Taktiktafel: Unsere Tore und die Frage, warum Hertha ab der 75. Minute Punkte liegen lässt

Taktiktafel: Unsere Tore und die Frage, warum Hertha ab der 75. Minute Punkte liegen lässt

Wir wollen euch regelmäßig Spielsituationen aus Partien von Hertha BSC, vor allem aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

Fußball, bzw. seine Spielaktionen und letztendlich Tore und Gegentore, muss immer im Kontext betrachtet werden: auch wenn Tore vermeintlich einstudiert sind bzw. gleich aussehen, gleicht keine Situation der anderen: welche Systeme spielen gegeneinander, welche Spieler stehen auf dem Platz, welche Spieltagstaktik wird gespielt, in welcher Spielminute befinden wir uns etc. – die Faktoren sind fast unendlich. Bestes Beispiel hierfür ist das 1:1 der Mainzer in der 94. Spielminute: diese Situation hätte es in der 52. Minute wahrscheinlich nicht gegeben, da die Mainzer hier nicht “Brechstange” (wie es beim Anstoss-Fußballmanager heißt) gespielt hätten.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Zwar kategorisiere ich die Hertha-Tore nach drei Kategorien, jedoch müssen alle Situationen anders interpretiert werden: nur weil Hertha viele Tore von der (halb-)rechten Seite eingeleitet hat, heißt es nicht unbedingt, dass diese Seite stärker ist. Wie oben beschrieben, kommt es auch immer auf die Gegenspieler bzw. deren Position und taktisches Verhalten (bspw. fehlendes Pressing) an.

Aber genug der Theorie: 19 Tore an 15 Spieltagen erzielten die Herthaner vor der Winterpause. Durchschnittlich 1,3 Tore zu 1,5 Gegentore pro Spiel – nur gegen Union verlor Hertha mit mehr als einem Tor Unterschied. An nur drei Spieltagen (Gladbach, Dortmund, Bremen) gelang unserer Mannschaft kein Tor. Drei Elfmeter haben wir zugesprochen bekommen. Sieben unterschiedliche Torschützen machten unser Angriffsspiel variabel.

Die von Hertha herausgespielten Tore

Die meisten Tore (12) waren gut herausgespielt, bei denen Hertha oftmals den Ball durch konsequente Zweikämpfe oder gutes Positionsspiel eroberte, aber auch individuelle Stärken – wie das 1-gegen-1 – nutzte, um zum Torerfolg zu kommen. Häufigster Vorlagengeber hier (die nächsten beiden Kategorien rausgerechnet) war Chidera Ejuke, der sowohl Lucas Tousart, Dodi Lukébakio als auch Suat Serdar den Ball auflegte.

Einen dieser herausgespielten Treffer möchte ich mir genauer angucken: Der wahrscheinlich emotionalste Treffer gelang unserer Hertha am 11. Spieltag gegen Gelsenkirchen. Nach zehn Spielen ohne Treffer (und Vorlage) gelang Neuzugang Wilfried Kanga in seinem achten Startelfeinsatz der 2:1-Siegtreffer in der 88. Minute, nachdem Hertha gerade erst kurz zuvor den aus meiner Sicht zwar verdienten, aber unnötigen Ausgleich kassiert hatte. Gerade als Trainer ist es ein schmaler Grat, einem erfolglosen Neuzugang (und Stürmer werden nun mal nach Toren und Vorlagen beurteilt) jedes Mal wieder die Chance zu geben. Doch “Willy” nutze seine Chance und gewann spätestens jetzt die Herzen aller Hertha-Fans.

Minute 87:44: Einwurf von Thomas Ouwejan auf Sebastian Polter. Zunächst steht Jonjoe Kenny dicht am Gegenspieler, während es so scheint, als ob Ivan Šunjić seinen Vordermännern sagen will, dass sie nicht zurückrücken müssen, da eine 6:4-Überzahl in der eigenen Hälfte besteht (Simon Terodde und Agustin Rogel nicht im Bild; während ein 3:3 im Mittelfeld herrscht, da Ouwejan durch den Einwurf kurz aus dem Spiel genommen ist und nur Kanga durch zwei Gegenspieler gedeckt wird).

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Minute 87:45: Kenny rückt von seinem Gegenspieler Polter etwas weg, coacht Šunjić bereitzustehen, um nach der Ballannahme von Polter blitzschnell zuzuschlagen und mit sehr viel Körpereinsatz den Ball zum unbedrängten Šunjić zu spitzeln.

Bei der Ballannahme von Polter (Minute 87:45) hatte er nur eine direkte Anspielstation auf Danny Latza, da sowohl Šunjić – gerade so – Florent Mollet als auch Lucas Tousart Kenan Karaman zugestellt haben. Polter hätte direkt auf Latza klatschen sollen (und der wiederrum zu Mollet spielen) oder den Ball per Kopf auf Terodde verlängern, statt den Ball anzunehmen und so das 1-gegen-1 zu suchen bzw. das mögliche Foul zu ziehen/Zeit zu schinden.

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Doch gerade dieses taktische Verhalten von Polter bringt Šunjić dazu, den Ball in die Spitze auf Kanga zu spielen, der – statt ins 1-gegen-1 zu gehen – auf Dodi Lukébakio klatschen lässt (Minute 87:49).

Statt dass Lukébakio jetzt den direkten Doppelpass zurückspielt, spielt er “über den Dritten” (Stevan Jovetić), der dann mustergültig auf Kanga weiterleitet (Minute 87:52). Neun Ballberührungen nach Balleroberung bis zum Tor brachten 60.165 Zuschauer*innen zum Jubeln bzw. Verzweifeln.

Gerade das konsequente Verteidigen und kollektive Ballerobern in Verbindung mit einem schnellen Umschaltmoment nach Ballgewinn hat Hertha einige Tore gebracht: exemplarisch sind hier noch die Balleroberungen von Suat Serdar gegen Union (Minute 84:15) und Freiburg (Minute 31:34) sowie von Filip Uremovic gegen Leverkusen (Minute 54:50) zu nennen.

Die Sonntagsschüsse

Der Begriff Sonntagsschuss soll in diesem Zusammenhang nicht abwertend oder als “Glückstreffer” gewertet werden, da auch hier wieder gewisse Faktoren eine Rolle spielen – vor allem fehlende Gegenspieler. Natürlich sind hier zuerst die Treffer von Marco Richter aus 32 Metern gegen Leverkusen und von Lucas Tousart aus 31 Metern gegen Gelsenkirchen zu nennen. Aber auch Suat Serdars Treffer aus 25 Metern gegen Freiburg (nachdem er nicht angegriffen wird) und Stevan Jovetić‘ Treffer aus 18 Metern gegen die Leipziger würde ich hier nennen.

Die Elfmeter für Hertha

Drei Elfmeter hat Hertha zugesprochen bekommen: die beiden Handelfmeter gegen den damaligen Tabellenzweiten aus Freiburg und Leipzig waren unstrittig, über den Foulelfmeter von Benjamin Pavard an Davie Selke gegen Bayern, der ihn dann auch selbst schießt, lässt sich streiten. Über einen nicht-gegebenen Elfmeter gegen Leverkusen wurde sowieso zu viel gestritten.

Ist da System im Spiel?

Hertha erzielte acht Mal den Führungstreffer (Frankfurt, Köln, Mainz, 2 x Gelsenkirchen, Augsburg, Freiburg, Leverkusen), woraus 13 Punkte aus sieben Spielen übrigblieben. Fast alle Punkte wurden also geholt, als Hertha zu Hause in Führung ging (nur Mainz und Augsburg auswärts). Vier Mal schaffte Hertha den Ausgleich nach einem Rückstand (Stuttgart, Freiburg, Hoffenheim, Leverkusen), woraus drei Punkte aus vier Spielen übrigblieben. Drei Mal gab es eine Ergebniskorrektur ohne Punktgewinn (Bayern, Leipzig, Union) und zwei Mal machte Hertha von allein den “Sack zu” (Köln, Augsburg).

Nach einer Ecke bzw. einem Freistoß hat Hertha bisher keinen Treffer erzielen können. Die einzigen beiden Jokertore (Führungstreffer gegen Leverkusen und das 2:0 gegen Augsburg) erzielte Marco Richter. Auffällig hoch waren die Tore nach einem Einwurf: sowohl zwei eigene Einwürfe (gegen Köln und Bayern) führten zu Toren bzw. einem Elfmeter, als auch das Zurückerobern von gegnerischen Einwürfen (gegen Hoffenheim, Gelsenkirchen, Leverkusen) führte Hertha zu entscheidenden Toren.

Diese 19 Tore sorgen dafür, dass wir nach 15 Spieltagen mit 14 Punkten auf Platz 15 stehen. Dem gegenüber stehen 22 Gegentore, von denen ich schon einige an dieser Stelle analysiert habe. Zehn Punkte holte Hertha im heimischen Stadion, nur vier Punkte konnte unser Team auswärts erkämpfen.

Besonders auffällig und sehr emotional: wären die Spiele von Hertha in der 75. Minute abgepfiffen worden, stünde Hertha mit acht Punkten mehr (22 Punkte, 16:16 Tore) auf Platz neun der Tabelle. Die längste Phase ohne Gegentor hatte Hertha zwischen der 55. – 77. Minute (in der Zeit würde Hertha sechs Tore schießen).

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Nach diesen 23 Minuten gibt es eine Vielzahl an möglichen Faktoren, warum Hertha die Punkte nicht über die Zeit bringt und stattdessen in der 78. – 98. Minute sechs Gegentore bekommt: fehlende Kondition, fehlende Qualität von der Bank oder die Bereitschaft, sich mental 90+x Minuten auf das Spiel einzulassen.

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Frage 1: welches Tor der „Hinrunde“ von Hertha wird dir lange in Erinnerung bleiben?

Frage 2: woran liegt es, dass Hertha in der Schlussviertelstunde Punkte liegen lässt?

(Titelbild: Matthias Kern/Getty Images)

Taktiktafel: Strafraumbesetzung, fehlende Zuordnung und liegengelassene Punkte

Taktiktafel: Strafraumbesetzung, fehlende Zuordnung und liegengelassene Punkte

Wir wollen euch regelmäßig Spielsituationen aus Partien von Hertha BSC, v. a. aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

Nach einer kleinen Pause der Taktiktafel, gibt es heute eine frische Ausgabe mit den Eindrücken zu den Gegentoren gegen Dortmund, Leverkusen, Mainz und Hoffenheim. Nur beim Auswärtsspiel in Augsburg am 5. Spieltag blieb Hertha in dieser Saison ohne Gegentor und ließ dabei nur sieben Torschüsse zu, wovon nur ein Schuss auf das Tor ging – am Ende hatten die Fuggerstädter einen xG-Wert von 0,3 (BVB: 3,0 / B04: 1,4 / M05: 0,8 / TSG: 1,8).

5/5 – Unsere Gegentore im und um den Strafraum

Einwurf Marius Wolf, Klatschpass Salih Özcan, Doppelpass Wolf, Flanke Özcan (31:33) – so einfach war das Rezept der Dortmunder für den Siegtreffer in der 32. Minute durch Anthony Modeste. Marc-Oliver Kempf (1,86 m) ist im Kopfballduell mit Modeste (1,87 m) kein Vorwurf zu machen, eher dem passiven Verhalten unserer linken Seite (Marvin Plattenhardt, Chindera Ejuke). In dieser Situation hätte es einen Lucas Tousart auf Außen gebraucht, der den angreifenden Spieler doppelt und eine Gleich– oder Überzahl in Ballnähe herstellt (wie hier beschrieben).

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Es folgte die Partie gegen ein kriselndes Leverkusen, welche noch für viel Gesprächsstoff sorgen sollte. In der Situation vor dem Freistoß zum 0:1 durch Kerem Demirbay, zeigte Hertha wieder alte Schwächen: Ivan Šunjić spielt von rechts eine Verlagerung auf die linke Seite, wo Ejuke das Kopfballduell gegen Jeremie Frimpong nicht gewinnt und der Ball ins Zentrum gelangt, welches von Hertha wieder kläglich unbesetzt ist. Hier hat Adam Hlozek Zeit und Platz, um zum Dribbling anzusetzen. Parallel setzt sich Moussa Diaby aus dem Zentrum ab (47:19) und bekommt dann den Ball vor die Füße, den Šunjić Hlozek weggrätschen kann (47:21).

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Diaby, der seit Ballverlagerung keinen Gegenspieler hatte, braucht drei Sekunden bis zum Strafraum, wo ihn nur Šunjić stoppen kann, da der zurückeilende Suat Serdar kein Foul ziehen durfte, weil er in der ersten Hälfte bereits mit Gelb verwarnt wurde.

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Beim 2:2 von Leverkusen darf „Besetzung“ im Zusammenhang mit dem eigenen Strafraum von Hertha gar nicht genannt werden – einerseits sind die Lücken zu den Leverkusenern viel zu groß, anderseits spielt sich Leverkusen eine 3:2-Überzahl direkt vor dem Tor heraus (78:46).

Dass auch der kriselnde Patrick Schick gegen Hertha trifft und sein bisher bestes Spiel (Kickernote 3,0) macht, hat er auch der Abwehr von Hertha zu verdanken.

Clever oder dreckig: Hertha muss sich besser bei Klärungen verhalten

Wie schon gegen Leverkusen hat Hertha (in dem Fall Marco Richter) einen Spieler komplett aus den Augen verloren – hier den Mainzer Torschützen Anthony Caci. Dieser schafft es, sich innerhalb von 11 Sekunden unbemerkt in den Strafraum zu schleichen (93:09) und mit einem Last-Minute-Tor (xG = 0,04) Herthas zweiten Saisonsieg zu vereiteln.

Auch wenn ich einen Punktgewinn vor dem Spiel gegen die TSG aus Sinsheim unterschrieben hätte: so einfach darf das 1:0 nicht fallen: sowohl Dodi Lukébakio (Kopfball ins Zentrum), als auch Filip Uremović (spitzelt den Ball weg), schaffen es nicht, den Ball aus Strafraumnähe wegzuhalten. Mit einem einfachen Hinterlaufen von Andrej Kramarić schafft es José Tasende, den entscheidenden Pass vorzubereiten (24:47).

Hier fordert der alleingelassene Ozan Kabak bereits den Ball, den er vier Sekunden später bekommt und auf das Tor bringt (24:51), wo der wiederum alleingelassene, in den Strafraum eilende, Kramarić den Ball entscheidend abfälscht.

Sechs Punkte bei 6:5 Toren hat Hertha aus den letzten fünf Spielen geholt. Mit dem Punkt vom 2. Spieltag steht Hertha nun mit 7 Punkten (8:10 Toren) auf Platz 14 der Tabelle. Die nächsten Gegner im Oktober heißen Freiburg (2.), Leipzig (11.), Gelsenkirchen (15.) und Bremen (8.), die alle bisher offensiven Fußball spielen (zusammen 53 Tore).

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: wie schafft es Hertha, früher und konsequenter zu verteidigen?

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Taktiktafel: Die kleinen Baustellen bei Hertha

Taktiktafel: Die kleinen Baustellen bei Hertha

Wir wollen euch in diesem Format regelmäßig Spielsituationen von Hertha BSC, vor allem aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

In dieser Woche gibt es leider keine ausführliche Taktiktafel, da die neue Saison meines Kiezvereins begonnen hat, wo ich jeden Tag auf dem Platz stehen werde. Deshalb nur kurz zwei Anmerkungen meinerseits. Das gesamte Spiel findet ihr hervorragend analysiert bei Borussiaexplained.

Die entscheidenden, unaufmerksamen Sekunden

Hertha lässt, trotz 10:8-Überzahl in der eigenen Hälfte, Gladbach zum Spielaufbau kommen. Nur elf Sekunden nach dem Freistoß aus dem Mittelfeld (fünf Pässe zur Spielverlagerung) kann Jonas Hofmann zur Flanke kommen, die Maxi Mittelstädt unbeholfen mit der Hand abwehrt. Der entscheidende Pass (32:04) von Kouadio Koné überspielt fünf Herthaner und schon befindet sich Gladbach zwischen den Ketten, wo Hertha keinen Druck auf den Gegner ausüben konnte.

Spielaufbau, Ballbehandlung, Umschaltspiel – die Hertha-Baustellen

Wie schon in den bisherigen Spielen, zeigten unsere Spieler sogenannte „Stockfehler“ (wobei der Begriff von Fußballkommentator*innen falsch aus dem Eishockey übertragen wird, da hier ein Foul „Hoher Stock“ gemeint ist).

Uremovic baut das Spiel über Christensen auf, der siebente Pass (ein halbhoher Ball) erfolgt von Kenny ins Zentrum auf Lukébakio, dem der Ball verspringt. Wie schon im vorherigen Artikel beschrieben, ist eine unsaubere Ballbehandlung (sowohl von Kenny, als auch von Lukébakio) der Auslöser für die Balleroberung. Hinzu kommt, dass Hertha keine Überzahl in Ballnähe schaffen kann (roter Bereich). Währenddessen wird Jonas Hofmann komplett allein gelassen (weißer Kreis), dessen Angriff zur Ecke vor dem Handelfmeter führt. Nur Christensen bewahrt uns hier vor dem 2:0 für Gladbach – Torwarttrainer und Twitte-User Sascha Felter analysiert hier das Stellungsspiel.

(Titelbild: Lars Baron/Getty Images)

Taktiktafel: Muss Hertha Einwürfe trainieren?

Taktiktafel: Muss Hertha Einwürfe trainieren?

Wir wollen euch in diesem Format regelmäßig Spielsituationen von Hertha BSC, vor allem aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

In den ersten beiden Pflichtspielen der Saison spielte Sandro Schwarz im Mittelfeld formal mit einem Dreieck, bei dem die Spitze nach unten zeigt (also ein Sechser, zwei Achter). Gegen Braunschweig (gelbe Linien) besonders gut zu sehen, gegen Union – wie im letzten Beitrag beschrieben – „haben Suat Serdar, Ivan Šunjić und Kevin-Prince Boateng teilweise als Kette verschoben und hatten keine Tiefenstaffelung als Absicherung“ (rote Linien). Wenn man jetzt die durchschnittliche Position der Spieler (Quelle: www.sofascore.com) aus dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt über diese beiden Spiele legt (schwarze Linien), ist deutlich zu erkennen, dass Hertha nicht nur ein defensiveres System gespielt hat, sondern sich dadurch für den alleinigen Achter (Serdar, der wesentlich offensiver und zentraler, als in den bisherigen zwei Spielen stand) und den „Hybrid-Sechser“ (Lucas Tousart) auch Freiheiten ergaben.

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Trotz 65 Prozent Ballbesitz (136:262 Pässe) in der 1. Halbzeit haben die Frankfurter nur vier Schüsse abgeben können – davon keinen einzigen auf das Tor. Hertha hat alles wegverteidigt, was die Frankfurter versucht haben – bis auf die Großchance in der 7. Minute (s. unten).

Das neue magische Dreieck?

Zwar war das Dreieck mit Serdar als Spitze selten zusammen eindeutig zu sehen, da sich Serdar auch oft auf eine Höhe mit Šunjić fallen gelassen hat (und den möglichen Ballgewinn abgewartet hat), dennoch bot gerade diese Rotation im Mittelfeld die notwendige Absicherung der Räume: Šunjić sichert den Rückraum und wird punktuell von Tousart und Serdar unterstützt – wodurch teilweise Tousart im rechten Halbraum als Spitze des Dreiecks hervortrat.

Gerade die Rolle von Tousart war nicht starr als rechter Sechser im Zentrum, sondern er schaltete sich immer dort ein, wo es notwendig war. Besonders gut zu sehen zwischen der 19. und 20. Minute, in der er innerhalb einer Minute zuerst als rechter Außerverteidiger auftritt (18:12), um sich gleich danach als Rechtsaußen anzubieten (19:25). Gerade durch diese Unterstützung auf der rechten Seite, ergaben sich Freiheiten für Dodi Lukébakio, der einen super Tag hatte (7/9 erfolgreiche Dribblings – Topwert aller Spieler).

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Die Heatmap von Lucas Tousart gegen Frankfurt (Quelle: sofascore)

Nur bei dem fast gefallenen 1:1 in der 7. Minute war das Zentrum wieder komplett frei. Sowohl Tousart als auch Šunjić (wie schon beim 0:1 für Union) standen beim Einwurf (diesmal für den Gegner) am Flügel, statt das Zentrum verteidigen – welchen Raum/Gegner Šunjić verteidigt, wird sein Geheimnis bleiben. In der Mitte befinden sich nur Serdar (und Maxi Mittelstädt) – Daichi Kamada und Ansgar Knauff konnten sich nach dem gewonnenen zweiten Ball in Strafraumnähe durchtanken.

Das Spiel der individuellen Fehler

Sowohl dem 1:0 von Hertha, als auch beim 1:1 von Frankfurt gingen Ballverluste von Kamada und Filip Uremovic voraus, die beide eine unsaubere Ballbehandlung zeigten, weshalb ich nicht näher auf die Tore eingehen will (nur an eine saubere Ballannahme mit dem schwachen Fuß bei Hertha appellieren will).

Der Elfmeter, der keiner VAR?

Die Diskussion, ob der Elfmeter gegeben werden kann (muss), wurde schon ausführlich geführt. Aber wie schafft es Hertha, in der 89. Spielminute überhaupt in diese Situation zu gelangen?

Jonjoe Kenny wirft einen schwachen, unkonzentrierten Einwurf auf den sich anbietenden Stevan Jovetic, obwohl dieser von Evan Ndicka gestört wird (und alle Herthaner in der Situation zugestellt sind).

Ob jetzt Jovetic oder Ndicka den Ball zurück zu Kenny spielt, lässt sich nicht erkennen, jedoch nimmt dieser den Ball mit der Fußsohle an (Thema saubere Ballannahme!), woraufhin der Ball nochmal springt und Kenny ihn so nicht kontrollieren kann.

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Die Frankfurter machen den Raum sehr eng und Ndicka gelangt wieder an den Ball, spielt ihn sofort nach vorne und überspielt so Kenny und Tousart. Drei Sekunden nach dem Einwurf erfolgt der Ballverlust (gegen Union waren es auch nur fünf Sekunden). Hertha befindet sich zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit in einer zwei-gegen-drei-Situation (Mittelstädt mal rausgerechnet, der das Spiel breit machen wollte).

Marc Oliver Kempf zieht ca. 30 Meter vor dem Tor von rechts nach innen und öffnet damit den Halbraum, in den Rafael Borré hinter Marton Dárdai startet (sowie Jesper Lindström hinter Kempf). Wer den Zweikampf hätte führen sollen – Kempf oder Dárdai – da bin ich mir selbst noch unsicher, jedoch hätte Hertha gar nicht in die Situation geraten sollen.

Das 1:0 bei Union, fast das 1:1 sowie der zurückgenommene Elfmeter gegen Frankfurt resultieren aus schlecht-ausgeführten Einwürfen.

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: muss Hertha Einwürfe (und das zugehörige Stellungs- und Umschaltspiel) trainieren?

(Titelbild: Gerald Matzka/Getty Images)

Taktiktafel: Reicht ein Sechser im Hertha-Mittelfeld?

Taktiktafel: Reicht ein Sechser im Hertha-Mittelfeld?

Neue Saison, neues Format auf Hertha BASE! Wir wollen euch von nun an regelmäßig Spielsituationen, v. a. aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren. Achtung, es wird nerdig!

19:7 Torschüsse – allein 11:1 in der 1. Halbzeit – sprechen eine deutliche Sprache: Union ist zurecht Stadtmeister und sportlich aktuell die Nummer 1 in der Stadt. Aber darum soll es nicht gehen. Wir wollen die entscheidenden Szenen aus dem Spiel Revue passieren lassen (auch wenn es schmerzt) und mit Braunschweig vergleichen.

Hertha und das Problem auf der Sechs

Mit Blick auf die durchschnittliche Position der Spieler (Quelle: www.sofascore.com) sieht man, dass sowohl Davie Selke, der in dem Spiel komplett abgemeldet war (9 Ballberührungen in 55 Minuten), als auch Serdar ganz schön tief stehen und somit nicht den nötigen Druck auf Union ausüben konnten. Unser Neuzugang Ivan Šunjić hingegen, steht ganz schön hoch und somit haben die beiden Unioner Stürmer je ein eins-gegen-eins gegen Marc Oliver Kempf und Filip Uremović.

Wie schon bei drei Toren in Braunschweig (2:2; 65:11 min, 3:2; 90:40 min, 4:4; 117:06 min – wie kann man in der 118. Minute bei 3:4-Führung als ZDM im gegnerischen Strafraum stehen?) wurde die Sechser-Position teilweise kläglich in der Defensive von Šunjić – bzw. in der Rotation mit den anderen 6ern/8ern – bespielt und bot dem Gegner große Lücken. Jetzt kenne ich natürlich nicht die taktische Ausrichtung und jede einzelne Rolle unseres Dreier-Mittelfeldes (selbst Kevin-Prince Boateng hat sich teilweise im Spielaufbau in die Kette zurückfallen lassen). Sollte Šunjić eine spieleröffnende bzw. offensivere Rolle zugesprochen bekommen haben, muss der Sechser-Raum von einem anderen Spieler gesichert werden. Aber das wurde er leider nicht dauerhaft und konsequent in den ersten zwei Pflichtspielen:

0:1 Union: sollten Sechser Einwürfe ausführen?

Einwurf von Jonjoe Kenny auf Šunjić (30:35) – Suat Serdar im zentralen defensiven Mittelfeld. Hier liegt der erste Fehler: warum bietet sich Šunjić an der Seitenauslinie an, warum nicht Prince, Dodi Lukébakio oder Uremović?

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann verbietet seinen Sechsern, Einwürfe durchzuführen: „Dann ist eine entscheidende Position nicht besetzt. Der Nachteil beim Einwurf ist sowieso schon, dass man auf dem Platz immer ein Mann weniger ist als der Gegner. Demnach sollten dann die relevanten Positionen besetzt sein.“

Sheraldo Becker presst Šunjić, der lange Ball auf Selke folgt. Ballverlust nur fünf Sekunden nach dem Einwurf. Genki Haraguchi kann Richtung zweitem Ball laufen, Serdar versucht Ball abzufangen, hat dennoch keine Chance – hier hätte Šunjić den ehemaligen Herthaner verfolgen müssen. Klatschpass von Haraguchi auf Paul Jaeckel (30:44) und sieben Ballkontakte später erfolgt die Flanke von Becker auf Torschütze Jordan Siebatcheu.

0:2 Union: Hertha fehlt die nötige Balance

Langer Ball von Union-Keeper Frederik Rönnow in den Sechser-Raum, wo niemand in den Zweikampf mit Haraguchi geht (49:00) – Kempf zieht sogar noch zurück, gewinnt danach ein Glück den zweiten Ball, der jedoch bei Union landet, die sich dann mit One-Touch-Fußball bis zum Tor spielen. 15 Sekunden von Rönnow bis zum Tor.

Jetzt will ich mich nicht auf Šunjić einschießen, denn auch er hat Union unter Druck gesetzt (14 Pressingsituationen, 1 Tackling, 1 abgefangener Ball). Gewisse Laufwege und Positionierungen – er steht bspw. in der 8. Minute als (Flügel-)Stürmer im Strafraum, während die Restverteidigung nur aus Kenny besteht – müssen aber definitiv schnell verbessert werden, solange Schwarz explizit mit formal einem Sechser spielt.

Zwar standen Lucas Tousart und Šunjić schon 135 Minuten in drei Spielen gemeinsam auf dem Feld – Gegentore hat das nicht gerade verhindert (2:2, 3:2, 4:4 in Braunschweig, 1:0, 2:0 Nottingham, 1:0, 2:0 West Brom). Natürlich kann man auch fünf Sechser auf das Feld stellen – wenn der Raum jedoch gerade nach Ballverlusten und Kontern nicht besetzt ist, birgt das eine riesige Gefahr. Im Spiel bei Union haben Serdar, Šunjić und Prince teilweise als Kette verschoben und hatten keine Tiefenstaffelung als Absicherung – der Raum vor Kempf und Uremović war frei für Zuspiele (wie schon zu Beginn erwähnt).

Ein weiteres Problem von Hertha: sowohl beim Spiel in Braunschweig als auch gegen Union hat das Team zwei Gegentore im Abstand von 4:36 Minuten (Union) und 2:41 Minuten (Braunschweig) bekommen, weil der Raum am Mittelkreis nicht gut besetzt war. Zwar will ich nie wieder die “Hintenrumscheiße” der letzten Jahre sehen – die auch Gefahren birgt, wenn ein gefühlt sicherer Pass abgefangen wird (wie es vor dem 1:0 von Hertha in Braunschweig mit dem verstolperten Ball von Kempf hätte passieren können), jedoch braucht das Team noch eine bessere Balance zwischen Ballsichern und Offensivaktionen.

Unterstützen wir Sandro und das Team dabei!

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: #FCUBSC: reicht ein Sechser im Mittelfeld?

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)