Berlin ist und bleibt blau-weiĂ! Wir konnten unsere Stadtrivalen aus Köpenick im Geisterspiel-Derby mit 4:0 ĂŒberzeugend und verdient bezwingen. DarĂŒber möchten Marc und Lukas natĂŒrlich ausfĂŒhrlich sprechen. AuĂerdem geht es danach noch um die heutige digitale Mitgliederversammlung bei Hertha BSC. Habt viel SpaĂ mit der Folge und genieĂt den Derbysieg. FĂŒr konstruktive Kritik, Lob und Anregungen sind wir wie immer offen. Schreibt uns, wir lesen und beantworten alles.
Wir haben den Re-Start der Bundesliga mit all seinen UmstĂ€nden erlebt und einen 3:0 AuswĂ€rtssieg von Hertha ain Sinsheim gesehen. DarĂŒber sprechen Marc, Marcel und Lukas in dieser Ausgabe unseres Podcasts. NatĂŒrlich wird aber zu Beginn auch die Personalien Jens Lehmann zum Thema gemacht. Wir hoffen ihr habt viel SpaĂ mit dieser Folge. Ăber Kritik, Anregungen oder Lob freuen wir uns immer wie kleine Schneekönige.
Drei Monate nach JĂŒrgen Klinsmanns unrĂŒhmlichen Abgang hat Lars Windhorst nun dessen Platz im Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA neu besetzt â mit keinem geringerem als dem ehemaligen Nationaltorwart Jens Lehmann. Herthas Investor Windhorst bescheinigt dem ehemaligen Spieler des FC Arsenal auf der Vereinshomepage âein hohes MaĂ an Erfahrung und ProfessionalitĂ€tâ. Doch ist Lehmann die richtige Wahl gewesen?
Erfahrung bringt Lehmann sicherlich reichlich mit â er war als Spieler u. a. fĂŒr den FC Arsenal und Borussia Dortmund aktiv, wurde Vize-Weltmeister und gewann den UEFA-Cup. Aber neben gelegentlichen Ausrastern auf dem Platz fiel der gebĂŒrtige Essener ĂŒber all die Jahre immer wieder auch durch zweifelhafte ĂuĂerungen abseits auf â zuletzt gleich mehrfach im Zuge der Corona-Krise. Ein kritischer Blick lohnt sich also allemal.
Die Befugnisse im Aufsichtsrat
Nun wird Lehmann also als Klinsmann-Nachfolger Mitglied des Hertha-Aufsichtsrates. Neben ihm berief Lars Windhorst ĂŒbrigens auch Marc Kosicke, den Berater von u.a. JĂŒrgen Klopp und Julian Nagelsmann, in den Aufsichtsrat. Aber ĂŒber welche Befugnisse werden die beiden als Mitglied dieses Gremiums ĂŒberhaupt verfĂŒgen?
ZunĂ€chst sind neben den beiden âNeuenâ noch sieben weitere Personen im Aufsichtsrat vertreten â einem Gremium, das nur beschlussfĂ€hig ist, wenn eine Mehrheit der Mitglieder hinter dem jeweiligen Beschluss steht. Lehmann und Kosicke können also keine AlleingĂ€nge unternehmen, sie sind auf die Zustimmung der anderen AR-Mitglieder angewiesen.
Zu den Aufgaben und Befugnissen eines normalen Aufsichtsrates gehört die Ăberwachung der GeschĂ€ftsfĂŒhrung, zudem auch die Ernennung derselben. Durch die Struktur als GmbH & Co. KGaA ist das bei Hertha aber nicht der Fall: Die GeschĂ€ftsfĂŒhrung wird von der Hertha BSC Verwaltung GmbH ĂŒbernommen, die von e. V. gehalten wird. Soll heiĂen: Lehmann ist bei Hertha Mitglied eines Gremiums, das auf die GeschĂ€ftsfĂŒhrung und somit das operative GeschĂ€ft des Vereins keinerlei Einfluss hat.
GrĂŒnde fĂŒr die Berufung Lehmanns
Warum also wurde der Ex-Nationalspieler von Lars Windhorst in den Hertha-Aufsichtsrat berufen? Lehmann hat eine groĂe Karriere hinter sich, sein Name ist auch ĂŒber die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt â vor allem dank seiner Zeit beim FC Arsenal und in der Nationalmannschaft.
Foto: Stuart Franklin/Getty Images
Damit gehen gleichzeitig auch groĂe Erfahrungen und ein gutes Netzwerk einher, Lehmann spielte ĂŒber die Jahre mit vielen GröĂen des Sports zusammen (allein beim FC Arsenal u. a. Thierry Henry, Cesc FĂ bregas, Dennis Bergkamp und Robert Pires). Von Lehmanns gutem Draht zu bekannten Ex-Profis und Vereinsverantwortlichen könnte Hertha profitieren, so wohl zumindest der Gedankengang von Investor Windhorst.
Der 50-JĂ€hrige verfĂŒgt auĂerdem ĂŒber eine Trainerlizenz, war schon als Co-Trainer unter Ex-Arsenal-Coach ArsĂšne Wenger und dem ehemaligen Augsburg-Trainer Manuel Baum aktiv. Neben seiner Spielerkarriere kann Lehmann somit auch auf weitere Erfahrungen im ProfifuĂball verweisen. Und auch ein (nicht abgeschlossenes) Studium der Volkswirtschatslehre könnte sich bei seinen neuen Aufgaben als nĂŒtzlich erweisen. Lehmann kennt sich also in vielen FuĂball-relevanten Bereichen aus, keine ungĂŒnstigen Voraussetzungen fĂŒr dessen neue Rolle als Aufsichtsorgan.
Alles andere als ein Musterprofi
Ein Mann, der Hertha also gut zu Gesicht stehen wird? Daran lĂ€sst sich zumindest zweifeln. WĂ€hrend und auch nach seiner Karriere fiel der Ex-TorhĂŒter immer wieder durch unschöne Aktionen auf. Bereits in seiner aktiven Zeit war er als âEnfant terribleâ bekannt, mit fĂŒnf roten Karten fĂŒhrt er die Rangliste der Bundesliga-Keeper mit den meisten Platzverweisen an. Unvergessen dabei sicherlich, als Lehmann in Dortmund seinen Mitspieler Marcio Amoroso so wĂŒst beschimpfte, dass der Schiedsrichter ihn kurzerhand mit vom Platz stellte.
Foto: Lutz Bongarts/Bongarts/Getty Images
Im Jahr 2016 stand Lehmann wegen mehrerer Verkehrsdelikte vor Gericht, er akzeptierte den Strafbefehl und zahlte ĂŒber 40.000 Euro Strafe. Und erst 2018 wurde ihm in einem Bericht des Handelsblattes vorgeworfen, Steuern in Höhe einer knappen Millionen Euro hinterzogen zu haben, unter anderem mithilfe von Briefkastenfirmen. Lehmann kommentierte den Bericht damit, er sei âin wesentlichen Teilen unwahr und rechtswidrigâ.
Ein braver FuĂballprofi sieht also sicherlich anders aus. Wohlwollend lĂ€sst sich jedoch festhalten, dass Lehmann mit nichten der einzige ohne weiĂe Weste in diesem GeschĂ€ft ist. Auch andere GröĂen des Sportes fielen immer wieder durch Ă€hnliche Delikte und VorwĂŒrfe auf (z. B. Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo). Man sollte also vorsichtig sein, Lehmann aus diesen eher kleineren Vergehen fĂŒr ewig zu verdammen, zumal er die Konsequenzen fĂŒr seine Aktionen getragen hat.
FragwĂŒrdige Aussagen trĂŒben das Bild
Anders sieht es da bei Lehmanns Auftritt bei Sky90 vor sechs Jahren aus, kurz nach dem Outing seines ehemaligen Mitspielers Thomas Hitzlsperger. Den meisten FuĂballfans dĂŒrfte dieser denkwĂŒrdige â oder besser gesagt bedenkliche â Auftritt Lehmanns noch gut im GedĂ€chtnis sein. Herthas neues AR-Mitglied riet aktiven FuĂballern damals vom Coming-out ab und sorgte mit diversen Vorurteilen gegenĂŒber Homosexuellen fĂŒr entsetzte Gesichter. Er bezeichnete Hitzlsperger unter anderem als âBetroffenenâ und Schwule als âetwas weicherâ. Zudem habe âHitzeâ laut Lehmann âvon seiner Spielweise ĂŒberhaupt nicht den Anlass gegeben [âŠ], dass man hĂ€tte denken können, da ist irgendetwasâ. Wie er reagiert hĂ€tte, wenn sich Hitzlsperger wĂ€hrend seiner aktiven Zeit geoutet hĂ€tte? âKomisch, glaube ich. Man duscht jeden Tag zusammen, man hat Phasen, in denen es nicht so lĂ€uft. Aber Thomas Hitzlsperger ist [âŠ] ein sehr intelligenter Spielerâ.
Als die Besetzung des Klinsmann-Postens im Aufsichtsrat bekanntgegeben wĂŒrde, dĂŒrfte vielen Hertha-Fans dieser TV-Auftritt sofort wieder eingefallen sein â mit solchen ĂuĂerungen ist Lehmann weit von dem entfernt, wofĂŒr Hertha stehen will. Seit Jahren engagiert der Verein sich gegen Homophobie und Intoleranz, rĂ€umt mit Vorurteilen auf und wirbt fĂŒr eine moderne und offene Gesellschaft. Dann einen hohen Posten an eine Person zu vergeben, die mit fragwĂŒrdigen Positionen und haarstrĂ€ubenden Vorurteilen gegenĂŒber Schwulen auffĂ€llt, passt nicht ins Bild und zu den Werten, fĂŒr die der Verein stehen und eintreten möchte. Dazu kommt, dass Jens Lehmann seinen Auftritt bei Sky90 nie relativiert oder sich dazu geĂ€uĂert hat â er scheint zu seinen Aussagen zu stehen, die ein intolerantes Bild voller Vorurteile zeichnen. Wirklich anders lĂ€sst sich dieses Verhalten nicht interpretieren und das ist bedenklich.
Die Wahl Windhorst â ein Alleingang?
Ob der Posten wohl im EinverstĂ€ndnis des Vereins an Jens Lehmann vergeben wurde? Da Lars Windhorst 49,9% der Anteile an der KGaA hĂ€lt, stehen im vier PlĂ€tze im Aufsichtsrat zu, die er nach seinem eigenen Willen besetzen kann. Und es hat den Anschein, dass er von diesem Recht auch Gebrauch macht: Herthas Manager Michael Preetz wirkte mit der Auswahl nicht wirklich glĂŒcklich, auf der Website wird er mit den Worten zitiert, man sei âĂŒber den Vorgang informiert wordenâ. Klingt nicht danach, dass Windhorst die Hertha-Verantwortlichen in seinen Entscheidungsprozess eingebunden hĂ€tte, sondern vielmehr den Verein vor vollendete Tatsachen gestellt hat.
Foto: ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images
Warum Hertha nicht euphorisch darauf reagierte, dass Windhorst einen so groĂen Namen wie Jens Lehmann fĂŒr das âProjekt Big City Clubâ gewinnen konnte, lieĂ sich bereits einen knappen Tag nach Bekanntgabe erahnen: Kurz nach seiner Berufung in den Hertha-Aufsichtsrat sorgte der Ex-Schalker bereits in einem Interview mit dem Sender beINSports fĂŒr den nĂ€chsten Aufreger, als er das gesundheitliche Risiko durch den Covid-19-Virus herunterspielte. Mit Corona mĂŒssten die Spieler seiner Meinung nach zurechtkommen, âfĂŒr junge, gesunde Menschen mit einem starken Immunsystem ist das keine so groĂe Sorgeâ. FĂŒr diese Aussage wurde Lehmann in sozialen Medien und auch von Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD) kritisiert.
Mit seinen ĂuĂerungen machte Lehmann allerdings klar, was Hertha von ihm zu erwarten hat. Er schreckt nicht davor zurĂŒck, seine fragwĂŒrdigen Meinungen in die Ăffentlichkeit zu tragen â zu Themen, von denen er nur bedingt Ahnung zu haben scheint. Still wird Lehmann sein Amt jedenfalls nicht ausfĂŒhren. Und bei all seinen unglĂŒcklichen Aussagen steht von nun an die Hertha-Plakette drauf.
Ein weiterer Imageschaden?
Er reiht sich dabei nahtlos in das Bild ein, das der Verein seit einem knappen Jahr in der Ăffentlichkeit abgibt. Als Chaosklub, bei dem Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen. Hertha soll mittelfristig zu einer internationalen Marke werden, stattdessen dĂŒmpelt der Verein in der unteren TabellenhĂ€lfte der Bundesliga umher. Ăber Wochen wirbt der Verein auf den Sozialen Medien fĂŒr einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Corona-Virus, bis Salomon Kalous Live-Video auftaucht und die gravierenden VerstöĂe einzelner Hertha-Spieler gegen das DFL-Hygienekonzept aufdeckt.
Die Berufung Lehmanns gefĂ€hrdet hierbei besonders die GlaubwĂŒrdigkeit von Herthas gesellschaftlichem Engagement auĂerhalb des Platzes. Es hinterlĂ€sst aufgrund der Causa Hitzlsperger einen bitteren Nachgeschmack fĂŒr all diejenigen, die sich im Namen des Vereins gegen Homophobie und Vorurteile engagieren. Es ist eben nicht miteinander zu vereinbaren, wenn Hertha sich gegen Intoleranz und fĂŒr Corona-SchutzmaĂnahmen einsetzt und dann Lehmann mit seinen mehr als streitbaren Aussagen durch die Medienlandschaft stolpert.
Besonders bitter ist es aber, dass diese erneute Negativ-Schlagzeile eigentlich gar nicht vom Verein selbst verursacht wurde, Lehmann wurde schlieĂlich vom Investor nominiert. Mit dem Verkauf der Anteile hat man Lars Windhorst aber eben indirekt auch eingerĂ€umt, das Bild des Vereins mitzubestimmen. Und dieses Recht nimmt der Investor wahr. Welche GrĂŒnde es hat, dass er nun ausgerechnet Jens Lehmann ausgewĂ€hlt hat â und nicht einen anderen groĂen Namen, der gleichzeitig zu Hertha und den Werten des Vereins passt? Das wird den meisten Fans ein RĂ€tsel bleiben â und Herthas GeschĂ€ftsfĂŒhrung dĂŒrfte es wohl nicht anders ergehen.
Die französische Ligue 1 ist beendet â dies wurde am 30.04.2020 offiziell. Knapp eine Woche spĂ€ter gab die DFL bekannt, dass die Bundesliga noch in diesem Monat wieder starten soll. Deutschland und Frankreich trennen weder Ozean noch riesengroĂe Distanz, trotzdem könnte die aktuelle Lage in beiden professionellen FuĂballligen unterschiedlicher nicht sein. Woran das liegt, wie die Ligue 1 beendet wurde und was die Konsequenzen fĂŒr Vereine und Fans sind wollen wir uns heute anschauen.
Wir wagen den Blick raus aus der Hauptstadt und rĂŒber nach Frankreich. Dort lebt unser Ansprechpartner fĂŒr französischen FuĂball, der Olympique-Lyonnais-Experte IdĂšr, der uns seine EindrĂŒcke schildern wird. Er ist Redakteur beim Blog âCoeur de Gonesâ und beantwortete bereits im Januar unsere Fragen zu Lucas Tousart. Auch um Herthas Neuzugang wird es heute gehen, denn mit dem Ende der Ligue 1 ist noch lange nicht alles um seine Situation geklĂ€rt.
IdĂšrs Antworten gab er uns auf Französisch. Die Zitate sind also frei von unserem Redakteur Chris ĂŒbersetzt.
Ausgangssperren und Trainingsverbot
Dass Frankreich deutlich hĂ€rter als Deutschland von Covid-19 betroffen ist, ist bekannt. WĂ€hrend in Deutschland schon die ersten FuĂballspieler wieder in kleinen Gruppen auf dem Platz standen, galten (und gelten immer noch) im Nachbarland strenge Ausgangssperren und Kontaktverbote. An Kleingruppentraining war vergangene Woche gar nicht zu denken, denn wie auch der Rest der Bevölkerung mĂŒssen die Spieler noch konsequent Zuhause bleiben und können nur zum Einkaufen das Haus verlassen.
Hertha-Neuzugang Tousart nahm die Ausgangssperre an seinen Geburtstag Ende April mit Humor.
âJeder bleibt Zuhauseâ, beschreibt IdĂšr, âAb dem 11. Mai wird voraussichtlich die strenge Ausgangssperre enden, die seit dem 17. MĂ€rz in Frankreich besteht. Aber Mannschaftssportarten sowie Versammlungen von mehr als zehn Personen werden verboten bleiben. Es ist schwierig zu wissen, wie unter diesen UmstĂ€nden wieder trainiert werden soll. Die Mehrheit der Vereine sollte aber im Juni wieder mit dem Training loslegen.â
Wie auch in Deutschland zeigten trotz Ausgangssperre die meisten Fangruppen groĂe SolidaritĂ€t und unterstĂŒtzten ihre Mitmenschen durch verschiedene Aktionen. IdĂšr erzĂ€hlt: âDas Engagement der Fangruppen in Lyon fĂŒr bedĂŒrftige Personen besteht bereits seit vielen Jahren. Es gab zuletzt einige Spenden unserer Fangruppen an den KrankenhĂ€usern der Stadt. Auch der Verein hat durch seine Stiftung zur Finanzierung der Krankenpflege beigetragen. Dass nicht alles öffentlich wurde, freut mich: BedĂŒrftigen Personen zu helfen, sollte keine TrophĂ€e sein, sondern eine SelbstverstĂ€ndlichkeit.â
Politik am Ursprung fĂŒr das Saisonende
In dieser Ă€uĂerst schwierigen Lage war auch Uneinigkeit in den VereinsfĂŒhrungen zu spĂŒren, es fehlte ein klares Konzept fĂŒr eine schnelle Wiederaufnahme. Es war von Streitigkeiten zwischen VereinsprĂ€sidenten zu hören, von fehlender Geschlossenheit. Nach einigen Wochen Unklarheit war es dann am 28. April soweit. Premierminister Ădouard Philippe verkĂŒndete in einer Rede vor der Nationalversammlung, dass die professionellen FuĂballmeisterschaften erst im September wieder starten wĂŒrde und eine Wiederaufnahme im Juni oder Juli nicht möglich sei.
Am 30.04.2020 gab die LFP die Entscheidung bekannt. (Foto: Franck Fife / AFP/ Getty Images)
Mit dieser Entscheidung der Politik war bereits jegliche Hoffnung, die Saison 2019/2020 noch zu Ende zu spielen, dahin. TatsĂ€chlich ging es nur noch darum zu entscheiden, in welcher Form die Saison abgeschlossen werden wĂŒrde.
Zwei Tage spĂ€ter tagte der Verwaltungsrat der LFP (âLigue de Football Professionnelâ, Französisches Pendant der DFL) und die Ligasaison war offiziell beendet. Der Paris Saint-Germain ist Meister, auch Absteiger und internationale Teilnehmer sind klar. Allen Vereinen drohen durch die fehlenden TV-Einnahmen Verluste in Millionenhöhe, die Existenz einiger Vereine muss durch eine Riesenanleihe seitens der LFP (224,5 Millionen Euro) gesichert werden.
Ermittlung der Abschlusstabelle durch Leistungsindex
Zur Ermittlung der Abschlusstabelle gab es mehrere Optionen. Nach einer Wahl innerhalb der LFP wurde die Punktezahl der Vereine anhand eines Leistungsindexes berechnet, welcher auf die Anzahl der in allen gespielten Spielen erzielten Punkte basiert. Eine Lösung die zwar vergleichsweise fair ist, jedoch noch lange nicht alle Vereine zufriedenstellt.
âAmiens steigt in der Ligue 2 ab, obwohl sie noch theoretisch 30 Punkte zur Rettung holen könntenâ, schildert uns unser Experte. âIn der Ligue 2 hingegen werden Clermont, Troyes und Ajaccio den Aufstieg nicht schaffen, obwohl nur wenige Punkte zu den AufstiegsplĂ€tzen fehlten. Diese Entscheidung ist fĂŒr einige vorteilhaft, fĂŒr viele anderen ein groĂer Nachteil. Dass die benachteiligten Vereine eine EntschĂ€digung fordern, ist fĂŒr mich nachvollziehbar.â
Lyon PrÀsident Aulas mit lautem Protest gegen die Entscheidung der Politik und Liga. (Foto: REMY GABALDA / AFP/Getty Images)
Bei einer anderen Lösung hĂ€tte ein Verein den geringen Abstand zu den europĂ€ischen PlĂ€tzen aufholen können: ausgerechnet der Olympique Lyonnais. Lyons PrĂ€sident Jean-Michel Aulas, der dafĂŒr bekannt ist, die Interessen seines Vereines öffentlich vehement und nicht immer sehr objektiv zu verteidigen, gab zuletzt zahlreiche Interviews, um sich lautstark zu beschweren. Er sprach von einer verfrĂŒhten Entscheidung, von einer Benachteiligung, und drohte mit rechtlichen Schritten.
Wie die Chancen einer solchen Klage aussehen, schĂ€tzt IdĂšr so ein: âDass die Gremien Ihre Entscheidung Ă€ndern scheint mir eher kompliziert zu sein: Die Regierung hat bei dieser Entscheidung mitgewirkt, es wurde abgestimmt und die VertrĂ€ge mit den TV-Anbietern wurden beendet.â OL habe höchstens Chancen Schadensersatz zu erhalten.
Offene Fragen um Pokalfinalen und Champions League
Trotzdem betont Aulas, dass die Entscheidung der Regierung und der FuĂballliga verfrĂŒht sei und dass man noch immer die Entscheidung Ă€ndern könne. Dabei sprach er den Plan der UEFA an, die laufende Champions-League-Saison in der ersten Augustwoche fortsetzen zu wollen. Die französischen Vereine (OL und PSG), die noch im Rennen sind, hĂ€tten demzufolge einen riesigen Nachteil gegenĂŒber ihren Gegnern. TatsĂ€chlich wĂŒrden französische Vereine im August dann etwa fĂŒnf Monate lang keine Spiele bestritten haben und wĂ€ren somit nur bedingt wettbewerbsfĂ€hig.
Lucas Tousart als TorschĂŒtze gegen Juventus in der Champions League. (Foto: Franck Fife / AFP / Getty Images)
FĂŒr IdĂšr ist das weitere Geschehen in der Champions League nur Nebensache: âDieses RĂŒckspiel gegen Juventus Turin scheint mir im Moment aktuell nicht die erste Sorge von OL zu sein.â Lyon steht auch noch im Ligapokalfinale gegen Paris Saint-Germain und könnte durch einen Sieg theoretisch doch noch die Qualifikation zur Europa League erreichen. Wann und ob dieses Finale gespielt werden wird, steht aber ebenfalls noch in den Sternen.
âNatĂŒrlich hoffen die Gremien, dass die Finalspiele Anfang August gespielt werden können. Der vorlĂ€ufige Spielplan fĂŒr die kommende Saison ist noch lange nicht entschieden und in dieser Gesundheitskrise sind die Wahrheiten von heute noch lange nicht die von morgen.â, sagt IdĂšr dazu und spricht auch das Problem der Planungssicherheit an. â(âŠ) die Vereine, die theoretisch noch einen Sieg im Pokalfinale holen könnten, werden allerdings deutlich frĂŒher als August wissen mĂŒssen, ob sie dadurch auch ein Ticket fĂŒr die Europa League ziehen. Diese Final-Spiele werden meiner Meinung nach niemals gespielt werden, oder zumindest nicht rechtzeitig.â
UEFA muss Tousart-Fall klÀren
Eine der groĂen offenen Fragen ist auĂerdem, was mit Spielern passiert, deren VertrĂ€ge im Sommer auslaufen oder fĂŒr die bereits, wie bei Lucas Tousart, ein Wechsel feststeht. Sollten noch Spiele im Pokal oder in der Champions League anstehen, stellt sich noch die Frage, ob diese Spiele mit oder ohne diese Spieler erfolgen. Besonders fĂŒr diejenigen mit auslaufenden VertrĂ€gen ist die Lage zum Teil sehr beunruhigend. In vielen Vereinen bekommen die Spieler von den Verantwortlichen kaum bis keine Informationen und wissen nicht, wie es im Sommer fĂŒr sie weitergeht.
Ob Lucas Tousart noch einmal im OL Trikot spielen wird ist unklar. (Foto: Franck Fife / AFP / Getty Images)
Auch fĂŒr Herthas Neuzugang wĂ€re es bitter, das RĂŒckspiel gegen Juventus Turin zu verpassen. SchlieĂlich war Tousart der TorschĂŒtze zum 1:0-Sieg im Hinspiel und damit maĂgeblich daran beteiligt, dass Lyon noch gute Karten fĂŒrs Weiterkommen hat. Unsere Frage, ob der Mittelfeldspieler jetzt am 1. Juli wie vereinbart in Berlin ankommt, kann unser Lyon-Experte leider nicht abschlieĂend beantworten. Auch das sei noch nicht abschlieĂend geklĂ€rt. âAuch hier sorgt die Tatsache, dass nicht alle nationalen Meisterschaften dieselbe Entscheidung getroffen haben, fĂŒr Komplikationen. Die UEFA wird das entscheiden mĂŒssen, aber tatsĂ€chlich wissen wir nicht wie lange Tousart noch fĂŒr Lyon auflaufen darf.â
âWir hoffen, dass wir Lucas entsprechend der Leihvereinbarung zum 1. Juli bei uns begrĂŒĂen könnenâ, sagte Michael Preetz dazu. Fakt ist: Lucas Tousart ist bei Hertha BSC unter Vertrag und lediglich an Lyon ausgeliehen. Sollte die UEFA keine Ausnahmeregelung finden, wĂŒrde im Zweifel die Leihvereinbarung entscheidend sein, und Lyon mĂŒsste ab dem 1. Juli auf den Mittelfeldspieler verzichten.
Fanreaktionen in Frankreich
Doch wie ist die Fanreaktion bei OL und in Frankreich? GrundsĂ€tzlich zeigt sich bei vielen Fans VerstĂ€ndnis fĂŒr den Saisonabbruch, doch auch hier gehen die Meinungen auseinander: âAuf der einen Seite ist das UngerechtigkeitsgefĂŒhl: Warum sollten wir nĂ€chste Saison nicht europĂ€isch spielen, obwohl wir noch in der Champions League im Rennen sind und im Ligapokalfinale stehen (âŠ)? Auf der anderen Seite sehen es die Lyon-Fans auch nĂŒchtern: Wenn wir keine so unregelmĂ€Ăige Saison, mit sehr schlechten Ergebnissen gegen schwĂ€chere und bloĂ durchschnittlichen gegen stĂ€rkere Teams gespielt hĂ€tten, wĂ€ren wir jetzt nicht in dieser Lage.â
(Photo by Franck Fife / AFP / Getty Images)
Auch der Start in Deutschland lĂ€sst die Fans in Frankreich nicht kalt. In sozialen Netzwerken schauen einige SehnsĂŒchtig zur Bundesliga, andere hingegen fĂŒrchten ein Nachteil fĂŒr die französische Liga. Wir haben IdĂšr gefragt, was er davon hĂ€lt:
âEs ist sicherlich ein Risiko, wieder die Bundesliga zu starten. Was wird man sagen, wenn in einem Monat 20 Prozent der Bundesligaspieler am Coronavirus erkrankt sind? Man wird sagen, es sei verrĂŒckt gewesen wieder loszulegen. Aber wenn alles gut geht und keiner krank wird, werden Fans in Frankreich den Gremien sagen: âSeht ihr? In Deutschland haben Sie wieder gespielt und alles ist gut gelaufen!â Man wird erst im Nachhinein sehen, wer von Deutschland oder Frankreich am Ende mit der Entscheidung richtig liegt.â
Seiner Meinung nach werden vor allem ökonomische GrĂŒnde entscheidend sein. Eines scheint aber international gleich zu bleiben â keiner scheint groĂe Lust auf Geisterspiele zu haben: â(âŠ) Ich glaube nicht an FuĂball ohne Zuschauer. Die Entscheidung, mit leeren RĂ€ngen zu spielen, kann fĂŒr mich nur eine Ăbergangslösung sein.â
Liebe Hertha BASE Gemeinde, nach lĂ€ngeren Ăberlegungen haben wir uns dazu entschlossen, unsere gewohnte Berichterstattung rund um Vorberichte, Nachberichte, Einzelkritik, etc. zu den bevorstehenden Spielen von Hertha BSC vorerst einzustellen. Hierbei spielt das Wort âvorerstâ eine bedeutende Rolle.
Wir sind der Meinung dass in der aktuellen Situation andere, wesentlich wichtigere und sinnvollere Themen mehr Aufmerksamkeit verdient haben oder benötigen. Der FuĂball, wie wir Ihn lieben, hat einen wichtigen Platz in unserem Leben, aber bei weitem keine Sonderstellung gegenĂŒber wichtigeren Themen wie Gesundheit und Gleichberechtigung.
Wir werden den Rest der RĂŒckrunde sicherlich nicht schweigen und Dinge, wenn sie uns denn auffallen, kritisch benennen. Hier geht es eher um die Frage, ob man in diesen Zeiten und mit unserer Haltung zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs einen ganz normalen Vorbericht veröffentlichen kann und wie gewohnt nach dem Spiel die Leistungen der Spieler bewertet. So zu tun, als wĂ€re alles wieder normal â es fĂŒhlt sich schlichtweg falsch an, oder zumindest grotesk.
Wir wollen uns die AusfĂŒhrungen des DFL-Konzepts zunĂ€chst einmal mit kritischem Blick ansehen und eventuell in ein paar Wochen wieder einsteigen. Wir lassen es also fĂŒr uns offen, ggf. doch noch ĂŒber die Restsaison zu berichten. Wir alle sollten uns in der aktuellen Zeit davor hĂŒten, definitive und endgĂŒltige Aussagen/Voraussagen zu treffen â wir wissen einfach zu wenig und können die momentanen Entwicklungen nicht vorausahnen. Wie alle anderen mĂŒssen auch wir als Blog unseren Weg finden, mit der aktuellen Situation umzugehen, weshalb wir auch nicht sagen können, wie wir den Sachverhalt in beispielsweise drei Wochen beurteilen werden.
SelbstverstĂ€ndlich werden wir weiterhin allgemeine Artikel schreiben und unseren Podcast weiterfĂŒhren. Den Podcast wollen wir hierbei ein wenig ausklammern, weil es in diesem Rahmen leichter sein wird, alle Themen der bevorstehenden Spiele miteinander zu vermischen. Es lĂ€sst sich leichter wiedergeben, dass man das Spiel gesehen hat und was gut/schlecht war, aber es einen emotional z.B. nicht berĂŒhrt hat. Emotionen sind im Podcast noch viel leichter wiederzugeben, zumal dieser weniger feste Formate hat, als es beispielsweise ein Vorbericht ist.
Wir hoffen, ihr versteht unsere Ăberlegungen. Bleibt gesund und glĂŒcklich!
Neueste Kommentare