Herthas U23 – Wie schlägt sich Berlins Zukunft?

Herthas U23 – Wie schlägt sich Berlins Zukunft?

Während die erste Bundesliga bisher nur zum dritten Spieltag fortgeschritten ist, spielte die Truppe von Andreas „Zecke“ Neuendorf in der Regionalliga bereits gegen neun verschiedene Gegner aus dem Nordosten Deutschlands. Zeit für einen Blick auf den Saisonstart, den Kader und einige Einzelspieler der U23.

Noch läuft nicht alles

Bei der zweiten Mannschaft von Hertha BSC hat sicherlich die Weiterentwicklung der Jugendspieler Vorrang gegenüber dem sportlichen Erfolg. Dennoch wollen wir hier einen kurzen Blick auf die gesamtmannschaftliche Lage in der Anfangsphase der Regionalligasaison werfen.  Schaut man auf die Ergebnisse der ersten neun Spiele bis zur Länderspielpause, deutet sich ein recht durchwachsener Saisonbeginn an. Drei Siege, drei Niederlagen und drei Remis bei einem Torverhältnis von elf geschossenen zu viertzehn kassierten Toren konnte die U23 verbuchen. Anders als in der vergangenen Saison, in die man mit sechs Siegen aus den ersten sieben Spielen sehr erfolgreich gestartet war, glich die Anfangsphase dieser Saison eher einem Auf und Ab. Denn den zwei siegreichen ersten Spielen folgte eine Phase aus sechs Spielen in denen man sieglos blieb, darunter auch eine 2:5-Niederlage gegen den Berliner AK. Zuletzt konnte man sich wieder etwas fangen und die Spiele vor der Unterbrechung etwas erfolgreicher gestalten. Dennoch läuft in einigen Bereichen noch nicht alles wie gewünscht.

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Ein paar mögliche Ursachen und Umstände dafür, dass bei der Mannschaft von Andreas „Zecke“ Neuendorf noch nicht alles optimal läuft, lassen sich aber herausarbeiten. Ein Grund dafür mag sicherlich der Umbruch im Kader sein, der in diesem Jahr besonders groß war. Insgesamt sieben Spieler aus der U19 sind nun fester Bestandteil der zweiten Mannschaft und müssen sich teilweise erst an den Männerfußball in der Regionalliga gewöhnen. In der verkürzten Vorbereitung fehlte außerdem Zeit, um sich als Team besser zusammenzufügen und das Zusammenspiel zu verbessern. Das Resultat: in der Mannschaft fehlt es an Abstimmung und man ist auf dem Platz noch nicht so gut aufeinander eingespielt. Ganz ähnliche Probleme also wie in der Profimannschaft von Bruno Labbadia.

Dass viele junge Spieler die Vorbereitung nicht in der zweiten Mannschaft mitmachten, sondern zunächst bei den Profis trainierten und teilweise eher spontan zum Team stoßen, mag ein weitere Ursache für dieses Problem sein. Darunter litt auch das Offensivspiel der Mannschaft, bei dem viel Wert auf gut abgestimmte und schnelle Kombinationen gesetzt wird. Man zeigte zwar fast nie eine schlechte Leistung, doch die aus den vergangenen Jahren bekannte offensive Wucht und Dominanz konnte man bis jetzt kaum zeigen. Trotz mehr Ballbesitz blieb man oft zu ungefährlich und zeigte sich defensiv wiederum anfällig. Die Länderspielunterbrechung könnte der zweiten Mannschaft hier jetzt entgegenkommen. Zwar muss man auch einige Spieler für die Jugendnationalmannschaften abstellen, jedoch ist die Zahl der Spieler hier deutlich geringer als beim Team von Bruno Labbadia. So kann man die Trainingszeit gut nutzen, um besser als Team zusammenzuwachsen und die Abstimmung zu verbessern, sodass man in der Tabelle wieder etwas nach oben klettert.

Erwartbare Inkonstanz

Der kleinere Leistungseinbruch soll hier aber auch gar nicht größer gemacht werden, als er war. In einer Krise befindet sich die Mannschaft keineswegs und eine gewisse Inkonstanz war sogar zu erwarten. Denn die Mannschaft ist das jüngste Team der Liga und gleicht in vielen Teilen eher einer U21 als einer U23. So ist nach dieser ersten Saisonphase unter den zehn Spielern mit den meisten Einsatzminuten nur ein Spieler gewesen, der älter als 21 ist. Und das ist der 30-jährige Kapitän Tony Fuchs. 16 Spieler aus dem Kader sind 19 Jahre alt oder jünger. Ein so junges Team darf Fehler machen. 

Umso erstaunlicher ist es, dass man weiterhin nahezu jeden Gegner, was die Ballbesitz und Passzahlen angeht, dominiert. Und das gegen Spieler, die zum Teil zehn Jahre älter und körperlich deutlich weiter und robuster sind. Nur an offensiver Durchschlagskraft und Effizienz vor dem Tor mangelt es dem Team aktuell ein wenig. Aber auch das ist wenig überraschend, da der Toptorschütze der letzten Saison, Muhammed Kiprit, zum Drittligisten Uerdingen wechselte und Jessic Ngankam, Spieler mit den meisten Scorerpunkten in der letzten Saison, zuletzt vor allem bei den Profis zu finden war. Nachrückende Spieler benötigen meist etwas Zeit, um sich an das gesteigerte Niveau zu gewöhnen. Geduld ist gefragt und die bringt Trainer „Zecke“ Neuendorf mit.

Auffällige Einzelspieler

Abgänge und Umbruch bedeuten auch es gibt einige neue Gesichter, die sich nun in der Mannschaft von Zecke Neuendorf zeigen können. Wir wollen nun einen kurzen Blick auf einige Einzelspieler werfen, die über die letzten Wochen aufgefallen sind oder neu im Team sind.

Jonas Michelbrink

Michelbrink ist einer von nur drei Spielern, die bisher in jedem Spiel der Saison auf dem Platz standen. Diese Zeit nutzte er gut und machte mächtig auf sich aufmerksam. Michelbrink spielt in der U23 auf der Zehn und war in der letzten Saison Stammspieler in der U19. Dort stand er aber immer ein wenig im Schatten von Lazar Samardzic. Nun nutzte der 19-Jährige seine Chance und konnte besonders zu Saisonbeginn seine Stärken fantastisch auf den Platz bringen. Der gebürtige Hannoveraner bringt eine tolle Technik sowie eine gute und vor allem enge Ballführung mit. Das macht ihn für seine Gegenspieler schwer zu greifen und er kann sich auch im dicht besetzten Zentrum mit Ball am Fuß behaupten.

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Außerdem verfügt er über eine gute Übersicht. Immer wieder gelingt es ihm mit seinem starken rechten Fuß seine Mitspieler gut einzusetzen und Gefahrensituationen zu kreieren. Wenn sich die Gelegenheit bietet, setzt Michelbrink auch gerne mal zu einem Dribbling an. Wie zum Beispiel am dritten Spieltag beim Auswärtsspiel gegen Chemie Leipzig als er mit einem tollen Dribbling an seinem Gegenspieler vorbeiging und so von links in den Strafraum eindringen konnte. Kurz vor dem Tor legte er dann überlegt zu Muhammed Kiprit rüber, der dann zum 1:0 verwandeln konnte.

In den letzten Spielen zeigte Jonas Michelbrink sich nicht mehr ganz so auffällig, gehörte aber definitiv zu den besseren Spielern im Team. Insgesamt ist Michelbrink aber ein Spieler, der das Offensivspiel der U23 mit seiner Kreativität beleben kann und dem zurzeit recht dezimierten Regionalligapublikum mit seinen Aktionen immer wieder ein Raunen entlockt. Schafft er es, sich auch in schwierigen Spielen noch mehr zu zeigen, kann man mit einer tollen Saison bei der U23 von ihm rechnen. Seine gute Leistung wurde nun auch von Cheftrainer Bruno Labbadia honoriert indem er Michelbrink während der Länderspielpause erste Trainingseinheiten bei den Profis mitmachen ließ.

Luca Netz

Netz gilt als eines der größten Talente bei Hertha und sogar in Deutschland. Hinter ihm liegt ein turbulenter Sommer mit einer Verletzung, einer Auszeichnung mit der Fritz-Walter-Medaille und seiner ersten Saisonvorbereitung bei den Profis. Als die Saison bei den dann Profis begann, sammelte Luca Netz seine ersten Einsätze bei der zweiten Mannschaft, um Spielpraxis zu bekommen. Netz ist der einzige Spieler aus dem 2003er-Jahrgang im Team von „Zecke“ Neuendorf und er könnte mit seinen 17 Jahren eigentlich noch bei der U17 spielen.

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Drei Spiele machte der Linksverteidiger bisher in der Regionalliga und konnte seine Qualitäten bereits recht gut einbringen. Er ist ein Linksverteidiger, der sich sehr gerne am Offensivspiel beteiligt und immer wieder tief in der gegnerischen Hälfte zu finden ist. Mit Ball sucht er gerne den direkten Weg in den Sechzehner, auch mal mit einem cleveren Dribbling, oder zur Grundlinie. So kommt er gut in Positionen aus denen er gefährliche Hereingaben ins Zentrum spielen kann. Besonders im Spiel gegen den Chemnitzer FC am 8. Spieltag konnte mehrfach solche Hereingaben von ihm beobachten. Halbherzige Halbraumflanken sieht man also von ihm eher weniger.

Um rechtzeitig wieder auf seine Position im Spiel gegen den Ball zu kommen, verfügt er über das nötige Tempo und ist außerdem recht laufstark. Er muss bei seiner Defensivarbeit aber noch etwas konsequenter werden. Die Regionalliga ist da sicher ein guter Zwischenschritt für ihn, um auch sein Zweikampfverhalten noch zu verbessern.

Ruwen Werthmüller

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Werthmüller kam genau wie Michelbrink dieses Jahr von der U19 zur zweiten Mannschaft von Hertha BSC und stand ebenfalls bisher in jedem Spiel auf dem Platz. Er spielt bevorzugt im Sturmzentrum oder auf der linken Außenbahn. Seine größte Stärke ist sicherlich seine hohe Endgeschwindigkeit gepaart mit einem guten Antritt. So kann er immer wieder zu gefährlichen Tiefenläufen ansetzten und sorgt besonders dann für Gefahr, wenn er mit hoher Geschwindigkeit auf das gegnerische Tor oder die Abwehr zu laufen kann. Wie zum Beispiel am ersten Spieltag, als Lok Leipzig in der Schlussphase noch einmal Druck machte, aber der eingewechselte Werthmüller bei einem Konter denn Ball entscheidend in Richtung des Strafraums trieb und so das entschiedene 3:1 vorbereitete.

Da Hertha jedoch sehr häufig gegen tiefstehende Gegner spielt, kommt es nicht allzu oft zu solchen Situationen. Das Kombinationsspiel und die Technik gehören nicht zu Werthmüllers größten Stärken. So gab es Spiele, in denen er kaum auffiel und wenig Gefahr ausstrahlte. Und auch vor dem Tor muss der Schweizer noch effizienter werden. Unter Trainer Neuendorf erhält die nötige Spielpraxis, um sich in diesen Bereichen noch zu verbessern und weiterzuentwickeln.

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Herthas Transfersommer: Anspruch und Wirklichkeit

Herthas Transfersommer: Anspruch und Wirklichkeit

Das Agieren der Hertha auf dem Transfermarkt wurde mit Spannung erwartet. Würde die alte Dame auf neureiche Shoppingtour gehen, wie im vergangenen Winter oder sich zwischen der harten Konkurrenz der internationalen Topklubs verspekulieren? Wir blicken genauer auf Herthas Transferschaffen und die Dynamiken des Transfermarktes.

Auf dem Markt gescheitert?

Die Umstände vor dem Transferfenster hätten für Hertha nicht besser sein können. Der prognostizierte, Corona bedingte Markteinbruch in Verbindung mit den Windhorst-Millionen sicherten den Berlinern schon im Vorfeld den Status als „Big-Player“. Nie waren die Erwartungen höher und nie waren die kolportieren Namen größer als in diesem Jahr. Doch die frühzeitige Freude wich bald der Ernüchterung der harten Realität. Von dem vorhergesagten Umbruch des Marktes war nichts zu spüren, wie Bruno Labbadia resigniert feststellen musste: “Es ist nicht mehr gesund. Egal, bei welchem Spieler du anfragst – selbst wenn er gerade ein halbes Jahr gespielt hat und du ein Talent in ihm siehst -, er kostet zehn, 15 Millionen – das ist einfach nicht normal.” Diese Einschätzung führte zu einer eher negativen Bilanz des Cheftrainers: „Wir haben uns die Transferperiode anders gewünscht, wir sind da gescheitert. Aber der Markt ist nicht aufgegangen.”

Doch was meint Bruno Labbadia damit? Ein Blick auf die Zahlen. Hertha hat in dieser Transferperiode insgesamt fünf komplett neue Spieler verpflichtet und hat dafür 33,5 Millionen Euro ausgegeben. Darüber hinaus wurde Eduard Löwen vorzeitig aus Augsburg zurückgeholt. Diese sechs Neuzugänge sind die Spieler, mit denen vor der Transfperiode nicht gerechnet werden konnte. Leihe-Enden, wie die von Nils Körper und Daishawn Redan sind hier nicht mit einberechnet, da sie nicht das Agieren in der diesjährigen Transferperiode widerspiegeln. Auf der Gegenseite haben 13 Spieler die erste Mannschaft verlassen. Dazu kommen Abgänge von Spielern der U23, wie Muhammed Kiprit, Dennis Smarsch und Luis Klatte. Für nur vier dieser Abgänge wurden Transfereinnahmen generiert. So belief sich das Transfereinkommen auf 12,3 Millionen (alle Finanzangaben im Laufe des Artikels wurden von transfermarkt.de bezogen). In der Bilanz macht das also 21,2 Millionen Euro mehr Ausgaben als Einnahmen.

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Vergleichen wir das mit den letzten Jahren. In der Saison 19/20 holte der Verein zehn neue Spieler und gab dafür 110,7 Millionen aus. Hier fiel vor allem das Wintertransferfenster ins Gewicht. Beflügelt vom Einstieg des Investors gab Hertha hier 77 Millionen aus. Dem gegenüber standen neun Abgänge aus der ersten Mannschaft zuzüglich einiger Junger Spieler. Hertha nahm so 23,45 Millionen Euro ein, was unterm Strich ein Minus von 87,25 Millionen Euro ergibt. Das sind die beiden Saisons mit Lars Windhorst. In den Saisons davor waren die Einnahmen und Ausgaben wesentlich balancierter. 18/19 +0,9 Millionen, 17/18 +4, 16/17 -1,7. Hertha gibt also nicht nur wesentlich mehr aus, als sie einnimmt, sondern auch ein Vielfaches dessen, was sie in den Saisons vor dem Tennor Einstieg investiert hat. Das zeigt erstmal nur, dass das Geld auch tatsächlich in den Kader gesteckt wird.

Das vermeintliche Scheitern auf dem Transfermarkt bezieht sich also vermutlich eher darauf, dass nicht genügend Spieler verpflichtet werden konnten, um all die Abgänge angemessen kompensieren zu können. Das ist natürlich immer relativ zu den Spielern zu sehen, die den Verein verlassen haben. Die Not einen Alexander Esswein zu ersetzen ist geringer, als die einen neuen Leader, wie Vedad Ibisevic zu finden. Unabhängig davon wird das Ersetzen durch die von Bruno Labbadia angesprochenen Preise auf dem Transfermarkt in Kombinationen mit den Ambitionen des Clubs zusätzlich erschwert. Wurde die letzten Jahre immer mindestens ein Spieler ablösefrei verpflichtet, stürzte man sich dieses Jahr direkt ins Getümmel und bot fleißig mit. Die Tatsache, dass die finanzielle Potenz der Hertha allseits bekannt ist, half hier sicherlich nicht unbedingt weiter die Preise zu drücken. Das muss sich gar nicht bei den Ablösesummen äußern, sondern kann sich auch in den geforderten Gehältern und Handgeldern niederschlagen. Der schon fast sicher geglaubte Wechsel von Jeff Reine-Adélaïde soll, wenn man den unbestätigten Berichten Glauben schenken mag, letztendlich auch daran gescheitert sein, dass sein Berater und Bruder ein unverhältnismäßig hohes Honorar verlangt haben soll.

Die Rolle von Corona

Im Vorfeld der Wechselperiode wurde viel darüber spekuliert, wie sich die Pandemie auf die Preise auswirken würde. Es wurde angenommen, dass Vereine dringend Geld generieren müssten und Spieler deshalb besonders günstig von dannen ziehen lassen würde. Eine ideale Situation für eine finanzstarke Akteurin, wie Hertha. In der Tat scheint die aktuelle Situation viele Vereine hart zu treffen. Es ist wohl nur den Windhorst-Millionen zu verdanken, dass Hertha vergleichsweise gut durch die Krise kommt. So stellte Manager Michael Preetz klar, dass, wenn die aktuelle Geisterspielsituation anhielte, Hertha mit einem zweistelligen Millionenverlust rechnen müsse. Bei aller Euphorie darf man deshalb nicht vergessen, dass auch Hertha gut wirtschaften muss und nicht einfach das ganze Geld zum Fenster rausschmeißen darf.

Überhaupt scheint es so, als würde manch Verein an der falschen Stelle sparen. Der FC Arsenal kündigte unlängst seinem langjährigen Maskottchen, gab aber diese Periode 67,35 Millionen Euro mehr für Spieler aus, als es einnahm. Dass es aber auch wirklich Ernst werden kann, zeigt das Beispiel Schalke 04. Die Knappen (nomen est omen) gaben diese Saison nur 2 Millionen Euro für Transfers aus und konnten nur 4,5 Millionen Euro Einnahmen generieren (Allesamt aus der Leihgebühr von Weston McKennie). Gleichzeitig sahen sie sich zu drastischen Maßnahmen, wie den Kündigungen langjähriger Mitarbeiter*innen, genötigt.

Das sind alles allerdings nur die berühmten Einzelfälle. Spannender ist die Frage, inwieweit sich die Ausgaben insgesamt verändert haben. Im diesjährigen Sommertransferfenster gaben die Bundesligavereine insgesamt 320,4 Mio. Euro aus. Spitzenreiter war die Premier League mit 1,37 Milliarden Euro. Das ist ein krasser Unterschied zum letzten Jahr. Hier gaben die Bundesliga 1,07 Milliarden und die Premier League 2,93 Milliarden Euro aus. Im Jahr davor waren die Ausgaben noch höher. Die Premier League gab 4,38 Milliarden und die Bundesliga 1,55 Milliarden Euro für neue Spieler aus. Der Einfluss der Corona-Pandemie ist also direkt sichtbar. Anstatt ihre Spieler zu verschleudern, hielten die Vereine ihr Tafelsilber eher zusammen oder waren nur bereit sie für hohe Summen gehen zu lassen.

Was bleibt?

Auffällig ist, dass Hertha eine immer größere Rolle auf dem Transfermarkt einnimmt. Auch in Zeiten von Corona entfielen knapp 10% der Ausgaben der Liga auf die Spree-Athener. Im Ligavergleich gaben nur Bayern und Dortmund mehr Geld als wir aus. Dass die Verantwortlichen die Transferperiode dennoch als „gescheitert“ ansehen, hängt wohl eher mit der immensen Aufgabe und den eigenen Ansprüchen zusammen. Man muss dennoch beschwichtigend dagegenhalten, dass all zu hohe Erwartungen in dieser Saison eh fehl am Platz wären. Es soll eine Spielzeit des Umbruchs sein. Auf Teufel komm raus neue Spieler zu verpflichten, kann nicht im Sinne der langfristigen Strategie des Vereins sein. So wirken Notlösungen, wie die Rückholaktion um Eduard Löwen oder Last-Minute-Leihe von Matteo Guendouzi auf den ersten Blick etwas enttäuschend, andererseits bietet die aktuell mäßige Kaderbreite auch jungen Spielern die Gelegenheit sich beweisen zu können. Eigengewächs Jessic Ngankam wollte sich unbedingt ausleihen lassen, konnte aber im letzten Moment davon abgebracht werden. Das Inausichtstellen von Spielzeit könnte hier ein entscheidender Punkt gewesen sein.

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Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob die jungen Wilden entsprechendes Vertrauen auch zurückzahlen können. Das das möglich ist, zeigt das Beispiel Chelsea. Mit einer Transferssperre belegt, blieb den Londoner in der Saison 2019/20 nichts anderes übrig als auf die eigene Jugend zu bauen. Der Erfolg konnte sich durchaus sehen lassen. Allerdings schien er der Clubführung nicht auszureichen. Mit diesjährigen Ausgaben von 247,2 Mio. Euro setzten die Blues sich an die Spitze der Ausgaben.

Die Corona-Pandemie hat den Berliner Verantwortlichen sicherlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gleichzeitig ist sie aber auch eine willkommene Ausrede, um die Erwartungen an den Verein auf ein gesundes Niveau zu regulieren. Niemand außerhalb Herthas kennt die selbstgesteckten Ziele dieser Transferperiode, also kann niemand Außenstehendes hier ein Urteil abgeben, inwieweit diese erreicht oder nicht erreicht wurden. Von außen wirken alle bisherigen Transfers dennoch gut durchdacht. Es scheiterte eher an der Quantität, als Qualität. Dass ein Marko Gruijic nicht erneut ausgeliehen werden konnte und jetzt für Porto aufläuft, ist ärgerlich, aber angesichts seiner schwankenden Form nicht allzu sehr zu bedauern. Mario Götze wäre ein schillernder Name gewesen, hätte aber nicht wirklich in das System Labbadias gepasst. Somit lässt sich in der aktuellen Situation aus der Not durchaus eine Tugend machen. Das endgültige Scheitern lässt sich spätestens nach der Hinrunde feststellen.

Will Hertha auch in den nächsten Jahren ein bedeutender Akteur auf dem Transfermarkt sein, heißt es mit Umsicht zu handeln. Bleibt der sportliche Erfolg aus, so zahlt sich das Investment nur langsam zurück. Geduld heißt das Zauberwort. Das betrifft alle Beteiligten. Spieler, wie Fans.

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Mattéo Guendouzi – Viel Talent, wenig Selbstbeherrschung

Mattéo Guendouzi – Viel Talent, wenig Selbstbeherrschung

Lange galt Jeff Reine-Adelaide als potenzieller Neuzugang für Herthas zentrales Mittelfeld, am Deadline-Day präsentierte der Verein dann aber einen anderen Franzosen als Verstärkung für das zentrale Mittelfeld: Mattéo Guendouzi kommt leihweise für ein Jahr von Arsenal zu Hertha, knapp anderhalb Millionen Euro Leihgebühr werden für den französischen U21-Nationalspieler fällig.

Arsenal-Experte Chris McCarty von neunzigplus.de beantwortete unsere Fragen zu Guendouzi.

HERTHA BASE: Was sind Guendouzis größte Stärken? Wie kann er Hertha weiterhelfen?

Chris: „Seine größte Stärke ist sicherlich sein Selbstbewusstsein. Guendouzi traut sich alles zu, egal gegen wen. Er hat ein sehr gutes Auge und einen großen Passradius, kann dabei durch Diagonalbälle und Schnittstellen-Pässe selbst aus der Tiefe kreative Impulse liefern. Darüber hinaus ist er sehr ballsicher, kann das Spielgerät durch seine Physis hervorragend abschirmen und zieht durch eine gewisse Schlitzohrigkeit sehr viele Fouls.“

Mit seiner durchaus etwas offensiveren Ausrichtung passt Guendouzi gut in das Anforderungsprofil, dass man bei Hertha definiert hatte: Neben Lucas Tousart wollte man auch unbedingt noch einen etwas offensiv orientierteren Mittelfeldspieler verpflichten.

Und was sind seine größten Schwächen?

„Seine größte Stärke ist auch seine größte Schwäche: Sein Selbstbewusstsein. Das führt zu herausragenden Momenten, aber vereinzelt auch zu vermeidbaren Ballverlusten. In seinem Spiel ohne den Ball lässt die Spielintelligenz sehr nach. Er agiert oftmals zu ballfixiert, naiv und neigt dazu, gefährliche Situationen zu spät zu erkennen.“

Mit dem Kopf durch die Wand – vereinzelt kennt man diesen Ansatz bei Hertha BSC schon, auch Matheus Cunha agiert an weniger guten Tagen mitunter kopflos. Auch Guendouzi dürfte daher ein Spieler sein, den Bruno Labbadia ab und zu einbremsen muss.

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Kann Guendouzi Hertha sofort weiterhelfen, oder braucht er erst noch eine Eingewöhnungszeit?

„Garantieren kann man das natürlich nicht, aber er scheint aufgrund seines Ehrgeizes ein Typ zu sein, der keinerlei Eingewöhnungszeit benötigt. 2018 wechselte er aus der zweiten französischen Liga zum FC Arsenal und verzichtete auf die U19-EM, um sich in der Vorbereitung in die Stammelf zu spielen. Kaum einer hatte ihn auf dem Zettel, am ersten Spieltag der Premier League stand er gegen Manchester City in der Startelf.“

Nach seiner Vertragsunterschrift ging es für Guendouzi allerdings zur U21-Nationalmannschaft, ein Startelfeinsatz gegen Stuttgart scheint deswegen eher unwahrscheinlich – wenn Niklas Stark, Lucas Tousart und Vladimir Darida fit bleiben.

In welchen Systemen und auf welchen Positionen kommt Guendouzi gut klar? Und wo überzeugt er eher weniger?

„Guendouzis Stärken kommen am besten auf der Acht oder der Doppelsechs zur Geltung. Dort kann er Spielintelligenz, Pressingresistenz, Passspiel und zuweilen auch seinen Drive im Spiel nach vorne sehr gut einsetzen. Als alleiniger Sechser fehlt ihm zu sehr das defensive Bewusstsein.“

In Labbadias 4-3-3 bzw. 4-3-1-2 kommen für Guendouzi also jeweils die beiden Achterpositionen infrage. Bisher spielten dort Lucas Tousart und Vladimir Darida – Tousart könnte nun allerdings auf die Sechs rücken, da Niklas Stark in den kommenden Wochen den ausfallenden Jordan Torunarigha in der Innenverteidigung ersetzen muss. Dann wäre Guendouzi wohl die erste Option, um die freie Achterposition zu übernehmen.

Lucas Tousart, Vladimir Darida und Niklas Stark, dazu Eduard Löwen und Santiago Ascasibar, Herthas Mittelfeld ist nun relativ breit besetzt. Welche Rolle traust Du Guendouzi zu – von Schlüsselspieler bis Rotationsspieler?

„Guendouzis Erwartungshaltung wird sein, auf Anhieb Stammspieler zu werden. Ich würde nicht gegen ihn wetten. Im Gegenteil, ich traue ihm zu, direkt zu begeistern. Um Leistungsträger zu werden, wird er aber an seinen Fehlern arbeiten müssen, die man ihm in der Honeymoonphase noch verzeiht.  Bei Arsenal tat er dahingehend zu wenig.“

Hertha sucht nach Spielern, die auf dem Platz vorangehen und die Mannschaft führen – Guendouzi ist zwar noch jung, aber könnte er mit seiner Erfahrung trotzdem eine solche Rolle einnehmen?

Guendouzi ist kein Spieler, der sich versteckt, dafür ist er zu ehrgeizig. Selbst wenn es bei der Mannschaft oder ihm persönlich schlecht läuft, wird er versuchen, das zu ändern und vorneweg marschieren. Um ein tatsächlicher Leader zu sein, fehlt es ihm allerdings wohl an der Reife und den Führungsqualitäten.“

Nicht nur mit seiner Körpersprache und seinem Wille wird Guendouzi sich demnach gut in das einfügen, was man in dieser Saison bisher von Hertha gesehen hat: Eine junge, teilweise blauäugig agierende Mannschaft – die allerdings immer weiterkämpft und nicht aufgibt.

In der Vergangenheit fiel Guendouzi immer wieder auch durch zu emotionales und unfaires Verhalten auf dem Platz auf. Meinst du, er bekommt das besser unter Kontrolle?

„Das ist schwer, zu sagen. Es ist jedenfalls beunruhigend, dass er mit nur 21 Jahren und trotz seines großen Talents bei zwei Klubs und unter zwei Trainern aus dem Kader flog. Das ist die größte Schattenseite seines Selbstbewusstseins. Stößt er auf Widerstand oder Kritik, ob bei Gegner, Mitspieler oder gar Trainer, kann er die Kontrolle verlieren. Und das leider ohne Einsicht. Die Hoffnung liegt darin, dass er noch jung ist und daher reifen kann. Ob er das wird, steht in den Sternen.“

Michael Preetz und Bruno Labbadia dürften sich allerdings im Voraus bewusst gewesen sein, dass sie sich mit Guendouzi einen Spieler in den Kader holen, der Unruhe in die Mannschaft bringen kann. Die einjährige Leihe minimiert das Risiko – und da sich im Rest des Kaders bisher wenig Konfliktpotenzial andeutet, könnte Guendouzi auch von einer ruhigen Atmosphäre innerhalb der Mannschaft profitieren.

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Wie würdest du Herthas Chancen bewerten, Guendouzi auch über die einjährige Leihe hinaus zu halten?

„Das hängt vor allem davon ab, wie er sich während der Leihe präsentiert und damit sind nicht nur die Leistungen auf dem Platz gemeint. Guendouzis Talent ist bekannt und trotzdem tat sich Arsenal diesen Sommer schwer, ihn los zu werden. Kann er seinen Ruf wiederherstellen, dürften andere Kaliber dazwischenfunken. Im Norden Londons liegt Stand heute wohl zu viel verbrannte Erde für eine Wiedervereinigung.“

Wenn Guendouzi bei Hertha an seine besten Zeiten anknüpfen kann, wird er wohl kaum länger als ein Jahr in Berlin bleiben. In diesem Fall würde aber auch Hertha einen guten Deal machen – ein guter Guendouzi würde dem Verein ein entscheidendes Stück weiterhelfen, die anderthalb Millionen Euro Leihgebühr wären dann wohl eher ein Schnäppchen.

Gibt es ein Spiel von Guendouzi, dass dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

„Es war womöglich nicht seine beste Leistung, aber besonders beeindruckte er mich im März 2019 auswärts bei Manchester City. Arsenal agierte lethargisch, regelrecht ängstlich. Aber da war dieser 19-Jährige, der mit breiter Brust durch das Mittelfeld marschierte und versuchte, Gündogan, David Silva und De Bruyne das Spiel aus den Händen zu reißen. Er forderte permanent den Ball, ging weite Wege und stemmte sich gegen die Niederlage. Die Gunners verloren am Ende zwar das Spiel, aber Guendouzi hinterließ an diesem Tag einen bleibenden Eindruck. Nicht nur bei den Arsenal-Fans.“

Präsenz auf dem Platz war auch bei Hertha jüngst ein Thema nach der Heim-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt. Mit Guendouzi hat Labbadia nun eine Mittelfeld-Option mehr, und an guten Tagen wird Guendouzi Hertha mit Sicherheit weiterhelfen.

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Vorschau: Herthas theoretische Chance auf den Auswärtssieg in München

Vorschau: Herthas theoretische Chance auf den Auswärtssieg in München

Am Sonntagabend reist Hertha BSC nach München in die Allianz Arena, um dem FC Bayern weitere Punkte im Kampf um die neunte Meisterschaft in Folge zu klauen. Wir gehen unseren Vorbericht zu diesem Spiel mal anders an und überlassen Justin Kraft, Autor beim FC-Bayern-Blog Miasanrot.de, die Bühne. Er analysiert, wie der alten Dame ein Auswärtssieg in München gelingen kann.

Jahrelang galt die Reise nach München bei vielen Hertha-Fans als Sonderurlaub. Mal eben den einen oder anderen Biergarten mitnehmen und Teile der Stadt ansehen, anschließend eine Packung in der Allianz Arena abholen und wieder die lange Reise zurück in die Hauptstadt antreten. Zehn Heimspiele in Folge gewann der FC Bayern, teils sogar sehr deutlich. Der letzte Bundesliga-Sieg in München gelang Hertha im Jahr 1977 – einer von insgesamt zwei Erfolgen dort.

In der Allianz Arena gab es also noch keinen Sieg. Aber, und das macht die Reise diesmal vielleicht sogar lohnenswerter, in den letzten Jahren holte Hertha zumindest zwei Unentschieden aus drei Gastauftritten. 0:0, 0:1 und 2:2 lautet die Bilanz aus Sicht der Berliner. Nicht so schlecht, wenngleich gerade beim letzten Aufeinandertreffen auch einiges an Glück nötig war.

Die Vorzeichen auf einen weiteren Achtungserfolg stehen womöglich gar nicht mal so schlecht. Hertha wird nicht auf die übermächtigen Bayern treffen, die nach der Niederlage gegen Gladbach im Dezember 2019 nahezu jeden Gegner kurz und klein schossen. Sie treffen auf ein Team, das zuletzt etwas ins Straucheln geriet – wenn auch auf sehr hohem Niveau.

Der Rückblick zeigt: Bayern ist nicht unverwundbar

Schon gegen Sevilla deutete sich im UEFA-Supercup an, dass die Pause zwischen Champions-League-Finale und Saisonstart wahrscheinlich zu kurz gewesen ist. Kein Wunder also, dass die Münchner sich sehr darum bemühten, den eigentlichen Auftakt im Pokal gegen den 1. FC Düren zu verschieben. Eine Woche mehr, so wohl die Idee, würde die Köpfe nochmal frei machen. Das beeindruckende 8:0 gegen völlig desolate Schalker schien diesen Gedanken zu bestätigen: Die Angst vor einem weiteren Durchmarsch der Bayern wurde für viele zur Gewissheit. Wer soll diese Mannschaft denn überhaupt aufhalten?

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Sevilla war nah dran, schaffte es aber ebenfalls nicht. Was für die Bundesliga aber blieb, war der aggressive, kompakte und zugleich spielerisch überzeugende Ansatz der Spanier, der die Bayern nicht nur vor Probleme stellte, sondern ihnen innerhalb der 120 Minuten alles abverlangte. Sevilla verteidigte in einem sehr engen 4-3-3, das die bayerische Schaltzentrale um Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller aus dem Spiel nehmen sollte. Die Außenverteidiger der Bayern ließ die Mannschaft von Julen Lopetegui bewusst etwas offen, um bei einer Spieleröffnung auf sie sofort zupacken zu können. Gerade Benjamin Pavard konnte so zu einigen Fehlern gezwungen werden.

Nach rund 20 Minuten und Rückstand gelang es den Bayern aber zunehmend, die Kontrolle an sich zu reißen. Das Mittelfeld kam nun mit dem Pressing des Gegners zurecht, insbesondere der nun tiefer agierende Müller und Kimmich lösten zunehmend Situationen auf, wodurch Bayern auch zu Chancen kam, die größtenteils ungenutzt blieben.

Bayerns Spieleröffnung gilt es zu stören

Sevilla kam nur noch selten vor das Tor der Bayern, kurz vor Schluss durch eine Unaufmerksamkeit der Bayern aber fast entscheidend. Diese Unaufmerksamkeiten sollten sich wenige Stunden später dann gegen Hoffenheim häufen. Mit den 120 intensiven Minuten gegen Sevilla in den Beinen, vor allem aber der extremen Belastung im Kopf, gelang es den Münchnern nicht, die notwendige Präzision auf den Platz zu bekommen. Hoffenheim nutzte das gnadenlos aus. Hoeneß stellte seine Mannschaft optimal auf den Serienmeister ein: In einem 5-3-2 verschlossen die Hoffenheimer ebenso wie Sevilla das Zentrum und erzwangen Spieleröffnungen auf die Außenverteidiger, die dann durch ein kompaktes Herausschieben der gesamten Mannschaft angegriffen wurden. Wieder zeigte sich Pavard als Schwachstelle, aber auch Davies ließ sich zu Ballverlusten hinreißen.

Der große Vorteil im Vergleich zu Sevillas Ausrichtung lag aber in der Breitenverteidigung. Bayerns Seitenverlagerungen blieben oft nutzlos, weil die Fünferkette schnell genug am Gegenspieler war. Entscheidend dafür war aber auch die Dreierreihe im Mittelfeld. Mit sehr viel Laufarbeit, hoher Intensität und taktisch kluger Positionierung gelang es ihnen, einerseits die ballnahen Räume zu schließen, gleichzeitig aber auch schnell in ballferne Räume zu verschieben, wenn der Ball verlagert wurde.

Flick gab nach der Partie anerkennend zu, dass Hoffenheim schlicht exakt die Räume verteidigt hat, die sein Team bespielen wollte. Welche Räume sind das aber vor allem? Im Spielaufbau muss es dem Gegner gelingen, vor allem Kimmich einzuschränken – einerseits durch hohen Druck, andererseits durch die Verteidigung seiner direkten Anschlussoptionen. Rückpass, Balleroberung oder Fehlpass sind die einzigen Optionen, die dem Gegner hier helfen. Kann Kimmich aufdrehen oder gar andribbeln, ist es schon zu spät.

Einfach wird es trotz der Blaupause Hoffenheim nicht

Ist das Zentrum zu dicht, bleiben die beiden Außenverteidiger als kurze Option. Hier hat sich gerade Hoffenheim sehr klug verhalten, indem sie leicht diagonal angelaufen sind. Dadurch fehlte es Pavard und Davies jeweils an Optionen im Halbraum oder in der Spielfeldmitte. Normalerweise sind beide auf ihre Art sehr pressingresistent. Pavard löst Situationen gern über kurze Dribblings oder sein gutes Passspiel und Davies ist vor allem über seine langen Dribblings und mit Doppelpässen gefährlich. Spielt Hernández links, ist er quasi eine Mischung aus beiden. Auch er kann dribbeln, ist zusätzlich aber auch gut darin, mit Pässen den Druck aufzulösen.

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Diese Souveränität ging den Bayern zuletzt ab, weil einerseits der Druck der Gegner hoch war, andererseits aber auch die Form insbesondere bei Pavard, aber auch bei Davies nicht optimal zu sein scheint. Hertha kann das mit klugen Pressingbewegungen durchaus für sich nutzen, muss dann aber beim Herausschieben darauf achten, die Balance aus höherem Druck und einer gut organisierten Abwehrreihe zu halten. Schiebt die Abwehr nicht gut genug mit, öffnen sich zwischen den Linien Räume, die Bayern nahezu perfekt bespielen kann. Die Offensivspieler sind unglaublich laufintelligent, wissen exakt zu jedem Zeitpunkt, welche Zonen sie wie öffnen und erlaufen können.

Auch hier kann Hertha von Hoffenheim lernen: Die Hoeneß-Elf stand selbst bei höherem Pressing sehr kompakt. Alle Verteidiger schoben gut mit raus, achteten zugleich aber auf die gefährlichen langen Bälle der Münchner. Schalke beispielsweise lief teilweise komplett ins offene Messer, öffnete den schnellen Angreifern nicht nur die Türen und Fenster, sondern gleich alle Wände. Hoffenheim hingegen agierte hellwach und klug. Dieser Ansatz bedarf einer hohen Intensität bei gleichzeitig hoher Konzentration und Aufmerksamkeit – einfach geht anders, aber es ist eben ein Spiel gegen den Champions-League-Sieger.

Gelingt Hertha der ganz große Wurf?

Zusammenfassend muss Hertha also im Aufbauspiel sowohl Zentrum als auch Außenverteidiger unter Druck setzen, gleichzeitig die individuelle Klasse der Spieler sowie gefährliche Pässe zwischen die Linien verteidigen und auf hohe Bälle hinter die eigene Kette achten. Dann haben sie zumindest eine gute Chance auf Ballgewinne.

Doch so aussichtslos es scheint, dass eine Mannschaft all das schafft, so sehr dürfte es Hoffnung machen, dass die Bayern ihren Gegnern zuletzt nicht selten in die Karten spielten und sie bei diesem Vorhaben unterstützten. Kommt also etwas Glück hinzu, kann Hertha wohl auf den einen oder anderen guten Ballgewinn hoffen. Die Frage wird dann sein, ob sie es wie Hoffenheim schaffen, mit wenigen Kontakten zwei, drei Spieler ins Laufen zu bekommen. Hier dürfte die ganz große Hoffnung wahrscheinlich auf Matheus Cunha liegen, der mit seinen technischen Fähigkeiten dafür prädestiniert ist, der Schlüssel gegen Bayerns intensives Pressing zu sein.

Die Chance für Hertha ist an einen hohen theoretischen Anteil geknüpft. Wenn Hertha über sich hinauswächst, wenn Bayern ihnen etwas unter die Arme greift, weil sie zuletzt eine zu hohe Belastung auf mentaler und physischer Ebene hatten und wenn dann noch das Spielglück passt, dann ist ein Unentschieden, vielleicht sogar der große Wurf zum dritten Bundesliga-Erfolg in München möglich. Der einzige Wermutstropfen wäre dann, dass es diesmal keinen Sonderurlaub für Hertha-Fans in München gibt, bei dem man zumindest ernsthaft darauf hoffen darf, dass man erneut ein bisschen mehr mit in die Hauptstadt nehmen kann als Erfahrung.

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