Taktiktafel: Muss Hertha Einwürfe trainieren?

von Aug 18, 2022

Wir wollen euch in diesem Format regelmäßig Spielsituationen von Hertha BSC, vor allem aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

In den ersten beiden Pflichtspielen der Saison spielte Sandro Schwarz im Mittelfeld formal mit einem Dreieck, bei dem die Spitze nach unten zeigt (also ein Sechser, zwei Achter). Gegen Braunschweig (gelbe Linien) besonders gut zu sehen, gegen Union – wie im letzten Beitrag beschrieben – „haben Suat Serdar, Ivan Šunjić und Kevin-Prince Boateng teilweise als Kette verschoben und hatten keine Tiefenstaffelung als Absicherung“ (rote Linien). Wenn man jetzt die durchschnittliche Position der Spieler (Quelle: www.sofascore.com) aus dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt über diese beiden Spiele legt (schwarze Linien), ist deutlich zu erkennen, dass Hertha nicht nur ein defensiveres System gespielt hat, sondern sich dadurch für den alleinigen Achter (Serdar, der wesentlich offensiver und zentraler, als in den bisherigen zwei Spielen stand) und den „Hybrid-Sechser“ (Lucas Tousart) auch Freiheiten ergaben.

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Trotz 65 Prozent Ballbesitz (136:262 Pässe) in der 1. Halbzeit haben die Frankfurter nur vier Schüsse abgeben können – davon keinen einzigen auf das Tor. Hertha hat alles wegverteidigt, was die Frankfurter versucht haben – bis auf die Großchance in der 7. Minute (s. unten).

Das neue magische Dreieck?

Zwar war das Dreieck mit Serdar als Spitze selten zusammen eindeutig zu sehen, da sich Serdar auch oft auf eine Höhe mit Šunjić fallen gelassen hat (und den möglichen Ballgewinn abgewartet hat), dennoch bot gerade diese Rotation im Mittelfeld die notwendige Absicherung der Räume: Šunjić sichert den Rückraum und wird punktuell von Tousart und Serdar unterstützt – wodurch teilweise Tousart im rechten Halbraum als Spitze des Dreiecks hervortrat.

Gerade die Rolle von Tousart war nicht starr als rechter Sechser im Zentrum, sondern er schaltete sich immer dort ein, wo es notwendig war. Besonders gut zu sehen zwischen der 19. und 20. Minute, in der er innerhalb einer Minute zuerst als rechter Außerverteidiger auftritt (18:12), um sich gleich danach als Rechtsaußen anzubieten (19:25). Gerade durch diese Unterstützung auf der rechten Seite, ergaben sich Freiheiten für Dodi Lukébakio, der einen super Tag hatte (7/9 erfolgreiche Dribblings – Topwert aller Spieler).

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Die Heatmap von Lucas Tousart gegen Frankfurt (Quelle: sofascore)

Nur bei dem fast gefallenen 1:1 in der 7. Minute war das Zentrum wieder komplett frei. Sowohl Tousart als auch Šunjić (wie schon beim 0:1 für Union) standen beim Einwurf (diesmal für den Gegner) am Flügel, statt das Zentrum verteidigen – welchen Raum/Gegner Šunjić verteidigt, wird sein Geheimnis bleiben. In der Mitte befinden sich nur Serdar (und Maxi Mittelstädt) – Daichi Kamada und Ansgar Knauff konnten sich nach dem gewonnenen zweiten Ball in Strafraumnähe durchtanken.

Das Spiel der individuellen Fehler

Sowohl dem 1:0 von Hertha, als auch beim 1:1 von Frankfurt gingen Ballverluste von Kamada und Filip Uremovic voraus, die beide eine unsaubere Ballbehandlung zeigten, weshalb ich nicht näher auf die Tore eingehen will (nur an eine saubere Ballannahme mit dem schwachen Fuß bei Hertha appellieren will).

Der Elfmeter, der keiner VAR?

Die Diskussion, ob der Elfmeter gegeben werden kann (muss), wurde schon ausführlich geführt. Aber wie schafft es Hertha, in der 89. Spielminute überhaupt in diese Situation zu gelangen?

Jonjoe Kenny wirft einen schwachen, unkonzentrierten Einwurf auf den sich anbietenden Stevan Jovetic, obwohl dieser von Evan Ndicka gestört wird (und alle Herthaner in der Situation zugestellt sind).

Ob jetzt Jovetic oder Ndicka den Ball zurück zu Kenny spielt, lässt sich nicht erkennen, jedoch nimmt dieser den Ball mit der Fußsohle an (Thema saubere Ballannahme!), woraufhin der Ball nochmal springt und Kenny ihn so nicht kontrollieren kann.

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Die Frankfurter machen den Raum sehr eng und Ndicka gelangt wieder an den Ball, spielt ihn sofort nach vorne und überspielt so Kenny und Tousart. Drei Sekunden nach dem Einwurf erfolgt der Ballverlust (gegen Union waren es auch nur fünf Sekunden). Hertha befindet sich zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit in einer zwei-gegen-drei-Situation (Mittelstädt mal rausgerechnet, der das Spiel breit machen wollte).

Marc Oliver Kempf zieht ca. 30 Meter vor dem Tor von rechts nach innen und öffnet damit den Halbraum, in den Rafael Borré hinter Marton Dárdai startet (sowie Jesper Lindström hinter Kempf). Wer den Zweikampf hätte führen sollen – Kempf oder Dárdai – da bin ich mir selbst noch unsicher, jedoch hätte Hertha gar nicht in die Situation geraten sollen.

Das 1:0 bei Union, fast das 1:1 sowie der zurückgenommene Elfmeter gegen Frankfurt resultieren aus schlecht-ausgeführten Einwürfen.

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: muss Hertha Einwürfe (und das zugehörige Stellungs- und Umschaltspiel) trainieren?

(Titelbild: Gerald Matzka/Getty Images)

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ÜBER DEN AUTOR

Timm Buchholz

Timm Buchholz

Er behauptet, eigentlich keine Ahnung von Fußball zu haben. Laut DFB aber lizenzierter Fußballtrainer (C-Lizenz).

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