Kaderanalyse 2019/20 – Herthas Sturm

Kaderanalyse 2019/20 – Herthas Sturm

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte. In diesem Teil wird die Position der Mittelstürmer näher beleuchtet.

Hertha und die Stürmer – ein schwieriges Thema. Denn gefühlt hat es nach Michael Preetz, Marcelinho und Marco Pantelic keinen Hertha-Stürmer mehr gegeben, der über Jahre hinweg, ligaweit und konstant für seine Torgefahr gefürchtet war. Durch Herthas neuen Reichtum, hoffnungsvolle Nachwuchsstürmer und die Trainerwechsel hat sich aber auch auf dieser Position in der abgelaufenen Saison viel getan. Grund genug, um den Sturm in unserer Kaderanalyse unter die Lupe zu nehmen.

Vedad Ibisevic – Ein versöhnliches Ende?

Stürmer werden bekanntlich nach Toren bewertet. Schaut man sich die Tor-Statistiken von Hertha aus der vergangenen Saison an, wird klar, dass die Effizienz der Torbeauftragten viel Luft nach oben hat. Denn unter den fünf Spielern mit den meisten Treffern ist Vedad Ibisevic der einzige „echte“ Stürmer. Der Bosnier Ibisevic hat mit zehn Saisontoren (Liga und Pokal) in der vergangenen Saison die meisten Tore erzielt, wobei sieben Tore in Ligaspielen und drei Tore in Pokalspielen erzielt wurden. Auch eine andere Statistik spricht für den 36-Jährigen: Mit durchschnittlich 136 Minuten hat Ibisevic von allen Hertha-Torschützen am wenigsten Zeit benötigt, um erneut zu treffen. Allerdings ist der „Vedator“ mit diesen Werten noch weit von der Ligaspitze entfernt: Robert Lewandowski (34 Ligatore, 72 Minuten/Tor) und Timo Werner (28 Tore / 106 Minuten/Tor) agieren in anderen Sphären.

Und dennoch hat Ibisevic für seine und Herthas Verhältnisse eine gute Saison gespielt, in der weniger die Quantität sondern mehr die Bedeutung seiner Treffer bestach. Man denke nur an das Spiel in Köln in der Hinrunde, in dem der Bosnier den „Effzeh“ nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit quasi im Alleingang mit einem Doppelpack besiegte. Nach einem missglückten Saisonstart war der Sieg gegen Köln im Herbst 2019 eines der wenigen Lebenszeichen der von Ante Covic geleiteten Hertha.

Foto: IMAGO

Schaut man auf die vergangene Saison zurück, waren es eher die Trainer als Ibisevic selbst, die dafür sorgten, dass der „Vedator“ nicht häufiger traf. Denn Covic und Klinsmann setzten beide konstant auf Selke, was sich als krasser Fehler herausstellte. Erst Bruno Labbadia, der mit dem Bosnier schon in Stuttgart erfolgreiche Zeiten erlebt hatte, erkannte die Qualitäten Ibisevics: Er kann aus dem Mittelfeld angespielt werden, die Bälle dabei „festmachen“, holt einige Freistöße in wichtigen Positionen heraus und – das zeigte das oben angesprochene Köln-Spiel par excellence – hat kluge Laufwege, die ihn immer wieder in die gefährlichen Räume bringen. Ein echter Torjäger eben.

Trotzdem soll Ibisevic in der kommenden Saison wohl nicht mehr für die Hertha auflaufen. Trotz spannender Nachwuchspieler und neu eingekaufter Stars ist dies ein riskantes Unterfangen: Ibisevic hatte zwar immer wieder auch schlechte Phasen. In seinen guten Zeiten war er aber immer wertvoll, teils spielentscheidend. Mit 56 Ligatoren für Hertha liegt er auf Platz zehn der Rekordtorschützen unseres Vereins. In allen seinen fünf Spielzeiten in blau-weiß gehörte Ibisevic mindestens zu den drei besten Torschützen der Mannschaft. Er und Salomon Kalou waren viele Jahre die Lebensversicherung der “alten Dame”. Nachdem die Leistungskurve in den jüngeren Zeit allerdings noch unten zeigte, wird die viel wichtigere Frage sein, wie das aus vielen jungen Spielern und Neueinkäufen zusammengesetzte Team den Abgang zweier „Leader“ (Ibisevic und Skjelbred) verkraften kann.

Ein offizielle Verabschiedung des “Vedators” hat es seitens des Vereins allerdings noch immer nicht gegeben. Es ist also nicht zu 100 Prozent auszuschließen, dass der 36-Jährige nicht doch noch eine weitere Saison in Berlin auf Torejagd geht. Hertha soll nach einem neuen Stürmer suchen, doch sollte dieses Unterfangen nicht glücken, weil z.B. kein geeigneter Kandidat zu finden oder nicht zu finanzieren ist, könnte es eine “Rückkehr” Ibisevic’ geben – sollte dieser keine interessantere neue Herausforderung angeboten bekommen. Falls dies jedoch das Ende gewesen sollte, kann Ibisevic als bester Hertha-Torjäger der vergangenen Saison guten Gewissens abdanken.

Davie Selke – Letzte Chance vertan

Nach der Saison 19/20 kann man nun wohl mit Sicherheit feststellen: Davie Selke wird keine Zukunft mehr bei Hertha BSC haben. Nach einer recht guten Saison 17/18 (zehn Tore in 27 Liga- und Pokalspielen) und einer schwächeren zweiten Hertha-Saison (drei Tore in 30 Spielen) folgte eine enttäuschende Hinrunde 2019, in welcher der mit vielen Hoffnungen verbundene Stürmer in 19 Spielen ein einziges Tor schoss.

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Dabei kann sich Selke nicht darüber beschweren, dass er bei Hertha zu wenige Chancen bekommen hätte. Schon in der Saison 18/19 wurde er von Pal Dardai oft bevorzugt, zahlte das Vertrauen aber fast nie zurück. Und auch in der vergangenen Saison setzten Covic und Klinsmann klar auf Selke und degradierten den Mannschaftskapitän Vedad Ibisevic zum Bankdrücker. Klinsmann sah Selke sogar mittel- bis langfristig im Nationalkader – eine von vielen Fehleinschätzungen des ehemaligen Nationaltrainers. Dass Selke auch in der vergangenen Saison keinen Anschluss fand, lag an seinem Spielstil. Er ackert zwar auch im Mittelfeld, um sich Bälle zu erobern. Allerdings kann er im Gegensatz zu Ibisevic nur selten Bälle festmachen, auch seine Dribbling-Qualitäten lassen zu wünschen übrig. Hinzu kommen recht unkreative Laufwege, sodass er nur selten für Dynamik und Überraschungen im Spiel sorgt. Michael Preetz hatte einen ähnlichen Spielstil, der oft etwas unkonventionell bis ungeschickt wirkte. Allerdings hatte Preetz die Gabe, das Spiel besser zu lesen und in den richtigen Momenten am richtigen Fleck zu sein.

Die Zukunft des 25-Jährigen ist noch nicht final geklärt, schließlich muss Werder Bremen auch in der kommenden Saison die Klasse halten, damit die Kaufpflicht aktiviert wird – mindestens zehn Millionen würde Selke dann einbringen, womöglich sogar 15 Millionen, doch der damit verbundene Umstand, dass Bremen Europa erreicht, ist wohl illusorisch. Das ernüchternde Fazit zu Selke ist, dass der Stürmer ein nicht eingelöstes Versprechen ist. 2017 für damals viel Geld nach Berlin gekommen, sollte er die Zukunft des Berliner Mittelsturms sein, doch bis auf wenige Spiele, wie beispielsweise sein Doppelpack beim 3:2-Sieg über RB Leipzig, ist er diesen Erwartungen hinterhergehinkt. Es sollte nicht sein.

Krzysztof Piątek – Herthas neue Sturm-Hoffnung

Mit 24 Millionen Euro ist der Pole Krzysztof Piątek Herthas zweitteuerster Transfer der Vereinsgeschichte. Seine bisher größten Erfolge feierte Piątek zuvor in Italien, wo er zunächst für den CFC Genova 13 Tore in 19 Spielen machte und später in 36 Einsätzen 13 mal für den AC Mailand traf. Als Zlatan Ibrahimovic dann im Winter 19/20 nach Mailand wechselte, verlor der polnische A-Nationalspieler seinen Stammplatz und geriet zugleich ins Visier der Hertha, die nach einer sehr enttäuschenden Hinrunde eine „Tormaschine“ brauchte.

Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Piąteks Stil ist schnörkellos: Bekommt er einen Ball in aussichtsreicher Position, sucht er sofort den Abschluss. Kreatives Passspiel und die Einbindung in längere Ballstafetten gehören offenbar nicht zu seinen Stärken, was oftmals dazu führt, dass Piątek phasenweise „untertaucht“ und etwas wenig Anbindung ans Spiel hat. Das ist aber auch okay – schließlich benötigt Hertha nach den Abgängen von Ibisevic, Selke und Kalou schlichtweg einen Stürmer, der regelmäßig Tore schießt. Dass der Pole diese Rolle bei Hertha in der kommenden Saison einnimmt, ist nicht unwahrscheinlich. Denn in den letzten Saisonspielen zeigte Piątek eine zufriedenstellene Leistung. In seinen 16 Hertha-Spielen (Liga und Pokal) kam Piątek auf fünf Treffer und eine Vorlage.

Dennoch ist weiterhin Luft noch oben klar erkennbar. Das sieht auch Trainer Bruno Labbadia so, der zuletzt gegenüber dem Berliner Kurier sagte: “Er läuft viel und macht viel. Die Statistiken sind sehr gut. Was man sagen kann, Krzysztof arbeitet extrem viel – auch außerhalb des Platzes. Er hat Fähigkeiten, die er mehr einbringen muss. Wir müssen es schaffen, ihn in seiner Position besser einzusetzen. Und er muss auch daran arbeiten. Er muss präsenter im Strafraum werden. Er muss noch effektiver werden.”

Pascal Köpke – Abschied wahrscheinlich

Wenn man sich im Internet nach Toren von Pascal Köpke umschaut, bekommt man einige beeindruckende Szenen zu sehen. Allerdings erzielte Köpke diese Tore fast ausschließlich im Trikot der „Veilchen“ von Erzgebirge Aue. Satte 18 Scorer-Punkte in 34 Zweitliga-Spielen gingen damals in einer Saison auf sein Konto. Zur Hertha wechselte der Stürmer vor der Saison 18/19 und hat seit dem eigentlich nie eine entscheidende Rolle gespielt. In der vergangenen Saison kam Köpke auf vier Ligaspiele und einen Pokaleinsatz.

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Dieses eine Pokalspiel hatte es allerdings in sich: Sehr überraschend hatte ihn Jürgen Klinsmann gegen Schalke in die Startelf befördert. Und zum ersten Mal machte Köpke im Hertha-Dress einen Unterschied: In klassischer Mittelstürmer-Manier machte er das 1:0 und legte wenig später das 2:0 vom damaligen Neuzugang Krzysztof Piątek auf. In den Klinsmann-Wochen kam Köpke zu einigen wenigen Einwechslungen. Besonders dürfte diese Zeit für ihn auch gewesen sein, weil sein Vater kurzzeitig Torwarttrainer bei Hertha war.

Unter Bruno Labbadia spielte Köpke dann erneut keine Rolle mehr. Ein Abschied ist mit Blick auf die anstehenden Kaderveränderungen wahrscheinlich. Die damalige Verpflichtung des quirligen Angreifers war eine Spekulation auf die Zukunft: Der Sprung von Aue nach Berlin war so groß, dass es nicht unwahrscheinlich gewesen ist, dass Köpke eben jenen Schritt nicht vollziehen kann. Das Experiment gilt wohl als gescheitert, 13 Einsätze und gerade einmal 264 Minuten in zwei Jahren belegen diese These.

Daishawn Redan – Der ungeschliffene Diamant?

Daishawn Redan ist ein 19 Jahre junger Mittelstürmer, der in der niederländischen Ajax-Schule groß geworden ist, vor einigen Jahren zu Chelsea wechselte und seit Anfang der vergangenen Saison bei Hertha spielt. Redan wurde teilweise als das „Wunderkind“ von Ajax und Chelsea beschrieben – die Verpflichtung durch Hertha weckte daher Hoffnungen. Auch wenn wir von Redan noch nicht viel gesehen haben – seine Statistiken klingen spannend. In der niederländischen Jugendmannschaften traf Redan zuletzt fast in jedem Spiel. In der U18 und der U19 der Londoner erzielte der Niederländer 18 Tore.

Und auch im Hertha-Dress hat Redan schon getroffen: In seinen acht Einsätzen für die U23 von Michael Hartmann kam Redan auf vier Tore. Im Profi-Team wurde er bislang nur einmal eingesetzt: Bei der 0:3 Heimniederlage gegen Wolfsburg am 2. Spieltag. In der Rückrunde wurde Redan dann an den niederländischen Erstligisten FC Groningen verliehen, wo er einige Spiele bewältigte, aber keine Tore machte – bis die Saison 19/20 wegen des Coronavirus abgebrochen wurde. Gemeinsam mit Jessic Ngankam könnte sich Redan in der kommenden Saison um die Rolle des besten Nachwuchsstürmers streiten. In jedem Fall sollte Hertha ihn nicht voreilig ziehen lassen.

Jessic Ngankam – Herthas eigenes Sturm-Juwel

Immer wieder kommen aus der Hertha-Jugend vielversprechende Talente in die Profi-Mannschaft. Dass diese Spieler aber schon mit 18 oder 19 Jahren von mehreren europäischen Spitzenclubs gejagt werden, passiert nicht sehr oft. Bei Jessic Ngankam ist das aber der Fall. Obwohl im Mai dieses Jahres von Interesse aus München und Salzburg berichtet wurde, unterschrieb das Berliner Eigengewächs seinen ersten Profivertrag bei Hertha. Belohnt wurde er von Bruno Labbadia mit mehreren Einwechslungen. Im letzten Saisonspiel gegen Mönchengladbach sammelte Ngankam sogar seinen ersten Scorer-Punkt, als er Ibisevic seinen wohl letzten Hertha-Treffer auflegte. In Hartmanns U23 zeigte Ngankam in der vergangenen Saison, was in ihm steckt: In 22 Spielen traf er elf Mal – seine Torquoten in den Jugendmannschaften Herthas sind noch beeindruckender. Schön, dass Labbadia den Nachwuchsspielern häufig Chancen gibt. Ngankam hat sie verdient – es wäre toll, wenn er sich einen Platz im Team ergattert.

Muhammed Kiprit – Geht da noch was?

Einen ähnlichen Text wie über Ngankam hätte man in den vergangenen Jahren vor Saisonbeginn jeweils auch über Muhammed Kiprit schreiben können. Der gebürtige Berliner hat in der Jugend für Hertha viele Tore geschossen, 2018 wurde er dann zum Hertha-Profi. Doch seitdem steht die Entwicklung still. In der Rückrunde 18/19 wurde Kiprit für ein paar Monate nach Innsbruck verliehen. In der vergangenen Saison lief er dann wieder 21 mal für die U23 von Hertha auf – und machte beachtliche 16 Tore bei fünf Vorlagen. Alleine diese Werte zeigen, dass Kiprit als Stürmer wertvoll sein kann. Vielleicht bekommt er bei Labbadia ja noch eine Chance – es ist allerdings nicht davon auszugehen.

Fazit

Obwohl Hertha in der vergangenen Saison mit Ibisevic und später auch Piątek zwei klassische Strafraumstürmer hatte, die für wichtige Tore sorgten, gibt es nach wie vor ein Stürmerproblem. Das zeigen mehrere Statistiken. Mit sieben Ligatreffern sind Vedad Ibisevic und Dodi Lukebakio Herthas erfolgreichste Torschützen und rangieren damit auf Platz 33 der Torjäger-Liste der Bundesliga. Dass bei Hertha die Torgefahr zumeist nicht von Stürmern sondern von offensiven Mittelfeldspielern (Lukebakio, Cunha, Kalou, etc.) ausgeht, zeigt auch ein Blick in die Scorer-Liste der Liga. Mit sieben Treffern und sechs Vorlagen ist Lukebakio auf Platz 31 bester Herthaner. Das mag sicherlich auch an den vielen Trainerwechseln der vergangenen Saison liegen: Denn unter Klinsmann und Covic hatte der einzige treffsichere Stürmer Ibisevic in der Hinrunde wenig Einsatzzeit. Wer weiß, wie viele Tore der „Vedator“ gemacht hätte, wenn er Selkes Spielzeit bekommen hätte …

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Hoffnung machen aber die jüngsten Entwicklungen unter Bruno Labbadia, der selbst jahrelang auf Torejagd ging. Einerseits erkannte Labbadia, dass Ibisevic nach seinen Hertha-Jahren als Stürmer am besten mit dem Rest der Mannschaft verbunden ist – der Bosnier zahlte dies mit guten Leistungen und Treffern zurück. Andererseits baute Labbadia gleichzeitig Neuzugang Piątek auf – der Pole wurde von Spiel zu Spiel besser und konnte zeigen, dass er Ibisevics Platz als gefährlicher Strafraumstürmer einnehmen könnte. Hoffnung machen auch Nachwuchs-Talente wie Ngankam oder Redan, die unter Labbadia sicherlich ihre Zeit bekommen werden.

Ganz egal, wer vorne spielt – Hertha muss auch spielerische Probleme lösen. Sowohl mit Ibisevic als auch mit Selke und Piątek hat es in der vergangenen Saison zu oft so gewirkt, als habe der Sturm keinen Anschluss ans Mittelfeld gehabt. Der Abstand der Stürmer zu den kreativen Passgebern war oft zu groß, sodass nur selten spielerisch-dynamisch Gefahr entstanden ist. Wünschenswert wäre es daher, dass der Strafraumstürmer Piątek einen weiteren spielstarken Stürmer an seine Seite bekommt. Vielleicht können diese Aufgabe ja die Talente Ngankam und Redan erfüllen – vielleicht aber auch ein weiterer Neuzugang.

[Foto: IMAGO]

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – Schalke 04

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – Schalke 04

Nein, so wirklich Spaß wollen die Spiele von Hertha BSC im Moment nicht machen. Aber was will man beanstanden, wenn die Mannschaft unter Trainer Jürgen Klinsmann in acht Spielen ganze zwölf Zähler sammelt und sich somit Stück für Stück aus dem Abstiegskampf befreit? Auch gegen den FC Schalke 04 lieferten die Berliner kein spielerisches Glanzstück ab, arbeiteten dafür aber umso disziplinierter gegen den Ball und rangen dem Tabellensechsten somit ein 0:0 ab. Punktgewinn, mal wieder zu null gespielt, abgehakt und weiter geht’s. Diesen Pragmatismus muss man nicht abfeiern, aber es ist anzuerkennen, welch für den Gegner eklig zu bespielende Truppe das Trainerteam geformt hat.

Auch wenn die Begegnung am Freitagabend gegen die “Königsblauen” ohne viele Highlights auskommen musste, haben sich ein paar Herthaner hervorgetan – positiv wie negativ. Diese wollen wir nun genauer unter die Lupe nehmen.

Boyata & Torunarigha – die neue Stamm-Innenverteidigung?

Dass Hertha auch am 20. Spieltag so schwer zu bespielen war, lag zu großen Teilen an der neuen Innenverteidigung. Dedyrick Boyata kehrte nach seiner abgesessenen Gelbsperre zurück in die Startelf der Hausherren, neben ihm lief Jordan Torunarigha auf, der sich durch die sehr guten Leistungen in den vorangegangenen zwei Partien empfohlen hatte. Das Duo, dass gegen den FC Bayern München erstmals gemeinsam auflief, ließ gegen Schalke keinen Zweifel daran, wer in Zukunft die Stamm-Innenverteidigung bei Hertha bilden sollte.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Denn eines ist nach dem Spiel klar: versucht der Gegner (heißt dieser nicht FC Bayern) mit einfachen Mitteln wie Flanken oder dem Distanzschuss Tore zu erzielen, wird er mit Boyata und Torunarigha auf dem Platz keinen Erfolg damit haben. Beide Innenverteidiger Herthas wirkten gegen Schalke über die gesamte Spieldauer hoch konzentriert und souverän. Einzig der in der 57. Minute zu kurz geratene Rückpass Boyatas auf Rune Jarstein, den Benito Raman abfing und zur Torchance umwandelte, war als klarer Fehler abzubuchen. Darüber hinaus gab es noch den sehr gefährlichen Kopfball Michael Gregoritschs in der 85. Minute, der knapp am rechten Pfosten vorbeiging und bei dem Torunarigha etwas zu spät kam, doch ist es auf diesem Niveau nahezu unmöglich, alle Chancen des Gegners abzufangen.

Darüber hinaus ließen die zentralen Abwehrmänner in blau-weiß nichts gefährliches zu. Durch exzellentes Stellungsspiel und Zweikampfverhalten waren beide kaum zu überwinden. Torunarigha gewann einmal mehr alle seine Kopfballduelle, sicherte neun Bälle und klärte vier Aktionen. Hinzu kommen zwei Blocks und zwei abgefangene Bälle. Das Berliner Eigengewächs macht den Eindruck, als sei sein Spiel deutlich erwachsener geworden. Zwei zeigt er wohl weniger spektakuläre Szene als in der Vergangenheit, jedoch unterlaufen ihm zeitgleich deutlich weniger Fehler und Unaufmerksamkeiten. Der 22-Jährige wird erwachsen und das tut seinem Spiel gut – die gelegentlichen Dribblings bis in die gegnerische Hälfte lässt er sich aber dennoch nicht nehmen und das ist auch richtig so, da diese Unordnung beim Gegner und Raumgewinn schaffen. Ansonsten gilt in den letzten Spielen: auf Torunarigha ist Verlass. So ist die Nummer 25 nicht wegzudenken.

Dasselbe gilt bereits seit Saisonbeginn für Boyata. Der Belgier bewies gegen die Gelsenkirchener einmal mehr, warum er der konkurrenzlose Abwehrchef der “alten Dame” ist. Als wäre er nie weg gewesen, führte der 29-Jährige die Hertha-Abwehr an, kommunizierte und richtete aus. Für seine Mannschaftskameraden ist klar: wenn ich nicht weiter weiß, schaue ich zu “Dedo” oder gebe ihm den Ball. Während einige Herthaner große Probleme mit dem Schalker Pressing hatten, blieb Boyata ruhig und spielte den gepflegten kurzen Ball. Auch im Abwehrverhalten strahlte der Nationalspieler große Sicherheit aus: elf Ballsicherungen, acht geklärte Aktionen, ein abgefangener und geblockter Ball unterstreichen seine starke Vorstellung. Seine wohl auffälligste Szene hatte Boyata in der 49. Minute, als Schalkes Raman nur noch ihn zu überwinden hatte, um alleine auf das Tor ziehen zu können. Der Innenverteidiger drehte sich allerdings sehr handlungsschnell und fing seinen flinken Landsmann mit beeindruckender Dynamik ein. Eine Szene, die stellvertretend für das Gefühl steht, dass er bei Hertha-Anhängern auslöst: Boyata ist immer zur Stelle.

In dieser Form besteht kein Zweifel daran, dass Boyata und Torunarigha das gesetzte Innenverteidigerduo sein müssen. Beide lassen kaum etwas zu und können zudem mit dem Ball umgehen. Ob Boden oder Luft, sie sind kaum zu besiegen. Während Herthas Innenverteidigung in weiten Teilen der Hinrunde eine riesige Baustelle gewesen ist, strahlt die Konstellation vom Freitagabend große Sicherheit aus. So haben es Niklas Stark und Karim Rekik schwer, wieder in die Startelf zu drängen.

Santiago Ascacibar – sein bislang bester Auftritt?

Es ist bereits beeindruckend gewesen, wie selbstverständlich sich Neuzugang Ascacibar nach nur wenigen Wochen mit der Mannschaft in die Stammelf gespielt hat. Der argentinische Mittelfeldkämpfer stand in jedem der drei gespielten Rückrundenpartien in der Anfangsformation, doch gelang im gegen Schalke sein bisher stärkster Auftritt im blau-weißen Trikot.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Etwas für die Statistik-Freunde: in jedem seiner drei Partien für den Hauptstadtklub war Ascacibar der läufstärkste Spieler auf dem Feld. Das muss für sich genommen noch nichts heißen, doch verbindet der defensive Mittelfeldspieler große Raumbeherrschung und intelligente Laufwege damit. Im Spiel gegen die “Königsblauen” war Ascacibar als Manndecker auf Spielmacher Amine Harit angesetzt und dieser Aufgabe widmete sich Herthas Nummer 18 mit großer Passion. Man sah förmlich, wie der giftige Argentinier seinem Gegenspieler, der für sein Spiel Freiräume und den gewissen “Flow” braucht, Minute um Minute mehr Lust an diesem Spiel nahm. Durch seine Arbeit raubte Ascacibar den Schalkern eine große Menge Kreativität und Unberechenbarkeit. Sobald Harit etwas “starten” wollte, stand ihm Ascacibar bereits auf den Füßen. Es war kein dankbarer Job für den 22-Jährigen, da ihn nicht viele für diesen nach dem Spiel loben werden – das Arbeiten gegen Ball und Gegner ist nicht so ruhmreich wie schöne Pässe zu spielen oder Dribblings anzusetzen. Und doch wussten die Fans seine aufopferungsvolle auf Social Media zu würdigen: “Santi war überall”, “Guter Einkauf mit einem starken Spiel”.

Ascacibars Aufgabenbereich beschränkte sich aber natürlich nicht nur auf das Herausnehmen Harits, generell sollte der Sechser das gegnerische Ballbesitzspiel (zer)stören. Mit fünf Tacklings (zusammen mit Mittelstädt Bestwert), den nach Marko Grujic zweitmeisten gewonnenen Zweikämpfe und zwei abgefangenen Bällen gilt der Auftrag als erfüllt. Ascacibar war ein ständiges Störelement für Schalke, da er große Räume abdeckte und Angriffe bereits im Keim erstickte. Eine rundum starke Vorstellung des Neuzugangs, der mit jedem Spiel selbstbewusster und somit wichtiger für Hertha wird. Einer muss die Drecksarbeit eben machen.

Lukas Klünter – Herthas Schwachpunkt?

Gut, die Eingangsfrage ist wohl sehr provokant formuliert, schließlich gehört Lukas Klünter zu den konstantesten Spielern der laufenden Spielzeit. Besonders im Verhalten gegen den Ball ist dem Rechtsverteidiger nur seltenst ein Vorwurf zu machen, doch kristallisierte sich vor allem im Spiel gegen Schalke ein großes Problem auf: Klünter ist vom Gegner als Pressingopfer ausgemacht worden und das zurecht.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/getty Images

Es ergab sich am Freitgabend immer wieder dasselbe Bild: Schalke presste äußerst aggressiv und lief bis zur Viererkette an. Dabei lenkten sie Herthas Abwehrspieler so, dass Boyata den Ball letztendlich auf Rechtsverteidiger Lukas Klünter spielte. Hier schnappte die Falle der Schalker zu, denn sobald Herthas Nummer 13 am Ball war, wurde er von zwei Gegenspielern attackiert. Hier kamen die technischen Mängel Klünters zum Vorschein: da er sich nicht durch ein Dribbling o.ä. im engen Raum lösen konnte, wählte er stets den Befreiungsschlag, woraus in nahezu allen Fällen ein Ballgewinn der Schalker resultierte. Indem S04 dem Außenverteidiger möglichst wenig Platz ließ, musste er auf den langen Ball zurückgreifen, um keinen Ballverlust am eigenen Strafraum zu riskieren. Dass mit Marius Wolf ebenfalls kein Edeltechniker auf seiner Seite spielte, um ihn aus solch brenzlichen Situationen herauszuholen, trug auch dazu bei, dass man sich kaum aus der Pressingfalle befreien konnte. Eine nahezu sichere Ballgewinn-Strategie der “Königsblauen”, die Herthas Aufbauspiel massiv behinderte.

Gerade einmal 56% von Klünters Zuspielen kamen beim Mitspieler an – eine grausige Quote. Auch sonst wollte dem so schnellen Außenverteidiger, der gegen Wolfsburg noch das so wichtige 2:1-Siegtor vorbereitet hatte, nicht viel gelingen. Im Gegensatz zu Mittelstädt schaltete sich der 23-Jährige kaum mit nach vorne ein. Das lag zum Teil sicherlich daran, dass Hertha im Defensivverbund oftmals in einer Fünferkette auftrat, in der Klünter den rechten Innenverteidiger gab und Wolf den Außenverteidiger, aber dennoch hätte es Gelegenheiten für Offensivausflüge gegeben. Auch ließ Klünter mehr gefährliche Flanken als sein Pendant auf der linken defensiven Außenbahn zu. Insgesamt also kein allzu guter Tag für ihn.

Nun will man Klünter aufgrund seiner bislang wirklich soliden Saison und vor allem wegen seiner starken Defensivleistungen nicht unverzüglich verdammen, aber es fällt durchaus auf, dass er in der bisherigen Rückrunde eher unglücklich auftritt. Was fehlt, sind Alternativen, die ihn bei einem kleinen Formtief ersetzen könnten. Auf Pekarik scheint nicht mehr gesetzt zu werden (zuletzt zwar dreimal infolge im Kader, aber ohne eine einzige Einsatzminute in dieser Saison) und Wolf hat sich, spielte er als Außenverteidiger oder alleiniger Schienenspieler, bislang äußerst unglücklich präsentiert. Es bleibt also zu hoffen, dass Klünter wieder zu seinem unaufgeregten Spiel zurückfindet und das Trainerteam eine Lösung dafür findet, ihn bei Pressingsituation nicht so alleine zu lassen. Hierzu hat am Freitag nämlich eindeutig ein Impuls von außen gefehlt. Klünter ist kein Lazaro – das wurde schon oft genug festgestellt – aber richtig eingesetzt kann er dieser Mannschaft gut tun.

Krzysztof Piatek – bereit für die Startelf?

Die mediale Aufmerksamkeit hätte kaum größer sein können, doch so etwas bringt eine Ablösesumme zwischen 22 und 27 Millionen Euro halt mit sich. Krzysztof Piatek hatte zuvor zwar keine einzige Minute mit der Mannschaft trainiert und trotzdem stand der Neuzugang vom AC Mailand sofort im Spieltagskader. Dass er Hertha helfen kann, hat der 24-jährige Mittelstürmer trotz fehlender Eingespieltheit aber bereits bewiesen.

Foto: ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images

Rund 30 Minuten reichten als erste Visitenkarte. Unverzüglich nach seiner Einwechslung brachte Piatek ordentlich Schwung in das Spiel seiner neuen Mannschaft, sofort war seine Präsenz zu spüren. Das mag auch an den vielen Kameras gelegen haben, die auf den Polen gerichtet waren, aber waren es vor allem seine Aktionen, die dem Publikum auf Anhieb klar machten: “Oh, da steht jemand, der kicken kann.” Zwar litt auch Piatek unter dem wenig dynamischen Spiel, doch brachte er zumindest etwas Elan hinein. “Mit dem Krzysztof haben wir Komponente, die Zug und Leben reinbringt, um die sich der Gegner Gedanken machen muss”, erklärte Klinsmann nach Schlusspfiff.

Die Zahlen belegen es: zwar verzeichnete der Nationalspieler nur neun Ballaktionen, jedoch auch ganze drei Schüsse (Hertha gab insgesamt neun ab). In der 66. Minute schloss Piatek nach starker Maier-Flanke und einer schnellen Drehung sofort ab, und deutete damit schon einmal seine Handlungsschnelligkeit an. Der Schuss wurde noch abgeblockt. In der 72. Minute war der Torjäger seinem ersten Treffer für Hertha noch näher, doch sein Kopfball nach einer Ecke von Lukebakio verfehlte das Schalker Gehäuse nur knapp. Und schließlich Piateks Einzelaktion in der 80. Minute, bei der der Mittelstürmer bewies, dass er obendrein noch schnell ist. Wieder eingesetzt von Maier sprintete er die rechte Seite entlang, stoppte den Ball mit einer schnellen Bewegung, sah aber, dass kein Mitspieler wirklich mitgelaufen war und so schloss er selbst ab. Zwar verfehlte er das Tor erneut, jedoch aus schwierigem Winkel.

Bei Herthas derzeitigem Offensivspiel zu glänzen, ist als Mittelstürmer wirklich nicht leicht, doch Wintereinkauf Piatek machte das beste daraus. Er strahlte sofort Gefahr und Tatendrang aus und zeigte, weshalb man ihn holte: schnelle zackige Bewegungen, der absolute Torriecher und auch das Auge für den Mitspieler. Wie schnell Piatek zünden wird, ist natürlich schwer zu sagen, doch würde es nicht verwundern, wenn Klinsmann ihn am kommenden Dienstag im Pokal in die Startelf stellen würde. Der gute erste Eindruck wird dem Polen zumindest dabei helfen, zugleich von Beginn an zu spielen.