wird es immer geben
Denn darum geht es. Frieden. Für uns und unsere Kinder. Natürlich kann man nicht außer Acht lassen, dass es Menschen auf diesem Planeten gibt, die Hass predigen oder ausüben. Die wird es immer geben, die hat es immer gegeben. Sie kommen mal aus Deutschland, mal aus Syrien, mal aus Russland. Aber sie sind in erster Linie Menschen, die irgendwann vom richtigen Weg abgekommen sind oder die nie den richtigen Weg gewiesen bekommen haben. Niemand kommt auf diese Welt und räumt mit vorgehaltener Waffe einen Kiosk aus. Menschen machen aus Menschen diese Monster. Und die in der Mehrzahl friedlichen Menschen müssen dafür sorgen, dass solchen Monstern Einhalt geboten wird.
Am Ende ist das Zusammenleben nämlich doch wieder wie ein Fußballspiel. Es ist wichtig, dass sich alle an die Regeln halten, und zwar selbst dann, wenn einige das nicht tun. Nur, wenn auch denen, die die Regeln missachten, vorgelebt wird, dass sich alle anderen daran halten, ergeben Regeln Sinn. Das Grundgesetz sind unsere historisch gewachsenen Regeln. Wer sich davon abwendet, hat aus der Geschichte nichts gelernt und gibt den Frieden, den er selbst erleben durfte, leichtfertig auf.
[Eine Kolumne von Daniel Otto]
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