Maximilian Mittelstädt – das uneingelöste Versprechen

von Jun 7, 2023

„Der Berliner Junge bleibt: Maxi Mittelstädt verlängert!“. Diese Überschrift zierte den Text zur Verlängerung von Herthas Eigengewächs am 18. Januar 2023. Exakt 141 Tage später verlässt der Linksverteidiger seinen Jugendklub Hertha BSC, um für die kommende Saison beim Erstligisten VfB Stuttgart anzuheuern. Unser Text zum Abschied von Maximilian Mittelstädt.

Die ersten Schritte im Hertha-Trikot

Im Sommer 2012 wechselt der in Berlin geborene Mittelstädt als 15-jähriger von Hertha 03 Zehlendorf zur „großen“ Hertha in die Jugend. Zweieinhalb Jahre später ist er zum ersten im Profikader dabei, bleibt jedoch zunächst ohne Einsatz. Zu Beginn der Saison 2015/16 folgten weitere Berufungen, ehe er am 2. März 2016 gegen Eintracht Frankfurt in der 90. Minute für Salomon Kalou eingewechselt wird und sein Profidebüt feiern darf. Zum Ende der Saison folgen zwei weitere Einsätze, jeweils direkt über 90 Minuten. Einmal gegen den FC Bayern München und am vorletzten Spieltag gegen Darmstadt, wo der Linksverteidiger seine erste Vorlage beisteuert, die 1:2-Niederlage jedoch nicht verhindern kann.

(Photo by Jörg Schüler/Getty Images for DFB)

Bereits damals hieß der Konkurrent auf seiner Position Marvin Plattenhardt. Dieser war 2014 von Nürnberg zu Hertha gewechselt und mit 23 Jahren schon ein etablierter Bundesligaspieler. Zusammen mit dem 19-jährigen Mittelstädt war Hertha herausragend für die nächsten Jahre aufgestellt: zwei deutsche, junge Außenverteidiger, die noch viel Entwicklungspotential aufwiesen und sich gegenseitig hochpushen sollten. Unter Trainer Pal Dardai fand genau diese Entwicklung statt und gipfelte 2018 in der Berufung von Plattenhardt in den WM-Kader von Jogi Löw.

Von Fortschritt zu Stillstand

In der Saison 2016/17 kam Plattenhardt auf 2.820 Minuten, Mittelstädt auf 1.028. Ein Jahr später waren es fast 3.500 Minuten für Plattenhardt und 1.153 Minuten für Mittelstädt. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass jeweils etwa 450 Minuten von Mittelstädts Einsatzzeit in der Regionalliga erfolgten, für einen nicht mal 20-jährigen Herausforderer allerdings nicht ungewöhnlich. Ab der Folgesaison gleichen sich die beiden Kontrahenten allerdings zunehmend an. Gerade einmal gut 100 Minuten war der erfahrenere Plattenhardt vorm Berliner Eigengewächs. Mittelstädt stand dabei in 25 Bundesligapartien auf dem Platz, Plattenhardt „nur“ 22. In der letzten Saison von Pal Dardais erster und bisher längster Amtszeit schien es, als sollte sich der Youngster langsam durchsetzen.

Mit der Demission Dardais und dem Einstieg von Lars Windhorst folgten viele Jahre Chaos beim Klub aus dem Berliner Westend. Inklusive der Einstellung von Ante Covic bis zur zweiten Rückkehrs Dardai zum Ende der abgelaufenen Saison fanden sage und schreibe neun Trainerwechsel an der Seitenlinie statt – und das in vier Jahren. Dies spiegelte sich auch auf Herthas linker Abwehrseite wider: während Mittelstädt in den Saison 2019/20 und 2020/21 jeweils mehr Minuten als Plattenhardt sammelte, dreht sich das Blatt in den letzten beiden Jahren wieder in Richtung des WM-Fahrers von 2018. Spätestens durch die Beförderung Plattenhardts zum Kapitän im letzten Sommer verfestigte sich der Status endgültig: Während der Torschütze vom Relegationsrückspiel über 2.500 Minuten absolvieren durfte – so viele wie seit der Saison 2017/18 nicht mehr (!) – sammelte das Eigengewächs Mittelstädt lediglich 841 Minuten. Weniger hatte er zuletzt ebenfalls 2017/18, damals kamen jedoch besagte Regionalliga-Spiele noch dazu. Das Auf und Ab, sowohl in sportlicher Hinsicht als auch neben dem Platz bei Hertha BSC, hatte seinen Tribut gezollt. Aus den zwei verheißungsvollen jungen Linksverteidigern waren zwei Profis geworden, die sich gegenseitig klein hielten anstatt sich aufzubauen und die so beide in ihrer Entwicklung stagnierten.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Hertha ist plötzlich blank

Daneben hatte dieser Zweikampf, der durch keinen der sportlich Verantwortlichen in Form eines Verkaufs aufgelöst wurde, verheerende Folgen für die Zukunft. Im Sommer 2021 verabschiedete sich mit Luca Netz der zweifache Gewinner der Fritz-Walter-Medaille aufgrund fehlender Perspektive in Richtung Borussia Mönchengladbach. In diesem Jahr folgte mit Lukas Ullrich der nächste verheißungsvolle Linksverteidiger in die gleiche Richtung. Da der Vertrag von Plattenhardt zudem ausläuft, dürfte Hertha BSC fest mit Mittelstädt als Führungsspieler und Stütze für die Mission Wiederaufstieg geplant haben. Mit dem etwas überraschend kommenden Abgang steht Hertha auf einmal Stand jetzt ohne Linksverteidiger da, eine undankbare Aufgabe für Manager Benny Weber.

Möglich macht dies eine Ausstiegsklausel, die aufgrund des Abstiegs auf etwa 500.000 – 800.000 Euro kolportiert wird und somit über eine Million niedriger als der derzeitige Marktwert (laut Transfermakt.de) liegt. Verhandelt wurde dies Klausel im Rahmen der groß zelebrierten Verlängerung Mittelstädts zum Beginn dieses Jahres, die unter anderem in Form eines 15-minütigen Interviews auf den vereinseigenen Kanälen gewürdigt wurde. „Ich muss nicht betonen, welchen Stellenwert Hertha BSC in meinem Leben besitzt“, ließ der Berliner zu diesem Zeitpunkt noch verlauten. Gut vier Monate später scheint der Stellenwert gesunken zu sein.

Ein leeres Bekenntnis

Groß verübeln kann man ihm das aus sportlicher Sicht nicht. Er kommt mit mittlerweile 26 Jahren langsam ins „beste Fußballalter“ und sollte den Anspruch haben, als Stammspieler gesetzt zu sein. Zudem kann ein Tapetenwechsel durchaus helfen, noch einmal einen kleinen Entwicklungssprung zu machen. Darüber hinaus dürfte die Bundesliga deutlich spannender sein, als mit Hertha in Zukunft nach Wiesbaden und Fürth zu fahren.

Hertha

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Auf der anderen Seite dürfte Mittelstädt nach dem Auslaufen des Vertrages von Plattenhardt in diesem Sommer als absolute Nummer eins auf seiner Position eingeplant gewesen sein. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass er ausgerechnet in dem Moment, in dem sein ärgster Konkurrent den Verein verlassen soll, selbst geht. Für die meisten Fans nach dem Lippenbekenntnis im Winter sicher eine große Enttäuschung, die auch durchaus ihre Berechtigung hat. Die Fußballromantiker unter ihnen hatte möglicherweise auf eine „One-Club-Man“ Karriere bei Mittelstädt gehofft – etwas, das heutzutage im Fußball quasi nicht mehr existiert.

Neue Baustellen – auf und neben dem Platz

Wie sehr der Abgang sportlich wiegt, lässt sich nur schwer beantworten. Zum einen bringt Mittelstädt viele Qualitäten mit, die ein moderner Außenverteidiger heutzutage aufweisen muss: aktives Verteidigen, Dynamik, eine gewisse Dribbelstärke und Offensivgefahr. Daneben ist das Niveau in der zweiten Liga durchaus niedriger als in der Bundesliga, Mittelstädt wäre höchstwahrscheinlich ein überdurchschnittlicher Spieler in der nächsten Saison gewesen.

Auf der anderen Seite konnte er sich in den letzten Jahren nie gegen den stark abbauenden Plattenhardt durchsetzen, auch wenn es aufgrund der Kapitänsbinde hier sicher nicht nur sportliche Gründe dafür gab. Daneben hat Mittelstädt in 145 Bundesligaspielen zwei Tore und 15 Vorlagen beigesteuert – kein überragender Wert. Natürlich muss der sportliche Kontext Herthas mit betrachtet werden. Sportlich unersetzbar scheint der Neu-Stuttgarter allerdings auch nicht zu sein. Schwerer wiegen dürfte eher der Verlust eines Eigengewächses, das sicher auch als Ansprechpartner und Mentor aus der eigenen Akademie für die neue Generation Hertha-Spieler rund um Scherhant, Maza, Klemens und co. gedacht war. Diese Rolle werden nun die selbst noch nicht komplett im Profifußball angekommenen Jessic Ngankam und Marton Dardai übernehmen müssen. Ob ersterer bleibt, ist derzeit dabei ebenfalls noch nicht ganz sicher.

Hertha

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Klar ist, Hertha verliert eine große Identifikationsfigur. Nach der langfristigen Verlängerung während der Winterpause ist das in dieser Hinsicht umso schmerzhafter. Die Enttäuschung, Wut oder Trauer vieler Fans ist daher gut nachvollziehbar. Zudem muss Hertha nun entweder ungeplant doch noch einmal mit dem eigentlich ausrangierten Plattenhardt verlängern oder eventuell sogar zwei neue Linksverteidiger finden, da U19-Spieler Eliyas Strasner wahrscheinlich noch nicht als Nummer zwei eingeplant werden kann. In Hinblick auf Herthas aktuelle Finanzlage keine dankbare Aufgabe. Gleichzeitig ist es eine Chance, nach Jahren des Stillstands sich auf der Position des Linksverteidigers endlich weiterzuentwickeln und so den Wiederaufstieg in den Angriff zu nehmen – womöglich ein Gleichnis für den Rest des Kaders und Teile des Vereins.

[Titelbild: Photo by Maja Hitij/Getty Images}

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Benedict Puls

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