Mattéo Guendouzi – Viel Talent, wenig Selbstbeherrschung

von Okt 7, 2020

Lange galt Jeff Reine-Adelaide als potenzieller Neuzugang für Herthas zentrales Mittelfeld, am Deadline-Day präsentierte der Verein dann aber einen anderen Franzosen als Verstärkung für das zentrale Mittelfeld: Mattéo Guendouzi kommt leihweise für ein Jahr von Arsenal zu Hertha, knapp anderhalb Millionen Euro Leihgebühr werden für den französischen U21-Nationalspieler fällig.

Arsenal-Experte Chris McCarty von neunzigplus.de beantwortete unsere Fragen zu Guendouzi.

HERTHA BASE: Was sind Guendouzis größte Stärken? Wie kann er Hertha weiterhelfen?

Chris: „Seine größte Stärke ist sicherlich sein Selbstbewusstsein. Guendouzi traut sich alles zu, egal gegen wen. Er hat ein sehr gutes Auge und einen großen Passradius, kann dabei durch Diagonalbälle und Schnittstellen-Pässe selbst aus der Tiefe kreative Impulse liefern. Darüber hinaus ist er sehr ballsicher, kann das Spielgerät durch seine Physis hervorragend abschirmen und zieht durch eine gewisse Schlitzohrigkeit sehr viele Fouls.“

Mit seiner durchaus etwas offensiveren Ausrichtung passt Guendouzi gut in das Anforderungsprofil, dass man bei Hertha definiert hatte: Neben Lucas Tousart wollte man auch unbedingt noch einen etwas offensiv orientierteren Mittelfeldspieler verpflichten.

Und was sind seine größten Schwächen?

„Seine größte Stärke ist auch seine größte Schwäche: Sein Selbstbewusstsein. Das führt zu herausragenden Momenten, aber vereinzelt auch zu vermeidbaren Ballverlusten. In seinem Spiel ohne den Ball lässt die Spielintelligenz sehr nach. Er agiert oftmals zu ballfixiert, naiv und neigt dazu, gefährliche Situationen zu spät zu erkennen.“

Mit dem Kopf durch die Wand – vereinzelt kennt man diesen Ansatz bei Hertha BSC schon, auch Matheus Cunha agiert an weniger guten Tagen mitunter kopflos. Auch Guendouzi dürfte daher ein Spieler sein, den Bruno Labbadia ab und zu einbremsen muss.

Foto: IMAGO

Kann Guendouzi Hertha sofort weiterhelfen, oder braucht er erst noch eine Eingewöhnungszeit?

„Garantieren kann man das natürlich nicht, aber er scheint aufgrund seines Ehrgeizes ein Typ zu sein, der keinerlei Eingewöhnungszeit benötigt. 2018 wechselte er aus der zweiten französischen Liga zum FC Arsenal und verzichtete auf die U19-EM, um sich in der Vorbereitung in die Stammelf zu spielen. Kaum einer hatte ihn auf dem Zettel, am ersten Spieltag der Premier League stand er gegen Manchester City in der Startelf.“

Nach seiner Vertragsunterschrift ging es für Guendouzi allerdings zur U21-Nationalmannschaft, ein Startelfeinsatz gegen Stuttgart scheint deswegen eher unwahrscheinlich – wenn Niklas Stark, Lucas Tousart und Vladimir Darida fit bleiben.

In welchen Systemen und auf welchen Positionen kommt Guendouzi gut klar? Und wo überzeugt er eher weniger?

„Guendouzis Stärken kommen am besten auf der Acht oder der Doppelsechs zur Geltung. Dort kann er Spielintelligenz, Pressingresistenz, Passspiel und zuweilen auch seinen Drive im Spiel nach vorne sehr gut einsetzen. Als alleiniger Sechser fehlt ihm zu sehr das defensive Bewusstsein.“

In Labbadias 4-3-3 bzw. 4-3-1-2 kommen für Guendouzi also jeweils die beiden Achterpositionen infrage. Bisher spielten dort Lucas Tousart und Vladimir Darida – Tousart könnte nun allerdings auf die Sechs rücken, da Niklas Stark in den kommenden Wochen den ausfallenden Jordan Torunarigha in der Innenverteidigung ersetzen muss. Dann wäre Guendouzi wohl die erste Option, um die freie Achterposition zu übernehmen.

Lucas Tousart, Vladimir Darida und Niklas Stark, dazu Eduard Löwen und Santiago Ascasibar, Herthas Mittelfeld ist nun relativ breit besetzt. Welche Rolle traust Du Guendouzi zu – von Schlüsselspieler bis Rotationsspieler?

„Guendouzis Erwartungshaltung wird sein, auf Anhieb Stammspieler zu werden. Ich würde nicht gegen ihn wetten. Im Gegenteil, ich traue ihm zu, direkt zu begeistern. Um Leistungsträger zu werden, wird er aber an seinen Fehlern arbeiten müssen, die man ihm in der Honeymoonphase noch verzeiht.  Bei Arsenal tat er dahingehend zu wenig.“

Hertha sucht nach Spielern, die auf dem Platz vorangehen und die Mannschaft führen – Guendouzi ist zwar noch jung, aber könnte er mit seiner Erfahrung trotzdem eine solche Rolle einnehmen?

Guendouzi ist kein Spieler, der sich versteckt, dafür ist er zu ehrgeizig. Selbst wenn es bei der Mannschaft oder ihm persönlich schlecht läuft, wird er versuchen, das zu ändern und vorneweg marschieren. Um ein tatsächlicher Leader zu sein, fehlt es ihm allerdings wohl an der Reife und den Führungsqualitäten.“

Nicht nur mit seiner Körpersprache und seinem Wille wird Guendouzi sich demnach gut in das einfügen, was man in dieser Saison bisher von Hertha gesehen hat: Eine junge, teilweise blauäugig agierende Mannschaft – die allerdings immer weiterkämpft und nicht aufgibt.

In der Vergangenheit fiel Guendouzi immer wieder auch durch zu emotionales und unfaires Verhalten auf dem Platz auf. Meinst du, er bekommt das besser unter Kontrolle?

„Das ist schwer, zu sagen. Es ist jedenfalls beunruhigend, dass er mit nur 21 Jahren und trotz seines großen Talents bei zwei Klubs und unter zwei Trainern aus dem Kader flog. Das ist die größte Schattenseite seines Selbstbewusstseins. Stößt er auf Widerstand oder Kritik, ob bei Gegner, Mitspieler oder gar Trainer, kann er die Kontrolle verlieren. Und das leider ohne Einsicht. Die Hoffnung liegt darin, dass er noch jung ist und daher reifen kann. Ob er das wird, steht in den Sternen.“

Michael Preetz und Bruno Labbadia dürften sich allerdings im Voraus bewusst gewesen sein, dass sie sich mit Guendouzi einen Spieler in den Kader holen, der Unruhe in die Mannschaft bringen kann. Die einjährige Leihe minimiert das Risiko – und da sich im Rest des Kaders bisher wenig Konfliktpotenzial andeutet, könnte Guendouzi auch von einer ruhigen Atmosphäre innerhalb der Mannschaft profitieren.

Foto: IMAGO

Wie würdest du Herthas Chancen bewerten, Guendouzi auch über die einjährige Leihe hinaus zu halten?

„Das hängt vor allem davon ab, wie er sich während der Leihe präsentiert und damit sind nicht nur die Leistungen auf dem Platz gemeint. Guendouzis Talent ist bekannt und trotzdem tat sich Arsenal diesen Sommer schwer, ihn los zu werden. Kann er seinen Ruf wiederherstellen, dürften andere Kaliber dazwischenfunken. Im Norden Londons liegt Stand heute wohl zu viel verbrannte Erde für eine Wiedervereinigung.“

Wenn Guendouzi bei Hertha an seine besten Zeiten anknüpfen kann, wird er wohl kaum länger als ein Jahr in Berlin bleiben. In diesem Fall würde aber auch Hertha einen guten Deal machen – ein guter Guendouzi würde dem Verein ein entscheidendes Stück weiterhelfen, die anderthalb Millionen Euro Leihgebühr wären dann wohl eher ein Schnäppchen.

Gibt es ein Spiel von Guendouzi, dass dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

„Es war womöglich nicht seine beste Leistung, aber besonders beeindruckte er mich im März 2019 auswärts bei Manchester City. Arsenal agierte lethargisch, regelrecht ängstlich. Aber da war dieser 19-Jährige, der mit breiter Brust durch das Mittelfeld marschierte und versuchte, Gündogan, David Silva und De Bruyne das Spiel aus den Händen zu reißen. Er forderte permanent den Ball, ging weite Wege und stemmte sich gegen die Niederlage. Die Gunners verloren am Ende zwar das Spiel, aber Guendouzi hinterließ an diesem Tag einen bleibenden Eindruck. Nicht nur bei den Arsenal-Fans.“

Präsenz auf dem Platz war auch bei Hertha jüngst ein Thema nach der Heim-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt. Mit Guendouzi hat Labbadia nun eine Mittelfeld-Option mehr, und an guten Tagen wird Guendouzi Hertha mit Sicherheit weiterhelfen.

[Titelbild: IMAGO]

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Simon

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