Warum ich Hertha so liebe

von Feb 18, 2022

Es sind mal wieder dunkle Zeiten rund um Hertha BSC. Die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre schmerzt gewaltig, der Versuch ein international erfolgreicher Club zu werden, scheint krachend gescheitert zu sein. Doch sind wir Hertha-Fans mal ganz ehrlich, darum geht es nicht.

“Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

Die schwachen Spiele der letzten Wochen und Monate haben reingehauen und sie taten – nein, sie tun auch immer noch – weh. Die aktuelle Situation ist gefährlich und als Fan weiß man nicht so richtig, wie man sich damit abfinden soll. Die Saison war spätestens mit dem Ausscheiden im Pokal verschenkt, es geht einzig und allein ums nackte Überleben. Und im Fußball-Business ist das alles wichtig. Es ist sogar überlebenswichtig. Doch es gibt einen Fangesang, der vieles ausspricht, was eigentlich viel wichtiger ist. Gerade in diesem brutalen kapitalistischen Business: „Gemeinsam werden wir wieder siegreich sein, Hertha BSC – Traditionsverein! Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

Hertha
(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Ich bin seit knapp 18 Jahren Fan von Hertha BSC. Damit habe ich leider die goldenen Jahre in der Champions League um die Jahrtausendwende verpasst, doch auch ich kann von wundervollen Ereignissen um die Hertha zehren. Im Übrigen auch im sportlichen Bereich. In den letzten Jahren habe ich etwas gelernt, was mir immer mehr bewusst wird. Jede Generation, ja jeder Fan als Individuum schreibt seine eigene Geschichte und Legende mit dem Verein. Erlebnisse werden zu Erinnerungen. Erzählungen älterer Fans werden zu Mythen, die man immer wieder hört, sich in der eigenen Romantik ausschmückt und Unwissenden nur zu gerne weitererzählt.

Wenn ich Anekdoten vom legendären Nebelspiel gegen Barcelona höre oder Highlights vom Sieg gegen den FC Bayern München 2001, als Pal Dardai und Zecke Neuendorf das Spiel entschieden, sehe, dann sind das für mich wundervolle Momente, die der nahen Vergangenheit angehören, für mich aber trotzdem so etwas wie romantische Mythen rund um den Verein sind. Hertha BSC steht für vieles, insbesondere für eine beeindruckende Geschichte. Auch wenn der Verein seit seinen Meisterschaften Anfang der 1930er Jahre keine nennenswerten Titel mehr sammeln konnte, hat dieser Verein eine Vergangenheit, bei der von der Spannung her, in Berlin höchstens noch Tasmania Berlin mithalten kann.

Wie alles begann

Als ich als kleiner Junge – es wird 2002 oder 2003 gewesen sein – meine ersten großen Berührungspunkte mit Fußball hatte, war mein fußballerischer Lebenslauf bei weitem nicht so vorgezeichnet, wie er sich entwickelt hat. Meine Eltern waren trotz ihrer DDR-Vergangenheit große Bayern-Fans, mein späterer Stiefvater Fan von Bayer Leverkusen. Mein erstes Trikot, welches ich besaß, war also ein Kinder-Trikot von Oliver Kahn. Das EM-Finale 2004 zwischen Griechenland und Portugal war das erste Spiel, welches ich komplett verfolgt hatte, ohne mir vor kindlicher Langeweile eine andere Beschäftigung zu suchen. Und wahrscheinlich hätte es mir niemand verübelt, wenn ich gerade das Spiel, was wahrlich kein fußballerischer Leckerbissen war, auch nicht zu Ende geschaut und mich komplett vom Fußball distanziert hätte. Doch genau dieses Spiel ist bis heute sehr bezeichnend für mein Verständnis von Fußball und meiner Liebe zu Hertha.

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Ich brauche nicht die große Explosion, aber ich will das Feuer, das die Spieler in sich tragen, auf dem Platz sehen. Und über viele Jahre bekamen wir genau das von unserer „Alten Dame“. Nach einigen Sportschau-Abenden mit meinem Vater hab ich ihn also gefragt, ob wir mal ins Stadion gehen könnten. Gesagt getan. Am 6. November 2004 saß ich als neun jähriger Junge zum ersten Mal auf der Tribüne des Olympiastadions. Vom Spiel gegen Werder Bremen habe ich damals nicht viel mitbekommen, denn – und hier kommen wir zu einem weiteren Punkt, den sicherlich sehr viele Fans der Hertha mit mir teilen und auf den ich im späteren Verlauf dieses Texts nochmal eingehen werde – ich war praktisch innerhalb weniger Sekunden von der Magie des Olympiastadions gefesselt.

Mit offenem Mund und großen Augen schaute ich mich um. Ich hatte noch nie so ein großes und lautes Gebäude gesehen und wusste kaum wie mir geschah. Zwischendurch fragte ich meinen Vater, ob denn das Spiel schon begonnen hätte? Dass ich nicht mitbekommen hatte, dass das Spiel seit über einer halben Stunde lief, lässt entweder bezüglich der Spielqualität tief blicken oder verdeutlicht nochmal meine kindliche Begeisterung für das Spektakel, welches das Geschehen auf dem Rasen begleitete. Das Spiel endete 1:1. Alexander Madlung hatte in der allerletzten Sekunde den Ausgleich erzielt. Ich wirbelte meinen Hertha-Schal, den mir mein Vater kurz vor Anpfiff noch gekauft hatte, rum, als wäre es das was ich seit Jahren tun würde.

Hertha
(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

An diesem Tag hatte Hertha BSC einen neuen Fan gewonnen. Über die nächsten Monate festigte sich meine Liebe nur noch mehr. Die Mannschaft machte es mir auch leicht. Spieler wie Gilberto, Yildiray Bastürk und insbesondere Zauberer Marcelinho verzauberten die Fans. Für mich ist diese Mannschaft die prägendste meines Fandaseins gewesen. Und schon damals war alles Himmel und Hölle. Einerseits schoss Marcelinho gegen den SC Freiburg das wohl spektakulärste Tor, was ich je im Stadion live gesehen habe, andererseits musste ich mit ansehen, wie die Mannschaft 2005 am letzten Spieltag gegen Hannover 96 den Einzug in die Champions League verspielte.

Hertha begeistert Menschen

Es folgte ein Leben, in dem der Fußball und ausgerechnet dieser Verein einen sehr zentralen Punkt einnahmen. So kitschig und antik das klingen mag, aber mit meinen  Freunden hörte ich jeden Samstag-Nachmittag dass RBB Info-Radio mit der Bundesliga-Konferenz, während wir die Spiele in meinem Zimmer mit einem Gummiball und Schüssen gegen die Wand nachspielten. Abends durfte die Sportschau niemals fehlen. Wenn ich mit meinen Eltern an einem Samstagnachmittag unterwegs war, bestand ich selbstverständlich immer darauf im Auto sitzen zu bleiben, um Radio hören zu können.

Hertha bemühte sich in den Jahren sehr darum, Kinder und Jugendliche an den Verein zu binden. Auf Einladung des Kids-Clubs, dessen Mitglied ich damals war, bin ich mit einem alten Schulfreund zu einem Kino-Event gegangen, wo wir „Der König von Narnja“ schauten. Ein Event, das im Vorfeld von Maskottchen Herthinho und Zecke moderiert wurde. Einen Kinosaal mieten und einen aktuellen Film kostenlos für Kinder und Jugendliche ausstrahlen. Es kann so einfach sein junge Fans an sich zu binden.

Wenige Jahre später durfte ich meinen Onkel, der damals Arzt auf einer Krebsstation war, und seine Kollegen und Patienten zu einem Hertha-Spiel begleiten. Hertha gewann das Spiel gegen die Freunde aus Karlsruhe mit 4:0 und beendete die Hinrunde auf Platz 3. Es war die legendäre „Fast-Meistersaison“ 2008/2009. Auch hier bemühte sich Hertha wieder um die Nähe zu den Fans. Das Spiel, welches wir in einer VIP-Loge des Olympiastadions verfolgen durften, wurde abgerundet durch die damals verletzten Spieler Josip Simunic und Sofian Chahed. Beide schauten mit uns das Spiel, waren für lustige Gespräche zu haben und standen für viele Fotos zu Verfügung. Wieder eine sehr einfache Möglichkeit Nähe zu Fans aufzubauen. 

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

Nach der erfolgreichsten Bundesligasaison, die ich als Hertha-Fan miterleben durfte, folgte dagegen die schlechteste. 2010 stieg Hertha sang- und klanglos ab, aber da hatte mich der Verein schon so sehr an sich gebunden, dass ich mich trotz der enttäuschenden Saison nicht mehr lösen konnte. Und selbst aus dieser Saison stammen Kuriositäten, von denen sich Herthaner bis heute erzählen. Etwa die von Torhüter Sascha Burcherts Kopfballklärungen verursachten Gegentreffer vom HSV oder dass die Mannschaft trotz ihrer aussichtslosen Position auf dem letzten Tabellenplatz stehend den amtierenden Meister VfL Wolfsburg mit 5:1 besiegte. Den Abstieg verfolgte ich damals als 14 Jähriger – wie sollte es anders sein – am Radio. Nach einem Unentschieden gegen Bayer Leverkusen am 33. Spieltag war er besiegelt und ich stand mit Tränen in den Augen am Küchenfenster und wollte nicht wahrhaben, dass wahrgeworden war, was sich seit Wochen angekündigt hatte.

Ab der folgenden Saison änderte sich meine Art Fan zu sein. Ich ging nicht mehr mit meinen Eltern oder anderen Erwachsenen ins Stadion. Von nun an wollte ich mit Freunden regelmäßig ins Olympiastadion gehen und die Mannschaft lautstark unterstützen. Auch die Plätze auf der Tribüne änderten sich. Vom Familienblock ging es in den Oberring, wo durch die Ostkurve angeleitet, eine brachiale Stimmung aufgebaut wurde. Begünstigt durch die guten Spiele in der 2. Bundesliga und den Wiederaufstieg erfuhr ich wie es war Teil einer riesigen Gemeinschaft zu sein. Schulter an Schulter vorm Spiel einschwören, mit erhobenen Schals Frank Zanders „Nur nach Hause“ singen und in jedem Spiel Vollgas geben und die Mannschaft zum Sieg schreien oder sie zumindest lautstark zu begleiten.

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Als Jugendlicher und Schüler, der immer noch finanziell schwer von seinen Eltern abhängig war, gab ich so ziemlich all mein Taschengeld für Stadiontickets aus. Heutzutage weiß ich gar nicht mehr, wie ich mir nebenbei noch etwas anderes leisten konnte. Ich gab viel zu viel Geld für Hertha aus bzw. wurde von dubiosen Leuten bei Ebay auch gerne mal ordentlich abgezockt. Mit Freunden fuhr ich am späten Freitagabend bis an die Ränder Berlins, nur um in dunklen Gassen noch schnell Karten für den nächsten Samstag zu bekommen. Ich versuchte, viele Leute von Hertha zu überzeugen und nahm regelmäßig unterschiedliche Personen mit ins Stadion. Manche konnte ich mit meiner Leidenschaft anstecken, andere nicht und das war okay.

Legenden werden geboren

Bis heute erlebte ich um Hertha Ereignisse, die im Laufe der Jahre zu Legenden geworden sind, obwohl man sie zum Zeitpunkt ihres Geschehens nie als diese wahrgenommen hätte. Jahre später sind sie Anekdoten zum in Erinnerung schwelgen. Ausnahmespieler wie Marcelinho und Marko Pantelic. Ein auf dem Cottbusser Mittelkreis tanzender Dieter Hoeneß. Raffaels Lauf auf das leere Tor gegen Hoffenheim am letzten Spieltag 2012. Die folgende Relegation gegen Fortuna Düsseldorf sowieso.

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Ob es ein Luhukay-Ausraster auf einer Pressekonferenz war, die erstaunlich gut auch jetzt, viele Jahre später, 2022 hervorragend passen würde. Die beste Zweitligasaison aller Zeiten mit 18 Toren Ronnys, die er zum Teil mit brachialer Gewalt erzielte. Eine viereinhalb Jahre haltende Ära mit Pal Dardai. Europa-League-Spiele in Bilbao und Östersund. Ein Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund, wofür es sogar Sondertrikots gab.

Bayern-Spiele, in denen entweder in der bereits abgelaufenen Nachspielzeit der Sieg aus den Händen gerissen wurde oder noch viel besser, ein Sieg im ausverkauften Olympiastadion gegen den Rekordmeister. Nur drei Stück gab es davon seit 2001, was diese Spiele zu besonderen Momenten macht. Der Einstieg Lars Windhorsts, das Engagement von Jürgen Klinsmann, die Transferphase im Winter 2020, das Ende der Ära Michael Preetz, die Rückkehr Pal Dardais, der Abstiegskampf 2021 während der Corona-Pandemie.

(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Doch auch zu Hertha gehören Dinge wie absurde Marketingkampagnen, Versuche, Hertha BSC in anderen Orten und Schichten der Stadt zu verankern. Komische Marketingsprüche, mit denen man sich eher blamiert, als dass sie ein cooles Image ermöglichen. Doch auch die Mitarbeiter des Vereins haben irgendwann festgestellt, dass man zwar die Vielfalt der Stadt leben kann und auch sollte, aber niemals die Grundsätze, die Fans und die Seele des Vereins verändern kann.

Die Macht des Olympiastadions

Als ich mich im Vorfeld auf diesen Text vorbereitet habe, habe ich einige meiner Freunde gefragt, warum sie Fans von Hertha BSC geworden sind und es immer noch sind. Jeder hat über die Macht des Olympiastadions gesprochen. Es gehört zu den vielen Mythen rund um den Verein. Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Bauwerk aus der wohl dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte stammt. Damit wurde sich in der Vergangenheit aber schon häufig genug auseinandergesetzt. Das Olympiastadion steht schon lange nicht mehr für das, für was es gebaut wurde.

Doch in diesem Stadion gab es für einen jeden Fan geballte Emotionen, ein Wechsel aus Freude und Trauer. Kinder wurden und werden immer noch zu Fans in dem Stadion, ob man will oder nicht. Es ist ein Bauwerk, das für viele Hertha-Fans eine Hassliebe darstellt. Riesig, einer Hauptstadt würdig und bei weitem kein seelenloser Stadionklotz, wie er in vielen deutschen Städten steht. Dazu eine Tartanlaufbahn, die ikonisch für das Stadion ist. Auf der anderen Seite sorgt genau diese Bahn für eine extreme Entzerrung des Stadions, durch das Marathontor zieht bei schlechtem Wetter unangenehmer Wind und die Einlasssituation am Olympiastadion ist für moderne Veranstaltungen schon lange nicht mehr ausgelegt.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Doch die Macht und Magie des Stadions sollte nicht unterschätzt werden. Am 9. November 2019, also fast genau auf den Tag 15 Jahre nach meinem Stadiondebüt, konnte ich auch meine kleinen Brüder für Hertha BSC begeistern. Die damals ebenfalls Neunjährigen mussten zwar eine 2:4-Niederlage gegen RB Leipzig mit ansehen. Aber es waren nicht die sehr schönen Tore von Timo Werner, die sie begeisterten, es war die Mauer-Choreo, die vor dem Spiel organisiert wurde. Die Retro-Trikots, die Hertha für dieses Spiel trug und die bombastische Stimmung der Ostkurve. Auch sie haben 15 Jahre nach mir zum ersten Mal den üblichen Kuttenträger gesehen, der mit einem Gürtel aus etlichen Vereinsschals und einer Bierflasche in der Hintertasche zum Stadion trottet.

Es sind noch immer dieselben Bilder und Szenen, die die Menschen vom Fußball begeistern. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie dieser Begeisterung nicht nachhaltig geschadet hat. Zusammen mit einem meiner besten Freunde ist es uns auch gelungen, seinen kleinen Bruder für Hertha zu begeistern. Kaum zu glauben nach einem 0:0 gegen den FC Augsburg, Temperaturen um den Gefrierpunkt und 90 Minuten Dauerschneeregen direkt ins Gesicht. Auch wenn es möglicherweise Zeit ist für ein neues Stadion, sollte der Verein die Macht des Olympiastadions nicht unterschätzen und beim Bau einer neuen Heimstädte darauf hoffen, dass die Seele niemals verloren geht.

Hertha
(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Genauso wie die Geschichten, die den Klub ausmachen. Schwer gebeutelt vom Nationalsozialismus, zwischendurch verboten worden, aber vor allem mit einer wundervollen Gründungsgeschichte. Die Restauration des Dampfers, nach dem der Verein 1892 benannt wurde, ist zwar schon ein jahrelanges Thema, aber es ist so wichtig für die Identifikation des Vereins. Allein der Vereinsname ist einzigartig. Ebenso wie das Logo, was sich über die vielen Jahre zwar nach und nach veränderte, aber immer Wiedererkennungswert hatte und heute mit „Fahne pur“ wohl in seiner schönsten Form existiert.

Die Geschichten um den Wedding, wo das erste Stadion der Hertha stand. Die „Plumpe“ musste irgendwann Wohnhäusern Platz machen, doch ein kleines Denkmal steht noch. Schon zur Zeit der Deutschen Teilung war Hertha ein Sehnsuchtsort vieler Menschen, die Fans heutiger Lokalrivalen waren und vom Osten aus versuchten die Atmosphäre des von der Mauer nur wenige hundert Meter entfernten Stadions zu erleben.

Oder die vielen Weddinger Talente, die Hertha in den 2000er Jahren von den Bolzplätzen locken konnte. Die Boatengs, Ben Hatiras, Dejaghas und Eberts sorgten für eine nie dagewesene Spielergeneration, die für einen unfassbaren Imagebooster des Vereins sorgten.

Hertha ist …

Hertha ist nicht das plastische Marketingprojekt, was man mit der modernen Start-Up-Mentalität kreieren möchte. Hertha ist eine trockene, zu harte Brezel im Olympiastadion oder fantastische Hotdogs, die leider viel teuer sind. Der Verein ist ein fettiges Schnitzelbrötchen, an dem man sich beim ersten Bissen ziemlich fies den Gaumen verbrennt und letztendlich schmeckt es dennoch köstlich. Hertha ist eine schier unendliche U-Bahn-Fahrt. Für mich, der aus Pankow kommt, heißt es einmal komplett die U2 zu fahren, um am Olympiastadion anzukommen.

Man kennt die Geschichten, dass sich Fans an einem bestimmten Ort in ihrer Stadt treffen und dann gemeinsam zum Stadion pilgern und von Straße zu Straße die Leute dazustoßen. Das ist in einer Metropole wie Berlin nur schwer zu organisieren. Aber eine U-Bahnfahrt ist vergleichbar. Wenn Spieltag ist, ist Spieltag und das merkt man. An jeder Station steigt jemand dazu. Spätestens ab der Station Zoologischer Garten ist die Bahn rappelvoll und die Stimmung wird heißer. Der Weg vom Bahnhof bis zum Stadion gehört zum Ritual, zum Spannungsaufbau. Genauso wie das kleine Wäldchen, das viele gerne für ihre letzte Notdurft nutzen.

Ich denke Hertha-Fans wissen, was ich meine. Hertha steht nicht nur für Charlottenburg-Wilmersdorf, wo das Olympiastadion steht oder für den Wedding, wo früher gespielt wurde. Der Verein steht für die komplette Millionenstadt, hat Fans in jedem Winkel, sogar im Speckgürtel und in Brandenburg. Man fühlt, dass man als Herthaner niemals allein ist. Ein Gefühl, dass Fans von Vereinen, die sich nie getraut haben über einen einzigen Bezirk hinwegzuschauen, möglicherweise nicht kennen. Irgendwer vor dir an der Supermarkt-Kasse hat immer eine EC-Karte im Hertha-Style. Vor ein paar Tagen habe ich eine Aussage gehört. die mich sehr schmunzeln ließ. „Hertha ist eine augenscheinlich langweilige Person, die in irgendeiner verrauchten Altberliner Kneipe sitzt und vor ihrer Biertulpe übers Leben meckert. Aber wenn man sich mit ihr beschäftigt, hat die Person Unmengen zu erzählen.“

Und so ist es. Sportlich sind es unfassbar schwere Zeiten und wir alle wünschen uns, dass die Mannschaft schnell zurück in ruhige Fahrgewässer findet und bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber auch wenn es den Verein nach neun Jahren wieder treffen sollte, dann ist es unfassbar traurig und es wird gerade im personellen Bereich riesige Veränderungen geben. Doch eines ist sicher. Die Geschichte und die Seele bleiben für immer und es liegt an uns sie weiterzuschreiben.

HaHoHe

[Titelbild: TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images]

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ÜBER DEN AUTOR

Johannes Boldt

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