Hertha-Kader in der Analyse – Wat jibt’n dit jetz’?

Hertha-Kader in der Analyse – Wat jibt’n dit jetz’?

Nach dem unzufriedenstellenden ersten Deadline Day von Neu-Manager Fredi Bobic ist nun in der Länderspielpause Zeit, auf den vorhandenen Hertha-Kader zu schauen. Wer bleibt noch übrig? Wo drückt der Schuh? Wie kann man mit dem vorhandenen Personal taktisch aufstellen?

Wir blicken auf die Problemzonen in Herthas Kader und zeigen taktische Systeme auf, wie das vorhandene Personal aufgestellt werden könnte.

Problemzone Flügelspieler

Nachdem im Nachgang der letzten Saison insbesondere die unzureichende Besetzung der Flügelspieler als lodernder Gefahrenherd in Herthas Kader ausgemacht worden war, stehen wir seit dem Schließen des Transferfensters plötzlich mit weniger Flügeln da als noch zwei Tage zuvor. Neben Dodi Lukébakio verließ am Deadline Day auch noch Javairo Dilrosun den Verein. Neu stieß Myziane Maolida zu uns. Zuvor wurde bereits Offensivallrounder Marco Richter vom FC Augsburg verpflichtet.

Neben den beiden Neuzugängen gibt es mit Leihrückkehrer Dennis Jastrzembski also nur drei (!) echte Flügelspieler in Herthas Kader.

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Foto: nordphotoxGmbHx/xEngler/IMAGO

„DJ“ wurde von den (wechselnden) Verantwortlichen mehrfach für (noch) nicht bundesligatauglich befunden. Richter klebt weniger an der Linie, sondern drängt Lukébakio-esk Richtung Tor und Maolida ist eine Wundertüte. Der Franzose war zuletzt viel verletzt und muss sein in Frankreich zwar ab und an gezeigtes, aber auch nicht konstant abgerufenes, Potenzial erst einmal auf den Rasen des Olympiastadions bekommen.

Das von Pál Dárdai in seiner ersten Amtszeit favorisierte 4-2-3-1 ist in dieser Saison kaum realisierbar.

Hertha ist auf dem Flügel katastrophal unterbesetzt

Jastrzembski wird keine ernstzunehmenden Startelf-Chancen haben. Die beiden Neuzugänge müssen sich zunächst sportlich beweisen und dabei insbesondere verletzungsfrei bleiben. Dass Dárdai wie in grauer Vorzeit auf den stets bemühten Vladimir Darida auf dem rechten Flügel zurückgreifen könnte, führt nicht gerade zu Freudensprüngen in der Fanszene.

Summa summarum bleibt die beängstigende Erkenntnis, dass Hertha auf den Flügeln quantitativ katastrophal unterbesetzt ist. Die am Deadline Day gescheiterte Verpflichtung von Samu Castillejo vom AC Milan kann nur das Ende einer fatalen Absagen-Serie von potenziellen Flügelspielern gewesen sein. So bleibt zu hoffen, dass das vorhandene Personal wenigstens weitestgehend verletzungsfrei bleibt.

Sollten (wider Erwarten) die beiden Neuzugänge 30 Bundesligaeinsätze abreißen können, bleibt noch immer ein großes Fragezeichen, ob sie den spielerischen Erwartungen gerecht werden können.

Problemzone Außenverteidiger

Schon in der Saisonvorschau zu Beginn der Vorbereitung hatten wir die Außenverteidiger auf beiden Seiten als Problemzone erkannt. Und nach dem Abgang von Toptalent Luca Netz brennt jetzt hinten links nachdrücklich der Baum.

Marvin Plattenhardt hat unter Coach Dárdai zwar wieder ein wenig an Standardstärke gewonnen, ansonsten seine mauen Leistungen aber nicht stabilisieren können und kommt bei Weitem nicht an die Leistungen in Dárdais erster Amtszeit heran, die ihm einst die Nominierung zur Nationalelf einbrachten.

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Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO

Nichtsdestotrotz erhält er weiter den Vorzug vor dem im Dauertief steckenden Maxi Mittelstädt, der vertretungsweise im Spiel gegen Bayern München starten durfte, aber seine dürftige Form und beinahe zu greifende Verunsicherung nicht ablegen konnte.

Plattenhardt, Mittelstädt und Pekarik reichen nicht mehr

In der momentanen Verfassung verkörpern beide Spieler maximal unteres Bundesliga-Niveau – das gibt zu denken.
Nachdem in den letzten Jahren stets das Argument war, Toptalent Netz mit einem Neuzugang nicht den Weg zu verbauen, muss man sich jetzt fragen, wie es auf dieser Position weitergehen soll. Einen anspornenden Zweikampf um die Position legen die beiden Akteure bereits seit Jahren nicht hin. Sofern nicht einer der beiden eine unerwartete Leistungsexplosion hinlegt, sollte man diese Dauerbaustelle in den nächsten Transferperioden dringend ins Auge nehmen.

Auf der rechten Abwehrseite hat es zwar seit Vorbereitungsbeginn keine personellen Veränderungen gegeben. Die ersten Saisonspiele haben aber gezeigt, dass auch dort nach wie vor keine optimale Besetzung gefunden ist. Langsam, aber sicher zeigt sich, dass auch vor Peter Pekarik übliche Alterserscheinungen nicht halt machen und ihm nicht die Zukunft gehört.

In den ersten Saisonspielen zeigte er in einer Viererkette ungewöhnlich schwache Leistungen. Der 34-Jährige war sowohl zu Fuß als auch im Kopf häufig zu langsam und ließ offensiv wie defensiv Konsequenz und Konzentration vermissen. Eine Fünferkette mit der laufintensiven und fürs Offensivspiel wichtigeren Schienenposition kommt seinen Stärken noch weniger entgegen.

Hertha-Hoffnungen liegen auf Zeefuik

Die Position auf der rechten Schiene bei Fünfer- respektive Dreierkette liegt Deyovaisio Zeefuik schon eher. Mit einem zusätzlichen Innenverteidiger hinter sich, kann Deyo Sicherheit gewinnen und seinen eigenen Offensivdrang ausleben, ohne den fatalen Konter über die eigene Seite befürchten zu müssen.

Nichtsdestotrotz bleiben auch bei ihm Hektik, Unkonzentriertheit und Ungenauigkeit, eine allgemeine Unsicherheit unübersehbar. Sollte sich Dárdai demnächst tatsächlich für die Dreierkette entscheiden, könnte Zeefuik wie schon zum Ende der letzten Saison etwas Sicherheit aufbauen. Bleibt es zunächst bei der Viererkette, ist der Niederländer mit individuellen Fehlern momentan ein Risiko. Nach einem schwierigen ersten Jahr ist dem Neuzugang des vergangenen Sommers noch Zeit zu geben. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass sich bezüglich seiner anfänglichen Probleme auch nach einem Jahr noch keine signifikante Besserung eingestellt hat. Jetzt muss er liefern, sonst ist seine Hertha-Zeit im nächsten Sommer wohl schon wieder abgelaufen.

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Foto: Mladen Lackovic LakoPress/IMAGO

Lukas Klünter, einst als rechter Verteidiger geholt, ist nicht erst seit Dárdai keine Option für die rechte Abwehrseite. Weder offensiv- noch defensivstark kann Klünter trotz schnellem Antritt die Anforderungen an die Außenverteidigerposition nicht erfüllen. Als rechter Innenverteidiger in einer Dreierkette bleibt er eine Option.

Rechts wie links ist Hertha in der Abwehr qualitativ unterbesetzt. Weder für die Viererkette noch für die Dreierkette hat man eine sichere, stabile Besetzung parat. Die Hoffnung für die rechte Seite liegt darauf, dass Deyovaisio Zeefuik den Schlendrian los wird und sich stabilisiert. Auf links muss sich einer aus dem Duo Marvin Plattenhardt und Maxi Mittelstädt aus dem Formtief befreien. Somit müssten die Fans zumindest nicht mehr jeden Samstag zitternd den Namen des gegnerischen Rechtsaußen bei einschlägigen Suchmaschinen eintippen.

Problemzone Zielstürmer

Mit Jhon Córdoba, Matheus Cunha und Dodi Lukébakio hat man die Schützen von 19 der 41 Hertha-Tore aus der vergangenen Bundesliga-Saison abgegeben. Von der letztjährigen Offensive blieb nur Krzysztof Piątek zurück, der mittlerweile nach erlittenem Knöchelbruch wieder erste Gehversuche auf dem Rasen unternimmt.

Aber auch der Pole taugt nicht wirklich als Hoffnungsträger. Dafür blitzte sein Können in den letzten anderthalb Jahren zu selten auf. Auch, weil Herthas Offensivspiel weitestgehend lahmte und von Einzelaktionen abhängig war.

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Foto: SVEN SIMON/ Ottmar Winter/pool/IMAGO

Piątek aber ist kein Spieler für große Einzelaktionen, nicht besonders durchsetzungsstark oder dribblingversiert, auch im Kombinationsspiel liegt nicht seine Stärke. Stattdessen muss er mit Bällen gefüttert werden, um im Sechzehner direkt selbst zum Abschluss kommen zu können. Fraglich, ob Hertha den polnischen Nationalspieler diese Saison nahezu ohne Flügelspieler in diese Positionen bringen kann.

Auch Piątek-Ersatz und Leihrückkehrer Davie Selke fällt nach seiner im Spiel gegen Bayern München erlittenen Rippenverletzung vorerst aus. Selke ist in Herthas Kader neben Piątek noch der typischste Neuner, wird dazu regelmäßig für sein Defensivverhalten in vorderster Linie gelobt. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die letzten Jahre für Selke sportlich zum Vergessen waren. Ob er sein Selbstbewusstsein wiederfindet und mit Toren zum sportlichen Erfolg beitragen kann, ist mehr als fraglich. Die Hoffnungen der Fans lasten jedenfalls nicht auf seinen Schultern. (Aber schieß bitte trotzdem die zehn Tore, Davie. Ich verliere diese Wette gerne!)

Schlagen Jovetic und Belfodil bei Hertha ein?

Neben den verletzten Selke und Piątek musste auch Neuzugang Stevan Jovetic im letzten Spiel angeschlagen ausgewechselt werden. Der Montenegriner ist dank internationaler Erfahrung mit allen Wassern gewaschen, aber kein wirklicher Zielspieler. Stattdessen gleicht er in seinem Spielstil eher Cunha als Córdoba oder Piątek. Er sucht häufiger die spielerische Lösung und das Dribbling, ist etwas kreativer und ordentlich im Kombinationsspiel, dabei aber naturgemäß auch auf die Mitspieler angewiesen.

Ein ähnlicher Spielertyp wie Jovetic ist Ishak Belfodil. Dieser dürfte in den nächsten Spielen angesichts der Verletztensituation direkt zum Zug kommen. Aber auch er ist verletzungsanfällig und konnte in den letzten Jahren mit seinen Statistiken nicht mehr beeindrucken. Belfodil ist eher ein Spieler für die Breite und könnte in der Saison seine Momente haben. Dass er direkt funktioniert und einschlägt, ist leider eher nicht zu erwarten.

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Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO

Zusammengefasst hat man Qualität abgegeben und durch Verletzungsanfälligkeit ersetzt. Die taktische Herangehensweise bleibt angesichts der Spielertypen auf dieser Position unklar.

Wenn es endlich gelingt, Krzysztof Piątek ordentlich einzusetzen, kann der Pole sicherlich die Rolle des Torjägers einnehmen, die ihm seit dessen Transfer zugedacht war und die Abgänge vergessen lassen. Woher die plötzliche taktische Lösung kommen soll, bleibt aber schleierhaft. Die anderen Spieler im Sturmzentrum brauchen angesichts von Verletzungspausen, Eingewöhnung und absoluten Formtiefs Zeit, um sich zu beweisen.

Problemzone Identifikationsfigur auf dem Platz

Trust in Pal & Zecke & Arne & Fredi – was wie die Achse der 2005-er Hertha unter Falko Götz klingt, ist seit dieser Saison in allen sportlichen Bereichen abseits des Feldes verantwortlich für den Erfolg der Hertha.

Doch obwohl die handelnden Verantwortlichen nach mehr oder minder erfolgreicher Hertha-Vergangenheit die blau-weiße Fahne im Herzen tragen, bietet der Kader der Gegenwart immer weniger Identifikation mit Stadt und Verein. Sprach Bobic vor wenigen Wochen noch davon, in das Team wieder mehr Berliner Blut zu integrieren, gleicht diese Transferperiode vielmehr einem Berliner Aderlass.

Die großen Talente aus der eigenen Jugend Arne Maier und Luca Netz haben den Verein fluchtartig verlassen. Keeper Nils Körber, vor zwei Jahren beim Kicker noch notenbester Spieler der Dritten Liga, ist endgültig degradiert. Nach Alexander Schwolow wurde ihm mit Oliver Christensen jetzt der nächste externe Torwart vorgesetzt.

Auch Jordan Torunarigha, seit geraumer Zeit absoluter Publikumsliebling, wird immer weiter verprellt, spielt er doch seit seiner Corona-Erkrankung kaum noch eine Rolle. Dárdai wich im Spiel gegen Bayern München sogar von seinem eisernen Dogma ab, auf der linken Innenverteidiger-Position nur einen Linksfuß spielen zu lassen und ließ Torunarigha unberücksichtigt. Verständlich, dass sich Jordan auch in dieser Transferperiode wieder mit einem Abgang beschäftigt hat.

Reicht Boateng als Hertha-Anführer?

Auf der Seite der Neuzugänge steht über allem natürlich die Heimkehr von Kevin-Prince Boateng. Und der Berliner liefert auch die Emotionen, die man sich von ihm erhofft hat. Nichtsdestotrotz muss er das ganze aber auch mit Leistung untermauern, um auch mannschaftsintern wirklich vorangehen und mitreißen zu können.

Die anderen Neuzugänge daneben riechen so gar nicht nach Berliner Herzblut. Aber das kann ja noch werden.

Jetzt, wo die großen Einzelkönner ersatzlos weg sind, muss die Mannschaft über das Team funktionieren, um die Fans wieder abzuholen. Denn die Fans sind angesichts der Enttäuschungen der letzten Jahre und der schwindenden Anzahl ehemaliger Hoffnungsträger aus der Hertha-Jugend im Kader vorerst völlig zurecht misstrauisch.

Mögliche Aufstellungen

Welche taktischen Optionen ergeben sich nun mit dem vorhandenen Kader? Wir beleuchten Variationen mit Vierer- und Dreierkette, mit besonderem Fokus auf die unter Dárdai bereits praktizierten 4-2-3-1 und 3-5-2.

4-2-3-1 (respektive 4-3-3 bei offensiverer Positionierung)

Dieses System wurde überwiegend in Dárdais erster Amtszeit und auch zum Ende der letzten Saison immer wieder praktiziert. Spätestens seit der WM 2010 im Weltfußball beliebt, steht das System kurz gesagt für defensive Stabilität dank zweier Sechser und offensive Variabilität mit schnellen und dribbelstarken Außenspielern neben einem torgefährlichen Zehner und einem Abschlussstürmer.

An den Außenspielern hakt es aber bereits. Mangels Alternativen dürfen weder Myziane Maolida noch Marco Richter über einen längeren Zeitraum verletzt ausfallen oder im Formtief abtauchen. Abseits davon, ist Marco Richter nicht der typische Flügelspieler, sondern zieht gerne mit Ball ins Zentrum. Das aber könnten wiederum Suat Serdar und Deyovaisio Zeefuik ausnutzen, um die freiwerdende rechte Außenbahn offensiv zu besetzen.

Sollten Maolida oder Richter tatsächlich einmal nicht verfügbar sein, könnten Stevan Jovetic oder wie in der Vergangenheit ab und an Vladimir Darida auf den Außenbahnen aushelfen – mit deutlichem Qualitätsabfall. Für Schnelligkeit stehen beide bei aller Liebe nicht und auch im Eins-gegen-Eins wird man Darida wohl eher selten sehen. In einzelnen Spielen kann diese Notlösung vielleicht aber gezogen werden.

Auch hinter dem übrigen Personal stehen einige Fragezeichen. Jurgen Ekkelenkamp muss in seiner Debütsaison eigentlich von Beginn an als Ballverteiler funktionieren. Auf der Zehn könnten Stevan Jovetic oder Vladimir Darida aushelfen. Sie vereinen aber nicht die Qualitäten auf sich, die der Zehner in solch einem System mitbringen sollte. Suat Serdar könnte das möglicherweise besser, würde dann aber eine Position weiter hinten als Box-To-Box-Spieler fehlen, wo er höchsten sporadisch von Kevin-Prince Boateng vertreten werden könnte.

Den defensiven Part der Doppelsechs liegt Lucas Tousart wie maßgeschneidert. Angesichts seiner momentanen Formschwäche könnte aber auch Santiago Ascacibar als zwar spielschwächere, aber aggressivere und kämpferische Alternative Minuten sehen.

In der Viererkette bietet sich auf links zurzeit eher Marvin Plattenhardt an. In der Innenverteidigung setzte Dárdai gegen Bayern München auf Niklas Stark und Dedryck Boyata. Fraglich, ob sich Márton Dárdai gegen einen der beiden Platzhirsche durchsetzen kann, sobald er wieder einsatzfähig ist.

Hertha im 4-3-3 oder einer Raute?

Offensiver interpretiert könnte diese Formation auch als 4-3-3 dargestellt werden. Die höhere Positionierung dürfte aber defensiv insbesondere zulasten der Außenverteidiger gehen, die in der bisherigen Form aber ohnehin schon sehr anfällig für Fehler und verlorene Zweikämpfe sind.

Alternativ zu dieser Grundordnung könnte man es mangels Flügelspielern auch mit einem 4-4-2 mit enger Raute oder einem 4-2-2-2 mit zwei offensiven Mittelfeldspielern versuchen. Eine solche Grundordnung käme allerdings ziemlich überraschend, hat Hertha doch weder in den letzten Jahren noch in der Vorbereitung in einem solchen System gespielt.

Zudem sind auch hier nicht alle Probleme beseitigt. Stattdessen dürfte die Konzentration im Zentrum weiter zulasten der offensiven Durchschlagskraft gehen. Piątek wäre noch mehr auf sich allein gestellt als ohnehin schon.

In einem solchen System müssten die offensiven Mittelfeldspieler durch Lauf- und Dribbelstärke sowie Kreativität in der offensiven Räume schaffen und sehr dynamisch und flexibel agieren. Alles Eigenschaften, die dem Herthaner Offensivpersonal die dem Herthaner Offensivspiel in den letzten Jahren nicht wirklich zu entnehmen waren.

Liegt die Zukunft im 3-5-2?

Bereits zum Ende der letzten Spielzeit griff Dárdai häufig auf dieses System zurück, um defensive Stabilität zu erreichen, die unter Vorgänger Bruno Labbadia mit der Viererkette verlorengegangen war.

In diesem System hängt das Spiel mit Ball allerdings wesentlich von den beiden Schienenspielern auf der Außenbahn ab. Und dort liegt wie auch schon in der letzten Saison der Nachteil dieser Aufstellung. Denn schon in der letzten Saison hatten die Schienenspieler bei Hertha das Problem offensiv nicht durchsetzungsfähig und defensiv gelegentlich zu unaufmerksam zu sein.

Zwar wird der Außenbahnspieler von der Dreierkette noch zusätzlich abgesichert, ist aber natürlich trotzdem für die defensive Stabilität der Seite zuständig. Insbesondere aber offensiv lahmte das Flügelspieler in der letzten Saison bei Dreierkette noch mehr als sonst. Die Schienenspieler müssen möglichst bis zur Grundlinie durchstoßen (können), dann gefährliche Flanken oder Hereingaben schlagen oder ohne Ball auch einmal selbst nach innen bzw. zum Tor ziehen und Torgefahr ausstrahlen. Auf der linken Seite sind dort als Paradebeispiele sicherlich Robin Gosens oder Filip Kostic zu nennen.

Mit Blick auf Maxi Mittelstädt fällt die Vorstellung schwer, dass Hertha dort nennenswerte Power über die Seite entwickel. Nichtsdestotrotz sollte dem gebürtigen Berliner die Position besser liegen als Marvin Plattenhardt, der offensiv doch arg beschränkte Mittel zur Verfügung hat.

Auf der rechten Seite wäre Deyovaisio Zeefuik offensiv ab und an mehr Mut zu wünschen, defensiv oder im Spielaufbau leidet sein Spiel aber auch enorm an den Unkonzentriertheiten, die sich Zeefuik einfach viel zu oft leistet.

Offensiv könnte Jovetic um den Abschlussstürmer Piątek herum zwar für einige kreative Momente sorgen. Ohne größere Unterstützung aus dem Mittelfeld oder über außen dürfte das aber zu ausrechenbar bleiben.

Maolida und Richter im Doppelsturm?

Personell ist in der Dreierkette auch Lukas Klünter eine Option für die rechte Innenverteiger-Position. Jordan Torunarigha dürfte hier gegenüber Márton Dárdai, Niklas Stark und Dedryck Boyata das Nachsehen haben.

Im zentralen Mittelfeld ergeben sich wegen der hohen Variabilität der Spieler und Positionen allerlei Möglichkeiten aufzustellen. Lediglich einer des Duos Tousart/Ascacibar sollte zur defensiven Stabilisierung auf dem Feld stehen.

Offensiv können die Neuzugänge Marco Richter und Myziane Maolida anstelle von Stevan Jovetic andere Aspekte in den Doppelsturm einbringen. Die beiden könnten auch als dynamischer Doppelsturm beginnen, wobei es dann wieder an den spielerischen Elementen zur Erarbeitung von Torchancen fehlen könnte.

Insgesamt könnte die Dreierkette wie schon letzte Saison für mehr defensive Stabilität sorgen. Auch angesichts fehlender Flügelspieler stellt sie eine annehmbare Alternative dar. 

Allerdings dürfte die defensivere Einstellung das Offensivspiel gerade über die Flügel erlahmen, sodass auch hier in erster Linie das alte Problem der fehlenden Torgefahr durchschlagen dürfte.

Das U23-System ist auch bei den Profis denkbar

Eine sehr viel offensivere Alternative dazu könnte ein 3-4-3 sein, wie es beispielsweise zurzeit von den Hertha Bubis unter Ante Covic gespielt wird. Diese Ausrichtung könnte den vorhandenen „Flügelspielern“ entgegenkommen.

Sowohl Marco Richter als auch Stevan Jovetic und Ishak Belfodil könnten die Halbpositionen neben bzw. hinter der Sturmspitze problemlos besetzen und mit Dribblingansätzen und etwas Tempo im Zusammenspiel funktionieren.

Da in vorderster Reihe ein Spieler hinzukommt, müssen die verbliebenen zwei zentralen Mittelfeldspieler im Vergleich zum 3-5-2 die Arbeit von drei Zentrumsspielern übernehmen. Dafür müssen die zwei Spieler auf dem Feld beide sehr lauf-, pass- und zweikampfstark sein. Eine Aufgabe, die gerade Suat Serdar als etwas offensiv orientiertem Box-To-Box-Spieler neben dem defensivstarken Lucas Tousart zuzutrauen wäre. Doch dafür müssten beide in guter Form sein, zumal man bei den Alternativen in diesem System relativ deutliche Abstriche machen müsste und eine defensive Überforderung drohen würde.

Und das Problem der Schienenspieler bleibt. Über außen dürfte relativ wenig offensive Unterstützung zu erwarten sein. Und so könnten bei Ballung im Zentrum die Angriffsbemühungen Herthas mangels Kombinationsspiel und Dynamik zu zentrumsorientiert und leicht ausrechenbar sein.

Fazit

Trotz wirklich fragwürdiger Transferpolitik bleiben der Hertha noch einige taktische Varianten offen, von denen allerdings jede einzelne einige Problemzonen aufweist. Gerade offensiv hat man enorm viel Kreativität und Torgefahr verloren, selbst wenn man taktische Disziplin gewonnen haben sollte. Das Offensivkonzept war in den letzten Jahren kaum erkennbar, auch in dieser Saison wird angesichts des vorhandenen Personals die offensive Durchschlagskraft das große Problem bleiben.

Es bleibt zu hoffen, dass der von Bobic beschworene Teamgeist tatsächlich entwickelt wird und die qualitativen Schwächen ausgleichen kann. Das Maximum, das man sich als Herthaner:in für diese Spielzeit wünschen kann, ist wieder einmal nur eine sorgenfreie Saison.

[Titelbild:IMAGO]

Podcast #159 Spezial – Podiumsdiskussion “Stadionbau für Hertha BSC”

Podcast #159 Spezial – Podiumsdiskussion “Stadionbau für Hertha BSC”

03.09.2021 Podiumsdiskussion in den Räumen des Fanprojektes zum Thema „Stadionbau für Hertha BSC“

Am letzten Freitag konnten Hertha Fans und andere Interessierte ihre Fragen zum geplanten Stadionbau und den Antworten zu unseren Wahlprüfsteinen direkt an die Berliner Politik stellen. Die Wahlprüfsteine wurden gemeinsam mit dem Förderkreis Ostkurve, der Fanhilfe und der Stadion AG entwickelt. Obwohl es am Freitag um dem Stadionbau ging, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die Wahlprüfsteine auch andere wichtige Themen wie Polizeigewalt, Fandatenbänke und die Zukunft des Fanprojektes umfassen.

Wir, die Faninitative „Blau-Weißes Stadion“, haben eingeladen und Vertreterinnen und Vertreter der Parteien sind gekommen. 

So konnten wir neben Daniel Buchholz und Dennis Buchner von der SPD, Werner Graf und Daniela Billig von den Grünen, Stefan Standfuß von der CDU und Philipp Bertram von den Linken begrüßen. Komplettiert wurde das Feld vom Präsidenten des Landessportbundes Thomas Härtel und Steffen Sambill von der Landessportjugend.

Die Parteien haben alle den Wunsch von Hertha BSC verstanden, ein eigenes Stadion in Berlin zu errichten. Die meisten Parteien – mit Ausnahme der Linken – verstehen mittlerweile auch den Wunsch, auf dem Olympiagelände zu bauen und haben hier Unterstützung zugesagt. 

Viele von Euch haben nach der Podiumsdiskussion den Vorbehalt geäußert, dies sei nur Wahlkampfgeplänkel und eigens für die Wahl inszeniert. Wir verstehen Euch sehr. Zu oft wurde Hertha BSC in dieser Frage, teils selbst verschuldet, teils ohne eigenes Zutun, von der Politik ignoriert oder in der Standortfindung behindert. 

Wir erinnern uns noch mit Grausen an diverse Veranstaltungen von z.B. Andreas Statzkowski von der CDU oder auch an die Aussage von Andreas Geisel: „… wir müssen immer darauf achten, dass der Ball im Strafraum Herthas liegt“, aber auch an so manches kommunikatives Eigentor unseres Herzensclubs. In der Zwischenzeit hat sich aber vieles getan. Die Kommunikation ist verbindlicher geworden. Der Austausch offen und weitestgehend zielorientiert und das eben schon seit über einem Jahr. Deshalb haben wir als Initiative mittlerweile hierzu eine völlig andere Sichtweise gewinnen können. Die aktuellen Aussagen sind eben nicht dem Wahlkampf geschuldet, sondern das Ergebnis von unzähligen Gesprächen, Diskussionen, Anhörungen, und mittlerweile sechs runder Tische. 

Sie nur mit Wahlkampf zu erklären, greift zu kurz. Wir sind blauweiß und nicht blauäugig und können Euch jetzt schon zusagen, dass wir – falls nötig – sehr deutlich auf die Aussagen und Versprechungen von vor der Wahl aufmerksam machen werden. Viele von uns engagieren sich schon seit vielen Jahren in unserer Zivilgesellschaft und daher können wir sehr gut einschätzen, was Wahlkampfgeplänkel ist und was nicht. 

Eine letzte Bitte: Bevor ihr das Video zur Podiumsdiskussion auf Youtube seht oder den Podcast hört (Link zum Podcast oder zu Spotify) lest Euch bitte die Antworten auf unsere Wahlprüfsteine (Hier) durch, umso mehr erschließt sich einen so mancher Beitrag der Podiumsdiskussion.

Ha Ho He

Die nächste neue Hertha – Vorstellung der Neuzugänge

Die nächste neue Hertha – Vorstellung der Neuzugänge

Noch im Mai forderte Pál Dárdai, dass es keinen erneuten Umbruch geben dürfe. Zehn Zugänge, 13 Abgänge und einen enttäuschenden Deadline Day später steht Hertha mit einem rundum erneuerten Kader da. Zeit, die Gedanken zu sortieren und sich die neuen unbekannten Spieler einmal anzusehen.

Unser hausinterner Frankreich-Experte Christophe widmet sich demnächst in einem ausführlichen Artikel unserem Deadline Day  Neuzugang Myziane Maolida. Alle weiteren Neuzugänge des Sommers stellen wir hier in einem Kurzporträt vor

Jurgen Ekkelenkamp – Das fehlende Puzzleteil?

Herthas neue Nummer Zehn kam nach einigem Hin und Her von Ajax Amsterdam nach Berlin. Der 21-jährige Jurgen Ekkelenkamp war sich des Längeren mit Hertha über einen ablösefreien Transfer im Sommer 2022 einig, nun stößt er für etwa drei Millionen Euro schon in diesem Sommer zur Mannschaft.

Der Niederländer aus der Ajax-Jugend ist der sechste zentrale Mittelfeldspieler in Herthas Kader, dabei aber deutlich auf die offensiveren Positionen spezialisiert. Er kann als offensiver Achter in einem 4-3-3 oder als Zehner im bei Dárdai beliebten 4-2-3-1 agieren. Dabei ist er allerdings weniger der besonders kreative und dribbelstarke Offensivkünstler, als vielmehr ein passsicherer Ballverteiler, typisch für die Ajax-Schule.

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Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx

Neben seiner Übersicht und Passsicherheit tut sich Ekkelenkamp insbesondere ohne Ball am Fuß durch seine Läufe in den gegnerischen Strafraum vor, um eine weitere Anspielstation zu bieten und die Zuteilung der Defensive durcheinanderzuwürfeln wie es etwa ein Ilkay Gündogan in der letzten Saison bei Manchester City sehr erfolgreich gehandhabt hat. Ekkelenkamp bringt somit auch eine gewisse Torgefahr aus dem Mittelfeld mit und kann durch seine Tiefenläufe Abwehrreihen aufbrechen und Räume für Mitspieler kreieren – beides Dinge, die Hertha in den letzten Jahren beinahe völlig abgingen.

Hertha-Base Redakteur Simon hat in einem Twitter-Thread seine Sichtweise auf den Neuzugang erläutert und mit einigen Spielszenen untermalt:

Dass Jurgen Ekkelenkamp direkt mit der symbolträchtigen Rückennummer Zehn auflaufen wird, zeigt welche Hoffnungen die Verantwortlichen in ihn legen. Gerade nach den vielen Abgängen in der Offensive wird es spannend, ob der niederländische U21-Nationalspieler schnell zum Zug kommt, wie er sich in das Offensivspiel der Mannschaft einbringt und welche taktische Rolle Pál Dárdai ihm zugedenkt. In jedem Fall erweitert Jurgen Ekkelenkamp die offensiven Möglichkeiten der Hertha.

Oliver Christensen – Druck für Schwolow

Nachdem sich Rune Jarsteins Reha nach der schweren Corona-Erkrankung  noch eine Weile in die Länge zieht und Hertha offensichtlich Nils Körber die Rolle der Nummer Zwei nicht zutraut, wurden die Verantwortlichen um Fredi Bobic und Arne Friedrich in der dänischen Liga bei Odense BK fündig. Der 22-jährige Oliver Christensen, dänischer U21-Nationalkeeper, kommt für kolportierte drei Millionen Euro in die Hauptstadt und komplettiert das Torwart-Team.

Foto: IMAGO

Keeper-Analyst Sascha hat in einem Twitter-Thread die Stärken und Schwächen des Berliner Neuzugangs aufgezeigt (als dieser noch beim HSV im Gespräch war):

Dem Dänen wird also viel Potenzial attestiert. Er könnte somit nach kurzer Eingewöhnungszeit direkt in einen Zweikampf mit Alexander Schwolow treten, dessen unglückliche Debütsaison sich fortzusetzen scheint. So sah Schwolow bei den Toren zum 1:1 der Wolfsburger wie auch beim 2:0 in München nicht gut aus.

Schon in der letzten Saison hatte Chefcoach Pál Dárdai Schwolow wegen fehlenden Spielglücks auf die Bank beordert und Rune Jarstein bis zu dessen Corona-Erkrankung zur Nummer Eins gemacht. Zwar hieß es damals, die Zukunft gehöre Schwolow – angesichts der Ankunft des jungen hungrigen Konkurrenten könnte diese aber schon bald wieder vorbei sein.

Ishak Belfodil – Das Experiment

Mit Ishak Belfodil zauberte Hertha für die Offensive einen alten Bekannten aus der Bundesliga aus dem Hut, der dennoch etwas aus dem Blickfeld geraten war.

Der Algerier konnte in bisher 74 Bundesliga-Spielen 20 Tore und sieben Vorlagen erzielen – klingt soweit ganz ordentlich. Davon entfallen aber bereits 16 Tore und fünf Vorlagen auf seine stärkste Saison 2018/2019 bei Hoffenheim, gleichbedeutend mit einer Ausbeute von vier Toren und zwei Vorlagen in den übrigen 46 Spielen – ausbaufähig.

Der 29-Jährige hatte zu seiner Hoffenheimer Zeit mit Andrej Kramaric ein kongeniales Duo gebildet, verpasste dann aber wegen einer schweren Knieverletzung die gesamte Spielzeit 2019/2020, erkrankte anschließend an Corona und wurde im letzten Jahr vom neuen Coach und Ex-Herthaner Sebastian Hoeneß kaum noch berücksichtigt.

Foto: xSebastianxRäppold/MatthiasxKochx/IMAGO

Belfodil soll laut Pál Dárdai der Ersatz für Jhon Córdoba sein, ähnelt ihm in seiner Spielweise aber eigentlich kaum. Während Córdoba für den Prototyp bulliger Stürmer steht, ist Ishak Belfodil ein eher mitspielender Stürmer, der das Kombinationsspiel sucht, auch mal auf die Außen ausweicht, selbst Vorlagen geben kann, aber trotzdem einen ordentlichen Abschluss hat.

Mit einer Ablöse von 500.000 Euro geht man mit der Verpflichtung kaum ein finanzielles Risiko ein. Fraglich bleibt aber, ob Belfodil nach seiner schweren Verletzung und der langen Leidenszeit wieder das Level seiner starken Saison erreichen kann oder ob eher jene Saison ein Ausreißer nach oben war. Ein Eins-zu-Eins-Ersatz für Jhon Córdoba ist der Algerier mitnichten, er kann aber gerade im Zusammenspiel mit einem zweiten Stürmer Akzente in der Offensive setzen und ist als Option für die Kaderbreite in Ordnung.

Marco Richter – Herthas neuer Wirbelwind

Der 23-jährige Offensivallrounder kam vom FC Augsburg zu Hertha. Dabei ist er höchstwahrscheinlich insbesondere für die offensiven Außen rechts wie links eingeplant. Wenngleich sein übliches Einsatzgebiet die Außenpositionen sind, so ist er dennoch kein klassischer Flügelspieler.

Richter klebt nicht an der Linie, dribbelt sich dann bis zur Grundlinie durch und bringt reihenweise butterweiche Flanken in den Fünfer. Vielmehr stößt er gerne selbst neben einem zentralen Stürmer über die Halbpositionen vor, zieht zielstrebig zum Tor und sucht schnell den Abschluss. Trotz dieser latenten Torgefahr kam Richter beim FCA in vier Saisons allerdings noch nicht über vier Saisontore hinaus. Auch mit seinen Dribblings kann er durchaus mal den ein oder anderen Gegenspieler stehen lassen, um selbst zum Schuss zu kommen oder einen Mitspieler einzusetzen.

Foto: xkolbert-press/ChristianxKolbertx/IMAGO

In seinem Spielstil gleicht er somit trotz unterschiedlicher körperlicher Anlagen Dodi Lukébakio, der insgesamt etwas dribblingslastiger allerdings seinerseits häufig zu kopflos die falschen Entscheidungen traf. Richter bringt darüber hinaus mit einer gewissen Wucht in Zweikampf, Dribbling und Torschuss eine Komponente mit, die Lukébakio häufig abging.

Ebenso war an den ersten Spieltagen bei seinen Kurzeinsätzen Galligkeit, Einsatzwillen und Ehrgeiz zu erkennen, den die Mannschaft in den letzten Jahren so schmerzlich vermissen ließ. Bleibt zu hoffen, dass Richter nicht wie so manch anderer Neuzugang in den Hertha-Trott verfällt, sondern die Mannschaft mit seinem Elan mitreißen kann. Angesichts der weiteren Abgänge von Dodi Lukébakio und Javairo Dilrosun praktisch konkurrenzlos auf dem Flügel sollte Richter das nun in Zukunft häufig in der Startelf zeigen können.

Stevan Jovetic – Erfahren wie talentiert, aber auch fragil

Mit Stevan Jovetic wurde ein echter Bobic-Transfer an Land gezogen. Einst ein großer Name, zuletzt aber in der Versenkung verschwunden – und natürlich von der LIAN Sports Group vertreten.

Vor acht Jahren war Jovetic sowas wie das nächste große Ding und wechselte damals nach einigen starken Saisons bei der AC Florenz für 26 Millionen Euro zu Manchester City, die schon damals ein Starensemble waren und am Ende der Saison die Meisterschaft holen sollten. Damals auch mit im Kader der Citizens übrigens ein gewisser Dedryck Boyata. Über Inter Mailand, den FC Sevilla und die AS Monaco kam der Montenegriner nun diesen Sommer nach Berlin und möchte nun beweisen, dass er das Tore schießen über all die Jahre und Stationen nicht verlernt hat.

Foto: IMAGO

Der 31-Jährige ist ebenfalls nicht der „typische“ Strafraumstürmer, sondern in der Offensive variabel einsetzbar, technisch stark, ordentlich im Dribbling und Abschluss und kann so durchaus Alleinunterhalter sein. Auch ihm könnte es aber noch besser liegen, einem Zielspieler im Sturmzentrum zuzuarbeiten bzw. um diesen herum als kreierender Part der Offensive zu agieren.

Doch dafür müsste er verletzungsfrei bleiben – seine Verletzungshistorie auf transfermarkt.de füllt bereits zwei Seiten. In den letzten vier Jahren absolvierte Jovetic lediglich 61 Spiele, blieb aber immerhin in der letzten Saison vergleichsweise verletzungsfrei.

Insofern kam es leider nicht ganz überraschend, als sich der Montenegriner nach 20 Minuten im Bayern-Spiel mit Wadenproblemen auswechseln lassen musste. Es bleibt zu hoffen, dass er schnell fit wird und dann gesund bleibt, um die kreative Lücke zu füllen, die die Abgänge von Matheus Cunha, aber auch Dodi Lukébakio und Javairo Dilrosun gerissen hat. Sein Spielwitz hat Hertha bereit gut getan – man will ihn nicht lange missen.

Suat Serdar – Schon nicht mehr wegzudenken

Schon frühzeitig festgemacht wurde der Transfer von Suat Serdar. Der ehemalige deutsche Nationalspieler soll die zentrale Rolle im Hertha-Spiel ausfüllen, die in den letzten Jahren behelfsweise mit den Leihspielern Marko Grujic und Matteo Guendouzi besetzt wurde. Als Strippenzieher und Taktgeber im Hertha-Mittelfeld soll Serdar das Spiel der Hertha denken und lenken.

Und in der Vorbereitung klappte das nach kurzer Zeit schon erstaunlich gut. Serdar ließ dabei insbesondere immer wieder Torgefahr aufblitzen, wenn er sich selbst dribbelnd ins letzte Gegnerdrittel vorwagte oder sich in Tornähe an einigen schönen Kombinationen mit Mitspielern versuchte.

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Daneben ließ er als Box-To-Box-Spieler seine Qualitäten in der Schaltzentrale aufblitzen. Seine dynamischen Antritte, das gute Auge und die Offensivläufe ließen hoffen, dass Hertha die kreative und verbindende Stelle im Zentrum endlich ordentlich und nachhaltig besetzt hat.

Umso überraschender, dass Pál Dárdai ihn im ersten Saisonspiel gegen den 1. FC Köln als Rechtsaußen beginnen ließ. Serdar fand auf der ungewöhnlichen Position überhaupt nicht ins Spiel und konnte keine Impulse setzen. Diese positionsfremde Aufstellung aus Mangel an Alternativen wurde zwar in den folgenden beiden Spielen korrigiert, Serdar konnte das Spiel aber nicht derart an sich reißen wie noch in der Vorbereitung. Die Verunsicherung der Mannschaft färbte in Teilen auf ihn ab und weckte vermutlich Erinnerungen an die letzte Saison Serdars in Gelsenkirchen.

Nichtsdestotrotz konnte er bereits andeuten, warum Hertha ihn geholt hat. Sofern sich die Mannschaft in den nächsten Spielen wieder etwas stabilisiert, wird Serdar seine Qualitäten zeigen können. Schon jetzt ist er aus Herthas zentralem Mittelfeld nicht mehr wegzudenken.

Rückkehrer Boateng und Quasi-Neuzugänge

Heimkehrer Kevin-Prince Boateng wurde von uns in der Vorbereitung bereits mit einem ausführlichen Porträt bedacht. Mit seiner Erfahrung und Mentalität ist er ein wichtiger Führungsspieler in der Mannschaft. Ob sein Körper mitmacht und er sportlich mithalten kann, steht auf einem anderen Blatt.

Neben Dennis Jastrzembski kehrte auch Davie Selke von seiner Leihe zurück. Nach starker Vorbereitung, die wir zum Anlass genommen haben, ihn noch einmal genauer zu beleuchten, verletzte er sich im Spiel gegen Bayern und fällt vorerst aus.

Obwohl Pál Dárdai im Mai noch davon sprach, dass man nicht erneut einen großen Umbruch vornehmen dürfe, stehen am Ende der Transferphase zehn Zugänge 13 Abgängen gegenüber. Ob damit jetzt die geforderte Mentalität und geschlossene Mannschaftsleistungen erreicht werden können, bleibt abzuwarten.

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Ende mit Schrecken und Schrecken ohne Ende

Ende mit Schrecken und Schrecken ohne Ende

Viele Baustellen, viel Kapital, viele Erwartungen. Das Transferfenster schien die ideale Gelegenheit zu sein den langersehnten großen Sprung nach vorn zu tun. Was bleibt ist verbrannte Erde, verspieltes Vertrauen und ein Kader, der noch schlechter aufgestellt ist als letzte Saison

Große Namen, kleine Ergebnisse

Wie immer in der post Windhorst Zeit, war Hertha in der Transferzeit mit großen und mittleren Namen des Fußballgeschäfts in Verbindung gebracht worden. Neu hingegen war, dass sich Investments erstmals auch ausgezahlt haben. Cunha und Cordoba wurden beide gewinnbringend verkauft und sorgten für ein sattes Transferplus. Corona hin oder her, die 50 Millionen, die so erzielt werden konnten in Kombination mit der letzten Tranche des Tennor-Investments mussten dringend in neue Spieler investiert werden. Das war dringend nötig. Und ist es leider immer noch.

Keine Flügelspieler, Außenverteidiger ohne taktische oder technische Finesse, eine Offensive mit gewaltigem Potential, aber ohne Konstanz. Dazu ein Kreativitätsdefizit und der schon fast traditionelle Abgang eines jungen, vielversprechenden Talents. Der Kader von Hertha wies mehr Baustellen auf als ganz Berlin. Und wie es nun mal Usus in der Hauptstadt ist, baulich, wie auch sportlich: Millionen werden investiert; Verbessern tut sich nichts.

Täglich grüßt das Umbruchtier

In Erinnerung bleibt der Ladebalken, dessen Verharren bei 22% man nur mit der Inkompetenz der Verantwortlichen oder ausgeprägten sadistischen Neigungen der Selbigen erklären kann. Ist man sich nicht sicher, ob der Computer gerade abgestürzt ist, hat man wenigstens noch die Wahl über STRG +  ALT + ENTF einen Neustart einzuleiten.

Hertha-Fans begeben sich nun panisch auf die Suche das Äquivalent dieser Tastenkombination bei ihrem Verein zu finden, nur um schockiert festzustellen, dass sie sich seit nunmehr drei Saisons in einer Zeitschleife von misslungen (Deadline)Transfers, gescheiterten Umbrüchen und zerstörten Hoffnungen befinden.

Koan neuer Leader

Investor Lars Windhorst ließ immer verlauten, dass er eine langfristige Partnerschaft mit Hertha anstrebe. Das diese Worte nur etwas wert sind, wenn sportlicher Erfolg dahintersteht, dürfte jedem klar sein. Langfristiger Erfolg bedeutet auch, dass man nachhaltig investiert. Spieler holt, die eine Mannschaft auf Jahre hin prägen können.

Stattdessen bediente man sich in der Riege der Alt-Herrenmannschaft. Das kann kurzfristig helfen, wenn man aber parallel seinen ganzen Kader ausverkauft, bleibt die Frage, welche Spieler überhaupt noch von der Erfahrung der Alt-Stars profitieren können.

Peinlich und enttäuschend

Der verkorkste Social-Media-Auftritt Herthas hat das Versagen der sportlichen Führung eindrucksvoll für die Nachwelt festgehalten. Man kann jetzt schon die Gehirne der Redakteure rattern hören. Welche gehässige Schlagzeile wird von der katastrophalen Misskommunikation Kunde tun? „Big-Ladebalken-Club“ oder doch „22 Prozent jagen einem Spieler hinterher“? Vielleicht hat Hertha ja auch seine Millionen in Anteile von WUMMS und FUMS gesteckt und liefert deshalb so zuverlässig Content für diese Satire-Seiten.

Unterm Strich kann man eigentlich gar nicht sauer auf Hertha sein. Man muss eher wütend das eigene Spiegelbild anschreien, warum man zugelassen hat, erneut enttäuscht zu werden.  Man wähnt sich wie in einer dieser Sitcoms, in denen über 16 quälend lange Staffeln zwei Charakter immer wieder knapp aneinander vorbei leben, obwohl es klar ist, dass sie füreinander geschaffen sind. Das geschieht nicht aus dramaturgischen Gründen, sondern weil man auch noch den letzten Cent aus der Aufmerksamkeit der Fans herausquetschen will. Es ist klar, dass nach sieben Staffeln die Zuschauer:innen schon soviel investiert haben, dass sie jetzt unbedingt wissen wollen, wie es ausgeht.

Die Enden dieser Serien sind meist enttäuschend, unbefriedigend und schlecht konstruiert. Man hat also die freie Entscheidung, ob man sich statt „The Big Bang Theory“ nicht einfach den Kader von Hertha und seinen Entstehungsprozess anguckt.

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