Am kommenden Samstag steht in Köpenick das neunte Pflichtspiel-Derby zwischen Union und Hertha an. Doch Berliner Derbys haben eine viel längere Geschichte: Insbesondere in den 80er- und 90er-Jahren gab es in beiden Stadtteilen spannende Duelle. Wir haben uns ein paar Highlights aus den vergangenen 43 Jahren herausgesucht.
22. Mai 1968, Union Berlin vs. Vorwärts Berlin (2:1)
Den 1. FC Union gibt es in seiner jetzigen Form erst seit 1966. Zuvor hatte es in Oberschöneweide mehrere Fusionen, Zusammenschlüsse aber auch Trennungen von Vereinen gegeben, die heute als Vorgänger-Klubs von Union gelten. Leicht hatte es der Verein in der DDR nicht, denn das Regime unterstützte mit aller Kraft Vorwärts Berlin. Die meisten begabten Spieler endeten in der Kaderschmiede von Vorwärts. Ohnehin mischte sich der Staat regelmäßig in den Profifußball ein – so wurden die protegierten Klubs einige Male einfach in eine andere Stadt verlegt. Vorwärts startete beispielsweise in Leipzig, wurde dann nach Berlin verlegt und später nach Frankfurt (Oder). Der heutige BFC Dynamo geht aus einem Ableger von Dynamo Dresden hervor.
Union hingegen galt in der DDR von vorn herein als Verein des Volkes, als Anti-Establishment. Allerdings etablierten sich die Köpenicker schnell in der DDR-Oberliga und nur zwei Jahre nach der Klubgründung kam es zu einem der größten Erfolge der Vereinsgeschichte – dem Gewinn des DDR-Pokalwettbewerbs (FDGB-Pokal). Im Finale besiegte man den amtierenden DDR-Meister Carl-Zeiss-Jena. Zu einem Berlin-Derby kam es aber schon im Halbfinale, als Union gegen den Staatsklub Vorwärts im Halbfinale 2:1 gewann. Bis heute feiern die Köpenicker ihre Pokalhelden.
In den folgenden Jahrzehnten kam es in der DDR-Oberliga zu zahlreichen Derbys zwischen Union, dem BFC Dynamo sowie Vorwärts. Die meisten der Spiele wurden jedoch von Dynamo dominiert. Insbesondere in den 1970er und 1980er-Jahren profitierte Dynamo von der Unterstützung des Regimes und wurde quasi zum Serien-Meister der DDR. Union gelang es dagegen nie, die DDR-Oberliga zu gewinnen.
16. November 1974, Tennis Borussia vs. Hertha BSC (0:3)
Auf westberliner Seite wurde Hertha in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg zur stärksten Berliner Mannschaft. In 1970er-Jahren kam es dann allerdings zum einzigen Berliner Derby auf Bundesliga-Ebene bis zum Unioner Aufstieg vor ein paar Jahren. In der Saison 1973/1974 hatte Tennis Borussia damals noch über die zweitklassige Regionalliga den Aufstieg in die Bundesliga geschafft. Das erste Aufeinandertreffen der beiden Teams sollte zum Spektakel werden: Eigentlich hätte TeBe ein Heimspiel gehabt, doch das Interesse in der Bevölkerung an dem Match war riesig – und so wurde die Partie ins Olympiastadion verlegt und fand vor 75.000 Zuschauern statt.
Gegen die in der Saison 1974/1975 extrem stark aufspielende Hertha hatte der Aufsteiger jedoch keine Chance – Hertha gewann 3:0, „Ete“ (Erich) Beer erzielte zwei der Treffer. Hertha hatte damals einen schlagkräftigen Kader zusammen: Neben Beer gehörten dem Team auch Spieler wie Wolfgang Sidka oder Uwe Kliemann an. Die Mannschaft wurde in dieser Saison sogar Zweiter hinter Borussia Mönchengladbach. TeBe stieg als Vorletzter ab. Allerdings verbrachte die Mannschaft nur ein Jahr in der damals neu gegründeten 2. Bundesliga: Die Saison 1975/76 schloss TeBe als Tabellenführer ab, und so kam es 1976 und 1977 zu zwei weiteren Bundesliga-Derbys zwischen Hertha und Tennis Borussia – eines davon (16. April 1977) konnte Tennis Borussia sogar für sich entscheiden. Aber auch nach dieser Saison reichte es für TeBe nicht für den Klassenerhalt.
18. Februar 1984, SC Charlottenburg vs. Hertha BSC (1:0)
Nach der Saison 1982/1983 stieg auch Hertha aus der Bundesliga ab. Die kommenden Zweitliga-Jahre wurden für Westberliner Fußball-Fans ein reines Derby-Festival. Denn nicht nur Hertha und Tennis Borussia trafen mehrfach aufeinander. Vielmehr sorgte in den 80er-Jahren auch Blau-Weiß 90 für Aufsehen. Und – wer hätte es gedacht? – auch der SC Charlottenburg verbrachte ein Jahr in der 2. Bundesliga.
Gegen die frisch abgestiegenen Herthaner kam es im August 1983 zum ersten Derby der beiden Charlottenburger Teams, das 1:1 unentschieden endete. Im ausverkauften Mommsenstadion gab es in der Rückrunde dann die riesige Überraschung: Der SCC besiegte Hertha mit 1:0. Übrigens: Im Tor des SCC stand damals ein gewisser Andreas Köpke, der nach dem direkten Abstieg der Charlottenburger zu Hertha wechselte.
16. März 1985, Blau-Weiß 90 vs. Hertha BSC (0:2)
In der Saison 1984/1985 deutete sich dann erstmals die zwischenzeitliche Wachablösung im westberliner Fußball an. Das Mariendorfer Team Blau-Weiß 90 war zuvor in die 2. Liga aufgestiegen. Hertha war im zweiten Zweitliga-Jahr immer noch eines der finanzstärksten Teams der Liga und hatte mit Spielern wie beispielsweise Andy Köpke und Horst Ehrmanntraut auch einen absolut bundesligatauglichen Kader zusammen. Doch die Charlottenburger setzten sich während der Saison im Tabellenmittelfeld fest.
In der Rückrunde kam es dann im schlecht besuchten Olympiastadion zu einem der letzten Siege der Herthaner dieser Saison, als Blau-Weiß mit 2:0 besiegt wurde. Für die Mariendorfer ging es anschließend bergauf, für Hertha bergab. Auf Platz 14 konnte man den Abstieg nur knapp vermeiden, Blau-Weiß wurde Siebter. In der darauffolgenden Saison sollte aber alles noch viel schlimmer kommen für Hertha.
8. Mai 1986, Blau-Weiß 90 vs. Tennis Borussia (1:2)
Drei Berliner Mannschaften in einer Profiliga – das hat es bislang nur in der Saison 1985/1986 gegeben. Tennis Borussia war zuvor gerade wieder aus der Regionalliga aufgestiegen, Hertha und Blau-Weiß 90 waren schon vorher in der 2. Liga. Blau-Weiß-90 war inzwischen aus der Mariendorfer „Rathausritze“ ins Olympiastadion gezogen, das man sich im 2-Wochen-Takt mit Hertha teilte. Tennis Borussia spielte im Mommsenstadion, wobei auch einige Derbys mit TeBe-Beteiligung ins Olympiastadion verlegt wurden.
Was sich in der Vorsaison bereits angedeutet hatte, wurde in dieser Saison bitte Wahrheit. Hertha spielte eine schlechte Runde, obwohl man kein einziges Derby verlor. Blau-Weiß hingegen wurde im Saisonverlauf immer stärker und hatte am letzten Spieltag gegen Tennis Borussia die Chance, den direkten Aufstieg in die Bundesliga zu sichern. Das Spiel gegen das schon abgestiegene Team von TeBe verlor man zwar 1:2 – weil aber Fortuna Köln gegen den Karslruher SC nicht über ein Unentschieden hinauskam, stieg Blau-Weiß 90 direkt auf. Hertha hingegen kämpfte mit Freiburg im Fernduell um den Klassenerhalt. Da das eigene Spiel in Aachen allerdings mit 0:2 verloren ging, brachten alle Rechenbeispiele nichts mehr – Hertha war fortan drittklassig.
Allerdings: Auch für Blau-Weiß 90 sollte das Abenteuer Bundesliga schnell wieder zu einem bitteren Ende kommen. Mit einer miserablen Punktebilanz von 18:50 wurde man Letzter. Für viele Jahre musste die Bundesliga in der Folge wieder ohne Berliner Teams auskommen. Hertha jedenfalls blieb zwei Saisons lang drittklassig. Erst im Juni 1988 folgte der Wiederaufstieg in Liga 2, wo es erneut zu einigen Duellen mit Blau-Weiß 90 kam. Das folgende Youtube-Video gibt die Fußball-Stimmung im damaligen Westberlin ganz gut wieder:
27. Januar 1990, Hertha BSC vs. Union Berlin (2:1)
Eigentlich haben wir uns hier bislang nur Pflichtspielen gewidmet. Es gibt allerdings ein Derby, das sowohl aufgrund seiner Geschichtsträchtigkeit als auch wegen der aktuellen Rivalität zwischen Hertha und Union erwähnt werden muss. Ende Januar 1990, nur wenige Wochen nach dem Fall der Mauer, trafen sich Hertha und Union zu einem symbolischen Freundschaftsspiel im Olympiastadion vor rund 52.000 Zuschauern. Schon in den letzten Jahren vor der Wende hatte sich zwischen Hertha und Union über die Grenze hinweg eine tiefe Fan-Freundschaft entwickelt. Das Unioner Fanlager leibäugelte wohl nicht zuletzt wegen seiner Ablehnung gegenüber dem DDR-Regime mit dem West-Klub. Als Hertha Ende der 1970er-Jahre Europapokal-Spiele in Osteuropa bestritt, reisten teilweise sogar Unioner an, um die Blau-Weißen zu unterstützen.
Das Spiel am 27. Januar geriet somit zur Nebensache. Fans beider Lager lagen sich in den Armen und feierten die Zusammenführung Berlins.
8. Juni 1991, Union Berlin vs. FC Berlin (1:0)
Union hatte es schwer in den Jahren vor und nach der Wende. Aus der aufgelösten DDR-Oberliga gingen nur zwei Teams in die Bundesliga, die meisten Ost-Teams aus der Oberliga und der DDR-Liga (2. Liga) mussten in einer Qualifikationsrunde um insgesamt sechs Plätze in der 2. Bundesliga kämpfen. Union belegte in der letzten DDR-Liga-Saison den ersten Platz und sicherte sich somit die Beteiligung an der Relegation zur 2. Bundesliga. Im Juni 1991 folgten dann die Relegationsspiele, unter anderem trat Union gegen den FC Berlin an, die Nachfolger-Mannschaft des BFC Dynamo. Das erste Spiel gewann Union zwar knapp mit 1:0, im Rückspiel verloren die Köpenicker allerdings. Aufsteigen konnte keines der beiden Berliner Teams, vielmehr belegte Stahl Brandenburg Platz 1 der Relegationsgruppe.
Die restlichen 1990er-Jahre waren eine harte Zeit für den FCU – sportlich und auch wirtschaftlich. Mehrfach verpasste man den Aufstieg in die 2. Liga. Trotz einer drohenden Insolvenz konnte sich das Team aber stetig in der Regionalliga halten, wo es in den 1990er Jahren zu mehreren Berlin-Duellen mit dem BFC Dynamo kam, der dann auch wieder seinen alten Namen trug. Erst 2009 stiegen die Köpenicker dann in die 2. Liga auf.
28. Oktober 1998, Tennis Borussia vs. Hertha BSC (4:2)
In Westberlin deutete sich Ende der 1990er-Jahre für kurze Zeit nochmals eine neue, spannende Stadtrivalität auf Augenhöhe an. Tennis Borussia war in der Saison 1997/1998 mit Trainer Hermann („Tiger“) Gerland in die 2. Bundesliga aufgestiegen und spielte dort eine starke Saison. Im Oktober 1998 belegte TeBe zwischenzeitlich Platz 1 der 2. Liga – und genau zu dieser Zeit kam es im Achtelfinale des DFB-Pokals zum Berlin-Derby. Hertha war zu dieser Zeit ebenfalls gut unterwegs in der Bundesliga, am Ende der Saison belegte das Team von Jürgen Röber sogar Platz 3 und qualifizierte sich direkt für die Champions League.
Doch an jenem 28. Oktober 1998 war TeBe schlichtweg zu gut für Hertha. Gerlands Mannschaft (u.a. mit Spielern wie Ilja Aracic und Francisco Copado) führte schon zur Halbzeit 2:1 und brachte den Sieg vor einer begeisterten Kulisse im Olympiastadion und nach einem Feuerwerk zu Beginn des Spiels sicher über die Ziellinie. Hertha musste allerdings nur ein Jahr warten, um sich zu revanchieren: Auch in der darauffolgenden DFB-Pokalsaison traf man auf Tennis Borussia, dieses Match entschied Hertha jedoch nach einer Nachspielzeit 3:2 für sich.
17. September 2010, Union vs. Hertha BSC (1:1)
Weil Hertha nach einer dramatisch schlechten Saison 2009/2010 abstieg, kam es im Herbst 2010 zum ersten Pflichtspiel zwischen Hertha und Union. Nach einer frühen Führung durch ein Kopfballtor von Peter Niemeyer entwickelte sich ein offenes, rassiges Spiel. Kurz vor Schluss erzielte Union dann per Fernschuss doch noch das 1:1. Das Rückspiel ging im Olympiastadion sogar 1:2 verloren. Bis heute kam es in Liga eins und zwei zu insgesamt sieben Derbys zwischen den Köpenickern und Hertha: drei Siege für Hertha, zwei für Union und zwei Unentschieden. Wie und woher sich die heute existierende tiefe Abneigung zwischen den beiden Fanlagern ergeben hat, kann wohl niemand vernünftig erklären.
Schon im ersten Spiel, im Herbst 2010, war von der tiefen Freundschaft, die noch während der Wende-Jahre existierte, keine Spur. Herthas Anhänger zündelten mit Feuerwerkskörpern und nach dem Rückspiel feierte sich Union als „Stadtmeister“, was angesichts der Tabellensituationen der beiden Klubs natürlich eine reine Provokation war. Denn: Hertha stieg direkt in die Bundesliga auf, die Köpenicker mussten noch einige Jahre in der 2. Liga verweilen, bis es dann am 2. November 2019 zum ersten erstklassigen Duell der beiden Vereine kam.
2. November 2019, Union vs. Hertha BSC (1:0)
Tabellenvierzehnter Hertha hatte nur einen Punkt mehr als Union und lag auf Platz elf. Die Stimmung in der Stadt vor diesem Derby war angespannter als bei den Zweitligaspielen. Erstmals hatten wir Herthaner das Gefühl, dass Union leistungsmäßig nicht mehr meilenweit von uns entfernt ist. Der über Jahrzehnte antrainierte Abstand zwischen Hertha und Union war auf einmal nicht mehr da – mit einem Sieg konnten die Köpenicker sogar an Hertha vorbeiziehen. Für miese Stimmung im Vorfeld der Saison hatte zudem auch Unions Präsident Dirk Zingler gesorgt. Nach Herthas Vorschlag, das Berlin-Derby am Tag der Einheit auszurichten, reagierte Zingler mit ablehnend aggressiven Worten – es gehe um „Klassenkampf“ und „Stadtrivalität“, deswegen wolle man das Derby nicht. Eine britische Internet-Dokumentation, die ein paar Monate nach diesem ersten Bundesligaspiel veröffentlicht wurde, beschreibt die Stimmung, die seit damals in der Stadt herrscht, sehr gut.
Das Spiel selbst ist schnell wiedergegeben. Beide Mannschaften leisteten sich ein sehr kampfbetontes, Highlight-armes Match, in dem die Köpenicker kurz vor Schluss einen schmeichelhaften Elfmeter zugesprochen bekamen. Sebastian Polter verwandelte den Strafstoß, Union zog an Hertha vorbei. Die oben beschriebene, explosive Stimmung zeigte sich dann aber auch während des Spiels im Stadion. Erst schossen aus dem Hertha-Block Pyro-Raketen in Richtung Unioner Auswechselbank und später stürmten zahlreiche vermummte Köpenicker den Platz. Das Spiel musste mehrfach unterbrochen werden. Ein sportlich dünnes Derby, das für mehr Skandale als schöne Momente sorgte, endete mit 1:0 für die “Eisernen”.
4. Dezember 2020, Hertha BSC vs. Union (3:1)
Nach dieser ersten Niederlage hat Hertha in der Bundesliga nicht mehr gegen Union verloren. Im Rückspiel der Saison 2019/2020 gewann Hertha fulminant durch ein 4:0. Im Dezember 2020 stand dann ein Derby an, das wegen der Coronavirus-Pandemie im Olympiastadion leider ohne Zuschauer stattfinden musste. Die Clubführung hatte es sich zum Ziel gesetzt, das Derby näher heranzurücken an die Fans und startete wenige Tage vor dem Spiel eine Berlin-weite PR-Kampagne. Über Nacht wurden an fast allen Hauptverkehrsstraßen in Berlin blau-weiße Fahnen am Straßenrand aufgestellt. Außerdem wurde ein neuer Hertha-Somg veröffentlicht („Wo die Fahnen blau-weiß wehen“).
Das Spiel hatte es in sich. Union ging recht früh in Führung. Nur wenige Minuten später flog allerdings Robert Andrich vom Platz, weil er Lucas Tousart per Karatekick attackierte. Widerlich ist übrigens, dass sich die Union-Fans für diesen Kick und die rote Karte im Anschluss des Spiels feierten. Schön wiederum ist, dass Hertha die Überzahl nutzte. Insbesondere Krzysztof Piatek trumpfte auf und verwandelte zwei Vorlagen, sodass Hertha das Spiel mit 3:1 gewann. Für ein besondere Highlight hatte aber schon zuvor Petr Pekarik gesorgt, der mit seinem 1:0 quasi das Bundesliga-Logo nachstellte.
[Titelbild: Maja Hitij/Getty Images]