Mit einer überaus überzeugenden Leistung, die wie aus dem Nichts kam, hat Hertha BSC überraschend mit 2:1 bei Eintracht Frankfurt gewonnen. Defensiv sehr kompakt, immer mit einer klaren Spielidee und viel Leidenschaft war die Berliner Mannschaft im Vergleich zu den Vorwochen nicht wiederzuerkennen. Unsere Einzelkritik.
Nach sehr spannenden 94 Minuten in Frankfurt ist unsere Hertha am Samstag als Sieger vom Platz gegangen. Die Zahlen dieses Spiels sprechen allerdings eine andere Sprache: Frankfurt hatte mehr Ecken, knapp 60 Prozent Ballbesitz, rund 130 Pässe mehr gespielt und auch eine deutlich bessere Passquote. Aber Frankfurts Spiel war recht einfach zu lesen und auf den letzten Metern aufgrund unpräziser Flanken und zahlreicher Fehlpässe schlichtweg zu ungefährlich. Hertha nutzte die Schwächen der Frankfurter intelligent, indem Konter effizient ausgespielt wurden und die Herthaner im Gegensatz zu den vergangenen Wochen wieder an das glaubten, was sie eigentlich stark macht.
Krzysztof Piatek – Come back stronger
Auch wenn es sich komisch liest: Obwohl Krzysztof Piatek im Spiel gegen Frankfurt kein Tor gemacht hat, war er das Sinnbild für den Hertha-Sieg. Denn während die Hessen zahlreiche Flanken vors Tor gaben, ohne dass irgendein Stürmer auch nur in Nähe des hereinfliegenden Balls stand, spielte Hertha gerade diese Standard-Variante im Fußball sehr effizient.
Schon beim 0:1 gab es aus Hertha-Sicht eigentlich keine großen Hoffnungen auf ein Tor. Doch Marco Richter stand einfach besser als die Verteidiger und lenkte den Ball entscheidend ab. Auch die Situation entsprach diesem recht simplen Flanken-Mittelstürmer-Prinzip. Obwohl Piatek keines dieser beiden Tore geschossen hat, war er in Halbzeit eins gewissermaßen der Stimulus für dieses Spiel. Nach dem Führungstreffer vor zwei Wochen gegen Freiburg hatten Herthas Außen – allen voran ein starker Maxi Mittelstädt – wieder das Gefühl, einen Ballabnehmer in der Mitte zu haben. Piatek war mehrfach Anspielstation und hätte vor der Halbzeit eigentlich noch zweimal treffen müssen.
Vor seiner Verletzung wirkte Piatek noch oft wie das fünfte Rad am Wagen in Herthas Angriffsspiel – in den vergangenen beiden Spielen wirkte alles sehr abgestimmt. Piatek war konstanter Unruheherd im Frankfurter Strafraum. Auch ließ er sich immer wieder auf die Außen fallen, um Bälle festzumachen und Angriffe mit einzuleiten. So stellte der 26-Jährige – auch durch gute Pressingmomente – die Frankfurter Defensive immer wieder vor Probleme. Geht das auf dem Niveau weiter, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der polnische Nationalspieler wieder trifft.
Dedryck Boyata – Hertha-Leuchtturm in Frankfurt
In Herthas bisheriger Saison wirkte die Innenverteidigung oft überfordert. Vielleicht lag das auch daran, dass Trainer Pal Dardai die Abwehr in fast allen Spielen verletzungsbedingt neu zusammenstellen musste. Nach dem Frankfurt-Spiel sollte ein Platz in der Verteidigung aber fest vergeben sein.
Denn insbesondere in Frankfurts Hardcore-Druckphasen kurz vor Schluss war es Hertha-Kapitän Dedryck Boyata, der auch durch sein starkes Kopfballspiel viele Angriffe im Keim erstickte. Sieben seiner elf Kopfballduelle gewann der Belgier in diesem Spiel.
Aber auch in der ersten Halbzeit, als Frankfurt nach dem 0:1 zurückkommen wollte, ließ sich Boyata nicht beirren. Dass die Hessen ihre Stürmer nicht in Aktion bringen konnten, lag auch an Herthas Innenverteidigung. Herthas Spielführer klärte dabei herausragende zehn Situationen, dazu fing er drei Bälle ab und brachte zwei Tacklings durch. Nahezu magnetisch zog er die Bälle an, um sie dann aus der Gefahrenzone zu bugsieren. Darüber hinaus war Boyata ein großer Faktor für Herthas sicheres Aufbauspiel, indem er stets eine Anspielstation war und seine Bälle sicher zum Mann brachte.
Boyata ist jetzt Anfang 30. Man kann nur hoffen, dass er Hertha auf diesem Niveau noch einige Jahre weiterhilft – und endlich verletzungsfrei bleibt.
Peter Pekarik – Kostics Albtraum
Wenn man gegen Eintracht Frankfurt eine Chance haben will, muss man Filip Kostic unter Kontrolle bringen. Hertha hat das geschafft – dank Peter Pekarik.
Wie wichtig Pekariks aggressives Vorgehen auf Frankfurts linker Außenbahn war, zeigte sich in den Schlussminuten. Mehrfach wurde Kostic aus dem zentralen Mittelfeld angespielt, doch seine Flanken kamen zumeist gar nicht bis ins Zentrum, weil sie von Pekarik unterbunden wurden. Der Slowake stand Kostic durchgängig auf den Füßen, brachte ihn mit seiner Zweikampfhärte und dem guten Positionsspiel zur Verzweiflung.
Stellvertretend war eine Szene, in der sich Pekarik einmal mehr gegen Kostic durchsetzte und dieser entnervt abwinkte. Zehn von 14 Zweikämpfen gewonnen, neun Ballsicherungen, vier klärende Aktionen und drei abgefangene Bälle sprechen eine klare Sprache. Es war höchst imponierend, wie aufopferungsvoll Pekarik seine Aufgabe interpretierte. Ein Paradebeispiel dafür, wie es bei Hertha nur gehen kann, wenn man erfolgreich sein will.
Dardai hat auch aufgrund des chronischen Personalmangels viel ausprobiert auf den Außenverteidigerpositionen in den vergangenen Monaten. Mit Blick auf die vergangenen Jahre gibt es aber eine Personalie, die stets Klarheit und solide Leistungen mit sich brachte – und die heißt Petr Pekarik. Herthas Mister Zuverlässig.
Und dann waren da noch …
Vladimir Darida: Endlich mal wieder eine starke Leistung des Tschechen. Darida entpuppte sich als perfekter Konterspieler. In den Situationen als Frankfurt wieder einmal leichtfertig den Ball verlor, war es in der Regel Darida, der die Angriffe klug einleitete. Insbesondere das Zusammenspiel mit Maxi Mittelstädt, der oft viel Platz hatte auf der linken Seite funktionierte gut. Beide – Darida und Mittelstädt – waren die Gründungsväter des 0:2, ohne das Hertha mit einem Punkt in den Flieger gestiegen wäre. Lauf-, zweikampf- und spielstark – ein Darida in Topform kann Hertha so viel geben.
Jurgen Ekkelenkamp: Herthas Neuzugang wird immer mehr zum Phänomen. Bei seinem Hertha-Debüt reichten dem Niederländer 87 Sekunden für sein erstes Tor. Gegen Frankfurt waren es ganze 93 Sekunden nach seiner Einwechslungen, bis Ekkelenkamp einmal mehr jubeln durfte. Beim 2:0 lief er mustergültig den hinteren Raum des Sechszehners auf und schob sicher ein. Unkend müsste man meinen, der 21-Jährige dürfe nur noch eingewechselt werden und nicht der Startelf stehen.
Suat Serdar: Wie ist Matheus Cunha zu ersetzen? Diese Frage stellten sich viele Herthaner, als der Brasilianer Hertha in Richtung Madrid verließ. Die Antwort lautet: Suat Serdar. Der Neuzugang aus Schalke ähnelt Cunha in seiner Spielweise sehr. Beide holen sich ihre Bälle tief im Mittelfeld, um dann oftmals auch allein in Richtung gegnerisches Tor zu starten. Der angenehme Unterschied ist nur, dass Serdar mit Ball am Fuß unheimlich zweikampfstark und unheimlich schwer vom Ball zu trennen ist. Cunha verlor den Ball zu oft, ließ sich auch schnell fallen, während Serdar mit seinen Vorstößen nicht selten am Strafraum des Gegners ankommt und dort dann einen klugen Pass spielt oder selbst schießen kann. Gegen Frankfurt war Serdar nicht einmal so auffällig wie zuletzt, mit seiner Zweikampf- und Laufstärke war er dennoch ein wichtiger Faktor.
Nach zwei Siegen gegen die Aufsteiger Bochum und Fürth hat Hertha gegen RB Leipzig eine deftige 0:6-Niederlage hinnehmen müssen. Die Mannschaft war den Leipzigern in allen Belangen so sehr unterlegen, dass man sich erneut fragen muss, ob dieser Kader überhaupt bundesligatauglich ist. Auffällig schlecht waren nicht nur die Spielerleistungen – auch einige Trainerentscheidungen schwächen Herthas Performance.
Es reicht hinten und vorne nicht
Schon nach der 0:5-Niederlage gegen Bayern München musste man sich fragen, ob Herthas Kader die Belastungsproben dieser Bundesligasaison übersteht. Die beiden Siege gegen Fürth und Bochum hatten die Diskussion um die Qualität des Teams zuletzt wieder etwas beruhigt. Aber die Daten des Leipzig-Spiels zeigen, wie sehr Hertha weiterhin entfernt ist vom gehobenen Bundesliga-Niveau.
Das Team von Pal Dardai lief rund fünf Kilometer weniger als der Gegner, spielte knapp 90 Fehlpässe (Passquote: 73 Prozent), schoss nur viermal aufs gegnerische Tor, hatte einen Ballbesitz von 39 Prozent, verlor im Schnitt sechs von zehn Zweikämpfen und lieferte rund 40 Sprints weniger ab als Leipzig. Insbesondere auf den Außenbahnen, wo sich Hertha trotz mehrerer Abgänge im Sommer nicht ausreichend verstärkt hatte, wurden die Berliner von RB Leipzig schlichtweg überrannt.
Marvin Plattenhardt – Völlig überfordert
Marvin Plattenhardt war auf seiner linken Abwehrseite mit den beiden Leipzigern Mukiele und Nkunku völlig überfordert. Der Herthaner verlor nicht nur mehrere entscheidende Sprintduelle, sondern machte auch in Kopfballduellen und sonstigen Zweikämpfen eine äußerst unglückliche Figur. Die spielklugen Leipziger entdeckten diese Schwachstelle schnell für sich und spielten ihre tiefen Bälle immer gezielt zwischen Plattenhardt und die Innenverteidigung. Schon nach dem 1:0 durch Nkunku, als der Leipziger Plattenhardt schlichtweg stehenließ, war klar, dass Hertha über die linke Seite mehr als anfällig ist.
Viel erschreckender als Plattenhardts Leistung ist der Mangel an Alternativen: Herthas Nachwuchshoffnung Luca Netz spielt jetzt in Gladbach, Maxi Mittelstädt zeigt ähnlich wie Plattenhardt derzeit nur schwache Leistungen und Jordan Torunarigha ist in der Innenverteidigung besser aufgehoben, derzeit aber ohnehin verletzt.
Herthas Neuzugang Jurgen Ekkelenkamp ist in der berühmten Ajax-Schule fußballerisch groß geworden. Die Ajax-Nachwuchsspieler sind bekannt für ihre brillanten technischen Fähigkeiten und ihre Spielintelligenz – allerdings auch für einen sehr Ballbesitz-geprägten und dominanten Fußball. Gegen den Aufsteiger Fürth hatte Ekkelenkamp dies exzellent unter Beweis gestellt. Hertha drückte die gesamte zweite Halbzeit über – viele Angriffe liefen über den Niederländer.
Gegen Leipzig wiederum stand Hertha dauerhaft unter Druck: Schon nach wenigen Pässen hatten sich die Leipziger den Ball wieder zurückerobert, Hertha konnte eigentlich in keiner Sequenz des Spiels so etwas wie ein eigenes Spiel entfalten. Ekkelenkamp kam mit dieser Situation nicht klar. Von einem erfahrenen „Zehner“ müsste man erwarten können, dass er dem Spiel auch in solchen Drucksituationen seinen Stempel aufdrückt. Das hat der Niederländer nicht ansatzweise geschafft, was möglicherweise auch mit der taktischen Aufstellung der Mannschaft zu tun hat – womit wir beim nächsten Thema wären …
Pal Dardai – Zweifelhafte Entscheidungen und Äußerungen
Dass Hertha gegen Leipzig nie ins Spiel kam, könnte auch an der taktischen Aufstellung gelegen haben. Die beiden spielstarken Zentral-Spieler Serdar und Ekkelenkamp mussten hinter Davie Selke mehr oder weniger über die Außenbahnen kommen. Das Zentrum besetzte Dardai hingegen mit einem formschwachen Vladimir Darida und Santiago Ascacibar – beide sind nicht gerade für ein explosives, kreatives Konterspiel bekannt. Aber genau das hätte Hertha im Zentrum gebraucht, um überhaupt eine Chance zu haben.
Insofern ist es wenig verwunderlich, dass nicht nur Ekkelenkamp sondern auch Serdar kein Faktor im Leipzig-Spiel war. Leider ist die Aufstellung im Leipzig-Spiel nicht die erste fragwürdige Entscheidung Dardais in dieser Saison gewesen. Gegen Bochum startete überraschend Dennis Jastrzembski auf der linken Seite, musste nach einer schwachen Leistung früh ausgewechselt werden. Die beiden spielstarken Neuzugänge Myziane Maolida und Jurgen Ekkelenkamp ließ Dardai in ihren ersten Spielen auffällig lange auf der Bank schmoren und warum der quirlige und flinke Marco Richter gegen Leipzig nicht Davie Selke bevorzugt wurde, versteht auch niemand – schließlich war Richter nach seinen Einwechslungen stets ein Unruhefaktor im gegnerischen Strafraum.
Auch über Dardais Spieleinschätzungen und Äußerungen muss man sich des Öfteren wundern. Dass der Ungar öffentlich seinen Job zur Verfügung stellte, war nur ein Beispiel für Dardais teils kontraproduktives Auftreten. Als Hertha-Fan kann man Dardais „Wir müssen das akzeptieren“-Spruch nach so desolaten Leistungen nicht mehr hören. Eine knappe Niederlage nach einem umkämpften Spiel gegen die Sachsen hätte man gut akzeptieren können. Aber warum müssen der Verein und die Fans immer wieder komplette Zusammenbrüche akzeptieren? Das kann nicht der Anspruch einer Bundesliga-Mannschaft sein. Auch Dardais Einschätzung, dass Hertha gegen Leipzig gut ins Spiel gekommen sei, ist einfach nicht nachzuvollziehen.
Und dann waren da noch …
Krzysztof Piatek: Die einzige erfreuliche Meldung vom Samstag war das Comeback von Piatek. Länger als vier Monate war der polnische Angreifer verletzt. Natürlich konnte auch Piatek nach seiner Einwechslung in der 84. Spielminute nichts mehr am Ausgang des Spiels ändern. Dass er aber wieder zu seinem Faktor in Herthas Angriff werden kann, bewies er kurz vor Abpfiff, als er den Ball an der Strafraumkante bekam und ohne langes Zögern einen wuchtigen Schuss abfeuerte. Schnörkellose Torgefahr – das ist Piateks Stärke.
Kai Dittmann: Die Sky-Moderatoren haben in der Regel fast eine Woche lang Zeit, sich auf ein Bundesligaspiel vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung könnte es gehören, dass sich die Kommentatoren über die Aussprache der Spielernamen informieren. Kai Dittmann scheint dies als nicht allzu wichtig zu empfinden. Denn zum wiederholten Male nannte er Herthas Rechtsaußen Deyovaisio Zeefuik „Zefack“, was konstant an eine englischsprachige Schimpfwort-Phrase erinnerte. Das nervt!
Fazit
Herthas Management hat als Jahresziel ausgerufen, dass man eine „Saison der Stabilität“ spielen wolle. Nach sechs Spieltagen muss man das Fazit ziehen, dass dies bei Weitem bislang nicht erreicht wurde. Dank der beiden Siege gegen Fürth und Bochum steht das Team zwar nicht auf den Abstiegsrängen.
Herthas Auftreten ist allerdings alles andere als stabil. Kein Team hat bislang mehr Gegentore (18 an der Zahl) hinnehmen müssen und streckenweise fällt die Mannschaft komplett in sich zusammen. Hinzu kommt, dass man sich immer mehr um die Kader-Zusammenstellung sorgen muss. Die Ausfälle in der Abwehr der vergangenen Wochen haben Hertha in einen personellen Engpass geführt und auf den Außenbahnen hat das Team noch nicht einmal im fitten Zustand Spieler, die ein schnelles, aggressives Spiel aufziehen können, bei dem der Gegner früh attackiert wird.
Endlich ist die Alptraum-Saison 2020/2021 vorbei. Nach einer hochemotionalen Schlussphase gab es doch noch ein „Happy End“ für Hertha BSC. Diese verrückte Spielzeit haben wir sehr ausführlich in unserer Saisonrückblick-Podcastfolge besprochen. Doch jetzt wollen wir uns der Kaderanalyse widmen. Dabei gehen wir nicht nur auf die abgelaufene Saison ein, sondern werfen auch einen Blick nach vorne. Welche Kaderstellen müssen Bobic, Dufner, Friedrich und co. noch dringend bearbeiten? Wo hat man Bedarf, welche Spieler werden wohl den Verein verlassen?
Im sechsten und letzten Teil unserer Kaderanalyse widmen wir uns dem Mittelsturm. Wie haben sich Herthas Stürmer geschlagen und wie sieht die Lage für die neue Spielzeit aus?
Piatek und Córdoba – der unmögliche Vergleich
Wenn eine Mannschaft zwei so gute Stürmer wie Krzysztof Piatek und Jhon Córdoba in den eigenen Reihen hat, dann ist das grundsätzlich ein großes Glück. Auch wenn beide Spieler in ihrer Spielart und Rolle im Spielsystem völlig unterschiedlich sind, bringen sie eine große Qualität mit. Beide wurden für hohe Ablösesummen verpflichtet und mussten dementsprechend mit hohen Erwartungen in die Saison starten. Im Nachhinein muss man leider feststellen, dass die abgelaufene Spielzeit weder für den einen noch für den anderen optimal verlief.
Am Ende zählen bei Mittelstürmern die Torausbeute sowie die Anzahl der Torvorlagen: daran werden solche Spieler gemessen. Doch gerade da ist es unmöglich herauszustellen, wer von beiden Torjägern die bessere Saison spielte. Nicht nur wiesen beide jeweils sieben Tore und zwei Torvorlagen auf, sie erreichten diesen Wert auch in ähnlicher Spielzeit (Piatek 1.632 Minuten, Córdoba 1.541).
Zwar bewiesen beide ihre Stärken und ihr Torhunger, leider wurden sie immer wieder im Laufe der Saison zurückgeworfen und litten auch darunter, dass ihre Mannschaft so gut wie nie als Team funktionierte.
Jhon Córdoba – Fitness als Leistungsbarometer
So war es bei Jhon Córdoba die körperliche Fitness, die ihn im Laufe der Saison bremste. Erst verpasste er einen Großteil der Hinrunde aufgrund einer Bänderverletzung. Dann kehrte er erst 2021 zurück und stand in der wohl schwächsten Phase von Hertha (15. Bis 18. Spieltag) wieder in der Startelf. Ausgerechnet die ersten Spiele unter Cheftrainer Pal Dardai verpasste er erneut aufgrund eines Muskelfaserrisses.
Dass Dardai, sobald diese Verletzung auskuriert war, erneut auf den Kolumbianer setzte, kam nicht überraschend. Vom Spielertyp passte er genau zum neuen Trainerteam: „Er ist ein Krieger, tut 90 Minuten lang alles für sein Team.“, hieß es von Pal Dardai. „Vor einigen Jahren haben wir im Olympiastadion gesessen, ich habe versucht, ihn herzulocken. Aber wir hatten nicht genug Geld.“
Im Verlauf der Saison war mehrmals zu spüren, dass der 28-Jährige seiner Mannschaft bei seinen Einsätzen gut tat. Gerade seine Arbeit in der Sicherung von langen Bällen, seine körperliche Präsenz und sein Zug zum Tor waren wertvolle Elemente. Trotzdem kam er auch aufgrund seiner Ausfälle und die Schwierigkeiten seines Teams nicht wirklich dazu, einen Lauf zu starten. Am Ende verletzte er sich in der entscheidenden Phase erneut am Sprunggelenk und fiel für die letzten Saisonspiele aus.
Für die neue Spielzeit wird der Kolumbianer mit großer Sicherheit eine zentrale Rolle spielen. Ein Hauptaugenmerk wird dabei jedoch weiterhin die Fitness sein. Wenn der 28-Jährige über eine längere Zeit in Form bleibt, könnte er die Offensive von Hertha BSC auch in 2021/22 seinen Stempel aufdrücken.
Krzysztof Piatek – Hertha Edeljoker und Derbyheld
Etwas anders wird das Fazit bei Krzysztof Piatek ausfallen. Der Pole wurde über die gesamte Saison viel kritisiert, teilweise auch ohne sportlichen Grund. Wie beispielsweise ein Tousart wird der Ex-Mailänder stets ein seiner immens hohen Ablösesumme gemessen. Tatsächlich schien er, anders als sein Sturmpartner Córdoba, weniger gut zum Spielsystem seines Teams zu passen. Dass er dabei trotzdem immer wieder Torgefahr ausstrahlte und genauso gefährlich wurde wie der Kolumbianer wurde zu oft außer Acht gelassen.
Die hohe Ablösesumme und die hohen Erwartungen konnte der Pole bisher in der Höhe zwar nicht rechtfertigen. Doch individuelle Leistungen sind (wie wir bereits mehrmals im Verlauf unserer Kaderanalyse feststellen konnten) immer im Zusammenhang zu sehen: auch Piatek musste in einer schlecht zusammengestellten und dysfunktionalen Mannschaft agieren. Keine optimalen Zustände also, um als Torschütze und Vollstrecker zu glänzen. In einigen Partien bekam er so gut wie keine Bälle und kaum Möglichkeiten, seine Qualitäten in Szene zu setzen.
Immerhin erlebte der 25-Jährige einige Höhepunkte. Nach Sasa Kalajdzic war er in der abgelaufenen Saison der zweitbeste Joker der Bundesliga mit vier Treffern und zwei Vorlagen nach einer Einwechslung. Dazu konnte er ausgerechnet im Derby gegen Union Berlin beim 3:1 Erfolg von Hertha BSC seinen ersten Bundesliga-Doppelpack feiern.
Besonders bitter sollte es für Piatek zum Saisonende werden. Aufgrund einer Fraktur im Sprunggelenk im Spiel in Gelsenkirchen war nicht nur die Saison für ihn vorbei. Auch eine EM-Teilnahme wurde damit unmöglich. Nach dieser Verletzung ist trotz angeblichem Interesse von italienischen Vereinen wohl davon auszugehen, dass der Pole auch nächste Saison für Hertha stürmen wird. Wenn er zeitnah wieder gesund wird und voll in die Vorbereitung starten kann, hat der „Pistolero“ dann in der neuen Spielzeit genug Zeit um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen.
Davie Selke – die unerwartete Rückkehr zu Hertha
Lange hatten sich Fans von Werder Bremen darüber geärgert, wie hoch die Ablöse für Davie Selke kosten würde, sollten es die „grün-weißen“ am Ende doch schaffen, die Klasse zu halten. Zu selten konnte sich der 26-Jährige in anderthalb Saisons bei Werder Bremen als Torschütze auszeichnen. Nur drei Bundesligatore erzielte der 1,94 Meter große Stürmer in dieser Zeit.
Dass er ausgerechnet zwei dieser drei Treffer gegen Hertha erzielte, gehörte wohl auch zur traurigen Ironie dazu, die Davie Selke begleitete. Am letzten Spieltag rutschte Werder Bremen auf den vorletzten Tabellenplatz ab und Davie Selkes Rückkehr zu Hertha BSC wurde offiziell. Nun müssen die Hertha-Verantwortlichen auf die hohe Ablöse für Davie Selke verzichten. Doch seine Rückkehr bedeutet auch eine weitere Option für den Berliner Sturm in der neuen Saison.
Unter Pal Dardai konnte sich zwar Selke selten gegen seinen damaligen Konkurrenten im Sturm Vedad Ibisevic durchsetzen. Trotzdem erlebte er auch starke Phasen bei Hertha BSC, insbesondere in der Saison 2017/2018, wo er mit 14 Pflichtspieltoren und vier Vorlagen glänzte. Was also für viele eine Ironie des Schicksals zu sein scheint, könnte für den 26-Jährigen noch zur großen Chance werden.
Die Erwartungen und der Druck in Berlin werden geringer sein, als in Bremen in der vergangenen Saison. Nimmt Davie Selke die neue Situation und den Konkurrenzkampf sofort an, hat er eine gute Chance, seine Situation nochmal umzudrehen. Sein Cheftrainer bei der „alten Dame“ ist bereit ihm diese Chance zu geben: „Er ist ein feiner, fleißiger Junge. Hier hat er funktioniert. Ich würde nie sagen: Davie kann nicht helfen.”
Jessic Ngankam – Klassenerhalt-Held vor Ausleihe
Vom Sympathie-Faktor ist wohl Jessic Ngankam ganz oben auf der Liste der Hertha-Fans. Von der Jugend über die U23 dann zu den Profis, um sein erstes Profitor gegen Manuel Neuer zu erzielen. Schließlich die verrückte Schlussphase der Saison und das Spiel in Gelsenkirchen, wo Ngankam beim 2:1 zum Helden wurde und den Klassenerhalt wohl sicherte. Die Jubelbilder des 20-Jährigen werden noch lange in Erinnerung bleiben.
Doch diese Schlussphase kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Saison aus individueller Sicht für Ngankam keineswegs positiv verlief. Nur 284 gespielte Minuten bei den Profis, und das obwohl gerade in der Offensive bei Hertha BSC diese Saison phasenweise kaum etwas lief, können nicht zufriedenstellen. Besonders angesichts des Potenzials des gebürtigen Berliners ist eine solch geringe Spielzeit fast schon zu schade.
In der neuen Spielzeit wird die Konkurrenz sicher nicht kleiner geworden sein. Die bereits angesprochene Rückkehr von Selke sorgt sogar für mehr Konkurrenz in der Sturmspitze. Ähnlich denken wohl die Hertha-Verantwortlichen, die ihrem Schützling mehr Spielpraxis bieten wollen. Ngankam soll laut einigen Gerüchten für die neue Saison verliehen werden.
Was sportlich sicherlich Sinn ergeben, jedoch einen bitteren Beigeschmack hinterlassen würde. Schließlich verzichtet man ungerne auf den Spieler, der einem noch zum Saisonende so starke Glücksmomente bereiten konnte.
Daishawn Redan ohne Zukunft? Konkurrenz im Hertha-Sturm
Fraglich wird auch sein, was aus Daishawn Redan (20) wird, der in der abgelaufenen Saison nur 95 Spielminuten bei den Profis bekam. Zwar wurde er nochmal im letzten Spieltag gegen Hoffenheim eingewechselt. Auch bei ihm ist aber zu bezweifeln, dass er mehr Spielzeit in 2021/22 bekommen könnte.
Mit einem bis 2024 laufenden Vertrag ist eine erneute Leihe grundsätzlich denkbar. Ein Verkauf des jungen Niederländers wäre allerdings auch nicht überraschend. Talentierte junge Stürmer haben die „blau-weißen“ in der eigenen Jugend auch noch, Ruwen Werthmüller (20) und Marten Winkler (18). Letzterer feierte sogar einen sehr kurzen Profidebüt gegen den 1. FC Köln.
Der Mittelsturm bei Hertha BSC ist also für die neue Saison bereits jetzt sehr gut besetzt. Eine Verpflichtung auf dieser Position scheint unwahrscheinlich. Sollte es doch zu einem Abgang eines der genannten Spieler kommen, würde sich die Situation etwas ändern. Man kann jetzt schon gespannt sein, wer ab August für die „alte Dame“ die Tore schießen wird.
Nach einer ereignisreichen Woche konnten Hertha-Fans am Freitagabend einen sportlichen und emotionalen Höhepunkt erleben. Mit 3:1 setzte sich Hertha BSC gegen den Stadtrivalen 1. FC Union Berlin durch und holte sich so den Derbysieg. Vom Fahnenmeer über die „Aktion Herthakneipe“-Trikotaktion bis zum Erfolg im Olympiastadion: es war einfach eine sehr gelungene Woche für die Blau-Weißen! Trotzdem wollen wir die immer noch frische Derbysieg-Euphorie einen kurzen Moment lang runterdrehen, um uns wie gewohnt die Leistungen einzelner Herthaner etwas näher anzuschauen.
Peter Pekarik – zweiter Frühling als Torjäger
Den Anfang wollen wir mit dem Spieler machen, der unter Bruno Labbadia so etwas wie einen zweiten (dritten? vierten?) Frühling erlebt. 19 Pflichtspiele unter Bruno Labbadia: drei Treffer und zwei Torvorlagen. Nicht allzu lang ist es her, da galt Peter Pekarik noch mit 150 Bundesligaeinsätzen ohne Treffer als einer der torungefährlichsten Spieler der Bundesliga. Jetzt ist er so torgefährlich wie noch nie in seiner Karriere.
Noch beeindruckender ist allerdings die Tatsache, dass sich der 34-Jährige wider Erwarten bei Hertha gegen mehrere jüngeren Konkurrenten als rechter Verteidiger durchgesetzt hat. Im Derby zeigte sich der dienstälteste Herthaner (im Verein seit 2012) wieder in sehr guter Verfassung und machte ein sehr gutes Spiel. Knapp zwölf Kilometer lief er, ackerte unermüdlich auf seiner rechten Außenbahn und war dort sehr präsent. Obwohl Herthas Spiel insbesondere in Halbzeit eins eher linkslastig war, war er immer wieder zu sehen und hatte einige Aktionen nach vorne. Dazu kamen 94% seiner Pässe an.
Bereits in der zweiten Minute konnte Pekarik all seine Erfahrung und Ruhe zeigen, als er sekundenlang einen langen Ball von Union abschirmte und einen Abstoß für sein Team herausholte. Durch die taktische Aufstellung in der ersten Halbzeit schaltete er sich öfters in die Offensive mit ein, ohne seine defensiven Aufgaben zu vernachlässigen. In seinen Vorstößen wurde er dabei von Lucas Tousart abgesichert, der sich auf der rechten Seite fallen ließ. Doch die Taktik funktionierte gegen der gut organisierten und kompakten Abwehr der Unioner nicht wirklich. Kein Wunder also, dass Pekariks Treffer erst in der zweiten Halbzeit fiel, nachdem Bruno Labbadia sein Team zurück in ein 4-2-3-1 umgestellt hatte. Auch im bekannten System überzeugte der Slowake und ließ sich auch bei den wenigen Gegenangriffen der Unioner nicht überspielen.
Pekarik weiß wohl am Besten im aktuellen Hertha-Kader, wie wichtig ein Derby für Fans und Umfeld ist. Er zeigte sich dabei stets auf der Höhe und macht es somit seiner Konkurrenz auf seiner Position nicht leicht. Für Hertha ist er momentan wichtiger denn je.
Mattéo Guendouzi – Like a Boss
In einer eher schwachen Partie, in der Hertha erneut große Schwierigkeiten hatte, Chancen zu kreieren, konnte Mattéo Guendouzi positiv herausstechen. Der Franzose zeigte sich von der ersten Minute an hochmotiviert und sehr präsent im Spielaufbau. Dass die linke Seite von Hertha in der ersten Halbzeit deutlich mehr bespielt wurde, als die rechte, lag auch an ihm. Links orientiert holte er sich viele Bälle aus der eigenen Hälfte und aus dem Mittelfeld. Er war immer anspielbar und deutlich bemüht, dem Spiel seinen Stempel aufzulegen, was sich auch am Laufwert zeigte (11,75 Kilometer).
Die bereits angesprochene Taktik von Hertha in Halbzeit eins sorgte dafür, dass sich Guendouzi oft bei Gegenangriffen von Union Berlin auf der linken Verteidigerposition wiederfand. So musste er beim 0:1 unglücklicherweise im Mittelpunkt stehen, als er nach einer Fehlerkette der Defensive Unions Stürmer Taiwo Awoniyi nicht mehr am Schuss hindern konnte. Das Offensivspiel der Blau-Weißen war trotz der Bemühungen von Arsenals Leihgabe so gut wie wirkungslos, da Union Berlin bestens auf Herthas Taktik eingestellt war.
Das änderte sich in der zweiten Halbzeit nach der taktischen Umstellung. In einer Doppelsechs bzw. Doppelacht übernahm Guendouzi den offensiven Part und überließ die Absicherung meistens Niklas Stark. Dadurch bekam er mehr Raum und zeigte immer mehr seine Qualität. Mit Javairo Dilrosun spielte er zum ersten Mal zusammen. Beide harmonierten zeitweise recht ordentlich, insbesondere in der letzten halben Stunde. Der „vorletzte“ Pass kam bei Herthas Angriffen dabei oft vom Franzosen: erst fand er Matheus Cunha beim 1:1, dann Dilrosun zum 3:1. Auch kurz vor Schluss bereitete er die Großchance des Niederländers vor.
Ab und an agierte der junge Franzose auch im Derby allerdings etwas übereifrig und hätte mit dem einen oder anderen misslungenen Risikopass auch einen gegnerischen Konter einleiten können. Es bleibt aber bei einer soliden Partie von Guendouzi, der sich langsam zum Leader im Mittelfeld entwickelt. Im Kopf bleibt auch sein Jubel vor der leeren Ostkurve, bei dem er mit imaginären Fans abklatschte und ihnen sein Trikot zuwarf. Hertha hat sich für diese Saison mit Guendouzi einen sehr guten Fußballer geholt, der darüber hinaus sofort verstanden hat, wie wichtig ein Derbysieg für Hertha-Fans und im Umfeld ist.
Javairo Dilrosun – eine überraschende Rückkehr
Seine Einwechslung kam etwas überraschend: in den letzten drei Bundesligapartien von Hertha BSC bekam Javairo Dilrosun nicht eine Minute Einsatzzeit. Schon nach 45 Minuten kam er jedoch im Derby rein, genauso wie Krzysztof Piatek. Die fehlende Spielpraxis war in den ersten 15 Minuten des Niederländers deutlich zu spüren: oftmals war er einen Schritt zu spät, traf mehrmals die falsche Entscheidung und war kaum im Spiel eingebunden. Von Minute zu Minute steigerte er sich jedoch und zeigte sich immer besser im Zusammenspiel mit Mattéo Guendouzi und Marvin Plattenhardt. Seine Einwechslung sollte darüber hinaus noch entscheidend werden: an beiden Treffern von Piatek war er unmittelbar beteiligt.
Dilrosun war bisher in dieser Saison so etwas wie ein Rätsel, doch im Derby konnte er insbesondere in den letzten 30 Minuten wieder zeigen, was ihn als Spieler ausmacht und wie wichtig er für Herthas Spiel werden kann. Trotz Überzahl hatten die Spieler der „alten Dame“ nämlich weiterhin Probleme, sich Großchancen zu erarbeiten, und die kompakte Defensive aus Köpenick zu knacken. Sollten sich diese Probleme auch in den nächsten Spielen zeigen, könnte ein fitter und formstarker Dilrosun eine echte Waffe sein.
Kristof Piatek – vom Problemspieler zum Derbyhelden
Last but not least wollen wir uns mit dem Spieler beschäftigen, der wohl für die größte positive Überraschung bei Hertha-Fans sorgte. Der Pole wurde seit Monaten in Medien und sozialen Netzwerken oftmals kritisiert. Trotz seiner eindeutigen Qualitäten wurden Zweifel groß, dass er nicht zum System von Bruno Labbadia passe. In der laufenden Saison konnte er leider auch nur wenig Argumente für sich sammeln, bekam zunächst wenig Einsätze und fand erst nach der Verletzung von Jhon Cordoba zurück in die Startelf. Es folgten zwei schwache Einsätze gegen Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen und im Derby musste er zunächst auf der Bank Platz nehmen.
Doch um die Kritik, zumindest zeitweise, verstummen zu lassen, suchte sich der polnische Nationalspieler doch das richtige Spiel aus. Nach 45 Minuten wurde er eingewechselt, sein erster Schuss sorgte noch in der 69. Minute nicht gerade für Applaus. Doch dann war das Glück beim 2:1 auf seiner Seite, als sein Schuss unhaltbar für Luthe abgefälscht wurde. Beim 3:1 bewies „il pistolero“ seine wohl größte Qualität: sein absoluter Torriecher vor den Kasten. Auch seine gute Schusstechnik war im Derby gut zu erkennen und kurz vor Schluss hätte Piatek auch noch seinen Hattrick perfekt machen können, als er per Weitschuss den Unioner Keeper prüfte.
Das Offensivspiel der „alten Dame“ war wie bereits angesprochen auch trotz der drei Treffer nicht gerade das gelbe vom Ei. Trotzdem konnte der Pole dabei zwei wichtige Tore im Derby erzielen, die so schnell nicht unter Hertha Fans vergessen werden: er ist schließlich der erste Doppeltorschütze dieser Konfrontation. Sicherlich räumt das nicht alle Zweifel aus dem Weg, es bleibt fraglich, ob sich Piatek langfristig in Labbadias Mannschaft etablieren kann.
Seine Werte sind jedenfalls alles andere als schlecht: in 1.415 Spielminuten für Hertha schoss er immerhin acht Tore und drei Torvorlagen. Sollte er auch in den nächsten Partien seine Tore schießen, wird es auch für die größten Zweifler schwer werden, den Wert des Spielers für Hertha BSC zu verkennen. Nach dem Spiel wurde Krzysztof Piatek noch gefragt, ob er nicht ein Wort auf Deutsch sagen wolle. Seine Antwort, breit grinsend, könnte der perfekte Abschlusssatz unserer Rubrik sein: „Alle zusammen, Hertha!“
Und dann war da noch:
Matheus Cunha: Dass es mit 21 Jahren völlig normal ist, Leistungsschwankungen zu erleben, ist klar. Auch Matheus Cunha ist davon nicht verschont. Im Heimspiel gegen Borussia Dortmund war es noch bester Herthaner auf dem Platz. Wie schon vergangene Woche in Leverkusen jedoch schaffte es der Brasilianer nicht wirklich, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Seine Einzelaktion zum 1:1, in der er sich sehenswert durchsetzte und per Weitschuss Union-Keeper Andreas Luthe zum Fehler zwang, war leider seine erste und letzte wirklich starke Aktion dieser Partie. Im nächsten Spiel, gegen Borussia Mönchengladbach, wird Hertha auf seinen besten Torschützen verzichten müssen. Der Brasilianer holte sich seine fünfte gelbe Karte und muss ein Spiel pausieren. Gut möglich, dass er nach dieser Zwangspause mit neuem Elan und Energie zurückkehrt, und wieder ein besseres Gesicht zeigt. Ein Matheus Cunha in Topform ist schließlich nicht zu ersetzen.
Jordan Torunarigha: Zurück von seiner längeren Verletzungs- und Coronabedingten Pause zeigte sich beim 23-Jährigen in der Anfangsphase noch die fehlende Spielpraxis. Etwas ungenau und überhastet agierte der Innenverteidiger, der außerdem beim 0:1 nicht besonders gut aussah. Allerdings wurde er im Verlauf des Spieles immer sicherer, eroberte seine gewohnte Stabilität zurück und profitierte auch von der Überzahl, die ihm etwas mehr Freiheiten nach vorne ermöglichte. Insgesamt eine gelungene Rückkehr für Torunarigha, der beste Chancen hat, seinen Stammplatz zurückzuerobern.
Niklas Stark: Der 25-jährige ist ebenfalls eine Erwähnung wert. Er schaltete sich nur selten im Offensivspiel mit ein und sah beim 0:1 ähnlich wie Torunarigha nicht gut aus. Doch auch er kämpfte sich in die Partie zurück und kam mit dem 4-2-3-1 System in der zweiten Halbzeit deutlich besser zurecht.
Das Warten hat ein Ende. Nach einer fünf Spiele andauernden Durststrecke sichert sich Hertha drei Punkte und den zweiten Sieg in der noch jungen Saison. Eine starke Teamleistung bringt ein 3:0 gegen den FC Augsburg ein. Mit gestärkten Rücken blickt man jetzt Richtung Länderspielpause. Bevor wir unseren Nerven aber eine wohlverdiente Pause gönnen, schauen wir nochmal genauer auf die Leistung einzelner Herthaner.
Matteó Guendouzi – Das fehlende Puzzlestück
Nach dem vielversprechenden Auftritt gegen Wolfsburg startete der junge Franzose nun das erste Mal von Beginn an. Auch weil Landsmann Lucas Tousart verletzt ausfiel.
Erneut überzeugte der Mittelfeldspieler. Guendouzi brachte nicht nur 90% seiner Pässe an den Mann (Hertha-Bestwert), sondern gewann auch 75% seiner Zweikämpfe. Dazu kommen 68 Ballkontakte. Dass die Arsenal-Leihgabe nicht so sehr herausstach, wie noch letztes Wochenende, könnte daran liegen, dass das gesamte Team allgemein sehr aktiv und der Kontrast daher niedriger war. Zumal für einen zentralen Mittelfeldspieler oftmals der Leitsatz gilt: Macht er alles richtig, fällt er kaum auf.
Guendouzi könnte ein enorm wichtiger Bestandteil in Herthas System werden. Unter Trainer Bruno Labbadia kippen die zentralen Mittelfeldspieler gerne mal diagonal ab und beteiligen sich am Spielaufbau während die Außenverteidiger hochschieben. Ein starkes Passspiel und Pressingresistenz ist hier von Vorteil – beides bringt Guendouzi trotz seines jungen Alters mit. Im Umschaltspiel und auch kurz vor dem letzten Drittel wirken sich diese beiden Faktoren zusammen mit einem guten Dribbling ebenfalls positiv aus. Herthas Nummer 8 fungiert hier als Verbindung zwischen den Linien und kann den Ball in die wichtigen Räume tragen. Angesichts der Leihe von Arne Maier ist Guendouzi vielleicht das Versprechen, was von Maier (noch) nicht ganz eingelöst werden konnte. Selbst wenn beide nicht exakt derselbe Spielertyp sind, wird doch deutlich, wie gut Hertha ein spielstarkes und in sich ruhendes Mittelfeld tut.
Mattheus Cunha – Entwicklung zum Teamspieler
Wenn es den Fußballgott wirklich gibt, dann ist klar, dass er eher dem Liebesleben der antiken griechischen Götter pflegt, als dem Single-Dad Dasein, seines christlichen Verwandten. Hertha soll es recht sein, denn von den so entstanden Kinder hat sich eines in die Hauptstadt verirrt.
Technisch stark, um jeden Ball kämpfend und leidenschaftlich: Wer Cunha nicht gerne zusieht, hat den Fußball nie geliebt. Ein Tor und eine Vorlage konnte der Brasilianer gegen Augsburg auf seinen Bierdeckel schreiben. Vier Schüsse, drei Schlüsselpässe und zwei abgefangene Bälle runden das Bild ab. Die langersehnte Konstanz des Hoffnungsträgers, sie scheint in greifbarer Nähe. Cunha spielt zusehends mannschaftsdienlicher. In der 64. Minute bekam er an der rechten Strafraumkante den Ball unter Kontrolle, entschied sich dann aber für den Pass. Den nachfolgenden Schuss setze Krzystof Piatek dann allerdings an den Pfosten.
Dieses Spiel ist ein weiterer Grund sich über die kolportiere frühzeitige Vertragsverlängerung des Offensiv-Mannes zu freuen.
Krzystof Piatek – Das ersehnte Erfolgserlebnis
Apropos Piatek: Der Pole bekam aufgrund der Verletzung von Jhon Córdoba die Chance sich über 45 Minuten zu beweisen. Zuerst auffällig wurde er dabei in der 52. Minute. Von den Augsburgern weitestgehend ignoriert, spielte er eine präzise Flanke aus dem Halbfeld direkt in den Lauf von Dodi Lukebakio. Der Ball wurde zwar noch leicht abgefälscht, der Belgier konnte dennoch verwandeln und sich so seinen zweiten Treffer und Piatek seine zweite Vorlage der Saison sichern.
In der 64. traf der Pole nach starkem Pass von Cunha nur den Pfosten, in der 73. zögerte er beim Abschluss zu lange und in der 84. brauchte er im Prinzip nur noch quer zu legen. Sein kläglicher Pass landete aber in den Armen von Augsburgs Keeper Rafał Gikiewicz. Wäre es bei dieser Leistung geblieben, Piatek hätte sich wohl nicht als Alternative zum eigentlich gesetzten Córdoba empfehlen können.
Es sollte jedoch anders kommen. In der 85. Minute spielte Mattheus Cunha einen starken Vertikalpass, Piatek sicherte den Ball und beförderte das Spielgerät aus schwieriger Position und spitzen Winkel am Keeper vorbei und mithilfe des Pfostens ins Tor. Diese Aktion zeigte die ganze Qualität des Polen: Raum erkennen, in diesen unbemerkt hineinstoßen und eiskalt verwandeln. Sollte Córdoba längerfristig Ausfallen, kann Piatek auf dieser Leistung aufbauen. Trotz anfänglicher Unsicherheiten und viel Luft nach oben, machte dieser Auftritt Mut, von dem er hoffentlich eine Portion mitnehmen kann.
Dodi Lukebakio – Scorerpunkte sind nicht alles
Der belgische Flügelspieler ist wie der Klassenkamerad damals, der das ganze Schuljahr nur schlechte Noten schreibt, am Ende mithilfe eines Referats aber doch noch irgendwie auf eine Vier kommt.
Nach einem katastrophalen ersten Durchgang voller falscher Entscheidungen und vertändelten Bällen, von Bruno Labbadia eigentlich schon angezählt, Verwandelte Lukebakio in der 52. die starke Flanke von Piatek zum 2:0. Danach war der Belgier sichtlich beflügelt, hängte sich mehr rein und arbeite auch verstärkt nach hinten mit. Er kann es, muss es aber nur wollen und im Moment will er es einfach zu wenig. Lukebakio wird so zum Risikofaktor und qualifiziert sich eher für Joker- anstatt Startelfeinsätze. Verhindern scheint das momentan lediglich, dass es im Kader keine wirkliche Alternative mit den gleichen physischen Anlagen wie Lukebakio zu geben scheint. Auch wenn er nach acht Spielen sechs Scorerpunkte sammeln konnte, es reicht einfach nicht nur dann zu liefern, wenn es kritisch wird.
Die Leistung der Berliner Nummer 11 muss sich hier noch auf konstant hohem Niveau einpendeln, wenn er zum Leistungsträger avancieren will. Tore und Vorlagen sind nicht alles und eine geringe Arbeitsrate und Zielstrebigkeit auf dem Platz wirkt sich schlussendlich auch auf die gesamte Mannschaft aus. So kann man nur hoffen, in den kommenden Wochen nur noch selten die “Dodi”-Rufe von Trainer Labbadia hören zu müssen.
Niklas Stark – Endlich wieder wichtig
Der Vize-Kapitän – erneut auf der 6er Position eingesetzt – kommt immer besser in die Saison. Der Auftritt des Nationalspielers war engagiert und durchaus vorzeigbar.
Das Spiel als defensiver Mittelfeldspieler ist meist eher unspektakulär. Räume wollen durch kluges Stellungsspiel geschlossen werden und spektakuläre Pässe darf man von Stark auch nicht erwarten. Dennoch verzeichnete der gelernte Innenverteidiger zwei Kopfbälle aufs Tor. Dadurch, dass mit Matteó Guendouzi gehörig Kreativität ins Berliner Mittelfeld Einzug gefunden hat, fällt die Diskrepanz Starks in diesem Fall nicht besonders auf. Gleichzeitig ist es auch klug von Trainer Bruno Labbadia, den einflussreichen Vize-Kapitän nicht allein für die Verteidigung einzuplanen. Den entsprechenden Konkurrenzkamp würde Stark momentan sicher verlieren, was zwangsläufig zu Bankdrückerei und Unzufriedenheit führen würde.
Die aktuelle Lösung mag daher nicht besonders spektakulär anzusehen sein, aber doch ein gewisses Potential aufweisen. So ist Stark nach vielen Monaten des Formtiefs endlich wieder auf einem guten Weg, wichtig für das Team zu sein.
Und dann war da noch:
Omar Alderete: 109 Ballkontakte, 87% Passgenauigkeit, drei abgefangene Bälle und drei klärende Aktionen. Die Formkurve des Neuzugangs aus Basel zeigt steil nach oben. Der Mann kann und will kicken und trägt so zur Stabilisierung wackligen Berliner Abwehr bei. Nur logisch, dass das Spiel gegen Augsburg den ersten zu-Null Sieg seit dem 20. Juni bedeutet.
Marton Dardaí: Der zweitälteste Sohn von Pal Dardaí durfte heute sein Bundesligadebüt feiern. Das wird hoffentlich mit Kalbschnitzel und Milchreis gefeiert.
Fazit
Einzelne Herthaner als besonders herausstechend zu identifizieren, fällt in diesem Spiel eher schwer, einfach weil der Auftritt des ganzen Teams durchweg couragiert war. Man erspielte sich geduldig Chancen und auch wenn es meistens am berühmten letzten Pass hapert, dieses Spiel offenbart erneut das Potential, was in dieser jungen Mannschaft schlummert und langsam zu erwachen scheint. Die jetzt folgende Länderspielpause ist vom Timing her nicht ideal, aber Bruno Labbadia ist erfahren genug, um sicherzustellen, dass seine Spieler von diesem überzeugenden Auftritt nicht nur tabellarisch sondern auch mental profitieren können.
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