„Endlich wieder Fußball“, wird sich Kélian Nsona am Dienstagvormittag gedacht haben. Die junge Neuverpflichtung von Hertha BSC stand nämlich nach monatelanger verletzungsbedingter Pause wieder auf dem Fußballplatz und trainierte individuell. Auch wenn noch ein langer Weg vor ihm liegt, ist das eine erfreuliche Nachricht. Der junge Flügelstürmer vom „Stade Malherbe Caen“ dürfte sicherlich für die meisten Fans noch unbekannt sein. Deshalb werfen wir einen Blick auf den 19-Jährigen, und darauf, was er Hertha BSC in Zukunft bringen kann.
Wir versuchen alle wichtigsten Fragen zum Neuzugang zu klären. Eine ganz besondere Hilfe war uns dabei SM Caen-Experte Fabien (auf Twitter @StatMalherbe), der nicht nur in 2020 einen absolut lesenswerten Artikel über Nsona veröffentlichte (hier in französischer Sprache abrufbar), sondern auch einige unserer Fragen beantwortete.
Wer ist Kélian Nsona?
Wie auch sein neuer Mitspieler Myziane Maolida kommt Kélian Nsona ursprünglich aus der Pariser Region. Er spielte als Kind auch bis zum fünfzehnten Lebensjahr in der französischen Hauptstadt und Umgebung, zunächst in seinem Heimatclub von Ivry-sur-Seine und danach beim Paris FC, bevor er dann in die Jugendakademie des SM Caen aufgenommen wurde.
Dort wurde er von 2017 bis 2021 ausgebildet, wo er bis zu seinem Wechsel zu Hertha BSC blieb. In der Zeit machte er mit 17 Jahren sein Profidebüt in der Saison 2019/2020, bevor er in der Folgesaison richtig durchstarten und 30 Saisonspiele absolvieren konnte. Dabei erzielte er zwei eigene Treffer. Zudem spielte er auch in Frankreichs U17 und U18, kam in der U17 Europameisterschaft bis ins Halbfinale.
Eigentlich schien die Entwicklung des jungen Franzosen steil nach oben zu gehen. Leider wurde sie im Juli 2021 abrupt gestoppt. Ein Kreuzbandriss warf den damals 18-jährigen Nsona zurück, der diese schwere Verletzung seitdem auskurierte. Einen Neustart beim Ausbildungsverein Caen sollte es jedoch nicht mehr geben: bereits in der Winterpause war sein Wechsel zu Hertha BSC offiziell.
Warum diese Verpflichtung?
Doch warum hatte Hertha BSC Interesse an Nsona? Bevor wir auf die Stärken und Schwächen des Spielers eingehen, lohnt sich der Blick auf dessen Position. Der 19-Jährige ist ein klassischer Flügelstürmer. Die meisten Einsätze absolvierte er als Linksaußen.
Die Flügelstürmer-Position ist bei Hertha BSC, das ist bekannt, bereits seit Jahren äußerst dünn besetzt. So dünn, dass Spieler wie Suat Serdar oder Jurgen Ekkelenkamp regelmäßig auf den Außenpositionen aushelfen müssen. Wenig verwunderlich also, dass Bobic und co. nach Lösungen suchen, um diese Lücke langfristig zu schließen. Sowohl Stamm- als auch Ergänzungsspieler werden benötigt.
Nsona stand nicht nur bei Hertha auf der Scoutingliste und hätte wohl ganz andere Interessenten gehabt, wenn sein Kreuzbandriss ihn nicht aus der Spur geworfen hätte. Zudem lief sein Vertrag im Sommer aus, sodass er für wenig Geld zu holen war. Gute Gründe also, warum in diesem Fall eine Verpflichtung aus Hertha-Sicht Sinn ergab.
Was sind seine Stärken?
Doch die Frage bleibt, was Nsona tatsächlich zu bieten hat. Eine ganze Menge, so scheint es, denn der junge 19-Jährige hatte bis zu seiner Verletzung sportlich durchaus überzeugt. Mit 1,89 Metern ist er für einen Außenstürmer besonders groß, weiß auch diese Körpergröße in Zweikämpfe einzusetzen und ist da nicht leicht aufzuhalten. Dazu ist er beidfüßig und somit sowohl links als auch rechts einsetzbar. Was ihn ebenfalls auszeichnet, ist sein Fleiß und seine Laufstärke: auch ohne Ball ist er sich nicht zu schade, die Räume zuzulaufen und Defensivaufgaben zu übernehmen.
Die bereits angesprochene Körpergröße und Physis ist bei Nsona besonders wertvoll bei Defensivzweikämpfen und sorgt dafür, dass er viele Duelle für sich entscheidet. Zudem hat der Franzose eine gute Technik. Doch seine wohl größte Waffe ist seine Schnelligkeit, welche er öfters bei Tempo-Dribblings nutzt. Pro Spiel weist er einige Tempoläufe und Sprints auf.
Er hat auch bereits sein Lieblingsdribbling gefunden: auf der linken Außenseite nimmt er den Ball mit dem rechten Fuß und täuscht an, dass er nach Innen dribbeln wird. Stattdessen legt er sich aber den Ball in die Tiefe weit vor und erwischt seinen Bewacher auf den falschen Fuß. Eine simple, jedoch sehr effektive Technik, mit welcher er bereits öfters erfolgreich war.
So versucht er sich nicht nur oft beim Dribbling: seine Erfolgsquote ist ebenfalls besonders hoch (über 65% erfolgreiche Dribblings). Nsona weist also mehrere Stärken auf, die ihn für Hertha BSC besonders wertvoll machen könnten. Um auf Bundesliganiveau erfolgreich zu sein, wird er allerdings noch an sich arbeiten müssen, denn an einigen Stellen ist noch Verbesserungspotenzial.
Was sind seine Schwächen?
Die soeben beschriebenen Stärken kollidieren mit Schwierigkeiten, die einige junge Spieler auf den Außenbahnen aufweisen. Die Dribblingstärke von Nsona bringt leider noch zu selten Torgefahr mit sich. Tatsächlich kann er sich wie bereits angesprochen oft erfolgreich durchsetzen, ob im Laufduell oder Dribbling. Allerdings befindet er sich dann oft weit Außen, wo der Winkel zum Tor spitz wird und der Strafraum auch oft mit Defensivspielern gut besetzt ist.
So findet er sich nur selten in guten Schusspositionen wieder. Zudem sind seine Flanken und Hereingaben noch verbesserungswürdig. Außerdem fehle in seinem Spiel noch die Vielseitigkeit, erklärt uns Fabien: „Er schaltet seine Gegner zu oft auf die gleiche Weise aus. Er muss Gegenspieler auch anders ausspielen können. Generell muss er in der Lage sein, die Offensive auf unterschiedliche Weise zu prägen. Das ist seine größte Herausforderung.“
Auch die bereits angesprochene Dribbling-Variante von Nsona wird bei den Verteidigern der Bundesliga irgendwann bekannt und einfacher zu antizipieren sein. Allerdings kann man sich an dieser Stelle auch an einen gewissen Arjen Robben zurückerinnern, der ebenfalls immer wieder dieselbe Dribbling-Variante wählte (allerdings mit Läufen nach Innen anstatt nach Außen wie Nsona). Obwohl viele Verteidiger genau wussten, was der Niederländer versuchen würde, war dieser trotzdem kaum aufzuhalten. Auch wenn Robben ein ganz anderer Level ist: das kann Nsona Mut machen.
Wie „tickt“ der Spieler?
„Mentalität“ ist spätestens seit den Aussagen von Fredi Bobic im Sommer bei Hertha BSC ein Dauerthema. So ist natürlich die Frage, wie Nsona auch vom Charakter her in die Mannschaft passt, wichtig. Dass ähnlich wie bei Lucas Tousart oder Myziane Maolida die Sprache ein Faktor sein wird, ist klar. So wird seine Integration länger dauern und kompliziert sein. Immerhin hat er Landsmänner, die ihm da zur Seite stehen können.
Der 19-Jährige ist in seinem Ex-Club in Sachen Mentalität nicht negativ aufgefallen. Zwar hätten sich laut Fabien einige Fans geärgert, dass er seinem Ausbildungsclub nicht länger die Treue hält, allerdings sei es auch nachvollziehbar, dass ein junger Spieler mit auslaufendem Vertrag nicht unbedingt in Caen bleiben wolle. Die Ablösesumme (zirka 500.000 Euro) sei ein kleines Trostpflaster.
Wie er sich auf dem Platz verhält, konnte man dafür bereits beim SM Caen beobachten. „Seine Emotionen sind auf dem Spielfeld kaum sichtbar: keine Frustration, keine Verärgerung, kaum Freudensausbrüche. Er ist in seiner Blase“, erzählt Fabien. „Gegen Ende der Saison überspielte er ein wenig, indem er alleine Durchbrüche versuchte und sich von den anderen abkoppelte.“
Was die taktische Disziplin und Defensivarbeit von Nsona angeht kann uns Fabien beruhigen : „Dupraz (Trainer vom SM Caen 2020/21) hat ihn in die Mannschaft geworfen, weil er auch ohne Ball zuverlässig war: er hielt sich an den Spielplan, wiederholte die eintrainierten Läufe, nahm seine Gegenspieler in Deckung…An seinem defensiven Engagement gibt es nichts zu bemängeln.“
Kann er Hertha jetzt schon helfen?
Ob der Franzose bereits in der Rückrunde eine echte Option werden kann, ist eher unwahrscheinlich. Die Rückkehr im Einzeltraining ist nur der erste Schritt. Auch wenn er in der Rückrunde fit genug wird, müsste er sich noch an seine neue Mannschaft und seine neue Liga gewöhnen. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass er in den letzten Saisonspielen als Joker eine Option wird.
Fredi Bobic erklärte aber deutlich, dass Nsona nicht sofort helfen soll, sondern zunächst die restliche Saison nutzen soll, um wieder hundertprozentig fit zu werden: „Er ist ein Spieler, den wir eigentlich eher für den Sommer haben wollten. Er soll erstmal ankommen, die Sprache lernen. Er soll richtig aufgebaut werden.“ Anders als seine zwei Landsmänner bei Hertha BSC wird er nicht erst mit der Sommervorbereitung ins kalte Wasser geschmissen. Die fängt bei Nsona quasi bereits jetzt schon an.
Vom System her ist er laut Fabien ein System mit einer Viererkette gewöhnt: „In der Zeit, in der Caen mit drei Innenverteidigern spielte, hat er weniger gespielt, da er als Flügelstürmer eingesetzt wird. Er ist noch nicht sehr vielseitig einsetzbar. Er zeigte sich vor allem in einem eher wenig expansiven und enthusiastischen Fußball.“
Was darf man von Nsona jetzt erwarten?
„Wenig expansiven und enthusiastischen Fußball“ wird Nsona natürlich zunächst einmal bei den „blau-weißen“ wiederfinden. Er bringt jedoch genug Qualität mit, um seine neue Mannschaft mittelfristig besser zu machen.
Dass er mit seinen 19 Jahren noch kein „fertiger“ Spieler sein kann, müsste jedem klar sein. So wird er wohl auch nicht bereits in der kommenden Saison die Liga auseinandernehmen. So groß das Potenzial und auch der Bedarf auf seiner Position ist, so muss auch bei den Fans die Geduld groß sein.
Die Geduld könnte sich jedoch bei Kélian Nsona lohnen: die Qualitäten die er hat sind für jeden sichtbar, sein Entwicklungspotenzial quasi grenzenlos. Nsona ist also ein weiterer „typischer“ Bobic-Transfer. Eine Wette mit sehr wenig finanzielles Risiko. Ein junger, talentierter Spieler, der nach seiner Verletzung seine erste große Herausforderung als Fußball-Profi entgegenfiebert.
Ohne die Last einer hohen Ablöse oder einer absurd hohen Erwartungshaltung könnte er seinen Weg machen und Hertha-Fans viel Freude bereiten. Es wird aber auch an Fans und Umfeld liegen, ihm die Zeit und die Unterstützung zu geben. Wahrhaftig ein Spieler für die Zukunft also. Und die gehört ja Hertha, so hört man.
[Titelbild: Srdjan Stevanovic/Getty Images]