Es sind mal wieder dunkle Zeiten rund um Hertha BSC. Die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre schmerzt gewaltig, der Versuch ein international erfolgreicher Club zu werden, scheint krachend gescheitert zu sein. Doch sind wir Hertha-Fans mal ganz ehrlich, darum geht es nicht.
“Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“
Die schwachen Spiele der letzten Wochen und Monate haben reingehauen und sie taten – nein, sie tun auch immer noch – weh. Die aktuelle Situation ist gefährlich und als Fan weiß man nicht so richtig, wie man sich damit abfinden soll. Die Saison war spätestens mit dem Ausscheiden im Pokal verschenkt, es geht einzig und allein ums nackte Überleben. Und im Fußball-Business ist das alles wichtig. Es ist sogar überlebenswichtig. Doch es gibt einen Fangesang, der vieles ausspricht, was eigentlich viel wichtiger ist. Gerade in diesem brutalen kapitalistischen Business: „Gemeinsam werden wir wieder siegreich sein, Hertha BSC – Traditionsverein! Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“
(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)
Ich bin seit knapp 18 Jahren Fan von Hertha BSC. Damit habe ich leider die goldenen Jahre in der Champions League um die Jahrtausendwende verpasst, doch auch ich kann von wundervollen Ereignissen um die Hertha zehren. Im Übrigen auch im sportlichen Bereich. In den letzten Jahren habe ich etwas gelernt, was mir immer mehr bewusst wird. Jede Generation, ja jeder Fan als Individuum schreibt seine eigene Geschichte und Legende mit dem Verein. Erlebnisse werden zu Erinnerungen. Erzählungen älterer Fans werden zu Mythen, die man immer wieder hört, sich in der eigenen Romantik ausschmückt und Unwissenden nur zu gerne weitererzählt.
Wenn ich Anekdoten vom legendären Nebelspiel gegen Barcelona höre oder Highlights vom Sieg gegen den FC Bayern München 2001, als Pal Dardai und Zecke Neuendorf das Spiel entschieden, sehe, dann sind das für mich wundervolle Momente, die der nahen Vergangenheit angehören, für mich aber trotzdem so etwas wie romantische Mythen rund um den Verein sind. Hertha BSC steht für vieles, insbesondere für eine beeindruckende Geschichte. Auch wenn der Verein seit seinen Meisterschaften Anfang der 1930er Jahre keine nennenswerten Titel mehr sammeln konnte, hat dieser Verein eine Vergangenheit, bei der von der Spannung her, in Berlin höchstens noch Tasmania Berlin mithalten kann.
Wie alles begann
Als ich als kleiner Junge – es wird 2002 oder 2003 gewesen sein – meine ersten großen Berührungspunkte mit Fußball hatte, war mein fußballerischer Lebenslauf bei weitem nicht so vorgezeichnet, wie er sich entwickelt hat. Meine Eltern waren trotz ihrer DDR-Vergangenheit große Bayern-Fans, mein späterer Stiefvater Fan von Bayer Leverkusen. Mein erstes Trikot, welches ich besaß, war also ein Kinder-Trikot von Oliver Kahn. Das EM-Finale 2004 zwischen Griechenland und Portugal war das erste Spiel, welches ich komplett verfolgt hatte, ohne mir vor kindlicher Langeweile eine andere Beschäftigung zu suchen. Und wahrscheinlich hätte es mir niemand verübelt, wenn ich gerade das Spiel, was wahrlich kein fußballerischer Leckerbissen war, auch nicht zu Ende geschaut und mich komplett vom Fußball distanziert hätte. Doch genau dieses Spiel ist bis heute sehr bezeichnend für mein Verständnis von Fußball und meiner Liebe zu Hertha.
(Photo credit should read VINCENZO PINTO/AFP via Getty Images)
Ich brauche nicht die große Explosion, aber ich will das Feuer, das die Spieler in sich tragen, auf dem Platz sehen. Und über viele Jahre bekamen wir genau das von unserer „Alten Dame“. Nach einigen Sportschau-Abenden mit meinem Vater hab ich ihn also gefragt, ob wir mal ins Stadion gehen könnten. Gesagt getan. Am 6. November 2004 saß ich als neun jähriger Junge zum ersten Mal auf der Tribüne des Olympiastadions. Vom Spiel gegen Werder Bremen habe ich damals nicht viel mitbekommen, denn – und hier kommen wir zu einem weiteren Punkt, den sicherlich sehr viele Fans der Hertha mit mir teilen und auf den ich im späteren Verlauf dieses Texts nochmal eingehen werde – ich war praktisch innerhalb weniger Sekunden von der Magie des Olympiastadions gefesselt.
Mit offenem Mund und großen Augen schaute ich mich um. Ich hatte noch nie so ein großes und lautes Gebäude gesehen und wusste kaum wie mir geschah. Zwischendurch fragte ich meinen Vater, ob denn das Spiel schon begonnen hätte? Dass ich nicht mitbekommen hatte, dass das Spiel seit über einer halben Stunde lief, lässt entweder bezüglich der Spielqualität tief blicken oder verdeutlicht nochmal meine kindliche Begeisterung für das Spektakel, welches das Geschehen auf dem Rasen begleitete. Das Spiel endete 1:1. Alexander Madlung hatte in der allerletzten Sekunde den Ausgleich erzielt. Ich wirbelte meinen Hertha-Schal, den mir mein Vater kurz vor Anpfiff noch gekauft hatte, rum, als wäre es das was ich seit Jahren tun würde.
(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
An diesem Tag hatte Hertha BSC einen neuen Fan gewonnen. Über die nächsten Monate festigte sich meine Liebe nur noch mehr. Die Mannschaft machte es mir auch leicht. Spieler wie Gilberto, Yildiray Bastürk und insbesondere Zauberer Marcelinho verzauberten die Fans. Für mich ist diese Mannschaft die prägendste meines Fandaseins gewesen. Und schon damals war alles Himmel und Hölle. Einerseits schoss Marcelinho gegen den SC Freiburg das wohl spektakulärste Tor, was ich je im Stadion live gesehen habe, andererseits musste ich mit ansehen, wie die Mannschaft 2005 am letzten Spieltag gegen Hannover 96 den Einzug in die Champions League verspielte.
Hertha begeistert Menschen
Es folgte ein Leben, in dem der Fußball und ausgerechnet dieser Verein einen sehr zentralen Punkt einnahmen. So kitschig und antik das klingen mag, aber mit meinen Freunden hörte ich jeden Samstag-Nachmittag dass RBB Info-Radio mit der Bundesliga-Konferenz, während wir die Spiele in meinem Zimmer mit einem Gummiball und Schüssen gegen die Wand nachspielten. Abends durfte die Sportschau niemals fehlen. Wenn ich mit meinen Eltern an einem Samstagnachmittag unterwegs war, bestand ich selbstverständlich immer darauf im Auto sitzen zu bleiben, um Radio hören zu können.
Hertha bemühte sich in den Jahren sehr darum, Kinder und Jugendliche an den Verein zu binden. Auf Einladung des Kids-Clubs, dessen Mitglied ich damals war, bin ich mit einem alten Schulfreund zu einem Kino-Event gegangen, wo wir „Der König von Narnja“ schauten. Ein Event, das im Vorfeld von Maskottchen Herthinho und Zecke moderiert wurde. Einen Kinosaal mieten und einen aktuellen Film kostenlos für Kinder und Jugendliche ausstrahlen. Es kann so einfach sein junge Fans an sich zu binden.
Wenige Jahre später durfte ich meinen Onkel, der damals Arzt auf einer Krebsstation war, und seine Kollegen und Patienten zu einem Hertha-Spiel begleiten. Hertha gewann das Spiel gegen die Freunde aus Karlsruhe mit 4:0 und beendete die Hinrunde auf Platz 3. Es war die legendäre „Fast-Meistersaison“ 2008/2009. Auch hier bemühte sich Hertha wieder um die Nähe zu den Fans. Das Spiel, welches wir in einer VIP-Loge des Olympiastadions verfolgen durften, wurde abgerundet durch die damals verletzten Spieler Josip Simunic und Sofian Chahed. Beide schauten mit uns das Spiel, waren für lustige Gespräche zu haben und standen für viele Fotos zu Verfügung. Wieder eine sehr einfache Möglichkeit Nähe zu Fans aufzubauen.
(Photo by Denis Doyle/Getty Images)
Nach der erfolgreichsten Bundesligasaison, die ich als Hertha-Fan miterleben durfte, folgte dagegen die schlechteste. 2010 stieg Hertha sang- und klanglos ab, aber da hatte mich der Verein schon so sehr an sich gebunden, dass ich mich trotz der enttäuschenden Saison nicht mehr lösen konnte. Und selbst aus dieser Saison stammen Kuriositäten, von denen sich Herthaner bis heute erzählen. Etwa die von Torhüter Sascha Burcherts Kopfballklärungen verursachten Gegentreffer vom HSV oder dass die Mannschaft trotz ihrer aussichtslosen Position auf dem letzten Tabellenplatz stehend den amtierenden Meister VfL Wolfsburg mit 5:1 besiegte. Den Abstieg verfolgte ich damals als 14 Jähriger – wie sollte es anders sein – am Radio. Nach einem Unentschieden gegen Bayer Leverkusen am 33. Spieltag war er besiegelt und ich stand mit Tränen in den Augen am Küchenfenster und wollte nicht wahrhaben, dass wahrgeworden war, was sich seit Wochen angekündigt hatte.
Ab der folgenden Saison änderte sich meine Art Fan zu sein. Ich ging nicht mehr mit meinen Eltern oder anderen Erwachsenen ins Stadion. Von nun an wollte ich mit Freunden regelmäßig ins Olympiastadion gehen und die Mannschaft lautstark unterstützen. Auch die Plätze auf der Tribüne änderten sich. Vom Familienblock ging es in den Oberring, wo durch die Ostkurve angeleitet, eine brachiale Stimmung aufgebaut wurde. Begünstigt durch die guten Spiele in der 2. Bundesliga und den Wiederaufstieg erfuhr ich wie es war Teil einer riesigen Gemeinschaft zu sein. Schulter an Schulter vorm Spiel einschwören, mit erhobenen Schals Frank Zanders „Nur nach Hause“ singen und in jedem Spiel Vollgas geben und die Mannschaft zum Sieg schreien oder sie zumindest lautstark zu begleiten.
(Photo credit should read ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)
Als Jugendlicher und Schüler, der immer noch finanziell schwer von seinen Eltern abhängig war, gab ich so ziemlich all mein Taschengeld für Stadiontickets aus. Heutzutage weiß ich gar nicht mehr, wie ich mir nebenbei noch etwas anderes leisten konnte. Ich gab viel zu viel Geld für Hertha aus bzw. wurde von dubiosen Leuten bei Ebay auch gerne mal ordentlich abgezockt. Mit Freunden fuhr ich am späten Freitagabend bis an die Ränder Berlins, nur um in dunklen Gassen noch schnell Karten für den nächsten Samstag zu bekommen. Ich versuchte, viele Leute von Hertha zu überzeugen und nahm regelmäßig unterschiedliche Personen mit ins Stadion. Manche konnte ich mit meiner Leidenschaft anstecken, andere nicht und das war okay.
Legenden werden geboren
Bis heute erlebte ich um Hertha Ereignisse, die im Laufe der Jahre zu Legenden geworden sind, obwohl man sie zum Zeitpunkt ihres Geschehens nie als diese wahrgenommen hätte. Jahre später sind sie Anekdoten zum in Erinnerung schwelgen. Ausnahmespieler wie Marcelinho und Marko Pantelic. Ein auf dem Cottbusser Mittelkreis tanzender Dieter Hoeneß. Raffaels Lauf auf das leere Tor gegen Hoffenheim am letzten Spieltag 2012. Die folgende Relegation gegen Fortuna Düsseldorf sowieso.
(Photo credit should read ARIS MESSINIS/AFP via Getty Images)
Ob es ein Luhukay-Ausraster auf einer Pressekonferenz war, die erstaunlich gut auch jetzt, viele Jahre später, 2022 hervorragend passen würde. Die beste Zweitligasaison aller Zeiten mit 18 Toren Ronnys, die er zum Teil mit brachialer Gewalt erzielte. Eine viereinhalb Jahre haltende Ära mit Pal Dardai. Europa-League-Spiele in Bilbao und Östersund. Ein Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund, wofür es sogar Sondertrikots gab.
Bayern-Spiele, in denen entweder in der bereits abgelaufenen Nachspielzeit der Sieg aus den Händen gerissen wurde oder noch viel besser, ein Sieg im ausverkauften Olympiastadion gegen den Rekordmeister. Nur drei Stück gab es davon seit 2001, was diese Spiele zu besonderen Momenten macht. Der Einstieg Lars Windhorsts, das Engagement von Jürgen Klinsmann, die Transferphase im Winter 2020, das Ende der Ära Michael Preetz, die Rückkehr Pal Dardais, der Abstiegskampf 2021 während der Corona-Pandemie.
(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)
Doch auch zu Hertha gehören Dinge wie absurde Marketingkampagnen, Versuche, Hertha BSC in anderen Orten und Schichten der Stadt zu verankern. Komische Marketingsprüche, mit denen man sich eher blamiert, als dass sie ein cooles Image ermöglichen. Doch auch die Mitarbeiter des Vereins haben irgendwann festgestellt, dass man zwar die Vielfalt der Stadt leben kann und auch sollte, aber niemals die Grundsätze, die Fans und die Seele des Vereins verändern kann.
Die Macht des Olympiastadions
Als ich mich im Vorfeld auf diesen Text vorbereitet habe, habe ich einige meiner Freunde gefragt, warum sie Fans von Hertha BSC geworden sind und es immer noch sind. Jeder hat über die Macht des Olympiastadions gesprochen. Es gehört zu den vielen Mythen rund um den Verein. Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Bauwerk aus der wohl dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte stammt. Damit wurde sich in der Vergangenheit aber schon häufig genug auseinandergesetzt. Das Olympiastadion steht schon lange nicht mehr für das, für was es gebaut wurde.
Doch in diesem Stadion gab es für einen jeden Fan geballte Emotionen, ein Wechsel aus Freude und Trauer. Kinder wurden und werden immer noch zu Fans in dem Stadion, ob man will oder nicht. Es ist ein Bauwerk, das für viele Hertha-Fans eine Hassliebe darstellt. Riesig, einer Hauptstadt würdig und bei weitem kein seelenloser Stadionklotz, wie er in vielen deutschen Städten steht. Dazu eine Tartanlaufbahn, die ikonisch für das Stadion ist. Auf der anderen Seite sorgt genau diese Bahn für eine extreme Entzerrung des Stadions, durch das Marathontor zieht bei schlechtem Wetter unangenehmer Wind und die Einlasssituation am Olympiastadion ist für moderne Veranstaltungen schon lange nicht mehr ausgelegt.
(Photo by Boris Streubel/Getty Images)
Doch die Macht und Magie des Stadions sollte nicht unterschätzt werden. Am 9. November 2019, also fast genau auf den Tag 15 Jahre nach meinem Stadiondebüt, konnte ich auch meine kleinen Brüder für Hertha BSC begeistern. Die damals ebenfalls Neunjährigen mussten zwar eine 2:4-Niederlage gegen RB Leipzig mit ansehen. Aber es waren nicht die sehr schönen Tore von Timo Werner, die sie begeisterten, es war die Mauer-Choreo, die vor dem Spiel organisiert wurde. Die Retro-Trikots, die Hertha für dieses Spiel trug und die bombastische Stimmung der Ostkurve. Auch sie haben 15 Jahre nach mir zum ersten Mal den üblichen Kuttenträger gesehen, der mit einem Gürtel aus etlichen Vereinsschals und einer Bierflasche in der Hintertasche zum Stadion trottet.
Es sind noch immer dieselben Bilder und Szenen, die die Menschen vom Fußball begeistern. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie dieser Begeisterung nicht nachhaltig geschadet hat. Zusammen mit einem meiner besten Freunde ist es uns auch gelungen, seinen kleinen Bruder für Hertha zu begeistern. Kaum zu glauben nach einem 0:0 gegen den FC Augsburg, Temperaturen um den Gefrierpunkt und 90 Minuten Dauerschneeregen direkt ins Gesicht. Auch wenn es möglicherweise Zeit ist für ein neues Stadion, sollte der Verein die Macht des Olympiastadions nicht unterschätzen und beim Bau einer neuen Heimstädte darauf hoffen, dass die Seele niemals verloren geht.
(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)
Genauso wie die Geschichten, die den Klub ausmachen. Schwer gebeutelt vom Nationalsozialismus, zwischendurch verboten worden, aber vor allem mit einer wundervollen Gründungsgeschichte. Die Restauration des Dampfers, nach dem der Verein 1892 benannt wurde, ist zwar schon ein jahrelanges Thema, aber es ist so wichtig für die Identifikation des Vereins. Allein der Vereinsname ist einzigartig. Ebenso wie das Logo, was sich über die vielen Jahre zwar nach und nach veränderte, aber immer Wiedererkennungswert hatte und heute mit „Fahne pur“ wohl in seiner schönsten Form existiert.
Die Geschichten um den Wedding, wo das erste Stadion der Hertha stand. Die „Plumpe“ musste irgendwann Wohnhäusern Platz machen, doch ein kleines Denkmal steht noch. Schon zur Zeit der Deutschen Teilung war Hertha ein Sehnsuchtsort vieler Menschen, die Fans heutiger Lokalrivalen waren und vom Osten aus versuchten die Atmosphäre des von der Mauer nur wenige hundert Meter entfernten Stadions zu erleben.
Oder die vielen Weddinger Talente, die Hertha in den 2000er Jahren von den Bolzplätzen locken konnte. Die Boatengs, Ben Hatiras, Dejaghas und Eberts sorgten für eine nie dagewesene Spielergeneration, die für einen unfassbaren Imagebooster des Vereins sorgten.
Hertha ist …
Hertha ist nicht das plastische Marketingprojekt, was man mit der modernen Start-Up-Mentalität kreieren möchte. Hertha ist eine trockene, zu harte Brezel im Olympiastadion oder fantastische Hotdogs, die leider viel teuer sind. Der Verein ist ein fettiges Schnitzelbrötchen, an dem man sich beim ersten Bissen ziemlich fies den Gaumen verbrennt und letztendlich schmeckt es dennoch köstlich. Hertha ist eine schier unendliche U-Bahn-Fahrt. Für mich, der aus Pankow kommt, heißt es einmal komplett die U2 zu fahren, um am Olympiastadion anzukommen.
Man kennt die Geschichten, dass sich Fans an einem bestimmten Ort in ihrer Stadt treffen und dann gemeinsam zum Stadion pilgern und von Straße zu Straße die Leute dazustoßen. Das ist in einer Metropole wie Berlin nur schwer zu organisieren. Aber eine U-Bahnfahrt ist vergleichbar. Wenn Spieltag ist, ist Spieltag und das merkt man. An jeder Station steigt jemand dazu. Spätestens ab der Station Zoologischer Garten ist die Bahn rappelvoll und die Stimmung wird heißer. Der Weg vom Bahnhof bis zum Stadion gehört zum Ritual, zum Spannungsaufbau. Genauso wie das kleine Wäldchen, das viele gerne für ihre letzte Notdurft nutzen.
Ich denke Hertha-Fans wissen, was ich meine. Hertha steht nicht nur für Charlottenburg-Wilmersdorf, wo das Olympiastadion steht oder für den Wedding, wo früher gespielt wurde. Der Verein steht für die komplette Millionenstadt, hat Fans in jedem Winkel, sogar im Speckgürtel und in Brandenburg. Man fühlt, dass man als Herthaner niemals allein ist. Ein Gefühl, dass Fans von Vereinen, die sich nie getraut haben über einen einzigen Bezirk hinwegzuschauen, möglicherweise nicht kennen. Irgendwer vor dir an der Supermarkt-Kasse hat immer eine EC-Karte im Hertha-Style. Vor ein paar Tagen habe ich eine Aussage gehört. die mich sehr schmunzeln ließ. „Hertha ist eine augenscheinlich langweilige Person, die in irgendeiner verrauchten Altberliner Kneipe sitzt und vor ihrer Biertulpe übers Leben meckert. Aber wenn man sich mit ihr beschäftigt, hat die Person Unmengen zu erzählen.“
Und so ist es. Sportlich sind es unfassbar schwere Zeiten und wir alle wünschen uns, dass die Mannschaft schnell zurück in ruhige Fahrgewässer findet und bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber auch wenn es den Verein nach neun Jahren wieder treffen sollte, dann ist es unfassbar traurig und es wird gerade im personellen Bereich riesige Veränderungen geben. Doch eines ist sicher. Die Geschichte und die Seele bleiben für immer und es liegt an uns sie weiterzuschreiben.
Bei dem Namen Hoeneß werden bei vielen Hertha-Fans Erinnerungen wach. Gab es da nicht mal einen Manager, der so hieß? Es gab sogar zwei. In seinem Podcast „11 Leben – Die Welt von Uli Hoeneß“ taucht der Journalist Max-Jacob Ost tief in die Geschichte des erfolgreicheren Hoeneß-Bruders ein. Herausgekommen ist ein spannende Zeitreise, in der Hertha zwar nur am Rande vorkommt, die aber mit dem heutigen Zustand der alten Dame eine Menge zu tun hat.
Was ist der Fußball? Sport, Unterhaltung, Geschäft. Einer, der alle Facetten des Fußballs miterlebt hat und maßgeblich daran beteiligt war, ihn deutschlandweit vom schönen zum profitablen Spiel zu machen, ist Uli Hoeneß. Der ehemalige Bayern-Spieler, Manager und Präsident steht wie kein zweiter für die Entwicklung und Kommerzialisierung dieses Spiels.
Viel wurde über den spiritus rector des modernen FC Bayern geschrieben. Auch Hoeneß selbst hat oft durch polemische und scharfe Äußerungen von sich reden gemacht. Zuletzt wurde wieder viel über und schlussendlich auch mit ihm geredet. In 17 Folgen widmete sich „Rasenfunk“-Moderator und Sportjournalist Max-Jacob Ost der Welt von Uli Hoeneß. Sein Podcast „11 Leben” zählt zu den beeindruckendsten deutschen Podcast-Projekten der jüngsten Zeit.
Akribisch und hartnäckig arbeitet sich Ost an Hoeneß ab, kommt ihm mal ganz nah, nur um dann wieder weggestoßen zu werden. Wie ein Getriebener verfolgt er diesen Mann, der einen langen Schatten von der Säbener Straße auf ganz Fußball-Deutschland wirft. „11 Leben“ ist gerade deshalb so unterhaltsam, weil man merkt, wie Ost sich in bester Berti Vogtscher Terrier-Manier in das Vorhaben verbeißt, dem Menschen Uli Hoeneß auf die Schliche zu kommen. Man könnte fast meinen, dass Ost versucht, Hoeneß zu entzaubern, die Mediengestalt einzureißen und dem Menschen Hoeneß ins Gesicht zu blicken.
Was hat der denn noch verbrochen?
Dieses Vorhaben gelingt Ost dort, wenn er auf persönliche Anekdoten seiner Interviewpartner zurückgreifen kann. Neben den Wortmeldungen einstiger Weggefährten und Sekundärquellen, bleiben aber oftmals nur die Aussagen, die von Hoeneß selbst getätigt wurden. Damit muss Ost die anspruchsvolle Aufgabe vollziehen, diese Aussagen des Medien-Hoeneß kritisch einzuordnen und von der privaten Person zu trennen. Dabei hilft die Entscheidung, nicht nur das Leben von Uli Hoeneß nachzuerzählen, sondern anhand dessen die Entwicklung des deutschen Fußballs nachzuzeichnen. So können einzelne Aussagen im jeweiligen zeitlichen Kontext verstanden werden.
Es ist wahrscheinlich zu hoch gegriffen, Hoeneß für alle wirtschaftlichen Entwicklungen in der Bundesliga und speziell beim FC Bayern direkt und alleinig verantwortlich zu machen. Sein Einfluss ist zwar enorm, allmächtig ist er jedoch nicht und auch Fortuna hatte sicher das ein oder andere Mal ihre Finger im Spiel. Dass der Halo des Hoeneß‘schen Lebenswerks hell strahlt, bekommt auch Ost zu spüren. Die Geschichte des Genies, das alle Fäden in der Hand hält und die Last des Erfolgs alleine auf seinen Schultern trägt, ist ein verlockendes Narrativ und auch Ost bedient es teilweise, verheddert sich aber so in seiner eigenen Dramaturgie. An diesen seltenen Stellen lässt sich Ost von der Medienfigur blenden und verliert den Anschluss zum Menschen Hoeneß.
Hört man „11 Leben“, bekommt man den Eindruck, dass im deutschen Fußball kein Weg an Hoeneß vorbeiführt – vorausgesetzt, man kreuzt seinen Weg. Es ist bezeichnend, dass Hertha in der Welt von Uli Hoeneß kaum vorzukommen scheint. Sicher, Dieter Hoeneß hat versucht, es seinem Bruder karrieretechnisch gleichzutun, scheiterte aber. Wichtig wird Hertha aber nur, wenn es um die Bestechungsskandale in den 70ern geht und über den etwas anrüchigen Transfer von Sebastian Deisler gesprochen wird. Sonst bleibt Hertha die bekannte graue Maus, unwürdig der Aufmerksamkeit eines Uli Hoeneß. Das Leben des augenscheinlichen Bayern-Allvaters liest sich, wie eine Aneinanderreihung von wichtigen und visionären Entscheidungen. In welche Richtung diese Korrelation wirkt, ob also Hoeneß für die Wichtigkeit verantwortlich ist oder ob er das Narrativ einfach nur geschickt für sich genutzt hat, bleibt offen. Der Medien-Hoeneß würde natürlich Ersteres behaupten.
Von Hoeneß und Hertha
Um den modernen deutschen Fußball zu verstehen, muss man ihn allerdings nicht durch die Augen des Menschen Uli Hoeneß, sondern anhand der Medienfigur Hoeneß analysieren. Die im Podcast vorgenommene Sezierung beider Gestalten erlaubt es, so eine direkte, wenn auch verworrene Verbindung zwischen Uli Hoeneß, dem FC Bayern und Hertha BSC herzustellen.
Die Figur Hoeneß symbolisiert eine Erfolgsgeschichte. Aus der Baden-Württembergischen Provinz führte er einen einstigen Provinzclub an die Weltspitze, zoffte sich öffentlich mit den Fußballgrößen ihrer Zeit und schaffte es irgendwie sie zu überdauern und zu überleben. Hoeneß steht für die patriachische und anachronistische Seite des Sports – das analysiert Ost treffend. Das Spiel aber ist schneller geworden, Hoeneß hat maßgeblich dazu beigetragen und bereits bestehende Entwicklungen klug für den FC Bayern zu nutzen gewusst. Er hat an den richtigen Stellen sein Fähnchen in den Wind und den Verein so auf Kurs gehalten. Hoeneß hat vorgemacht, wie man nicht nur einen Verein, sondern auch sich selbst erfolgreich vermarkten kann.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)
Er stellte dabei eine Messlatte auf, die kein anderer Verein in Deutschland langfristig überwinden konnte. Zeigte, dass ein goldener Topf unter dem Regenbogen steht. Hoeneß versprühte nicht nur den Duft angeblich exzellenter Bratwürste, sondern auch des ganz großen Geldes. Es ist daher kein Wunder, dass Andere versuchen, es ihm gleichzutun und damit unbewusst dem Hoeneß’schen Nimbus entgegenhandeln. Hoeneß betonte immer wieder stolz, dass der FC Bayern stets ohne Mäzen oder Investor ausgekommen sei. Im Versuch, sich den Erfolg zu erkaufen und vom Streulicht des Bayerns zu profitieren, unterminieren Investoren in deutsche Vereine aber genau diesen essentiellen Baustein für den Bayrischen Mythos. Das Geld allein nicht glücklich macht und man auch eine starke Identifikationsfigur braucht um die alteingesessenen Fans nicht zu verprellen, kann man nicht nur in der Zusammensetzung der Münchner, sondern auch Berliner Vereinsebene sehen.
Dass der FC Bayern dabei aber das medientaktische Geschick von Hoeneß zur Verfügung hatte, kann man als außerordentliches Glück, aber keinesfalls Selbstverständlichkeit sehen. Genauso wie es zu einfach wäre, allein Hoeneß für den Erfolg der Bayern verantwortlich zu machen, wäre es kurzsichtig anzunehmen, dass es eine unbedingte Erfolgsgarantie der Münchener gäbe.
Der Mann, der Mensch, das Symptom
Erfolg im Fußball funktioniert über das Prinzip des Risikomanagments. Man kann den Sieg nicht erzwingen, nur das Verlieren weniger wahrscheinlich machen. Das gilt auch für das Prinzip Hoeneß und jedes Investment, dass es versucht zu kopieren. Trotzdem schadet aus finanzieller Sicht aber nicht, das Spiel als gigantischen Unterhaltungskomplex zu begreifen und sein Handeln strategisch anzupassen. Das hat Hoeneß verstanden und wie kein zweiter zu nutzen gewusst. Seine Art als „echter Typ“ lässt einen dabei vergessen, dass seine Medienfigur in ein komplexes Netzwerk an Beziehungen eingeflochten ist, die den modernen Event-Fußball ausmachen. Hoeneß fungiert damit als psychoanalytisches Symptom eben dieses Systems.
An dieser Stelle lohnt sich ein Exkurs, wie der Französische Psychoanalytiker Jacques Lacan auf das Symptom im generellen blickte. Extrem vereinfacht gesagt, tritt ein Symptom zunächst als unangenehme Erfahrung zu Tage. Sein Ursprung, lokalisiert im innerpsychischen Konflikt ergibt sich erst durch eine nachträgliche Analyse. Gleichzeitig braucht man das Symptom aber auch, man kann sich an ihm reiben und sich dadurch selbst behaupten. Uli Hoeneß wird entweder zum übermächtigen Vater oder zum Totengräber des Fußballs stilisiert. Beides kann nur im System des modernen Fußballs geschehen, in dem er entweder als Garant für totalen Erfolg oder als Begründer gesehen wird. Die Auflösung des Symptoms kann nur in der Analyse geschehen. Nur so kann seine Bedeutung ergründet werden.
In diesem Sinne ist „11 – Leben“ die Podcast gewordene Psychoanalyse des Symptoms Uli Hoeneß, eines Phänomens, dessen Bedeutung sich erst im Nachhinein feststellen, das viele Menschen brauchen, um ihre Vorstellung des Fußballs aufrecht zu erhalten, aber auf ein grundlegendes und teilweise verdrängtes Problem verweist.
Seine Person und sein Auftreten ist sicher nicht für jeden erträglich und leitet sich direkt aus dem zeitgenössischen Horse-Race Sportjournalismus ab, es ist aber gleichzeitig unbedingt notwendig, damit die Illusion des „echten“ Fußballs aufrechterhalten wird. Ohne das Symptom, das das eigentliche System eigentlich unterminiert, kann das System aber nicht bestehen bleiben – es würde unerträglich werden und schließlich zusammenbrechen. Man stelle sich vor, dass statt seiner da ein glattgebügelter Managertyp, der Fußball nie gelebt hat, im Doppelpass sitzen würde. Für viele Fans ist es sicher nicht schön, dass Hoeneß da ist, seine Abwesenheit wäre aber viel schlimmer. Menschen wie Hoeneß aus dem System Fußball zu entfernen, würde bedeuten, dass dieses System endgültig in seiner ganzen Verkommenheit entblößt würde. Dieser Umstand wird nicht gerade dadurch einfacher, dass Hoeneß selbst dazu beigetragen hat, dass es soweit kommen konnte.
Der Mensch im Podcast
Uli Hoeneß ist so komplex, wie jeder andere Mensch auch. Teil dieser Komplexität ist eine recht unterkomplexe Medienfigur, die sich an vielen Stellen mit dem Menschen Hoeneß in die Quere kommt. Man sollte nicht den Fehler machen, zu denken, dass das eine ohne das Andere existieren, geschweige denn die gleichen heftigen Reaktionen hervorrufe könnte. Ost gelingt es in „11 – Leben“ die beiden Teile zu trennen, dann aber zu einem stimmigen Gesamtbild wieder zusammenzusetzen. Der Mensch Uli Hoeneß ist die Figur, die Figur ist der Mensch.
Schlussendlich wäre vieles im deutschen Fußball ohne Uli Hoeneß’ Zutun wohl anders verlaufen. Dennoch steht seine Person stellvertretend für einen Prozess, in dessen Verlauf auch die aktuellen Entwicklungen um Hertha BSC zu verorten sind. Das Hertha irgendwann aber zu einem zweiten FC Bayern wird, ist aber unrealistisch. Dafür fehlt der alten Dame ein Uli Hoeneß.
Viele Baustellen, viel Kapital, viele Erwartungen. Das Transferfenster schien die ideale Gelegenheit zu sein den langersehnten großen Sprung nach vorn zu tun. Was bleibt ist verbrannte Erde, verspieltes Vertrauen und ein Kader, der noch schlechter aufgestellt ist als letzte Saison
Große Namen, kleine Ergebnisse
Wie immer in der post Windhorst Zeit, war Hertha in der Transferzeit mit großen und mittleren Namen des Fußballgeschäfts in Verbindung gebracht worden. Neu hingegen war, dass sich Investments erstmals auch ausgezahlt haben. Cunha und Cordoba wurden beide gewinnbringend verkauft und sorgten für ein sattes Transferplus. Corona hin oder her, die 50 Millionen, die so erzielt werden konnten in Kombination mit der letzten Tranche des Tennor-Investments mussten dringend in neue Spieler investiert werden. Das war dringend nötig. Und ist es leider immer noch.
Keine Flügelspieler, Außenverteidiger ohne taktische oder technische Finesse, eine Offensive mit gewaltigem Potential, aber ohne Konstanz. Dazu ein Kreativitätsdefizit und der schon fast traditionelle Abgang eines jungen, vielversprechenden Talents. Der Kader von Hertha wies mehr Baustellen auf als ganz Berlin. Und wie es nun mal Usus in der Hauptstadt ist, baulich, wie auch sportlich: Millionen werden investiert; Verbessern tut sich nichts.
Täglich grüßt das Umbruchtier
In Erinnerung bleibt der Ladebalken, dessen Verharren bei 22% man nur mit der Inkompetenz der Verantwortlichen oder ausgeprägten sadistischen Neigungen der Selbigen erklären kann. Ist man sich nicht sicher, ob der Computer gerade abgestürzt ist, hat man wenigstens noch die Wahl über STRG + ALT + ENTF einen Neustart einzuleiten.
Hertha-Fans begeben sich nun panisch auf die Suche das Äquivalent dieser Tastenkombination bei ihrem Verein zu finden, nur um schockiert festzustellen, dass sie sich seit nunmehr drei Saisons in einer Zeitschleife von misslungen (Deadline)Transfers, gescheiterten Umbrüchen und zerstörten Hoffnungen befinden.
Koan neuer Leader
Investor Lars Windhorst ließ immer verlauten, dass er eine langfristige Partnerschaft mit Hertha anstrebe. Das diese Worte nur etwas wert sind, wenn sportlicher Erfolg dahintersteht, dürfte jedem klar sein. Langfristiger Erfolg bedeutet auch, dass man nachhaltig investiert. Spieler holt, die eine Mannschaft auf Jahre hin prägen können.
Stattdessen bediente man sich in der Riege der Alt-Herrenmannschaft. Das kann kurzfristig helfen, wenn man aber parallel seinen ganzen Kader ausverkauft, bleibt die Frage, welche Spieler überhaupt noch von der Erfahrung der Alt-Stars profitieren können.
Peinlich und enttäuschend
Der verkorkste Social-Media-Auftritt Herthas hat das Versagen der sportlichen Führung eindrucksvoll für die Nachwelt festgehalten. Man kann jetzt schon die Gehirne der Redakteure rattern hören. Welche gehässige Schlagzeile wird von der katastrophalen Misskommunikation Kunde tun? „Big-Ladebalken-Club“ oder doch „22 Prozent jagen einem Spieler hinterher“? Vielleicht hat Hertha ja auch seine Millionen in Anteile von WUMMS und FUMS gesteckt und liefert deshalb so zuverlässig Content für diese Satire-Seiten.
Unterm Strich kann man eigentlich gar nicht sauer auf Hertha sein. Man muss eher wütend das eigene Spiegelbild anschreien, warum man zugelassen hat, erneut enttäuscht zu werden. Man wähnt sich wie in einer dieser Sitcoms, in denen über 16 quälend lange Staffeln zwei Charakter immer wieder knapp aneinander vorbei leben, obwohl es klar ist, dass sie füreinander geschaffen sind. Das geschieht nicht aus dramaturgischen Gründen, sondern weil man auch noch den letzten Cent aus der Aufmerksamkeit der Fans herausquetschen will. Es ist klar, dass nach sieben Staffeln die Zuschauer:innen schon soviel investiert haben, dass sie jetzt unbedingt wissen wollen, wie es ausgeht.
Die Enden dieser Serien sind meist enttäuschend, unbefriedigend und schlecht konstruiert. Man hat also die freie Entscheidung, ob man sich statt „The Big Bang Theory“ nicht einfach den Kader von Hertha und seinen Entstehungsprozess anguckt.
Gibt es bei Hertha interne Konflikte, hört man von Coach Pal Dardai des Öfteren, dass diese „unter Männern“ geklärt worden seien. Hinzu kommen weitere Phrasen über „Männersport“ und Rollenverteilungen in der Familie. Das wirft nicht nur ein unschönes Licht auf den sonst so sympathischen Hertha-Trainer. Angesichts der seit Jahren vorherrschenden Fehleinstellung seiner Mannschaft ist es auch einfach peinlich.
Von “Sportschokolade” und “Eiern”
Nach dem enttäuschenden Bundesliga-Auftakt gegen den 1. FC Köln und der schwachen Leistung von Matheus Cunha ließ Pal Dardai wissen, dass man anschließend einen „Streit unter Männern“ geführt habe. Geht es nach Spielen um vermeintliche Schwalben, erinnert der Ungar häufig daran, dass Fußball ein „Männersport“ sei.
Nein, im Fußball muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Und irgendwie gehört es auch zum immer offenen und ehrlichen Pal, dass da auch mal ein solcher Querschläger herauskommt. Es ist auch völlig okay, dass Hertha-Coach Dardai und seine Familie das so leben. Aber selbst wenn er es nicht so meint, schwingt dabei immer leicht mit, dass Fußball für Dardai eben nichts für Frauen ist und noch viel schlimmer: Dass Menschen, die eben nicht dieser Dardai’schen Vorstellung des Familienlebens entsprechen, nicht leistungsfähig genug sind.
Überhaupt entsteht die Frage, ob Pal der Meinung ist, ob nur Männer etwas richtig klären können und Frauen grundsätzlich nicht konfliktkompetent und friedensfähig seien. Dass Letzteres Unsinn ist, weiß man auch ohne ein Geschichtsbuch über die Entstehung der Weltkriege konsumiert zu haben. Wie viele Frauen saßen denn bei den großen Kriegen des vergangenen Jahrtausends an den Verhandlungstischen?
Dardai sollte mehr Grönemeyer hören
Aber selbst wenn man Dardais Zitate nicht überinterpretieren möchte, sind sie auch auf Herthas sportliche Situation bezogen schlichtweg unpassend. Egal wie männlich der Streit zwischen Dardai und Cunha geführt wurde – das Ende vom Lied ist, dass Cunha nicht mehr für Hertha spielt. Tolle Konfliktlösung. Und auch die beiden Streithähne Lukébakio und Selke wirkten bei ihrer Elfmeter-Kabbelei nicht gerade staatsmännisch und souverän, sondern vielmehr von Stolz besessen und der Torjägerliste getrieben.
Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO
Und auch die Verweise auf den „Männersport“ wirken seltsam, wenn sie bedeuten sollen, dass nur Männer mit Biss Fußball spielen können. Denn leider zeigt Dardais Mannschaft seit Jahren zumeist genau das Gegenteil: wenig Leidenschaft, wenig Überzeugung, wenig Energie. Rechnet man hinzu, dass gerade Spieler wie Selke oder Cunha sich mehrfach pro Spiel schmerzverzogen auf dem Boden wälzen und wie Schulkinder mit dem Schiedsrichter diskutieren, wird einem schnell klar, dass Dardais eigenes Team sein Konzept des „Männersports“ wohl nicht so gut verstanden hat.
Schön wäre es also, wenn Dardai beginnt solche Äußerungen zu hinterfragen. Trotz der Sprachbarriere, die er als Ungar sicherlich noch immer hat, sind seine Äußerungen über Geschlechterrollen- und eigenschaften nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht hilft ihm dabei ja ein kleiner Ausflug in die deutsche Popkultur der 1980er-Jahre. Damals sang ein noch junger Herbert Grönemeyer:
“… Männer haben Muskeln Männer sind furchtbar stark Männer können alles Männer kriegen ‘nen Herzinfarkt Oh, Männer sind einsame Streiter Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter … Nur wann ist der Mann ein Mann?”
Wieder hat ein junger Spieler den Verein, trotz hervorragender Aussicht auf Spielzeit verlassen. Wieder bleibt man als Fan ratlos zurück und fragt sich: Woran hat es gelegen? Über das Zusammenspiel von Geld, Jugend und all jenen, die davon profitieren.
Warum wird man Fan?
Warum wird man Fan? Viele von uns können an dieser Stelle sicherlich die klassische „Papa-hat-mich-eines-Tages-ins-Stadion-mitgenommen“ Geschichte erzählen, die dazu führte, dass man sein Herz an die alte Dame aus Charlottenburg verlor. Das so begründete Fan-Sein, es schein ein Bund fürs Leben zu sein, eine Verbindung, von der man sich nie ganz lösen kann und die sich gerade dadurch auszeichnet auch in schlechten Zeiten seinen Verein zu unterstützen. Einmal Herthaner, immer Herthaner.
Dieses Motto wird nicht nur von vielen Herthanern eindrucksvoll gelebt, sondern findet sich aktuell auch in der Struktur des Vereines wider. Wir haben an dieser Stelle schon viel über die selbstverschriebene „Hertha-Kur“ gesprochen. Fest steht: Aus der Geschäftsstelle in der Hanns-Braun-Straße weht nicht nur der Wind der Veränderung, sondern auch ein gehöriger Stallgeruch.
Neue Spieler, alte Probleme
Dárdai, Bobic, Friedrich, Prince, Zecke, Mittelstädt, Torunarigha und neuerdings auch Dirkner, Werthmüller oder Michelbrink. All das sind Namen von ehemaligen und aktiven Spielern, die eine besondere Bindung zum Verein haben. Entweder, weil sie von ihm ausgebildet wurden und hoffnungsvolle Talente waren/sind oder weil nach anderen Stationen sich dazu entschieden haben, zu Hertha zurückzukehren. Im Verein herrscht auf jeden Fall ein riesiges Identifikationspotential. Das gilt sowohl für die Fans, die sich in Zeiten des modernen Event-Fußballs an Beispielen realer Vereinstreue erfreuen können, aber auch für junge Spieler, die aufgrund von einer gewissen Durchlässigkeit, die Chance haben für den Verein zu spielen, zu dessen Spiel sie ihr Vater irgendwann mal mitgenommen hat.
Vor diesem Hintergrund kommen andere Namen einem wesentlich schwerer über die Lippen. Ich spreche von Netz, Samardzic, Schorch, Regäsel und noch vielen weiteren Beispielen, bei denen die Identifikationskraft scheinbar nicht ausgereicht hat, um sie im Verein halten zu können. Die Liste ist lang und die Geschichte scheint sich oft zu wiederholen. Letztlich kann man über die genauen Hintergründe dieser Abgänge von jungen Talenten oftmals nur spekulieren.
Foto: IMAGO
Selten äußern sich die Verantwortlichen so deutlich, wie jüngst im Fall Netz und selbst wenn bleibt beim beobachtenden Fan stets der schale Geschmack im Mund zurück: Wenn ich mich für meinen Verein bedingungslos aufopfere, warum tun das nicht auch die Spieler, besonders die, die Hertha so viel zu verdanken haben?
Man hat nur eine Karriere
An dieser Stelle muss man erstmal auf eine gewisse Asymmetrie im Vereinsverhältnis hinweisen. Natürlich können Jugendspieler Fan ihres Heimatvereins sein und schon ewig in der viel zitierten Vereinsbettwäsche geschlafen haben. Über diesen Teil ihrer Identität hinaus, sind sie jedoch auch Angestellte eben jenes Vereins und ihr Job ist nicht der des Ticketverkäufers, sondern der des Profifußballers, mit all seinen Tücken und Spielarten. Es muss nun abgewogen werden. Zwischen den positiven Gefühlen, Erinnerungen und Träumen „seinem“ Verein gegenüber und zwischen klugen Karriereentscheidungen auf der anderen Seite.
Vereine und Fans sind durchaus gewollt, einen jungen Spieler gehen zu lassen und auch stolz darauf, dass ein potentieller Weltstar bei ihnen das erste Mal gegen einen Ball getreten hat. Doch für diesen Passierschein muss der Spieler sich erstmal um den Verein verdient gemacht haben. Es sollte eine einfache Rechnung sein: Der Spieler ruft seine Leistungen ab, wird dafür üppig bezahlt und bejubelt, wenn der Verein dem Spieler zu klein geworden ist, wird er mit Handkuss und möglichst gewinnbringend verabschiedet. Das Ganze läuft solange geschmeidig, insofern sich jede Partei an ihre Rolle hält. Fans jubeln, Spieler spielt gut, Verein bezahlt.
Foto: IMAGO
Diese Vereinbarung ist allerdings sehr fragil, weil einseitig aufkündbar. Was folgt ist meist Irritation und Zorn. Besonders in Zeiten, in denen Ablösesummen und Gehälter immer weiter steigen, reicht der Wink mit dem Euroschein um die Mé·nage-à-trois aus Verein, Spieler und Fans zu zerstören. Dass das so einfach ist, hängt mit der schon erwähnten Asymmetrie zusammen. Man stelle sich vor, dass einem mehr Geld für den gleichen Job geboten wird. Wer würde da Nein sagen? Klar, Idealisten gibt es immer wieder und Umzüge in andere Städte sind lästig, aber Fußballromantik alleine zahlt nicht die Tankfüllung vom AMG. Das der Mercedes dabei nicht unbedingt vom Spieler selbst gefahren werden muss, sondern auch seine Familienmitglieder und Berater vom Talent der Sportler profitieren wollen, ist die eigentliche Obszönität des Ganzen.
Von fremden Träumen profitieren
Es liegt nahe, den ganzen Zorn beim Spieler zu lassen, sich darüber zu ärgern, dass er auf schlechte Berater und gierige Hintermänner hereingefallen wäre oder sich einfach zu wichtig nimmt. Tritt man jedoch einen Schritt zurück, dann sieht man die Absurdität des Ganzen Systems, in dem 17,18,19-Jährigen, die teilweise nicht mal Autofahren oder Alkohol trinken dürfen, die Verantwortung übertragen wird, die finale Verantwortung millionenschwere Entscheidungen zu treffen. Bei aller nachvollziehbaren Wut: diese Spieler sind jung und bekommen ein Maß an Aufmerksamkeit und Geld, das eine gehörige Portion Reife, Erfahrung und Stabilität erfordert. Sie machen Fehler. Auf und neben dem Platz.
Wir haben hier junge Menschen, die ihren Traum leben und dafür absurd gut bezahlt werden, die allerdings auch die Hoffnungen und Erwartungen ihrer Familien schultern müssen und seit frühster Kindheit darauf getrimmt werden, konstant Leistungen zu erbringen. Es gibt genug Geschichten, in denen Eltern ihren Beruf freiwillig aufgegeben haben, nur um ihr Kind in seiner Sportkarriere zu unterstützen. Es wird bewusst in Kauf genommen, dass junge Spieler eine gewisse Form- und Beeinflussbarkeit haben, die im Zweifelsfall böswillig ausgenutzt werden kann und sich auch gnadenloser Selbstüberschätzung niederschlägt.
Der schale Abgang
Fans sind keine Spieler und Spieler, die zwar Fans sind, sind vorrangig nun mal Spieler. Auch wenn sich viele Fans nach Fußball-Romantik sehnen und sie auch noch vereinzelt auffindbar ist: Das System ist von innen verfault und es ist dieses verfaulte System, in dem Identifikation mit Geld aufgewogen wird. Eine gewisse Portion Realismus ist deshalb angebracht, auch wenn es weh tut. Selbst wenn Geld nicht stinkt, den Stallgeruch scheint es trotzdem zu übertünchen. Dieses Phänomen ist enorm frustrierend.
Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO
Es bleibt der schale Nachgeschmack. Abgänge junger Talente, die durchaus eine Zukunft im Verein hatten sind auf mehreren Ebenen schade. Schade, weil ihnen die Chance genommen wurde zur Vereinslegende zu werden. Schade, weil der Ruf des Geldes ihnen mitunter eine vielversprechende Karriere verbaut. Schade für kleine Verein mit guter Jugendarbeit, weil sie nicht von ihrer harten Arbeit profitieren können. Es ist schade für einen Sport, in der Jugend zur Ware wird und vor Allem ist es schade für die Fans, weil es zunehmend schwerer wird, diesem Spiel guten Gewissens seine Zeit und Energie zu opfern. Warum sollte ich jemandem zu jubeln, der beim nächsten Scheck weg ist?
Hoffnung macht – neben den Fällen, in denen Geld egal zu sein scheint – dass auf jeden Abgang und jedes gescheiterte Talent, mindestens zwei Kinder kommen, die von ihren Eltern mit ins Stadion genommen werden, sich dort auf den Platz träumen und es irgendwann mal besser machen können.
Sonnenuntergang über den Alpen, tolle Stimmung im Innsbrucker Tivoli-Stadion, Hertha gegen Liverpool. Das gestrige Testspiel gegen das Star-besetzte Team von Jürgen Klopp war nicht nur wegen der Kulisse und des Gegners besonders, sondern auch wegen der auffällig guten Leistung unserer Hertha. Und auch aus persönlichen Gründen war der gestrige Abend ein rundum tolles Fußballerlebnis.
Drei Fan-Generationen im Stadion
Bayern-, Dortmund- oder Bremen-Papas haben es leichter ihren Kindern ihre Zuneigung zu ihrem Fußballverein zu erklären. Das Triple mit Jupp Heynckes, der Champions League-Sieg gegen Juventus Turin 1997 oder die Meisterschaft 2004 – alles identitätsbildende Ereignisse, Erzählungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, die dabei helfen auch mal schwere Zeiten mit schlechten Leistungen zu überstehen. Hertha-Papas haben es da schon etwas schwerer. Keine großen Titel, wenig Glanz, viel Überlebenskampf. Auch mir geht es so. Gerade durch die Corona-Krise hat mein 7-jähriger Sohn zuletzt keinen wirklichen Zugang zu „meiner“ Hertha bekommen. Fußball nur im Fernsehen, ohne Zuschauer – sehr steril, wenig Nähe, wenig Emotionen.
Dass ein einziger Fußballabend vieles von dem Verpassten nachholen und das wirklich Schöne am Fußball innerhalb von zwei Stunden wie auf einem Silbertablett servieren kann, hat das gestrige Testspiel gegen Liverpool bewiesen. Zwei Wochen bereitete ich meinen Sohn während unserer Italienreise auf dieses Spiel vor. Hertha gegen die Stars vom Liverpool FC auf dem Weg nach Hause in Innsbruck. Opa kommt auch hin, auch er auf der Rückreise nach Berlin. Drei Generationen Hertha. Endlich wieder Menschen im Stadion, Fußball hautnah. Und es sollte sogar noch besser kommen.
Denn die Kulisse des Tivoli-Stadions im Sonnenuntergang ist atemberaubend. Hinter den Tribünen zeigen sich die Spitzen der 2000-Meter-Berge, die Zuschauerränge des kleinen, gemütlichen Stadions beginnen nur anderthalb Meter hinter der Auslinie. Selke, Dardai, Schwolow und die Liverpoool-Stars beim Aufwärmen quasi in greifbarer Nähe. Fußballstimmung pur.
„Papa, ich glaube, der schießt gleich“
Das Spiel beginnt. Vor uns zwei Berliner Jungs. Extra für eine Nacht angereist – in bester Meckerlaune. Berliner halt. Hinter uns zwei Tiroler LFC-Supporter. Leicht alkoholisiert. Wortgefechte bis zu den ersten fußballerischen Highlights. „Bald spielt ihr gegen den HSV und Schalke“, „Wart ihr überhaupt schon einmal in Liverpool?“. Dann die 20. Minute, Freistoß Platte auf der rechten Seite. Auf einmal ist der Ball im Netz und Santi Ascacibar liegt im Tor. Zweifeln im Stadion. War der Ball drin? Santi taumelt – geht es ihm gut? Santi steht, Tor zählt. Freude pur.
Es folgt eine Dauer-Press-Phase der Fußballstars. Mané und Salah zaubern gemeinsam, aber Schwolow zaubert auch und hält Herthas Führung. Die 31. Spielminute. Herthas Neuzugang Suat Serdar, der viele schöne, öffnende Pässe spielt, ist ziemlich frei im Strafraum, der Winkel zum Tor für einen Schuss aber fast unmachbar, denke ich noch. „Papa, ich glaube, der schießt gleich“, kündigt mein Sohn an. Serdar schießt wirklich. Tor. Komplette Ekstase. Im besten Tiroler Akzent werden wir aus der hinteren Reihe darauf hingewiesen: „Alles nur Glückhhh!“
Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO
War es aber nicht. Auch wenn Hertha in den folgenden Minuten nicht mehr ganz so viele Offensivaktionen hat, steht die Elf von Pal Dardai bis auf wenige Abstimmungsfehler kompakt und sicher. Kurz vor der Halbzeit werden die LFC-Angriffe dann aber intensiver, wunderschöne Doppelpässe in der Liverpool-Offensive. Mit einem tollen 2:2 gehen wir in die Halbzeit. Vier schöne Tore, tolle Stimmung im Stadion. Drei Generationen Hertha sind begeistert. Zeit für ein Halbzeitfoto.
Jovetic spielt sich sogleich in die Fanherzen
Die zweite Halbzeit beginnt wie die erste aufhört – Liverpool drückt, Hertha hält das Unentschieden. Nächster Höhepunkt: die Einwechslung von Herthas Neuzugang Stevan Jovetic für einen spielklugen Prince Boateng. „Wer ist das?“, will mein Sohn wissen. „Der ist erst seit wenigen Tagen bei Hertha, hat schon in allen großen Ligen Europas gespielt“, antworte ich. Wofür Hertha Jovetic verpflichtet hat, beweist der montenegrinische Angreifer nur wenige Minuten später. Grandioses Dribbling von Dodi Lukébakio auf Rechtsaußen, schöne Flanke, Jovetic geht zum Kopfball hoch und setzt den Ball ins Netz. Das 3:2 trotz drückender Überlegenheit der Engländer. Hertha lebt und kämpft. Die ekstatische Pause nutzt Pal Dardai, um seine Mannschaft fast komplett umzubauen – er wechselt sieben neue Spieler ein. Darunter auch Ruwen Werthmüller, der im offensiven Mittelfeld einige schöne Aktionen hat.
Foto: IMAGO
Eine Minute später wird es auf einmal sehr laut im Stadion, obwohl der Ball gar nicht im Spiel ist. Der Grund: die Einwechslung von Virgil van Dijk. Neun Monate nach seiner schweren Verletzung bestreitet der Niederländer gegen Hertha sein erstes Spiel. Alle stehen und applaudieren für einen großartigen Fußballer. Auch van Dijk kann Herthas sehr vorzeigbaren Passtrecken im Mittelfeld allerdings nicht unterbinden. Der 20-jährige Werthmüller spielt Jovetic frei, der auf einmal frei vor dem LFC-Tor auftaucht, van Dijk versucht ihr zu stoppen, Jovetic zaubert. 4:2. Wieder Ekstase. „Näkschtes Johr komm I mit dem Hertha-Trikot her“, kommt jetzt aus der Reihe hinter uns.
Die letzten zehn Minuten gegen Liverpool sind dann noch einmal schwer für Hertha. Die “Reds” wollen sich die Testspiel-Niederlage nicht einfangen und stürmen. Doch das Tor von Oxlade-Chamberlain ist dann der Schlusspunkt dieses begeisternden Fußballabends.
Ein überzeugender Test
„Lasst uns erst einmal die Stadt zurückgewinnen“, hatte Herthas neuer Manager Fredi Bobic kürzlich als Saisonziel ausgegeben. Um das zu erreichen, müssen sicherlich noch einige Pokal- und Ligaspiele gespielt werden. Das Tiroler Tivoli-Stadion hat Hertha am gestrigen Donnerstagabend aber schon ein Stück weit von sich überzeugt. In einem durchaus ernst geführten Testspiel bezwang man die Champions League-Truppe von Jürgen Klopp mit einer kompakten Abwehrleistung und vielen überraschenden Offensiv-Momenten.
Drei Generationen Hertha verlassen glücklich das Stadion. Und vielleicht kommen ja sogar einige Tiroler im nächsten Jahr in blau-weiß zum Testspiel.
Neueste Kommentare