Podcast #181 Leipzig oder Hoffenheim – Hauptsache Italien

Podcast #181 Leipzig oder Hoffenheim – Hauptsache Italien

Ein erwartbares 1:6 muss besprochen werden. Hertha macht es 60 Minuten sehr gut, zerfällt dann aber wieder komplett. Wir versuchen das Spiel für euch aufzuarbeiten und einzuordnen, sprechen darüber hinaus aber auch noch über die Aussagen von Lars Windhorst, den möglichen Abgang von Michael Hartmann und Underground of Berlin Staffel 2.

Wir wünschen euch viel Spaß und freuen uns über eure Kommentare. Wir lassen uns die Laune nicht verderben!

Teilt den Podcast gerne mit euren Freund*innen, der Familie oder Bekannten. Wir freuen uns über alle Hörer*innen.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Herthaner im Fokus: Der nächste Offenbarungseid

Herthaner im Fokus: Der nächste Offenbarungseid

Nachdem am Samstag bereits Herthas Zweite (1:2 bei Chemie Leipzig) und Herthas U17 (1:1 gegen RaBas U17) gegen Leipziger Teams Federn lassen mussten, kamen Herthas Bundesligakicker zum Abschluss des Leipzig-Wochenendes ordentlich unter die Räder. Trotz acht coronabedingter Ausfälle wollte man die 0:6-Hinspielniederlage, höchste Pleite in Herthas Bundesliga-Historie, sowie die Schlechtleistung und Nullnummer gegen den Tabellenletzten Fürth in der letzten Woche nun vor 10.000 Zuschauer:innen im heimischen Olympiastadion vergessen machen. Das klappte dann aber eher mäßig.

Wir blicken auf einige Herthaner bei dieser 1:6-Heimpleite.

Innenverteidigung – 8 x 2 = 6 ?

Nachdem Marc Oliver Kempf nach überstandener Corona-Infektion ins Mannschaftstraining zurückkehren konnte, fiel neben sieben anderen Corona-Fällen auch Herthas Vize-Kapitän Niklas Stark mit einem positiven Test aus, sodass der Winterneuzugang Kempf gemeinsam mit Youngster Linus Gechter bereits das achte Innenverteidiger-Duo der Saison bildete. Dennoch funktionierte das Zusammenspiel der beiden zunächst ordentlich. Blieben sie im Aufbau eher glanzlos und unauffällig, zeigte sich das neuformierte Pärchen defensiv aufmerksam, klärte einige Hereingaben von den Seiten und zeigte eine ordentliche Zweikampfführung.

So eigentlich auch in der 20. Minute, als Gechter RaBa-Stürmer Yussuf Poulsen den Ball im Strafraum zunächst noch wegspitzelte, Vladimir Darida aber nicht in den folgenden Zweikampf kam und Poulsen so auf der rechten Berliner Abwehrseite den freien Benjamin Henrichs bediente. Dessen scharfer zweiter Versuch nach Parade von Alexander Schwolow fälschte Gechter so unglücklich ab, dass der Ball ins eigene Tor gelenkt wurde. Dem 17-Jährigen ist dabei kein Vorwurf zu machen, nichtsdestotrotz ist die Situation bezeichnend für den Herthaner Abstiegskampf. Neben Unvermögen kommt auch noch Pech dazu.

In der Folge stabilisierte sich Hertha zusehends, zu Beginn der zweiten Hälfte folgte eine Druckphase, in der Hertha zum Ausgleich kam und auch defensiv überzeugte. Und dann kam die 62. Spielminute. Einen Moment unaufmerksam ließ Kempf den antrittstarken Christopher Nkunku an sich vorbeidrehen, hängte sich im wahrsten Sinne des Wortes an ihn und brachte ihn schließlich im Strafraum zu Fall – klare Sache: Elfmeter und rote Karte.

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(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Mit dem erneuten Rückstand und der Unterzahl waren die Berliner gebrochen. Auf den vakanten Platz in der Innenverteidigung rückte Lucas Tousart, der bis dahin ein eher unauffälliges Spiel gezeigt hatte und in der Folge mächtig Probleme mit der Leipziger Offensive hatte. Beim 1:4 klärte er hart angegangen den Ball direkt in den Fuß eines Leipzigers, hob dann noch mit den Folgen des Zweikampfes beschäftigt das Abseits auf und kam nicht hinterher, als der Ball zu seinem Gegenspieler kam. Auch abseits dieser Szene wirkte Tousart im Abwehrzentrum völlig verloren, was sicherlich auch an generellen Auflösungserscheinungen im Berliner Mittelfeld lag. Jedenfalls bewarb sich der Franzose nicht für den freigewordenen Platz in der Innenverteidigung für nächste Woche.

Und dann wird wieder gepuzzelt, denn das Personal ist knapp. Rotsünder Kempf wird dank des verwandelten Elfmeters nur ein Spiel fehlen. Kapitän Dedryck Boyata und Márton Dárdai fallen noch länger aus, Lukas Klünter ist frisch positiv getestet und in der Viererkette ohnehin nicht als Innenverteidiger vorgesehen. Die Hoffnungen liegen also darauf, dass sich Niklas Stark rechtzeitig freitesten kann. Ansonsten könnte Trainer Tayfun Korkut tatsächlich auf Tousart zurückgreifen müssen oder einem der beiden kaderauffüllenden Amateurspieler Cimo Röcker oder Christalino Atemona zum Bundesliga-Debüt verhelfen.

Die Konstante in dieser Rechnung heißt Linus Gechter. In wenigen Einsätzen hat sich der junge Berliner mit unaufgeregten soliden Leistungen zu einem Stabilitätsfaktor entwickelt. Seine Entwicklung erinnert an jene von Márton Dárdai  in der letzten Saison. Nichtsdestotrotz sollte man einem 17-Jährigen nicht die Hoffnung im Abstiegskampf aufbürden, zumal auch er sich in der Vergangenheit verletzungsanfällig gezeigt hat und man das große Talent weder körperlich noch mental verheizen darf.

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(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Immerhin dürften Stark und Kempf nach dem nächsten Spiel wieder zur Verfügung stehen, sodass sich die Personallage dann leicht entspannt. Aber bis dahin muss noch das wichtige Spiel in Freiburg überstanden werden…

Fredrik André Bjørkan – Eine Nummer zu groß

Der norwegische Winterneuzugang gab nach den coronabedingten Ausfällen des formstarken Maxi Mittelstädt sowie Marvin Plattenhardt sein Startelfdebüt als Linksverteidiger in Herthas Viererkette.

Gegen spielstarke Leipziger wirkte er dabei aber von Beginn an überfordert. So rückte er häufig etwas zu zentrumsorientiert in die Mitte ein und ließ auf außen Platz für den hoch aufrückenden Nordi Mukiele, der so in der 9. Minute bereits zu einer Großchance kam. Auch in der Folge kamen immer wieder gefährliche Angriffe über Bjørkans Seite, der dabei kaum Flanken oder Hereingaben zu verhindern wusste und auch im Dribbling das ein oder andere Mal zu einfach ausgespielt wurde. So verlor er beim 1:3 Vorlagengeber Dani Olmo aus den Augen und leitete auch das 1:5 in der 81. Minute mit einer unzureichenden Klärungsaktion ein.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Offensiv konnte Bjørkan keine nennenswerten Aktionen initiieren, er brachte ab und an den Ball aus der Defensivreihe zu Ishak Belfodil oder Stevan Jovetić, startete selbst aber kaum einmal eigene Offensivläufe, was im Spiel gegen den bis dato Rückrunden-Zweiten mit einem Fokus auf die Defensive allerdings verständlich ist.

Kein gutes Spiel des Norwegers, aber auch kein katastrophales. Bjørkan braucht noch Zeit, um in der Bundesliga und bei Hertha anzukommen. RaBa war da eine Nummer zu groß für den Anfang. Sofern Mittelstädt sich bis zum nächsten Wochenende noch nicht freitesten kann, wird Bjørkan eine weitere Bewährungschance erhalten und sich gegen Freiburg beweisen können. Auch mit Mittelstädt wäre ein Einsatz nicht ausgeschlossen, dann vermutlich hinter dem Berliner Eigengewächs, das Bjørkan defensiv mehr Unterstützung bieten dürfte als er im 4-3-3 gegen Leipzig erhielt.

Tayfun Korkut – Wo bleiben die Lösungen?

Herthas Trainer stellte nach den wenig überzeugenden Auftritten zuletzt und den zahlreichen coronabedingten Ausfällen rückte er von seiner üblichen 4-2-2-2–Formation ab und stellte diesmal in einem 4-3-3 auf. Der Plan schien, die Leipziger Dreierkette im Aufbau unter Druck zu setzen und diese durch die drei Offensivspieler gemeinsam anzulaufen.

Was bei Erfolg als guter „Matchplan“ hätte gelten können, ging allerdings nicht wirklich auf, weil sich die Leipziger insgesamt ziemlich problemlos aus dem gelegentlichen Pressing lösen konnten und bei überspielen der ersten Pressingreihe kein Konzept der restlichen Mannschaft für diese Situation ersichtlich war und sich dort große Räume insbesondere zwischen Dreiermittelfeld und Abwehrkette ergaben.

Und so war es kein Zufall, dass genau aus einer solchen Situation das erste Tor fiel. Nachdem die Pressinglinie überspielt war, bekam Hertha im Mittelfeld keinen Zugriff und der Ball konnte in gefährlicher Position in den Strafraum gespielt werden, wo Gechter zunächst noch aufmerksam den Ball wegspitzeln konnte, das Kunstleder dann aber über Umwege doch noch im Tor landete. Nachdem Hertha dann etwas mehr vom Ball sah, plätscherte das Spiel bis zur Pause etwas vor sich hin. Korkuts Halbzeitansprache fruchtete dann offenbar, kurz vor Betreten des Platzes holte er die Mannschaft sogar noch einmal für eine kurze Ansprache zusammen.

Jovetić ließ sich etwas tiefer fallen und holte sich die Kugel häufig auf der Zehnerposition ab, um ihn dann ins Angriffsdrittel zu treiben, wo sich Belfodil als Anspielstation in vorderster Linie anbot. Aus einer solchen Situation fiel auch der glückliche Ausgleich. Und plötzlich war Hertha wie verwandelt. Während die Leipziger leichte Unsicherheiten zeigten, spiele Hertha mit Selbstbewusstsein und Selbstverständnis und wusste den Platz im Zentrum endlich zu nutzen. Über gut vorgetragene Angriffe kam man so plötzlich zu zwei ordentlichen Chancen auf den Führungstreffer durch Jovetić, die aber nicht verwertet werden konnten.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Und so kam es wie es kommen musste, die individuelle Qualität der Leipziger schlug gepaart mit Kempfs Unaufmerksamkeit zu. Nach einem Ballgewinn war Gechter mit über die Mittellinie gegangen, die Hertha-Abwehr daraufhin schlecht formiert und unsicher, Kempf unaufmerksam und das Unheil nahm seinen Lauf. Nach dem Spiel zeigte sich Korkut wie auch Fredi Bobic im Interview mit der Leistung bis zur Elfmeterszene um Kempf zufrieden. Doch auch in der ersten Hälfte war Hertha lange sehr passiv und wartete im Grunde nur auf das Gegentor. Sicherlich ist eine Niederlage gegen Leipzig kein Beinbruch, nichtsdestotrotz ist ein Beschönigen der Leistung Augenwischerei. Zehn ordentliche Minuten nach der Pause reichen in der Bundesliga einfach nicht.

Dass man dann in Unterzahl einbricht, ist nachvollziehbar, aber auch der taktischen Herangehensweise geschuldet. Natürlich hatte Korkut nur unerfahrene defensive Alternativen auf der Bank, dennoch entschloss er sich aktiv dafür, ausschließlich in der Dreier-Sturmreihe zu wechseln und diese auch nicht aufzulösen oder deutlich defensiver zu formieren, sodass das Zentrum in Herthas 4-2-3 zur Spielwiese der Leipziger Ballkünstler wurde und man sich die Tordifferenz weiter verhagelte und auch mental nochmal einen ordentlichen Knacks mitnahm. Die Punkte müssen in anderen Spielen geholt werden, aber die Analyse der gestrigen Partie lässt nicht hoffen, dass der Ernst der Lage erkannt ist und man Lösungsansätze für die kommenden Partien hat.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Gut sah man unter Korkut fast nur gegen stärkere Gegner aus, wenn Herthas individuell starke Offensivspieler phasenweise gefährliche Konter fahren konnten. Diese Herangehensweise wird aber nur selten zu Punktgewinnen reichen. Gegen direkte Konkurrenten oder Mannschaften, die vermeintlich auf Augenhöhe mit Hertha sind, reicht es bisher nicht – eine fatale Mischung im Abstiegskampf. Bei aller spielerischen Limitation des Kaders muss Korkut schnell Ergebnisse liefern. Sonst wird es nicht nur für ihn, sondern insbesondere für Hertha ganz eng.

Und dann war da noch:

Jovedil, die ein weiteres Mal zeigten, dass sie Herthas beste Fußballer sind. Die beiden ballsicheren und dribbelstarken Aktivposten konnten über Einzelaktionen in Herthas guten zehn Minuten nach der Pause mehrmals Gefahr für das Leipziger Tor erzeugen. Nach Jovetićs Tor in der 48. Minute verpasste der Montenegriner nach schönen Kombinationen in den Folgeminuten gleich zwei Mal den Führungstreffer.

Anton Kade, der in der 76. Minute zu seinem Bundesliga-Debüt kam. Der 18-jährige Bruder von Julius Kade, der mit Hertha 2019 Deutscher A-Jugend-Meister wurde, hatte in der 83. Minute noch die große Chance auf ein Erfolgserlebnis zum Debüt, scheiterte mit seinem zu zentralen Schuss aber am Leipziger Schlussmann. Gerade mit Blick auf die dünne Personallage auf den Außenbahnen dürfte er schon in dieser Saison zu weiteren Minuten kommen.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Marco Richter, der in der 25. Minute bei seiner Grätsche gegen den Leipziger Kapitän mit Gelb noch gut bedient war und sonst wie immer viel unterwegs war, diesmal aber wenig Zählbares erreichte. In der 34. Minute tauchte er nach schöner Ballstafette und Pass von Darida beinahe gefährlich vor dem Leipziger Tor auf und konnte nur durch ein Foul von Joško Gvardiol gebremst werden.

[Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images]

Drei Thesen zu Hertha BSC – RB Leipzig

Drei Thesen zu Hertha BSC – RB Leipzig

Die Vorzeichen dieses Spiels könnten nicht eindeutiger sein. Während unsere Hertha 2022 noch auf den ersten Sieg wartet und tief im Abstiegskampf steckt, konnten die Leipziger sich in den letzten Wochen nach großen anfänglichen Schwierigkeiten klammheimlich wieder in die Champions-League-Ränge spielen. Zusätzlich spricht die schwarze Statistik von mindestens zwei Gegentoren pro Spiel gegen die Sachsen, seit deren Bundesliga-Aufstieg, Bände. In der Hinrunde musste die „Alte Dame“ in Leipzig ihre bisher höchste Niederlage der Saison einstecken. Beim 0:6 brach die Mannschaft in ihre Einzelteile und hatte nicht den Hauch einer Chance.

Hoffen wir also, dass die Rückkehr einer Menge Fans und die munteren Trainingseinheiten unter der Woche für einen kleinen Ruck Sorgen. Hier kommen die drei Thesen zum Spiel:

Linus Gechter und Marc Oliver Kempf empfehlen sich für mehr

Wer noch nicht in der Abwehr von Hertha stand werfe den ersten Stein. So langsam muss man schauen, welches mögliche Abwehrduo oder  -trio noch nicht für die Mannschaft diese Saison auflief. Corona und Verletzungssorgen machen eine eingespielte Abwehr nahezu zur Unmöglichkeit. Gegen Leipzig wird es also auch ein Innenverteidiger-Debüt der Kombi Gechter/Kempf geben. Und sie werden es ordentlich machen.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Während Gechter sich als unerschrockene Nachwuchshoffnung gegen Greuther Fürth ein Stück näher der Stammelf gespielt hat und aktuell nur wenig Fehler macht, kommt Kempf nach seiner Corona-Infektion wieder zurück ins Team und will an seiner Leistung bei seinem Hertha-Debüt gegen den VfL Bochum anknüpfen. Die beiden werden einiges zu tun bekommen, mit Nkunku, Silva und Co schnelle und wuchtige Gegenspieler haben und sich das ein oder andere Mal auszeichnen können. Es wird nicht viele Gründe geben dieses Duo wieder auseinander zu reißen.

Vielleicht entfacht die Situation ja einen heißen Konkurrenzkampf mit Kapitän Dedryck Boyata und Vize Niklas Stark.


Hertha verlor das Hinspiel gegen RB Leipzig blamabel mit 0:6. Auf welche Duelle es ankommt, damit sich das nicht wiederholt, lest ihr hier.


Marco Richter zeigt eine Trotzreaktion

Marco Richter war in den letzten Wochen schwer in der Kritik von Trainer Tayfun Korkut. Seinen Platz in der Startelf hatte er verloren und er musste sich mit Kurzeinsätzen begnügen. Gegen Greuther Fürth gestalteten er und Stevan Jovetic in der zweiten Halbzeit zwar zu sehr großen Teilen die Offensive und erarbeiteten viele Torchancen, doch mehr als Gewalt-Abschlüsse und frustrierte, überhastete Aktionen gab es nicht. Unter der Woche wurde er zusätzlich von Korkut im Training medienwirksam ermahnt.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Diese Situation war der Tiefpunkt. Von nun an geht es bergauf. Marco Richter wird mit Trotz auf die Kritik reagieren und sich Torhungrig und mannschaftsdienlich zeigen. Seine Kreativität wird der Mannschaft helfen. Und ihm wird mindestens eine Torbeteiligung gelingen. Stellt sich nur die Frage, wie groß das Ego Korkuts ist und ob er Richter genug Spielzeit ermöglichen wird oder ihm erst wieder eine Chance gibt, wenn das Spiel gegen Leipzig schon längst verloren ist.

Fans und Mannschaft harmonieren

Gegen Leipzig werden dank der gelockerten Corona-Regeln bis zu 10.000 Zuschauer zugelassen sein. In den nächsten Wochen und Monaten werden weitere dazukommen. Die Ultras werden noch nicht dabei sein, aber dafür umso mehr Familien, Kinder und andere lautstarke Fans, die ihre Unterstützung zeigen. Die Bindung zu den Fans, die durch die Pandemie stark gelitten hat, kann so wieder gefestigt werden.

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(Photo by Thomas Eisenhuth/Getty Images)

Die Mannschaft spürt das, nimmt die Situation im Abstiegskampf und die Mission Klassenerhalt an und beginnt zu kämpfen. Die anwesenden Fans wissen das zu würdigen und feuern das Team bedingungslos an. Gegen Leipzig ist das Ergebnis zweitrangig, es wären Bonuspunkte, die guttun würden, mit denen aber aktuell niemand rechnet. Die Mannschaft darf sich einzig und allein nicht abschießen lassen und muss mit erhobenen Kopf den Platz verlassen können.

Wenn in den nächsten Wochen unbedingter Wille, Leistung und die Unterstützung der Fans stimmen, werden auch schon bald die Punkte folgen.

[Titelbild: Alexander Hassenstein/Getty Images]

Hertha – Leipzig: Drei Schlüsselduelle

Hertha – Leipzig: Drei Schlüsselduelle

Nach den enttäuschenden Resultaten aus den Spielen gegen Bochum und Fürth steht Hertha am Sonntagabend mit Vizemeister RB Leipzig ein harter Brocken bevor. Welchen Leipziger Herthas Hintermannschaft besonders im Blick haben muss, welcher Herthaner mit einer guten Leistung für einen Ruck durch das gesamte Team sorgen kann und auf welchen Positionen Tayfun Korkut ein glückliches Händchen beweisen muss, lest ihr hier.

Christopher Nkunku: Leipzigs Allzweckwaffe

In der NBA gibt es die Auszeichnung des Most Improved Player (MIP), die jedes Jahr an denjenigen Spieler geht, der im Vergleich zur Vorsaison die größte Entwicklung genommen hat. Gäbe es diese oder eine vergleichbare Auszeichnung auch in der Bundesliga, wäre Leipzigs Offensivspieler Christopher Nkunku wohl heißester Anwärter.

Zwar ließ der 24-jährige Franzose schon in seinen ersten beiden Bundesliga-Jahren seine Klasse aufblitzen, doch sein Spiel in dieser Saison ist effizienter und reifer. So ist er für die Leipziger unverzichtbar. In der Bundesliga kommt Nkunku schon auf elf Tore und neun Vorlagen, in der Gruppenphase der Champions League lieferte er überzeugende sieben Tore und zwei Assists – in einer Gruppe mit Paris Saint Germain und Manchester City. Dass er dabei mit dem Kopf, mit dem Fuß, oder auch wie zuletzt gegen den 1. FC Köln per direktem Freistoß erfolgreich ist, zeigt, wie vielseitig das Spiel Nkunkus ist.

Nkunkus größter Trumpf ist seine Polyvalenz. In der Offensive kann er jede Position bekleiden, wird derzeit als zweiter, spielstarker Stürmer neben André Silva eingesetzt. Neben seiner angesprochenen Torgefahr macht ihn so gefährlich, dass er seine Mitspieler gut in Szene setzen kann. 4,44 schusskreierende Aktionen liefert er durchschnittlich pro 90 Minuten, dazu 0,93 torkreierende.

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(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Dazu ist er Leipzigs erste Anlaufstelle im Offensivspiel: 11,48 progressive Pässe (Pässe, die den Ball maßgeblich näher zum gegnerischen Tor bringen) erreichen ihn durchschnittlich pro Spiel – in der Bundesliga ein Top-3%-Wert. Immerhin noch 3,81 progressive Pässe spielt er dabei selber.

Einen Spieler seiner Qualität kann man über 90 Minuten kaum ausschalten. Doch Arminia Bielefeld lieferte am 17. Spieltag beim Gastspiel in Leipzig (2:0-Sieg für die Arminen) den Beweis, dass die Sachsen sich an diszipliniert und stabil verteidigenden Gegnern auch mal die Zähne ausbeißen.

Schafft Hertha es, Nkunku weitgehend aus dem Spiel zu nehmen, nimmt man dem Leipzig-Angriff seine größte Waffe. Eine Aufgabe, die die Herthaner Defensive nur im Verbund lösen kann.


Mit Kelian Nsona hat Hertha ebenfalls einen spannenden Franzosen in seinen Reihen. Der Winterneuzugang kann nach seinem Kreuzbandriss endlich wieder trainieren. Doch was zeichnet Nsona aus? Was sind seine Stärken und Schwächen? Unser ausführliches Portrait kannst du hier lesen.


Marc Oliver Kempf: Zeit, für ein Zeichen

Weiterhin hat Hertha die zweitmeisten Gegentore der Liga. Und die Situation auf der Innenverteidiger-Position machte zuletzt wenig Hoffnung auf Besserung, als gegen Greuther Fürth mit Linus Gechter ein 17-Jähriger Herthas bester Spieler war, während die Etablierten entweder verletzt, krank oder im Formtief sind.

Dabei war noch eine Woche zuvor mit Neuzugang Marc Oliver Kempf ein Innenverteidiger Hoffnungsträger. Der Neuzugang aus Stuttgart stand gegen Bochum in der Startelf und zeigte gute Ansätze. Dann bremste ihn Corona aus. Gegen Leipzig dürfte er wieder gesetzt sein. Ein gutes Spiel von ihm wäre nicht nur sportlich wichtig, sondern auch ein Signal an die ganze Mannschaft. Schafft Kempf es im Verbund mit der restlichen Abwehr, die gefährliche Leipziger Offensive zu bändigen, dürfte im gesamten Team der Glaube an eine stabilere Rückrunde reifen.

Dabei muss Kempf vor allem an die erste Halbzeit aus dem Bochum-Spiel anknüpfen. Hier zeigte er im Verbund mit Niklas Stark (fehlt am Sonntag coronabedingt) eine souveräne Leistung. Er muss aber auch einfache Fehler vermeiden. Das Gegentor gegen Bochum etwa resultierte aus einem Freistoß von Kempf, den er etwas unmotiviert in den Strafraum brachte, wo außer Keeper Riemann niemand den Ball erwartete. Der leitete den Gegenangriff ein, in dem sich Kempf und Stark im Zwei-gegen-zwei gegen Jürgen Locadia und Sebastian Polter etwas naiv anstellten. Gerade gegen Leipzig, deren Spiel stark darauf basiert, gegnerische Fehler zu bestrafen, muss Hertha noch etwas aufmerksamer bleiben.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Gegen Leipzig wird es Kempf aller Voraussicht nach neben Nkunku mit Stürmer Silva zu tun haben. Der ist anders als der spielstarke Nkunku ein echter Strafraumstürmer, hat im Schnitt 7,18 Ballkontakte im gegnerischen Strafraum pro 90 Minuten. Durchschnittlich schließt Silva aus 11,6 Metern ab. In der Box darf man ihm quasi keinen Raum geben, auf immerhin schon neun Saisontore kommt Silva nach anfänglichen Schwierigkeiten.

Leipzigs weitere Option im Sturm ist Yussuf Poulsen, ein physisch starker Stürmer, der über eine gute Ballkontrolle verfügt und durchaus mannschaftsdienlich spielt. Für einen Mittelstürmer spielt er mit 3,79 überdurchschnittlich viele progressive Pässe. Dazu kommen 3,08 schusskreierende Aktionen.

Keine leichten Aufgaben, die auf Kempf und seine Nebenleute warten. Doch ein gutes und konzentriertes Spiel könnte eine weitreichende Signalwirkung mit sich bringen.

Hertha-Flügel: Gegen Leipzig gefragt

Spielen Suat Serdar und Marco Richter auf den Außen oder im Zentrum besser? Reicht Jurgen Ekkelenkamps Physis aus, um über 90 Minuten in der Bundesliga zu bestehen? Macht Myziane Maolida bald den nächsten Schritt und wird schneller in der Entscheidungsfindung? Sind die Neuzugänge Dong-Jun Lee und Fredrik Andre Björkan schon bereit für die Startelf? Viele Fragen stellen sich die Hertha Fans und sicher auch Trainer Tayfun Korkut, wenn es um die Besetzung der offensiven Außenpositionen geht.

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(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Dabei können die gegen Leipzig entscheidend sein. In den jüngsten Spielen kassierte das Team von Domenico Tedesco immer wieder Gegentore über die Flügel. Linksverteidiger Angelino ist offensiv eine Waffe, doch defensiv kommt er da nicht ran. Nur 1,44 Tackles liefert er durchschnittlich in 90 Minuten, nur 3,99 Mal übt er erfolgbringend Druck aus. Auf 1,33 abgefangene Bälle kommt er und nur 2,02 klärende Aktionen. Alles Statistiken die verdeutlichen, warum Leipzig über die Seite so anfällig ist. Auf der rechten Seite hat Leipzig mit Benjamin Henrichs und Lukas Klostermann immerhin noch eine Auswahl. Wirklich herausragend sind die Defensivleistungen beider jedoch nicht.

Ausgehend von den Trainingsleistungen in dieser Woche wird Korkut Antworten auf die eingangs gestellten Fragen finden müssen und Außenspieler aufstellen, die in der Lage sind, die Leipziger Anfälligkeit auszunutzen.

[Titelbild: Alexander Hassenstein/Getty Images]

Warum ich Hertha so liebe

Warum ich Hertha so liebe

Es sind mal wieder dunkle Zeiten rund um Hertha BSC. Die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre schmerzt gewaltig, der Versuch ein international erfolgreicher Club zu werden, scheint krachend gescheitert zu sein. Doch sind wir Hertha-Fans mal ganz ehrlich, darum geht es nicht.

“Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

Die schwachen Spiele der letzten Wochen und Monate haben reingehauen und sie taten – nein, sie tun auch immer noch – weh. Die aktuelle Situation ist gefährlich und als Fan weiß man nicht so richtig, wie man sich damit abfinden soll. Die Saison war spätestens mit dem Ausscheiden im Pokal verschenkt, es geht einzig und allein ums nackte Überleben. Und im Fußball-Business ist das alles wichtig. Es ist sogar überlebenswichtig. Doch es gibt einen Fangesang, der vieles ausspricht, was eigentlich viel wichtiger ist. Gerade in diesem brutalen kapitalistischen Business: „Gemeinsam werden wir wieder siegreich sein, Hertha BSC – Traditionsverein! Trauer, Freude, Frust spür’n wir Jahr für Jahr, doch am Ende sind wir wieder für dich da!“

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(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Ich bin seit knapp 18 Jahren Fan von Hertha BSC. Damit habe ich leider die goldenen Jahre in der Champions League um die Jahrtausendwende verpasst, doch auch ich kann von wundervollen Ereignissen um die Hertha zehren. Im Übrigen auch im sportlichen Bereich. In den letzten Jahren habe ich etwas gelernt, was mir immer mehr bewusst wird. Jede Generation, ja jeder Fan als Individuum schreibt seine eigene Geschichte und Legende mit dem Verein. Erlebnisse werden zu Erinnerungen. Erzählungen älterer Fans werden zu Mythen, die man immer wieder hört, sich in der eigenen Romantik ausschmückt und Unwissenden nur zu gerne weitererzählt.

Wenn ich Anekdoten vom legendären Nebelspiel gegen Barcelona höre oder Highlights vom Sieg gegen den FC Bayern München 2001, als Pal Dardai und Zecke Neuendorf das Spiel entschieden, sehe, dann sind das für mich wundervolle Momente, die der nahen Vergangenheit angehören, für mich aber trotzdem so etwas wie romantische Mythen rund um den Verein sind. Hertha BSC steht für vieles, insbesondere für eine beeindruckende Geschichte. Auch wenn der Verein seit seinen Meisterschaften Anfang der 1930er Jahre keine nennenswerten Titel mehr sammeln konnte, hat dieser Verein eine Vergangenheit, bei der von der Spannung her, in Berlin höchstens noch Tasmania Berlin mithalten kann.

Wie alles begann

Als ich als kleiner Junge – es wird 2002 oder 2003 gewesen sein – meine ersten großen Berührungspunkte mit Fußball hatte, war mein fußballerischer Lebenslauf bei weitem nicht so vorgezeichnet, wie er sich entwickelt hat. Meine Eltern waren trotz ihrer DDR-Vergangenheit große Bayern-Fans, mein späterer Stiefvater Fan von Bayer Leverkusen. Mein erstes Trikot, welches ich besaß, war also ein Kinder-Trikot von Oliver Kahn. Das EM-Finale 2004 zwischen Griechenland und Portugal war das erste Spiel, welches ich komplett verfolgt hatte, ohne mir vor kindlicher Langeweile eine andere Beschäftigung zu suchen. Und wahrscheinlich hätte es mir niemand verübelt, wenn ich gerade das Spiel, was wahrlich kein fußballerischer Leckerbissen war, auch nicht zu Ende geschaut und mich komplett vom Fußball distanziert hätte. Doch genau dieses Spiel ist bis heute sehr bezeichnend für mein Verständnis von Fußball und meiner Liebe zu Hertha.

(Photo credit should read VINCENZO PINTO/AFP via Getty Images)

Ich brauche nicht die große Explosion, aber ich will das Feuer, das die Spieler in sich tragen, auf dem Platz sehen. Und über viele Jahre bekamen wir genau das von unserer „Alten Dame“. Nach einigen Sportschau-Abenden mit meinem Vater hab ich ihn also gefragt, ob wir mal ins Stadion gehen könnten. Gesagt getan. Am 6. November 2004 saß ich als neun jähriger Junge zum ersten Mal auf der Tribüne des Olympiastadions. Vom Spiel gegen Werder Bremen habe ich damals nicht viel mitbekommen, denn – und hier kommen wir zu einem weiteren Punkt, den sicherlich sehr viele Fans der Hertha mit mir teilen und auf den ich im späteren Verlauf dieses Texts nochmal eingehen werde – ich war praktisch innerhalb weniger Sekunden von der Magie des Olympiastadions gefesselt.

Mit offenem Mund und großen Augen schaute ich mich um. Ich hatte noch nie so ein großes und lautes Gebäude gesehen und wusste kaum wie mir geschah. Zwischendurch fragte ich meinen Vater, ob denn das Spiel schon begonnen hätte? Dass ich nicht mitbekommen hatte, dass das Spiel seit über einer halben Stunde lief, lässt entweder bezüglich der Spielqualität tief blicken oder verdeutlicht nochmal meine kindliche Begeisterung für das Spektakel, welches das Geschehen auf dem Rasen begleitete. Das Spiel endete 1:1. Alexander Madlung hatte in der allerletzten Sekunde den Ausgleich erzielt. Ich wirbelte meinen Hertha-Schal, den mir mein Vater kurz vor Anpfiff noch gekauft hatte, rum, als wäre es das was ich seit Jahren tun würde.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

An diesem Tag hatte Hertha BSC einen neuen Fan gewonnen. Über die nächsten Monate festigte sich meine Liebe nur noch mehr. Die Mannschaft machte es mir auch leicht. Spieler wie Gilberto, Yildiray Bastürk und insbesondere Zauberer Marcelinho verzauberten die Fans. Für mich ist diese Mannschaft die prägendste meines Fandaseins gewesen. Und schon damals war alles Himmel und Hölle. Einerseits schoss Marcelinho gegen den SC Freiburg das wohl spektakulärste Tor, was ich je im Stadion live gesehen habe, andererseits musste ich mit ansehen, wie die Mannschaft 2005 am letzten Spieltag gegen Hannover 96 den Einzug in die Champions League verspielte.

Hertha begeistert Menschen

Es folgte ein Leben, in dem der Fußball und ausgerechnet dieser Verein einen sehr zentralen Punkt einnahmen. So kitschig und antik das klingen mag, aber mit meinen  Freunden hörte ich jeden Samstag-Nachmittag dass RBB Info-Radio mit der Bundesliga-Konferenz, während wir die Spiele in meinem Zimmer mit einem Gummiball und Schüssen gegen die Wand nachspielten. Abends durfte die Sportschau niemals fehlen. Wenn ich mit meinen Eltern an einem Samstagnachmittag unterwegs war, bestand ich selbstverständlich immer darauf im Auto sitzen zu bleiben, um Radio hören zu können.

Hertha bemühte sich in den Jahren sehr darum, Kinder und Jugendliche an den Verein zu binden. Auf Einladung des Kids-Clubs, dessen Mitglied ich damals war, bin ich mit einem alten Schulfreund zu einem Kino-Event gegangen, wo wir „Der König von Narnja“ schauten. Ein Event, das im Vorfeld von Maskottchen Herthinho und Zecke moderiert wurde. Einen Kinosaal mieten und einen aktuellen Film kostenlos für Kinder und Jugendliche ausstrahlen. Es kann so einfach sein junge Fans an sich zu binden.

Wenige Jahre später durfte ich meinen Onkel, der damals Arzt auf einer Krebsstation war, und seine Kollegen und Patienten zu einem Hertha-Spiel begleiten. Hertha gewann das Spiel gegen die Freunde aus Karlsruhe mit 4:0 und beendete die Hinrunde auf Platz 3. Es war die legendäre „Fast-Meistersaison“ 2008/2009. Auch hier bemühte sich Hertha wieder um die Nähe zu den Fans. Das Spiel, welches wir in einer VIP-Loge des Olympiastadions verfolgen durften, wurde abgerundet durch die damals verletzten Spieler Josip Simunic und Sofian Chahed. Beide schauten mit uns das Spiel, waren für lustige Gespräche zu haben und standen für viele Fotos zu Verfügung. Wieder eine sehr einfache Möglichkeit Nähe zu Fans aufzubauen. 

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

Nach der erfolgreichsten Bundesligasaison, die ich als Hertha-Fan miterleben durfte, folgte dagegen die schlechteste. 2010 stieg Hertha sang- und klanglos ab, aber da hatte mich der Verein schon so sehr an sich gebunden, dass ich mich trotz der enttäuschenden Saison nicht mehr lösen konnte. Und selbst aus dieser Saison stammen Kuriositäten, von denen sich Herthaner bis heute erzählen. Etwa die von Torhüter Sascha Burcherts Kopfballklärungen verursachten Gegentreffer vom HSV oder dass die Mannschaft trotz ihrer aussichtslosen Position auf dem letzten Tabellenplatz stehend den amtierenden Meister VfL Wolfsburg mit 5:1 besiegte. Den Abstieg verfolgte ich damals als 14 Jähriger – wie sollte es anders sein – am Radio. Nach einem Unentschieden gegen Bayer Leverkusen am 33. Spieltag war er besiegelt und ich stand mit Tränen in den Augen am Küchenfenster und wollte nicht wahrhaben, dass wahrgeworden war, was sich seit Wochen angekündigt hatte.

Ab der folgenden Saison änderte sich meine Art Fan zu sein. Ich ging nicht mehr mit meinen Eltern oder anderen Erwachsenen ins Stadion. Von nun an wollte ich mit Freunden regelmäßig ins Olympiastadion gehen und die Mannschaft lautstark unterstützen. Auch die Plätze auf der Tribüne änderten sich. Vom Familienblock ging es in den Oberring, wo durch die Ostkurve angeleitet, eine brachiale Stimmung aufgebaut wurde. Begünstigt durch die guten Spiele in der 2. Bundesliga und den Wiederaufstieg erfuhr ich wie es war Teil einer riesigen Gemeinschaft zu sein. Schulter an Schulter vorm Spiel einschwören, mit erhobenen Schals Frank Zanders „Nur nach Hause“ singen und in jedem Spiel Vollgas geben und die Mannschaft zum Sieg schreien oder sie zumindest lautstark zu begleiten.

(Photo credit should read ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Als Jugendlicher und Schüler, der immer noch finanziell schwer von seinen Eltern abhängig war, gab ich so ziemlich all mein Taschengeld für Stadiontickets aus. Heutzutage weiß ich gar nicht mehr, wie ich mir nebenbei noch etwas anderes leisten konnte. Ich gab viel zu viel Geld für Hertha aus bzw. wurde von dubiosen Leuten bei Ebay auch gerne mal ordentlich abgezockt. Mit Freunden fuhr ich am späten Freitagabend bis an die Ränder Berlins, nur um in dunklen Gassen noch schnell Karten für den nächsten Samstag zu bekommen. Ich versuchte, viele Leute von Hertha zu überzeugen und nahm regelmäßig unterschiedliche Personen mit ins Stadion. Manche konnte ich mit meiner Leidenschaft anstecken, andere nicht und das war okay.

Legenden werden geboren

Bis heute erlebte ich um Hertha Ereignisse, die im Laufe der Jahre zu Legenden geworden sind, obwohl man sie zum Zeitpunkt ihres Geschehens nie als diese wahrgenommen hätte. Jahre später sind sie Anekdoten zum in Erinnerung schwelgen. Ausnahmespieler wie Marcelinho und Marko Pantelic. Ein auf dem Cottbusser Mittelkreis tanzender Dieter Hoeneß. Raffaels Lauf auf das leere Tor gegen Hoffenheim am letzten Spieltag 2012. Die folgende Relegation gegen Fortuna Düsseldorf sowieso.

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Ob es ein Luhukay-Ausraster auf einer Pressekonferenz war, die erstaunlich gut auch jetzt, viele Jahre später, 2022 hervorragend passen würde. Die beste Zweitligasaison aller Zeiten mit 18 Toren Ronnys, die er zum Teil mit brachialer Gewalt erzielte. Eine viereinhalb Jahre haltende Ära mit Pal Dardai. Europa-League-Spiele in Bilbao und Östersund. Ein Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund, wofür es sogar Sondertrikots gab.

Bayern-Spiele, in denen entweder in der bereits abgelaufenen Nachspielzeit der Sieg aus den Händen gerissen wurde oder noch viel besser, ein Sieg im ausverkauften Olympiastadion gegen den Rekordmeister. Nur drei Stück gab es davon seit 2001, was diese Spiele zu besonderen Momenten macht. Der Einstieg Lars Windhorsts, das Engagement von Jürgen Klinsmann, die Transferphase im Winter 2020, das Ende der Ära Michael Preetz, die Rückkehr Pal Dardais, der Abstiegskampf 2021 während der Corona-Pandemie.

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Doch auch zu Hertha gehören Dinge wie absurde Marketingkampagnen, Versuche, Hertha BSC in anderen Orten und Schichten der Stadt zu verankern. Komische Marketingsprüche, mit denen man sich eher blamiert, als dass sie ein cooles Image ermöglichen. Doch auch die Mitarbeiter des Vereins haben irgendwann festgestellt, dass man zwar die Vielfalt der Stadt leben kann und auch sollte, aber niemals die Grundsätze, die Fans und die Seele des Vereins verändern kann.

Die Macht des Olympiastadions

Als ich mich im Vorfeld auf diesen Text vorbereitet habe, habe ich einige meiner Freunde gefragt, warum sie Fans von Hertha BSC geworden sind und es immer noch sind. Jeder hat über die Macht des Olympiastadions gesprochen. Es gehört zu den vielen Mythen rund um den Verein. Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Bauwerk aus der wohl dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte stammt. Damit wurde sich in der Vergangenheit aber schon häufig genug auseinandergesetzt. Das Olympiastadion steht schon lange nicht mehr für das, für was es gebaut wurde.

Doch in diesem Stadion gab es für einen jeden Fan geballte Emotionen, ein Wechsel aus Freude und Trauer. Kinder wurden und werden immer noch zu Fans in dem Stadion, ob man will oder nicht. Es ist ein Bauwerk, das für viele Hertha-Fans eine Hassliebe darstellt. Riesig, einer Hauptstadt würdig und bei weitem kein seelenloser Stadionklotz, wie er in vielen deutschen Städten steht. Dazu eine Tartanlaufbahn, die ikonisch für das Stadion ist. Auf der anderen Seite sorgt genau diese Bahn für eine extreme Entzerrung des Stadions, durch das Marathontor zieht bei schlechtem Wetter unangenehmer Wind und die Einlasssituation am Olympiastadion ist für moderne Veranstaltungen schon lange nicht mehr ausgelegt.

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Doch die Macht und Magie des Stadions sollte nicht unterschätzt werden. Am 9. November 2019, also fast genau auf den Tag 15 Jahre nach meinem Stadiondebüt, konnte ich auch meine kleinen Brüder für Hertha BSC begeistern. Die damals ebenfalls Neunjährigen mussten zwar eine 2:4-Niederlage gegen RB Leipzig mit ansehen. Aber es waren nicht die sehr schönen Tore von Timo Werner, die sie begeisterten, es war die Mauer-Choreo, die vor dem Spiel organisiert wurde. Die Retro-Trikots, die Hertha für dieses Spiel trug und die bombastische Stimmung der Ostkurve. Auch sie haben 15 Jahre nach mir zum ersten Mal den üblichen Kuttenträger gesehen, der mit einem Gürtel aus etlichen Vereinsschals und einer Bierflasche in der Hintertasche zum Stadion trottet.

Es sind noch immer dieselben Bilder und Szenen, die die Menschen vom Fußball begeistern. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie dieser Begeisterung nicht nachhaltig geschadet hat. Zusammen mit einem meiner besten Freunde ist es uns auch gelungen, seinen kleinen Bruder für Hertha zu begeistern. Kaum zu glauben nach einem 0:0 gegen den FC Augsburg, Temperaturen um den Gefrierpunkt und 90 Minuten Dauerschneeregen direkt ins Gesicht. Auch wenn es möglicherweise Zeit ist für ein neues Stadion, sollte der Verein die Macht des Olympiastadions nicht unterschätzen und beim Bau einer neuen Heimstädte darauf hoffen, dass die Seele niemals verloren geht.

Hertha
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Genauso wie die Geschichten, die den Klub ausmachen. Schwer gebeutelt vom Nationalsozialismus, zwischendurch verboten worden, aber vor allem mit einer wundervollen Gründungsgeschichte. Die Restauration des Dampfers, nach dem der Verein 1892 benannt wurde, ist zwar schon ein jahrelanges Thema, aber es ist so wichtig für die Identifikation des Vereins. Allein der Vereinsname ist einzigartig. Ebenso wie das Logo, was sich über die vielen Jahre zwar nach und nach veränderte, aber immer Wiedererkennungswert hatte und heute mit „Fahne pur“ wohl in seiner schönsten Form existiert.

Die Geschichten um den Wedding, wo das erste Stadion der Hertha stand. Die „Plumpe“ musste irgendwann Wohnhäusern Platz machen, doch ein kleines Denkmal steht noch. Schon zur Zeit der Deutschen Teilung war Hertha ein Sehnsuchtsort vieler Menschen, die Fans heutiger Lokalrivalen waren und vom Osten aus versuchten die Atmosphäre des von der Mauer nur wenige hundert Meter entfernten Stadions zu erleben.

Oder die vielen Weddinger Talente, die Hertha in den 2000er Jahren von den Bolzplätzen locken konnte. Die Boatengs, Ben Hatiras, Dejaghas und Eberts sorgten für eine nie dagewesene Spielergeneration, die für einen unfassbaren Imagebooster des Vereins sorgten.

Hertha ist …

Hertha ist nicht das plastische Marketingprojekt, was man mit der modernen Start-Up-Mentalität kreieren möchte. Hertha ist eine trockene, zu harte Brezel im Olympiastadion oder fantastische Hotdogs, die leider viel teuer sind. Der Verein ist ein fettiges Schnitzelbrötchen, an dem man sich beim ersten Bissen ziemlich fies den Gaumen verbrennt und letztendlich schmeckt es dennoch köstlich. Hertha ist eine schier unendliche U-Bahn-Fahrt. Für mich, der aus Pankow kommt, heißt es einmal komplett die U2 zu fahren, um am Olympiastadion anzukommen.

Man kennt die Geschichten, dass sich Fans an einem bestimmten Ort in ihrer Stadt treffen und dann gemeinsam zum Stadion pilgern und von Straße zu Straße die Leute dazustoßen. Das ist in einer Metropole wie Berlin nur schwer zu organisieren. Aber eine U-Bahnfahrt ist vergleichbar. Wenn Spieltag ist, ist Spieltag und das merkt man. An jeder Station steigt jemand dazu. Spätestens ab der Station Zoologischer Garten ist die Bahn rappelvoll und die Stimmung wird heißer. Der Weg vom Bahnhof bis zum Stadion gehört zum Ritual, zum Spannungsaufbau. Genauso wie das kleine Wäldchen, das viele gerne für ihre letzte Notdurft nutzen.

Ich denke Hertha-Fans wissen, was ich meine. Hertha steht nicht nur für Charlottenburg-Wilmersdorf, wo das Olympiastadion steht oder für den Wedding, wo früher gespielt wurde. Der Verein steht für die komplette Millionenstadt, hat Fans in jedem Winkel, sogar im Speckgürtel und in Brandenburg. Man fühlt, dass man als Herthaner niemals allein ist. Ein Gefühl, dass Fans von Vereinen, die sich nie getraut haben über einen einzigen Bezirk hinwegzuschauen, möglicherweise nicht kennen. Irgendwer vor dir an der Supermarkt-Kasse hat immer eine EC-Karte im Hertha-Style. Vor ein paar Tagen habe ich eine Aussage gehört. die mich sehr schmunzeln ließ. „Hertha ist eine augenscheinlich langweilige Person, die in irgendeiner verrauchten Altberliner Kneipe sitzt und vor ihrer Biertulpe übers Leben meckert. Aber wenn man sich mit ihr beschäftigt, hat die Person Unmengen zu erzählen.“

Und so ist es. Sportlich sind es unfassbar schwere Zeiten und wir alle wünschen uns, dass die Mannschaft schnell zurück in ruhige Fahrgewässer findet und bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber auch wenn es den Verein nach neun Jahren wieder treffen sollte, dann ist es unfassbar traurig und es wird gerade im personellen Bereich riesige Veränderungen geben. Doch eines ist sicher. Die Geschichte und die Seele bleiben für immer und es liegt an uns sie weiterzuschreiben.

HaHoHe

[Titelbild: TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images]