Weeste noch? Ali Daei – Rekordhalter mit Halt in Berlin

Weeste noch? Ali Daei – Rekordhalter mit Halt in Berlin

Von 1999 bis 2002 spielte ein Stürmer bei der Hertha, welcher mit seinen Länderspieltoren einen ganzen Kontinent einnehmen sollte. Es gab keine Rekorde und große Titel bei der Alten Dame. Doch nach 88 Profi-Einsätzen, zwölf Toren und einer unvergesslichen Champions-League-Nacht sangen die Hertha Fans seinen Namen. Unser Text zu “Mr. Goal”, Ali Daei.

Der Spiegel betitelte ihn als “der neue Held von Berlin” nach eben jenem glorreichen Champions-League-Partie. In dieser schien Ali Daei es allein zu schaffen, die Hintermannschaft Chelseas auszuspielen. Es sollte eine Nacht der Überraschung und die des Iraners werden. Keine drei Minuten dauerte das Spiel und Chelsea hatte mit Stürmerstar Gianfranco Zola einen Flachschuss auf Gabor Kiraly abgegeben. Dann fand eine Flanke von Mitspieler Tonny Sanneh Ali Daei im Sechzehner. 1:0 und als Hertha-Fan begann eine magische Nacht.

daei

Foto: Michael Cooper /Allsport

Es sollte mehr geben für Weltmeister Deschamps, Leboeuf und Desailly. Als Letztgenannter in der 70. Spielminute sich bei einem Pass verschätzte, war der quirlige Daei da. Er ließ erst Leboeuf am Boden zurück, Torwart Ed de Goeu erfolgslos herauskommen und schließlich Desailly den Ball aus dem Netz holen. Der 21. September 1999 – das Spiel des Ali Daeis. Doch wie fanden sich der iranische Stürmerstar und die Hertha?

Sichtung eines neuen Helden?

Nach einer herausragenden Asien-Meisterschaft sollte Daei mit Karim Bagheri als erstee Iraner der Bundesliga Arminia Bielefeld vor dem Abstieg retten. Nach einer vielversprechenden Saisonhälfte ging es mit einer Niederlagenserie und einem Eklat zwischen Star Stefan Kuntz und Trainer Middendrop zweitklassig weiter.

Nicht für Daei, welchen es mit sieben Toren zum FC Bayern München zog. In Konkurrenz gegen Namen wie Carsten Jancker, Alex Zickler und Giovane Elber gelangen Daei sechs Tore in 23 Partien. Für die Bayern zu wenig und so verloren die Münchner die Geduld am Mann aus Ardabil. Uli Hoeneß musste im Telefonbuch nicht weit suchen für einen Abnehmer. Mit Hertha-Manager Dieter Hoeneß fand sich dieser in der eigenen Familie. 5,2 Millionen Mark an die Bayern und “den neuen Held” zog es an die Spree.

Foto: Mark Thompson /Allsport

Es waren Namen wie Michael Preetz, Dick Van Burik und Sebastian Deisler unter der Regie von Trainer Jürgen Röber, welche Daei in Berlin erwarteten. Namen, die von uns Fans hochgehalten werden. Jeder von ihnen findet auf seine ganz eigene Weise seinen Platz in der Vereinsgeschichte. Daei kam mit seinen 1,92 Metern, etwas wenig Spielzeit und wenig Hoffnungen zur Hertha. Von Trainer Röber Anfangs noch für fehlende Verteidigungsarbeit gescholten, schaffte Daei die Wende.

Als Doppelspitze im Mittelsturm mit Michael Preetz schaffte Daei in der 1999/2000 Saison mit Sprungkraft seine Kopfballstärke auszuspielen. Schon in der Qualifikation für die Champions League brachte Daei die Hertha näher an die berühmte Hymne. Gegen Außenseiter Famagusta aus Zypern brachte Daei nach zwei Minuten per Kopfball den Favoriten auf Siegeskurs. Der Spruch “Er köpft so hart wie andere schießen”, kam nach dem Spiel auf. Die Weichen für eine magische Nacht waren gegeben.

Volksheld mit Rekorden

Für die Hertha sollten es insgesamt zwölf Tore in knapp vier Saisons werden. Keine überragende Quote im Vergleich zu Sturmpartner Preetz (50 Tore von 99 – 02) und doch hält Daei Rekorde, an die kein Hertha-Stürmer herankam. 1999 Asien Fußballer des Jahres, Welttorjäger 1996 & 2004 und bis letztes Jahr Rekordtorschütze der weltweiten Länderspieltore. 109 Tore in 149 Spielen ist eine Statistik, welche eher an Gerd Müller, Lionel Messi oder Christiano Ronaldo erinnert. Der Portugiese war es, der weltweit Schlagzeilen füllte, nachdem er Daei überholte. In seiner Heimat gilt Daei bis heute ein Volksheld und bis letzten Monat war der heutige Trainer beliebter Experte im Staatsfernsehen.

(Photo credit should read KARIM JAAFAR/AFP via Getty Images)

Die mysteriösen Todesumstände von Mahsa Amini lösten dies jedoch ab. Selten gab es im Iran solch eine Welle der Proteste und eine nie dagewesenen feministischen Bewegung. Die junge Frau wurde von der iranischen Sittenpolizei verhaftet, nachdem unter ihrem Kopftuch ihre Haarsträhnen zu sehen waren. Amini verstieß damit gegen die strengen Kleidungsregeln des Landes. Amini selbst verstarb in Polizeigewahrsam, wobei viele von Gewalteinwirkung seitens der Polizei ausgehen. Hunderttausend Menschen stellen sich auf den Straßen Irans gegen die Polizei und die Regierung. Während diese brutal gegen die Proteste vorgehen, meldeten sich Irans Fußballer.

 

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Leverkusens Serdar Azmoun oder Ex-Bayern Spieler Ali Karimi gaben neben Daei via Social Media ihre Unterstützung bekannt und werden seitdem aus dem Staatlichen Rundfunk gestrichen. Daeis Pass wurde kurze Zeit nach seinen Äußerungen dazu noch eingezogen. Es war nicht das erste Mal, dass Daei politisch auftritt. Letztes Jahr schlichtete er einen Familienstreit und verhinderte so die Hinrichtung eines Mannes. Neben Charity Events löste er einen politischen Eklat aus, als er dem damaligen Präsidenten den Handschlag verweigerte. Ali Daei – ein Rekordbrecher sowie Volksheld.

Schon 1999 galt Daei als Hoffnungsträger der Nation, dies jedoch aus sportlicher Sicht. Nach der ersten erfolgreichen Saison samt Champions-League-Teilnahme folgten für Daei und die Hertha eher sportlich enttäuschende Jahre. Aus der Startaufstellung wurden Kurzeinsätze und mit 32 Jahren verabschiedete Daei sich nach Dubai.

Tage der Euphorie

Zurück in eine Septembernacht im Jahr 1999, in welcher Welttorjäger Daei Hertha-Träume aufgehen ließ. Im Iran war er eine Galionsfigur der nationalen Sportwelt, für Hertha-Fans strahlte er den Start in die Champions-League-Saisons aus und in der Hertha-Mannschaft kam nach der großen Überraschung gleich Ideen auf.

Die Überraschung war geglückt, und die Freude der Hertha überschwänglich. Deisler träumte von einem Punkt gegen AC Mailand und Preetz empfand das Olympiastadion als Festung für internationale Teams. Es sollten die Tage der großen Euphorie ausbrechen. Die Ergebnisse sollten neue Helden hervorbringen, Fanlieblinge erschaffen und die Ostkurve bis nach Barcelona tragen. Allein schaffte Ali Daei diese Atmosphäre nicht zu halten und doch war es sein Torriecher, welcher den Start für die erste Champions-League-Saison der Hertha angab.

Foto: Michael Cooper /Allsport

Der Iraner hatte nie die Spieleanzahl eines Lustenbergers, den Fanstatus von „Zecke“ oder eine Vereinsbindung wie Kiraly. Er ließ an diesem 22. September aber nicht nur tausenden Hertha-Fans ein Spiel nie vergessen, sondern brachte Hertha BSC ein Gefühl an Weltklasse, wenn auch nur für eine Nacht. Einer von uns (wenn auch nur kurz).

[Titelbild: Gary Prior /Allsport]

Hertha BSC – SC Freiburg: Drei Thesen

Hertha BSC – SC Freiburg: Drei Thesen

Nach all den Vorkommnissen der letzten zwei Wochen kann man durchaus fast vergessen, dass hier und da auch Fußball gespielt wird bei Hertha BSC. Und mit dem kommenden Gegner aus Freiburg wartet eine nicht gerade einfache Aufgabe. Dabei wären drei Punkte mit Blick auf die Tabelle wichtig, anderenfalls würde man den Anschluss ans Tabellenmittelfeld vorläufig verlieren.

Unsere drei Thesen zum Spiel gegen den SC Freiburg

These 1: Fanszene meldet sich erneut zu Wort

Am liebsten würde man sich rein aufs Sportliche konzentrieren. Doch die Causa Windhorst ist momentan leider einfach zu groß, als dass man darum herumkommen könnte. Ähnliches wird sich auch die aktive Fanszene in der Ostkurve denken. Nachdem bereits im letzten Spiel mehrere Banner und Plakate gegen den (Noch-)Investor präsentiert wurden, dürfte sich das im kommenden Heimspiel wiederholen.

Windhorst Banner

Am Mittwoch bot Lars Windhorst der Vereinsführung von Hertha BSC an, die seit 2019 erworbenen Anteile zurückzukaufen – und das zum damals gezahlten Preis. Eine Forderung, die so grotesk wie unrealistisch ist. Dementsprechend werden die Fans darauf nicht schweigen und den ein oder anderen deutlichen Spruch in Richtung des Mehrheitsanteilseigners äußern.

These 2: Rogel liefert gute Argumente für weitere Einsätze

Nachdem sich Filip Uremovic im vergangenen Spiel gegen die TSG Hoffenheim verletzt hat und zu Pause ausgewechselt werden musste, feierte Neuzugang Agustin Rogel sein Debüt im Herthatrikot. Mittlerweile steht fest, dass Uremovic auch für die nächsten Spiele ausfallen wird. Dementsprechend stelle Sandro Schwarz auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die Breisgauer klar, dass Rogel starten wird. Der 1,91 m große Uruguayer lieferte in der vergangenen Partie eine mehr als solide Leistung ab. Er wirkte ruhig, konzentriert und abgeklärt, vor Augen bleibt beispielsweise sein starker Zweikampf gegen Georginio Rutter. Gegen die Gäste am Sonntag wird Rogel diese Qualität bestätigen und erneut positiv auffallen. Und damit weitere Argumente für weitere Spielminuten sammeln, selbst nach der Rückkehr von Uremovic.

These 3: Mindestens ein Herthaner feiert seine Torpremiere

Mit bisher lediglich acht Toren stellt Hertha gemeinsam mit dem VfL Bochum die bisher torärmste Offensive der Liga (wenn auch mit einem Spiel weniger). Dies lässt sich unter anderem damit begründen, dass sich bisher nur Dodi Lukebakio, Marco Richter, Suat Serdar und Lucas Tousart in die Torschützenliste eintragen konnte.

Tousart und Lukebakio

Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images

Chidera Ejuke und Wilfried Kanga hingegen warten noch auf ihren ersten Treffer. Beide Spieler haben ihren unbestreitbaren Wert für Herthas Offensivspiel, doch am eigenen Erfolg mangelt es noch. Gegen die Gäste aus Baden-Württemberg erleben wir allerdings eine Torpremiere. Ob das die genannten Offensivspieler oder nicht doch einer der beiden Innenverteidiger nach einem Standard sein werden, überlassen wir eurer Wahl.

Titelbild: Martin Rose/Getty Images

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Am Wochenende startet die 60. Saison der Fußball-Bundesliga. Und diese Jubiläumssaison beginnt natürlich für Hertha BSC mit einem absoluten Kracher. Zum Auftakt geht es nach Köpenick zum Derby gegen den 1. FC Union Berlin. In der Vergangenheit gab es legendäre Spiele im Stadion an der Alten Försterei, genauso im Berliner Olympiastadion. Und auch wenn die letzten Derbys für die Alte Dame alles andere als gut endeten, können auch Hertha-Fans auf tolle Erlebnisse gegen den Stadtrivalen zurückschauen. Zeit, den Protagonisten dieser Spiele unsere Liebe zu gestehen.

Sandro Wagner, Maik Franz und Ronny: Wisst ihr noch damals?

Lieber Sandro, lieber Maik, lieber Ronny,

könnt ihr euch an jene Nacht am 3. September 2012 erinnern? Ja es ist schon zehn Jahre her und doch fühlt es sich noch frisch an. Es waren harte Zeiten. Wir waren zuvor in einem nervenaufreibenden Relegationsdrama in Düsseldorf gescheitert und die ersten Wochen der Saison liefen auch nicht so, wie wir es uns wünschten. Jos Luhukay meckerte gar auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. Und nun ging es schon am 4. Spieltag nach Köpenick. Wir hatten Druck. Ihr hattet Druck. Wir Fans hatten Sorgen. Wollten wir doch so schnell es geht, wieder zurück in die Bundesliga. In dem Hexenkessel im Stadion an der Alten Försterei ist es für Gegner niemals einfach. Doch ihr habt gezeigt, wer die Nummer 1 in Berlin ist.

Sandro, mit uns war es nicht immer einfach. Strenggenommen hast du dir nie wirklich was zu Schulden kommen lassen, das müssen wir so festhalten. Doch mit uns hat es nie so richtig geklappt, in den drei Jahren damals konntest du leider nicht oft überzeugen, doch in jener Nacht hast du dich unvergesslich gemacht. Als du den Ball im Strafraum von Peer Kluge zugespielt bekommen hast, hast du all dein Selbstbewusstsein und Mut genommen und gebündelt. Du hast es gemacht wie ein Stürmer, wie ein eiskalter Goalgetter, du hast geschossen, du hast getroffen. Du hast gejubelt, ja du hast auch ein wenig die Heimfans provoziert, aber das war okay, so bist du nun einmal. Wir führten plötzlich in Köpenick und für einen Moment war dieser Teil Berlins mucksmäuschenstill. Nie war unsere Liebe heißer, als in diesem Moment.

Lieber Maik, man, was warst du für ein Kämpfer. Irgendwo da draußen wirst du immer noch sein. Du warst damals oft verletzt und hast uns in vielen Situationen bitter gefehlt, doch an jenem Montag hast du gekämpft. Du warst der heiß geliebte Iron-Maik. Du warst nicht der Ballkünstler, du warst der Mann für das Grobe. Du warst der, den man für ein Derby brauchte. Du warst für Derbys geboren. Du warst das Derby. Bis heute schau ich mir liebend gern die Szenen an, als du Unions Stürmer Silvio an der Eckfahne in den letzten Sekunden des Spiels zusammenschreist. Die gelbe Karte für dich war das Zeichen deines unermüdlichen Einsatzes. Du hast gezeigt, wie viel dir das bedeutet, bis heute zeigst du es. Mit uns hat es gepasst, Maik, wir waren füreinander bestimmt in der damaligen Zeit. Es war wundervoll, es war einzigartig und es war eine goldene Liebe, die ewig brennt.

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Geliebter Ronny, es war dieses eine wundervolle Jahr. Es war nicht nur diese eine besondere Nacht, ja, sie war eine der intensivsten, genau wie ein halbes Jahr später im winterlichen Treiben im Olympiastadion. Du und dein linker Fuß, das war Liebe. Das war kraftvolle Liebe, ja fast schon brachiale Liebe. Und wir alle gemeinsam, du und dein linker Fuß und wir Fans, wir waren eine unzerstörbare Gemeinschaft. Wir brauchten einander und wir schenkten einander. Wir genossen, wir feierten, wir hatten heiße Momente. Dieses eine Jahr. Ronny, du hast 18 Tore geschossen, 14 weitere vorgelegt. Erinnere dich an jene Nacht in Köpenick. Der Ball lag genau da, wo du ihn haben wolltest. Vor dem Strafraum, relativ zentral. Mit Wucht zimmertest du das Spielgerät in die Maschen. Und erinnere dich an den folgenden Februar. Wie wir gemeinsam im weiten Rund des Olympiastadions gefeiert haben. Gemeinsam lagen wir schon mit 0:2 gegen die Köpenicker zurück. Und dann bist du zur Ecke angetreten und hast den Ball auf deinen Kumpel Adrian Ramos geflankt, der das machte, was er immer tat. Ein Tor erzielen. Und Ronny, dann sollte ein weiterer Höhepunkt unserer Liebe folgen. Als du in der 86. Minute einen deiner vielen Freistößen mit Kraft und Gefühl verwandelt hast, ist in uns allen etwas explodiert, was mehr als grenzenlose Liebe war. Du feiertest mit uns zusammen. Du jubeltest, wir jubelten, du stürztest im zusammengefegten Berliner Schnee und verletztest dich an der Hand. Für uns, für dich, für Hertha BSC. An diesem Abend, in jener Nacht waren wir nicht nur dein linker Fuß, wir waren nicht nur deine verletzte Hand, wir waren alle eins. Eins mit dir. Geliebter Ronny.

hertha

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Vedad Ibisevic, Matheus Cunha, Krzystof Piatek: Die Erinnerungen bleiben für immer

Oh Vedad, my Vedad. Bzw. Oh Captain, my captain. Denn das warst du. Du warst der Boss, du warst der Anführer, du warst unser Kapitän. Mit dir an unserer Seite fühlten wir uns über Jahre sicher. Du und dein graumeliertes Haar, du und deine spielerische Ruhe, du und deine Lust auf den Krawall mit Gegenspielern und Schiedsrichtern. Du hast dich für uns eingesetzt, du hast alles investiert, du hast so viel gegeben, wir haben versucht dir diese Liebe zurückzugeben. Bis heute gehören wir zusammen und schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen. Der damalige Abend. Du warst der Herbergsvater dieser Truppe, die sich nach einer brachialen Sturm und Drang Phase auf dem Transfermarkt gefunden hatte. Du bist geblieben, du wolltest den gemeinsamen Aufstieg, du hättest den gemeinsamen Abstieg mitgemacht. Und an jenem Abend, einem vorsommerlichen Mai-Tag, führtest du uns zu einem fulminanten Derby-Sieg. Du zeigtest, mit wem zu rechnen war. Du wolltest uns zeigen, wie sehr die Liebe und Kraft noch in dir brennt. Du zeigtest den jüngeren den Weg. Du warst es, der uns in der zweiten Halbzeit nach einer langen Geduldsprobe in Führung brachte, du hast deinen Mitspielern die Chancen und Tore aufgelegt. Du hast Dodi Lukebakio geschickt, du hast Matheus Cunhas am Vorabend der Geburt seines Kindes einen Dribbeltanz ermöglicht, gemeinsam habt ihr im leeren Olympiastadion gefeiert. Damals waren wir an den Bildschirmen dabei, wir feierten, wir brannten für euch. Irgendwie waren auch wir dabei. Zumindest in deinem Herzen.

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Matheus Cunha, was war das für eine heiße Zeit mit dir. Du hast Erinnerungen an alte Zeiten mit Marcelinho aufgefrischt. Wir waren verliebt. Nicht nur in die Vergangenheit, vielmehr in die Gegenwart und hoffentlich Zukunft. Du hast uns so viel bedeutet. Du hast eine Form von Spaß nach Berlin gebracht, den wir so lange nicht kannten. Du hast die Gegner zum Tanz aufgefordert, du hast gedribbelt, brilliert, ein Tor erzielt, du hast Spaß gehabt und Liebe verbreitet. Am Abend wurdest du Vater, du wolltest direkt nach deiner Auswechslung ins Krankenhaus zu deiner Frau. Wir wären sofort mitgekommen, hätten wir gedurft. Ein wahres Derby-Baby sollte zur Welt kommen. Doch Matheus, so heiß diese Liebe war, so kurz war sie. Wir waren zu klein für dich. Du wolltest in die weite Welt, du wolltest mehr und Neues kennenlernen. Und Matheus, das war okay. Wir haben dich in positiver Erinnerung, vielleicht denkst du auch ab und an noch an uns. Die Geburt deines Kindes wirst du immer damit verbinden, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Krzystof, es ist kompliziert mit uns. Aber auch wir schätzen einander. Wir hatten im Winter 2020 große Lust aufeinander. Gemeinsam wollten wir unseren Spaß haben, wir wollten die große weite Welt erkunden, wir wollten einander wachsen und uns lieben. Doch es war schwierig mit uns. Aber lieber Krzystof, auch wenn es nicht immer einfach zwischen uns war, hatten wir diese eine Nacht. Diesen einen besonderen Moment im Olympiastadion. Als wir gemeinsam zu Derbyhelden werden wollten. Wir konnten wieder einmal nicht anwesend sein, doch wir haben dir genau zugeschaut. Wir haben deinen Kampf, deine Leidenschaft und deine Qualitäten bewundert, wir wollten mehr von dir. An jenem Abend hast du uns gezeigt, was möglich gewesen wäre mit uns. Wir haben das gesehen, wofür wir hofften bestimmt zu sein. Du erzieltest zwei tolle Tore. Du machtest uns zu Derbysiegern, du selbst wurdest zur Legende. Deshalb geliebter Krzystof, egal wie das zwischen uns endet, wir bereuen nichts. Du bist in unseren Herzen.

Jordan Torunarigha – Einer von uns

Jordan Torunarigha – Einer von uns

Mit Jordan Torunarigha verlässt ein weiteres Eigengewächs Hertha nach vielen Jahren als Mitglied der Profimannschaft. Nachdem er, auch wegen enormen Verletzungspechs, sportlich in den letzten Jahren stagnierte und zuletzt nicht mehr erste Wahl war, hinterlässt sein Abschied vor allem emotionale Narben.

Wir schauen auf die gemeinsamen Jahre und prägendsten Momente zurück.

Nachdem er zuvor bereits vier Mal in den Spieltags-Kader berufen wurde, begann Jordan Torunarighas Bundesliga-Karriere in blau-weiß am 19. Spieltag der Saison 2016/2017 gegen den FC Ingolstadt. Noch in der selben Spielzeit ließ er sowohl sein Startelf- als auch sein Tor-Debüt folgen. Am 33. Spieltag nickte er in den ungeliebten pinken Trikots zum 2:0-Endstand gegen Darmstadt 98 ein und festigte so das spätere Erreichen der Europa League.

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Torunarighas Aufstieg zum Publikumsliebling

Schnell stieg er zum Publikumsliebling auf. Als Jugendspieler ohnehin schon beliebt, ließ seine Lúcio-eske Spielweise die Herzen der Fans schnell höher schlagen. Stark am Ball, mit der nötigen Portion fußballerischer Genialität und ungestümem (Über-)Mut, die einen Trainer schnell zur Verzweiflung, die Fans aber in Ekstase treiben kann.

Unvergessen bleibt aus seiner Anfangszeit neben seinen etlichen Dribblings in die gegnerische Hälfte vor allem die No-Look-Vorlage im Spiel gegen Hannover 96 in der Hinrunde der Saison 2018/2019. Nachdem Jordan bereits höchstpersönlich die Führung besorgt hatte, tauchte er (als Innenverteidiger!) im Anschluss an eine eigene Standardsituation plötzlich auf dem linken Flügel auf. Dort versetzte er den Gegenspieler und schlug rotzfrech mit einem demonstrativ abwendenden Blick zur Seite den Ball an den Fünfer, wo Vedad Ibisevic humorlos vollendete.

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Neben dem Sportlichen war es von Anfang an vor allem seine ehrliche, nahbare und immer fröhliche, echte Berliner Art, die bei den Anhänger:innen gut ankam. Er spricht die Sprache der (jungen) Fans und klopft mit einem verschmitztem Lächeln auf den Lippen Sprüche am Fließband. Auf die Frage nach dem eigenen Auto prustet er „gelbe Limousine“ in die Kamera (gemeint war die U-Bahn). “Hast du Geburtstag?“, wurde vermutlich jede:r Gesprächspartner:in früher oder später in heller Aufregung gefragt. Zudem sorgte er als Episodengast für die einzig guckbare Ausgabe der ansonsten stets unangenehmen Show von Riccardo Basile.

Sein Auftreten auf und neben dem Platz war aber auch nicht nur Grund für seine Beliebtheit, sondern auch symptomatisch für einen vermeintlichen Mangel an Professionalität und Ernsthaftigkeit, welcher möglicherweise auch eine Rolle in seiner langen Verletzungshistorie gespielt haben könnte.

Der erwartete Durchbruch

Denn eben jene Verletzungen stoppten Torunarigha in seiner Hertha-Zeit regelmäßig. Er wurde seit 2017 satte 14 Mal von kleineren Blessuren außer Gefecht gesetzt – Hauptgrund dafür, dass er sich seltenst in einen Rhythmus spielen, Konstanz aufbauen und seine prophezeite Entwicklung nehmen konnte. So pendelte er regelmäßig zwischen Bank, Startelf und Reha-Zentrum.

Ausgerechnet als er eine gesamte Hinrunde ausnahmsweise verletzungsfrei bleiben konnte, setzte Neu-Trainer Ante Covic nicht auf ihn. Und so schien er bei Hertha gescheitert. Doch wie so oft in Torunarighas Karriere folgte im ständigen emotionalen Auf und ab dem Rückschlag ein absolutes Highlight. Sein Ausgleichstreffer zum 3:3 in der Nachspielzeit der Verlängerung des Pokalspiels gegen Dresden ist eines der emotionalsten Tore der jüngsten Hertha-Vergangenheit.

In der nächsten Pokalrunde wartete dahingehend eine der traurigsten Episoden seiner Hertha-Zeit. Torunarigha wurde auf Schalke – wie leider schon öfters in seiner Karriere – Ziel rassistischer Attacken. In den aufgewühlten Emotionen griff er sich später eine Getränkekiste und warf diese wieder auf den Boden. Dafür flog er vom Platz und musste neben der tiefen seelischen Verletzung noch die unsensible Behandlung durch den Schiedsrichter Harm Osmers als auch das Pokalaus hinnehmen.

Was folgte, war eine beispiellose Welle der Solidarität aus dem Hertha-Fanlager, aber auch aus anderen Fankreisen. Im nachfolgenden Heimspiel gegen Mainz kam es neben einer gemeinsamen Gesichtsbemalungs-Aktion der Mannschaft so zu einer Fanaktion. Bei dieser wurde die Rückennummer 25 Torunarighas auf Plakate und Schilder gedruckt und aufgemalt, um sie als Zeichen der Unterstützung und des Zusammenstehens zu Spielbeginn hochzuhalten. So geriet die 1:3-Heimniederlage trotz der prekären tabellarischen Situation völlig zur Nebensache.

Sportlich zumindest lief es für Torunarigha in dieser Zeit endlich nach Plan. Aus Verletzungsgründen noch unter Jürgen Klinsmann in die Startelf gerutscht, blieb er auch unter Alexander Nouri meist erste Wahl und war schließlich nach der Corona-bedingten Wettbewerbspause unter Bruno Labbadia Leistungsträger in der Innenverteidigung und schlussendlich zusammen mit Abwehr-Partner Dedryck Boyata Klassenerhalts-Garant im Abstiegskampf.

Und so schien er endlich die ihm angedachte Rolle als Stammspieler in der Innenverteidigung einnehmen zu können.

Verletzungen und kein Vertrauen – Torunarighas Abschied naht

Doch auch diesmal machten ihm seine ständigen kleinen Blessuren einen Strich durch die Rechnung. Ohne Rhythmusaufbau und damit ohne Konstanz kam ihm der Stammplatz und das Vertrauen des Trainers schnell wieder abhanden. Nach dem erneuten Trainerwechsel hin zu Pal Dárdai fand er sich direkt in der Startelf wieder, fiel dann allerdings erneut aus und konnte sich in den restlichen Saisonspielen keinen Stammplatz mehr erkämpfen. Beim mäßigen Abschneiden der deutschen Olympiamannschaft 2021 spielte er zwar alle drei Vorrundenspiele über die volle Distanz, verpasste aber zeitgleich die Vorbereitung auf die Bundesliga-Saison. Dort kam ihm wie so oft eine Verletzung in die Quere und die Stammplatz-Ambitionen waren dahin.

Im Winter kam dann zunächst etwas überraschend, nach der Verpflichtung von Marc-Oliver Kempf aber folgerichtig, die Leihe zum belgischen Top-Klub KAA Gent, die sehr erfolgreich im Pokalsieg ihren krönenden Abschluss fand. Zunächst – denn dorthin zieht es Torunarigha jetzt wieder zurück. Seine Rückkehr zur Hertha war von Beginn an nur eine auf Zeit. Es schien, als vermisse Torunarigha seit geraumer Zeit das Vertrauen und die Wertschätzung der Hertha-Verantwortlichen, was man ihm angesichts seiner gezeigten Leistungen und seines unbestrittenen Potenzials auch nicht verdenken konnte.
Auf der anderen Seite sprachen die ausufernde Verletzungsgeschichte und auch das eben selten abgerufene Potenzial von Hertha-Seite aus sportlich gegen einen Verbleib, zumal sein Vertrag im kommenden Jahr ausgelaufen wäre.
Zuletzt habe man zwar noch einmal über eine Vertragsverlängerung verhandelt, sich aber nicht auf eine gemeinsame Perspektive einigen können.

Wieder ein Herthaner weniger

Mit Jordan Torunarigha geht ein absoluter, wenn nicht DER Publikumsliebling. Und mit ihm ein weiteres Stück Identifikation. Nachdem in den letzten Jahren nicht nur langjährige Herthaner wie Per Skjelbred, Salomon Kalou oder Fabian Lustenberger, sondern auch reihenweise vielversprechende Eigengewächse, allen voran Arne Maier, den Verein verlassen haben, reißt nun der Abgang von Torunarigha ein weiteres riesiges Loch ins Herthaherz der Mannschaft.

Und mit Maxi Mittelstädt steht offenbar ein weiterer Ur-Berliner und langjähriger Hertha-Profi vor dem Abschied. Die nachrückenden Jungprofis um Linus Gechter und Marton Dardai haben sicherlich ähnliches Identifikationspotenzial. Sie müssen sich aber insbesondere zunächst noch sportlich endgültig beweisen und standen bisher (zurecht!) auch als Menschen noch nicht so sehr im Rampenlicht. Ein Problem der letzten Jahre, die Entfremdung von den Fans, könnte so noch weiter verstärkt werden.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Umso wichtiger, dass nun unverhofft auf der Vereinsebene eine Welle an Nahbarkeit und Identifikation durch den Verein schwappt. Die Wahl des Fans und Unternehmers Kay Bernstein zum Präsidenten hat um den Verein eine Aufbruchsstimmung entfacht, die in dieser Form jahrelang nicht mehr zu spüren war.

Doch der Fokus liegt nunmal weitestgehend auf der Profimannschaft. Und da war Jordan ein nahbarer Spieler, der neben dem Platz um keinen Gag verlegen war und auf dem Platz sein Herz für Hertha gelassen hat. Ein junger, frecher Berliner. Einer von uns.

Titelbild: (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Hertha BSC und Felix Magath – Eine Zweckgemeinschaft

Hertha BSC und Felix Magath – Eine Zweckgemeinschaft

Die Saison ist vorbei, die Mannschaft von Hertha BSC hat mit einem ungeahnten Kraftakt gegen den HSV über die Relegation die Klasse gehalten. Bereits unmittelbar nach Abpfiff des Rückspiels kündigte Trainer Felix Magath an, dass er bei Hertha nicht weiter machen wolle, das Projekt sei mit Ende des Spiels abgeschlossen. Auch der Nachfolger steht schon fest, Sandro Schwarz wird die Blau-Weißen in der nächsten Saison an der Seitenlinie betreuen. Grund genug, einen Rückblick auf Magath und dessen Zeit in der Hauptstadt zu werfen.

Als ich vor einigen Wochen beschlossen hatte, einen Rückblick über Magath schreiben zu wollen, ahnte ich noch nicht, welchen Rattenschwanz das nach sich ziehen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hertha gerade mit 2:0 gegen den VfB Stuttgart gewonnen und ich ging ziemlich sicher davon aus, dass wir mit Ende des 34. Spieltags über dem Strich stehen würden. Bekanntermaßen kam alles anders, Hertha musste zwei weitere Spiele im Kampf um den Platz in der Bundesliga absolvieren. Ausgerechnet gegen DEN Herzensklub von Magath, dem HSV. Ein Szenario, mit dem dieser seit Amtsantritt gerechnet hatte, wie er nach dem 1:1 bei Arminia Bielefeld zugab. Es würde ihn nicht überraschen, wenn es zu dieser Konstellation käme, sagte er. Und er sollte Recht behalten, wie so oft.

Eine überraschende Verkündung

Doch fangen wir vorne an. Also gut, ehrlich gesagt müsste man sehr weit vorne anfangen um zu verstehen, wieso Sportgeschäftsführer Fredi Bobic überhaupt in die Situation kam, Felix Magath an die Seitenlinie der Alten Dame holen zu müssen. Um es kurz zu machen: die bereits zweite Trainerlösung der Saison, Tayfun Korkut, scheiterte krachend, ein Verbleib des deutsch-türkischen Übungsleiters war nach der bis dato sieglosen Rückrunde acht Spieltage vor Schluss untragbar. Etliche Namen kursierten und die Fans stellten sich die berechtigte Frage, welcher Trainer sich die Gemengelage von sportlichem Misserfolg, schiefem Kader und ständigen externen Störgeräuschen freiwillig antun würde.

Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Und so zauberte Bobic einen Namen aus dem Hut, mit dem niemand ernsthaft gerechnet hätte: Felix Magath. Der Aschaffenburger war zuletzt vor fast zehn Jahren in der Bundesliga tätig. Anschließend folgten eher abenteuerliche Jobs wie die des Global Sports Directors bei den Würzburgers Kickers und Admira Wacker sowie zweifelhafte Auftritte als Cheftrainer in China und bei Fulham. Wie sollte dieser aus der Zeit gefallene Trainer im modernen Fußball bestehen oder gar Hertha BSC vor dem Abstieg retten? Deutschlandweit prasselte Häme, Spott und große Skepsis auf Hertha ein. Und auch die Fans des Charlottenburger Traditionsvereins zeigten sich zu großen Teilen mittelschwer entsetzt, nach Korkut schien dies nun die Krönung der schlechten Leistung von Bobic in dieser Saison zu sein.

Gutes Händchen bei der Staff-Auswahl

Doch schon auf der Antrittspressekonferenz zeigte Magath, dass er keineswegs der senile Rentner ist, den man aus dem Ruhestand zurück ins Rampenlicht der Bundesliga gezerrt hat. Er wirkte sortiert, unaufgeregt und gut vorbereitet. „Ich kann nicht anders. Ich bin Fußballer, ich will Fußball, ich liebe Fußball“, waren eine seiner ersten Worte. Man merkte schnell, dass dieser Mann die Möglichkeit genießt, sich noch einmal beweisen zu können. Auch wenn er das nach seiner spektakulären Meistersaison 2009 und den zahlreichen Rettungsaktionen bei anderen Bundesligisten eigentlich gar nicht mehr nötig hatte. Man spürte, Magath nahm diesen Job aus Überzeugung an und nicht, weil er musste. Die fürstliche Entlohnung von angeblich zwei Millionen Euro bei geglücktem Klassenerhalt spielte sicher auch eine Rolle, war aber wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für die Zusage des neuen Übungsleiters.

Der 68-jährige Cheftrainer kam jedoch nicht alleine, sondern brachte Werner Leuthard als Athletiktrainer und Mark Fotheringham als seinen Co mit. Fotheringham und Magath kannten sich aus gemeinsamen Zeiten bei FC Fulham, wo der Schotte damals noch als Spieler tätig war. Und es kam wie es kommen musste: in Berlin angekommen infizierte sich der neue Coach direkt mit Corona, durfte das erste Spiel unter seiner Amtszeit lediglich aus dem Hotel verfolgen. Die Verantwortung im Spiel gegen Hoffenheim kam vor Ort damit dem noch sehr unerfahrenen Mark Fotheringham zu.

Der Mann im Hintergrund

Was anschließend folgte, hätte märchenhafter nicht ablaufen können. Hertha gewann überraschend gegen die TSG mit 3:0, alle drei Tore folgten aus Freistößen von Marvin Plattenhardt. Jenem Plattenhardt, der die letzten Monate und Jahre über immer unsichtbarer wurde. Die vergangenen Glanzzeiten, welche ihm einen Platz bei der WM 2018 beschert hatten, waren längst vergessen. An der Seitenlinie pushte das Duo aus Fotheringham und Offensivtrainer Ibisevic die Mannschaft unermüdlich nach vorne, an Magath dachte während des Spiels niemand. Im Anschluss wurde sein Einfluss jedoch klar, er hatte vor dem Spiel und während der Halbzeit per Video zur Mannschaft gesprochen, war zudem das gesamte Spiel über Funk mit dem Trainerstab von Hertha verbunden.

Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images

Felix Magath hatte damit geschafft, was seinem Vorgänger Korkut in neun Partien davor nicht gelungen war, nämlich einen Sieg in der Rückrunde zu holen. In Berlin war damit zumindest der Glaube an einen möglichen Klassenerhalt wieder da, auch wenn Hertha vor dem Spiel auf dem 17. Tabellenplatz stand. Magath hatte seine erste Duftmarke gesetzt.

Derbydebakel

Ein paar Tage später ging es für die Profis von Hertha in ein Kurztrainingslager. Der Spitzname „Quälix“ kommt schließlich nicht von ungefähr. In Harsewinkel sollten die konditionellen Grundlagen für den Abstiegskampf im Rest der Saison gelegt werden. Das anschließende Spiel in Leverkusen ging knapp, aber verdient verloren. Hertha zeigte sich zwar engagiert, allerdings fehlte schlussendlich die Qualität, um sich gegen einen Champions-League-Aspiranten ernsthaft wehren zu können.

Spätestens nach dem verlorenen Derby gegen Union war von der positiven Stimmung seit Magaths Amtsantritt jeglicher Hauch verflogen. Auch der dritte Trainer der Saison schaffte es nicht, die Mannschaft in Derbystimmung zu versetzen. Die Kulisse im erstmals seit über zwei Jahren wieder ausverkauften Olympiastadion hätte besser nicht sein können, doch die Herthaner enttäuschten auf ganzer Linie. Mit 1:4 ging man regelrecht unter, bei Magath offenbarte sich erstmals eine Schwäche, die bis zum Hinspiel der Relegation immer wieder vortreten sollte: Fragwürdige Personalentscheidungen. Trotz eines fitten Maxi Mittelstädts brachte Felix Magath den 18-jährigen Julian Eitschberger von Anfang an. Der Youngster feiert somit ausgerechnet in einem der mit Abstand wichtigsten Spiele sein Profidebüt. Und wenn das alleine schon nicht reichen würde, geschah dies noch dazu auf einer Position, auf der Eitschberger als nomineller Rechtsverteidiger normalerweise gar nicht spielt.

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Magath hatte sich eindeutig verzockt, war er vielleicht doch nicht der richtige Mann in dieser Situation? Spätestens jetzt war klar, dass der Sieg gegen Hoffenheim nur bedingt mit dem neuen Cheftrainer zu tun hatte. Zu sehr zeigten sich altbekannte Probleme des Teams wie beispielsweise fehlende offensive Kreativität und defensive Instabilität. Ein Wunderheiler war Felix M. definitiv nicht, doch wirklich verübeln konnte man es ihm persönlich auch nicht. Kein Trainer der Welt ist in der Lage, einen komplett schief zusammengestellten Kader mitten in der Saison zum Funktionieren zu bringen, die Probleme lagen dafür viel zu tief. In der allgemeinen Katerstimmung inklusive der kritikwürdigen Trikotaktion einiger Fans verblieb lediglich der Funken Hoffnung, dass jede weitere Woche mehr Zeit bringt, damit Magath wenigstens kleine Stellschrauben verändern kann.

Erkennbare Fortschritte gegen die direkten Konkurrenten

Und er veränderte sie. In den richtungsweisenden Partien gegen die direkten Konkurrenten FC Augsburg, VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld präsentierte sich das Team von Hertha BSC wie ausgewechselt. Kampf, Leidenschaft und Wille waren auf einmal erkennbar. Auch wenn die fußballerische Idee weiterhin sehr simpel war. Man verteidigte kompakt, legte den Fokus stark auf die Defensive. Durch gezielte Konter und Flanken auf Davie Selke sollte Nadelstiche nach vorne gesetzt werden. Auch Standardsituationen stellten ein Mittel zum Erzielen von Toren dar. Dabei half natürlich, dass die Qualität der Gegner sich näher an Hertha orientierte, als es in den Spielen gegen Leverkusen und Union der Fall war. Auch die Spielverläufe lagen Hertha teilweise zu Gunsten. In Augsburg half ein einziger genialer Moment von Richter und Serdar direkt nach der Pause, gegen Stuttgart ging Hertha bereits in der vierten Minute durch Selke in Führung. Das sehr späte 2:0 ändert nur noch die Höhe des Siegs. Beim Auswärtsspiel auf der Alm in Bielefeld schoss Hertha das Führungstor nach einem Standard durch den vorhin bereits erwähnten Marvin Plattenhardt.

Doch was hatte Magath damit zu tun? Welche Veränderungen halfen der stark verunsicherten Mannschaft? Auffällig sind vor allem drei Dinge: Die Konstanz der gewählten Startaufstellung, das Hauptaugenmerk auf defensive Stabilität und Kevin-Prince Boateng.

Die beiden ersten Punkte bedingen sich dabei ein Stück gegenseitig. Wenn die Spieler wissen, wer neben ihnen steht, fällt die Abstimmung und damit auch das gemeinsame Verteidigen leichter. Die fehlende Konstanz, vor allem in der Innenverteidigung, führte oft zu großen Unsicherheiten und individuellen Fehlern. Magath setzte durchgängig auf die beiden erfahrenen Spieler Marc-Oliver Kempf und Kapitän Dedryck Boyata. Beide zeigten sich von Spiel zu Spiel sicherer. Hinzu kam die Doppelsechs bestehend aus Santiago Ascacibar und Lucas Tousart. Hertha hielt das Zentrum in der Folge oftmals und stand somit deutlich stabiler als im gesamten bisherigen Saisonverlauf. Man hatte endlich den Eindruck, dass die Spieler wüssten, welche Rolle und Aufgaben sie auf dem Feld einzunehmen hatten. Ein Verdienst, der maßgeblich auf Magath zurückgehen dürfte.

Wie der Phoenix aus der Asche

Mit der Defensive alleine gewinnt man jedoch keine Partien. Und hier kommt Prince Boateng ins Spiel. Jener Prince, der in den 29 Spieltagen vor dem Augsburg-Spiel insgesamt lediglich 422 Minuten auf dem Feld stand. Im Saisonendspurt folgten hingegen 361 weitere Minuten. Boateng brachte viele Eigenschaften mit, die Hertha während der gesamten Saison fehlten: Ballsicherheit, Spielkontrolle, offensive Kreativität und Leidenschaft. Von Magath als einziger wirklicher Führungsspieler im Kader identifiziert, zeigte dieser, warum man ihn vor der Saison geholt hat. Von außen betrachtet muss sich die Frage aufdrängen, ob Dardai und Korkut zu zögerlich waren, um Boateng reinzuwerfen oder ob dieser tatsächlich erst zum Saisonende wirklich fit wurde. Es ist schwer diese Frage ohne Einblicke ins Training und die exakte Belastungssteuerung zu beantworten – auffällig ist dennoch, dass von allen Trainern in dieser Saison erst Felix Magath den Mut besaß, voll auf Boateng zu setzen. Und der Prince zahlte dieses Vertrauen zurück.

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Psychospielchen und vergebene Chancen

Nach dem so späten wie unnötigen Ausgleichstreffer in Bielefeld verblieben Hertha noch zwei Matchbälle um den Klassenerhalt aus eigener Kraft festzumachen. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gab es vor allem zwei erwähnenswerte Äußerungen von Herthas Cheftrainer. Zum einen offenbarte er, dass er bereits mit Amtsantritt mit einer Relegation gegen den HSV rechnete. Ein Szenario, welches sich zwei Wochen später bewahrheiten sollte. Zum anderen stichelte Magath in Richtung seines ehemaligen Vereins Bayern München. Der feststehende Meister zeigte sich jedoch bis auf verbale Erwiderungen nicht wirklich beeindruckt, die Leistung gegen Stuttgart war weit von einer meisterwürdigen Form entfernt.

Da Hertha auf der anderen Seite bereits vor dem Spiel der Stuttgarter in der Allianz Arena selbst gegen Mainz verlor und auch das entscheidende Duell gegen den BVB am letzten Spieltag nicht für sich entscheiden konnte, musste der Weg in die Relegation gegangen werden. Dass der VfB Stuttgart sich selbst erst in der Nachspielzeit rettete, hinterlässt vor allem für Hertha-Fans einen faden Beigeschmack. Allerdings muss festgehalten werden, dass Hertha es über mehrere Spieltage selbst in der Hand hatte die Klasse zu halten. In den letzten drei Begegnungen am Stück kassierte man jeweils das entscheidende Gegentor in den letzten zehn Minuten. Ein Konzentrationsabfall, der nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit auftauchte, man erinnere sich an die Spiele gegen Wolfsburg, Leverkusen und Augsburg in der Hinrunde. Auch Magath zeigte sich in dieser Hinsicht recht machtlos. Er schaffte es nicht, der Mannschaft klar zu machen, dass ein Spiel 90 Minuten plus Nachspielzeit läuft. Ein Kritikpunkt, den sich der Coach gefallen lassen muss, dafür trat das Problem im Saisonschluss zu häufig auf.

Arbeitsverweigerung gegen den HSV

Und so ging es wie von Magath prophezeit gegen den Hamburger SV in die Relegation. Die Norddeutschen hatten ihre Hoffnung auf den Aufstieg eigentlich schon begraben, ehe sie mit fünf Siegen aus den letzten fünf Spielen überraschend noch auf den dritten Platz schafften. Die Mannschaft von Tim Walter stellt in gewisser Hinsicht das Gegenstück zu Hertha dar. Während die Berliner durch ihre defensive Spielweise auffielen, zeigte sich Hamburg während der Saison äußerst spielfreudig, kombinationsstark und offensiv ausgerichtet. Mit 64 Toren waren sie die drittgefährlichste Mannschaft im deutschen Unterhaus, gleichzeitig waren sie mit gerade einmal 35 Gegentoren das defensivstärkste Team.

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Im Hinspiel präsentierte sich Hertha vor ausverkauftem Olympiastadion äußerst ungefährlich und ambitionslos. Hamburg hatte mehr Aktionen, ohne dabei selbst jedoch wirklich zwingend zu werden. Durch eine missglückte Flanke erzielte Ludovit Reis eher zufällig das Siegtor für die Hanseaten. Magath schien es versäumt zu haben, der Mannschaft von Hertha klar zu machen, WIE wichtig die Relegationsspiele waren. Mit Wollschläger brachte Magath erneut wie schon gegen Union einen Nachwuchsspieler in einer Situation von Beginn an, die für ein solches Startelfdebüt gänzlich ungeeignet ist. Nachdem Wollschläger bereits in Bielefeld den Vorzug vor Belfodil erhalten hatte und maßgeblich am verpassten 2:0 beteiligt war, sollte er im ersten von zwei Endspielen um den Klassenerhalt die Sturmhoffnung darstellen. Man kann Wollschläger dafür keinen Vorwurf machen, genauso wenig wie für seine Einwechslung auf der Alm. Doch Magath steht für diese Entscheidungen zu 100 Prozent in der Verantwortung. Es entstand erneut der Eindruck, dass sich der Übungsleiter verschätzt hatte. In einer Situation in der ein solcher Fehler nicht zu tolerieren ist, noch dazu von jemanden, der die Erfahrung mehrerer Jahrzehnte als Spieler und Trainer vorzuweisen hat.

Am Ende reicht es

Doch im Rückspiel zeigte Magath dann, dass genau diese Erfahrung schlussendlich doch einer der entscheidende Faktoren zum Klassenerhalt war. Direkt nach Schlusspfiff gab er in einem Interview recht unumwunden zu, dass der von ihm so geschätzte Boateng zum Großteil für die Mannschaftsaufstellung verantwortlich war. Es erfordert eine gewisse Art der Größe seinen Spielern dermaßen zu vertrauen und eine der Kernaufgaben des Trainers, die Auswahl der Startelf, aus der Hand zu geben. Außerdem schien er vor dem Spiel die richtigen Worte gefunden zu haben, es war in vielen Belangen der vielleicht beste Auftritt der Hertha in dieser Saison. Plattenhardts Freistoß für die Ewigkeit steht symbolisch für das, was Magath in seinen zehn Wochen bei Hertha geschafft hat. Er hat den Spielern den Glauben an sich selbst zurück gegeben und diese zahlten es ihm mit den besten Leistungen der Spielzeit zurück. Boyata, Boateng, Selke, Tousart und ebenjener Plattenhardt stehen etwas symbolisch dafür, dass in diesem Team durchaus fähige Spieler vorhanden sind, es oftmals aber zusammen einfach nicht funktioniert hat. Diese über die letzten Monate im Großen und Ganzen gegangene Entwicklung, sowohl auf individueller als auch gesamtmannschaftlicher Ebene ist Magath hoch anzurechnen. Es lief nicht alles rund, auch die Trainerlegende konnte nicht alle Probleme des Kaders beheben. Doch dies ist auch nicht der Maßstab, an dem er zu messen ist. In Anbetracht der sportlichen Situation bei Magaths Amtsantritt und dem geschafften Klassenerhalt Ende Mai ist festzuhalten, dass Magath genug richtig gemacht hat, damit die Blau-Weißen auch im nächsten in der Bundesliga spielen dürfen.

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Keine Liebesgeschichte

Mit Schlusspfiff im Volksparkstadion war das Projekt Magaths beendet, dies bestätigte er vor den Mikrophonen selbst. Das sportliche Ende war jedoch noch nicht der endgültige Abschluss des gemeinsamen Kapitels. Wenige Tage später erschien beim Kicker ein Interview, in dem der Übungsleiter vergleichsweise offen über seine Zeit bei Hertha und die vielen tieferliegenden Probleme bei Hertha sprach. Er bemängelte die fehlende Hilfe im Verein, den schief zusammen gestellten Kader, welcher etliche Problemstellen aufweise und dass bei Hertha jeder zum größten Teil an sich selbst denken würde. Einen Eindruck, den vermutlich auch viele Fans von außen vorher schon hatten. Magath hat Hertha einmal mehr aufgezeigt, dass der geschaffte Verbleib in Deutschlands höchster Spielklasse lediglich den Anfang eines Prozesses darstellt. Ein Prozess den Hertha BSC dringend bedarf, um endlich langfristig besser aufgestellt zu sein. Das betrifft sowohl die Führungsebene als auch im Kader.

Magath scheint auch nach diesen zusammenschweißenden Wochen eine Distanz zum Charlottenburger Verein bewahrt zu haben. Am Ende war die Einstellung Magaths die richtige Entscheidung von Fredi Bobic, doch es scheint nicht als ob Magath langfristig viel positives mit diesem Intermezzo verbinden wird. Und so war es am Ende vor allem eins: eine Zweckgemeinschaft. Magath konnte es noch einmal allen beweisen, Hertha konnte in der Bundesliga bleiben. Eine Zusammenarbeit von der beide Seiten profitierten, doch nach nur drei Monaten gehen beide auch wieder getrennte Wege. Was sehr wahrscheinlich die richtige Entscheidung für jeden Beteiligten ist. Magath war bei Weitem nicht perfekt, aber er hat seine Aufgabe erfüllt und daher muss man vor allem eins sagen: DANKE Felix Magath.

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Herthas Abstieg 2012: Eine Achterbahn der Gefühle

Herthas Abstieg 2012: Eine Achterbahn der Gefühle

Raffaels Solo, Pyrotechnik, geklaute Elfmeterpunkte und eine schier endlose Ungewissheit in welcher Liga Hertha BSC denn im August starten würde. Die Monate Mai und Juni im Jahre 2012 glichen im Hertha-Kosmos eines jeden Fans einer vollkommen verrückten Achterbahn der Gefühle. Vieles gleicht heutzutage bei Hertha BSC der Situation von 2012. Doch auch interessante Entwicklungen in der gesamten Debatte um Fans, Pyrotechnik und Platzstürme sind im Vergleich zu damals festzustellen.

Markus Babbel, Michael Skibbe und Otto Rehhagel – Ähnlichkeiten zu heute sind vorhanden

Im Sommer 2011 feierte die Hertha den Wiederaufstieg in die Bundesliga. Der Abstieg ein Jahr zuvor galt als unglücklicher Unfall, der mit dem direkten Wiederaufstieg wieder gutgemacht wurde. Und auch die Hinrunde zeigte, die Berliner sind wettbewerbsfähig. Sie spielten sicherlich nicht die Sterne vom Himmel, doch mit einem stabilen Abwehrverbund sammelte man genügend Punkte, um sich im Mittelfeld der Tabelle festzusetzen. Doch Aufstiegstrainer Markus Babbel musste um Weihnachten rum die Koffer packen. Fehden mit der Vereinsführung ließen eine weitere Zusammenarbeit nicht zu. Ein sportlich nicht zu rechtfertigender Schritt, der die Berliner vor viele Fragezeichen stellte.

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Michael Skibbe, seines Zeichens damals ein Trainer, dessen Erfolge schon einige Jahre her waren, sollte die Mannschaft übernehmen und langfristig zum Erfolg führen. Doch den über Zweieinhalb Jahre laufenden Vertrag konnte der nicht ansatzweise erfüllen. Nach vier Bundesliga-Niederlagen und einer weiteren im Pokal verabschiedete sich der ehemalige Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft nach nur 50 Tagen im Amt. Die Hertha, mittlerweile tief im Abstiegskampf angekommen, brauchte eine große Lösung. Einen Namen, eine Person, die das Mediengewitter auf sich zog und dafür sorgen konnte, dass die weiteren Störfeuer im Verein keine Beachtung fanden. Mit der Hilfe von René Tretschok und Ante Covic wollte die Trainer-Legende Otto Rehhagel das Ruder rumreißen und die Mannschaft in der Bundesliga halten. Bei der Trainer-Wahl und den jeweiligen Begleitumständen lässt sich eine gewisse Gemeinsamkeit zur Situation 10 Jahre später nicht leugnen.

Die Wochen unter Rehhagel waren ein Schlagzeilen-Feuerwerk für die Berliner Medienlandschaft. Der Altmeister lieferte Sprüche für die Gazetten, erzählte von privaten Geschichten und versuchte gute Laune zu verbreiten. Das Spiel der Hertha sollte er allerdings nicht nennenswert verbessern. Doch trotz allem gelang es der Mannschaft um Raffael, Patrick Ebert und Co das Rennen um den Klassenerhalt offen zu halten. Am 34. Spieltag kam es zum Fernduell gegen den auf Platz 16 stehenden 1. FC Köln um den Relegationsplatz. Während die Mannschaft um Lukas Podolski gegen den FC Bayern München eine deutliche 1:4-Klatsche einstecken musste, hatte Hertha BSC die TSG 1899 Hoffenheim zu Gast. Die über 50.000 Fans bekamen im Berliner Olympiastadion ein Spiel zu sehen, welches von einer konzentrierten Hertha-Mannschaft dominiert wurde. Die TSG, die sich im Tabellen-Mittelfeld festgesetzt hatte und mit der Saison durch war, spielte trotzdem fleißig mit. Änis Ben-Hatira sorgte mit einem Doppelpack nach 78 Minuten für eine komfortable 2:0-Führung. Doch Hertha bewies, weshalb man um den Klassenerhalt bangte und kassierte in der 85. Minute unnötiger Weise den Gegentreffer zum 1:2 durch Marvin Compper. Die letzten Minuten des Spiels zogen sich hin, in den letzten Sekunden des Spiels sollten die Sinsheimer noch eine Ecke bekommen. Würde die zu einem Torerfolg führen, wäre die Hertha trotz der Kölner Niederlage gegen die Bayern abgestiegen. Doch die zu hoch getretene Ecke leitete Herthas Konter auf das leere Hoffenheimer Tor ein. Raffaels Lauf über 50 Meter, sein Abschluss ins leere Tor, die feiernde Mannschaft und die eskalierende Stimmung im Olympiastadion sind bis heute unvergessen und hatten das Potential eine Energie freizusetzen, die die Mannschaft durch die folgende Relegation hätte tragen können, schließlich war die Mannschaft deutlich besser aufgestellt als der kommende Gegner aus Düsseldorf.

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Hertha verliert in klassischer Hertha-Manier das Hinspiel

Über 68.000 Fans fanden sich am jenen Donnerstag-Abend im Olympiastadion zusammen. Die Stimmung kochte, wieder einmal war alles dafür angerichtet, das wohl wichtigste Spiel der jüngeren Vereinsgeschichte zu einem positiven Ergebnis zu führen. Und zunächst sah es auch danach aus. Die Hertha dominierte den Beginn der Partie und feierte nach 19 Minuten dank des damaligen Kopfballungeheuers Roman Hubnik die Führung. Nach einer Ecke von Ben-Hatira nickte der tschechische Innenverteidiger ein und ebnete so den Weg.

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Doch als wäre so etwas bis heute in der Hertha-DNA, schafften es die Berliner schon damals nicht, etwas Positives aus dem frühen Führungstreffer herauszuholen. Zwar erarbeitete sich das Team weiterhin zahlreiche Chancen, doch ein zweites Tor sollte nicht gelingen. Und für die vielen ausgelassenen Möglichkeiten wurde die Hertha – natürlich, so will es das Fußballgesetz – eiskalt bestraft. In der 64. Minute musste auch Torhüter Thomas Kraft hinter sich greifen und wenige Minuten später, in der 71. Spielminute, verlängerte Adrian Ramos eine Freistoßflanke der Düsseldorfer unglücklich ins eigene Tor. Die geschockten Berliner konnten die Niederlage nicht mehr abwenden, Ronny scheiterte mit einem wuchtigen Distanzschuss noch am Pfosten. Die kalte Dusche war perfekt, es war die psychologisch denkbar schlechteste Ausgangsposition, in die sich die Spieler gebracht hatten. Die gute Stimmung aus dem Hoffenheim-Spiel war vollkommen verloren gegangen.

Vier Tore, ein Platzverweis und Pyrotechnik: Ein denkwürdiges Rückspiel

In den folgenden Tagen gelang es der Hertha zumindest etwas zur Ruhe zu kommen. Am Wochenende fand in Berlin das DFB-Pokalfinale statt. Borussia Dortmund, das zuvor zum zweiten Mal in Folge den Meistertitel feierte, besiegte in einem denkwürdigen Spiel den FC Bayern München mit 5:2 und durfte sich damit auch Double-Sieger nennen. Die Medien hatten dieser Tage andere Themen als Hertha. Es ging um eine mögliche Wachablösung im deutschen Fußball, um die große Krise der Bayern und darum, was Jürgen Klopp und Mario Götze für riesige Typen waren.

Konzentriert und fokussiert ging es nach Düsseldorf in die Esprit-Arena. Und dort herrschte eine gewaltige Stimmung. Eine laute, geladene und heiße Stimmung. Die Düsseldorfer Fans, unter ihnen Edel-Fan Campino, wollten den Aufstieg ihrer Fortuna nach 15 Jahren Bundesliga-Abstinenz sehen. Mit 51.000 verkauften Karten war die Arena restlos ausverkauft. Und die Düsseldorfer Spieler schafften das, was den Hertha-Spielern im Hinspiel nicht gelungen war. Die Stimmung auf das eigene Spiel zu übertragen. Und das zeigten sie eindrucksvoll von Beginn an. Das Spiel war keine halbe Minute alt, als Maximilian Beister mit einem wuchtigen Distanzschuss das Führungstor für die Düsseldorfer erzielte.

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Die Hertha zeigte sich sichtlich beeindruckt, doch es gelang der Mannschaft einen offenen Schlagabtausch zu gestalten. Das Spiel wurde körperbetonter und emotionaler. Nach 22 Minuten köpfte Änis Ben-Hatira nach einem Freistoß Ronnys zum Ausgleich ein. Die Hiobsbotschaft sollte in der 54. Minute folgen, als der Torschütze wegen eines gelbwürdigen Fouls mit gelb-rot vom Platz flog.

Die Fans feiern zu früh: Das Spiel steht vor dem Abbruch

Es war die Eröffnung der großen und denkwürdigen Szenen, die sich in die Köpfe aller Zuschauer*Innen bis heute gebrannt haben. Denn nur fünf Minuten später konnten die Düsseldorfer ihre Überzahl ausnutzen und erneut in Führung gehen. Es folgte eine riesige Explosion der Gefühle in alle Richtungen. Auf beiden Seiten wurde fleißig Pyrotechnik gezündet, Feuerwerkskörper krachten laut unter dem Dach der Düsseldorfer Arena, viele Bengalos landeten auf dem Spielfeld. Das Spiel drohte abgebrochen zu werden, man entschied sich für eine Fortsetzung.

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Und die Spieler beider Mannschaften kämpften. 85. Minute, Raffael und Adrian Ramos kombinieren sich durch den Düsseldorfer Strafraum. Der Brasilianer schießt flach auf das Tor und schafft es die Düsseldorfer zumindest für einen Moment zum Schweigen zu bringen. Das Spiel war ausgeglichen und auf des Messers Schneide. Es war vollkommen offen, in welche Richtung es gehen sollte. Die Fans machten weiterhin Stimmung, eine ganze Hundertschaft der Polizei stellte sich bereits vor dem Block der Herthaner auf.

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Dass das keine wirklich deeskalierende Maßnahme war, hätte auch damals schon allen bewusst sein müssen und bekanntlich sollten wenige Minuten später nicht die Hertha-Fans der Grund für die nächste Unterbrechung sein. Ab Anbruch der sieben-minütigen Nachspielzeit war an eine geregelte Durchführung des Spiels kaum noch zu denken. Düsseldorfer Fans standen dicht gedrängt bereits am Spielfeldrand, an den Spielerbänken, in den Coachingzonen und sprangen praktisch im Sekundentakt von der Tribüne in den Innenraum. Man will es ihnen zehn Jahre später mit Blick auf die damaligen Szenen nicht verdenken, schließlich ging es um das größte Ereignis der jüngeren Düsseldorfer Vereinsgeschichte, allerdings hatte die Situation einen bedeutenden Einfluss auf den Spielverlauf. Fünf Minuten der Nachspielzeit waren abgelaufen, als sämtlichen Beteiligten die Situation vollkommen entglitt. Die zahlreichen Fans, die siegestrunken am Spielfeldrand standen, missverstanden einen Pfiff von Schiedsrichter Wolfgang Stark als Abpfiff. Die Menge war unaufhaltsam, stürmte den Platz und wollte den vermeintlich soeben gesicherten Aufstieg ihrer Mannschaft feiern.

Die Szenen überschlugen sich. Spieler und Schiedsrichter, Journalisten und Fotografen und Funktionäre suchten so schnell es ging den Innenraum des Stadions, Fans feierten, zündeten Bengalos auf dem Feld, während der Stadionsprecher die Fans per Mikrofon zurück auf die Tribüne bat. Ordner und Polizisten versuchten die Leute unter Kontrolle zu bringen und die Eingänge der Stadioninnenräume abzusichern, um so schnell es geht wieder für Ruhe zu sorgen.

Nach knapp 20 Minuten Unterbrechung fanden sich die Mannschaften wieder auf dem Feld ein, dessen Rasen mittlerweile stark ramponiert war. Einige der Fans, die sich zumindest friedlich wieder hinter die Werbebanden begeben haben, hatten sich bereits Andenken mitgenommen. Ein Elfmeterpunkt war bereits verschwunden. Die restliche Spielzeit sollte keine Wende mehr bringen, nach nicht einmal zwei Minuten beendete Schiedsrichter Stark die Partie beim Stand von 2:2. Fortuna Düsseldorf war aufgestiegen, die Emotionen der Fans fanden erneut kein Halten mehr. Der nächste und nun auch geduldete Platzsturm folgte. Der Aufstieg wurde gebührend gefeiert, auf der Tribüne sang Campino seinen Hit „An Tagen wie diesen“, der aus allen Stadionboxen dröhnte, begeistert mit.

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Die Nachwirkungen verstummten lange nicht

Bereits in den nächsten Minuten und Stunden des Abends und vor allem in den folgenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Hertha BSC wollte sich nicht einfach geschlagen geben, vor sämtliche juristischen Instanzen ziehen und die Ungerechtigkeit und Störung der Fans nicht einfach hinnehmen. Gegen Herthas Spieler Christian Lell und Levan Kobiashvili wurde ermittelt, in den Katakomben soll es während der Unruhe zu einer Auseinandersetzung mit dem Schiedsrichtergespann gekommen sein. Kobiashvili soll Wolfang Stark gar geschlagen haben. Die Folge war eine Sperre über ein halbes Jahr. Bis heute handelt es sich um die längste Strafe, die im deutschen Profifußball verhängt wurde.

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Trainer Otto Rehhagel sprach in den Tagen danach von Todesängsten, die seine Spieler hatten, als man vor den Fans flüchtete. Aussagen, die in Anbetracht der relativ friedlichen Partystimmung unter den Fans, für Schmunzeln sorgten. Hertha BSC kämpfte um Gehör und Recht. Es dauerte über einen Monat, bis Herthas Verantwortliche Mitte Juni den Abstieg endgültig akzeptierten. Hertha hatte da bereits mit Jos Luhukay einen neuen Trainer, Fortuna Düsseldorf unterbrach gar die Sommerpause und fing wieder mit dem Training an, weil eine Wiederholung des Rückspiels ernsthaft zur Debatte stand. Diese schier endlose Posse vor sämtlichen Gerichten ließ den Abstieg als ein surreales Ereignis erscheinen. Schließlich war das entscheidende Spiel schon einige Wochen her und als Fan konnte man sich bereits damit abfinden, welche Entscheidung wohl gefällt werden würde.

In den letzten zehn Jahren haben viele Debatten gefruchtet

Wer sich noch an die Szenen von damals erinnern kann oder sich eben jene bei YouTube zum Teil in voller Länge anschaut, wird feststellen, dass sich in den letzten zehn Jahren viel verändert hat in der deutschen Debattenkultur. Die Fangruppierungen in Deutschland haben mit viel Geduld und ebenso vielen Diskussionen mittlerweile für ein Umdenken gesorgt. Die Fankultur wird weniger pauschal kriminalisiert, Polizeieinsätze sind bei weitem noch nicht im gewünschten Intensitätsbereich, aber auch da wurden entsprechende Instanzen sensibilisiert. Pyrotechnik gilt nicht mehr als die Waffe der „Taliban des Fußballs“, wie früher auch gerne Ultra-Gruppierungen in klassischen deutschen Talkshows bezeichnet wurden. Sie ist zwar noch immer nicht erlaubt, doch die zündelnden Personen zeigen, dass sie in der Lage sind, die Fackeln ohne andere Menschen zu verletzen, zu nutzen.

Fanausschreitungen gibt es immer noch und sie wird es auch vermutlich immer geben, doch pauschale Kollektivstrafen gehören in den allermeisten Fällen ebenfalls der Vergangenheit an. Der damalige Platzsturm war aufgrund der Umstände hochproblematisch und hätte entsprechend hart sanktioniert werden müssen. Allerdings und das war auch damals ein Diskussionspunkt, es handelte sich um keine kriminellen Gestalten, die dort ihre Freude zum Ausdruck brachten. Es waren Fans aller Altersklasse, jeden Geschlechts und mit einem einzigen Gedanken: Die Düsseldorfer Aufstiegsfeier. Gerade in den letzten Wochen haben wir in zahlreichen Stadien Platzstürme dieser Art gesehen. Sie werden in keiner Weise mehr kriminalisiert. Zurecht. Es droht eher, dass der nächste Platzsturm mit einem müden Lächeln abgetan wird und schon bald als verpönt gilt

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