Die Verpflichtung von Lucas Tousart bringt viele Fragen mit sich, die ohne interne Informationen nur schwer für Fans zu beantworten sind. Ist er die hohe Ablösesumme wert? Wieso kommt der Franzose erst im Sommer zu Hertha? Warum wollten ihn zahlreiche Fans in Lyon nicht mehr? Welche Rolle kann er bei Hertha einnehmen?
Wir widmen uns im nachfolgenden Text zunächst der Vorgeschichte von Lucas Tousart, bevor wir versuchen, einige dieser Fragen bestmöglich zu beantworten. Dafür haben wir uns bei “Coeur de Gone“, einem der größten Fanblogs rund um den Olympique Lyonnais, Verstärkung geholt. Idèr, der sein Club schon sehr lange intensiv verfolgt, gab uns viele nützliche Informationen rund um Lucas Tousart und dessen Laufbahn in Lyon. Seine Antworten gab er uns auf Französisch. Die Zitate sind also frei von unserem Redakteur Chris übersetzt.
Von der Reserve zum Stammspieler
Bevor wir uns den Fragen widmen, wollen wir uns die Laufbahn des neuen Rekordtransfers von Hertha BSC genauer anschauen. Wie er sehr jung zu „OL“ (Olympique Lyonnais) kam, seine Chance nutze in die Profi-Startelf zu kommen und sich zum Stammspieler etablierte. Das alles erzählt uns Idèr: „Als er 2015 bei uns angekommen ist, war er zuerst lange bei der Reserve (U23). Danach hat er in der Saison 2016/2017 angefangen stark aufzuspielen. Maxime Gonalons, damals der Stammspieler auf seiner Position, bekam eine rote Karte und vier Spiele Sperre im Spiel gegen Bordeaux. Tousart wurde daraufhin regelmäßig eingesetzt, konnte sehr gute Leistungen zeigen. Er brachte genau die Frische und Energie, die Gonalons zuletzt fehlte.”
“So stark war die Leistung von Tousart in dieser Zeit, dass ihn sein Trainer Genesio nicht mehr aus der Startelf nahm, auch nicht als Gonalons zurückkehrte. Dieser war als Kapitän nicht wegzudenken, sodass beide Spieler nunmehr als „Doppel-Sechs“ sehr erfolgreich agierten. Später wechselte Gonalons und Tousart wurde zum unumstrittenen Stammspieler. Zunächst mit viel Erfolg, dann jedoch leidete seine Entwicklung unter der fehlenden Konkurrenz.“
Während er sich in der Ligue 1 hocharbeitete, glänzte Herthas Neuzugang schon im frühen Alter in der Junioren-Nationalmannschaft Frankreichs. Er gewann 2016 als Kapitän der U19 zusammen mit Spielern wie Kylian Mbappé, Markus Thuram und Amine Harit die Europameisterschaft. Er ist auch aktuell der meistberufene Spieler der U19 Frankreichs, mit 21 Spielen. Im Sommer 2019 trug er erneut die Kapitänsbinde, dieses Mal bei der U21-EM, und führte seine Mannschaft bis ins Halbfinale, wo man sich allerdings gegen Spanien geschlagen geben musste.
Schwierige Saison für OL und Tousart
Dann kam die Saison 2019/20. Eine Saison, die für Lyon alles andere als gut begann. Man verpflichtete die Clublegende Juninho als Sportdirektor und wechselte den Trainer. Bruno Génésio musste gehen und wurde von Sylvinho ersetzt.
„Der Sportdirektor Juninho erklärte zum Saisonstart, dass er auf der Position von Tousart Neuverpflichtungen holen wolle. Dieser aber zauberte im August förmlich, insbesondere gegen Monaco (0:3 Sieg der Lyonnais, wo Lucas Tousart sogar ein Tor erzielte). Letzten Endes wurde Thiago Mendes rekrutiert (für 22 Millionen Euro), der aber keine Leistung brachte. Der Stammplatz von Tousart war also weiterhin nicht in Gefahr.“
So spielte Tousart also auch fast jede Partie, konnte aber nicht die Negativserie seines Vereins verhindern. Lyon spielte monatelang schwach und im Oktober war nach weniger als sechs Monaten für Neutrainer Sylvinho Schluss. Rudi Garcia übernahm die Verantwortung und setzte ebenfalls auf Tousart. Aktuell läuft es deutlich besser für Lyon, die Negativserie hat aber viel Zeit und Punkte gekostet. Ganze fünf Punkte trennen die Lyonnais noch von Platz drei in der Ligue 1.
„Warum wollen ihn so viele OL-Fans wechseln sehen?”
Wie also festgestellt, setzte sich Lucas Tousart recht zügig als Stammspieler durch, war in den Junioren-Nationalmannschaften einer der wichtigsten Spieler Frankreichs und ließ sich auch nicht im Konkurrenzkampf hängen. Warum also wird Herthas Neuzugang dann von so vielen Lyon-Anhänger verspottet und zum Teil sogar in sozialen Netzwerken als Witzfigur betrachtet? Wir haben diese Frage auch Idèr gestellt:
„ (Tousart) ist jung, aber mit einer Entwicklung, die seit etwa zwei Jahren stockt. Technisch ist er nicht sehr stark. Er hat auch Schwierigkeiten im Spiel nach vorne, sucht oft auf den Seiten und hinter ihm Anspielstationen.“
„In den Spielen, wo OL den Ball hat und das Spiel machen muss, hat er Schwierigkeiten, das Offensivspiel zu organisieren, obwohl er auf einer Position ist, in der er ein Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft sein müsste. Man hört oft, dass seine Abwesenheit im Ligaspiel gegen Marseille (1:2 Niederlage) ein Zeichen dafür ist, dass er unumstritten sein sollte. Ich bin nicht ganz einverstanden. Außerdem: wenn er gegen Marseille gefehlt hat, dann nicht aufgrund einer Verletzung, sondern weil er wegen zu vielen gelben Karten gesperrt war: ein Sinnbild dafür, wie viele Fouls er begeht.“
Hauptkritikpunkt der Fans ist jedoch das, was im Fußball immer zuerst auffällt: technische Defizite. „Seine Schwächen im technischen Bereich hindern ihn daran, sich vom gegnerischen Pressing zu lösen und nach vorne zu gehen.“ Sein Rolle ist zwar eher in der Stabilität und Kompaktheit im zentralen Mittelfeld, doch viele Lyon-Fans waren insbesondere in den schlechten Phasen ihrer Mannschaft auf der Suche nach einem Sündenbock.
Dass Tousart in einer schlecht funktionierenden und verunsicherten Mannschaft Schwierigkeiten hatte, nach vorne zu arbeiten, ist eine Sache, die man kritisieren kann. Sich nur darauf zu fokussieren, wäre aber auch zu engstirnig. Gerade auf der defensiven Position im zentralen Mittelfeld sind die meisten Aspekte des Spiels unsichtbar. Ob das Positionsspiel, das Spiel gegen den Ball und die physische Präsenz: diese Aspekte sind schwieriger für Fans zu erkennen als eine schlechte Ballannahme oder misslungene Dribblings.
Auch Idèr gibt zu: „Alles ist nicht so schlecht, wie teilweise dargestellt. (…) Er könnte sich woanders zeigen, aber ich glaube er hat in Lyon eine Art „Plateau“ erreicht, da der theoretische Spielstil des Vereins nicht unbedingt zu seinen primären Stärken passt.“
„25 Millionen Euro? Ist er die hohe Ablöse wert?“
Wer sich über hohe Ablösesummen im aktuellen Fußball ärgert, wird viele Nerven verlieren. Tatsächlich steigen diese Summen immer weiter, und auch Hertha BSC ist da nicht isoliert zu betrachten. Betrachtet man den Marktwert von Lucas Tousart auf transfermarkt.de, kommt man auf rund 20 Millionen Euro.
Für einen 22-jährigen zentralen Mittelfeldspieler, der bereits jetzt viele Jahre Profifußball-Erfahrung hat, ist dies nicht unüblich. Insgesamt weist der junge Mittelfeldspieler 108 Spiele in der Ligue 1 (drei Tore, drei Vorlagen), 16 in der Europa League (Ein Treffer, eine Vorlage) und sogar 14 in der Champions League (Ein Treffer, eine Vorlage) auf. Um einen Vergleich bei Hertha BSC zu machen: Arne Maiers Marktwert auf transfermarkt.de beträgt ebenfalls 20 Millionen Euro. Seine Bilanz beträgt 44 Bundesligaspiele (keine Tore, eine Vorlage) und drei Internationale Partien (in der Europa League). Maier ist aber mit seinen 21 Jahren noch ein dreiviertel Jahr jünger.
Der genaue Kaufpreis ist beim Transfer von Tousart zu Hertha BSC nicht bekannt. Er soll aber um die 25 Millionen Euro betragen. Dass ein junger Spieler mit viel Potenzial über Marktwert verkauft wird, ist leider insbesondere im Wintertransfermarkt üblich. Als Hertha-Fan kann man sich darüber ärgern, als Lyon-Fan darüber freuen. Doch unverhältnismäßig hoch ist die Summe nicht, man kann sie mit einem Wort beschreiben: Marktüblich.
Jean-Michel Aulas, der Präsident von „OL“, ist dafür bekannt, seine jungen Spieler für sehr hohe Ablösesummen zu verkaufen. Er hat einen Ruf, besonders hartnäckig in Transferverhandlungen zu sein. Im letzten Sommer beispielsweise wechselte Tanguy Ndombélé von „OL“ zu Tottenham Hotspurs. Die Ablösesumme ging sogar bis etwa 60 Millionen Euro.
„Warum erst im Sommer? Hertha braucht ihn jetzt!“
Viele waren darüber überrascht, dass Lucas Tousart zwar bereits bei Hertha BSC unter Vertrag steht, allerdings erst im Sommer in der Hauptstadt zur Verfügung stehen wird. Für den Rest der Saison wird er weiter in Lyon als Leihspieler spielen. Dies hat zwei Gründe:
Der erste Grund ist, dass wie bereits angesprochen Jean-Michel Aulas gut verhandeln kann und Lyon Lucas Tousart für den Rest der Saison noch braucht. Seine Konkurrenz konnte bisher nicht überzeugen und auch der junge Maxence Caqueret weist mit seinen 19 Jahren noch nicht die gleiche Sicherheit auf. „OL“ wollte sich also nicht schon im Winter von Tousart trennen. Es ist also davon auszugehen, dass Hertha Tousart gar nicht erst bekommen hätte, hätte man der anschließenden Leihe für die Rückrunde nicht zugestimmt. Ein saurer Apfel, in den Preetz und co. wohl beißen mussten.
Doch auch für Hertha ergibt der Deal Sinn. Aktuell ist der Kader der Berliner sehr groß und die Unzufriedenheit mancher Spieler kommt immer mehr zum Vorschein. In dieser komplizierten Lage noch einen weiteren Spieler mit Stammelfansprüchen zu holen, würde noch mehr Unruhe schaffen. Im Sommer werden allerdings einige Spieler gehen, allen voran Marko Grujic, dessen Leihe bei Hertha BSC endet. Auch Per Skjelbred wird wohl den Haupstadtclub verlassen, sodass gleich zwei zentrale Mittelfeldspieler weniger im Kader stünden. Manager Michael Preetz sagte zum Deal: „Diese Verpflichtung ist ein Vorgriff auf den Sommer und ein Investment in die Zukunft von Hertha BSC“.
„Kommt Tousart als Ersatz für Arne Maier?“
Gerade als die Verpflichtung von Lucas Tousart offiziell wurde, äußerte sich Arne Maier in den Medien und forderte einen Wechsel. Ob es sich da tatsächlich um eine tiefe Unzufriedenheit handelt, eine Flucht vor Konkurrenzkampf oder um Gehaltsverhandlungen geht, ist den meisten Fans unklar.
Michael Preetz jedoch äußerte sich diese Woche deutlich dazu, dass die Verpflichtung von Lucas Tousart keineswegs regelmäßige Einsätze von Arne Maier gefährde. Im Gegenteil: der Franzose sei als Ersatz für den Abgang von Marko Grujic gedacht. Preetz bestätigte außerdem auch, dass Tousart und Maier unterschiedliche Spielertypen sind und nicht dieselbe Position auf dem Platz haben.
Tatsächlich hat Lucas Tousart eher eine defensive Rolle und Arne Maier eher eine strategische, offensivere Aufgabe. Der 22-Jährige Franzose kommt also gerade nicht als Ersatz für Arne Maier, sondern könnte ein gutes Pendant sein.
„Wie stark ist er überhaupt? Warum will ihn Hertha unbedingt?“
Unser Lyon-Experte Idès sagt zu den Stärken von Tousart: „Er ist ein körperlich starker Spieler, gut in den Zweikämpfen und mit einer guten Mentalität. (…) In den schwierigen Spielen, besonders auswärts, sind seine Power und seine Durchsetzungskraft unheimlich wertvoll.“
Auf seiner Position im defensiven Mittelfeld bringt Tousart also genau das mit, was überaus wichtig ist. Robustheit, Handlungsschnelligkeit und Spielintelligenz zeichnen ihn aus. Er ist ein Spieler, der eine Sache wie kaum einer in Lyon beherrscht: das Kämpfen. Auch wenn es nicht seine primäre Stärke ist, weiß er auch wo das Tor steht, trifft gerne auch aus der Distanz oder gibt Vorlagen. Sogar im Camp Nou gegen den FC Barcelona gelang ihm ein Treffer.
Dazu kommt seine Erfahrung. Wie bereits festgestellt, bringt der Franzose trotz seines jungen Alters große Routine mit. Durch diese vielen absolvierten Spiele wird er im Mittelfeld von Hertha BSC in einer jungen Mannschaft die nötige Ruhe und Gelassenheit einbringen. Auch seine Erfahrung in der Junioren-Nationalmannschaft könnte sehr wertvoll werden. Das langjährige Tragen der Kapitänsbinde zeigt, dass Verantwortung übernehmen kann und ein wahrer Charakter-Spieler ist. Bei den Blau-Weißen gibt es nicht allzu viele Führungsspieler und mit Skjelbred und Ibisevic könnten weiterer dieser Sorte im Sommer gehen. Tousart könnte diese Lücke füllen.
Für Idèr glänzt der U19-Europameister vor allem dann, wenn er gefordert wird: „Ich denke vor allem, dass er ein guter Spieler ist wenn er in einer Konkurrenzsituation gestellt wird. Sobald er in seiner Komfortzone ist, wie seit etwa zwei Jahren in Lyon, steigert er sich weniger.“ Komfortzonen gibt es in neuen Klubs nicht, egal wie teuer die Ablöse war. Tousart wird sich zwischen starken zentralen Mittelfeldspielern wiederfinden und sich seinen Platz erkämpfen müssen. Die Ausgangslage erscheint also perfekt, damit sich der Franzose auch spielerisch weiterentwickelt.
Was für den 22-Jährigen auch spricht, ist, dass er bisher jeden seiner Trainer überzeugen konnte. In den letzten Jahren musste er unter drei verschiedenen Trainern agieren, dazu die Übungsleiter in den Jugend-Nationalmannschaften und bekam immer seine Einsätze. Es ist eine Sache, wenn Fans und Beobachter von außerhalb über Spieler urteilen, eine ganz Andere wenn es seine Trainer sind, die deutlich näher dran stehen und die Qualitäten am besten beurteilen können.
Insgesamt können sich Hertha-Fans über einen kampfstarken und durchsetzungsfähigen Spieler freuen, der gerade im Konkurrenzkampf aufblüht, sich nicht aufgibt und mit seinen 22 Jahren noch viel Entwicklungspotenzial hat.
Wo wird er im Spielsystem von Hertha BSC spielen?
Mit seinen angesprochenen Schwächen und Qualitäten wird er vor allem eine Option im defensiveren Mittelfeld sein, bestenfalls als Sechser, notfalls auch als Achter. Der Franzose kann im System mit zwei Sechsern spielen, oder die Rolle als alleiniger defensiven Mittelfeldspieler übernehmen. Hertha spielte zuletzt immer wieder mit drei zentralen Spielern im Mittelfeld. Zwei mit einer eher defensiveren Rolle, einer eher offensiv. Genau dieses System kennt der U19-Europameister auswendig und würde sich da perfekt einordnen können. Als Schalter zwischen den sehr defensiven Santiago Ascacibar und einen offensiveren Arne Maier oder Vladimir Darida wäre er ähnlich wie Grujic sehr wertvoll.
Idèr sagt zum Mittelfeldmann weiter: „Er ist keineswegs ein schlechter Spieler, aber er würde sich sicherlich wohler und wichtiger in einer weniger dominanten Mannschaft fühlen. In der Liga muss „OL“ gegen 90 Prozent der Mannschaften das Spiel machen. Das ist nicht seine Stärke. Seine Power und seine Zweikampfstärke würden ihn aber in einer weniger spielerischen Mannschaft zum sehr guten Spieler machen.”
So sehr sich Hertha BSC ein attraktives Offensivspiel wünscht: um die spielerische Entwicklung voranzutreiben, braucht es die nötige Stabilität. Ansonsten ist die Gefahr groß, komplett zusammenzufallen, wie zu Beginn der Saison unter Ante Covic. Ohne das Fundament lässt sich kein Haus bauen. Genau dafür wird Lucas Tousart unglaublich wertvoll werden. Und auch darauf können sich die Hertha-Fans im Sommer bereits freuen.
Auch die Podcast-Riege von Hertha Base wünscht euch allen ein frohes neues Podcast-Jahr. In unserer ersten Folge in 2020 besprechen wir alle News, Transfers, Gerüchte und Spiele, die seit der Winterpause passiert sind. Ab jetzt wieder regelmäßig alle zwei Wochen. Viel Spaß beim Hören!
(Photo by Christian Marquardt/Bongarts/Getty Images)
Nein, es war kein schönes Spiel, welches sich am Samstagnachmittag in Wolfsburg zugetragen hatte. Doch hält man es mit der “alten Dame” aus Berlin, wird einem das “wie” aufgrund des Endergebnisses einigermaßen egal gewesen sein. Mit 2:1 haben die Blau-Weißen die Begegnung mit dem VfL Wolfsburg in nahezu letzter Minute für sich entschieden, sodass man nach den Niederlagen der Konkurrenz mit immerhin fünf Punkten auf den Relegationsrang etwas aufatmen kann. Es folgen Herthaner, die wir in den siegreichen 90 Minuten besonders beobachtet haben.
Maxi Mittelstädt – Chance genutzt?
Das Trainerteam wartete am Samstag mit einigen Überraschungen in der Startelf auf, so gab unter anderem Maximilian Mittelstädt nach knapp zwei Monaten sein Comeback in Herthas Anfangsformation. Mehr Dampf über die linke Seite versprach man sich von dieser Entscheidung, da Aushilfskapitän Marvin Plattenhardt diesem Anspruch zuletzt nicht genügte. Der Plan sollte aufgehen.
“Wir haben gespürt, dass Maxi dran war, weil er klasse trainiert hat in den letzten Wochen. Er war wirklich richtig frisch. Und so hat er auch gespielt. Er hat ein überragendes Spiel gemacht. Auf der linken Seite war richtig Leben drin”, war Jürgen Klinsmann gegenüber dem Berliner Kurier angesichts der Leistung Mittelstädts voll des Lobes. Mehr Zug nach vorne hatte im Vergleich zum Bayern-Spiel von den Außenverteidigern gebraucht und vor allem da war der Unterschied zwischen Plattenhardt und Mittelstädt zu erkennen. Herthas Eigengewächs war vor allem im ersten Durchgang der heimliche Spielmacher seiner Mannschaft – nahezu jeder Angriff wurde über ihn eingeleitet. Mittelstädt forderte die Bälle und stand im Vergleich zu Lukas Klünter auffällig hoch, um das Spiel anzukurbeln.
Auch die Zahlen belegen, welch großen Einfluss der 22-Jährige auf die Begegnungen genommen hatte: mit 85 Ballkontakten sammelte Mittelstädt mit Abstand die meisten bei Hertha, hinzu kommen drei Torschussvorlagen und ein direkter Assist. Diesen sammelte der Linksverteidiger beim 1:1-Ausgleichstreffer, den er per Ecke für Jordan Torunarigha aufgelegt hatte. Mittelstädt betrieb großen Aufwand, um ein ständiger Faktor zu sein: er lief die fünftgrößte Strecke aller Herthaner, verzeichnete die viertmeisten intensiven Läufe und niemand in blau-weiß zog so viele Sprints wie er an. Es war auffällig, wie oft Mittelstädt bis an den gegnerischen Strafraum oder in die Tiefe lief, um eine weitere Anspielstation zu bieten oder den Ballbesitz einfach nur etwas länger in der gegnerischen Hälfte halten zu können. Besonders im ersten Durchgang war der Druck immens, den Mittelstädt auf Wolfsburg ausübte. In der zweiten Hälfte flachte das Spiel des Außenverteidigers etwas ab, allerdings ohne aufkommende Nachlässigkeiten, denn auch defensiv überzeugte der Abwehrspieler: eine positive Zweikampfbilanz, neun Ballsicherungen, vier Tackles, zwei klärende Aktionen und drei abgefangene Bälle sprechen auch hier eine klare Sprache.
Eine insgesamt mehr als ordentliche Vorstellung Mittelstädts, der seine Startelfchance eindeutig genutzt hat und in dieser Form kaum wegzudenken ist. Der Konkurrenzkampf zwischen ihm und Plattenhardt geht also in die nächste Runde.
Ascacibar vs. Skjelbred – blau-weiße Doppelgänger?
Aufgrund des kurzfristigen Ausfalls von Vladimir Darida (erkältet) und dem Mangel an Alternativen hatte sich das Trainerteam dazu entschieden, Per Skjelbred gegen Wolfsburg starten zu lassen. Dieser hatte gegen den FC Bayern noch auf der Bank sitzen müssen, da Neuzugang Santiago Ascacibar ihm den Platz als alleiniger Sechser in Herthas System abgerungen hatte. Ohnehin war bei der Verpflichtung des Argentiniers klar, dass man ihn und den routinierten Norweger nur selten zusammen auf dem Platz sehen würde, teilen sich die beiden Mittelfeldzerstörer doch sehr viele Attribute. Doch wie hat es gegen Wolfsburg ausgesehen?
Nun, wirklich schockierende Ergebnisse kamen bei diesem Feldversuch nicht heraus. Tatsächlich mutet das Spiel von Ascacibar und Skjelbred recht identisch an, nur in Nuancen sind Unterschiede zu erkennen. Für das Spiel als solches war aber positiv festzuhalten, dass Hertha mit solch zwei akribischen Arbeitern im Mittelfeld ein würdiges Gegengewicht zu Wolfsburgs Schlager, Guilavogui und Arnold bildete. Sowohl Ascacibar als auch Skjelbred wiesen eine positive Zweikampfbilanz auf, hinzu kommen auch sonst ziemlich ähnliche Werte: Ascacibar fünf Ballsicherungen, Skjelbred drei; Ascacibar vier Tacklings, Skjelbred drei; ein zu eins klärende Aktionen. In der Laufdistanz lag der junge Argentinier rund einen halben Kilometer vor Herthas Nummer drei. Zwar betrieben beide großen Aufwand, um Wolfsburgs Mittelfeld in Schacht zu halten und in einigen Phasen des Spiels klappte dies auch gut, doch ist ihnen anzukreiden, dass der Sechserraum vor Herthas Sechszehner zu oft ungedeckt blieb, sodass Wolfsburg dort hineinstoßen konnte – so entstanden gefährliche Schussgelegenheiten für Arnold und Guilavogui. Vor allem Ascacibar steht in diesen Szenen noch zu tief und verteidigt mit im Strafraum als dass er den Rückraum deckt.
Wirkliche Unterschiede zwischen den beiden ließen sich im Spiel mit dem Ball ausmachen: Skjelbred war durchschnittlich höher als Ascacibar positioniert, sodass er zu mehr Szenen in der Wolfsburger Spielhälfte kam – so auch in der 90. Minute, als der 32-Jährige den Ball noch einmal nach vorne trug und ihn zu Marko Grujic spielte, der den Ball, welcher dann seinen Weg ins Tor fand, in den Strafraum legte. Unterm Strich fällt es schwer, große Unterschiede in dem Spiel von Ascacibar und Skjelbred auszumachen. Beide haben ihre Stärken im Spiel gegen den Ball, im Erobern von Bällen, im laufen, kämpfen und beißen – Skjelbred wirkt mit Ball am Fuß nur noch selbstverständlicher, was aufgrund seiner großen Erfahrung und dass er bereits so lange bei Hertha spielt, aber nicht wirklich verwundert. Gegen ein ebenso kampfstarkes Mittelfeld, wie die “Wölfe” es haben, hat es einen Mehrwert, beide spielen zu lassen – gegen andere Gegner würden sich aber ein etwas spielstärkeres Element empfehlen.
Alexander Esswein – wieder eine ernsthafte Alternative?
So oft war Alexander Esswein bereits abgeschrieben, manchmal vergisst man fast, dass der 29-Jährige noch Teil des Hertha-Kader ist. Bei seiner Einwechslung gegen Wolfsburg hat der schnelle Außenbahnspieler durchaus bewiesen, weshalb man ihn weiterhin auf der Rechnung haben sollte.
Es war die 76. Minute, in der wohl viele Hertha-Anhänger verdutzt auf die Anzeigetafel blickten: das Trainerteam nahm Javairo Dilrosun vom Feld und brachte dafür Esswein in die Partie. Untergangsfantasien, Galgenhumor und großes Unverständnis füllten die Social-Media-Plattformen – auch weil es Dilrosun war, der für Esswein gehen musste und nicht der insgesamt recht glücklos gebliebene Marius Wolf. Nein, das Trainterteam entschied sich für Dilrosun und das nüchtern betrachtet zurecht, denn was hatte der junge Niederländer gegen Wolfsburg wirklich zustande gebracht? Zwar zeigte in ein paar Dribblings, welch Potenzial in ihm schlummert, doch waren diese meist unter “brotlose Kunst” einzuordnen. Keine einzige Torschussvorlage und ein völlig verunglückter Abschluss machten einen insgesamt enttäuschenden Auftritt rund. Das große Potenzial Dilrosuns ist unbestritten, doch lieferte der 21-Jährige sowohl gegen den FC Bayern als auch gegen die “Wölfe” wenig Argumente dafür, dass man ihn jede Partie 90 Minuten lang machen lassen sollte.
Das Potenzial Essweins ist ungemein kleiner, doch schaffte er in rund 15 Minuten das, was Dilrosun zuvor nicht gelungen war: eine Torschussvorlage. Eingesetzt von Grujic sprintete er die linke Seite entlang und spielte einen punktgenauen Ball auf Dodi Lukebakio, der den Ball im Fallen aber nur noch auf Torhüter Koen Casteels brachte. Der Wille, seine Einsatzzeit vollends auszunutzen und sich dem Trainer für weitere Spiele zu empfehlen, war Esswein wirklich anzusehen. Er versuchte, sich in jeden Zweikampf zu werfen und noch irgendwie ein Faktor zu sein. Beinahe wäre es noch mit einer Torvorlage geworden. Blickt man völlig neutral auf seine Leistung, hat Esswein als Joker überzeugt. Ja, er mag wesentlich geradliniger und technisch limitierter als ein Dilrosun sein, aber – wie man es im Englischen gerne sagt – he gets the job done. Vielleicht sollte man Esswein doch noch nicht abschreiben, denn in dieser Form wird er auch noch ein paar weitere Male eingewechselt werden.
Der letzte Spieltag in der Bundesliga lief nicht gerade zugunsten von Hertha BSC. Eine 0:4-Heimniederlage gegen den FC Bayern München gepaart mit Siegen der Konkurrenten haben die Blau-Weißen wieder stärker in den Abstiegskampf versumpfen lassen. Doch bereits am Samstagnachmittag können die Berliner die Stimmungslage ändern. Dafür müssten die Spieler der „alten Dame“ den VfL Wolfsburg auswärts bezwingen. Keine leichte Aufgabe, auch wenn die „Wölfe“ zuletzt in Köln mit 1:3 untergingen.
Wie üblich wurden wir für diesen Vorbericht durch einen Wolfsburg-Experten unterstützt. Dennis Lindner (auf Twitter @WobTikal) stand uns dieses Mal zur Seite und gab uns viele nützliche Informationen über den Gastgeber.
„Nicht euphorisch, aber ruhig bis gut“
Wie diese Saison beim VfL Wolfsburg läuft, beschreibt uns Dennis wie folgt: „Der Start in die Saison war stark, das Team wirkte nicht übermäßig offensiv, aber sehr stabil. Mit dem Ausscheiden aus dem Pokal und dem krachenden Ende der Phase, in der man in allen Wettbewerben unbesiegt war, endete auch die Stabili- und Souveränität. Erst mit dem letzten Europapokalspiel der Gruppenphase und dem damit verbundenen Wechsel zurück zur Viererkette und der Rückkehr von Xaver Schlager hatte man wieder ein besseres Gefühl, die Spielweise war deutlich besser, nur die Ergebnisse haben ein wenig gefehlt.“ Die Stimmung in Wolfsburg vor der Winterpause war also: „Nicht euphorisch, aber ruhig bis gut.“
Der Start in der Rückrunde verlief dann umso enttäuschender. Dennis beschreibt die Niederlage in Köln: „Vorne Pech und hinten Dumm. Oder umgekehrt. Man hat sich sehr, sehr naiv angestellt, nachdem man vorne die frühen Chancen nicht genutzt und dann keine wirklichen Mittel mehr gefunden hat. Das Kölner Pressing hätte uns eigentlich keine Angst machen dürfen, aber es hat sehr gut funktioniert, unsere Abwehrspieler standen ständig unter Druck und haben dabei viele Fehler gemacht.“
Keine Ausnahme ist da der Ex-Herthaner John-Anthony Brooks: „Dass ein Spieler wie Brooks mit Cordoba solche Probleme hat, ist schon eher peinlich.“ Dennis spricht von „individuellen Fehlern“, insbesondere beim 0:2, das aus seiner Sicht „unfassbar unnötig und vor allem dumm war“.
Wie wird Wolfsburg am Samstag auftreten?
Der Frust sitzt beim Tabellenneunten also noch tief nach der Niederlage in Köln – schließlich war sie die sechste in den letzten neun Ligaspielen. Trotzdem kann unser Experte auch Stärken seines Teams benennen: „Das Zentrum im Mittelfeld ist unser absolutes Prunkstück. In Normalform sind Guilavogui, Arnold und Schlager keine Gegner, die man haben möchte. Drei sehr starke Mittelfeldspieler, die ihre Aufgaben gut aufgeteilt haben, laufstark und kreativ sind. Sein könnten. Sollten.“
Auch im Offensivspiel läuft noch nicht alles glatt. Eine Schwäche des VfLs ist laut Dennis auch: „(…) das Generieren von Chancen aus dem Spiel. Wir haben eigentlich die Leute dafür, aber irgendwie hakt es immer. Auch gegen Köln hat man gesehen, dass mehr als einmal eine gute Idee daran scheiterte, dass nur einer sie hatte.“
Gerade in der Offensive könnte es laut Dennis auch eine Rotation geben. „Statt Ginczek und Brekalo stehen da mit Mehmedi, Steffen und mit Abstrichen Klaus zur Verfügung, die jeweils die Statik der Offensive noch mal deutlich ändern würden.“
Weghorst und Selke – Wer trifft zuerst in 2020?
Deutlich positiver schreibt Dennis über den Stoßstürmer unserer Gastgeber, Wout Weghorst. Dabei blieb der beste Torschütze der „Wölfe“ in Köln torlos. Die Schuld daran sieht Dennis jedoch woanders: „Er (Weghorst) ist ein bisschen allein da vorne. Unsere Flügelspieler sind nach wie vor keine, vor denen man Angst hat, einzig Brekalo strahlt da ein bisschen Gefahr aus. Der hat aber auch eine erschreckend schlechte Entscheidungsfindung, aktuell. Wäre es ein Playstation-Spiel, dann würde man bei seinem Controller Schuss- und Passtaste einfach austauschen, man würde auf der Stelle seine Stärke verdoppeln.“
Dass Weghorst zuletzt auch Großchancen liegen ließ, beunruhigt Dennis nicht: „Wird (…) wieder. Als Typ und Spieler ist er völlig unangefochten da vorne, das wird er auch bleiben. Und er wird auch wieder treffen, gerade mit der Unterstützung von Ginczek, der endlich wieder komplett fit ist, wird das nicht lange dauern.“
Auch bei Hertha gibt es aktuell einen Stürmer, der zwar viel arbeitet und durchaus als torgefährlich gilt, der aber kein Erfolg im Abschluss hat. Davie Selke braucht dringend einen Erfolgserlebnis, und Hertha braucht dringend wieder Stürmertore. Mehr zu der Situation des 25-Jährigen gibt es in unserer Einzelkritik zum letzten Spiel zu lesen.
Auch in Wolfsburg wundert man sich darüber, dass Konkurrent Vedad Ibisevic nicht Stürmer Nummer eins ist: „Warum in der Mitte Selke statt Ibisevic spielt, verstehe ich nicht ganz, auch wenn ich Selke als Spieler auch ganz gut finde.“ Möglicherweise ist bereits am Samstag eine Umstellung im Hertha-Sturm zu erwarten. Dodi Lukebakio könnte in die Sturmspitze wechseln, der momentan beste Torschütze der „alten Dame“ (vier Treffer). Für Ihn könnte dann Marius Wolf auf der rechten Außenbahn seine Chance bekommen.
Egal wer am Ende für Hertha stürmt: Inspiration müsste dieser Spieler genug haben. Sowohl der Cheftrainer als auch der Manager waren in ihrer Zeit erfolgreiche Torjäger.
Zeigen sich die Ergebnisse der Wintervorbereitung?
Wie also muss Hertha BSC auftreten, um gegen den VfL Wolfsburg den ersten Sieg der Rückrunde zu holen? Gegen den FC Bayern wollte Hertha eigentlich kompakt stehen und mit hohem Aufwand den Spielaufbau der Gäste stören. Doch die Blau-Weißen liefen insgesamt vier Kilometer weniger als der Gegner. Die zweite Halbzeit offenbarte die Schwächen und Verunsicherung der „alten Dame“, man hatte den Eindruck, dass den Spielern neben dem Mut auch die gewisse Spritzigkeit fehlte.
Dabei wurde ja in der Winterpause genau daran gearbeitet. Die Mannschaft sollte fit in die Rückrunde starten, und Woche für Woche „frischer“ wirken. Im ersten Rückrundenspiel zeigten sich die Ergebnisse der Vorbereitung jedoch noch nicht. Die Laufstärke wird auch am kommenden Wochenende ein wichtiger Aspekt sein. Dennis teilte nämlich mit uns seine „goldene Regel“ beim VfL Wolfsburg: „Rennt der VfL deutlich mehr als sein Gegner, dann gewinnt er“.
Hertha ist also gewarnt: die Mannschaft muss deutlich mehr laufen als noch im letzten Heimspiel. Dabei helfen wird auch Neuzugang Santiago Ascacibar, der gegen den FC Bayern mit 12,58 Kilometer den besten Laufwert hatte.
Ohne Boyata nach Wolfsburg – Stark zurück in der Startelf?
Am Samstag wird die Elf von Jürgen Klinsmann jedenfalls auf Dedryck Boyata verzichten müssen. Der neue Abwehrchef holte sich im letzten Spiel die fünfte gelbe Karte ab. Für ihn könnte Niklas Stark zurück in die Startelf rotieren, wie es der Cheftrainer in der heutigen Pressekonferenz andeutete. Auch Jordan Torunarigha könnte erneut eingesetzt werden, nachdem er sich gegen den FC Bayern auffällig stark präsentiert hatte. Karim Rekik ist ebenfalls wieder fit und damit auch eine Option.
Gerade die Abwehr wird gegen den VfL wichtig werden, da Hertha auf der Suche nach der Kompaktheit im Abstiegskampf ist. Sollte der Knoten bei Davie Selke dann auch endlich platzen, und Hertha in Führung gehen, wäre ein Riesenschritt getan. Wie uns Dennis verrät, ist der VfL Wolfsburg “nach Rückständen irre schwach, dieses Jahr. Da wurde noch nichts geholt.“
Unser Wolfsburg-Experte erwartet am Samstag eher kein Fußballfest: „Es wird kein besonders schönes Spiel. Ich vermute, dass wir unser Heimspiel nutzen werden und knapp und mit ach und krach 2:1 gewinnen werden“. Dabei hatten es die letzten Begegnungen beider Teams in Wolfsburg in sich. Ein 2:2 und ein 3:3 gab es zuletzt, davor im Jahr 2016 sogar ein 2:3 Auswärtssieg von Hertha BSC. So viele Tore sind am Samstagnachmittag wohl nicht zu erwarten. Doch Hertha braucht dringend wieder ein Sieg, um sich im Abstiegskampf mehr Ruhe zu verschaffen.
Es wurde um Hertha BSC in dieser Winterpause sehr viel geredet, sehr viel geschrieben und sehr viel spekuliert. Jetzt heißt es endlich wieder Bundesliga-Alltag. Am Sonntag um 15.30 Uhr ist im ersten Pflichtspiel des Jahres der FC Bayern München im Olympiastadion zu Gast. Keine Zeit also, sich gegen vermeintlich „schwächere“ Gegner warm zu schießen. Die „alte Dame“ muss sich direkt gegen den Rekordmeister beweisen. Kann Hertha dabei erneut für ein Wunder sorgen, und sich als Bayern-Angstgegner etablieren?
Für unseren ersten Vorbericht im Jahr 2020 haben wir uns wieder Unterstützung geholt. Dieses Mal teilt Celine (@Zeilenfieber auf Twitter) ihr Wissen mit uns. Sie ist nicht nur FC Bayern-Expertin, sondern schreibt auch für goal.com über nationalen und internationalen Fußball. Dank ihr bekamen wir einen besseren Eindruck über die aktuelle Lage bei unseren Gästen.
Mit Hansi Flick doch noch zur Meisterschaft?
Allzu viel müssen wir über die Hinrunde unseres Gegners nicht sagen: kein Verein ist in Deutschland mehr im Fokus als der FC Bayern. „Nur“ Platz drei nach 17 Spieltagen und ein spannendes Meisterschaftsrennen, dazu eine Trainerentlassung. Was für den FC Bayern nicht optimal lief, war für viele Fußballliebhaber in Deutschland eine positive Entwicklung. Durch die (zwischenzeitliche) Bayern-Krise ist es im Meisterschaftsrennen deutlich spannender, als in den Jahren zuvor.
Unter der Führung des neuen Trainers “Hansi” Flick gab es bislang nur zwei Niederlagen – gegen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach. Ansonsten wurden alle Spiele gewonnen. Was für eine Rolle der neue Trainer dabei spielt, erklärt uns Celine: „Flick hat dem Team in erster Linie neues Leben eingehaucht und setzt insgesamt auf eine kompaktere Ausrichtung als Kovac. Die größte Veränderung ist aber das hohe Pressing, das den Gegner zu Fehlern zwingen soll. Dadurch verkürzen sich zudem auch die Wege zum gegnerischen Tor.“
Die – für Bayern-Verhältnisse – schwierige Hinrunde sorgte dafür, dass nicht die Münchener, sondern Red Bull Leipzig die Hinrunde auf Platz eins beendete. Doch für unsere Bayern-Expertin wird es trotzdem am Ende für eine erneute Titelverteidigung reichen: „Bayern ist diese Saison zwar nicht der Favorit, aber ich glaube, dass Gladbach die Leistungen aus der Hinrunde nicht bestätigen kann und dass Leipzig die fehlende Erfahrung im Kader zum Verhängnis wird.“
Viele Misserfolge darf es allerdings nicht geben, sodass auch der Rekordmeister am Sonntag alles daran setzen wird, die drei Punkte mitzunehmen. Laut Celine ist „Bayern für gewöhnlich auf den Punkt zur Stelle, wenn Ergebnisse gefordert sind.“
Lewandowski wieder fit – Kimmich gesperrt
Dabei werden die Gäste, die ihre Vorbereitung in Katar absolvierten, ohne Stars wie Kingsley Coman, Lucas Hernandez, Niklas Süle oder Javi Martinez auskommen müssen. Auch auf Joshua Kimmich müssen sie verzichten, der 24-Jährige ist gelb gesperrt.
Doch auch ohne die genannten Spieler ist der FC Bayern wesentlich besser aufgestellt als die Hauptstädter. Robert Lewandowski wird wohl bis Sonntag gerade so noch fit werden. In welcher Verfassung der aktuelle Topscorer der Bundesliga (19 Tore) sein wird, ist allerdings noch nicht klar. Doch Celine verrät uns: „Angesichts der angespannten Personalsituation bleibt Flick eigentlich keine andere Möglichkeit, als Lewandowski aufzustellen.“
Sollte dieser nicht fit genug für 90 Minuten sein, hat Bayern zwar keinen gleichwertigen Ersatz parat, jedoch mehrere Alternativen. „Vor dem Trainingslager wäre wohl die B-Lösung gewesen, Gnabry von außen in die Mitte zu versetzen. Nun ist Zirkzee die erste Alternative, der sich mit zwei Toren bereits vor der Winterpause gezeigt hat“, sagt unsere Bayern-Expertin.
Eines ist sicher: selbst angeschlagen und mit den genannten Problemen wird der FC Bayern am Sonntag eine Herkules-Aufgabe für die Blau-Weißen sein.
Große Sprüche, Transfergerüchte und abgelaufene Trainerlizenz
Doch gerade um diese Aufgabe zu bewältigen, haben die Berliner ihre Vorbereitung früher und intensiver begonnen, als ursprünglich geplant. Dabei wurde die Wintervorbereitung nicht nur für die Profis unter Jürgen Klinsmann anstrengend. Auch die Nerven der Hertha-Fans wurden auf die Probe gesetzt, da es rund um Hertha in den Medien viel Unruhe gab.
Ob höchst kritische Bewertungen von Herthas Entwicklung unter dem Einfluss von Lars Windhorst, große Sprüche von „Performance Manager“ Arne Friedrich oder von Cheftrainer Jürgen Klinsmann oder verrückte Transfergerüchte: es gab für Journalisten viel zu schreiben. Nicht zuletzt auch über die kuriose Situation rund um Klinsmanns abgelaufene Trainer-Lizenz. Diese für Hertha-Verhältnisse unverhältnismäßig hohe mediale Aufmerksamkeit mag für Manager Michael Preetz ein „gutes Zeichen“ sein, für den einen oder anderen Hertha-Fan war es sicherlich eine anstrengende Zeit.
Umso glücklicher wird man also sein, dass es ab Sonntag in Berlin wieder um Fußball geht (zumindest für 90 Minuten). Dabei wurde die Mannschaft in der Vorbereitung auch personell verändert. Die Leihen von Eduard Löwen (zum FC Augsburg) und von Ondrej Duda (Norwich City) sowie die Ankunft von Neu-Herthaner Santiago Ascacíbar sind dabei die wohl wichtigsten Änderungen. Auch die Aussortierung von Salomon Kalou sorgte für Gesprächsstoff.
Wie kann Hertha erneut Bayern schlagen?
Umso wichtiger wäre es also am Sonntag für neue, positive Schlagzeilen zu sorgen. Wie man das gegen den amtierenden Meister anstellt, hat Hertha bereits in den letzten Jahren bewiesen. In der Liga ist man Zuhause seit 2016 gegen die Bayern ungeschlagen, in der letzten Partie im Olympiastadion im DFB-Pokal schafften es die Blau-Weißen bis in die Verlängerung und musste sich schließlich knapp mit 2:3 geschlagen geben.
Doch welche Schwächen müsste Hertha ausnutzen, um Bayern am Sonntag zu schlagen? Celine antwortet: „Ich würde sagen, die größte Schwäche liegt darin, dass Bayern noch zu wenig aus den Möglichkeiten macht. Außerdem müssen bei Kontern die Lücken geschlossen werden, die durch die rausschiebenden Außenverteidiger entstehen.“
Für Celine gibt es also vor allem einen Weg, um gegen die Münchener zu bestehen: „Auch bei der größten Überlegenheit der Bayern nicht aufgeben, sondern weiterspielen und an sich selbst glauben. Siehe die Spiele gegen Leverkusen und Gladbach in der Hinrunde.“ In den genannten Spielen war zwar die Elf aus München haushoch überlegen, verlor aber am Ende trotzdem.
„Keine großen Überraschungen“
Große Überraschungen wird es, wie von Cheftrainer Jürgen Klinsmann während der Vorbereitung angedeutet, nicht geben. Die Startelf scheint bereits fest zu stehen. Die Abwehr wird wohl genauso aussehen wie im letzten Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, mit dem wiedergenesenen Marvin Plattenhardt und Lukas Klünter als Außenverteidiger.
In der Mitte sind Karim Rekik und Dedryck Boyata erstmal gesetzt. Insbesondere für Boyata gab es von Jürgen Klinsmann in der Pressekonferenz am Freitagnachmittag viel Lob. Der Cheftrainer sieht im Belgier „einen der besten Innenverteidiger Europas“. Für Niklas Stark und Jordan Torunarigha bedeutet diese Rangordnung also erneut nur einen Platz auf der Bank.
Gleiches gilt für Kapitän Vedad Ibisevic und Leihspieler Marius Wolf, denn auch im Sturm scheint alles klar zu sein. Davie Selke, Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio werden auch gegen den FC Bayern starten. Die einzige offene Frage ist, ob Neuzugang Santiago Ascacíbar sofort in die Startelf einrückt. Er könnte die einzige Änderung in der Startelf darstellen, und würde für Per Skjelbred reinrotieren. Neben ihm sind wohl Vladimir Darida und Marco Grujic zunächst einmal gesetzt. Arne Maier ist hingegen noch nicht bei 100 Prozent und wird erst in den nächsten Wochen wieder eine Rolle spielen.
Hoffnung auf das nächste Wunder
Unsere Bayern-Expertin wird wohl am Sonntag ungerne Dodi Lukebakio in der gegnerischen Startelf sehen: „Bayern scheint für Lukebakio inzwischen sowas wie ein Lieblingsgegner zu sein. Er hat damals beim 3:3 von Düsseldorf und dem 2:2 der Hertha in der Hinrunde bewiesen, dass er Bayern gefährlich werden kann.“ Trotzdem bleibt Celine optimistisch und tippt auf ein 2:1-Auswärtssieg für die Münchener. Dagegen hat man als Hertha-Fan natürlich noch frische Erinnerungen am 2:0-Erfolg in der letzten Saison. Eigentlich ein Wunder, auch wenn der Sieg aus Berliner Sicht verdient war.
Ob dieses Mal Dodi Lukebakio seinen Status als Bayern-Schreck bestätigt oder der FC Bayern in der letzten Minute einer siebenminütigen Nachspielzeit den Ausgleich erzielt: ein Punktgewinn wäre für die „alte Dame“ durchaus wichtig. Dabei würde man die im vergangenen Jahr gestartete Serie ohne Niederlage weiterführen und die mannigfaltige Berichterstattung wieder aufs Sportliche lenken – denn “wichtig ist auf’m Platz”.
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