Hertha und Union – Eine Rivalität wie eine Tasse schwarzer Kaffee

Hertha und Union – Eine Rivalität wie eine Tasse schwarzer Kaffee

Das inzwischen vierte Berliner Erstligaderby verspricht wieder eine heiße Partie zu werden. Die beteiligten Mannschaften werden gerne als totale Gegensätze dargestellt. Dieser Text klärt die Frage, ob Union auch ohne Hertha funktioniert, welchen Herausforderungen sich die Köpenicker in der Zukunft gegenüber sehen und was die beiden Klubs beim gemeinsamen Kaffee-Date bestellen.

Union definiert sich darüber, was man nicht ist

Bestellt man in einer Berliner Kneipe ein „Herrengedeck“, kann es mitunter vorkommen, dass man nicht Bier und Schnaps, sondern Bier und Sekt gereicht bekommt. Die Logik dahinter: Bier für den Mann und der Sekt für seine weibliche Begleitung.

Bestellt man stattdessen ein Berliner Fußballderby, dann bekommt man im Grunde das Gleiche, inklusive der antiquierten Geschlechterrollen. Dennoch sind die Rollen beim kommenden Derby klar zugewiesen. Auf der einen Seite die bodenständigen Köpenicker, stellvertretenden für den authentischen Arbeiter, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen und sich über die Gesamtsituation auskotzen würde. Ihm gegenüber die mondäne „Alte Dame“, die beherzt das Geld ihres reichen Gönners ausgibt und nach dem dritten Glas Sekt ein bisschen zu laut und zu prahlerisch von ihren Bekanntschaften erzählt.

Foto: IMAGO

Beide Vereine, ihre Fans und die Medien haben jeweils mehr oder weniger zu diesem Bild beigetragen, es kultiviert oder auch versucht zu übermalen. Die Koketterie mit dieser augenscheinlichen Gegensatz ist nicht zu übersehen und auch wenn Union sich betont desinteressiert gibt, hat das Ganze dann doch eher den Anschein, als würde man versuchen sich weniger darüber zu definieren, was man ist, sondern, was man nicht ist, nämlich nicht Hertha.

Hertha und Union: Was wollen die Klubs?

Während Union allerdings noch vollends im modernen Event-Fußball, mitsamt seiner Dynamik, ankommen muss, steckt Hertha, siehe Windhorst, schon längst drin. Das bedeutet aber auch, dass Union sich einer wichtigen Frage stellen muss: Wen wollen sie eigentlich als Fans haben? Hertha hat diese Frage schon längst für sich beantwortet. Der Anspruch ist hier ganz Berlin mitzunehmen, also sowohl den ehrlichen Malocher aus Reinickendorf als auch die neureichen Yuppies aus Charlottenburg. Das der Verein hier manchmal übers Ziel hinaus schießt und die Zusammensetzung seiner Fanbasis anders bewertet, als sie eigentlich ist, steht dem Ursprungsgedanken nicht im Weg: Hertha will DER Berliner Klub sein.

Unions Lokalpatriotismus richtet sich zunächst erstmal auf den eigenen Bezirk, im nächsten Schritt auf den Ost-Teil der Stadt. Das ist marketingtechnisch sehr charmant, blendet die Realität aber gewieft aus. Union ist natürlich nicht mehr nur der Köpenicker Club, sondern genauso ein Unternehmen, wie Hertha und als eben dieses daran interessiert gut zu wirtschaften und auch mehr als die 280.000 Einwohner:innen von Treptow-Köpenick anzusprechen.

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Während Union hier zurecht stolz auf das das Engagement der Fans in puncto Stadion und „Bluten für Union“ verweisen kann, stehen bei Hertha der Streit mit dem Senat über ein neues Stadion, ein Millionen-Investment und zweifelhafter sportlicher Erfolg zu buche. Der einzige Lichtblick scheint das außerordentliche Engagement von Herthas-Fanszene zu sein. Das wird von denen, die die Unterschiede zwischen den Clubs herauszustellen suchen, oft gerne bewusst vergessen. Dreht man die Uhr noch weiter zurück, erzählt Union gerne die Geschichte des Anti-Stasi-Clubs, während Hertha sich in den 70ern tief im Bundesliga-Skandal verwickelt sah.

Der Arbeiter als Marketingobjekt

Es sieht also nicht gut aus für die alte Dame. Die Öffentlichkeit hat sich festgelegt: Union steht für das, was Fußball einst war und Hertha für das, was er nie werden sollte. Doch so einfach ist es nicht. Denn es ist eben dieses „Anders-Sein“, was Union die Fans einbringt, die mit dem ursprünglichen Gedanken wenig bis nichts zu tun haben. Was wir in Köpenick beobachten dürfen, ist ein gewisser positiver Klassismus-Sport-Tourismus. „Komm wir gehen mal zu Union, da sind Wurst und Bier noch zu bezahlen und von den Tribünen wird auch mal ein „Scheiße“ gerufen“. Versteht mich nicht falsch, ich zitiere hier nicht den langjährigen Unioner, sondern diejenigen, die jetzt, nachdem Union es in die erste Liga geschafft hat, ihre plötzliche Liebe zum Fußball entdecken. Das spiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen wider. Hatte Union 2006, noch in der Oberliga spielend, 4200 Mitglieder, sind es 2021 und viele wichtige sportliche Erfolge später, knapp 38.000. Man könnte hier den Begriff „Erfolgsfans“ einwerfen und sich an den Reaktionen erfreuen, doch zurück zur Sachlichkeit.

Das Problem ist, dass der Fußball schon längst ein Lifestyle-Produkt geworden ist. Sicherlich gibt es Überbleibsel, die von seinen proletarischen Wurzeln zeugen, aber sowohl Boxing Day als auch „Werkself“ sind heute eigentlich nur noch Marketingfloskeln geworden. Mit diesem Umstand muss sich auch Union auseinandersetzen. Sollen sie ihre Kultigkeit und Authentizität weiter betonen und damit Gefahr laufen, die Menschen anzuziehen, die sich am Arbeitertum zu ergötzen suchen, bevor sie in ihre Eigentumswohnung in Prenzlauer Berg zurückkehren oder sollen sie heimlich still und leise den Mahlsteinen der Kommerzialisierung hingeben?

Foto: imago/Matthias Koch

Natürlich muss sich auch Hertha mit diesem Konflikt befassen, dadurch, dass ihre Fan-Strategie jedoch bewusst nicht klientelpolitisch aufgeladen wird, haben sie es zumindest ein wenig einfacher. Hertha und Union ist die spannendste Berliner Sport-Rivalität, die es momentan zu erleben gibt. Natürlich gibt es Animositäten zwischen dem BFC und Union, sportlich ist die Bundesliga jedoch nun mal am interessantesten. Union scheint sich hier als „Anti-Hertha“ durchaus zu gefallen. Konkurrenz belebt eben das Geschäft. Doch das funktioniert eben nur solange es Hertha in dieser Form gibt.

Sich gegen Hertha zu stellen, klappt nur, solange Hertha eben auch einen kritikwürdigen Kurs fährt. Windhorst macht es hier jeder Fußballromantiker:in allerdings auch sehr einfach. Die Kritik hier nimmt manchmal auch zynische Züge an, wie wenn, das schon erwähnte, soziale Engagement der Hertha-Fans als Marketingaktion verkannt wird. Was bleibt, ist allerdings, dass die eigene Position umso stärker wird, desto stärker der Kontrast zwischen den beiden Vereinen wahrgenommen wird.

Kaffee und Fußball

Teil des Pakets „Union“ ist eben nicht nur, das was Union ist, sondern auch das, was es eben nicht ist und das was es nicht ist, wird hier stark in den Fokus gerückt. Um solche Beziehungen der Negation zu verdeutlichen greift der slowenische Philosoph Slavoj Žižek gerne auf einen Witz aus dem Film „Ninotschka“ vom großen Berliner Ernst Lubitsch zurück : „Ein Mann bestellt in einem Restaurant einen Kaffee ohne Sahne. Der Kellner kommt nach fünf Minuten zurück und sagt: „Tut mir leid, mein Herr, aber wir haben keine Sahne mehr, kann es auch ohne Milch sein?“ Obwohl das faktische Ergebnis in beiden Fällen das Gleiche ist, spielt das, was im Kaffee nicht drin ist eine ontologische Rolle. In anderen Worten: In beiden Fällen bekommt man einen Berliner Fußball Klub (schwarzer Kaffee), doch einmal ist dieser bewusst nicht Hertha (ohne Milch) und im anderen Fall nicht Union (ohne Sahne). Beides kann seinen Status jedoch nur behaupten, solange es eine Alternative gibt. 

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Vor diesem Hintergrund schickt sich vielleicht eine andere Anekdote an. Tommi Schmitt, seines Zeichens, Gladbach-Fan, Co-Host von „Gemischtes Hack“ und Union-Sympathisant: „Union ist ein schöner bunter Fleck in dieser Liga. [..] Eigentlich genau das, was Hertha immer sein wollte.“ Er erzählte jüngst in einer Folge „Gemischtes Hack“, wie er versuchte in einem hippen Berlin-Mitte Café einen Kaffee mit Milch zu bekommen. Der klischeehaft stark tätowierte, Man Bun tragende Barista verwehrte ihm diesen Wunsch jedoch unter dem Verweis auf das Konzept des Cafés. Man schenke einfach keinen Kaffee mit Milch aus, das würde die Aromen kaputt machen.

Was das im Bezug auf das Derby und den vermeintlichen Clash zwischen „echt“ und „fake“ heißt, kann sich jeder selbst zusammenreimen.

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Eine kleine Berliner Derbygeschichte – Die heißesten Spiele

Eine kleine Berliner Derbygeschichte – Die heißesten Spiele

Seit 2010 hat Berlin ein richtig feuriges Profifußball-Derby. Doch die Paarung Hertha BSC gegen Union ist nicht das erste spannende Hauptstadt-Duell. Vielmehr hat es nach dem Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten der Stadt tolle Derbys gegeben. Union feierte kurz nach seiner Gründung gegen das vom DDR-Regime protegierte Vorwärts Berlin einen großen Erfolg und Hertha war an einer Zweitligasaison mit drei (!) Berliner Klubs beteiligt. Ein kleiner Rückblick auf wichtige Berlin-Duelle.

22. Mai 1968, Union Berlin vs. Vorwärts Berlin (2:1)

Den 1. FC Union gibt es in seiner jetzigen Form erst seit 1966. Zuvor hatte es in Oberschöneweide mehrere Fusionen, Zusammenschlüsse aber auch Trennungen von Vereinen gegeben, die heute als Vorgänger-Klubs von Union gelten. Leicht hatte es der Verein in der DDR nicht, denn das Regime unterstützte mit aller Kraft Vorwärts Berlin. Die meisten begabten Spieler endeten in der Kaderschmiede von Vorwärts. Ohnehin mischte sich der Staat regelmäßig in den Profifußball ein – so wurden die protegierten Klubs einige Male einfach in eine andere Stadt verlegt. Vorwärts startete beispielsweise in Leipzig, wurde dann nach Berlin verlegt und später nach Frankfurt (Oder). Der heutige BFC Dynamo geht aus einem Ableger von Dynamo Dresden hervor.

Hertha Union Berlin
Mannschaftsfoto des FC Vorwärts Berlin in der Oberliga-Saison 1966/67 (Foto: imago/Werner Schulze)

Union hingegen galt in der DDR von vorn herein als Verein des Volkes, als Anti-Establishment. Allerdings etablierten sich die Köpenicker schnell in der DDR-Oberliga und nur zwei Jahre nach der Klubgründung kam es zu einem der größten Erfolge der Vereinsgeschichte – dem Gewinn des DDR-Pokalwettbewerbs (FDGB-Pokal). Im Finale besiegte man den amtierenden DDR-Meister Carl-Zeiss-Jena. Zu einem Berlin-Derby kam es aber schon im Halbfinale, als Union gegen den Staatsklub Vorwärts im Halbfinale 2:1 gewann. Bis heute feiern die Köpenicker ihre Pokalhelden.

In den folgenden Jahrzehnten kam es in der DDR-Oberliga zu zahlreichen Derbys zwischen Union, dem BFC Dynamo sowie Vorwärts. Die meisten der Spiele wurden jedoch von Dynamo dominiert. Insbesondere in den 1970er und 1980er-Jahren profitierte Dynamo von der Unterstützung des Regimes und wurde quasi zum Serien-Meister der DDR. Union gelang es dagegen nie, die DDR-Oberliga zu gewinnen.

16. November 1974, Tennis Borussia vs. Hertha BSC (0:3)

Auf westberliner Seite wurde Hertha in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg zur stärksten Berliner Mannschaft. In 1970er-Jahren kam es dann allerdings zum einzigen Berliner Derby auf Bundesliga-Ebene bis zum Unioner Aufstieg vor ein paar Jahren. In der Saison 1973/1974 hatte Tennis Borussia damals noch über die zweitklassige Regionalliga den Aufstieg in die Bundesliga geschafft. Das erste Aufeinandertreffen der beiden Teams sollte zum Spektakel werden: Eigentlich hätte TeBe ein Heimspiel gehabt, doch das Interesse in der Bevölkerung an dem Match war riesig – und so wurde die Partie ins Olympiastadion verlegt und fand vor 75.000 Zuschauern statt.

Hertha Union Berlin
Foto: imago/Werner Otto

Gegen die in der Saison 1974/1975 extrem stark aufspielende Hertha hatte der Aufsteiger jedoch keine Chance – Hertha gewann 3:0, „Ete“ (Erich) Beer erzielte zwei der Treffer. Hertha hatte damals einen schlagkräftigen Kader zusammen: Neben Beer gehörten dem Team auch Spieler wie Wolfgang Sidka oder Uwe Kliemann an. Die Mannschaft wurde in dieser Saison sogar Zweiter hinter Borussia Mönchengladbach. TeBe stieg als Vorletzter ab. Allerdings verbrachte die Mannschaft nur ein Jahr in der damals neu gegründeten 2. Bundesliga: Die Saison 1975/76 schloss TeBe als Tabellenführer ab, und so kam es 1976 und 1977 zu zwei weiteren Bundesliga-Derbys zwischen Hertha und Tennis Borussia – eines davon (16. April 1977) konnte Tennis Borussia sogar für sich entscheiden. Aber auch nach dieser Saison reichte es für TeBe nicht für den Klassenerhalt.

18. Februar 1984, SC Charlottenburg vs. Hertha BSC (1:0)

Nach der Saison 1982/1983 stieg auch Hertha aus der Bundesliga ab. Die kommenden Zweitliga-Jahre wurden für Westberliner Fußball-Fans ein reines Derby-Festival. Denn nicht nur Hertha und Tennis Borussia trafen mehrfach aufeinander. Vielmehr sorgte in den 80er-Jahren auch Blau-Weiß 90 für Aufsehen. Und – wer hätte es gedacht? – auch der SC Charlottenburg verbrachte ein Jahr in der 2. Bundesliga.

Gegen die frisch abgestiegenen Herthaner kam es im August 1983 zum ersten Derby der beiden Charlottenburger Teams, das 1:1 unentschieden endete. Im ausverkauften Mommsenstadion gab es in der Rückrunde dann die riesige Überraschung: Der SCC besiegte Hertha mit 1:0. Übrigens: Im Tor des SCC stand damals ein gewisser Andreas Köpke, der nach dem direkten Abstieg der Charlottenburger zu Hertha wechselte.

16. März 1985, Blau-Weiß 90 vs. Hertha BSC (0:2)

In der Saison 1984/1985 deutete sich dann erstmals die zwischenzeitliche Wachablösung im westberliner Fußball an. Das Mariendorfer Team Blau-Weiß 90 war zuvor in die 2. Liga aufgestiegen. Hertha war im zweiten Zweitliga-Jahr immer noch eines der finanzstärksten Teams der Liga und hatte mit Spielern wie beispielsweise Andy Köpke und Horst Ehrmanntraut auch einen absolut bundesligatauglichen Kader zusammen. Doch die Charlottenburger setzten sich während der Saison im Tabellenmittelfeld fest.

In der Rückrunde kam es dann im schlecht besuchten Olympiastadion zu einem der letzten Siege der Herthaner dieser Saison, als Blau-Weiß mit 2:0 besiegt wurde. Für die Mariendorfer ging es anschließend bergauf, für Hertha bergab. Auf Platz 14 konnte man den Abstieg nur knapp vermeiden, Blau-Weiß wurde Siebter. In der darauffolgenden Saison sollte aber alles noch viel schlimmer kommen für Hertha.

8. Mai 1986, Blau-Weiß 90 vs. Tennis Borussia (1:2)

Drei Berliner Mannschaften in einer Profiliga – das hat es bislang nur in der Saison 1985/1986 gegeben. Tennis Borussia war zuvor gerade wieder aus der Regionalliga aufgestiegen, Hertha und Blau-Weiß 90 waren schon vorher in der 2. Liga. Blau-Weiß-90 war inzwischen aus der Mariendorfer „Rathausritze“ ins Olympiastadion gezogen, das man sich im 2-Wochen-Takt mit Hertha teilte. Tennis Borussia spielte im Mommsenstadion, wobei auch einige Derbys mit TeBe-Beteiligung ins Olympiastadion verlegt wurden.

Hertha Union Berlin
Foto: imago/Kicker/Eissner

Was sich in der Vorsaison bereits angedeutet hatte, wurde in dieser Saison bitte Wahrheit. Hertha spielte eine schlechte Runde, obwohl man kein einziges Derby verlor. Blau-Weiß hingegen wurde im Saisonverlauf immer stärker und hatte am letzten Spieltag gegen Tennis Borussia die Chance, den direkten Aufstieg in die Bundesliga zu sichern. Das Spiel gegen das schon abgestiegene Team von TeBe verlor man zwar 1:2 – weil aber Fortuna Köln gegen den Karslruher SC nicht über ein Unentschieden hinauskam, stieg Blau-Weiß 90 direkt auf. Hertha hingegen kämpfte mit Freiburg im Fernduell um den Klassenerhalt. Da das eigene Spiel in Aachen allerdings mit 0:2 verloren ging, brachten alle Rechenbeispiele nichts mehr – Hertha war fortan drittklassig.

Allerdings: Auch für Blau-Weiß 90 sollte das Abenteuer Bundesliga schnell wieder zu einem bitteren Ende kommen. Mit einer miserablen Punktebilanz von 18:50 wurde man Letzter. Für viele Jahre musste die Bundesliga in der Folge wieder ohne Berliner Teams auskommen. Hertha jedenfalls blieb zwei Saisons lang drittklassig. Erst im Juni 1988 folgte der Wiederaufstieg in Liga 2, wo es erneut zu einigen Duellen mit Blau-Weiß 90 kam. Das folgende Youtube-Video gibt die Fußball-Stimmung im damaligen Westberlin ganz gut wieder:

27. Januar 1990, Hertha BSC vs. Union Berlin (2:1)

Eigentlich haben wir uns hier bislang nur Pflichtspielen gewidmet. Es gibt allerdings ein Derby, das sowohl aufgrund seiner Geschichtsträchtigkeit als auch wegen der aktuellen Rivalität zwischen Hertha und Union erwähnt werden muss. Ende Januar 1990, nur wenige Wochen nach dem Fall der Mauer, trafen sich Hertha und Union zu einem symbolischen Freundschaftsspiel im Olympiastadion vor rund 52.000 Zuschauern. Schon in den letzten Jahren vor der Wende hatte sich zwischen Hertha und Union über die Grenze hinweg eine tiefe Fan-Freundschaft entwickelt. Das Unioner Fanlager leibäugelte wohl nicht zuletzt wegen seiner Ablehnung gegenüber dem DDR-Regime mit dem West-Klub. Als Hertha Ende der 1970er-Jahre Europapokal-Spiele in Osteuropa bestritt, reisten teilweise sogar Unioner an, um die Blau-Weißen zu unterstützen.

Das Spiel am 27. Januar geriet somit zur Nebensache. Fans beider Lager lagen sich in den Armen und feierten die Zusammenführung Berlins.

8. Juni 1991, Union Berlin vs. FC Berlin (1:0)

Union hatte es schwer in den Jahren vor und nach der Wende. Aus der aufgelösten DDR-Oberliga gingen nur zwei Teams in die Bundesliga, die meisten Ost-Teams aus der Oberliga und der DDR-Liga (2. Liga) mussten in einer Qualifikationsrunde um insgesamt sechs Plätze in der 2. Bundesliga kämpfen. Union belegte in der letzten DDR-Liga-Saison den ersten Platz und sicherte sich somit die Beteiligung an der Relegation zur 2. Bundesliga. Im Juni 1991 folgten dann die Relegationsspiele, unter anderem trat Union gegen den FC Berlin an, die Nachfolger-Mannschaft des BFC Dynamo. Das erste Spiel gewann Union zwar knapp mit 1:0, im Rückspiel verloren die Köpenicker allerdings. Aufsteigen konnte keines der beiden Berliner Teams, vielmehr belegte Stahl Brandenburg Platz 1 der Relegationsgruppe.

Die restlichen 1990er-Jahre waren eine harte Zeit für den FCU – sportlich und auch wirtschaftlich. Mehrfach verpasste man den Aufstieg in die 2. Liga. Trotz einer drohenden Insolvenz konnte sich das Team aber stetig in der Regionalliga halten, wo es in den 1990er Jahren zu mehreren Berlin-Duellen mit dem BFC Dynamo kam, der dann auch wieder seinen alten Namen trug. Erst 2009 stiegen die Köpenicker dann in die 2. Liga auf.

28. Oktober 1998, Tennis Borussia vs. Hertha BSC (4:2)

In Westberlin deutete sich Ende der 1990er-Jahre für kurze Zeit nochmals eine neue, spannende Stadtrivalität auf Augenhöhe an. Tennis Borussia war in der Saison 1997/1998 mit Trainer Hermann („Tiger“) Gerland in die 2. Bundesliga aufgestiegen und spielte dort eine starke Saison. Im Oktober 1998 belegte TeBe zwischenzeitlich Platz 1 der 2. Liga – und genau zu dieser Zeit kam es im Achtelfinale des DFB-Pokals zum Berlin-Derby. Hertha war zu dieser Zeit ebenfalls gut unterwegs in der Bundesliga, am Ende der Saison belegte das Team von Jürgen Röber sogar Platz 3 und qualifizierte sich direkt für die Champions League.

hertha union berlin
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Doch an jenem 28. Oktober 1998 war TeBe schlichtweg zu gut für Hertha. Gerlands Mannschaft (u.a. mit Spielern wie Ilja Aracic und Francisco Copado) führte schon zur Halbzeit 2:1 und brachte den Sieg vor einer begeisterten Kulisse im Olympiastadion und nach einem Feuerwerk zu Beginn des Spiels sicher über die Ziellinie. Hertha musste allerdings nur ein Jahr warten, um sich zu revanchieren: Auch in der darauffolgenden DFB-Pokalsaison traf man auf Tennis Borussia, dieses Match entschied Hertha jedoch nach einer Nachspielzeit 3:2 für sich.

17. September 2010, Union vs. Hertha BSC (1:1)

Weil Hertha nach einer dramatisch schlechten Saison 2009/2010 abstieg, kam es im Herbst 2010 zum ersten Pflichtspiel zwischen Hertha und Union. Nach einer frühen Führung durch ein Kopfballtor von Peter Niemeyer entwickelte sich ein offenes, rassiges Spiel. Kurz vor Schluss erzielte Union dann per Fernschuss doch noch das 1:1. Das Rückspiel ging im Olympiastadion sogar 1:2 verloren. Bis heute kam es in Liga eins und zwei zu insgesamt sieben Derbys zwischen den Köpenickern und Hertha: drei Siege für Hertha, zwei für Union und zwei Unentschieden. Wie und woher sich die heute existierende tiefe Abneigung zwischen den beiden Fanlagern ergeben hat, kann wohl niemand vernünftig erklären.

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Schon im ersten Spiel, im Herbst 2010, war von der tiefen Freundschaft, die noch während der Wende-Jahre existierte, keine Spur. Herthas Anhänger zündelten mit Feuerwerkskörpern und nach dem Rückspiel feierte sich Union als „Stadtmeister“, was angesichts der Tabellensituationen der beiden Klubs natürlich eine reine Provokation war. Denn: Hertha stieg direkt in die Bundesliga auf, die Köpenicker mussten noch einige Jahre in der 2. Liga verweilen, bis es dann am 2. November 2019 zum ersten erstklassigen Duell der beiden Vereine kam.

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Kaderplanung – Hat Hertha ein Problem mit Sprachen?

Kaderplanung – Hat Hertha ein Problem mit Sprachen?

Wenn man eine Fußballmannschaft neu zusammenstellt, muss eines stimmen: die Kommunikation. Denn das berühmte „blinde Verständnis“ kommt erst nach jahrelanger Abstimmung von Laufwegen. Bei Hertha BSC hat man es in einer neu aufgebauten Mannschaft offenbar versäumt auf die sprachliche Abstimmung auf dem Platz zu achten. So zumindest könnte sich das teils chaotische Vorgehen im Spiel erklären. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gäbe es aber einen Ausweg.

Fehlpässe ins Nichts, Gegentore durch Fehlabstimmungen beim Rauslaufen und Spieler, die gleichzeitig zum Kopfball gehen. Welcher Herthaner hat diese Situationen in der laufenden Saison nicht kennen und lieben gelernt? Ironie beiseite. Es gab Spiele in den vergangenen Monaten, in denen man sich fragen musste, ob diese Mannschaft überhaupt schon einmal miteinander trainiert hat. Aus sportlicher Sicht kann man hier sicherlich die verkorkste Kaderplanung der Herren Preetz, Klinsmann und später Labbadia verantwortlich machen.

Denn nach der vergangenen Saison wurden einige wichtige, erfahrene Spieler mit jungen Neueinkäufen ersetzt und somit tragende Säulen aus dem Team entfernt. Insbesondere im zentralen Mittelfeld zeigt sich, dass Herthas Kaderplanung der Weitblick seit Jahren fehlt. Denn weder Marko Grujic noch Matteo Guendouzi sind/waren langfristig an Hertha gebunden und auch die Entscheidungen in den Fällen Arne Maier und Eduard Löwen hinterlassen einige Fragezeichen.

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Aber das teils chaotische, unabgestimmte Auftreten der Mannschaft könnte noch eine weitere, nicht-sportliche Komponente haben. Denn klar ist: Das sind ja alles eigentlich sehr gute Fußballer, die Hertha da verpflichtet hat. Bei ihren Ex-Vereinen zeigten Lucas Tousart, Krzysztof Piatek oder auch Matheus Cunha großartige Leistungen – warum funktionieren sie nicht zusammen? Zumindest ein Teil der Antwort könnte in der Kommunikation liegen, also in der Sprache. Pal Dardai stellte zu Anfang seines erneuten Engagements als Hertha-Profitrainer fest: “Als ich in die Kabine kam, haben manche weder Deutsch noch Englisch gesprochen.” Ohne Teamgeist und gemeinsame Sprache habe es aber gar keinen Sinn ergeben, über Taktik zu sprechen.

Herthas neuer Sprachfokus

Denn mit dem neuen Kader hat Hertha nicht nur einen bunten Mix an Fußball-Erfahrungen sondern auch ein komplett neu besetztes Sprachen-Orchester zusammengestellt. Für Sprachwissenschaftler und aus Zwecken der Völkerverständigung mag dies zwar toll sein. Aber wenn man innerhalb von Wochen eine Bundesliga-taugliche Fußballmannschaft aufbauen muss, kann dies hinderlich sein – insbesondere, wenn man seitens des Trainerteams den falschen, sprachlichen Ansatz wählt.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht wäre es gut gewesen, sich zu Saisonbeginn wenigstens kurz mit der neuen Sprachstruktur der Mannschaft zu beschäftigen. Dann wäre Herthas Oberen aufgefallen, dass das Team inzwischen einen beachtlichen romanischen Sprach-Fokus hat. Die romanischen Sprachen gehören, wie beispielsweise die germanischen Sprachen, zur indogermanischen Sprachfamilie. Zu den romanischen Sprachen gehören beispielsweise Spanisch, Italienisch, Portugiesisch oder Französisch. All diese Sprachen haben gemein, dass sie gewissermaßen eine Weiterentwicklung des (Vulgär-)Lateins sind. Zu dieser Sprechergruppe gehören in Herthas neuem Kader unter anderem Matheus Cunha, Lucas Tousart, Omar Alderete, Dodi Lukebakio, Santiago Ascacibar und Mattéo Guendouzi.

Nicht nur für Manager wichtig: Positive Transfers

Wie hätte diese Erkenntnis Hertha helfen können? In der Fremdsprachenforschung gibt es den Begriff des positiven Sprachtransfers (interlinguale Interferenz). Eine solche positive Übertragung zwischen zwei Sprachen liegt vor, wenn beispielsweise ein spanischer Muttersprachler wie Omar Alderete einen französischen Muttersprachler wie Mattéo Guendouzi versteht, wenn er „bon“ (deutsch: „gut“) sagt, denn die spanische Version („bueno“) ist dem nicht allzu fern. Kurzum: Selbst wenn Alderete in der Schule nie Französisch hatte, wird er Guendouzi oder Lukébakio verstehen, wenn sie auf dem Platz Wörter wie „bon“ oder „bien“ (als Adverb) benutzen.

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Solche positiven Transfers gibt es nicht nur im lexikalischen Bereich, also auf Wortebene, sondern auch auf grammatikalischer. Deutsche Muttersprachler lernen diese gutartigen Übertragungen kennen, wenn sie beispielsweise einzelne Worte im Niederländischen oder Englischen wiedererkennen – schließlich gehören diese Sprachen wiederum allesamt zur germanischen Sprachfamilie.

Natürlich wäre es falsch gewesen, zu Saisonbeginn Spanisch als Amtssprache auf Herthas Trainingsplatz einzuführen. Erstens wären dann alle anderen Mannschaftskameraden benachteiligt worden, zweitens muss es das Ziel sein, dass die Mannschaft zumindest auf dem Feld in einer Sprache kommuniziert und ihren Trainer versteht. Doch genau daran haperte es bei Hertha unter Bruno Labbadia. Labbadias Anweisungen (derzeit ja gut hörbar) waren konsequent deutsch. Spieler wie Tousart oder Guendouzi hatten vorher wenig bis gar keinen Kontakt zur deutschen Sprache – vielleicht ließ sich Labbadias Spielidee auch aus sprachlichen Gründen nicht so leicht in der Mannschaft verankern.

Labbadia scheiterte (u.a.) an der Kommunikation

Dabei hätte Labbadia als Sohn italienischsprachiger Eltern die besten Voraussetzungen gehabt, während des Spiels wichtige Anweisungen auch der romanischen Sprechergruppe bei Hertha verständlich zu machen. Denn das Italienische ist in der romanischen Sprachfamilie die Sprache, die der Ursprungssprache Latein noch am nächsten ist. So kommt es, dass spanisch-, französisch- oder portugiesisch Sprechende Italiener meistens ganz gut verstehen. In einem Interview mit dem NDR hat Labbadia allerdings vor vielen Jahren schon berichtet, dass er schon als Kind aufhörte Italienisch zu sprechen, weil ihn die deutschen Mitschüler dafür hänselten. Mal ganz davon abgesehen, dass das widerlich ist, ist es aus oben beschriebenen Gründen auch schade für den Fußballtrainer Labbadia, dem seine Muttersprache sicherlich in manchen Situationen helfen könnte.

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Als Labbadia noch Herthas Trainer war, wurde Michael Preetz von einem Journalisten sogar auf ein mögliches Sprachenproblem bei Hertha angesprochen. Herthas Ex-Manager wischte die Frage aber vom Tisch, indem er darauf verwies, dass Fußball doch die Macht habe auch ohne sprachliche Gemeinsamkeiten Menschen zu vereinen. Natürlich ist das richtig. Aber so wie der Fußball haben auch Sprachen eine vereinende Wirkung und vielleicht hat Hertha diese etwas unterschätzt. Pal Dardai hat nun kürzlich erklärt, dass bei ihm ebenfalls konsequent deutsch gesprochen werde im Training.

Mittlerweile dürften sich Herthas Neuzugänge auch die wichtigsten sprachlichen Signale beim Training und im Spiel in deutscher Sprache eingeprägt haben. Wenn nicht, wäre es bei Dardais Ansatz aber unabdingbar, dass die Profis abseits des Trainings ihr Deutsch in zusätzlichem Sprachunterricht verbessern.

Khedira als verbindendes Element

Klar ist, dass Dardai mit seiner Muttersprache keine positiven Sprachtransfers erzeugen kann. Denn Ungarisch gehört zu einer äußerst kleinen Sprachfamilie, den finno-ugrischen Sprachen. Zu dieser Familie gehören neben dem Ungarischen nur noch Finnisch, Estnisch und ein paar in Russland gesprochene Dialekte.

Allerdings macht eine andere Personalie Hoffnung, was eine mögliche Verbesserung der Kommunikation betrifft. Sami Khedira spielte in den vergangenen elf Jahren zunächst in Spanien, dann in Italien. Khedira dürfte nach diesen Auslandsaufenthalten ein nahezu perfektes Fußball-Spanisch bzw. -Italienisch sprechen. Als erfahrener Spieler und Weltmeister gilt er im Kader ohnehin als Ansprechpartner. Für Herthas neue Romanisten-Fraktion könnte er nun auch eine linguistische Brücke bauen.

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„Wenn Corona vorbei ist…“

„Wenn Corona vorbei ist…“

Ein sehnsuchtsvoller Blick in die Zukunft – Worauf sich die Hertha-BASE-Redaktion freut, wenn die Pandemie endlich rum ist.

Alex Jung: Die Mannschaft zum Sieg brüllen

Mittlerweile ist es in meinem Freundeskreis zum running gag geworden. Wann immer neue Corona-Beschlüsse kommen, ist mein erster Kommentar: „Und wann machen die Stadien endlich wieder auf?“ So witzig es klingt und natürlich auch angesichts wesentlich wichtigerer Probleme, die es zuvorderst zu lösen gilt, scherzhaft gemeint ist, so sehr wohnt dieser Frage dennoch die nicht zu verleugnende Wahrheit inne, dass ich es wahnsinnig vermisse.

Nicht die Enttäuschung, mir mit allem drum und dran rund drei Stunden den Arsch in der Ostkurve abzufrieren, während Hertha mal wieder gegen so spannende Vereine wie Leipzig oder Hoffenheim fünf Buden eingeschenkt bekommt. Auch nicht die bemitleidenden bis spöttischen Blicke der Union-Fans, wenn ich in blau-weißer Montur den Walk of Shame nach Hause gen Treptow-Köpenick antrete. Nein, darauf kann ich getrost verzichten.

Was fehlt, ist vor allem die Möglichkeit, die Mannschaft, die es gerade so nötig hätte, zu unterstützen. Als Mitglied dieses, trotz aller (aus meiner Sicht) falschen Entwicklungen der letzten Jahre, so einzig- und großartigen Vereins, tut es mir im Herzen weh, meinem Klub in der schwersten Phase seit Jahren nicht im Stadion helfen zu können, sich aus der Bredouille zu befreien.

Foto: xFlorianxGaertner/photothek.netx

Natürlich sind wir alle keine Fußballprofis und können nur mutmaßen, welchen Einfluss der Support von den Rängen tatsächlich auf das Spielgeschehen hat. Aber wenn ich diese Illusion, dass meine Stimme einen (Teil-)Ausschlag über Sieg und Niederlage geben kann, nicht aufrechterhalten würde, dann könnte ich das Ganze auch gleich bleiben lassen. In meiner romantisch verklärten Vorstellung von Fußball sind Mannschaft und Fans immer noch gleichermaßen Teil eines Vereins. Und welche Kräfte freigesetzt werden, wenn beide an einem Strang ziehen, durfte man auch als Herthaner:in schon unzählige Male beobachten. Nie werde ich vergessen, wie 2010 nach dem ersten Abstieg, den ich mit damals 14 Jahren erleben musste, 48.000 Fans gegen den Fußballgiganten Rot-Weiß Oberhausen ins Olympiastadion strömten. Es war der Auftakt für eine Saison, die ich nie vergessen werde und die letzten Endes mit der Zweitligameisterschaft ihren krönenden Abschluss fand. 

Auch wenn eine Wiederholung derartiger emotionaler Stadionmomente aktuell noch fern ist, rettet mich die Gewissheit durch die Pandemie, mit meinen Freunden, wann immer das sein mag, beim ersten Spiel nach Corona im Block zu stehen und voller Inbrunst Hertha zum Sieg zu singen. Oder es zumindest zu versuchen.

Niklas Döbler: “Unzählige Kacars, Marcelinhos, Pantelics, Dardais, Plattenhardts (…) stehen beisammen”

13:30 Uhr Bundesplatz auf meinen Vater warten. Die ersten Fans sind schon da und steigen in die Ringbahn. Freue mich auf das Spiel gegen Bremen, hoffentlich spielt Jordan, den ich stolz auf meinem roten Sondertrikot aus der letzten, unseligen Corona-Saison trage. Vater kommt zeitgleich mit der S-Bahn an. Weiter zum Westkreuz und dann hoffentlich den Direktzug zum Olympiastadion erwischen. Wie immer tun mir die Fahrgäste, die einfach nur woanders hin wollen, ein bisschen leid, wenn zehntausende Schulle trinkende Hertha-Fans die Öffis belagern.

Je näher wir dem Stadion, desto mehr steigt die Vorfreude. Ob Selke heute gegen uns spielt? 12 Mio hat der Transfer eingebracht. Die wurden in gute neue Zugänge investiert. Die ersten Spiele der Saison hat man gewinnen können. Ich hab ein gutes Gefühl. Es könnte sich gelohnt haben extra für das Spiel nach Berlin gekommen zu sein.

Als wir Olypiastadion aussteigen, fällt mein Blick wie immer auf das Corbusierhaus. Muss echt geil sind in Laufdistanz zum Stadion zu wohnen. An den ersten Bier- und Würstchenständen vorbei. Die anderen Fans entsorgen ihre Bierflaschen in einem der zahlreichen Einkaufswagen. Die Polizeihundertschaft guckt böse. Zwischen der blau-weißen Menschenwelle blitzt manchmal ein grün-weißes Werdertrikot durch. Arcor, Homeday, bet-to-win, TEDI, O.tel.o, trigema und Continetale begleiten uns zum Stadion. Unzählige Kacars, Marcelinhos, Pantelics, Dardais, Plattenhardts, Okoronkwos, Raffaels und Gilbertos stehen beisammen, lachen, trinken oder verschwinden kurz zwischen den Bäumen. Die Stimmung ist gut. Hoffentlich hält sich das.

Foto: imago/Martin Hoffmann

Durch die Ticketkontrolle und von gelangweilten Securities abtasten lassen. Danach der traditionelle Rundgang ums Stadion. Egal wie leer oder wie leise. Für mich immer noch das schönste Deutschlands. Das Gewinnspiel vom RS2 Wagen schallt herüber, der Sky-Stand verspricht Sondertarife. Was folgt ist die Stadionwurst und der Bierbecher. Dann zum Platz. Unterrang auf der Höhe der Mittellinie. Top-Plätze. Wetter ist auch genial. Strahlend blauer Himmel und 20 Grad.

Inzwischen ist die Aufstellung draußen. Die Kicker-App verrät: Cunha, Piatek und Dilrosun in der Startelf, dazu Luca Netz, der inzwischen das begehrteste Talent Deutschlands ist. Arne Maier hat die Leihe auch gutgetan. 3 Vorlagen stehen ihm schon zu Gesicht. Auf dem Rasen scherzen sie beim Aufwärmen. Am Spielfeldrand gibt Arne ein Interview.

Der Anpfiff rückt näher, die Spannung steigt. Langsam beginnt das Stadion zu erwachen. Mit der Aufstellung und als die Hymne ertönt, erheben sich Zehntausende. Schals, die in die Luft gehalten werden. Frank Zander ist da. Alle singen mit. Egal ob alt, jung, Frau, Mann, Divers oder Mensch mit Behinderung; für die nächsten 90 Minuten sind alle gleich Hertha.

Ein letztes Mal holt das Stadion Luft. Egal wie das Spiel ausgeht. Danach bin ich mit den Jungs von Hertha BASE in der Kneipe verabredet. Ich bilde mir ein, Alex in der Ostkurve zu erspähen, doch bevor ich näher hingucken kann, wird zum Anstoß gepfiffen. Jubel. Jetzt: Pure Emotionen, 90 Minuten lang. Endlich wieder.

Ein bisschen Auswärtsfahrt fürs Ohr – unsere Playlist

Als Fan seines Vereins verbindet man besonders die heimische Spielstätte mit ganz besonderen Emotionen und Erinnerungen. Das Fanerlebnis machen jedoch erst die Auswärtsfahrten so richtig rund. Mit mehreren Langzeit- und tausenden Wochenendsfreunden vor und nach dem Anpfiff durch eine fremde Stadt zu laufen, als gehöre sie einem; Sich bereits auf der Hinfahrt in eine solch große Euphorie zu hieven, dass die anschließenden 90 Minuten beinahe nur noch Beiwerk sind.

Das letztendliche Ergebnis des Spiels, für welches man durch die Republik gereist ist, spielt oftmals nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um das Erlebnis als solches. Das stundenlange ziellose Herumschlendern durch das graue Hannover wird aufgrund des Gemeinschaftsgefühls bis zum Maximum romantisiert – und das ist auch gut so.

Wir von Hertha BASE wollen euch daher ein wenig in eben jene Gefühlswelt versetzen. Was als Schnapsidee anfing, endete in stundenlangen wie hitzigen Diskussionen und mündete in etwas wundervollem. Redaktion und Freunde haben gemeinsam eine Auswärtsfahrt-Playlist auf Spotify zusammengestellt. Jeder durfte nur drei Songs auswählen – eine eigentlich unmögliche Aufgabe, doch sie wurde gemeistert.

Wir wünschen euch viel Spaß mit Daniel Rimkus (ein Muss), Herbert Grönemeyer, Die Atzen, Vengaboys, Oasis uvm.! Auf dass sie euch emotional in den Fanzug nach Hamburg, in welchem etwas zu viel Alkohol ausgeschenkt wird und die Manieren mit jedem Schluck weniger werden, versetzen.

[Titelbild: IMAGO]

Dárdai iacta est

Dárdai iacta est

Es ist passiert. Hertha hat den DeLorean rausgeholt und ist direkt ins Jahr 2015 zurückgekehrt. Doch statt Biff und einem spießigen Marty McFly wartet der Sportalmanach mit einem anderen bekannten Gesicht auf: Pál Dárdai ist wieder Cheftrainer der alten Damen und versucht sie in einer Sonderausgabe von Extreme Makeover wieder auf Spur zu bringen. Ein Kommentar.

Dárdai Ante Portas

Spätestens nach dem 1:4 gegen Bremen war klar, dass Michael Preetz nicht mehr zu halten sein würde. Mit ihm musste Cheftrainer Bruno Labbadia seinen Posten räumen. Zu wenig Punkte, ein unhomogenes Team samt enttäuschender Transferphase und geringe Chancen auf Besserungen ließen das Damoklesschwert schließlich auf die maßgeblich Verantwortlichen niederfallen. Schnell wurden gewichtige Namen kolportiert. Von Ralf Rangnick bis Peter Neururer schien jeder freie Trainer mit Hertha in Verbindung gebracht zu werden.

Medienberichte legten sich jedoch schnell fest: noch bevor CEO Carsten Schmidt Vollzug meldete, waren sich BILD, Kicker und sogar die Tagesschau einig: Hertha-Ikone und Milchreis-Sommelier Pál Dárdai sollte die krisengebeutelte alte Dame übernehmen. Die Personalie Arne Friedrich als handelnder Geschäftsführer Sport füllte bereits am Tag zuvor das Loch, was durch die Entlassung von 25 langen Hertha-Jahren hinterlassen wurde. Auf 227 Spiele mit 93 Toren folgen 231 Partien mit 14 Treffern.

Not the hero we deserved, but the hero we needed

Komplettiert wurde der Schultheiß-feuchte Traum durch „Zecke“ Neuendorf, der fortan das Vergnügen haben wird, an der Seite von Dárdai Cunha, Piatek und Co. das deutsche Wort „malochen“ beizubringen.

Während der Trainervorstellung wurde eines jedoch schnell klar: Hertha hat Pál Dárdai nicht verdient. In einer Welt in der Milliardenerträge nur durch vermeintlichen Kult aufgewogen werden können, in der sich jedes Wochenende 22 Millionäre zum Kicken treffen und die der Moloch auch in einer weltweiten Pandemie weitergefüttert werden muss, sind nur Torbeteiligungen von Artur Wichniarek seltener als echte Vereinstreue.

Foto: IMAGO

Im Sommer 2019 noch als wenig zukunftsträchtig geschasst, kehrt Dárdai nun an die Seitenlinie zurück. Viel hat sich geändert, doch wer die Trainervorstellung gesehen hat, kann sich sicher sein: Dárdai bleibt gleich. Ein Mann, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt, keinen Groll hegt, dem Geld egal ist und den Verein stets über seine eigenen Befindlichkeiten stellt. Wenn es jemanden gibt, von dem diese Werte auf die Individualisten-Truppe aus Westend abfärben kann, dann ist es Dárdai.

Ein Trainer sie alle zu binden

Der lang ersehnte Kulturwandel, er liegt in erreichbarer Ferne: Friedrich und Neuendorf stehen für eine neue Generation Hertha und auch wenn manch einer in der Verpflichtung Dárdais eine Zirkulärbewegung zu erkennen meint, kann dieser Schritt zurück, zwei nach vorne bedeuten.

Tennor Investment, Klinsmann-Posse und Chaoten-Saison haben Spuren bei den Fans hinterlassen. Der deutliche Protest gegen Preetz zeugt davon. Eine UN-Friedensmission war deshalb mindestens genauso nötig, wie die tabellarische Stabilisierung. Carsten Schmidt und Arne Friedrich haben beide zu viel Erfahrung, um das zu ignorieren. Beide wissen: ziehen die Fans nicht mit, spielt es auch keine Rolle, wer der Übungsleiter sein wird. Die Marke „Hertha BSC“ lässt sich nicht einfach aushöhlen und sportlicher Erfolg wird nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kurve entschieden.

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Dárdai ist daher die logische Wahl. Um Hertha zu helfen, verordnet sich Hertha eine Kur Hertha.  Darüber hinaus hat der Gulasch liebende Ungar gezeigt, dass er es durchaus vermag sportlichen Erfolg zu verzeichnen. Seine Qualität liegt hier weniger in der taktischen Finesse, sondern in Fähigkeit durch Druck und Charme eine Mannschaft zu formen. Ist die individuelle Klasse unbestreitbar im aktuellen Kader zu finden, ist es genau diese Komponente, die fehlt.

Man kann an dieser Stelle ein kleines Gedankenexperiment anstellen: nehmen wir an, dass Dárdai die Fähigkeiten eines Kaders durch Zusammenschweißung potenzieren kann. Je höher das individuelle Niveau der Spieler, desto größer dann auch das Potential eines so geformten Teams. Nun stellen wir die rhetorische Frage: welches Potential wird letztendlich höher sein? Das der Mannschaft mit Hegeler, Allagui, Kauter und Konsorten oder das der um Cunha, Boyata und Tousart?

Aus der Not eine Tugend machen

Inwieweit die neue Troika das Fan-Herz nicht nur mit Nostalgie-Pflastern, sondern auch mit Erfolgsrausch zu heilen vermag, steht noch aus. Das Ergebnis dieser Frage bestimmt auch das Schicksal eben jenes Dreigespanns. Sollten sich gute Ergebnisse einstellen, gibt es eigentlich keinen Grund nicht Hand in Hand in die neue Spielzeit zu gehen. Hält man die Klasse jedoch nur mit Ach und Krach, ist jeder Vertrag das Papier nicht wert, auf dem er besiegelt wurde.

Sollte Pál Dárdai Hertha tatsächlich in eine rosig-blau-weiße Zukunft führen, dann ist nur die Genugtuung allen Kritiker:innen gegenüber schöner, als das Gefühl sich endlich wieder auf den Spieltag freuen zu können. Hertha würde so zum Paradebeispiel werden, wie man das Geschäft Fußball mit Tradition in Einklang bringen kann. Sollte Dárdai allerdings scheitern und entlassen werden, stellt sich die Frage, ob er je wieder antworten wird, wenn Hertha erneut um Hilfe ruft. Die Spielschau soll beginnen.

[Titelbild: IMAGO]

“Haben einen konkreten Plan“ – Jetzt schlägt die Stunde des Carsten Schmidt

“Haben einen konkreten Plan“ – Jetzt schlägt die Stunde des Carsten Schmidt

Nach der Trennung von Bruno Labbadia und Michael Preetz hat sich Herthas Geschäftsführer Carsten Schmidt am heutigen Sonntagvormittag zur Zukunft des Vereins geäußert. Schmidt begründete die beiden Rauswürfe mit der sportlichen Misere und kündigte an, dass er für die Trainerfrage „bereits einen konkreten Plan“ habe. Einiges spricht dafür, dass Schmidt diesen Umbau schon in den vergangenen Tagen vorbereitet hat. Beachtlich ist, dass Schmidt offenbar keine Interimslösung anpeilt.

Hertha BSC steht vor einer kleinen Revolution. Nach etwa elf Jahren ist Michael Preetz nicht mehr Geschäftsführer Sport. In einem Atemzug hat sich der Verein nach der bitteren 1:4-Pleite gegen Werder Bremen am heutigen Sonntag auch von Trainer Bruno Labbadia getrennt. Carsten Schmidt ist erst seit knapp zwei Monaten Herthas neuer Vorsitzender der Geschäftsführung. Auf dem TV-Sender „Sky Sport News“ hat sich Schmidt zu den beiden Beurlaubungen geäußert und einen Blick in Herthas Zukunft gegeben.

Der ehemalige Sky-Chef begründete die beiden Personalentscheidungen mit der sportlichen Situation – Hertha stecke jetzt im Abstiegskampf. Er habe sich nach dem gestrigen Spiel mit seinen Geschäftsführungskollegen und dem Präsidium beraten und dann die Entscheidung getroffen. Labbadia habe er gestern bereits telefonisch informiert, am heutigen Sonntagmorgen folgten dann persönliche Gespräche mit Preetz und Labbadia in der Geschäftsstelle.

Kein böses Blut

Schmidt ließ durchblicken, dass ihn insbesondere die beiden letzten Spiele gegen Hoffenheim (0:3) und Werder (1:4) zum Handeln bewegt haben. „Mit dem Spiel gegen Schalke ging es ja im Januar gut los, die folgenden Spiele waren nicht brillant, aber wir waren weiterhin optimistisch. Nach dem gestrigen Spiel kann es aber keine andere Entscheidung geben.“ Die Spiele gegen Hoffenheim und Bremen seien „kaum zu erklären“. Der neue Hertha-Boss erinnerte auch daran, dass Hertha aus diesen beiden Spielen mit einem Torverhältnis von 1:7 ging. Sowohl Preetz als auch Labbadia hätten die Entscheidung „sehr gut und professionell“ aufgenommen. Er äußerte keinerlei Kritik an den beiden Ex-Hertha-Funktionären. Ganz im Gegenteil: Labbadia lobte er sogar ausführlich für sein „Engagement und seine Akribie“, auch die Zusammenarbeit mit Preetz sei sehr gut gewesen.

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

Für Herthafans ist im Moment natürlich aber der Blick in die Zukunft wichtiger: Die Mannschaft steht nur zwei Punkte vor dem Relegationsplatz – wenn Köln am heutigen Sonntag gewinnt, ist Hertha punktgleich mit Bielefeld, die dann aufgrund des schlechteren Torverhältnisses auf den Relegationsplatz rutschen. In den Medien war bereits berichtet worden, dass Pal Dardai die Mannschaft als Interimslösung erneut übernehme und im Sommer ein neuer Übungsleiter präsentiert werde. Doch ist das auch Schmidts Plan?

Kein Schnellschuss bei Traineramt

Im Interview mit dem TV-Sender „Sky Sport News“ deutete Schmidt an, dass er keineswegs eine improvisierte Zwischenlösung anstrebt. „Wir haben einen klaren Plan, den wir jetzt umsetzen. Wir gehen nicht unvorbereitet in diese Aufgabe“, sagte Schmidt. Details wollte er nicht nennen – in den kommenden Tagen werde man sich dazu äußern, so Herthas Geschäftsführer. Angesprochen auf Dardai sagte er, dass der Ungar „möglich“ sei. Und: „Wir haben einen Plan für die restlichen 16 Spiele plus Zukunftsgestaltung.“

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In diese Zeilen kann sicherlich viel hinein interpretiert werden. Man gewinnt aber den Eindruck, dass der neue Hertha-Boss in den vergangenen Tagen schon den Trainermarkt sondierte und womöglich sogar schon eine Lösung in der Hinterhand hat. Der Verweis auf die „Zukunftsgestaltung“ nach der Rückrunde lässt darauf schließen, dass Schmidt in den kommenden Tagen vielleicht sogar einen Trainer präsentieren wird, der Hertha dauerhaft übernehmen könnte.

Im Rahmen einer Pressekonferenz am heutigen Sonntagnachmittag konkretisierte Schmidt, dass man einen Trainer präsentieren werden, der „eine Mannschaft zusammenschweißen kann“. Am Dienstag werde dieser Trainer mit der Mannschaft auf dem Trainingsplatz stehen. Ob Hertha diesen Trainer als Interimslösung oder als neuen dauerhaft installierten Headcoach installiert, ließ er sich offen.

Friedrich übernimmt vorerst

Was Preetz‘ Position betrifft, so bestätigte Schmidt die Pressemitteilung, die Hertha am heutigen Sonntagvormittag ausgesendet hatte. Arne Friedrich übernimmt ab sofort die sportliche Leitung bei Hertha – vorerst allerdings nur bis zum Saisonende. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem Ex-Hertha-Spieler. Auf Herthas Homepage ist Preetz schon nicht mehr als Mitglied der Geschäftsleitung aufgeführt. Neben Schmidt gehören dem Gremium jetzt noch Ingo Schiller (Finanzen), Thomas E. Herrich (Prokurist) sowie Paul Keuter (Kommunikation, Marketing) an. Insbesondere Keuter gilt als enger Vertrauter von Preetz. Ob Preetz‘ Ende bei Hertha in den kommenden Wochen noch zu weiteren Personalveränderungen führen wird, ist aber völlig offen.

Hinweis der Redaktion: Wir haben den Text um 16.30 Uhr angereichert mit Informationen von der Pressekonferenz des Vereins.

[Titelbild: xMatthiasxKochx/IMAGO]