Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Mittelfeld

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Mittelfeld

„Wenn du ein gutes Mittelfeld hast, hast du ein gutes Team“, sagte einmal Casemiro, Mittelfeldspieler bei Real Madrid. Er muss es wissen, denn Real Madrid ist zuletzt erneut spanischer Meister geworden. Eigentlich wissen das auch die meisten, die sich mit Fußball länger befassen, denn insbesondere das zentrale Mittefeld ist das Herzstück einer Fußballmannschaft. Im nächsten Teil unserer Artikelserie geht es genau darum. Wie verlief die Saison für Herthas zentrale Mittelfeldspieler? Wie ist der Stand aktuell und wo ist noch Bedarf?

Mehrere Spieler im Mittelfeld sorgten bei der „alten Dame“ in der vergangenen Saison für Gesprächsstoff. Ob Marko Grujic mit blauem Auge zum Saisonstart, der Abgang von Eduard Löwen nach nur sechs Monaten in Berlin, die Rückkehr in Topform von Vladimir Darida oder auch der Abschied von Per Skjelbred: es war einiges los im „Herzstück“ der Hertha-Mannschaft. Da Mittelfeldspieler ganz besonders im Zusammenhang mit Ihren Mitspielern zu bewerten sind, wollen wir dieses Mal zunächst chronologisch vorgehen.

Saisonstart mit Grujic, Duda und Löwen

Erst Jubel, dann Schmerz beim Treffer von Marko Grujic. (Foto: Daniel Kopatsch/Bongarts/Getty Images)

Die älteren unter uns werden sich erinnern – denn dieser Saisonstart gegen den FC Bayern München ist gefühlt bereits 50 Jahre her. Marko Grujic krönte gegen den Rekordmeister während der Saisoneröffnung eine gute Leistung mit einem Tor. Im Adrenalinschub bemerkte er erst beim Jubeln, dass es ihn im Zweikampf mit Weltmeister Benjamin Pavard am Auge erwischt hatte und er ein blaues Auge davontragen würde.

Im Kader mit dabei waren in München übrigens Eduard Löwen und Sidney Friede. Beide spielten in dieser Hinrunde jedoch kaum bis gar keine Rolle und verließen die „alte Dame“ im Winter. In der Startelf stand dafür Ondrej Duda. Der Slowake fand nach einer überragenden Spielzeit 2018/19 allerdings nicht richtig zu seiner Form, profitierte sicherlich auch nicht vom Trainerwechsel. In den ersten fünf Partien (nur vier Punkte) spielte er von Beginn an, wurde beim ersten Saisonsieg gegen den SC Paderborn dann zur Halbzeit ausgewechselt.

Es folgten nur noch knapp 90 Minuten Einsatzzeit bevor er unter Jürgen Klinsmann nicht mal mehr im Kader stand. Er wurde im Winter zu Norwich City ausgeliehen, wo er jedoch nach dem „Re-Start“ nicht mehr erste Wahl war. Seine Zeit in der Premier League verlief zusammengefasst eher unglücklich, sein Verein musste absteigen und er selbst blieb ohne Erfolg (null Tore, null Vorlagen).

Skjelbreds Rückkehr, Grujic ohne Konstanz

Per Skjelbred war nicht als Stammspieler erwartet, meldete sich aber eindrucksvoll zurück. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Während Hertha unter Ante Covic zu Saisonbeginn vor sich hinkriselte, arbeitete sich nach den ersten zwei Niederlagen ein Spieler zurück in die Startelf, der im Sommer schon fast abgeschrieben wurde. Per Skjelbred stand am vierten Spieltag wieder in der Startelf und spielte eine wichtige Rolle im Laufe der Saison. Dabei übernahm er die defensive Rolle im zentralen Mittelfeld neben Marko Grujic. Die Offensivere Position davor gab Duda an Vladimir Darida ab. Der Tscheche wurde daraufhin eine der wenigen Konstanten im Spiel der „alten Dame“.

Anders verlief es für Marko Grujic. Dieser bekam zwar regelmäßig seine Einsätze, konnte allerdings nicht konstant seine Leistung abrufen. Teilweise blitze seine Qualitäten auf, wie beispielweise im Spiel gegen die Eintracht aus Frankfurt (2:2, ein Tor, eine Vorlage), in vielen anderen Spielen allerdings fiel er durch zu langsames Agieren, Foulspiele und Unkonzentriertheiten auf, die mitunter auch zu Gegentreffern führten. Die chaotische Zeit unter und nach Jürgen Klinsmann brachte auch beim Serben viel Unsicherheit. Die ständigen Wechsel in der Zentrale (mal spielte Skjelbred, mal Darida neben Grujic) halfen dabei sicherlich auch nicht.

Im Winter kam Klinsmanns Wunschspieler Santiago Ascacibar vom VfB Stuttgart und übernahm für die letzten Partien seines Trainers die Position des klassischen Sechsers. Der Argentinier kam in einer denkbar ungünstigen Zeit an, in welcher der Hauptstadtclub immer mehr im Chaos versank. Nach dem „Re-Start“ zog sich der 23-Jährige eine schwere Fußprellung und fiel für die restlichen Spiele aus. Allerdings muss man dem “Giftzwerg” zugute halten, dass er seine Aufgabe in den wenigen Spielen zufriedenstellend erledigte und noch zu den positiven Erscheinungen der Mannschaft gehörte.

Neues Selbstvertrauen im Mittelfeld unter Bruno Labbadia

Vladimir Darida für Labbadia nicht wegzudenken. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Als es dann wieder mit der Bundesliga losging und Hertha BSC unter Bruno Labbadia eindrucksvoll nach nur wenigen Spielen den Klassenerhalt sicher machte, glänzte ein Spieler ganz besonders. Die „Lunge der Liga“ Vladimir Darida sammelte nicht nur Rekorde durch seine Laufleistungen, er überzeugte auch spielerisch und gab der gesamten Mannschaft Sicherheit.  Dabei übernahm er erneut den etwas offensiveren Part zwischen „klassischer Zehn“ und „Achter“. Es war zu spüren, dass der 29-Jährige dann besonders stark ist, wenn er im System mit drei zentralen Mittelfeldspielern den offensiveren Part übernehmen kann. Auch das Pressing unter Bruno Labbadia passt perfekt zum Mittelfeld-Allrounder. Insgesamt konnte er drei Treffer erzielen und fünf weitere vorlegen.

Dabei unterstützt wurde er von einem wieder erstarkten Marko Grujic, der sich zu Saisonende nochmal spürbar verbessert zeigte. Auch Per Skjelbred zeigte starke Leistungen, bevor er aufgrund einer Verletzung ausfiel und erst in der letzten Partie einen Kurzeinsatz zum Abschied bekam. Arne Maier fiel fast die gesamte Hinrunde wegen einer Knieverletzung aus, kam aber trotz einer für ihn eher unrühmlichen Transferperiode in der Rückrunde zu vier Startelf- und acht Kurzeinsätzen. Niklas Stark musste auf der „Sechs“ für kurze Zeit aushelfen und sogar Lazar Samardzic feierte sein Debüt.

Die Saison fand also auch im zentralen Mittelfeld ein versöhnliches Ende, brachte aber auch für die Sommerpause viele Fragen mit sich, angesichts der vielen anstehenden Wechsel. Von den im Laufe unseres Rückblicks genannten Spielern sind einige keine Option mehr für die nächste Saison: Eduard Löwen, Per Skjelbred und Sidney Friede sind definitiv nicht mehr im Kader. Auch Marko Grujic ist nach Liverpool zurückgekehrt. Es steht noch nicht fest, ob ihn Hertha erneut für eine Saison an die Spree locken kann, oder ihn womöglich sogar fest verpflichtet. Was bleiben bei Hertha also für Optionen?

Offensive Optionen im Zentralen Mittelfeld

Dudas Rückkehr mit Fragezeichen. (Foto: Tim Keeton/Pool/AFP via Getty Images)

Mit Vladimir Darida wird glücklicherweise aus Hertha-Sicht weiter zu rechnen sein. Derzeit sollen die Verantwortlichen ein Angebot zur frühzeitigen Verlängerung für den Tschechen erarbeiten, dessen Vertrag aktuell noch bis 2021 läuft. Ein Verbleib ist also hochwahrscheinlich, Cheftrainer Labbadia stellte bereits klar, dass er auf den Laufstarken Spieler setzt. Die Blau-Weißen haben also mit ihm eine sehr gute Option für alle zentralen Positionen, wobei er insbesondere als offensiverer „Achter“ glänzen könnte.

Eine weitere Option für das offensive zentrale Mittelfeld wird der Rückkehrer Ondrej Duda sein. Dieser bleibt aber ein großes Fragezeichen, da er sich zunächst im Labbadia-System zurechtfinden muss. Da er bisher nur in einer Saison bei Hertha BSC so richtig einschlagen konnte, ist es schwierig ihn als „sichere“ Lösung anzusehen. Winterneuzugang und neuer Publikumsliebling Matheus Cunha ist als Offensiv-Allrounder zwar grundsätzlich auch als „Zehner“ denkbar. Im System unter Bruno Labbadia ist er jedoch eher als hängende Spitze oder frei in der Offensive gesetzt worden. Den Brasilianer besprechen wir in unserer Artikelserie, wenn wir bei Herthas Sturm angelangen.

Schließlich könnte auch der junge Lazar Samardzic in der neuen Saison eine Chance bekommen, sich zu zeigen. Der 18-Jährige machte sein Bundesligadebüt im Derby gegen Union Berlin (4:0) und bekam zwei weitere Kurzeinsätze. Der gebürtige Berliner gilt als Riesentalent, trat jedoch zuletzt für Hertha Fans eher negativ in Erscheinung: angeblich wolle er oder seine Berater einen Wechsel im Sommer forcieren. Sollte er jedoch bleiben, wäre sein Profil besonders interessant, da er auf seiner Position momentan nicht die größte Konkurrenz hat.

Maiers Rückkehr – Tousart und Ascacibar mit Rückstand

Tousart hat monatelang nicht mehr gespielt. (Foto: Philippe Desmazes/AFP via Getty Images)

Für die defensiveren Aufgaben steht wieder Arne Maier zur Verfügung. Verletzungen warfen den 21-Jährigen in dieser Saison zurück und bremsten seine bisher rasante Entwicklung im Profibereich. Sollte er jedoch fit bleiben und eine komplette Sommervorbereitung unter Bruno Labbadia absolvieren geht er mit einer sehr guten Ausgangslage in die neue Saison. Noch wichtiger als seine Qualitäten im defensiven Mittelfeld ist seine Fähigkeit, auf der „Acht“ eine Verbindung zwischen Defensive und Offensive herzustellen. Dafür wird er in Topform aufspielen müssen und einen defensiv aufgestellten Mitspieler im Mittelfeld als Absicherung brauchen, um im den Rücken freizuhalten.

Mit Lucas Tousart hat sich die „alte Dame“ einen Spieler für die kommende Saison geholt, der genau diese Absicherung herstellen kann. Er bringt nämlich Zweikampfstärke, Physische Präsenz, bedingungsloser Einsatz und Qualität mit. Über seine Stärken und Schwächen haben wir bereits im Januar einen längeren Artikel geschrieben: hier. Allerdings kommt der Franzose nicht gerade unter optimalen Umständen in die Hauptstadt an. Durch die frühzeitige Beendigung des Ligabetriebs in Frankreich und die anstehende Sommerpause fehlen ihm monatelange Spielpraxis. Er wird viele anspruchsvolle Trainingseinheiten unter Bruno Labbadia benötigen, um den Fitness-Rückstand aufzuholen und wieder auf Topniveau zu kommen. Schließlich wird er sich an die neue Liga, Mannschaft und Heimat gewöhnen müssen.

Es ist also eher unwahrscheinlich, zum Saisonstart einen topfitten und gut aufgestellten Lucas Tousart zu erwarten, sowohl Fans als auch Verein werden da geduldig sein müssen. Ähnliches wird mit Abstrichen auch für Santiago Ascacibar gelten: Die Corona-Pause und seine anschließende Verletzung werden zu einem ähnlichen Fitness-Zustand geführt haben. Seine Qualitäten als klassischer Sechser könnten allerdings im Verlauf der kommenden Saison, vor allem im Hinblick auf den Abgang von Per Skjelbred, besonders wertvoll werden.

Braucht Hertha noch Verstärkung?

Auch Santiago Ascacibar hat lange gefehlt. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Sowohl im offensiven, als auch im defensiven zentralen Mittelfeld gibt es also einige Unsicherheiten. Zwar klingt es zunächst sinnvoll, einen kreativen, offensivstarken zentralen Mittelfeldspieler zu holen, da es gerade dort nicht viele klare Optionen gibt. Doch mit der Rückkehr von Ondrej Duda, der Hochform von Vladimir Darida und den Qualitäten von Matheus Cunha ist die Baustelle in diesem Sommer womöglich etwas weiter hinten anzustellen.

Sowohl Ascacibar als Tousart sind für harte Zweikämpfe bekannt und sammeln regelmäßig Karten. Gelb- und womöglich auch Rot-Sperren sind vorprogrammiert, sodass die Möglichkeit besteht, dass beide zur selben Zeit nicht zur Verfügung stehen. Niklas Stark ist da sicherlich eine Option, um im defensiven Mittelfeld auszuhelfen, wenn in der Innenverteidigung kein Engpass besteht. Der junge Julian Albrecht aus der eigenen Jugend könnte ebenfalls seine Chance bekommen. Doch ein weiterer Spieler, der sowohl defensiv wie auch offensiv aushelfen könnte, würde eine mögliche Schwachstelle im „Herzstück“ der Mannschaft verhindern.

Es ist also nicht verwunderlich, dass Hertha sehr daran interessiert ist, Marko Grujic wieder zur Verfügung zu haben. Der 24-Jährige kennt mittlerweile sowohl die Bundesliga als auch seine Mitspieler bestens und wäre sofort eine Verstärkung, so inkonstant diese sein mag. Wenn ein gutes Mittelfeld ein gutes Team bedeutet, wird Hertha jedenfalls auch im zentralen Mittelfeld sehr überlegt agieren müssen, um angemessen gerüstet für die neue Spielzeit zu sein. Andernfalls werden auch potenzielle millionenschwere Einkäufe im Sturm nicht ausreichen, um endlich eine sorgenfreie Spielzeit von Hertha BSC zu erleben.

Die wichtigsten Gerüchte um weitere Kandidaten im zentralen Mittelfeld könnt ihr in unserer Gerüchteküche verfolgen!

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Torhüter

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Torhüter

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte.

Auf kaum einer Position gibt es bei Hertha BSC mehr Gerüchte, als um den Torwart. Dabei ist die langjährige Nummer eins noch unter Vertrag. Viel wichtiger also, als die zahlreichen Gerüchte zu kommentieren, wollen wir im ersten Teil unserer Sommer-Kaderanalyse auf die so wichtige und lang unumstrittene Torhüterposition bei der „alten Dame“ blicken.

Das Ende der Jarstein-Zeit?

Seit Ende 2015 gab es bei Hertha keine echte Torwartdiskussion mehr, und das ist vor allem einem Mann zu verdanken: Rune Jarstein. Durch seine Zuverlässigkeit, seine Paraden aber vor allem auch durch seine Strafraumbeherrschung und ruhige Ausstrahlung glänzte er immer wieder. Herthas Turm in der Schlacht, der den Berlinen so manchen Punkte rettete. In Frage gestellt wurde er in dieser Zeit eigentlich kaum, warum auch? Mit Jarstein musste sich kein Hertha-Fan Sorgen machen, dass die Position der Nummer eins nicht perfekt besetzt sei.

Jarstein mit ungewohnten Patzern in der Saison 2019/2020. (Foto: Alexandra Beier/Bongarts/Getty Images)

Im Laufe der wohl chaotischsten Hertha-Saison seit Langem wandelte sich das Bild allerdings etwas. Zum Saisonstart konnte man dem Norweger nur wenig vorwerfen, obwohl er bereits nach wenigen Spieltagen viel zu oft hinter sich greifen musste. Am 12. Spieltag gegen Augsburg jedoch sorgte er mit einem schlimmen Patzer für das 0:2 und kassierte dabei die rote Karte. Scheinbar hatte die Krise nun auch seine Selbstverständlichkeit angegriffen, wirklich verübeln konnte man es ihm aber kaum. Jarstein saß seine Sperre ab und kehrte anschließend zurück ins Hertha-Tor, wo er seine gewohnt stabilen Leistungen zeigte. Die Rückrunde allerdings verlief nicht nur für Hertha chaotisch, sondern auch für den Schlussmann. Am 22. Spieltag in Paderborn kassierte er einen Treffer im kurzen Winkel zum zwischenzeitlichen 1:1. Beim 0:5 Debakel gegen den 1. FC Köln sah er insbesondere beim 0:3 nicht gut aus und ging mit dem Rest der Mannschaft komplett unter. Ihm war die Verunsicherung anzumerken und es hieß im Hertha-Umfeld, der Norweger leide ganz besonders unter dem Stress der vielen T(orwart)rainerwechsel.

Alexander Nouri wechselte daraufhin für seine zwei letzten Spiele als Hertha-Coach auf der Torhüter-Position und ließ Thomas Kraft ran. Erst nach dem „Re-Start“ unter Bruno Labbadia stand Rune Jarstein wieder im Hertha-Tor, patzte allerdings nochmal gegen RB Leipzig und Freiburg, bevor er dem jungen Dennis Smarsch den Platz im letzten Spiel gegen Borussia Mönchengladbach überließ, um bei der Geburt seines Kindes dabei sein zu können.

Dieses Mal gab es also keine sorgenfreie Saison für Rune Jarstein, der mit 35 Jahren auch nicht mehr der Jüngste ist. „Die Krake“ hat bereits jetzt die jüngere Geschichte von Hertha BSC als Torhüter geprägt: 156 Bundesliga-Einsätze, davon 47 ohne Gegentreffer. Er ist nach den Hertha-Torwartlegenden Christian Fiedler (271 Einsätze), Gábor Király (252 Einsätze) und Walter Junghans (180 Einsätze) der Keeper mit den meisten Einsätzen für den Hauptstadtclub (171). Das Ende der Jarstein-Zeit könnte aber bereits im Sommer erreicht sein. Doch noch ist nicht abgepfiffen und der Norweger könnte sich erneut gegen seine Konkurrenz durchsetzen. Abgeschrieben wurde er bei Hertha BSC schließlich schon einmal, und meldete sich eindrucksvoll zurück.

Verfrühtes Karriereende für Thomas Kraft

War mitverantwortlich für die Aufholjagd bei Fortuna Düsseldorf: Thomas Kraft. (Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images)

Mit seinen 32 Jahren ist Thomas Kraft zwar deutlich jünger als sein norwegischer Mannschaftskollege, doch im Sommer ist Schluss mit dem Konkurrenzkampf. Der Spieler mit der Nummer “1” im Rücken wechselte im Sommer 2011 zu Hertha BSC, spielte als Stamm- und Ersatzkeeper viele Jahre für die „alte Dame“. Kein einziges Mal beklagte er öffentlich seine Stellung als zweite Wahl hinter Rune Jarstein und war für die Mannschaft auch in der Kabine ein wichtiger Faktor.

Viele Einsätze hatte der Hertha-Veteran in dieser Saison allerdings nicht, trotz der vielen Trainerwechsel und der Verunsicherung Rune Jarsteins. Nur fünf Pflichtspieleinsätze bekam Kraft, nutzte diese jedoch, um sich im Pokal-Krimi gegen Dresden zum Elfmeterhelden zu krönen und in der Halbzeitpause in Düsseldorf (Stand 0:3) die gesamte Mannschaft wachzurütteln. Erinnerungswürdig bleibt auch seine Pointe in Bezug auf Jürgen Klinsmanns Spielerbewertungen im Training.

Bereits Ende Mai war aber für ihn aufgrund von Rückenproblemen die Saison zu Ende. Auffällig war, dass ihn in den letzten Jahren immer wieder kleinere gesundheitliche Probleme bremsten. Seine Entscheidung, seine Karriere zu beenden kam trotzdem etwas überraschend. Kraft verlässt Hertha BSC als dienstältester Herthaner, als ein Spieler, der Berlin lieben und leben lernte. Er hinterlässt den Eindruck eines Musterprofis, eines mannschaftsdienlichen, sympatischen und ehrlichen Mannes, der sowohl im Team als bei den Fans vermisst werden wird. Wir wünschen ihm an dieser Stelle nochmal alles Gute und bedanken uns für die zahlreichen Jahre seines Einsatzes!

Dennis Smarsch und Nils Körber – “Berliner Jungs” nur zweite Wahl?

Der gebürtige Berliner konnte seinen Pflichtspieldebüt im desaströsen Auswärtsspiel in Augsburg feiern. Beim Stand von 0:2 wurde er eingewechselt, konnte aber die Niederlage in Unterzahl und das Aus für Trainer Ante Covic natürlich nicht verhindern. Nach dem „Re-Start“ saß er auf der Bank, da Thomas Kraft nicht zur Verfügung stand. Somit ersetzte er Rune Jarstein in der letzten Partie der Saison und konnte auch zum ersten Mal in der Profi-Startelf stehen.

Smarsch war zuletzt Nummer zwei, soll aber in die dritte Liga wechseln. (Foto: Wolfgang Rattay/POOL/AFP via Getty Images)

Eigentlich also eine vielversprechende Situation für den 21-Jährigen, doch für die Nummer eins im Tor oder sogar nur Nummer zwei sollte es nicht reichen. Auffällig sind insbesondere seine Athletik und Physis (1,95 Meter groß), die ihm jedoch das eine oder andere Mal auch beim Abtauchen bremsten. Für die Hertha-Verantwortlichen scheint es jedenfalls nicht auszureichen. Die Suche nach einem neuen, bundesligatauglichen Keeper läuft bereits, sodass für Smarsch zumindest für die nächste Saison die Hoffnung auf Profieinsätze deutlich gesunken ist. Beim Eigengewächs stehen die Zeichen also auf Abschied, der 1.FC Saarbrücken sowie Türkgücü München sollen interessiert sein.

Die Rückkehr von Nils Körber an die Spree wird die Chancen von Smarsch auch nicht gesteigert haben. Der 23-Jährige kehrt nach seiner Leihe beim VFL Osnabrück zurück, wo er zunächst in der zweiten Liga gesetzt war, aufgrund mehrerer Verletzungen jedoch seinen Stammplatz verlor und nur noch zu vereinzelten Einsätzen kam. Ob die gesammelte Erfahrung der zwei letzten Jahre für den gebürtigen Berliner ausreichen, um sich gegen Rune Jarstein und den noch unbekannten Neuzugang durchzusetzen, erscheint zunächst als eher unwahrscheinlich. Trotzdem hat Körber die Möglichkeit, sich in der Saisonvorbereitung zu empfehlen und sogar für eine Überraschung zu sorgen.

Wer bekommt die Nummer eins im Rücken?

Thomas Kraft hat seine Karriere beendet, Dennis Smarsch soll den Verein verlassen und weder Rune Jarstein noch Nils Körber sind sicher als Nummer eins etabliert. Es ist also tatsächlich wieder Zeit für eine echte Torhüterdiskussion, mit einer brodelnden Gerüchteküche und wild herumfliegenden Namen. Hertha BSC wird mit zahlreichen Kandidaten in Verbindung gebracht, wobei mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein sehr geringer Anteil davon tatsächlich stimmen sollte. Wir wollen an dieser Stelle keine lange Diskussion um alle angeblichen Kandidaten führen. Stattdessen empfehlen wir euch unsere regelmäßig aktualisierte Gerüchteküche

Was fest steht: Hertha braucht einen neuen Keeper. Die neue Torhüter-Diskussion sollte möglichst kurz gehalten werden, um so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen und weiteren Chaos zu vermeiden. Ob ein großer oder „kleiner“ Name, ob ablösefrei oder hohe Ablöse, Hertha wird einen neuen Torhüter holen müssen. Die Trikotnummer „1“ ist jedenfalls erstmal wieder frei.

Zwei Länder, zwei Welten – Fußballende in Frankreich

Zwei Länder, zwei Welten – Fußballende in Frankreich

Die französische Ligue 1 ist beendet – dies wurde am 30.04.2020 offiziell. Knapp eine Woche später gab die DFL bekannt, dass die Bundesliga noch in diesem Monat wieder starten soll. Deutschland und Frankreich trennen weder Ozean noch riesengroße Distanz, trotzdem könnte die aktuelle Lage in beiden professionellen Fußballligen unterschiedlicher nicht sein. Woran das liegt, wie die Ligue 1 beendet wurde und was die Konsequenzen für Vereine und Fans sind wollen wir uns heute anschauen.

Wir wagen den Blick raus aus der Hauptstadt und rüber nach Frankreich. Dort lebt unser Ansprechpartner für französischen Fußball, der Olympique-Lyonnais-Experte Idèr, der uns seine Eindrücke schildern wird. Er ist Redakteur beim Blog „Coeur de Gones“ und beantwortete bereits im Januar unsere Fragen zu Lucas Tousart. Auch um Herthas Neuzugang wird es heute gehen, denn mit dem Ende der Ligue 1 ist noch lange nicht alles um seine Situation geklärt.

Idèrs Antworten gab er uns auf Französisch. Die Zitate sind also frei von unserem Redakteur Chris übersetzt.

Ausgangssperren und Trainingsverbot

Dass Frankreich deutlich härter als Deutschland von Covid-19 betroffen ist, ist bekannt. Während in Deutschland schon die ersten Fußballspieler wieder in kleinen Gruppen auf dem Platz standen, galten (und gelten immer noch) im Nachbarland strenge Ausgangssperren und Kontaktverbote. An Kleingruppentraining war vergangene Woche gar nicht zu denken, denn wie auch der Rest der Bevölkerung müssen die Spieler noch konsequent Zuhause bleiben und können nur zum Einkaufen das Haus verlassen.

Hertha-Neuzugang Tousart nahm die Ausgangssperre an seinen Geburtstag Ende April mit Humor.

„Jeder bleibt Zuhause“, beschreibt Idèr, „Ab dem 11. Mai wird voraussichtlich die strenge Ausgangssperre enden, die seit dem 17. März in Frankreich besteht. Aber Mannschaftssportarten sowie Versammlungen von mehr als zehn Personen werden verboten bleiben. Es ist schwierig zu wissen, wie unter diesen Umständen wieder trainiert werden soll. Die Mehrheit der Vereine sollte aber im Juni wieder mit dem Training loslegen.“

Wie auch in Deutschland zeigten trotz Ausgangssperre die meisten Fangruppen große Solidarität und unterstützten ihre Mitmenschen durch verschiedene Aktionen. Idèr erzählt: „Das Engagement der Fangruppen in Lyon für bedürftige Personen besteht bereits seit vielen Jahren. Es gab zuletzt einige Spenden unserer Fangruppen an den Krankenhäusern der Stadt. Auch der Verein hat durch seine Stiftung zur Finanzierung der Krankenpflege beigetragen. Dass nicht alles öffentlich wurde, freut mich: Bedürftigen Personen zu helfen, sollte keine Trophäe sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.“

Politik am Ursprung für das Saisonende

In dieser äußerst schwierigen Lage war auch Uneinigkeit in den Vereinsführungen zu spüren, es fehlte ein klares Konzept für eine schnelle Wiederaufnahme. Es war von Streitigkeiten zwischen Vereinspräsidenten zu hören, von fehlender Geschlossenheit. Nach einigen Wochen Unklarheit war es dann am 28. April soweit. Premierminister Édouard Philippe verkündete in einer Rede vor der Nationalversammlung, dass die professionellen Fußballmeisterschaften erst im September wieder starten würde und eine Wiederaufnahme im Juni oder Juli nicht möglich sei.

Am 30.04.2020 gab die LFP die Entscheidung bekannt. (Foto: Franck Fife / AFP/ Getty Images)

Mit dieser Entscheidung der Politik war bereits jegliche Hoffnung, die Saison 2019/2020 noch zu Ende zu spielen, dahin. Tatsächlich ging es nur noch darum zu entscheiden, in welcher Form die Saison abgeschlossen werden würde.

Zwei Tage später tagte der Verwaltungsrat der LFP (“Ligue de Football Professionnel”, Französisches Pendant der DFL) und die Ligasaison war offiziell beendet. Der Paris Saint-Germain ist Meister, auch Absteiger und internationale Teilnehmer sind klar. Allen Vereinen drohen durch die fehlenden TV-Einnahmen Verluste in Millionenhöhe, die Existenz einiger Vereine muss durch eine Riesenanleihe seitens der LFP (224,5 Millionen Euro) gesichert werden.

Ermittlung der Abschlusstabelle durch Leistungsindex

Zur Ermittlung der Abschlusstabelle gab es mehrere Optionen. Nach einer Wahl innerhalb der LFP wurde die Punktezahl der Vereine anhand eines Leistungsindexes berechnet, welcher auf die Anzahl der in allen gespielten Spielen erzielten Punkte basiert. Eine Lösung die zwar vergleichsweise fair ist, jedoch noch lange nicht alle Vereine zufriedenstellt.

„Amiens steigt in der Ligue 2 ab, obwohl sie noch theoretisch 30 Punkte zur Rettung holen könnten“, schildert uns unser Experte. „In der Ligue 2 hingegen werden Clermont, Troyes und Ajaccio den Aufstieg nicht schaffen, obwohl nur wenige Punkte zu den Aufstiegsplätzen fehlten. Diese Entscheidung ist für einige vorteilhaft, für viele anderen ein großer Nachteil. Dass die benachteiligten Vereine eine Entschädigung fordern, ist für mich nachvollziehbar.”

Lyon Präsident Aulas mit lautem Protest gegen die Entscheidung der Politik und Liga. (Foto: REMY GABALDA / AFP/Getty Images)

Bei einer anderen Lösung hätte ein Verein den geringen Abstand zu den europäischen Plätzen aufholen können: ausgerechnet der Olympique Lyonnais. Lyons Präsident Jean-Michel Aulas, der dafür bekannt ist, die Interessen seines Vereines öffentlich vehement und nicht immer sehr objektiv zu verteidigen, gab zuletzt zahlreiche Interviews, um sich lautstark zu beschweren. Er sprach von einer verfrühten Entscheidung, von einer Benachteiligung, und drohte mit rechtlichen Schritten.

Wie die Chancen einer solchen Klage aussehen, schätzt Idèr so ein: „Dass die Gremien Ihre Entscheidung ändern scheint mir eher kompliziert zu sein: Die Regierung hat bei dieser Entscheidung mitgewirkt, es wurde abgestimmt und die Verträge mit den TV-Anbietern wurden beendet.“ OL habe höchstens Chancen Schadensersatz zu erhalten.

Offene Fragen um Pokalfinalen und Champions League

Trotzdem betont Aulas, dass die Entscheidung der Regierung und der Fußballliga verfrüht sei und dass man noch immer die Entscheidung ändern könne. Dabei sprach er den Plan der UEFA an, die laufende Champions-League-Saison in der ersten Augustwoche fortsetzen zu wollen. Die französischen Vereine (OL und PSG), die noch im Rennen sind, hätten demzufolge einen riesigen Nachteil gegenüber ihren Gegnern. Tatsächlich würden französische Vereine im August dann etwa fünf Monate lang keine Spiele bestritten haben und wären somit nur bedingt wettbewerbsfähig.

Lucas Tousart als Torschütze gegen Juventus in der Champions League. (Foto: Franck Fife / AFP / Getty Images)

Für Idèr ist das weitere Geschehen in der Champions League nur Nebensache: „Dieses Rückspiel gegen Juventus Turin scheint mir im Moment aktuell nicht die erste Sorge von OL zu sein.“ Lyon steht auch noch im Ligapokalfinale gegen Paris Saint-Germain und könnte durch einen Sieg theoretisch doch noch die Qualifikation zur Europa League erreichen. Wann und ob dieses Finale gespielt werden wird, steht aber ebenfalls noch in den Sternen.

„Natürlich hoffen die Gremien, dass die Finalspiele Anfang August gespielt werden können. Der vorläufige Spielplan für die kommende Saison ist noch lange nicht entschieden und in dieser Gesundheitskrise sind die Wahrheiten von heute noch lange nicht die von morgen.“, sagt Idèr dazu und spricht auch das Problem der Planungssicherheit an. „(…) die Vereine, die theoretisch noch einen Sieg im Pokalfinale holen könnten, werden allerdings deutlich früher als August wissen müssen, ob sie dadurch auch ein Ticket für die Europa League ziehen. Diese Final-Spiele werden meiner Meinung nach niemals gespielt werden, oder zumindest nicht rechtzeitig.”

UEFA muss Tousart-Fall klären

Eine der großen offenen Fragen ist außerdem, was mit Spielern passiert, deren Verträge im Sommer auslaufen oder für die bereits, wie bei Lucas Tousart, ein Wechsel feststeht. Sollten noch Spiele im Pokal oder in der Champions League anstehen, stellt sich noch die Frage, ob diese Spiele mit oder ohne diese Spieler erfolgen. Besonders für diejenigen mit auslaufenden Verträgen ist die Lage zum Teil sehr beunruhigend. In vielen Vereinen bekommen die Spieler von den Verantwortlichen kaum bis keine Informationen und wissen nicht, wie es im Sommer für sie weitergeht.

Ob Lucas Tousart noch einmal im OL Trikot spielen wird ist unklar. (Foto: Franck Fife / AFP / Getty Images)

Auch für Herthas Neuzugang wäre es bitter, das Rückspiel gegen Juventus Turin zu verpassen. Schließlich war Tousart der Torschütze zum 1:0-Sieg im Hinspiel und damit maßgeblich daran beteiligt, dass Lyon noch gute Karten fürs Weiterkommen hat. Unsere Frage, ob der Mittelfeldspieler jetzt am 1. Juli wie vereinbart in Berlin ankommt, kann unser Lyon-Experte leider nicht abschließend beantworten. Auch das sei noch nicht abschließend geklärt. „Auch hier sorgt die Tatsache, dass nicht alle nationalen Meisterschaften dieselbe Entscheidung getroffen haben, für Komplikationen. Die UEFA wird das entscheiden müssen, aber tatsächlich wissen wir nicht wie lange Tousart noch für Lyon auflaufen darf.“

„Wir hoffen, dass wir Lucas entsprechend der Leihvereinbarung zum 1. Juli bei uns begrüßen können“, sagte Michael Preetz dazu. Fakt ist: Lucas Tousart ist bei Hertha BSC unter Vertrag und lediglich an Lyon ausgeliehen. Sollte die UEFA keine Ausnahmeregelung finden, würde im Zweifel die Leihvereinbarung entscheidend sein, und Lyon müsste ab dem 1. Juli auf den Mittelfeldspieler verzichten.

Fanreaktionen in Frankreich

Doch wie ist die Fanreaktion bei OL und in Frankreich? Grundsätzlich zeigt sich bei vielen Fans Verständnis für den Saisonabbruch, doch auch hier gehen die Meinungen auseinander: „Auf der einen Seite ist das Ungerechtigkeitsgefühl: Warum sollten wir nächste Saison nicht europäisch spielen, obwohl wir noch in der Champions League im Rennen sind und im Ligapokalfinale stehen (…)? Auf der anderen Seite sehen es die Lyon-Fans auch nüchtern: Wenn wir keine so unregelmäßige Saison, mit sehr schlechten Ergebnissen gegen schwächere und bloß durchschnittlichen gegen stärkere Teams gespielt hätten, wären wir jetzt nicht in dieser Lage.“

(Photo by Franck Fife / AFP / Getty Images)

Auch der Start in Deutschland lässt die Fans in Frankreich nicht kalt. In sozialen Netzwerken schauen einige Sehnsüchtig zur Bundesliga, andere hingegen fürchten ein Nachteil für die französische Liga. Wir haben Idèr gefragt, was er davon hält:

„Es ist sicherlich ein Risiko, wieder die Bundesliga zu starten. Was wird man sagen, wenn in einem Monat 20 Prozent der Bundesligaspieler am Coronavirus erkrankt sind? Man wird sagen, es sei verrückt gewesen wieder loszulegen. Aber wenn alles gut geht und keiner krank wird, werden Fans in Frankreich den Gremien sagen: „Seht ihr? In Deutschland haben Sie wieder gespielt und alles ist gut gelaufen!” Man wird erst im Nachhinein sehen, wer von Deutschland oder Frankreich am Ende mit der Entscheidung richtig liegt.“

Seiner Meinung nach werden vor allem ökonomische Gründe entscheidend sein. Eines scheint aber international gleich zu bleiben – keiner scheint große Lust auf Geisterspiele zu haben: „(…) Ich glaube nicht an Fußball ohne Zuschauer. Die Entscheidung, mit leeren Rängen zu spielen, kann für mich nur eine Übergangslösung sein.“

Warum Labbadia der Richtige für Hertha ist

Warum Labbadia der Richtige für Hertha ist

Trainer Nummer vier in der aktuell noch ruhenden Saison: Bruno Labbadia ist neuer Hertha-Chefcoach. Am Montag ist der 54-Jährige bei der Pressekonferenz in Berlin offiziell vorgestellt worden. Für zunächst zwei Jahre soll er die Profi-Mannschaft von Hertha BSC leiten. Eine große Überraschung ist die Nachricht nicht völlig: der Name „Labbadia“ geisterte bereits bei der Entlassung von Ante Covic im vergangenen Winter, und sogar als die Amtszeit von Pal Dardai zu Ende war, durch die Medien. Traineralternativen, die Arbeit des Managers oder den Zeitpunkt der Verpflichtung soll zunächst kein großes Thema sein: an diesem Ostersonntag wollen wir uns darauf konzentrieren, was für ein Trainer Bruno Labbadia überhaupt ist. Was er bisher geleistet, in seinen letzten Clubs für Spuren hinterlassen hat und wie seine Ausgangslage bei der „alten Dame“ aussehen wird.

Zur Seite standen uns dazu Sven als HSV- und Dennis als VfL Wolfsburg-Experte. Sven (auf Twitter @SvenGZ) ist HSV-Blogger und -Podcaster beim „HSV-Talk”, wo er auch über Bruno Labbadia in einer kurzen Podcastfolge sprach. Dennis (auf Twitter @WobTikal) half uns bereits im letzten Vorbericht gegen den VfL, die Wolfsburger besser einzuschätzen.

Vorgezogene Sommerpause als Wechsel-Gelegenheit

Labbadia kommt also zu Hertha BSC, zusammen mit seinem Staff bestehend aus Eddy Sözer, Günter Kern und Olaf Janßen. Und das nicht erst im Sommer, sondern bereits in der Corona-bedingten Ruhephase der Saison, die Michael Preetz als „vorgezogene Sommerpause“ bezeichnet. Der neue Coach soll also auch in der kommenden Saison Hertha trainieren. Dass Interimstrainer Alexander Nouri nur noch die „Lame Duck“ war, war kein Geheimnis. Von der Klubführung wurde bereits deutlich gemacht, dass im Sommer ein anderer Fußballlehrer die Mannschaft leiten würde.

Zum Teil lassen sich auch aus Spielerinterviews Zeichen herauslesen, dass der Nouri nicht mehr zu hundert Prozent bei der Sache war. Beispielsweise behauptete Maximilian Mittelstädt, sein Trainer hätte ihn während dessen Quarantäne nicht einmal kontaktiert. Jetzt herrscht wieder Klarheit und die Trennung mit Jürgen Klinsmanns Team ist endgültig vollzogen – bis auf Arne Friedrich ist kein Mitarbeiter mehr bei Hertha beschäftigt, der zusammen mit Klinsmann kam. Torwarttrainer Zsolt Petry, die Athletiktrainer Henrik Kuchno und Hendrik Vieth bleiben dem Hertha-Stab erhalten. Labbadia bei seiner ersten Pressekonferenz bei Hertha: “Hertha war mein Wunschverein im Sommer, jetzt auch. Ich sehe in der Mannschaft und im Verein Potenzial. In meiner Situation ist mir wichtig, mit welchen Menschen ich arbeite. Ich muss nicht mehr alles machen. Die Gespräche mit Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer haben mir richtig gut gefallen. Auch die Menschen, die ich bisher hier getroffen habe.”

Noch lange bevor die Zusammenarbeit offiziell wurde – kurz nach dem Abgang von Jürgen Klinsmann – wurde der Manager auf der danach stattfinden Pressekonferenz befragt, ob nun einer der in der Bundesliga üblichen Verdächtigen nun übernehmen würde, wie beispielsweise ein Labbadia. Preetz’ etwas genervte Antwort lautete damals: „Entschuldigung, aber wir sprechen über einen Kollegen, der in den letzten Jahren in der Bundesliga sehr, sehr gute Arbeit geleistet hat.“ Ein Schelm, wer hier eine Verbindung erkennen will. Die Aussage vom Hertha-Manager wollen wir aber überprüfen: Wie ist Labbadias Arbeit in den letzten Jahren zu bewerten? Hier wechseln wir unsere Hamburger und Wolfsburger Experten ein.

Eine Dino-Rettung in zwei Akten

Beim HSV hatte Bruno Labbadia sogar zwei Amtszeiten. Sven fasst diese für uns zusammen: „In der ersten Amtszeit (2009/10) spielte der HSV zu Anfang einen wunderbaren, vielleicht sogar seinen besten Fußball der 2000er Jahre. Top motiviert und auch taktisch gut aufgestellt. Im Frühjahr 2010 verlor die Mannschaft jedoch das Vertrauen in Bruno, der mit Rückschlägen schlecht umgehen konnte und so wurde er entlassen, obwohl man im Halbfinale der Europa League, deren Finalort in diesem Jahr Hamburg war, stand. Ehrlich gesagt blutet mir bei dem Gedanken daran immer noch das Herz.“

Einige Jahre später kehrte der gebürtige Darmstädter nach Hamburg zurück: dieses Mal in einer ganz anderen Rolle. Er habe seine Geschichte beim HSV als „unvollendet“ gesehen und versuchte sich dieses Mal als Feuerwehrmann. „In der zweiten Amtszeit (April 2015 bis September 2016) schaffte Labbadia ein kleines Wunder. Sechs Spieltage vor dem Saisonende war der HSV quasi abgestiegen, die Mannschaft tot und die Lage hoffnungslos. Bruno hauchte dem Team den Glauben an sich selbst ein und man schaffte noch die Relegation gegen Karlsruhe und schlussendlich den Klassenerhalt.“

Und trotz dieses Erfolgs genoss Labbadia kein allzu großes Vertrauen beim ehemaligen Bundesliga-Dino. „Eine Mannschaft zu stabilisieren, spielerisch und taktisch zu formen war nicht sein Ding und auch wenn die Saison 2015/16 auf Platz 10 (41 Punkte) abgeschlossen wurde, mehrten sich die Zweifel an seinem Wirken und so wurde er nach einem Fehlstart in die Saison 2016/17 (1 Punkt aus 5 Spielen) beurlaubt“, erinnert sich Sven.

Stärken und Schwächen in Hamburg

Dennoch hat Labbadia damals seine Stärken aufzeigen können, zu denen Sven folgende zählt: „Motivation und Zusammenhalt erzeugen! 2015 hat er binnen kürzester Zeit aus den Spielern eine Einheit geformt, hat ihnen positives Denken eingeimpft und so den Klassenerhalt ermöglicht. Übrigens sehen das die Spieler auch so (…). Die Veränderung war also weniger taktischer, denn moralischer Natur.“

Die damaligen Defizite des Ex-Trainers hingegen schätzt Sven folgendermaßen ein: „Vielleicht kann man herauslesen, wie sehr mir diese Rettung 2015 in Erinnerung geblieben ist, allerdings kann sie auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Labbadia es nicht geschafft hat, das Team nachhaltig zu stabilisieren, oder gar weiterzuentwickeln.“ Allerdings ordnet Sven seine Aussage auch im chaotischen HSV-Kontext ein und führt aus: „Wie weit dies zu dieser Zeit in Hamburg überhaupt möglich war, ist allerdings mehr als fraglich, da sich am HSV seit Jahr und Tag die Trainer die Zähne ausbeißen.“

Die Eindrücke unseres HSV-Experten bestätigen zunächst das, was allgemein über Labbadia gesagt wird. Er sei ein Arbeiter, Motivator und Feuerwehrmann, der seine Stärken vor allem im Aufbau einer soliden Mannschaft hat, seine Grenzen jedoch in der spielerischen Weiterentwicklung seiner Mannschaft findet. Ob sich das auch in Wolfsburg bewahrheitet hat, besprechen wir mit unserem VfL-Experten Dennis. Auch er beschreibt die Zeit beim VfL unter Bruno Labbadia:

„Wir steigen ab, wir kommen nie wieder…“

„Bruno kam zu uns, nachdem Martin Schmidt für Außenstehende sehr überraschend nach einem knappen 1:2 gegen die Bayern zurückgetreten ist”, erinnert sich Dennis an den Februar 2018, “Er hatte früh in der Saison von Andries Joncker übernommen, man war vorsichtig optimistisch, umso erschreckender war der Rücktritt. Und dann holt man Bruno Labbadia. Es wirkte wie eine reine Verzweiflungstat, roch nach purer Panik.“

„Die Abstiegsränge kamen immer näher und die Stimmung wurde nicht besser, dauerte es doch sechs Spiele, bis der erste Sieg eingefahren werden konnte. Das größte Problem bekam er auch erstmal nicht in den Griff: Die Lethargie, die diese Mannschaft ausstrahlte, war erschreckend. So kam es auch zum Bruch mit den Fans (“wir steigen ab und kommen nie wieder, denn wir ham Bruno Labbadia”). Es folgten noch einige Niederlagen, teilweise schlimme Spiele, bis dann am letzten Spieltag gegen die mausetoten Kölner der “rettende” Sieg geholt wurde. Relegation. Schon wieder.”

“Die wurde dann, den Umständen entsprechend, ganz okay überstanden und es ging in die neue Saison. Einen völlig unausgereiften Kader reorganisieren, neu motivieren, vorantreiben”, beschreibt Dennis die damalige Aufgabe Labbadias. Wie also verlief die Wandlung von der knappen Rettung in der Relegation zu einer offensivstarken Mannschaft mit europäischen Ambitionen?

Von der Relegation zur Europa League

Auch das erklärt uns Dennis: „Das erste war: Fitness. Gemeinsam mit Eddy Sözer wurde die Mannschaft getrimmt, eine Sache, die ihr ganz schön abging. Der Kader wurde analysiert, einige Spieler aussortiert oder, wie im Falle von Divock Origi, gehen gelassen und so wurde viel am Zusammenhalt geschraubt. Das hat toll funktioniert. Die Mannschaft funktionierte ganz anders, fightete, war erfolgreich.“ Einmal mehr hatte es Labbadia also geschafft, eine Mannschaft zu einer Einheit zu formen, welche die wichtigsten Tugenden des Fußballs lebte.

„Die Spielweise selbst war gar nicht so anders, als sie es unter Schmidt war. Aber mit Weghorst war ein anderer Stürmer involviert, der durch seine Laufstärke und Nervigkeit zum Spiel passte. Das war erfolgreich, man kam in einen positiven Lauf und plötzlich klappte fast alles. Auch unter Labbadia gab es schlechte Spiele, aber in Summe hat er eine Mannschaft genommen, die am Boden lag und hat sie aufgebaut, Motiviert, zusammengeschweisst und die Spielweise optimiert, ohne sie umzuwerfen. Das hat ein bisschen gedauert, aber es hat geklappt. Es war längst nicht alles Gold, was glänzt – das wird in Anbetracht des 8:1 an seinem letzten Spieltag gerne übersehen. Aber es war positiv.“

Am Saisonende lief der Vertrag von Labbadia aus und wurde nicht verlängert. Auch da hatte es verschiedene Gründe, ein wichtiger Grund war jedoch der längere Konflikt mit dem Geschäftsführer Sport Jörg Schmadtke. Doch was blieb nach seinem Abgang noch übrig?

„Ich finde, der Zusammenhalt im Team ist deutlich gewachsen. Das Gefühl, ein mündiges Team zu haben, das hält heute noch an. Als Glasners Taktik einfach nicht mehr richtig funktionieren wollte, stand die Mannschaft auf und diskutierte mit dem Trainer – der Schritt zurück zum erfolgreichen 4-3-3 aus der Vorsaison funktionierte prima. Ich glaube nicht, dass es das vorher so gegeben hätte. Er nahm einen Kader, der offensichtlich nicht funktionierte, zu viele Eigenbrödler (Origi, Didavi…) besaß und formte gemeinsam mit Schmadtke daraus ein Team. Er erreichte die Mannschaft immer und hatte oft gute Lösungen für den Gegner.“

Über 4-3-3 und Offensivfußball

Unsere Experten haben also unterschiedliche Situationen mit demselben Trainer erlebt. Die knappe Rettung beider Klubs als einzigen Erfolg zu sehen, würde allerdings zu greifen. Auch Labbadia zeigte mehr Qualitäten, als nur die eines „Feuerwehrmannes“. Doch was für ein Fußball wird er in Berlin wohl spielen lassen?

Wie bereits von Dennis angesprochen, lässt Labbadia am liebsten im 4-3-3 spielen. Dieses System versuchte er mit überdurchschnittlich viel Ballbesitz und einer offensiven Grundausrichtung zu leiten. Gerade beim VfL Wolfsburg funktionierte es phasenweise sehr gut und es ist davon auszugehen, dass er eine ähnliche Spielweise auch bei der „alten Dame“ einbringen wird. Da Hertha eigentlich schon seit den Zeiten unter Jos Luhukay bereits an ein 4-3-3/4-2-3-1 gewöhnt ist, sollte die Ausrichtung Labbadias gut nach Berlin passen.

An dieser Stelle empfehlen wir die Folge des “Immerhertha”-Podcast zu Bruno Labbadia. Dort sprechen die Journalisten unter anderem auch über die Qualitäten von Bruno Labbadia als “Offensivtrainer”.

„Mein Team und ich freuen uns total auf diese Aufgabe“, sagte Labbadia, nachdem seine Verpflichtung offiziell wurde, und ergänzte: „Es liegt viel Arbeit vor uns“. Arbeit ist ein gutes Stichwort, denn gerade als Arbeiter ist der gebürtige Darmstädter bekannt. Auch die Spieler bei Hertha BSC sollten gewarnt sein. Gerade auf fleißige, hart arbeitenden Mentalitätsspieler legt der 54-Jährige viel Wert.

Für Statistiken- und Zahlen-Liebhaber lohnt sich natürlich ein Blick auf die historische Punkteausbeute des neuen Hertha-Coaches. In seinen zwei kompletten Spielzeiten in der Bundesliga holte er 2015/2016 mit dem HSV im Durchschnitt 1,21 Punkte pro Spiel, 2018/2019 mit dem VfL dafür 1,62 Punkte pro Spiel.

Im Vergleich dazu bietet sich in den letzten Jahren die Bilanz von Pal Dardai an: 2015/2016 holte er 1,47 Punkte pro Spiel, 2016/2017 noch 1,44. 2017/18 und 2018/2019 waren es nur noch 1,26. Die letzten drei Hertha-Trainer diese Saison holten nicht mehr als 1,25 Punkte pro Spiel (Alexander Nouri in vier Partien).

Mit Labbadia eine Wiederauferstehung für Hertha?

Gerade die Kritik, Hertha könne die notwendigen Schritte für seine Ambitionen nicht einfach mit Millionen-Beträgen von Lars Windhorst und großen Sprüchen überspringen, war zuletzt oft zu lesen und zu hören. Eine kaputte, verunsicherte und womöglich auch schlecht zusammengestellte Mannschaft wieder aufzubauen ist der Schritt, den Hertha BSC jetzt braucht. Gerade ein solcher Schritt dauert bekanntlich länger als eine Saison. Die zwei Jahre Vertrag, die Bruno Labbadia zunächst als Cheftrainer bei Hertha BSC bekommt, könnten allerdings genau dieser „kleinere“, wichtige Schritt sein, die der Haupstadtklub beschreiten muss, um nach höheren Sphären zu greifen.

Der gebürtige Darmstädter scheint für so etwas genau der Richtige zu sein. Gerade in Wolfsburg hat er bewiesen, dass genau das seine Stärke ist. Auch seine Vorliebe für Offensivspiel könnte die Sehnsucht der „alten Dame“ nach attraktiverem Fußball befriedigen. Die große Frage bleibt: wird man ihm in Berlin die Zeit lassen? Gerade die Wunschvorstellung von Investor Lars Windhorst, mit Hertha bereits in den nächsten Jahren europäisch vertreten zu sein, könnte problematisch werden. Fehlende Geduld der Vereinsführung hatte bereits in Hamburg und Wolfsburg zu Spannungen mit dem Trainer geführt, und auch in Berlin wäre ordentlich Konfliktpotenzial vorhanden.

Doch zunächst kann an der Spree ein Stück weit Vertrauen zurückkehren: der neue Cheftrainer von Hertha BSC bringt alles mit, um die Mannschaft aufzurichten, sie als Team zu besserem Fußball zu führen und vor dem Abstieg zu bewahren. Quasi eine Wiederauferstehung des Berliner Klubs also. Sollte ihm das gelingen, wäre das bereits ein großer Erfolg. Mit Labbadia ist der Realismus nach Berlin zurückgekehrt, ein Schritt nach dem anderen gehen zu müssen und nicht bereits vom fünften zu reden, während man beim dritten noch droht zu stolpern.

Labbadia will’s wissen

Und während Hertha gewillt ist, aus seinen Fehlern der Vergangenheit zu lernen, scheint Labbadia das bereits getan zu haben. Der 54-Jährige soll bei seinen ersten Stationen menschlich noch als recht schwierig gegolten haben, hinzu kamen seine taktischen Defizite. Labbadia ist allerdingsein immer größerer Teamplayer geworden (immerhin haben Schmadtke und er die Saison trotz ihrer Differenzen noch gemeinsam zu Ende gebracht) und hat auch fußballerisch dazugelernt. In den Zeiten, in denen er ohne Traineramt war, hat er sich bei anderen Vereinen weitergebildet und so ließ er bei Wolfsburg schon einen deutlich besseren Fußball spielen als noch bei seinen vorherigen Stationen. Bei Hertha will Labbadia nun endgültig den Imagwechsel vollziehen – weg vom Feuerwehrmann, hin zum Entwickler.

Wenn man es so formulieren will, vereint Labbadia das beste aus den letzten Hertha-Trainern in sich: er bringt die Akribie und lange Bundesliga-Erfahrung eines Pal Dardai mit sich, zusätzlich den fußballerischen Anspruch eines Ante Covic und schlussendlich die Gelassenheit eines Jürgen Klinsmann, der bereits alles im Fußball gesehen hat und daher eine gewisse Gelassenheit ausstrahlt. Labbadia ist zwar “schon” 54 Jahre alt, was bei den Nagelsmännern und Kohfeldts dieser Liga bereits rüstig daherkommen könnte, aber der Mann hat noch nicht fertig – im Gegenteil, Labbadia will es allen beweisen, dass er mehr kann, als nur zu retten. “Unser Spiel bedarf vieler Sprints und Tempoläufe. Wir werden in allen Bereichen arbeiten: Athletik, Organisation, Taktik. Das findet nicht nur auf dem Platz statt. Das wird sehr intensiv. Einige sagen, es ist zu intensiv. Aber das ist unser Spiel. Für mich ist es ein geiles Spiel. Ich habe Bock auf Fußball. Ich lasse mir die Freude am Fußball nicht mehr nehmen. Ich will das leben”, gab sich Labbadia bei seiner Antritts-PK hoch motiviert.

Dieses Feuer kann Hertha sehr gut nutzen, auch weil der neue Trainer durch seine Ambitionen sicherlich nicht als Ja-Sager auftreten und somit Michael Preetz Paroli bieten wird. Schaffen es Geschäftsführer und Trainer, diese potenziellen Reibungen konstruktiv zu nutzen, kann etwas entstehen. Hier sind beide Seiten gefordert. “Ich habe Michael Preetz sofort zu dieser sehr guten Lösung gratuliert”, berichtete Frankfurts Sportvorstand und Ex-Hertha-Profi Fredi Bobic der BamS, “Bruno ist menschlich eine Eins mit Sternchen, ein total gerader Typ, extrem motiviert. Er gehört sicher zu den Top-3-Lösungen, die der Markt gerade zu bieten hat.” Auch Bobic kann bezeugen, dass Labbadia an sich gearbeitet hat: “Er will immer den totalen Erfolg, das treibt ihn an. Er ist sehr erfahren, aber nicht mehr ganz so verbissen wie früher.“ Von einem abgehalftertem Verwalter kann bei Herthas neuem Übungsleiter also keinesfalls die Rede sein.

„Bittersüße“ Abschiedsgrüße

Gerade bei Fußballtrainern zählt auch die Art und Weise des Abschieds eine Rolle. Genauso wichtig, wie die reinen sportlichen Zahlen, ist der Eindruck, den Trainer in alter Wirkungsstätte hinterlassen. Deshalb haben wir unsere Experten gefragt, was sie Ihrem Ex-Trainer heute noch sagen würden.

Sven würde folgendes loswerden: „Ich würde Bruno darauf hinweisen, dass er es bei seinem ersten Versuch nicht geschafft hat mit einer guten Mannschaft (Vereins-) Geschichte zu schreiben, ihm dies fünf Jahre später jedoch gelungen ist. Dafür würde ich ihm danken und ihm das Versprechen abnehmen, es nicht noch einmal zu versuchen!“

Auch die Abschiedsbotschaft von Dennis an Labbadia ist eher in der Kategorie „Bittersüß“ einzuordnen: „”Danke.” Und auch – da werden einige VfL-Fans aber lautstark einer anderen Meinung sein: “Ist besser so gewesen, für alle”. Denn wenn Bruno Labbadia in seiner Karriere was gezeigt hat, dann, dass er Mannschaften retten kann, zusammenraufen, das Beste herausholen. Woran er häufig scheiterte, war der nächste Schritt, weg vom Optimieren, hin zum Entwickeln. Und ich hatte gegen Ende seiner Zeit hier und da schon das Gefühl, dass es knirschte, die Zusammenarbeit mit Schmadtke war offenkundig kein großes Vergnügen für ihn, deswegen: Vielen Dank Bruno. Alles Gute.”

Bei beiden Experten ist trotz der Trennung auffällig, dass eine gewisse Dankbarkeit bleibt, was nicht selbstverständlich und eher ein gutes Zeichen ist. Die meisten Hertha-Fans würden beispielsweise bei Jürgen Klinsmann gar keine Worte mehr brauchen. Eine simple Handgeste wäre sicher ausreichend.

Die Messlatte wurde also durch Klinsmann so dermaßen tief gesetzt, dass dem neuen Hertha-Trainer etwas Druck abgenommen wird. Als neuer Trainer wird Labbadia zum Start trotz vieler Vorurteile ein gewisses Grundvertrauen von Fans und Umfeld erhalten – vielleicht auch, weil dieser Artikel aufzeigt hat, dass die Ressentiments einiger Anhänger gegenüber Labbadia unbegründet sind. Zumindest so lange, wie er nicht plötzlich anfängt Facebook-Live Sitzungen zu organisieren und sich mit „Hahohe, euer Bruno“ zu verabschieden.

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – SV Werder Bremen

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – SV Werder Bremen

Ein Spiel in der Bundesliga beginnt beim Stand von 0:0 und dauert 90 Minuten. Bei Hertha BSC ist es etwas anders. Ein Spiel beginnt in der Regel beim Stand von 0:2. Die katastrophalen ersten Spielminuten der Blau-weißen werden in dieser Rückrunde zur Gewohnheit. Zugegeben: die „alte Dame“ konnte gegen Werder Bremen erneut den frühen Rückstand am Ende ausgleichen und punkten. Trotzdem wird deutlich, dass es so unheimlich schwierig wird, Siege zu holen. Wären da nicht diese „Drecksminuten zu Spielbeginn…

Weil diese Wochen für Hertha-Fans schwierig zu verdauen sind, waren wir dieses Mal in unserer Bewertung vor allem auf der Suche nach positiven Aspekten. Diese fanden wir unter anderem auch Niklas Stark, Maximilian Mittelstädt und Matheus Cunha.

Thomas Kraft – Kein Spiel zum glänzen

Aufmerksame Leserinnen und Leser werden festgestellt haben: der neue Stammkeeper wurde in unserer Einleitung nicht erwähnt. Das liegt daran, dass er als einziger, der heute im Fokus stehenden Spieler nicht wegen seiner sportlichen Leistung ins Auge getreten ist. Ihn jedoch kurz anzusprechen lohnt sich, da eine Änderung auf der Torhüterposition im Laufe der Saison eher unüblich ist. Zudem wurde im Anschluss auf das Düsseldorf-Spiel sehr viel über Thomas Kraft diskutiert. Weniger aufgrund seiner sportlichen Leistung, sondern eher wegen seiner Ansprache in der Kabine. Er sei besonders wichtig für die Mannschaft, solle nervenstärker sein als sein Konkurrent Rune Jarstein und deshalb auch in dieser Situation die beste Wahl sein.

Kraft hatte gegen Bremen wenig zu tun. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Umso bitterer also, dass das Spiel gegen Werder Bremen ihm nicht wirklich die Möglichkeit gab, den Fokus auf seine sportliche Rolle zu legen. Schon nach sechs Minuten lag Hertha mit 0:2 zurück, und das Lächeln im Gesicht von Thomas Kraft war von jeglicher Freude oder Heiterkeit befreit. Auch er wird, wie alle Herthafans und -akteure geglaubt haben, im falschen Film zu sein. Beim ersten Gegentreffer konnte Kraft noch nicht viel machen, beim zweiten hingegen wirkte der Spieler mit der Nummer Eins im Rücken äußerst unglücklich. Seine Positionierung beim Kopfball von Davy Klaassen sah alles andere als Souverän aus. Trotzdem muss zu seiner Verteidigung angeführt werden, dass die gesamte Hintermannschaft ihren Keeper völlig im Stich ließen. Lukas Klünter ließ erst Milot Rashica viel Zeit und Raum zum Flanken, dann schlief die Innenverteidigung und Klaassen bedankte sich.

Nach diesen zwei Treffern bekam Thomas Kraft so gut wie gar nichts mehr auf sein Tor. Eine gute Nachricht eigentlich, allerdings konnte sich der 31-Jährige dann auch nicht mehr durch Paraden auszeichnen. Zumindest konnte er durch einzelne schnelle Abwürfe Angriffe seiner Mannschaft einleiten. Am Samstag konnte Kraft also keine Glanztaten zeigen, trotzdem ist zu hoffen, dass bis zum Ende der Saison die Torhüter-Position kein Thema mehr wird. Angesichts dieser Spielzeit ist allerdings noch alles vorstellbar.

Niklas Stark – Nach Gelbsperre zurück ins Rampenlicht

Niklas Stark gehört sicherlich zu den Spielern, die diese Saison weit unter ihren Möglichkeiten gespielt haben. Nach seiner Gelbsperre kehrte er am Samstag zurück in die Startelf und ersetzte dort Dedryck Boyata, der aufgrund von Muskelproblemen ausfiel. Direkt war Stark im Mittelpunkt des Geschehens, und war auch mitverantwortlich für den erneuten Katastrophenstart von Hertha.

Niklas Stark köpft zum 1:2 Anschlusstreffer. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Beim 0:1 machte er seinem Gegenspieler Joshua Sargent zu wenig Druck, sodass dieser ungestört abschließen konnte. Auch beim 0:2 war er schuldhaft beteiligt: der 24-Jährige verlor Davy Klaassen aus den Augen, der dann einköpfen konnte. Keine gute Rückkehr also. Sichtlich verunsichert spielte Stark auch im Anschluss zunächst sehr hektisch und unpräzise. Durch einen gefährlichen Fehlpass in der 24. Minute hätte er sogar einen weiteren Gegentreffer einleiten können.

Er selbst fand poetische Worte, um den Frust der Anfangsphase zu beschreiben: „wir beißen uns selber in den Arsch“. Doch zumindest schaffte es Niklas Stark, die passende Antwort schon in der ersten Halbzeit zu finden. Wie auch die restliche Mannschaft der „alten Dame“ wurde der junge Verteidiger im Verlauf der Partie sicherer. Dadurch, dass sich Hertha auch mehr Kontrolle sicherte, traute er sich auch mehr im Spielaufbau zu, wie zum Beispiel in der 37. Minute, als er nach einem Vorstoß Krzysztof Piątek in Szene setzte. Diese Leistungssteigerung krönte er dann selbst in der 41. Minute, als er den so wichtigen Anschlusstreffer per Kopf erzielte.

In der zweiten Halbzeit war Stark deutlich sicherer, sein Treffer gab ihm sichtlich Selbstvertrauen. Auch war spürbar, dass er hundert Prozent gab, auch wenn manchmal die Abstimmung mit seinen Mitspielern nicht perfekt funktionierte. In der 64. Minute beispielsweise ließ er noch seinen Gegenspieler frei köpfen. Zwei Minuten später warf er sich aufopferungsvoll in einer Defensivaktion rein und klärte den Ball. Der Wille war da bei Niklas Stark, das zeigt sich auch in seiner Statistik. Er klärte nicht nur 7 Bälle (der beste Wert im Hertha-Team), er konnte auch 75 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnen und lief sogar mehr als 10 Kilometer. Es war ihm anzumerken, dass er seiner schwachen Form der letzten Wochen zum Trotz ein gutes Spiel machen wollte. Seine erste halbe Stunde warf letztlich einen Schatten auf sein ansonsten ordentliches Spiel.

Maximilian Mittelstädt – Mittendrin statt nur dabei

Ein weiterer Spieler durfte sich, nach den vielen Wechsel der letzten Wochen, wieder von Beginn an zeigen. Maximilian Mittelstädt übernahm die linke offensivere Seite bei den Blau-weißen. Er nutze die Tatsache, dass er mit Marvin Plattenhardt einen sehr defensiv aufgestellten Verteidiger hinter sich hatte, um sich in den meisten Angriffen von Hertha mit einzuschalten.

Torschütze und Vorbereiter zum 2:2 (Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images).

Der 22-Jährige war sehr präsent im Berliner Spiel und schien unermüdlich zu sein. Ganze 11,55 Kilometer lief er, der beste Laufwert hinter Vladimir Darida und Santiago Ascacibar. Dazu kommen 26 Sprints und 78 intensive Läufe: in beiden Werten ist er damit auf Platz drei bei Hertha. Sein Einsatz zeigte sich unter anderem auch in der 28. Minute, als er den weiten Weg bis in den eigenen Strafraum zurück sprintete, um einen Bremer Angriff zu vereiteln. Besonders interessant wird es, wenn man sich die sogenannten „Heatmaps“ anschaut. Während Marius Wolf vor allem auf seiner rechten Seite blieb war Maximilian Mittelstädt fast überall zu sehen, was sich in der 69 Minute zeigte, als er komplett die Seite wechselte, um einen Ball wegzugrätschen.

Auffällig war auch, dass es ihn auch immer öfter in die zentrale Position zog. Auch durch die Passivität der Bremer nach der Anfangsphase hatte er mehr Freiheiten, probierte vieles nach vorne. Dieser Offensivdrang sorgte auch für den 2:2 Ausgleichstreffer: in der 60. Minute kam Mittelstädt im Strafraum zum Abschluss. Der abgewehrte Ball wurde dann von Matheus Cunha ins Tor geschossen. Auch in der 78. Minute glänzte der gebürtige Berliner, als er einen langen Ball per Vollsprint noch erreichte und in die Mitte auf Vladimir Darida spielte. Dessen Schuss sorgte für den, später zurückgenommenen, Handelfmeter für Hertha.

Es war nicht alles gut, was der junge Berliner am Samstag zeigte. Vor allem seine hohen Hereingaben waren oft zu ungenau, doch insgesamt weist er eine gute Passquote auf (85 Prozent, im Vergleich: Marius Wolf hatte eine Passquote von 52 Prozent). Nach Matheus Cunha (20) und Ludwig Augustinsson (19) ist Mittelstädt außerdem der Spieler, der die meisten Zweikämpfe gewann. Sein Einsatz, seine Flexibilität und seine Entschlossenheit beim 2:2 waren für das Berliner Spiel sehr wertvoll. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass Maximilian Mittelstädt in der nächsten Partie gegen die TSG Hoffenheim erneut von Anfang spielen wird.

Matheus Cunha – Dauergast bei „Herthaner im Fokus“

Aktuell führt in unserer „Herthaner im Fokus“-Rubrik kein Weg an Matheus Cunha vorbei. Da er auch gegen Bremen der auffälligste Spieler auf dem Platz war, können wir erneut nicht auf eine Bewertung verzichten. Cunha war wie auch in der zweiten Halbzeit in Düsseldorf omnipräsent, verlor kaum Bälle, glänzte durch Dribblings und mit einer guten Übersicht. Kein Wunder also, dass er der Spieler ist, der für Hertha in der 20. Minute den ersten Ausrufezeichen setzte, indem er einen Konter im Vollsprint anführte und dann selbst kurz vor dem gegnerischen Strafraum abschloss. Der etwas zu unplatzierte Schuss war das erste Zeichen, dass sich Hertha anfing zu wehren. Dies sollte nur einer von zahlreichen Schüssen werden: Cunha gab mit neun (!) Torschüssen mit großem Abstand die meisten Schüsse von allen Spielern auf dem Platz ab.

Der Brasilianer schießt das so wichtige 2:2 (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images).

In der 34. Minute zog der junge Stürmer erneut aus der Distanz ab und zwang Keeper Stefanos Kapino zu einer starken Parade. Kaum vier Minuten später war er wieder im Mittelpunkt, setzte sich gegen mehrere Gegenspieler im Strafraum durch und sorgte für den nächsten gefährlichen Angriff. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit hätte er auch mit mehr Glück einen Elfmeter für Hertha rausholen können. Auch mit starken Pässen konnte er glänzen, wie zum Beispiel in der 53. Minute, als er Marvin Plattenhardt sehenswert in Szene setzte, der allerdings durch eine schwache Hereingabe den gefährlichen Angriff verschwendete.

In der 60. Minute war es dann soweit: der Brasilianer belohnte seine erneut starke Leistung und traf zum 2:2. Auch im Anschluss seines Treffers hängte er sich rein. Was auch auffiel: der 20-Jährige lief von allen Berliner Feldspieler am wenigsten, nur 9,27 Kilometer. Seine Läufe waren jedoch intelligent und effektiv. Dies zeigt sich daran, dass er trotz des geringen Laufumfangs an fast allen Berliner Kontern und Angriffen beteiligt war. Zudem gewann er auch die meisten Zweikämpfe (20) und hatte die meisten Sprints (34) und Dribblings.

Auch hier muss bei allen Lobeshymnen festgestellt werden, dass ihm in einigen Situationen die letzte Präzision und Ruhe fehlte. Bestes Beispiel dafür ist die Szene in der 70. Minute, als der junge Stürmer den wunderbar von Jordan Torunarigha eingeleiteten Konter in aussichtsreicher Position nicht gut nutzen konnte. Sein Pass auf Krzysztof Piątek war dann zu ungenau, und eine gute Chance vergeben.

Der laut Werder-Trainer Florian Kohfeldt „beste Spieler auf dem Platz“ Matheus Cunha belebt zweifellos das Berliner Offensivspiel, und sorgt für besondere Momente. In wenigen Spielen hat sich der Brasilianer eigentlich schon komplett unverzichtbar gemacht. Auf ihn wird Hertha in den nächsten Spielen ganz sicher hoffen. Bisher hat er diese Hoffnung nicht enttäuscht.