Vorschau: 1. FC Köln – Hertha BSC: Hauptsache kein 0:0

Vorschau: 1. FC Köln – Hertha BSC: Hauptsache kein 0:0

Der großen Erleichterung nach dem Heimsieg gegen den FC Schalke 04 folgte die herbe Enttäuschung auf der Bielefelder Alm. Anstatt mit einer Siegesserie beginnt das Jahr 2021 also für Hertha BSC erneut mit großen Schwierigkeiten. Am Samstag ist die Elf von Bruno Labbadia beim 1.FC Köln zu Gast, wo sich zwei Teams in chaotischen Lagen treffen. Beim abstiegsgefährdeten „Effzeh“ wird wie schon gegen Arminia Bielefeld ein Sieg der „alten Dame“ erwartet, doch Optimismus macht sich angesichts der Form und der personellen Ausfälle in Berlin nicht wirklich breit.

Wir werfen einen Blick auf die Ausgangslage beider Clubs. Dabei werden wir wieder von Thomas Reinscheid, Chefredakteur von effzeh.com unterstützt, der seine Expertise über den 1. FC Köln mit uns teilt.

Große Abstiegssorgen in Köln, Debakel in Freiburg

Das Jahr 2021 fängt für den 1. FC Köln alles andere als gut an. Erst die 0:1 Heimspielniederlage gegen den FC Augsburg, dann ein 0:5 in Freiburg. Den letzten Bundesligasieg holten die Kölner Mitte Dezember, beim knappen 1:0 beim FSV Mainz 05. Dort erzielten sie auch ihren letzten Bundesligatreffer. So richtig läuft es also nicht, und die Sorgen am Geißbockheim werden größer.

Foto: IMAGO

Wir haben unseren Experten gefragt, wie groß denn die Abstiegssorgen beim „Effzeh“ nun wirklich sind: „Groß. Sehr groß. Was aber weniger an der aktuellen Tabellensituation liegt, sondern vielmehr an den unfassbar schwachen Auftritten, die sich durch die ganze Saison ziehen. Es ist auch nach 15 Saisonspielen noch nicht erkennbar, wie der FC Tore erzielen will.“ Der negative Höhepunkt kam bereits im zweiten Spiel in 2021, als der 1. FC Köln in Freiburg mit 0:5 unterging. „Ein gebrauchter Tag letztlich. Ohne die Leistung der Freiburger schmälern zu wollen: Alle fünf Tore hat sich der FC praktisch selber ins Tor gehauen, da war keinerlei Gegenwehr zu spüren“, sagt unser Experte.

Dabei sei auch die mangelnde Qualität in der Offensive ein Problem: „Die Mannschaft ist fußballerisch nicht gerade mit Leistungsträgern gesegnet, kommt im Offensivspiel kaum Bundesliga-tauglich daher. Irgendwann schlägt sich dies natürlich auch auf die Stabilität im Abwehrverbund durch, wenn jeder Ball postwendend zurückkommt. Zumal der FC selbst in den erfolgreichen Spielen Glück hatte, dass die Gegner nachlässig in der Chancenverwertung waren. Diesen Gefallen hat Freiburg dem Team nicht getan.“

Großes Vertrauen in die eigene Mannschaft hatten die Fans schon vor dem Freiburg-Spiel nicht mehr, und so hilft nur der Blick auf andere schwächelnde Clubs : „So ist eigentlich nur zu hoffen, dass es zwei, wenn nicht sogar drei dümmere in der Bundesliga gibt.“ Letztes Wochenende zeigte jedoch, dass die Konkurrenz im Abstiegskampf durchaus noch punkten kann. So brauchen die Kölner dringend eigene Punkte, auch für Trainer Markus Gisdol.

Gisdol unter Druck, Zurückhaltung bei der Clubführung

Kölns Chefcoach steht nämlich stark in der Kritik, der Rückhalt der Mannschaft wird schwächer: „Sollte es stimmen, dass die Mannschaft irritiert war, die Trainingsinhalte aus der Woche vor dem Freiburg-Spiel nicht in der Herangehensweise an die Partie wiederzufinden, dann kann der Rückhalt nicht mehr allzu groß sein.“ Kein Wunder also, dass nach einer so deutlichen Niederlage wie gegen Freiburg, in einer ohnehin brenzlichen Lage, der Trainer infrage gestellt wird.

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Doch ein Rauswurf scheint nicht so simpel zu sein, wie sich das viele Außenstehende vorstellen. Thomas erklärt: „Eigentlich, das muss deutlich gesagt werden, hätte dieses Debakel mit den anschließenden Äußerungen Gisdols Folgen haben müssen. Eigentlich müsste auch eine Niederlage gegen die Hertha Folgen haben. Wir reden aber immer noch über den 1. FC Köln. Und da das Schicksal des Sportchefs sehr eng mit dem des Trainers verknüpft ist, der Club aufgrund miserablem Wirtschaften arm wie eine Kirchenmaus ist, die Verantwortlichen im Vorstand eher auf Tauchstation gehen, dürfte zumindest in der Englischen Woche nichts passieren.“

Einigen Hertha-Fans sollte diese Beschreibung, bis auf die der wirtschaftlichen Lage, bekannt vorkommen. Tatsächlich gibt es einige Parallelen zwischen beiden Clubs, wo nicht nur der Trainer oder die Spieler für die sportliche Lage verantwortlich gemacht werden. Das sieht auch unser Köln-Experte: „die Gründe der Misere sind vermutlich die Gleichen. Bescheidene Kaderzusammenstellung, viel Geld für wenig Leistung und schwache Entscheidungsträger. (…) von außen betrachtet scheint mir das Team und dessen vermeintliche Leistungsfähigkeit von den Verantwortlichen ähnlich überschätzt zu sein wie am Geißbockheim.“

Bekannte Gesichter in der Kölner Startelf

Wie also will der 1. FC Köln im Heimspiel gegen Hertha BSC das Spiel angehen? Wie ist die taktische Organisation? „Das ist eins der Hauptprobleme derzeit: Der FC wechselt zwischen Vierer- und Fünferkette, zwischen einer Formation mit zwei „falschen Neunen“ und einer mit Stoßstürmer hin und her, ohne sich auch nur in einer dieser taktischen Marschrouten wirklich wohlzufühlen“, meint unser Experte.

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„Viel Wert wurde zumindest zuletzt auf die defensive Stabilität gelegt, was bis zum Freiburg-Spiel auch größtenteils funktionierte. Jedoch ging das massiv auf Kosten der Offensivbemühungen – so richtig gefunden hat der FC seine Identität in dieser Saison noch nicht.“ Wenig helfen konnten dabei zuletzt die Ex-Herthaner Ondrej Duda und Marius Wolf, die am Samstag zum ersten Mal gegen die „alte Dame“ spielen werden. Bei beiden sei noch ordentlich Luft nach oben, sagte uns Thomas.

Dabei tue ihm Ondrej Duda sogar ein wenig Leid: „denn er zeigt immer wieder in Ansätzen, welch feiner Fußballer er doch sein kann. Leider deckt sich dieser Eindruck nicht mit den Befunden bei seinen Mitspielern. Dieses „Hoch und weit“, das unter Gisdol einen Großteil des Spielaufbaus ausmacht, kommt ihm dabei wahrlich nicht entgegen. Er müht sich trotzdem nach Kräften und ist definitiv einer der Besseren in dieser Saison.“

„Das gilt auch für Marius Wolf, der auf der rechten Seite schon jede Position übernehmen musste.“, fügt er hinzu. „Als Rechtsverteidiger war das wenig überzeugend, nach vorne macht er aber ordentlich Druck und zeigt sich auffälliger als seine Pendants auf der anderen Seite.“ Thomas sieht im Hinblick auf das Samstagsspiel ohnehin weniger die Individualitäten im Mittelpunkt: „Es wird in meinen Augen weniger darauf ankommen, ob ein einzelner Spieler die Hoffnungen erfüllt, sondern ob es der Mannschaft gelingt, im Kollektiv stabiler zu agieren. Und vielleicht sogar anfangen, etwas auf den Rasen zu bringen, das annähernd an Fußball erinnert.“

Personelle Sorgen bei Labbadia – eine Chance für Luka Netz?

Dasselbe wird wohl auch für den Hauptstadtclub gelten. Schließlich wird man aufgrund von vielen Ausfällen gerade nicht auf alle Individualitäten zählen können. Neben den ohnehin verletzten Dedryck Boyata und Javairo Dilrosun sind auch Leistungsträger wie Matheus Cunha oder Vladimir Darida fraglich. „Das bedeutet für uns, noch enger zusammenzurücken”, meinte Bruno Labbadia in der Pressekonferenz vor der Partie.

Auch Marvin Plattenhardt wird nicht zur Verfügung stehen, was allerdings dem jungen Luca Netz Hoffnungen machen dürfte, zum ersten Mal in der Startelf stehen zu dürfen. Da Maximilian Mittelstädt wohl als linker Verteidiger spielen muss, könnte Netz auf die linke offensive Außenbahn rutschen. „Wir haben keine Scheu davor“, meinte Herthas Chefcoach, „er macht einen guten Eindruck.“

Eine weitere Option wäre ein Einsatz von Jordan Torunarigha auf der linken Verteidigerposition. Der 23-Jährige stand bisher in 2021 keine Spielminute auf dem Platz. Als linker Innenverteidiger spielte stattdessen Neuzugang Omar Alderete, der jedoch gegen Arminia Bielefeld eine schwache Leistung zeigte. Ob als linker oder als Innenverteidiger: ein erster Einsatz von Torunarigha in 2021 scheint jedenfalls am Samstag wahrscheinlich.

Sollten sowohl Matheus Cunha als auch Vladimir Darida ausfallen, hätte Labbadia auf die zentral offensive Position keine Option mehr und wäre zum Systemwechsel gezwungen. Es wird also bis kurz vor der Partie ein großes Rätsel bleiben, wie die Startaufstellung von Hertha BSC tatsächlich im Rhein Energie Stadion aussehen wird.

Schützenfest oder 0:0?

Während im Hintergrund auf Herthas Führungsebene einiges in Bewegung gesetzt wird, steht weiterhin die sportlich gefährliche Lage im Vordergrund. Wie bereits festgestellt, sieht es bei unseren Gegnern aus Köln ähnlich aus. Keine besonders guten Vorzeichen für attraktiven Fußball am Wochenende. Die beiden geschwächten Teams im Geisterspiel werden es nicht leicht haben, wieder ein Schützenfest abzuliefern. Dabei ging es vergangene Saison im Hin- und Rückspiel ordentlich rund: das Heimteam ließ sich jeweils vor eigenem Publikum abschießen, ganz zur Freude der Auswärtsfahrer.

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Auch unser Köln-Experte erwartet dieses Mal nicht gerade ein hohes Ergebnis: „Das Duell wirkt tatsächlich wie der Krisengipfel des kommenden Wochenendes. Viel Erbauliches ist da in meinen Augen nicht zu erwarten. Dazu dürfte der Druck auf beiden Seiten die Beine und Köpfe zu schwer machen. Ich tendiere daher tatsächlich Richtung 0:0.“  Ein 0:0 wäre dabei eigentlich für beide Seiten kein gutes Ergebnis und würde weder etwas an der schwierigen Lage verändern noch handfeste Gründe für eine Trainer- oder Managerentlassung liefern.

Auf einen Spieler wird Hertha leider nicht aufbauen können, der in der Vergangenheit öfters in Köln die Punkte für die „alte Dame“ durch seine Tore sicherte. „Immerhin besteht diesmal nicht die Sorge, dass einen Vedad Ibisevic zum x-ten Mal abschießen wird“, stellt Thomas fest. Im Gegenzug wird Jhon Córdoba nicht mehr für Köln treffen können. Stattdessen könnte er der Spieler sein, der dafür sorgt, dass das Spiel doch nicht mit 0:0 endet.

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Vorschau: Hertha BSC – FC Schalke 04: Duell der Pessimisten

Vorschau: Hertha BSC – FC Schalke 04: Duell der Pessimisten

Endlich ist 2020 vorüber: sehr viel Gutes konnten Hertha Fans im vergangenen Jahr nicht erleben, zumindest in sportlicher Hinsicht. Doch der Gegner der „alten Dame“ am Samstagabend erlebte ein Jahr, das so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird. Der FC Schalke 04 beendete das Jahr mit einer Serie von 29 sieglosen Bundesligaspielen, nur vier Punkten aus den ersten 13 Spielen und eine hübsche rote Laterne. Wie groß die Sorgen in Gelsenkirchen sind, wie beide Mannschaften aktuell drauf sind und warum Hertha-Fans trotzdem noch vergeblich Ihren Optimismus für diese Partie suchen, wollen wir in unserem Vorbericht besprechen.

Dabei stand uns wieder Hassan Talib Haji (auf Twitter @hassanscorner) unterstützend zur Seite, der uns freundlicherweise seine Eindrücke aus dem Schalker Umfeld schilderte.

Horror-Serie und Trainerwechsel

Aus der Ferne betrachtet ist es weiterhin schwer vorstellbar, wie es zu dieser schwierigen Lage bei Schalke 04 kommen konnte. Wir wollten natürlich von unserem Experten wissen, ob er uns da weiterhelfen kann: „Aus der Ferne betrachtet ist das wirklich nicht ganz einfach. Ich glaube, dass es in der Mannschaft nicht ganz stimmt. Zudem macht Vorstand Jochen Schneider keinen souveränen Eindruck auf mich. Er vermittelt mir nicht das Gefühl, dass sich Schalke aus der schlechten Lage befreien kann.”

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Nur vier Punkte aus 13 Spielen, dazu nur acht erzielte Treffer und 36 (!) Gegentore: das ist zweifellos eine schreckliche Bilanz. So wirklich lässt sich das nicht erklären, Hassan drückt es wie folgt aus: „Jeder Gegner hat Schalke bisher vor große Probleme gestellt. Manche mehr, manche weniger. Es ist auf den Punkt gebracht halt so: Schalke kassiert zu viele Gegentore, schießt selbst kaum welche. So kann man dann auch nicht erfolgreich sein.“

Kein Wunder also, dass es noch vor Ende des Jahres zum Trainerwechsel kam. Christian Gross wurde schließlich Cheftrainer und wird am Samstagabend sein erstes Spiel mit seiner neuen Mannschaft bestreiten. Viel über den neuen Coach kann uns Hassan nicht sagen, doch eines ist für ihn klar: „Dass etwas passieren musste, war längst abzusehen. Ob der Trainerwechsel hin zu Gross sinnvoll war, zeigt sich ja noch. Notwendig war der Abgang von Baum aber auf jeden Fall.”

Klar ist: in Gelsenkirchen kann man sich kaum noch Punktverluste leisten. Erste Siege müssen geholt werden, um nicht bereits nach Abschluss der Hinrunde quasi schon abgestiegen zu sein. „Gross wird zunächst mal versuchen, die Verunsicherung aus den Köpfen der Spieler zu bekommen“, sagt Hassan und fügt hinzu: „Das wird vermutlich ein hartes Stück Arbeit.”

Mark Uth wieder da– Kolasinac noch nicht

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Auf wen der neue Trainer insbesondere setzen wird, ist noch unklar. Der zuletzt noch am Kopf verletzte Mark Uth wird wieder fit sein und in die Mannschaft zurückkehren. Unsicher dafür sind noch Salif Sané und Knappen-Kapitän Omar Mascarell. Fest steht, dass der Rückkehrer Sead Kolasinac noch nicht für die Partie am Samstagabend zur Verfügung stehen wird, da dessen Leihe erst am 04. Januar beginnt.

Auf die Frage, auf welche Spielelemente und auf welchen Spieler bei Schalke 04 Hertha ganz besonders Acht geben muss, antwortet Hassan: „Schalke ist leider oft nur phasenweise gut (…). Im Moment macht Schalke generell als Mannschaft keinen guten Eindruck. Da gibt es im Speziellen jetzt keinen, der besonders heraussticht.“ Immerhin konnte man sich im DFB-Pokal zuletzt gegen den SSV Ulm 1846 mit 3:1 durchsetzen. Dabei erzielte Benito Raman gleich zwei Treffer, ein Spieler der leider besonders gerne auch gegen Hertha BSC trifft (fünf Treffer in drei Aufeinandertreffen).

Personell wird man in der Hauptstadt jedenfalls auf Dedryck Boyata verzichten müssen. Der Kapitän wird in den nächsten Wochen aufgrund einer Fußverletzung ausfallen. Dazu ist Santiago Ascacibar noch nicht wieder einsatzbereit und eine Einwechslung von Mathew Leckie werden Hertha-Fans ebenfalls nicht erleben. Der Australier hat Probleme an der Bauchmuskulatur. Ansonsten sind alle Profis aktuell fit.

Same procedure as last year? Same procedure as every year.

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Während man sich in Gelsenkirchen existenzielle Sorgen macht und verzweifelt Punkte braucht, basieren die Berliner Ängste vor allem auf subjektiver Ebene. Für viele steht es nämlich schon geschrieben: der unbeliebte Gegner aus dem Ruhrpott kommt angeschlagen in die Hauptstadt, hat seit 29 Spielen nicht mehr gesiegt und jagt den Negativ-Rekord von Tasmania Berlin. Wie soll es da anders kommen, als das Hertha das Spiel verliert? So kennt man die „alte Dame“, als Aufbaugegner, als Mannschaft, die mit der Favoritenrolle nicht umgehen kann. „Same procedure as every year“, würde man fast schon aus „Dinner for one“ zitieren wollen. All diese Elemente sind jedoch weder objektiv noch irgendwie mit Fakten zu belegen.

Bruno Labbadia zumindest wollte in der Pressekonferenz vor der Partie von Pessimismus oder Ängsten nichts hören: „Erstens geh’ ich nie mit Furcht in ein Spiel, sondern mit Optimismus. Das sollte auch die Mannschaft machen. Und wenn einer die Serie fürchten muss, dann ist es der Klub, der die Serie hat. Wir machen uns weniger Gedanken darum, dass ein Rekord aufgestellt werden kann, da es ist nicht unserer ist.”

Warum sich Hertha trotzdem keine zu großen Hoffnungen machen sollte, erschließt sich aus der Beobachtung der letzten Partien. Tatsächlich zeigten Labbadias Spieler beim SC Freiburg im letzten Spiel des Jahres 2020 insbesondere in der ersten Halbzeit eine desolate Vorstellung. Grundlegende Elemente im Spiel funktionierten nicht, die Profs wirkten weder motiviert noch bereit, sich an taktische Vorgaben zu halten. Dazu traten sie erneut verstärkt als Individualisten auf, und nicht als geschlossene Einheit auf dem Platz.

Mal wieder zurück zu den “basics”

Ausreden gibt es nach dieser Partie also nicht. Das machte auch Bruno Labbadia nach dem Freiburg-Spiel klar, als er medial die Einstellung und taktische Disziplinlosigkeit seiner Mannschaft kritisierte. Zum ersten Mal gab es auch eine öffentliche Kritik des Chefcoachs an Matheus Cunha, der erneut enttäuschte. Während die Gerüchteküche im Berliner Umfeld wieder aufkocht, wird man sich am Schenkendorffplatz wieder um grundlegende Dinge kümmern müssen. Um die sogenannten fußballerischen „Basics“ und um die nötige Mannschaftseinstellung. Hertha-Fans werden sich zum Jahreswechsel jedenfalls wünschen, dass ihre Mannschaft diese Grundtugenden wieder auf dem Platz zeigen.

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Zum Jahreswechsel wünscht man sich schließlich einiges, bei Schalke 04 natürlich am allermeisten eine Rettung aus der schwierigen Lage. So geht es auch Hassan: „Selbstverständlich wünsche ich mir, dass der Klub da unten herauskommt und die Abstiegszone verlässt. Das wird ein harter und langer Weg.“ In Pandemie-Zeiten bleibt aber auch der Fußball nur eine Nebensache: „Persönlich hoffe ich natürlich, dass mein persönliches Umfeld und auch ich weiterhin gesund bleiben. Das wünsche ich euch natürlich auch.” Dem können wir uns an dieser Stelle nur anschließen.

Duell der Pessimisten

Das Duell am Samstagabend wird sicherlich kein Wunschkonzert und sonderlich optimistisch scheint wohl keines der Beiden Fanlager zu sein. Unser Experte ist da keine Ausnahme und tippt auf eine knappe Niederlage seiner Mannschaft. Nach Berlin fährt mit Gelsenkirchen ein angeschlagener Boxer, der kurz vor dem K.O. noch zum letzten großen Schlag ausholt. Dabei muss die „alte Dame“ darauf achten, diesen Schlag auszuweichen, um nicht selbst k.o. zu gehen. Hertha wird jede Kraft brauchen, um nicht wieder in alte Muster zu verfallen, und im Jahr 2021 endlich ein neues, besseres Gesicht zu zeigen. Aufbaugegner war man bereits in jüngerer Vergangenheit zu oft.

Egal welche Taktik Labbadia wählt, wie der Rasen aussieht, wie der Schiedsrichter pfeift oder was die Spieler gefrühstückt haben: im ersten Spiel des Jahres muss Hertha BSC siegen, um das Ruder umzudrehen. Ansonsten werden auch den geduldigsten Anhänger die Argumente ausgehen und ein weiteres Chaos-Jahr kann starten.

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Jahresrückblick: Teil 3 – Eine unmögliche Vorbereitung

Jahresrückblick: Teil 3 – Eine unmögliche Vorbereitung

Am Ende dieses verrückten Jahres blicken wir bei Hertha BASE in einer vierteiligen Serie auf die wichtigsten Ereignisse und Vorkommnisse bezüglich Hertha zurück.

Im dritten Teil des Rückblicks geht es um eine wohl noch nie derart erlebte Sommerpause. Wir erinnern uns zurück an eine suboptimale Vorbereitung, durch die sich Bruno Labbadias Team quälen musste.

Viele Fragezeichen nach der Saison – Umbruch deutet sich an

Da war es endlich soweit: die so chaotische Saison 2019/20 war endlich zu ende und Hertha machte sich für den großen Umbruch im Sommer bereit. Bruno Labbadia hatte es also geschafft, den kompletten Absturz der „alten Dame“ zu verhindern. Der nächste Schritt sei klar: man wolle die Mannschaft gut zusammenstellen, einen Spielstil entwickeln. „So wie man ein Haus aufbaut, sollte man auch eine Mannschaft aufbauen. Vom Grundstock, denn ohne den kann kein Haus stehen bleiben“, erklärte Herthas Chefcoach zu Beginn der Vorbereitung. Anders ausgedrückt: die bereits im letzten Teil angesprochene zentrale Achse muss bis Saisonstart feststehen und die Basis für Herthas Spiel darstellen. Genau diesbezüglich stellten sich bereits nach der letzten Partie in Gladbach große Fragen.

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Tatsächlich fielen aus der so wichtigen zentralen Achse mit Per Skjelbred, Marko Grujic und Vedad Ibisevic gleich drei (!) Spieler weg. Skjelbred wechselte zurück in die Heimat und der Vertrag mit Ibisevic wurde nicht verlängert. Eine „schwere Entscheidung“, wie Labbadia später erklärte, doch man habe sich bewusst für den „schwierigen Weg“ entschieden, eine junge Mannschaft zusammenzustellen.

Am Ende verließen im Sommer gleich acht Spieler, die eine geringe bis hochwichtige Rolle im Kader spielten, die „alte Dame“. Salomon Kalou, Marko Grujic, Per Skjelbred, Vedad Ibisevic, Alexander Esswein, Karim Rekik, Marius Wolf, Thomas Kraft und Arne Maier: dass es zu lange dauern würde, auf jeden dieser Spieler einzugehen, zeigt bereits, wie groß der Umbruch im Kader war. Um diese Abgänge aufzufangen, sollten neue Spieler auf folgende Positionen geholt werden: Tor, rechte Verteidigung, Achterposition, rechte Außenbahn und Sturm.

Vom „Performance Manager“ zum Sportdirektor

Eine große Aufgabe also im Sommer, für die jedoch nicht nur Michael Preetz und Bruno Labbadia verantwortlich werden sollten. Bereits Ende Juni wurde Arne Friedrich zum Sportdirektor bei Hertha BSC ernannt. Der ehemalige Kapitän der Blau-Weißen wurde endlich vom schwammigen Titel „Performance Manager“ befreit. Seine Ernennung sollte nach Angaben des Vereins gerade keine Entmachtung von Manager Michael Preetz sein. Der 41-Jährige sollte stattdessen ein Bindeglied zwischen Mannschaft und Geschäftsführung darstellen.

Darüber hinaus sollte er mit in der Kaderplanung eingebunden werden. Er sei: „in Absprache mit dem Geschäftsführer mitverantwortlich für die sportliche Planung und die Kaderplanung, für strategische Themenfelder, die aufkommen, und auch für das Personal-Management.” Nach der unübersichtlichen und chaotischen Saison klang zumindest diese personelle Entscheidung sinnvoll. “Wir wollen im nächsten Jahr in ruhigere Fahrwasser, daran arbeiten wir”, meinte der neue Sportdirektor. Eine Aussage, die im Rückblick natürlich alles andere als prophetisch gelten kann.

Michael Preetz sollte jedoch in diesem Sommer jede Unterstützung gut gebrauchen können. Die Transferperiode gestaltete sich aufgrund der Corona-Situation besonders schwierig. Hertha musste außerdem wie auch andere Vereine in Deutschland, durch die fehlenden Zuschauereinnahmen in dieser und letzter Saison zweistellige Einnahmeverluste hinnehmen. Auch deshalb sollte die Botschaft am ersten Juli 2020 die Hertha-Verantwortlichen besonders erfreut haben. Die Tennor Holding B.V. stockte ihre Anteile auf und versprach die Zahlung von rund 150 Millionen Euro.

„Geldregen“ als Fluch und Segen

Eine gerade in Corona-Zeiten fast schon ungesund hohe Summe sollte also in Herthas Kasse fließen. Ein riesiger „Geldregen“ also für Hertha BSC. Der Investor-Club konnte wieder wie im Winter die großen Millionen raushauen und bereits in der Saison 2020/21 eine neue Macht in der Bundesliga darstellen. So zumindest klang es bundesweit in den Medien und in sozialen Netzwerken. Die Realität jedoch, war wie schon so oft eine völlig andere.

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Im Sommer flossen von den 150 Millionen „nur“ 50. 100 weitere sollten im Oktober folgen, was jedoch, wie wir heute wissen, ausblieb. Michael Preetz konnte also nicht plötzlich 150 Millionen Euro für neue Spieler ausgeben. Auf den Punkt brachte es Herthas Cheftrainer: „Wir haben ein Stück Geld bekommen, worüber wir sehr froh sind, aber wir brauchen eine Einordnung, es ist nicht so, dass wir uns damit eine Mannschaft aufbauen können“. Stattdessen wolle man „klug vorgehen und genau schauen, wer zu den Spielern, die schon hier sind, passt.” Die Abgänge würde man nicht durch große Stars ersetzen können “(…) es ist nicht so, dass wir fünf, sechs Top-Spieler holen können“, so Labbadia.

Doch diese Erkenntnis schien nicht überall angekommen zu sein. Tatsächlich gestaltete sich die Suche nach neuen Spielern umso schwieriger: Hertha galt für andere Vereine und Spieleragenten als „stinkreich“ und wurde vor horrenden Preisschildern gestellt. Verhandlungen schienen oft an zu hohe Erwartungen zu scheitern. Michael Preetz, der zu Beginn der Transferperiode noch optimistisch schien, musste schnell feststellen: „Wir spüren, dass eine andere Erwartungshaltung da ist.“

Gerüchtefestival und späte Transfers

Dies zeigte sich auch ganz besonders daran, dass es im Sommer einen regelrechten Gerüchtefestival rund um Herthas angebliche Neuzugänge gab. Kaum ein Tag verging ohne eine Meldung: Hertha BSC sei an diesen Topspieler interessiert. Es fielen Namen wie Draxler, Götze, Boateng, Trapp, Reine-Adelaide, Calhanoglu oder Jovic. Und auch wenn es teilweise konkrete Gespräche mit einigen Spielern gab, blieben die allermeisten Gerüchte gegenstandlos. Im Sommer hatten wir hier eine Übersicht über Transfergerüchte erstellt, die mit der Zeit auch recht lang wurde.

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Preetz hatte mehrmals betont, dass der Markt gegen Ende der Transferperiode noch aktiver werden würde, und Hertha dort gute Chancen hat, zuzuschlagen. Am Ende blieb jedoch das Gefühl, er habe sich geirrt. Auch gegen Ende blieb der Transfermarkt vergleichsweise ruhig. Herthas Manager konnte die Transfers von Mario Götze, Reine-Adelaide und Marko Grujic nicht vollenden, musste auf Alternativen ausweichen.

Auf den bereits angesprochenen fünf gewünschten Positionen kamen nur vier Spieler: als Torhüter Alexander Schwolow, als rechter Verteidiger Deyovaisio Zeefuik, auf der Acht Mattéo Guendouzi und als Stürmer Jhon Córdoba. Ein Spieler für die Außenbahn wurde nicht geholt und ansonsten nur Spieler ersetzt (Eduard Löwen für Arne Maier, Omar Alderete für Karim Rekik). Vollkommen zufrieden war Cheftrainer Labbadia nach der Transferperiode jedenfalls nicht: „Wir haben eine andere Vorstellung gehabt“, sagte er zu den Transfers. „Aber wir haben noch das Bestmögliche daraus gemacht.“

Niederlagen und Torlosserie vor der Saison

Herthas neue zentrale Achse war also in der Sommervorbereitung erstmal nur Zukunftsmusik: mit Lucas Tousart kam bereits am 1. Juli ein wichtiger Neuzugang für das zentrale Mittelfeld, es folgten relativ zeitnah Deyo Zeefuik für die rechte Verteidigung und Alexander Schwolow, der immerhin die Torhüterdiskussion beendete. Letzterer wurde auch angeblich vor der Nase eines gewissen Ruhrpott-Vereins weggeschnappt, was im Hertha-Lager einige besonders freute. Spieler wie Mattéo Guendouzi oder Jhon Cordoba kamen allerdings erst nach Saisonbeginn, verpassten somit die gesamte Vorbereitung.

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Somit fehlten Spieler, die für das Offensivspiel und die Torgefahr eine zentrale Rolle übernehmen sollten. Das sollte auch im Laufe der Vorbereitung in Testspielen besonders spürbar werden. Zwar begannen die Blau-Beißen mit einem 2:0 Erfolg gegen Viktoria Köln. Es folgte aber eine torlose Testspiel-Niederlagenserie: 0:1 gegen Ajax Amsterdam, 0:4 gegen PSV Eindhoven. Zum Abschluss einer misslungenen Vorbereitung gab es noch ein 0:2 gegen den Hamburger SV. In diesen Spielen war deutlich zu spüren, dass noch ein sehr langer Weg für Labbadias Trainerteam zu gehen ist. Besonders die Spiele gegen die niederländischen Mannschaften deuteten darauf hin, dass Hertha noch sehr weit davon weg ist, ernste europäische Ambitionen haben zu dürfen.

Ein richtiger Rhythmus sollte erst gar nicht aufkommen für die Spieler von Bruno Labbadia. Noch vor dem ersten Testspiel gegen Köln wurde die Partie gegen Saint Étienne abgesagt. Der französische Erstligist hatte Corona-Fälle zu beklagen. Es sollte nicht das erste Testspiel bleiben, das abgesagt werden sollte. Auch das Spiel gegen PSV Eindhoven sollte ursprünglich zwei Mal 90 Minuten dauern. Daraus wurde nur eine Partie. So konnte Herthas Coach nicht wie geplant den Spielern die gewünschte Spielpraxis geben.

Länderspielpausen – Herthas Vorbereitungs-Killer

Auch das Aufbauen eines Teamgefühls und die Bildung einer echten „Mannschaft“ wurde durch die Corona-Lage erschwert. Eine Reise ins Sommertrainingslager war auch für Hertha BSC keine Option. Stattdessen verbrachten die Spieler die Vorbereitung auf dem Klubgelände, wo auch extra Schlafplätze eingerichtet wurden.

Immerhin konnte Matheus Cunha im Trainingspiel ein sehenswertes Tor mit Marcelinho-Vibe erzielen:

Viel schwerwiegender wurde jedoch die Tatsache, dass Bruno Labbadia in den letzten zwei entscheidenden Wochen der Vorbereitung auf seine Nationalspieler verzichten musste. Die Länderspielpause Anfang September stellte die letzte große Hürde dar. Die berufenen Spieler wurden auch ohne große Rücksicht auf die Bedürfnisse des Vereins in Risikogebiete geschickt, und dort teilweise nicht einmal eingesetzt. Trotzdem mussten diese Spieler zunächst bei ihrer Rückkehr dem Teamtraining fernbleiben. So fehlte z.B. Krzysztof Piątek im Pokalspiel in Braunschweig.

Im letzten Test gegen Hamburg war sogar fraglich, ob Hertha überhaupt eine Mannschaft zusammenbekommt. „Wir hoffen, dass wir zumindest elf Spieler zusammen bekommen“, hieß es vom Coach. Auf diese Länderspielpause angesprochen wirkte bis heute Labbadia fast schon frustriert. Kein Wunder: schließlich konnte er beispielsweise erst am 22. September die Kapitänsfrage klären, da er zuvor wochenlang nicht alle Spieler beisammen hatte. Allein das zeigt bereits, wie viel Hektik und wie wenig Zeit es gab, um den von Hertha gestarteten Umbruch ordentlich umzusetzen.

Fazit der Vorbereitung – Schwierigkeitsgrad zu hoch

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Abschließend muss man feststellen: das, was für jede Bundesligamannschaft eigentlich als Basis für die Saison dienen sollte, erwies sich für Hertha BSC diesen Sommer eher als eine zusätzliche Last. Am Ende stolperte man sich eher durch. Die von vielen erwartete Shopping-Tour mit Windhorst-Millionen blieb aus, die großen Namen ebenfalls. Der große Umbruch in der Mannschaft erfolgte allerdings trotzdem notgedrungen, durch die vielen Abgänge.

Sicherlich mussten alle Teams durch die Corona-bedingte außergewöhnliche Lage viele Komplikationen erleiden. Doch ein neuer Trainer, im neuen Kontext und mit einer Mannschaft im Umbruch, ist es noch eine größere Herausforderung gewesen. Was im „normalen“ Kontext bei Hertha so oder so eine schwierige Aufgabe gewesen wäre, schien im aktuellen Kontext noch eine Spur schwieriger zu sein. Vor allem, um diesen „nächsten Schritt“ zu gehen, den Hertha bereits vor anderthalb Jahren erreichen wollte.

Eines muss man jedenfalls feststellen: gut erholt, gut vorbereitet und ohne Zweifel im Gepäck kam die „alte Dame“ ganz sicher nicht in die neue Saison. Vielleicht hätte man den Schwierigkeitsgrad runtersetzen sollen.

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Herthaner im Fokus: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin

Nach einer ereignisreichen Woche konnten Hertha-Fans am Freitagabend einen sportlichen und emotionalen Höhepunkt erleben. Mit 3:1 setzte sich Hertha BSC gegen den Stadtrivalen 1. FC Union Berlin durch und holte sich so den Derbysieg. Vom Fahnenmeer über die „Aktion Herthakneipe“-Trikotaktion bis zum Erfolg im Olympiastadion: es war einfach eine sehr gelungene Woche für die Blau-Weißen! Trotzdem wollen wir die immer noch frische Derbysieg-Euphorie einen kurzen Moment lang runterdrehen, um uns wie gewohnt die Leistungen einzelner Herthaner etwas näher anzuschauen.

Peter Pekarik – zweiter Frühling als Torjäger

Den Anfang wollen wir mit dem Spieler machen, der unter Bruno Labbadia so etwas wie einen zweiten (dritten? vierten?) Frühling erlebt. 19 Pflichtspiele unter Bruno Labbadia: drei Treffer und zwei Torvorlagen. Nicht allzu lang ist es her, da galt Peter Pekarik noch mit 150 Bundesligaeinsätzen ohne Treffer als einer der torungefährlichsten Spieler der Bundesliga. Jetzt ist er so torgefährlich wie noch nie in seiner Karriere.

Noch beeindruckender ist allerdings die Tatsache, dass sich der 34-Jährige wider Erwarten bei Hertha gegen mehrere jüngeren Konkurrenten als rechter Verteidiger durchgesetzt hat. Im Derby zeigte sich der dienstälteste Herthaner (im Verein seit 2012) wieder in sehr guter Verfassung und machte ein sehr gutes Spiel. Knapp zwölf Kilometer lief er, ackerte unermüdlich auf seiner rechten Außenbahn und war dort sehr präsent. Obwohl Herthas Spiel insbesondere in Halbzeit eins eher linkslastig war, war er immer wieder zu sehen und hatte einige Aktionen nach vorne. Dazu kamen 94% seiner Pässe an.

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Bereits in der zweiten Minute konnte Pekarik all seine Erfahrung und Ruhe zeigen, als er sekundenlang einen langen Ball von Union abschirmte und einen Abstoß für sein Team herausholte. Durch die taktische Aufstellung in der ersten Halbzeit schaltete er sich öfters in die Offensive mit ein, ohne seine defensiven Aufgaben zu vernachlässigen. In seinen Vorstößen wurde er dabei von Lucas Tousart abgesichert, der sich auf der rechten Seite fallen ließ. Doch die Taktik funktionierte gegen der gut organisierten und kompakten Abwehr der Unioner nicht wirklich. Kein Wunder also, dass Pekariks Treffer erst in der zweiten Halbzeit fiel, nachdem Bruno Labbadia sein Team zurück in ein 4-2-3-1 umgestellt hatte. Auch im bekannten System überzeugte der Slowake und ließ sich auch bei den wenigen Gegenangriffen der Unioner nicht überspielen. 

Pekarik weiß wohl am Besten im aktuellen Hertha-Kader, wie wichtig ein Derby für Fans und Umfeld ist. Er zeigte sich dabei stets auf der Höhe und macht es somit seiner Konkurrenz auf seiner Position nicht leicht. Für Hertha ist er momentan wichtiger denn je.

Mattéo Guendouzi – Like a Boss

In einer eher schwachen Partie, in der Hertha erneut große Schwierigkeiten hatte, Chancen zu kreieren, konnte Mattéo Guendouzi positiv herausstechen. Der Franzose zeigte sich von der ersten Minute an hochmotiviert und sehr präsent im Spielaufbau. Dass die linke Seite von Hertha in der ersten Halbzeit deutlich mehr bespielt wurde, als die rechte, lag auch an ihm. Links orientiert holte er sich viele Bälle aus der eigenen Hälfte und aus dem Mittelfeld. Er war immer anspielbar und deutlich bemüht, dem Spiel seinen Stempel aufzulegen, was sich auch am Laufwert zeigte (11,75 Kilometer).

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Die bereits angesprochene Taktik von Hertha in Halbzeit eins sorgte dafür, dass sich Guendouzi oft bei Gegenangriffen von Union Berlin auf der linken Verteidigerposition wiederfand. So musste er beim 0:1 unglücklicherweise im Mittelpunkt stehen, als er nach einer Fehlerkette der Defensive Unions Stürmer Taiwo Awoniyi nicht mehr am Schuss hindern konnte. Das Offensivspiel der Blau-Weißen war trotz der Bemühungen von Arsenals Leihgabe so gut wie wirkungslos, da Union Berlin bestens auf Herthas Taktik eingestellt war.

Das änderte sich in der zweiten Halbzeit nach der taktischen Umstellung. In einer Doppelsechs bzw. Doppelacht übernahm Guendouzi den offensiven Part und überließ die Absicherung meistens Niklas Stark. Dadurch bekam er mehr Raum und zeigte immer mehr seine Qualität. Mit Javairo Dilrosun spielte er zum ersten Mal zusammen. Beide harmonierten zeitweise recht ordentlich, insbesondere in der letzten halben Stunde. Der „vorletzte“ Pass kam bei Herthas Angriffen dabei oft vom Franzosen: erst fand er Matheus Cunha beim 1:1, dann Dilrosun zum 3:1. Auch kurz vor Schluss bereitete er die Großchance des Niederländers vor.

Ab und an agierte der junge Franzose auch im Derby allerdings etwas übereifrig und hätte mit dem einen oder anderen misslungenen Risikopass auch einen gegnerischen Konter einleiten können. Es bleibt aber bei einer soliden Partie von Guendouzi, der sich langsam zum Leader im Mittelfeld entwickelt. Im Kopf bleibt auch sein Jubel vor der leeren Ostkurve, bei dem er mit imaginären Fans abklatschte und ihnen sein Trikot zuwarf. Hertha hat sich für diese Saison mit Guendouzi einen sehr guten Fußballer geholt, der darüber hinaus sofort verstanden hat, wie wichtig ein Derbysieg für Hertha-Fans und im Umfeld ist.

Javairo Dilrosun – eine überraschende Rückkehr

Seine Einwechslung kam etwas überraschend: in den letzten drei Bundesligapartien von Hertha BSC bekam Javairo Dilrosun nicht eine Minute Einsatzzeit. Schon nach 45 Minuten kam er jedoch im Derby rein, genauso wie Krzysztof Piatek. Die fehlende Spielpraxis war in den ersten 15 Minuten des Niederländers deutlich zu spüren: oftmals war er einen Schritt zu spät, traf mehrmals die falsche Entscheidung und war kaum im Spiel eingebunden. Von Minute zu Minute steigerte er sich jedoch und zeigte sich immer besser im Zusammenspiel mit Mattéo Guendouzi und Marvin Plattenhardt. Seine Einwechslung sollte darüber hinaus noch entscheidend werden: an beiden Treffern von Piatek war er unmittelbar beteiligt.

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Dilrosun war bisher in dieser Saison so etwas wie ein Rätsel, doch im Derby konnte er insbesondere in den letzten 30 Minuten wieder zeigen, was ihn als Spieler ausmacht und wie wichtig er für Herthas Spiel werden kann. Trotz Überzahl hatten die Spieler der „alten Dame“ nämlich weiterhin Probleme, sich Großchancen zu erarbeiten, und die kompakte Defensive aus Köpenick zu knacken. Sollten sich diese Probleme auch in den nächsten Spielen zeigen, könnte ein fitter und formstarker Dilrosun eine echte Waffe sein.

Kristof Piatek – vom Problemspieler zum Derbyhelden

Last but not least wollen wir uns mit dem Spieler beschäftigen, der wohl für die größte positive Überraschung bei Hertha-Fans sorgte. Der Pole wurde seit Monaten in Medien und sozialen Netzwerken oftmals kritisiert. Trotz seiner eindeutigen Qualitäten wurden Zweifel groß, dass er nicht zum System von Bruno Labbadia passe. In der laufenden Saison konnte er leider auch nur wenig Argumente für sich sammeln, bekam zunächst wenig Einsätze und fand erst nach der Verletzung von Jhon Cordoba zurück in die Startelf. Es folgten zwei schwache Einsätze gegen Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen und im Derby musste er zunächst auf der Bank Platz nehmen.

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Doch um die Kritik, zumindest zeitweise, verstummen zu lassen, suchte sich der polnische Nationalspieler doch das richtige Spiel aus. Nach 45 Minuten wurde er eingewechselt, sein erster Schuss sorgte noch in der 69. Minute nicht gerade für Applaus. Doch dann war das Glück beim 2:1 auf seiner Seite, als sein Schuss unhaltbar für Luthe abgefälscht wurde. Beim 3:1 bewies „il pistolero“ seine wohl größte Qualität: sein absoluter Torriecher vor den Kasten. Auch seine gute Schusstechnik war im Derby gut zu erkennen und kurz vor Schluss hätte Piatek auch noch seinen Hattrick perfekt machen können, als er per Weitschuss den Unioner Keeper prüfte.  

Das Offensivspiel der „alten Dame“ war wie bereits angesprochen auch trotz der drei Treffer nicht gerade das gelbe vom Ei. Trotzdem konnte der Pole dabei zwei wichtige Tore im Derby erzielen, die so schnell nicht unter Hertha Fans vergessen werden: er ist schließlich der erste Doppeltorschütze dieser Konfrontation. Sicherlich räumt das nicht alle Zweifel aus dem Weg, es bleibt fraglich, ob sich Piatek langfristig in Labbadias Mannschaft etablieren kann.

Seine Werte sind jedenfalls alles andere als schlecht: in 1.415 Spielminuten für Hertha schoss er immerhin acht Tore und drei Torvorlagen. Sollte er auch in den nächsten Partien seine Tore schießen, wird es auch für die größten Zweifler schwer werden, den Wert des Spielers für Hertha BSC zu verkennen. Nach dem Spiel wurde Krzysztof Piatek noch gefragt, ob er nicht ein Wort auf Deutsch sagen wolle. Seine Antwort, breit grinsend, könnte der perfekte Abschlusssatz unserer Rubrik sein: „Alle zusammen, Hertha!“

Und dann war da noch:

Matheus Cunha: Dass es mit 21 Jahren völlig normal ist, Leistungsschwankungen zu erleben, ist klar. Auch Matheus Cunha ist davon nicht verschont. Im Heimspiel gegen Borussia Dortmund war es noch bester Herthaner auf dem Platz. Wie schon vergangene Woche in Leverkusen jedoch schaffte es der Brasilianer nicht wirklich, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Seine Einzelaktion zum 1:1, in der er sich sehenswert durchsetzte und per Weitschuss Union-Keeper Andreas Luthe zum Fehler zwang, war leider seine erste und letzte wirklich starke Aktion dieser Partie. Im nächsten Spiel, gegen Borussia Mönchengladbach, wird Hertha auf seinen besten Torschützen verzichten müssen. Der Brasilianer holte sich seine fünfte gelbe Karte und muss ein Spiel pausieren. Gut möglich, dass er nach dieser Zwangspause mit neuem Elan und Energie zurückkehrt, und wieder ein besseres Gesicht zeigt. Ein Matheus Cunha in Topform ist schließlich nicht zu ersetzen.

Jordan Torunarigha: Zurück von seiner längeren Verletzungs- und Coronabedingten Pause zeigte sich beim 23-Jährigen in der Anfangsphase noch die fehlende Spielpraxis. Etwas ungenau und überhastet agierte der Innenverteidiger, der außerdem beim 0:1 nicht besonders gut aussah. Allerdings wurde er im Verlauf des Spieles immer sicherer, eroberte seine gewohnte Stabilität zurück und profitierte auch von der Überzahl, die ihm etwas mehr Freiheiten nach vorne ermöglichte. Insgesamt eine gelungene Rückkehr für Torunarigha, der beste Chancen hat, seinen Stammplatz zurückzuerobern.

Niklas Stark: Der 25-jährige ist ebenfalls eine Erwähnung wert. Er schaltete sich nur selten im Offensivspiel mit ein und sah beim 0:1 ähnlich wie Torunarigha nicht gut aus. Doch auch er kämpfte sich in die Partie zurück und kam mit dem 4-2-3-1 System in der zweiten Halbzeit deutlich besser zurecht.

Deyovaisio Zeefuik – ein Kämpfer für die Hertha

Deyovaisio Zeefuik – ein Kämpfer für die Hertha

Lange musste Hertha sich gedulden, schließlich klappte es mit dem Transfer. Der neue Mann, mit der etwas ungewöhnlichen Nummer 42 im Rücken, heißt Deyovaisio Zeefuik. Ein Name, das gefundenes Fressen für Wortspiel-Liebhaber ist und für manche Kommentatoren sicher eine Herausforderung werden wird, jedoch ganz einfach mit „Deyo“ abgekürzt werden kann. Der junge Niederländer soll das neue Gesicht auf der rechten Verteidigerseite von Hertha BSC werden und für die nächsten Jahre die „alte Dame“ verstärken. Wir haben uns Herthas Neuzugang genauer angeschaut, und dabei viele noch unbekannte Aspekte für uns entdeckt.

Dabei hatte wir das Glück, einen echten Experten an unserer Seite zu haben, der unsere Fragen beantworten konnte. Jan (auf Twitter @janwillemspaans) ist Journalist und Autor, kennt sich in der Niederländischen Liga, der „Eredivisie“, bestens aus und konnte uns einiges über „Deyo“ erzählen. Mit ihm blicken wir gemeinsam auf den neuen Mann und seine Perspektive in blau-weiß.

Von der Ajax-Akademie zum FC Groningen

“Deyo” mit seinen alten Bekannten bei Hertha BSC. (Foto: IMAGO)

Ganz allein und ohne Freunde wird Herthas Neuzugang ganz sicher nicht sein: an der Spree trifft er auf alte Bekannte. Gemeinsam mit Javairo Dilrosun spielte er in der Jugend von Ajax Amsterdam. Daishawn Redan kannte er aus seiner Nachbarschaft: „Manchmal haben wir zusammen auf der Straße gekickt“, kann sich „Deyo“ erinnern. Auch Redan spielte in der Ajax-Jugend. Entwickelt sich Hertha zu einer Art „Mini-Ajax“? „Alle drei (Dilrosun, Redan und Zeefuik) sind in Amsterdam geborene Jungs, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bis in die erste Mannschaft von Ajax gekommen sind, aber durchaus in der Lage sind, gute Bundesligamannschaften wie Hertha stärker zu machen“, sagt unser Experte dazu.

Jan selbst kommt ebenfalls aus Amsterdam und erklärt uns, was die Jugendakademie dort so besonders macht: „Die Ajax-Akademie ist ein Markenzeichen für Exzellenz. Sie genießen den Luxus eines dicht besiedelten Gebiets, profitieren von einer Vielfalt von hochkarätigen Trainern. Von jedem Trainer der ersten Profi-Mannschaft wird außerdem erwartet, dass er jungen Talenten ihre Chance gibt – was auch bei Deyo der Fall war!“

Auf die Frage, wie dieser erste Eindruck von Deyovaisio Zeefuik bei den Profis war, muss Jan zunächst einmal etwas schmunzeln: „Ich komme aus Amsterdam, und obwohl ich das lokale Team nicht besonders unterstütze, tun es die meisten meiner Freunde. Sie bemerkten ihn das erste Mal in der Saison 2017/18. Man kann mit Sicherheit sagen, dass er nicht vom ersten Tag an ein großartiger Spieler war. Er war dieser unbesonnene, ungeschickte Fußballer, und es war klar, dass er erstmal wegziehen musste, um Spielzeit zu bekommen. Es führte ihn ja dann zum FC Groningen.“

Erster Erfolg in Groningen

Dort kam Zeefuik erst richtig in die Eredivisie an, setzte sich prompt als Stammspieler auf der rechten Verteidigerposition durch und spielte dort zweieinhalb Spielzeiten so gut wie jede Partie durch. Durch die regelmäßige Spielpraxis bei den Profis verabschiedete er sich schnell vom Bild des „unbesonnenen, ungeschickten Fußballer“. Jan beschreibt ihn heute wie folgt: „Er verkörpert einfach “Action”. Er ist unglaublich im Spiel involviert, ist Spitze in allen Kategorien. Tacklings, Dribblings, eins gegen eins, er ist ein sehr fleißiger Junge.“

Die Nummer “42” hatte Deyo bereits in der Jugend bei Ajax Amsterdam auf dem Rücken. (Foto: IMAGO)

Kein Wunder also, dass er auch in der Saison 2019/2020 beinahe jede Minute für den FC Groningen auf dem Platz stand. „Ich liebe seine Energie“, sagt unser Experte, „Kein Verteidiger in der Eredivisie dribbelte so viel wie Zeefuik in der Saison 2019/20, 2018/19 war er bei den Tacklings ganz oben auf der Liste. Er schlägt auch sehr gute Flanken und wird auf dem rechten Flügel jeden Zentimeter abdecken.“

Seine Qualitäten waren insbesondere auch im System vom FC Groningen wertvoll, das, wie uns Jan erklärt, einen eher für den niederländischen Fußball untypischen defensiven Fußball spielt. „Der FC Groningen kassiert sehr wenig Tore. Das bedeutet, dass Zeefuik immer einen Innenverteidiger hatte, der bei seinen Vorstößen für Absicherung sorgte. So haben sie also wirklich zu seinen Stärken gespielt.“

Mehr Stärken als Schwächen

Das alles klingt zunächst sehr vielversprechend. Doch uns interessiert auch, was dem 22-Jährigen noch fehlt. Wo gibt es in seinem Spiel noch Verbesserungspotenzial? Auch hier teilt Jan mit uns seine Eindrücke: „Seine Neigung, im Grunde genommen „für zwei Spieler zu arbeiten“, führt dazu, dass er bei Konter manchmal zu weit vorne steht. Das ist etwas, woran man arbeiten sollte.“ Seiner Meinung nach sei dies aber kein Grund zur Sorge: „Da er erst 22 Jahre alt ist, sollte er in der Lage sein, sein Positionsspiel weiter zu verbessern. Es ist jetzt schon viel besser als zu seinen Anfängen!“

Trafen sich bereits in den Jugend Nationalmannschaften – Maxi Mittelstädt und Deyovaisio Zeefuik. (Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Mit solchen Qualitäten wird er sicherlich auch für die Nationalelf der Niederlande interessant geworden sein. Da der junge Verteidiger bei Hertha einen langfristigen Vertrag unterschrieben hat, wollten wir also von Jan wissen, ob „Deyo“ in den nächsten zwei bis drei Jahren auch eine Option für „Oranje“ werden könnte: „Aber natürlich! Nationaltrainer Ronald Koeman setzt auf Offensivdenkende Außenverteidiger, deshalb ist aktuell Denzel Dumfries seine erste Wahl. Er und Zeefuik sind Spieler, die man gut vergleichen kann. Mit Dumfries sowie mit Atalanta Bergamos rechter Verteidiger Hans Hateboer hat Deyo eine harte Konkurrenz, aber Herr Koeman behält die Bundesliga genau im Auge!“ Letzteres hat man ja bereits bei dem Debüt von Dilrosun beobachten können.

Jetzt ist die Bühne für Zeefuik tatsächlich größer geworden. Sollte er sich in der Hauptstadt durchsetzen und eine gute Saison spielen, könnten seine Chancen deutlich steigen. Das wird sicher auch eine Rolle in den Überlegungen des Niederländers gespielt haben, als er sich seinen neuen Arbeitgeber ausgesucht hat. Bevor der junge Niederländer endlich in Berlin ankommen konnte, gab es jedoch ein langes hin- und her. Auch Zeefuik selbst beschwerte sich öffentlich über die Verantwortlichen seines „noch“-Vereins und drohte mit einem ablösefreien Wechsel, sollten diese ihn nicht zu Hertha lassen. Schließlich war es am 6. August soweit und Michael Preetz verkündete den abgeschlossenen Transfer.

Wechseltheater führt zur Charakterfrage

Spieler, die einen Wechsel forcieren sind bekanntlich bei Hertha-Fans nicht so gern gesehen. Nicht zuletzt echauffierte man sich über die Causa Samardzic. Eine Frage, die uns deshalb interessierte, war ob „Deyo“ eine solche Situation bereits erlebt hatte und ob er möglicherweise charakterliche Schwächen hat. Jan konnte uns da etwas beruhigen: „Nein, ganz und gar nicht! Die Fans liebten Deyo. Er spielte mit einer gebrochenen Hand weiter, ließ jeden Tropfen Energie auf dem Spielfeld, sodass er in Groningen ein Publikumsliebling war. Auch wenn sein Abschied nicht auf die beste Art und Weise erfolgte, so scheint er doch mit den besten Wünschen aller den Verein verlassen zu haben.“ In der heutigen Zeit, bei jungen Fußballern, solle man sich jedoch keine Illusionen machen: „Ja, wenn er seine Sache wirklich gut macht und ein größerer Verein anklopft, wird er wahrscheinlich weiterziehen wollen.“

In Groningen hat Zeefuik überzeugt. (Foto: IMAGO)

Dieser Wille, diese Charakterstärke, die Jan bei Deyovaisio Zeefuik sieht, konnte man bereits in seinen ersten Trainingseinheiten bei Hertha BSC feststellen, wo er mit der hohen Intensität zu kämpfen hatte. Die lange Pause, durch den frühen Saisonabbruch der Eredivisie (sein letztes Plichtspiel bestritt Deyo am 8. März), war dabei sicher nicht hilfreich. „Das Training ist hier wirklich hart“, sagte er selbst. Doch kämpfen ist bei ihm ein gutes Stichwort: für ein Spieler, der sogar mit gebrochener Hand weiterspielt, ist ein Fitnessrückstand einfach nur ein Grund mehr, Gas zu geben. Sein neuer Chefcoach äußerte sich zum Neuzugang: „Er tastet sich ran, aber er hat noch mit den Trainingsumständen zu kämpfen und muss erst ein paar Dinge verinnerlichen.“

Gute Perspektive bei Hertha

Bereits jetzt scheint der junge Niederländer auf der Pole Position für den rechten Außenverteidiger zu sein. Nach dem Weggang von Marius Wolf und mit den Wechselabsichten von Matthew Leckie, bleiben als Konkurrenten für seine Position Peter Pekarik und Lukas Klünter. Der 33-jährige Slowake hat zum Saisonende wieder Einsätze erhalten und gute Leistungen erbracht, was zu seine Vertragsverlängerung führte. Ob es jedoch für die Stammelf in der neuen Saison ausreicht ist fraglich. Jedenfalls wird Pekarik im langfristigen Plan von Bruno Labbadia durch sein Alter weniger eine Rolle spielen. Außerdem fehlt ihm etwas die Schnelligkeit und Explosivität von Zeefuik.

Herthas Neuzugang muss sich noch an die Intensität des Trainings unter Labbadia gewöhnen. (Foto: IMAGO)

Diese Qualitäten könnte grundsätzlich auch Lukas Klünter aufweisen. Der 24-Jährige war unter Ante Covic und auch unter Jürgen Klinsmann auf der rechten Verteidigerseite gesetzt. Allerdings wurde er vom neuen Chefcoach Bruno Labbadia lediglich zwei Mal eingewechselt, sodass zumindest angezweifelt werden kann, ob er für die neue Saison eine Rolle spielen soll. Die Verpflichtung von Zeefuik und die Vertragsverlängerung von Pekarik sprechen eher dafür, dass der gebürtige Euskirchener ein Kandidat für einen Wechsel ist.

Das taktische System unter Bruno Labbadia könnte Deyovaisio Zeefuik zudem in die Karten spielen: der Niederländer passt vom Spielertyp optimal dazu. Die vom Berliner Chefcoach präferierte hohe Ausrichtung der Außenverteidiger, die in Offensivphasen hinten von einer Dreierkette abgesichert werden (ein defensiver Mittelfeldspieler lässt sich dann zurückfallen), bietet dem 22-Jährigen genau die Freiheiten, die er braucht. So könnten seine Stärken optimal zur Entfaltung kommen.  Ähnliches hat man in Wolfsburg gesehen, als sich der damals unbekannte Jérôme Roussillon unter Labbadia zu einem der besten Außenverteidiger der Liga mauserte und vor allem offensiv für Wirbel sorgte.

Man macht keine Witze über Kickboxer

Wir dürfen also gespannt sein, wie sich Deyo bei der alten Dame macht. Was Bruno Labbadia bereits auffiel, waren die „Zwei Gesichter“ seines neuen Verteidigers. „Außerhalb des Platzes ist er noch sehr zurückhaltend, arbeitet aber hochprofessionell. Auf dem Feld ist er dann extrem forsch, bissig und zweikampfstark!” Zurückhaltend zeigt sich der neue Mann allerdings im Bezug auf seine Ambitionen nicht: „Ich will nicht verrückt klingen, aber ich persönlich möchte in diesem Jahr um den Einzug in die UEFA Europa League mitspielen – das ist mein Ziel, und ich finde, das muss unser Ziel sein”.

Kein Wunder übrigens, dass er auch „gerne mixed-martial-arts Kämpfe anschaut“: Jan verrät uns dazu eine Anekdote: „Sein Bruder Genero Zeefuik war ebenfalls Profifußballer. Er war lange so etwas wie eine Witzfigur, weil er etwas übergewichtig war. Jetzt traut sich jedoch niemand mehr, über ihn Scherze zu machen, denn Genero hat sich vom Fußball zurückgezogen und sich einer neuen Sportart zugewandt…Kickboxen!“

Hertha hat sich also einen echten Kämpfer für die rechte Verteidigerposition geholt. Hertha-Fans können sich bereits jetzt auf einen Spieler mit echtem Kämpferherz freuen, der auch im neuen Trikot alles geben wird. Ob sein Einsatz auch für seine Gegenspieler in der Bundesliga eine Freude sein wird, ist aber eher unwahrscheinlich.