Eine Hertha – Zwei Meinungen: Das Zwischenzeugnis für Fredi Bobic

Eine Hertha – Zwei Meinungen: Das Zwischenzeugnis für Fredi Bobic

In dieser neuen Rubrik werden wir in Zukunft regelmäßig Themen beleuchten, bei denen es kein Schwarz oder Weiß gibt. Dazu wird immer ein Redakteur die Pro-Seite und ein anderer die Contra-Seite vertreten. Den Anfang machen wir mit einer vorläufigen Analyse von Fredi Bobics Arbeit. Anhand von drei Thesen bewerten wir das bisherige Wirken des neuen starken Mannes bei Hertha, wobei Alex die Rolle des „Anklägers“ und Johannes die des „Verteidigers“ einnimmt.

Anklagepunkt 1: Der Kader wurde im Sommer massiv verschlechtert

Als die Verpflichtung Fredi Bobics bekanntgegeben wurde, war die Hoffnung groß, dass seine internationalen Kontakte zukünftig Spieler des Kalibers Haller, Jovic und Rebic hervorbringen würden. Nach den ersten zwei Transferphasen ist man davon meilenweit entfernt. Statt die Schwachstellen des Kaders auszumerzen, wurden in Matheus Cunha und Jhon Córdoba die beiden mit Abstand gefährlichsten Offensivakteure der Vorsaison veräußert. Die dadurch generierten Einnahmen machen den sportlichen Verlust nicht wett. Dass man darüber hinaus auch noch Javairo Dilrôsun und Dodi Lukebakio per Leihe (also ohne satten Transfererlös) abgab, erschließt sich beim besten Willen nicht.

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(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Klar darf man zu beiden Spielern geteilter Meinung sein, aber hier wurde ohne Not eine Lücke auf den offensiven Flügeln geschaffen, die zu Saisonbeginn dafür sorgte, dass Dennis Jastrzembski, der im Vorjahr noch in der 3. Liga spielte, aushelfen musste. Wo in der Saison 20/21 noch Córdoba knipste, ging man aufgrund der Verletzung Piąteks zunächst mit Davie Selke, dessen Torgefahr vor Jahren auf der Strecke geblieben ist, als Stürmer Nummer eins in die Saison. Zwar wurden die Lücken in Person von Ishak Belfodil und Stevan Jovetić noch geschlossen. Besonders Letzterer kann aber in dieser Saison nur als Teilzeitkraft eingeplant werden – verpasste bereits acht Spiele verletzungsbedingt. Auch das seit Jahren klaffende Qualitätsproblem auf den Außenverteidigerpositionen wurde nicht behoben. Unter dem Strich bleibt damit ein Kader, der im Vergleich zum Vorjahr deutlich an Qualität verloren hat – was fatal ist, wenn man bedenkt, dass man mit ebenjenem Kader beinahe abgestiegen wäre – und der sich nun erneut in einem viel zu großen Umbruch befindet.

Einer Mannschaft, der zuvor bereits eine Achse gefehlt hat, um die elementaren Leistungsträger zu berauben, in der Hoffnung, dies mit „Mentalität“ wettmachen zu können, zeugt von Naivität. In Frankfurt wurde er zwar mit einem Team, das gespickt war von diesem Typus, Pokalsieger. Allerdings war ein Kevin Prince-Boateng zu diesem Zeitpunkt auch noch schlappe vier Jahre jünger und in der Blüte seines Schaffens, während er aktuell – nun ja…

Entlastungsargument: Bobic hat den Kader mit Bedacht verändert und auf Langfristigkeit ausgerichtet

Als Fredi Bobic bei Hertha BSC unterschrieben hat, war ihm die finanzielle Lage des Vereins nicht bekannt. So viel wissen wir mittlerweile. Es wäre durchaus möglich gewesen, bei stabileren Finanzen Spieler größeren Kalibers zu verpflichten. Somit war Fredi Bobic gezwungen, Gelder einzunehmen und musste zusätzlich den Kader nach der Mentalität ordnen. Es ergab absolut Sinn, sich von Spielern wie Matheus Cunha und Jhon Córdoba zu trennen, deren Qualität weit über dem Durchschnitt des Kaders lag und deren Ziele andere waren, als die der Hertha, weshalb man sich gerade im persönlichen Bereich bereits auseinandergelebt hatte. Ebenfalls mangelte es Dodi Lukabakio erheblich an Motivation und Javairo Dilrôsun konnte sein Talent nur selten und niemals konstant für Hertha abrufen.

Mit Cunha und Córdoba verließen Hertha im Sommer die zwei Top-Scorer der Vorsaison. (SOEREN STACHE/POOL/AFP via Getty Images)

Jessic Ngankam brauchte Spielpraxis, welche er bei Fürth ohne seinen Kreuzbandriss ohne Zweifel bekommen hätte. Auch in Hinblick auf die Konkurrenz im Sturm bei Hertha, wo im Sommer mit Stevan Jovetic, Ishak Belfodil, Krzystof Piątek und Davie Selke vier Stürmer in der Hierarchie über ihm standen, ergab die Leihe nur Sinn. Der Corona-bedingt schwierige Markt, die vielen personellen Umstellungen im Verein und das generelle Gewitter um den Verein, welches seit 2019 anhält, machen es keiner agierenden Person leicht. Fredi Bobic hat ohne zu meckern seine Arbeit versucht zu erledigen.

Mit Kevin-Prince Boateng wurde ein Lautsprecher fürs Team geholt, Marco Richter ist mit Stevan Jovetic und Ishak Belfodil eine weitere torgefährliche Komponente im Sturm. Suat Serdar ist einer der besten Spieler der Bundesliga im zentralen Mittelfeld und hat das Potential, in der Nationalmannschaft zu spielen. Jurgen Ekkelenkamp, Oliver Christensen, Frederik-André Björkan und Dong-Jun Lee, sowie Kevin Nsona und zahlreiche Jugendspieler, die in den letzten Wochen Profiverträge unterschrieben haben, zeigen in welche Richtung der Kader für die Zukunft verändert werden soll.

Anklagepunkt 2: Die Entlassung von Pál Dárdai war ohne Not – und ohne Alternativplan

Bobics undurchdachte Trainerentscheidungen waren schon zu seiner Zeit in Stuttgart ein großer Kritikpunkt an seiner Arbeit. Jetzt droht sich dieses Muster zu wiederholen. An Spieltag 13, obwohl man nicht auf einem Abstiegsplatz stand, Pál Dárdai zu entlassen, war eine Kurzschlusshandlung, die viel zu früh erfolgte. Eine Trainerentlassung sollte immer die letzte Maßnahme sein, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das Spiel gegen Augsburg, nachdem Dárdai seinen Hut nehmen musste, war eines der besseren der Hinrunde. Statt darauf aufzubauen, hat man nun ohne Not den Mann freigestellt, der schon mehrfach bewiesen hat, dass er Abstiegskampf kann.

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(Photo by Matthias Kern/Getty Images)

Eine derart gravierende Entscheidung darf nur getroffen werden, wenn man ein Ass im Ärmel hat. Ist die Nachbesetzung jedoch ein Trainer ist, der zuvor drei Jahre lang ohne Anstellung blieb und auch bei seinen vorherigen Stationen nicht zu überzeugen wusste, dann ist dies schlichtweg unverantwortlich. Wenn Bobics so gut gefülltes Telefonbuch am Ende zu solch einem Ergebnis führt, kann man nur hoffen, dass er sich bis zum Sommer eine neue Kontaktliste anlegt.

Entlastungsargument: Die Entlassung von Pál Dárdai war der richtige Schritt – Tayfun Korkut die Notlösung

Unter Dárdai gab es keinerlei Entwicklung des Teams. Es fehlte gänzlich der Spielplan und die Idee, wie man ein Spiel gewinnen sollte. Das einzige, was ihn gehalten hatte, war der Name und sein Legendenstatus. Hätte Fredi Bobic die Chance gehabt, hätte er sich bereits im Sommer von ihm trennen wollen und Hertha mit einem gestandenen Trainer ausstatten können. Doch der Klassenerhalt in der letzten Saison ermöglichte dem Trainerteam eine Vertragsverlängerung, weshalb in dieser Hinsicht Bobic die Hände gebunden waren.

Der Trainerwechsel hin zu Korkut brachte bislang nicht den erwünschten Effekt. (Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Die Trennung hätte vermutlich sogar noch früher erfolgen können, was aber aufgrund fehlenden Interesses verschiedener Trainer nicht möglich war umzusetzen. Tayfun Korkut war die Notlösung. Dieser hatte durch seine letzte Station beim VfB Stuttgart durchaus Argumente auf seiner Seite, ein Team aus einer Krise zu führen. Dass der Trainerwechsel letztendlich nicht gefruchtet hat, ist nicht der Fehler Fredi Bobics. Noch hat er eine weitere Patrone, um einen Trainer-Wechsel zu ermöglichen.

Anklagepunkt 3: Bobic fehlt das Korrektiv – und sein wichtigster Mann

Der Rekordspieler entlassen, Zecke Neuendorf im Gleichschritt und Arne Friedrich räumt auf eigenen Wunsch ab Sommer sein Büro in der Hanns-Braun-Straße. Hinzu kommen die Abgänge vom ehemaligen Leiter der Fußballakademie Benjamin Weber und dem langjährigen Nachwuchstrainer und einstigem Hertha-Spieler Michael Hartmann. Bobic darf nicht den Fehler machen, dass der Verein auf Schlüsselpositionen zu beliebig wird und die Identifikation verloren geht. Es braucht Leute, die Hertha BSC und seine Interessen kennen und hochhalten.

In Frankfurt hat dieses Gespann um starke Personen wie Axel Hellmann und Bruno Hübner dafür gesorgt, dass Bobic Korrektive hatte, die im Ernstfall auch mal Widerrede leisten konnten. Ob ein Dirk Dufner, der ähnlich wie Tayfun Korkut ohne das Zutun von Bobic wohl nicht mehr an eine derart verantwortungsvolle Position bei einem Bundesligisten gekommen wäre, diese Person sein kann, darf zumindest angezweifelt werden. Welche Auswirkungen es haben kann, wenn ein einzelner Mann zu viel Verantwortung trägt, ohne dass ihm jemand über die Schulter schaut, sollten zwölf Jahre Michael Preetz gelehrt haben.

Entlastungsargument: Bobic musste mit schwierigen Witterungsbedingungen umgehen

Die Zeit in Berlin ist seit seinem Amtsantritt noch stark vom Chaos begleitet. Aber ob das wirklich an ihm liegt, darf bezweifelt werden. Pablo Thiam, der für den Nachwuchs zuständig ist, hat sich mittlerweile als eloquenter Zeitgenosse, mit viel Fachwissen gezeigt und durch Einstellungen verschiedener Personen auf zum Teil neu geschaffene Posten, bricht Bobic alte Strukturen auf. Etwas, was es seit zwölf Jahren bei Hertha nicht mehr gegeben hatte und deshalb Zeit braucht. Möglicherweise ist die Strategie des Vereins, das auch intern zu halten.

In Frankfurt stand Bobic auch für unangenehme Entscheidungen – die in der Regel jedoch in Erfolg resultierten. (Frederic Scheidemann/Getty Images)

Zusätzlich ist mit Carsten Schmidt ein extrem wichtiges Glied aus der Vorstandsriege aus privaten Gründen zurückgetreten. Die Aufgaben seines Bereichs werden seitdem von Bobic aufgefangen, was einen nicht unbeträchtlichen Teil der Arbeit einnimmt.

Fredi Bobic steht für unpopuläre Entscheidungen und wurde dafür schon in Frankfurt kritisiert. Der langfristige Erfolg gab ihm schlussendlich aber recht. Die Frankfurter Eintracht stieg im ersten Jahr beinahe ab, konnte damals noch durch den letztendlich maximal erfolgreichen Niko Kovac gerettet werden. In Frankfurt wurde der Vertrag der Eintracht-Legende Alexander Meier nicht mehr verlängert, mit Adi Hütter holte er einen in Deutschland unbekannten Trainer. Zusätzlich war seine Zeit in Frankfurt zunächst vor der Corona-Pandemie und ließ mehr Flexibilität zu. Einen Erfolg, den er in Frankfurt hatte, konnte er außerdem bereits bei der Hertha verzeichnen. Ähnlich wie Filip Kostic, verpflichtete er mit Ishak Belfodil einen Spieler, der als gescheitert galt und mittlerweile zu den unverzichtbaren Leistungsspielern gehört.

Titelbild: Maja Hitij/Getty Images