Hertha BSC­ – Arminia Bielefeld: Drei Thesen zum Spiel

Hertha BSC­ – Arminia Bielefeld: Drei Thesen zum Spiel

Tayfun Korkut startete als neuer Hertha-Trainer mit einem wilden Unentschieden gegen VfB Stuttgart. Wieder konnten die Berliner nach starker Aufholjagd nicht gewinnen. Platzt gegen die Arminia aus Bielefeld endlich der Knoten? Unsere drei Thesen zum Spiel.

Auf dem VfB-Spiel aufbauen

Freude, statt Ernüchterung: Nach dem hart erkämpften Unentschieden gegen den VfB Stuttgart urteilten viele Berliner Fans vermutlich positiv. Nach dem Tor zum 0:2 im ersten Spiel des neuen Berliner Cheftrainers Tayfun Korkut rechneten sicher viele mit noch schlimmeren.

Umso mehr muss die Reaktion der Hertha gelobt werden. Vor allem im offensiven Spiel zeigte sich etwas, was unter Dardai nur ganz selten durchblitzte: Ein Plan und eine Strategie. 15 Torschüsse (in einem Auswärtsspiel) bestätigen das. Auf der anderen Seite hingegen passierte etwas, das unter Dardai grundsätzlich weniger vorkam: Eine enorm bröckelnde Verteidigung. Vor allem im Zentrum fiel man durch eklatante Lücken auf. Auch die Linie des Mittelfelds war gegen Stuttgart viel zu weit von der Defensivlinie entfernt.

Nun kommt mit Arminia Bielefeld der Vorletzte der Tabelle ins Olympiastadion – eigentlich eine Pflichtaufgabe für Hertha. Unsere drei Thesen zum Spiel:

These 1: Viele Tore – auf beiden Seiten

Tayfun Korkut scheint sich in erster Linie den offensiven Problemen der Hertha anzunehmen. Gegen Stuttgart zeigte sich beispielsweise ein anderes Aufbauspiel, als unter Dardai. So spielten die Verteidiger etwa öfter Bälle durch das Zentrum, als über die Außen.

Ein Vorteil, baut man das Spiel über das Zentrum und nicht über die Flügel auf, sind die vielen Anspielstationen – nach vorne, zur Seite auf die Außen oder eben in die defensive. Außenspieler haben zumeist nur die Option nach hinten zu spielen, werden sie zu arg bedrängt – und das offensive Spiel somit zu verschleppen und den Angriff abzubrechen, um ihn neu aufzubauen.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Für Hertha ergeben sich aus der neuen Herngehensweise von Korkut neue spielerische Lösungen, in die gefährlichen Zonen des Gegners zu kommen. Gegen Bielefeld könnte es daher Tore für Hertha regnen.

Aber: Zwar sagte Korkut nach dem Spiel gegen Stuttgart, dass seine bisherigen Mannschaften eigentlich nicht für ihre defensiven Schwächen bekannt gewesen seien – zumindest aber im ersten Spiel unter dem neuen Coach zeigte sich Hertha extrem anfällig. Zudem haben die Berliner ligaweit die zweitmeisten Gegentore (29 Stück). Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Berliner Abwehr den Bielefelder Sturm zum Tore schießen einladen wird.

These 2: Der Knoten platzt, drei Punkte bleiben in Berlin

Erfahrung schafft Wissen – vor allem um eigene Fehler. Nach zwei späten Gegentoren trotz Führung (der Ausgleich von Augsburg fiel in der 97. Minute, der von Leverkusen in der 90. Minute) sollte Hertha inzwischen gelernt haben, was es heißt, eine Führung zu verteidigen.

Selbst gegen Stuttgart wäre mit einem weiteren Tor der Sieg drinnen drinnen gewesen. Es wird zwar ein torreiches Spiel – doch letztlich wird Hertha gegen Bielefeld führen und den Spielstand über die Zeit bringen. Der Fluch ist geplatzt, die dringend benötigte Siegesserie kann beginnen.

These 3: Korkuts wichtigster Mann – Boateng winkt die Startelf

Für Tayfon Korkut könnte einer ganz wichtig werden, nämlich Kevin Prince Boateng. Anders als der Rest des defensiven Mittelfeldes (deshalb ist hier beispielsweise Serdar ausgenommen), versteht Boateng den Spielaufbau nach vorne. Während Ascacibar, Tousart und Darida die Bälle, die sie aus der Verteidigung bekommen, zumeist wieder in die Defensive zurückspielen, hat Boateng in diesem Punkt deutlich mehr Klasse.

hertha bielefeld
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

So versteht er es, sich bei der Ballanahme klug zu drehen, so dass er das gesamte Spiel plötzlich vor sich hat. Gleichsam behauptet er die Bälle mit seinem wuchtigen Körper im Mittelfeld stark. Andere Spieler scheinen sich die Drehung mit Ball so nah vor dem eigenen Tor kaum zu glauben – so geht ihr Blick gar nicht erst in die Offensive und Chancen werden verpasst.

Boateng aber positioniert sich so, dass er alle offensiven Spieler und die gegnerische Verteidigung und das Mittelfeld vor sich hat. So führt er Regie und verteilt die Bälle in die Spitze. Oft überspielt dabei das gesamte Mittelfeld und bringt den Ball präzise zum jeweiligen Berliner Stürmer. Für Korkut wird das wichtig werden – kaum ein anderer Spieler im Team versteht so viel vom Spielaufbau wie Boateng.

[Titelbild: Filip Singer – Pool/Getty Images]

Hertha vs. Bielefeld: Wie Korkut wirken will

Hertha vs. Bielefeld: Wie Korkut wirken will

Am kommenden Wochenende steht Tayfun Korkuts zweites Bundesligaspiel als Hertha-Trainer an. Als erste systematische Veränderung zeichnet sich ab, dass Korkut dauerhaft mir zwei Spitzen spielen lassen will. Ziel ist es, Herthas Offensive neues Leben einzuhauchen. Im zentralen Mittelfeld geht dadurch aber ein Platz verloren. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.

Serdar & Tousart zurück: Stau im zentralen Mittelfeld

Was seine Strategien und Taktiken betrifft, will sich Tayfun Korkut weiterhin nicht in die Karten schauen lassen. Auch vor seinem zweiten Hertha-Spiel (am kommenden Samstag im Olympiastadion um 15:30 Uhr gegen Arminia Bielefeld) wollte sich Herthas neuer Trainer nicht genauer dazu äußern, welche Spieler er in welcher Formation auf den Platz schicken wird. Dass Suat Serdar und Lucas Tousart nun wieder fit sind, eröffnen Korkut „Optionen“ – ob einer von beiden oder sogar beide Spielen, dazu wollte er sich aber nicht äußern.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Eines scheint sich aber jetzt schon abzuzeichnen: In Herthas zentralem Mittelfeld scheint nun regelmäßig ein Platz weniger verfügbar zu sein. Denn: Korkut schickt seine Mannschaften fast traditionell mit zwei Stürmern auf den Platz. Im Stuttgart-Spiel starteten Ishak Belfodil und Stevan Jovetic gemeinsam im Sturm. Beide machten ein gutes Spiel, beide sorgten dafür, dass Hertha schlichtweg mehr Szenen im gegnerischen Strafraum hatte.

Genau das hatten die Blau-Weißen auch bitter nötig: Hertha hatte bislang die wenigsten Strafraumszene der Liga und hat mit 15 Treffern eine der schlechtesten Torausbeuten vorzuweisen. Und so kommt Korkut völlig richtig zu dem Schluss, dass man nicht einfach nur Ballbesitz habe, sondern auch „gefährlichen Ballbesitz“.


Pal Dardai musste erneut gehen. Doch er und Hertha BSC gehören einfach zusammen – das zeigt seine gesamte Vita. Wir blicken zurück.


Korkut muss das 4-4-2 defensiv stabiler kriegen

Korkuts Offensivkonzept geht aber zulasten der defensiven Stabilität. Denn: Durch den zweiten Stürmer hat ein zentraler Mittelfeldspieler weniger Platz in der Startelf. Gegen Stuttgart spielten Vladimir Darida und Santiago Ascacibar im zentralen Mittelfeld.

Unter Dardai wäre dann noch ein weiterer, offensiver Platz offen gewesen, den oftmals Suat Serdar einnahm. Bleibt Korkut bei seiner Zwei-Stürmer-Taktik, muss also entweder einer der beiden „Sechser“ für Serdar weichen oder Hertha spielt weiterhin mit zwei defensiven, zentralen Mittelfeldspielern (zum Beispiel Tousart/Ascacibar) und verzichtet auf Serdar – aufgrund dessen Klasse ist dies aber recht unwahrscheinlich.

hertha bielefeld
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

In jedem Fall bringt diese Taktik auch ein gewisses Risiko mit sich: Denn die Unterbesetzung in der Zentrale könnte in mangelnder Kompaktheit und Stabilität resultieren. Genauso ist es auch im Stuttgart-Spiel passiert: Hertha wurde zweimal eiskalt ausgekontert und hatte in der Mitte wenig Gegenwehr zu bieten.

Eine Möglichkeit, dieses Problem anzugehen, wäre ein Formationswechsel. Korkut hat in der Vergangenheit nicht nur das flache 4-4-2 spielen lassen, sondern auch in einer Raute aufgestellt. Damit schafft man zum einen mehr defensive Stabilität, zum anderen würden auch gleich mehrere zentrale Mittelfeldspieler in diesem System Platz finden. Dafür müsste Hertha die offensiven Flügelspieler aufgeben, die in dieser Saison aber ohnehin eine Schwachstelle darstellen, zumal ein Marco Richter auch als Halbstürmer fungieren kann.

Gegen Bielefeld: Zwischen Geduld und Zielstrebigkeit

Korkut sagte auf der Pressekonferenz am Donnerstag, dass diese „defensiven Schwierigkeiten“ in dieser Woche thematisiert worden seien. Wie genau er mit seinen Spielen über die Abwehrschwächen gesprochen habe, wollte er aber wieder nicht verraten und flüchtete sich in Allgemeinplätze: „Es geht darum, dass wir uns aufeinander verlassen können. Wir müssen die Fehler aus unserem Spiel verbannen“, so Herthas neuer Coach.

Korkut geht jedenfalls davon aus, dass Hertha ein „sehr unbequemer Gegner“ erwarte, der kompakt und leidenschaftlich verteidige. Man müsse geduldig und zielstrebig zugleich sein, so Korkut. Damit dürfte Korkut richtig liegen. Denn Bielefeld hat zwar erst 10 Tore erzielt – aber auch erst 20 kassiert. Insofern ist Herthas neue Doppelspitze am Wochenende gefragt.

[Titelbild: Alexander Hassenstein/Getty Images]

Pal Dardai: Für immer Herthaner

Pal Dardai: Für immer Herthaner

Pal Dardai ist seit dem 29. November 2021 nicht mehr Cheftrainer der Profimannschaft von Hertha BSC. An diesem Montagmorgen ist etwas zu Ende gegangen und auch zerbrochen. Doch noch besteht die Hoffnung, dass die Legende dieses Mannes so groß ist, dass der Bruch reparabel ist und man wie am Ende einer Liebesbeziehung versucht ein vernünftiges Miteinander zu ermöglichen und in romantischen Erinnerungen zu schwelgen.

Der verwirrte Blick aufs Handy

An jenem Morgen setzte ich mich gerade an meinen Rechner im Homeoffice, um der allwöchentlichen Germanistik-Vorlesung zu lauschen. Während ich den Worten meines Profs folgte, vibrierte mein Smartphone. Mein bester Freund schickte mir einen Screenshot von einem Artikel, der von der Homepage von Hertha BSC stammen sollte. Pal Dardai sei nicht mehr länger Trainer von Hertha BSC und Tayfun Korkut würde mit sofortiger Wirkung übernehmen war die Quintessenz dieses Textes. Ich schmunzelte ein wenig und beschloss später zu antworten.

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(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Als netten Spaß abstempelnd wollte ich mich wieder meiner Vorlesung widmen. Doch so richtig ließ mich das Thema nicht los. Ich griff direkt wieder zum Smartphone fragte nach der Quelle und ob das ein Spaß oder Fake oder etwas in der Art sei. Denn auch meine parallele Internetrecherche brachte noch keinen Treffer. Mein alter Freund aus Kindestagen war bekannt für Scherze dieser Art, doch leider bestätigte er mir die Echtheit dieses Artikels.

Wo warst du, als…?

Verwundert und mit einem Anflug von Panik startete ich eine zweite Recherche. Und diese sollte ein Volltreffer sein. Innerhalb weniger Minuten gingen sämtliche einschlägigen Medienhäuser mit dieser Meldung raus, manche zum Teil per Eilmeldung und Push-Benachrichtigungen auf mein Smartphone. Eins war klar, die Vorlesung war für den heutigen Tag durch.  

Am späten Abend noch desillusioniert sein, keine Worte für die Situation zu finden und einfach nur das warum und weshalb in Frage stellen – alles Reaktionen, die die Trainerentlassung hervorriefen. Es gibt diese „Wo warst du, als…“-Momente im Leben. Jener Montag am Ende des Novembers 2021 gehört freilich für jeden Fan von Hertha BSC dazu.

In den letzten Jahren hatte man als Herthaner leider einige dieser Momente. Ob es die Klinsmann-Tagebücher waren, das Kalou-Video oder der Moment, als klar war, dass sich die Mannschaft im Saisonendspurt 2020/2021 und im tiefen Abstiegskampf steckend in Quarantäne begeben musste. Immerhin hatte dieses Himmelfahrtskommando ein positives Ende. Entscheidender Akteur dabei: Pal Dardai.

Wie der Spieler, so der Trainer

Als Pal Dardai 1997 sein erstes Spiel für Hertha BSC bestritt, hätte niemand gedacht, dass der FC Augsburg mal so eine feste Größe in der Karriere des Ungarn werden würde. Doch am letzten Spieltag der Saison 2010/2011 wurde er nach 297 Pflichtspielen und damit als Rekordspieler der Hertha verabschiedet. Der FC Augsburg war im restlos ausverkauften Olympiastadion zu Gast.

Gemeinsam stiegen beide Vereine nach einem 2:1 Heimsieg der Hertha in die Bundesliga auf. Dardai erzählte einige Jahre später von seiner Ehrenrunde mit Sohn Bence auf den Schultern. Michael Preetz empfahl ihm damals seinen Sohn mitzunehmen, um zu verhindern, vor der riesigen Masse an Fans in Tränen auszubrechen.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Irgendwie beschreibt genau das Pal Dardai. Ein emotionaler Mann, dem vieles nahegeht, der motivieren kann, mit seinen Ausbrüchen auch gerne über die Stränge schlägt und in kleineren Runden, wie im Team und auf Pressekonferenzen, den witzigen und nahbaren Pal zeigt. Doch je größer die Versammlung, desto anonymer möchte er sein. Er ist nicht interessiert an dem großen Brimborium um seine Person. Er möchte nicht die Aufmerksamkeit durch Tränen bekommen.

Genau diese hätte man ihm nach seinem vorerst letzten Spiel als Trainer von Hertha BSC aber durchaus zugestanden. Wieder war es der FC Augsburg, der zu seinem letzten Spiel zu Gast war. Doch die Zeiten sind andere. Das Stadion war wegen der Corona-Pandemie nur spärlich gefüllt, Hertha steckt im Abstiegskampf und ist auf der Suche nach sich selbst.

Pal Dardai: Das Herzstück

In seiner Zeit bei Hertha ist Dardai mehr gewesen, als nur Spieler und Trainer. Er war das Herzstück in einem sich zunehmend verändernden Verein. Als Spieler war er hinter den Zauberern und Genies wie Marcelinho, Gilberto oder Pantelic nicht wegzudenken. Jemand musste schließlich als Malocher fungieren.

Foto: Michael Cooper /Allsport

Mit seinem Siegtreffer beim Spiel gegen die Bayern 2001 machte er sich unsterblich. In jenem Spiel traf mit Andreas „Zecke“ Neuendorf eine weitere Vereinsikone und Teil des entlassenen Trainerteams. Er machte in den vielen Jahren praktisch alles mit, was im Profifußball möglich war. Mit Hertha spielte er Champions League, im Uefa Cup, später in der Europa League; Er stieg ab und nach einem Jahr in der 2. Bundesliga zum Abschied seiner Karriere wieder auf.

2009 hatte er in der legendären Fast-Meistersaison am 33. Spieltag gegen den FC Schalke 04 den Siegtreffer auf dem Fuß. Nicht auszudenken, was möglich gewesen wäre, wenn ihm der Schuss und das Tor geglückt wären.

Ohne sich anzubiedern, sich selbst und Hertha treu geblieben

Als Spieler hatte er es nie nötig hochtrabende Sprüche über sich selbst zu liefern. Er war eher der Mitspieler, der mit Körpereinsatz Bälle und Gegner abräumte. Der arbeitete. Nach dem Spiel ging es nach Hause ins private, wo allerhöchstens noch eine Flasche Rotwein geöffnet wurde.

Wirklich launisch und pointiert wurde er erst als Trainer. Pressekonferenzen und Interviews entwickelten sich gerne mal zu Plauschs mit den Journalisten und es gab genügend markige Sprüche von ihm, die Schlagzeilen und Stoff für die Medienwelt bedeuteten. Von Milchreis-Anekdoten in Hoffenheim, über Alligatoren in der Kabine, bis hin zum Vergleich zwischen Dodi Lukebakio und dem australischen Riesenkänguru bot er zahlreiche witzige Momente.

Mit seiner offenen Art schien er im durchgescripteten Fußball-Business etwas aus der Zeit zu fallen, ebenso wie mit seinem Ballonseide-Trainingsanzug. Während immer mehr Trainer in der Bundesliga im feinen Zwirn an der Seitenlinie ihre Teams coachen, betonte er seine Funktion als arbeitender Trainer.

(Photo by Friedemann Vogel – Pool/Getty Images)

Aber auch nur als für Hertha arbeitender Trainer. Als er 2019 nach 4,5 Jahren als Cheftrainer der Alten Dame in ein Sabbatjahr ging, hielt er sein Wort, nach seiner Pause in die Jugendakademie der Berliner zurückzukehren. Und das trotz einiger Angebote aus der Bundesliga.


Auch in der aktuellen Podcast-Folge blicken wir noch einmal auf die Arbeit von Pal Dardai zurück. Außerdem analysieren wir das Korkut-Debüt in Stuttgart und sprechen über Neuzugang Bjørkan.


Die Balance zwischen Witz und Frust verloren

Pal Dardai blieb sich, seinem Charakter und Hertha BSC immer treu. Allerdings veränderte sich etwas. Es wirkte manchmal wie das Auseinanderleben in einer Beziehung. Hertha wollte mehr als den Malocher-Fußball, der zwar temporär erfolgreich war, aber nichts langfristiges bot. Der Abschied 2019 war ein sauberer Schnitt. Der zweite Abschied vom Profi-Fußball. Er war müde und ausgelaugt, musste dringend seinen Akku aufladen.

Das Verhältnis zum damaligen Manager Michael Preetz galt als schwer angeschlagen. Journalist:innen watschte er auf Pressekonferenzen ab, er verrannte sich zunehmend in wirren Aussagen, deren Wahrheitsgehalt praktisch gen null ging und warf mit Schuldzuweisungen wild um sich. Während das Team damals wieder einmal in der Rückrunde komplett einbrach, besaß Dardai nicht mehr die Kraft, das Ruder rumzureißen und es zu einem sportlich versöhnlichen Ende zu bringen.

Doch persönlich sollte er das bekommen. Am 34. Spieltag der Saison 2018/2019 kassierte Hertha – wie sollte es anders sein – zwar zum Saisonabschluss eine herbe 1:5-Klatsche gegen Bayer 04 Leverkusen, doch das Spiel war zweitrangig. Denn mit Fabian Lustenberger und Pal Dardai wurden zwei der größten Legenden des Vereins von den Fans mit schier endloser Liebe verabschiedet. Es war das einvernehmliche Ende einer langen Beziehung.

Ohne Dardai fehlte es an Bodenständigkeit und Nahbarkeit

Zwischen dem Abschied im Sommer 2019 und der Rückkehr ins Profigeschäft im Januar 2021 schien eine endlos lange Zeit vergangen zu sein. Die Hertha, die praktisch seit dem Abgang Dardais in einer Selbstfindungsphase war und endlich wieder zur Ruhe kommen wollte, hatte sich beim Versuch mehr als nur die graue Maus der Bundesliga zu sein, ordentlich verhoben.

Der Windhorst-Einstieg, Jürgen Klinsmann als Trainer, die Transferphase im Winter 2020 und ein nie dagewesenes Mediengewitter ließen dem Verein keine Zeit zum Durchatmen. Der Verein hatte sich in seiner Außendarstellung stark verändert und auch innen wurde vor allem mit Carsten Schmidt ein Mann installiert, der Hertha BSC von Grund auf umkrempeln wollte.

Doch Ende 2020 steckte man mit Bruno Labbadia an der Seitenlinie im Abstiegskampf, der nach einem 1:4 gegen Werder Bremen nach dem 18. Spieltag entlassen wurde. Auch mit Michael Preetz, dessen letzte Patrone verschossen war, musste ein Gesicht der Hertha nach 25 Jahre den Verein verlassen. Es war das Ende der Gemütlichkeit und der Akzeptanz im Mittelfeld zu versinken.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Am Ende benötigte man im Frühjahr also wieder die Hilfe des Ungarn, der in der Jugendakademie seine Berufung gefunden zu haben schien. Zusammen mit seinen Co-Trainern Admir Hamzagic und „Zecke“ Neuendorf kamen altbekannte Gesichter mit ihm zurück und verliehen Hertha wieder eine gewisse Bodenständigkeit und Retro-Look, der in den windigen Zeiten guttat.

Die Rückkehr wird zur Achterbahn der Gefühle

Pal Dardai wieder auf dem Trainingsplatz, auf Pressekonferenzen und auf der Trainerbank zu sehen, tat gut. Nicht unbedingt wegen des Fußballs auf dem Rasen, der nur in seltenen Momenten wirklich ansehnlich war. Vielmehr hatten die Fans wieder jemanden, mit denen man sich identifizieren konnte.

Endlich wurde nicht mehr von Big City Club, Low-Hanging Fruits und der Champions League gequatscht, sondern über das, was den Verein so viele Jahre ausgemacht hatte: Identifizierung, Arbeit und der Teamgedanke. Die Liebe war zurück. Es war, als würde man es nochmal miteinander probieren, nachdem sich jeder in der Beziehungspause ausgetobt hatte.

Die Mannschaft steckte bis zum Ende der Saison im tiefen Abstiegskampf. Pal Dardai und dem Trainerteam kann es nicht hoch genug angerechnet werden, wie sie aus einem Haufen von hochtalentierten Fußballern, aber etlichen Ich-AGs, den nötigen Teamgeist gekitzelt und den Klassenerhalt geschafft haben.

(Photo by Annegret Hilse – Pool/Getty Images)

Nach der Corona-bedingten Quarantäne musste das Team innerhalb von drei Wochen sieben Spiele absolvieren. Die Mannschaft nahm den Kampf an. Das Ende vom Lied war ein strahlender Pal Dardai, der mit Zigarre im Mund dem aktuellen Sportstudio ein Interview gab und damit Bilder für die Ewigkeit lieferte.

Heiße Liebe, die schnell abkühlte

Es folgte eine Sommerpause und Vorbereitung, in der Dardai bemüht war, seine alten Tugenden einfließen zu lassen. Er gab vielen Jugendspielern Chancen, führte sie an den Kader heran. Spielern, wie dem chronisch glücklosen Davie Selke, ermöglichte er etliche Einsätze, die er zumindest in der Vorbereitung auch dankend nutzte.

Doch ein unterirdischer Saisonstart zeigte altbekannte Probleme und Abnutzungserscheinungen zwischen Trainer und Verein. Durch den neuen Sportvorstand Fredi Bobic war die Leine für Dardai viel kürzer als noch vor zwei Jahren unter Michael Preetz. Die Leistungen des Teams und insbesondere sein Anteil wurden kritischer beäugt als zuvor. Seine Äußerungen wurden von nun an kommentiert und bewertet. Fredi Bobic sprach offen darüber, dass er Pal Dardai hätte entlassen müssen.

(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Dieser verfiel wieder in altbekannte Muster. Wie schon 2019 in den Wochen vor dem Ende seiner ersten Amtszeit äußerte sich Dardai auf Pressekonferenzen extrem Ruf-schädigend. Er bot mehrfach seinen Rücktritt an, sprach von sich selbst in der dritten Person und redete sich und seine Leistungen klein, sowie die angebliche Erwartungshaltung von außen unermesslich groß.

Der Eindruck, einfach so schnell es geht wieder aus der Schusslinie der Medien zu gelangen, festigte sich und machte ihn angreifbar. Hertha BSC und Pal Dardai hatten sich in gewisser Weise voneinander distanziert, die Gefühle füreinander waren schon lange abgekühlt.

Eine Rückkehr für Dardai muss möglich sein

Auch wenn die Entlassung nach dem Spiel gegen den FC Augsburg recht überraschend kam, ist sie durchaus vertretbar. Die Frage, wie Pal Dardai selbst das sieht, muss gestellt werden. Aber wahrscheinlich hat er es nicht nötig, die Antwort der Öffentlichkeit zu geben.

Es bleibt zu hoffen, dass das Verhältnis zu Fredi Bobic soweit intakt ist, dass beide Seiten bereit wären, es nochmal miteinander zu versuchen. Auf absehbare Zeit bestimmt nicht als Cheftrainer der Profimannschaft. Sicherlich wäre aber für Pal Dardai, dem Rekordspieler Hertha BSCs, einer lebenden Vereinslegende, beispielsweise ein Platz im Jugendbereich, seinem Wunschort, frei.

(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Doch bis es dazu wieder kommt muss Zeit vergehen. Man muss sich wieder vermissen lernen, um einen neuen Versuch miteinander zu starten. Zusätzlich muss sich Hertha BSC endlich komplett von Dardai unabhängig machen. Eine Situation, wie die im Früher 2021, in der er der einzige Ausweg zu sein schien, darf es nicht noch einmal geben. Um das zu realisieren muss aber an ganz anderen Punkten im Verein angegriffen werden.

Im Frühjahr sollen laut Fredi Bobic Verhandlungen über die Zukunft geführt werden. Pal Dardai ist Hertha und Hertha ist Pal Dardai, aber bitte nie wieder unter Zwang.

[Titelbild: Thomas Eisenhuth/Getty Images]

Fredrik André Bjørkan – Eine Zeitenwende für Herthas Linksverteidigung?

Fredrik André Bjørkan – Eine Zeitenwende für Herthas Linksverteidigung?

Fußballerisch hat Hertha-Neuzugang Fredrik André Bjørkan schon einiges erlebt. Der norwegische Linksverteidiger ist zwar erst 23 Jahre alt, trotzdem hat er mit seinem Heimatverein Bodø/Glimt schon fast alles durch, was der Fußball zu bieten hat: Vom Abstieg aus der Eliteserien 2016 bis zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte 2020 war Bjørkan dabei, von Spielen in der norwegischen zweiten Liga bis zu einem historischen 6:1 gegen die AS Roma und „The Special One“ José Mourinho. Zum neuen Jahr wechselt der Linksverteidiger nun zu Hertha BSC.

Endet die Plattenhardt-Ära?

Internationaler Fußball, der erste Titel seit langer Zeit, eine klare Spielphilosophie, Eigengewächse als tragende Säulen des Teams: Bodø/Glimt ist gewissermaßen dort, wo Hertha BSC gerne wäre. Der Transfer eines einzelnen Spielers aus Nord-Norwegen nach Berlin wird zwar nicht dazu führen, dass Hertha BSC im kommenden Sommer deutscher Meister wird. Und trotzdem, Fredrik André Bjørkan bringt das Potenzial mit, den Verein zumindest auf der Linksverteidiger-Position entscheidend voranzubringen.

Bjørkan hertha
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

In den vergangenen Jahren gab es bei Hertha kaum eine Position, die keiner Veränderung unterworfen wurde. Im Zuge des Windhorst-Einstiegs wurde der Kader mehrfach umgebaut. Nur hinten links, da blieb alles, wie es seit dem Abgang von Johannes van den Berg war: Marvin Plattenhardt als Stammkraft, Maximilian Mittelstädt als sein Thronfolger. Mit Bjørkan kommt nun auch hier ein neuer Spieler – endlich, mag so mancher denken.

Bjørkan: Ein offensiver Linksverteidiger für Hertha?

In seinem ersten Interview bei Hertha beschreibt sich Bjørkan als „offensiver Linksverteidiger“, das Spiel nach vorne liegt ihm nach eigenen Aussagen am meisten. Dazu bringt er fünf Tore und vierzehn Vorlagen aus den letzten drei Jahren als Empfehlung mit – und dabei tritt er im Gegensatz zu Marvin Plattenhardt keine Standards.

Bjørkans größte Stärken kommen ohne Frage dann zum Tragen, wenn er den Ball am eigenen Fuß hat. Mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Physis kann er Drucksituationen gut im Dribbling lösen. Mit 54 erfolgreichen Dribblings in der aktuellen Saison liegt er in dieser Kategorie auf Platz eins in der Eliteserien. Dabei ist er aber längst nicht eindimensional und berechenbar und dribbelt immer die Linie entlang, sondern zieht auch gerne in die Mitte.

Dazu ist Bjørkan auch sehr kombinationssicher und bringt eine gute Übersicht mit: In der aktuellen Saison hat er ligaweit die meisten Pässe im letzten Drittel an den Mann gebracht, dazu stellt er mit 42 Torschussvorlagen den Bestwert in dieser Kategorie bei Bodø-Glimt. Beides ist für einen Außenverteidiger eher ungewöhnlich – und Zeichen dafür, wie wichtig Bjørkan für den Erfolg des Vereins ist und war.


Wie wir die Verpflichtung von Frederik Andre Bjørkan finden, haben wir auch in unserer aktuellen Podcast-Folge besprochen, in der wir auch auf das Debüt von Tayfun Korkut beim 2:2 gegen den VfB Stuttgart eingehen.


Bjørkan in Bodø/Glimts taktischer Ausrichtung

Allerdings lassen sich auch andere Gründe für diese Zahlen finden. Durch die extrem hohen Ballbesitzanteile in der Eliteserien agiert Bodø/Glimt zumeist nur im Spielaufbau im 4-3-3 und in der gegnerischen Hälfte eher in einer Art 2-3-5, wobei Bjørkan in zwei verschiedenen Rollen eingesetzt wurde:

Häufig rückte Bjørkan ins Mittelfeld ein und spielte als invertierter Außenverteidiger in einer relativ zentralen Rolle im Dreiermittelfeld, in der seine Aufgaben eher denen eines zentralen Mittelfeldspielers ähnelten. Es ist in weiterer Beweis dafür, dass der 23-Jährige ein größeres Skillset als Herthas aktuelle Linksverteidiger mitbringt.

(Photo by Paolo Bruno/Getty Images)

Bjørkan spielte aber auch oft dort, wo man einen Linksverteidiger in der Offensive klassischerweise erwartet: Auf Linksaußen in der Nähe der Außenlinie. Dort stellte er auch seine Fähigkeit zu flanken unter Beweis, wobei er meist versucht, Situationen spielerisch und nicht mit hohen Bällen ins Zentrum zu lösen.

Und auch defensiv hat Bjørkan durchaus seine Stärken. Ligaweit hat er die meisten Bodenzweikämpfe gewonnen, bei einer Zweikampfquote von knapp 60 Prozent. Bei Kopfballduellen muss er dagegen noch zulegen, hier gewinnt er gerade einmal knapp jeden dritten. Wieviel Sicherheit und Stabilität Bjørkan in der Bundesliga ausstrahlen wird, lässt sich aber schwer abschätzen.

Aus Bodø ist er zudem ein aggressives Gegenpressing sowie generell hohes Pressing gewohnt. Vielleicht ist er also auch ein Vorgriff für den Fußball, den Hertha ab kommendem Sommer mit dem neuen Trainer spielen möchte.

Wie groß ist der Sprung aus der Eliteserien in die Bundesliga?

Angesichts der aktuellen Leistungen von Herthas Linksverteidigern dürfte eine Frage vielen Fans besonders unter den Nägeln brennen: Wie viel Zeit wird Bjørkan brauchen, bis er eine ernsthafte Alternative hinten links darstellt? Natürlich kann man diese Frage ohne hellseherische Fähigkeiten nicht beantworten. Aber man kann mithilfe von Quervergleichen zumindest versuchen, eine Antwort abzuschätzen.

Ein naheliegender Vergleichs-Kandidat ist mit Sicherheit Frankfurts Jens Petter Hauge, der im vergangenen Sommer von Bodø/Glimt nach Mailand wechselte. In seiner ersten Saison gelangen ihm für Milan fünf Tore und eine Vorlage in 23 Spielen, wobei er zumeist nur als Joker eingesetzt wurde. Allerdings war die Konkurrenzsituation in Milans Offensive auch eine andere, als Bjørkan sie bei Hertha auf seiner Position vorfinden wird.

Jens Petter Hauge versucht, sich bei Eintracht Frankfurt durchzusetzen. (Photo by Juergen Schwarz/Getty Images)

Auch zu Birger Meling lassen sich von Bjørkan aus einige Parallelen ziehen. Der Norweger wechselte vorletzten Sommer von Rosenborg Trondheim zu Nîmes Olympique nach Frankreich. Meling ist genau wie Bjørkan Linksverteidiger – und war in Nîmes vom Zeitpunkt seiner Ankunft nicht wegzudenken. In seiner ersten Ligue-1-Saison überzeugte er sogar so sehr, dass er zur neuen Saison zu Stade Rennais wechselte, dem Tabellen-Sechsten des Vorjahres.

Bei Bjørkan kann das natürlich alles ganz anders kommen – vom Senkrechtstarter, der Hertha-Fans ein bisschen träumen lässt, bis zu einer langen Eingewöhnungsphase à la Rune Jarstein scheint bei ihm alles möglich zu sein. Wenn er die Umstellung von der Eliteserien zur Bundesliga packt, bringt er aber Anlagen mit, die Herthas Abwehr in den kommenden Jahren entscheidend prägen können.

[Titelbild: Paolo Bruno/Getty Images]

HB#172 Hertha Ringe

HB#172 Hertha Ringe

Das erste Spiel unter Tayfun Korkut hat uns einen Punkt gebracht. Darüber freuen sich Louis, Marc und Lukas, sehen aber auch einige Schattenseiten am ersten Auftritt unserer alten Dame unter dem neuen Cheftrainer. Wie sie das Spiel gesehen haben und welche News sonst noch rund um Hertha BSC erwähnenswert waren, hört ihr hier.

Wir wünschen euch viel Spaß und freuen uns über eure Kommentare.

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arte tracks zu spotify: https://www.youtube.com/watch?v=Kqlc8LUEq00

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(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)