Taktiktafel: Reicht ein Sechser im Hertha-Mittelfeld?

Taktiktafel: Reicht ein Sechser im Hertha-Mittelfeld?

Neue Saison, neues Format auf Hertha BASE! Wir wollen euch von nun an regelmäßig Spielsituationen, v. a. aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren. Achtung, es wird nerdig!

19:7 Torschüsse – allein 11:1 in der 1. Halbzeit – sprechen eine deutliche Sprache: Union ist zurecht Stadtmeister und sportlich aktuell die Nummer 1 in der Stadt. Aber darum soll es nicht gehen. Wir wollen die entscheidenden Szenen aus dem Spiel Revue passieren lassen (auch wenn es schmerzt) und mit Braunschweig vergleichen.

Hertha und das Problem auf der Sechs

Mit Blick auf die durchschnittliche Position der Spieler (Quelle: www.sofascore.com) sieht man, dass sowohl Davie Selke, der in dem Spiel komplett abgemeldet war (9 Ballberührungen in 55 Minuten), als auch Serdar ganz schön tief stehen und somit nicht den nötigen Druck auf Union ausüben konnten. Unser Neuzugang Ivan Šunjić hingegen, steht ganz schön hoch und somit haben die beiden Unioner Stürmer je ein eins-gegen-eins gegen Marc Oliver Kempf und Filip Uremović.

Wie schon bei drei Toren in Braunschweig (2:2; 65:11 min, 3:2; 90:40 min, 4:4; 117:06 min – wie kann man in der 118. Minute bei 3:4-Führung als ZDM im gegnerischen Strafraum stehen?) wurde die Sechser-Position teilweise kläglich in der Defensive von Šunjić – bzw. in der Rotation mit den anderen 6ern/8ern – bespielt und bot dem Gegner große Lücken. Jetzt kenne ich natürlich nicht die taktische Ausrichtung und jede einzelne Rolle unseres Dreier-Mittelfeldes (selbst Kevin-Prince Boateng hat sich teilweise im Spielaufbau in die Kette zurückfallen lassen). Sollte Šunjić eine spieleröffnende bzw. offensivere Rolle zugesprochen bekommen haben, muss der Sechser-Raum von einem anderen Spieler gesichert werden. Aber das wurde er leider nicht dauerhaft und konsequent in den ersten zwei Pflichtspielen:

0:1 Union: sollten Sechser Einwürfe ausführen?

Einwurf von Jonjoe Kenny auf Šunjić (30:35) – Suat Serdar im zentralen defensiven Mittelfeld. Hier liegt der erste Fehler: warum bietet sich Šunjić an der Seitenauslinie an, warum nicht Prince, Dodi Lukébakio oder Uremović?

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann verbietet seinen Sechsern, Einwürfe durchzuführen: „Dann ist eine entscheidende Position nicht besetzt. Der Nachteil beim Einwurf ist sowieso schon, dass man auf dem Platz immer ein Mann weniger ist als der Gegner. Demnach sollten dann die relevanten Positionen besetzt sein.“

Sheraldo Becker presst Šunjić, der lange Ball auf Selke folgt. Ballverlust nur fünf Sekunden nach dem Einwurf. Genki Haraguchi kann Richtung zweitem Ball laufen, Serdar versucht Ball abzufangen, hat dennoch keine Chance – hier hätte Šunjić den ehemaligen Herthaner verfolgen müssen. Klatschpass von Haraguchi auf Paul Jaeckel (30:44) und sieben Ballkontakte später erfolgt die Flanke von Becker auf Torschütze Jordan Siebatcheu.

0:2 Union: Hertha fehlt die nötige Balance

Langer Ball von Union-Keeper Frederik Rönnow in den Sechser-Raum, wo niemand in den Zweikampf mit Haraguchi geht (49:00) – Kempf zieht sogar noch zurück, gewinnt danach ein Glück den zweiten Ball, der jedoch bei Union landet, die sich dann mit One-Touch-Fußball bis zum Tor spielen. 15 Sekunden von Rönnow bis zum Tor.

Jetzt will ich mich nicht auf Šunjić einschießen, denn auch er hat Union unter Druck gesetzt (14 Pressingsituationen, 1 Tackling, 1 abgefangener Ball). Gewisse Laufwege und Positionierungen – er steht bspw. in der 8. Minute als (Flügel-)Stürmer im Strafraum, während die Restverteidigung nur aus Kenny besteht – müssen aber definitiv schnell verbessert werden, solange Schwarz explizit mit formal einem Sechser spielt.

Zwar standen Lucas Tousart und Šunjić schon 135 Minuten in drei Spielen gemeinsam auf dem Feld – Gegentore hat das nicht gerade verhindert (2:2, 3:2, 4:4 in Braunschweig, 1:0, 2:0 Nottingham, 1:0, 2:0 West Brom). Natürlich kann man auch fünf Sechser auf das Feld stellen – wenn der Raum jedoch gerade nach Ballverlusten und Kontern nicht besetzt ist, birgt das eine riesige Gefahr. Im Spiel bei Union haben Serdar, Šunjić und Prince teilweise als Kette verschoben und hatten keine Tiefenstaffelung als Absicherung – der Raum vor Kempf und Uremović war frei für Zuspiele (wie schon zu Beginn erwähnt).

Ein weiteres Problem von Hertha: sowohl beim Spiel in Braunschweig als auch gegen Union hat das Team zwei Gegentore im Abstand von 4:36 Minuten (Union) und 2:41 Minuten (Braunschweig) bekommen, weil der Raum am Mittelkreis nicht gut besetzt war. Zwar will ich nie wieder die “Hintenrumscheiße” der letzten Jahre sehen – die auch Gefahren birgt, wenn ein gefühlt sicherer Pass abgefangen wird (wie es vor dem 1:0 von Hertha in Braunschweig mit dem verstolperten Ball von Kempf hätte passieren können), jedoch braucht das Team noch eine bessere Balance zwischen Ballsichern und Offensivaktionen.

Unterstützen wir Sandro und das Team dabei!

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: #FCUBSC: reicht ein Sechser im Mittelfeld?

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)

Drei Thesen zum Derbyauftakt gegen Köpenick

Drei Thesen zum Derbyauftakt gegen Köpenick

Hinter unserer Hertha liegen turbulente Monate. Nachdem wir mit mehr Glück als Verstand in der Relegation den Klassenerhalt klar machten, war bei allen Beteiligten die Puste weg – egal ob Spieler, Management, Gremien oder Fans. Der Verein musste durchschnaufen. Doch viel Auszeit wurde uns nicht gegönnt, denn im Juni stand mit der Präsidentschaftswahl eine enorm wichtige und richtungsweisende Entscheidung für den Verein bevor. Die Wahl von Kay Bernstein als neuen Präsidenten von Hertha BSC löste eine Aufbruchsstimmung im Verein aus, die Hoffnung auf die kommende Saison macht. Mit dem Pokal-Aus in der 1. Runde gegen Braunschweig fühlten sich viele jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.

Dennoch stellen wir euch drei Thesen zum Spiel gegen Union vor, die die Hoffnung weiterleben lassen sollen.

These 1: Union muss sich noch finden

Auch diesen Sommer hat der Verein aus Köpenick wieder auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Und wie in den vergangenen zwei Jahre, wirkt die Transferpolitik von Union durchdacht und vielversprechend. Mit Jamie Leweling wurde darüber hinaus ein Spieler verpflichtet, der bei mehreren Bundesligisten auf dem Zettel stand.

Trotz der unbestrittenen Qualität des Kaders muss die Mannschaft – mit elf Zugängen und zwölf Abgängen – noch zueinander finden. Manager Oliver Ruhnert kritisierte das Team nach dem 2:1 Sieg im Pokalspiel gegen Chemnitz scharf: „So wie wir heute gespielt haben, können wir keine Bundesliga spielen” sagte er der Presse im Nachgang. Das könnte besonders auf den Sturm zutreffen, denn mit Taiwo Awoniyi ist Köpenicks bester Angreifer der vergangenen Saison zum Premier League Aufsteiger Nottingham Forest gewechselt.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Unsere Berliner Mannschaft trifft also auf eine noch nicht perfekt eingespielte Truppe aus Köpenick. Was viele zu Beginn noch als Nachteil einschätzten, könnte sich als Chance herausstellen: Hertha trifft am 1. Spieltag auf den Stadtkonkurrenten, der noch nicht bei 100 Prozent ist.

These 2: Mannschaft & Fans sind wieder eine Einheit

Drei Derbys gab es letztes Jahr zwischen den Berliner:innen und Köpenick. Alle drei entschieden die Unioner:innen verdient und deutlich für sich. Dementsprechend war der Frust unter den Hertha-Fans groß. Beim ersten Derby im November 2021 flog Selkes Trikot, das er selbst in den Auswärtsblock warf, prompt zurück aufs Spielfeld. Nach der Pokalniederlage stattete die aktive Fanszene der Mannschaft einen Besuch beim Training ab und drohte, „die nächste Stufe zu zünden“. Nach der 1:4-Niederlage mussten einige Spieler auf Aufforderung der Ultras ihre Trikots ausziehen. Die Beziehung hatte definitiv bessere Phasen erlebt.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Doch nachdem die Mannschaft der Kurve für ein paar Spiele fernblieb, entschied sie sich, vor dem Spiel gegen Mainz geschlossen in die Ostkurve zu gehen. Ein Schulterschluss, der in Hamburg nach dem Klassenerhalt bestätigt wurde und auch nach der Pokalniederlage in Braunschweig anhielt. Als unser Vorsänger Kreisel nach dem Spiel zur Mannschaft ging, vermuteten einige bestimmt schon schlimmes. Doch Kreisel blieb ruhig, machte der Mannschaft Mut fürs Derby und umarmte Selke und Platte zum Schluss. Diese Szenen zeigen, Mannschaft und Fans haben sich gegenseitig verziehen. Genau diese positive Energie ist wichtig und wird beiden die nötige Kraft geben, den Derbysieg zurück nach Berlin zu holen.

These 3: Dodi schießt uns zum Derbysieg

Als Lukebakio im Sommer zurück zur Hertha kam, waren viele skeptisch. Zwar gehörte der Flügelspieler immer zu Herthas stärksten Scorern, jedoch war er nicht konstant genug und arbeitete wenig bis gar nicht nach hinten. Umso überraschter waren die meisten von seiner Leistung gegen Braunschweig. Auf der rechten Seite sorgte Dodi über seine gesamte Einsatzzeit für Gefahr, schoss ein Tor und als er in der Rückwärtsbewegung nach hinten arbeitete, waren auch die letzten Kritiker:innen überzeugt.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Diese Leistung wird Dodi mit in die Bundesligasaison 22/23 nehmen und Niko Gießelmann beim Derby das Leben schwer machen. Ein starker Pass in die Tiefe von Prince und unser Rückkehrer schießt uns in der 89. Minute zum 1:0 Derbysieg.

(Titelbild: Boris Streubel/Getty Images)

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Am Wochenende startet die 60. Saison der Fußball-Bundesliga. Und diese Jubiläumssaison beginnt natürlich für Hertha BSC mit einem absoluten Kracher. Zum Auftakt geht es nach Köpenick zum Derby gegen den 1. FC Union Berlin. In der Vergangenheit gab es legendäre Spiele im Stadion an der Alten Försterei, genauso im Berliner Olympiastadion. Und auch wenn die letzten Derbys für die Alte Dame alles andere als gut endeten, können auch Hertha-Fans auf tolle Erlebnisse gegen den Stadtrivalen zurückschauen. Zeit, den Protagonisten dieser Spiele unsere Liebe zu gestehen.

Sandro Wagner, Maik Franz und Ronny: Wisst ihr noch damals?

Lieber Sandro, lieber Maik, lieber Ronny,

könnt ihr euch an jene Nacht am 3. September 2012 erinnern? Ja es ist schon zehn Jahre her und doch fühlt es sich noch frisch an. Es waren harte Zeiten. Wir waren zuvor in einem nervenaufreibenden Relegationsdrama in Düsseldorf gescheitert und die ersten Wochen der Saison liefen auch nicht so, wie wir es uns wünschten. Jos Luhukay meckerte gar auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. Und nun ging es schon am 4. Spieltag nach Köpenick. Wir hatten Druck. Ihr hattet Druck. Wir Fans hatten Sorgen. Wollten wir doch so schnell es geht, wieder zurück in die Bundesliga. In dem Hexenkessel im Stadion an der Alten Försterei ist es für Gegner niemals einfach. Doch ihr habt gezeigt, wer die Nummer 1 in Berlin ist.

Sandro, mit uns war es nicht immer einfach. Strenggenommen hast du dir nie wirklich was zu Schulden kommen lassen, das müssen wir so festhalten. Doch mit uns hat es nie so richtig geklappt, in den drei Jahren damals konntest du leider nicht oft überzeugen, doch in jener Nacht hast du dich unvergesslich gemacht. Als du den Ball im Strafraum von Peer Kluge zugespielt bekommen hast, hast du all dein Selbstbewusstsein und Mut genommen und gebündelt. Du hast es gemacht wie ein Stürmer, wie ein eiskalter Goalgetter, du hast geschossen, du hast getroffen. Du hast gejubelt, ja du hast auch ein wenig die Heimfans provoziert, aber das war okay, so bist du nun einmal. Wir führten plötzlich in Köpenick und für einen Moment war dieser Teil Berlins mucksmäuschenstill. Nie war unsere Liebe heißer, als in diesem Moment.

Lieber Maik, man, was warst du für ein Kämpfer. Irgendwo da draußen wirst du immer noch sein. Du warst damals oft verletzt und hast uns in vielen Situationen bitter gefehlt, doch an jenem Montag hast du gekämpft. Du warst der heiß geliebte Iron-Maik. Du warst nicht der Ballkünstler, du warst der Mann für das Grobe. Du warst der, den man für ein Derby brauchte. Du warst für Derbys geboren. Du warst das Derby. Bis heute schau ich mir liebend gern die Szenen an, als du Unions Stürmer Silvio an der Eckfahne in den letzten Sekunden des Spiels zusammenschreist. Die gelbe Karte für dich war das Zeichen deines unermüdlichen Einsatzes. Du hast gezeigt, wie viel dir das bedeutet, bis heute zeigst du es. Mit uns hat es gepasst, Maik, wir waren füreinander bestimmt in der damaligen Zeit. Es war wundervoll, es war einzigartig und es war eine goldene Liebe, die ewig brennt.

(Photo credit should read ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Geliebter Ronny, es war dieses eine wundervolle Jahr. Es war nicht nur diese eine besondere Nacht, ja, sie war eine der intensivsten, genau wie ein halbes Jahr später im winterlichen Treiben im Olympiastadion. Du und dein linker Fuß, das war Liebe. Das war kraftvolle Liebe, ja fast schon brachiale Liebe. Und wir alle gemeinsam, du und dein linker Fuß und wir Fans, wir waren eine unzerstörbare Gemeinschaft. Wir brauchten einander und wir schenkten einander. Wir genossen, wir feierten, wir hatten heiße Momente. Dieses eine Jahr. Ronny, du hast 18 Tore geschossen, 14 weitere vorgelegt. Erinnere dich an jene Nacht in Köpenick. Der Ball lag genau da, wo du ihn haben wolltest. Vor dem Strafraum, relativ zentral. Mit Wucht zimmertest du das Spielgerät in die Maschen. Und erinnere dich an den folgenden Februar. Wie wir gemeinsam im weiten Rund des Olympiastadions gefeiert haben. Gemeinsam lagen wir schon mit 0:2 gegen die Köpenicker zurück. Und dann bist du zur Ecke angetreten und hast den Ball auf deinen Kumpel Adrian Ramos geflankt, der das machte, was er immer tat. Ein Tor erzielen. Und Ronny, dann sollte ein weiterer Höhepunkt unserer Liebe folgen. Als du in der 86. Minute einen deiner vielen Freistößen mit Kraft und Gefühl verwandelt hast, ist in uns allen etwas explodiert, was mehr als grenzenlose Liebe war. Du feiertest mit uns zusammen. Du jubeltest, wir jubelten, du stürztest im zusammengefegten Berliner Schnee und verletztest dich an der Hand. Für uns, für dich, für Hertha BSC. An diesem Abend, in jener Nacht waren wir nicht nur dein linker Fuß, wir waren nicht nur deine verletzte Hand, wir waren alle eins. Eins mit dir. Geliebter Ronny.

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(Photo credit should read JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)

Vedad Ibisevic, Matheus Cunha, Krzystof Piatek: Die Erinnerungen bleiben für immer

Oh Vedad, my Vedad. Bzw. Oh Captain, my captain. Denn das warst du. Du warst der Boss, du warst der Anführer, du warst unser Kapitän. Mit dir an unserer Seite fühlten wir uns über Jahre sicher. Du und dein graumeliertes Haar, du und deine spielerische Ruhe, du und deine Lust auf den Krawall mit Gegenspielern und Schiedsrichtern. Du hast dich für uns eingesetzt, du hast alles investiert, du hast so viel gegeben, wir haben versucht dir diese Liebe zurückzugeben. Bis heute gehören wir zusammen und schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen. Der damalige Abend. Du warst der Herbergsvater dieser Truppe, die sich nach einer brachialen Sturm und Drang Phase auf dem Transfermarkt gefunden hatte. Du bist geblieben, du wolltest den gemeinsamen Aufstieg, du hättest den gemeinsamen Abstieg mitgemacht. Und an jenem Abend, einem vorsommerlichen Mai-Tag, führtest du uns zu einem fulminanten Derby-Sieg. Du zeigtest, mit wem zu rechnen war. Du wolltest uns zeigen, wie sehr die Liebe und Kraft noch in dir brennt. Du zeigtest den jüngeren den Weg. Du warst es, der uns in der zweiten Halbzeit nach einer langen Geduldsprobe in Führung brachte, du hast deinen Mitspielern die Chancen und Tore aufgelegt. Du hast Dodi Lukebakio geschickt, du hast Matheus Cunhas am Vorabend der Geburt seines Kindes einen Dribbeltanz ermöglicht, gemeinsam habt ihr im leeren Olympiastadion gefeiert. Damals waren wir an den Bildschirmen dabei, wir feierten, wir brannten für euch. Irgendwie waren auch wir dabei. Zumindest in deinem Herzen.

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(Photo by STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images)

Matheus Cunha, was war das für eine heiße Zeit mit dir. Du hast Erinnerungen an alte Zeiten mit Marcelinho aufgefrischt. Wir waren verliebt. Nicht nur in die Vergangenheit, vielmehr in die Gegenwart und hoffentlich Zukunft. Du hast uns so viel bedeutet. Du hast eine Form von Spaß nach Berlin gebracht, den wir so lange nicht kannten. Du hast die Gegner zum Tanz aufgefordert, du hast gedribbelt, brilliert, ein Tor erzielt, du hast Spaß gehabt und Liebe verbreitet. Am Abend wurdest du Vater, du wolltest direkt nach deiner Auswechslung ins Krankenhaus zu deiner Frau. Wir wären sofort mitgekommen, hätten wir gedurft. Ein wahres Derby-Baby sollte zur Welt kommen. Doch Matheus, so heiß diese Liebe war, so kurz war sie. Wir waren zu klein für dich. Du wolltest in die weite Welt, du wolltest mehr und Neues kennenlernen. Und Matheus, das war okay. Wir haben dich in positiver Erinnerung, vielleicht denkst du auch ab und an noch an uns. Die Geburt deines Kindes wirst du immer damit verbinden, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Krzystof, es ist kompliziert mit uns. Aber auch wir schätzen einander. Wir hatten im Winter 2020 große Lust aufeinander. Gemeinsam wollten wir unseren Spaß haben, wir wollten die große weite Welt erkunden, wir wollten einander wachsen und uns lieben. Doch es war schwierig mit uns. Aber lieber Krzystof, auch wenn es nicht immer einfach zwischen uns war, hatten wir diese eine Nacht. Diesen einen besonderen Moment im Olympiastadion. Als wir gemeinsam zu Derbyhelden werden wollten. Wir konnten wieder einmal nicht anwesend sein, doch wir haben dir genau zugeschaut. Wir haben deinen Kampf, deine Leidenschaft und deine Qualitäten bewundert, wir wollten mehr von dir. An jenem Abend hast du uns gezeigt, was möglich gewesen wäre mit uns. Wir haben das gesehen, wofür wir hofften bestimmt zu sein. Du erzieltest zwei tolle Tore. Du machtest uns zu Derbysiegern, du selbst wurdest zur Legende. Deshalb geliebter Krzystof, egal wie das zwischen uns endet, wir bereuen nichts. Du bist in unseren Herzen.

Herthaner im Fokus: Am Boden

Herthaner im Fokus: Am Boden

Hertha verliert ein Bundesligaspiel. Soweit so gut, soweit bekannt und soweit mittlerweile die Regelmäßigkeit. Doch die Niederlage gegen den 1.FC Union Berlin bedeutet etwas anderes. Es ist eine Zäsur, deren Auswirkung nicht nur eine schwere Niederlage und ein weiterer Rückschlag im Abstiegskampf ist, es ist viel mehr. Es ist eine Frage von Charakter, Qualität und Interesse, sich mit einer Situation zu befassen und wie man sich nach Außen hin präsentiert. Und es ist in gewisser Weise eine Frage des Respekts vor zehntausenden Fans, die das erste Mal nach zwei Jahren Pandemie wieder im Stadion waren. Die hier gewohnte Analyse muss einem emotionalen Kommentar weichen.

Kein gewöhnlicher Text

Ich bin schon lange Fan von Hertha BSC, doch selten war ich den Tränen aus reiner Wut so nahe wie während ich diese Zeilen hier verfasse. Das hier wird kein gewöhnlicher „Herthaner im Fokus“-Text. Ich weiß nicht wie groß das Interesse ist, nach diesem Spiel die Zweikampfwerte von Dedryck Boyata zu lesen und eingeordnet zu bekommen. Übrigens gewann er gerade mal 25 Prozent dieser.

Trotzdem werden auch heute wieder Herthaner im Fokus sein. Es geht um die sensationelle Kulisse, die die Fans im Olympiastadion boten. Es geht darum wie sich Felix Magath und Fredi Bobic präsentieren. Und es geht um den Charakter einer Mannschaft, die wieder einmal vollkommen in sich zusammengefallen ist. Es geht außerdem um das aktuell wohl einzig Positive bei Hertha BSC: Die Jugendarbeit.

Die Hertha-Fans: Ein Fußballfest wird zum Fiasko

Es war angerichtet. Das erste Derby im Berliner Olympiastadion vor vollem Haus nach neun Jahren. Durch die Pandemie war es wirklich Jahre her, dass das Stadion der Hertha restlos ausverkauft war. Und Berlin hatte sich dieses Derby redlich verdient. Wir hatten in den letzten Wochen bereits Derby-Szenen aus Köln oder Bremen gesehen und fieberten seit Wochen auf das in Berlin stattfindende Event hin.

Und die Bilder, die entstanden, sind aller Ehren wert und versprachen genau das, was wir uns erhofften. Ein Fanmarsch durch die Stadt mit zehntausenden Fans, die ihre Rückkehr ins Stadion kaum erwarten konnten. Das sich immer mehr füllende Stadion, diese Lust, dieses kribbeln im ganzen Körper. Beide Fangruppierungen präsentierten ihre Choreographien, zündeten in großen Mengen Pyrotechnik und sorgten für geschichtsträchtige Bilder. Die Herthaner, die die Ostkurve in ein blau-weißes Meer verwandelten hüpften, sangen, feierten und feuerten die Mannschaft an.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Doch genauso brodelte es. Die Mannschaft, die diese Atmosphäre nicht ein einziges Mal wirklich auf ihr Spiel übertragen lassen konnte, wirkte gehemmt, verängstigt, überfordert und einfach qualitativ zu schwach, um irgendetwas dem Stadtrivalen entgegenzusetzen. Der herben 1:4-Klatsche folgte der Rapport bei den Ultras in der Ostkurve. Einige Spieler stellten sich den wütenden Fans und gaben ihre Trikots ab. Diese symbolische Aktion soll jeder für sich selbst bewerten. Ob das aber ein Motivationsschub für die nächsten Spiele ist, darf bezweifelt werden.

Felix Magath: Was war der spielerische Plan?

Aktuell wirkt Felix Magath noch nicht wie der große Heilsbringer. Seine größten Leistungen sind bisher eher schelmische Interviews zu geben, viel in Rätseln zu sprechen und vor allem die Gegner und auch leider seine eigene Mannschaft vor eben jene zu stellen. Beim Blick auf die Startelf musste man sich vor Verwunderung direkt wieder die Augen reiben.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Magath stellte das Team erneut in einem 4-1-4-1 auf, welches im zweiten Durchgang zu einem 5-3-2 wurde. Und dabei wurde wieder einmal kräftig durchgemischt. Die größte Überraschung war auf der Position des Linksverteidigers. Marvin Plattenhardts Ausfall wurde durch den 18-jährigen Juniorenspieler Julian Eitschberger kompensiert, der zu seinem Profidebüt kam. Weshalb Maximilian Mittelstädt zunächst auf der Bank platznehmen musste, wurde nicht ersichtlich. Marc Oliver Kempf und Dedryck Boyata stellten die Innenverteidigung, Peter Pekarik war wieder auf der rechten Seite zu finden. Das Mittelfeld, bestehend aus Linus Gechter, Vladimir Darida, Santiago Ascacibar und Lucas Tousart sollte für eine stabile Zentrale sorgen, aber versprach genauso wenig Tempo wie zuvor in Leverkusen. Im Sturm waren überraschend Myziane Maolida und Stevan Jovetic Teil der Startelf.

Doch stutzig machte vor allem, wer alles auf der Bank saß. Aufgrund der verletzt fehlenden Niklas Stark und Kevin-Prince Boateng konnten generell schon zwei Lautsprecher und Leistungsträger nicht am Spiel teilnehmen. Belfodil, der zwar glücklos in Leverkusen agierte, aber trotzdem für Spielwitz sorgen kann, fehlte, genauso wie die Power von Marco Richter, Suat Serdar oder Jurgen Ekkelenkamp. Die Aufstellung war schon früh eine Absage an kreatives Offensivspiel. Es bestand kein Plan, der zu Toren hätte führen können. Mehr als halbgare Konter waren nicht drin, ein sinnvoll aufgebauter Angriff war ebenso wenig vorhanden.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Es stellen sich Fragen, Herr Magath. Weshalb durften diese drei Spieler schon wieder nicht von Anfang an oder gar nicht spielen? Weshalb wurde ein Maximilian Mittelstädt erst zur 2. Halbzeit eingesetzt und der junge Julian Eitschberger einer vollkommen unnötigen Situation ausgesetzt? Und weshalb wird ein Spieler eingesetzt, dessen Name auch nach dem Spiel dem Trainer vollkommen unbekannt zu sein scheint? Was für peinliche und dramatische Zustände sind das in diesem Klub?

Fredi Bobic: Ist der Ernst der Lage von Hertha bekannt?

Es ist grotesk und macht geradezu aggressiv. Vor allem aber wird man sauer und fühlt sich als Fan von Hertha BSC komplett abgewatscht, bei sämtlichen Äußerungen des Sportvorstands der Hertha. Nach einem 1:6 gegen RB Leipzig die Niederlage schönzureden, war schon ein großes Stück Kunst.

Sich aber nach einer brutalen Derby-Klatsche bockig dem Interview zu stellen, dem Reporter mit schnippigen und süffisanten Antworten entgegenzutreten und die Niederlage praktisch als nichtig zu erklären, weil die Konkurrenz ebenso federn lassen hat, grenzt an einer Realitätsferne, die ihres Gleichen sucht. Fredi Bobic scheint vollkommen überfordert zu sein mit der Situation. Diesen unausgeglichen, ohne Qualität ausgestatteten Kader, der sämtlichen Charakter vermissen lässt, hat leider er zu großen Teilen mit zu verantworten.

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(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Ob er, wie im Interview behauptet, wirklich nicht sein Trikot den Fans gegeben hätte, darf genauso hinterfragt werden. Auch in diesem Punkt scheint er in keiner Weise nachvollziehen zu können, unter welchem Druck die Mannschaft, die Spieler, ja einzelne Menschen, stehen. Fredi Bobic ist ganz weit weg von der Mannschaft und den Individuen dieses Vereins. Er scheint die Strömungen weder zu begreifen noch einordnen zu können und ist damit momentan nicht im Geringsten eine Hilfe im Abstiegskampf.

In der Niederlage zeigt man sein wahres Gesicht

Wie kann es sein, dass ein 20-jähriger Torhüter, der nur wenige Bundesligaspiele auf dem Buckel hat und im Sommer nach Dortmund wechselt, die emotionalsten Worte verliert? Wo ist der Kapitän, wo sind gestandene Spieler, die sich vor die Mannschaft stellen und den Geist des Teams beschwören oder sich äußern, weshalb es wieder einmal fehlgeschlagen ist?

Wieso muss ein Marcel Lotka, den Tränen nahe und um Argumente ringend im Interview stehen und praktisch darum betteln, dass die Mannschaft nicht absteigt? Wieso verlässt seit Jahren ein Dedryck Boyata als Kapitän Spiel für Spiel, Niederlage für Niederlage, als aller erstes den Platz und hat sich noch nie einem Interview gestellt? Warum äußern sich keine gestandenen Spieler wie Vladimir Darida, Ishak Belfodil oder Stevan Jovetic?

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(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Bei Hertha BSC gibt es keine Hierarchie, ja nicht einmal nennenswerte Identifikation, das wurde wieder einmal klar. Maximilian Mittelstädt schien das Sprachrohr zwischen Mannschaft und Fans zu sein, doch auch das wollte er im Interview nicht mehr ausführen. Die Verantwortung will keiner haben, sie wird einfach weitergeschoben, wo es nur geht. Im Abstiegskampf muss es genau diese Führungsspieler geben, denn sonst wird es ganz dunkel und vor dieser Dunkelheit steht die Hertha unmittelbar.

Die Identifikation mit dem Verein hat Potential

So oft wie schon von Tiefpunkten in dieser Saison gesprochen wurde, kann es eigentlich kaum sein, dass es noch schlimmer kommt. Aber wie wir sehen, kann das jede Woche tatsächlich der Fall sein. Die brutale Niederlage gegen Union Berlin gilt nicht nur als einer der Tiefpunkte der Saison. Sie gilt als ein Tiefpunkt vieler Jahre. In diesem Derby ist etwas zerbrochen, was zwar schon lange bröckelte, aber nun lauter und härter denn je nur so zerschellte.

Doch so viel wie in den letzten Jahren bei Hertha BSC schieflief, gibt es eine Sache, die in diesem Club besser läuft denn je und was wieder ein Aushängeschild und klarer Weg des Vereins werden muss. Die Jugendarbeit. Im Derby standen mit Marcel Lotka, Julian Eitschberger, Linus Gechter, Marton Dardai und Maximilian Mittelstädt fünf Eigengewächse auf dem Feld. Ihnen ganz besonders merkt man das Engagement und das Leid an. Sie alle sind talentierte Fußballer, die den Verein sehr weit führen könnten, doch es muss verdammt viel in anderen Bereichen passieren, dass das wirklich möglich sein kann.

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(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Doch sollte das eines Tages auch auf fruchtbaren Boden stoßen, kriegt man auch die aktuell stark leidende Verbindung zu den Fans wieder hin. In dieser Hinsicht zumindest bietet Hertha BSC einiges, was Potential birgt. Doch die zahlreichen Baustellen sind momentan woanders. Und sie gilt es verdammt nochmal schnell zu beenden.

[Titelbild:TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images]

Drei Thesen zu Hertha BSC – 1. FC Union Berlin

Drei Thesen zu Hertha BSC – 1. FC Union Berlin

Es ist einer der Tage, die man sich als Fußballfan und heute insbesondere als Berliner Fußballfan nur wünschen kann. Ein volles Olympiastadion, eine Fußballparty und 90 Minuten Leidenschaft mit viel Rivalität. Und trotzdem muss es Hertha in der aktuellen Situation wie ein gewöhnliches Bundesligaspiel sehen. Wir haben drei Thesen zum Stadtderby.

Das Trainergespann kann Derby

Ein starkes und emotionales Spiel mit 3:0 Toren gegen Hoffenheim, eine knappe 1:2 Niederlage in Leverkusen.  Das ist der bisherige Arbeitsnachweis unter Felix Magath und Mark Fotheringham. Gegen die Hoffenheimer schafften es die Fans und Spieler miteinander zu harmonieren und den Funken überspringen zu lassen. Lange nicht mehr gab es so eine gute Stimmung im Olympiastadion. Und das lag nicht zuletzt auch an dem Mentalitätsmonster Mark Fotheringham. Ihm und dem gefühlten Co-Trainer Vedad Ibisevic wird es gelingen die Galligkeit und den Spirit, den es für ein Derby brauch, bei den Spielern zu entfachen. Felix Magath, als Gegenpol, der schon viele Derbyschlachten geschlagen hat, wird mit Ruhe für Ausgleich sorgen und Übermotivation zu verhindern wissen.

Spielerisch kein Leckerbissen

Weder Union Berlin noch Hertha BSC haben diese Saison die Sterne vom Himmel gespielt. Den Köpenickern ist das herzlich egal, sie haben trotzdem wieder beste Chancen nach Europa zu kommen. Trotzdem schwächelt Union in dieser Saison insbesondere gegen Mannschaften, die nur minimal individuell besser aufgestellt sind, als sie selbst. Es wird lange ein ausgeglichenes Duell sein, was nicht mit spielerischen Leckerbissen, traumhaften Kombinationen oder feinen Okocha-Tricks besticht. Den entscheidenden Treffer werden wir nach einer Standardsituation und bzw. oder einem individuellen Fehler sehen.

Berlin bekommt sein verdientes Fußballfest

Über zwei Jahre Pandemie, kaum Fans im Stadion. Nach neun Jahren wird sich das Stadion wieder für ein Stadtderby füllen. Seit dem Unioner Aufstieg fanden die Spiele im Olympiastadion vor gar keinen oder lediglich ein paar wenigen Fans statt. Viele Vereine bekamen bereits ihre Spiele vor vollem Haus und ihre Derbys, die sie zu Fußballfesten machten. Nun ist Berlin an der Reihe. Choreographien, Pyrotechnik, lautstarkes Anfeuern und große Emotionen werden heute für einen weiteren Eintrag in die Geschichtsbücher des Berliner Derbys sorgen.

AFP PHOTO / ODD ANDERSEN