von Johannes Boldt | Nov 9, 2022 | Bundesliga, Einzelkritik, Hertha BSC
Eine Frage: Welches dubiose und skrupellose Unternehmen bzw. Verband kam eigentlich auf die Idee eine Weltmeisterschaft in einen Schurkenstaat kurz vor Weihnachten zu vergeben? Diese miese Aktion, die insbesondere Menschenrechte und Menschenleben und auch die Fußballkultur mit Füßen tritt, sorgt ganz nebenbei dafür, dass die meisten Fußballer auf der Welt vollkommen überspielt sind, weil sie eine Englische Woche nach der nächsten spielen müssen, da sich jeder nationale Verband dieser Idee unterordnen musste. Die Folge von überspielten Spielern sind Unkonzentriertheit, Müdigkeit, Ungenauigkeiten, viel zu starke Übermotivation und ein enorm hohes Verletzungsrisiko. Jede noch so kleine Verletzung kann wenige Tage vor der WM, die ja nicht einmal eine ernsthafte Vorbereitung ermöglicht, das Ende der größten Träume eines Fußballers bedeuten. Allein im Spiel zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart, gab es Schreckmomente für drei Spieler. Während Herthas dänischer Torwart Oliver Christensen nach einem Sturz weiterspielen konnte und Herthas Kroate Ivan Sunjic fragwürdigerweise mit Turban nach einem Zusammenprall mit Stuttgarts Wataru Endo weiter auf dem Platz blieb, musste eben jener Japaner mit einer schweren Kopfverletzung und zwischenzeitlicher Ohnmacht vom Platz getragen werden und nun um seine WM-Teilnahme bangen. Wir wünschen schnelle und beste Genesung!
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Neben den bitteren Vorfällen wurde aber noch Bundesliga-Fußball gespielt. Die Hertha unterlag am 14. Spieltag in Stuttgart dem VfB in letzter Sekunde mit 1:2 und liegt nun mit 11 Punkten auf dem Relegationsplatz. Guirassys frühes Tor konnte noch in der ersten Halbzeit Lukebakio kontern, ehe Mavropanos den Ball in letzter Sekunde nach einer Ecke ins Netz köpfen konnte.
Sandro Schwarz ändert nichts
Beim Blick auf die Aufstellungen fiel direkt auf, dass Sandro Schwarz gegenüber dem Spiel gegen die Bayern auf Änderungen verzichtete.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)
Oliver Christensen, der einen Tag zuvor von Kasper Hjulmand in den dänischen WM-Kader berufen wurde, stand im Tor. Die Verteidigung bildeten, die sich als Stammverteidigung etablierten, Marvin Plattenhardt, Marc-Oliver Kempf, Agustin Rogel und Jonjoe Kenny. Davor sollten im Zentrum Suat Serdar und Lucas Tousart schalten und walten. Auf den Außen Jean-Paul Boetius und Marco Richter. Im Sturm Davie Selke und Dodi Lukebakio. Das 4-3-3-System, welches Schwarz zu Beginn der Saison hatte einspielen wollen, scheint aktuell eher von einem 4-4-2-System abgelöst worden zu sein.
In unserer heutigen Analyse versuchen wir trotzdem Positives zu suchen. Wir schauen auf die Lichtblicke des Teams, müssen uns aber auch mit der erschreckend harmlosen Offensive auseinandersetzen, fehleranfälligen Verteidigern und wieder einmal stellt uns die Aufstellung unseres Kapitäns vor Fragen.
Jonjoe Kenny und Dodi Lukebakio: Aus Jovedil wird Joebakio
Vier Niederlagen in den letzten fünf Spielen. Auf dem Relegationsplatz angekommen. Die Hertha-Welt ist kurz vor der WM-Pause ganz dunkel. Doch an irgendwelchen Kleinigkeiten muss man sich festhalten und wenn es nur einzelne Aktionen sind. Letzte Saison waren die wenigen Lichtblicke das phasenweise tolle Zusammenspiel zwischen Stevan Jovetic und Ishak Belfodil, was dem Duo den liebenswürdigen Kosenamen „Jovedil“ durch die Fans ermöglichte. In den letzten Wochen fiel bei Hertha immer wieder auf, dass auf der linken Seite herzlich wenig zusammenläuft. Umso besser, dass die rechte Seite zumindest einigermaßen Leistung zeigt. Sommerneuzugang Jonjoe Kenny und Sozusagen-Neuzugang Dodi Lukebakio scheinen sich nach Anfangsschwierigkeiten endlich gefunden zu haben. Sie sind neben Herthas starken Keeper Oliver Christensen (fünf Paraden) die beiden einzigen Spieler, denen es regelmäßig gelingt, Leistung zu zeigen. Am Samstag machte es Kenny schon Sadio Mané und Kingsley Coman das Leben schwer, gegen den VfB Stuttgart glänzte er auch endlich als Vorlagengeber. Dodi Lukebakio drückte seine perfekte Halbfeldflanke in die Maschen. Das gute Miteinander des Rechtsverteidigers und Herthas diesjährigen Top-Torjägers ist einer der Lichtblicke dieser Bundesliga-Hinrunde. Vielleicht kann man ja bei entsprechendem Mannschaftserfolg mal über einen neuen liebevollen Namen sprechen. “Joebakio” zum Beispiel?
Doch wie gesagt, mehr als ein paar Lichtblicke waren das auch nicht. Das zeigen auch die Zahlen der beiden. Dodi Lukebakio war zwar wie üblich motiviert und zunächst auch gefährlich für die Verteidigung des VfBs. Nach etwa acht Sekunden war Hertha drauf und dran eines der frühesten Bundesligatore aller Zeiten zu erzielen. Doch Lukebakios entscheidender Pass in die Spitze wurde von Stuttgarts an diesem Tag hervorragend spielenden Mavropanos abgefangen. Besser machten es er und Jonjoe Kenny in der 19. Minute.
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Ansonsten konnte Lukebakio kaum zählbare Momente erzeugen. Nur ein Dribbling von sechs Versuchen beendete er erfolgreich. 50 Mal war der Belgier, der auch noch auf eine WM-Nominierung hofft, am Ball. In 13 Zweikämpfe ging er, von denen er allerdings nur fünf für sich entscheiden konnte. 20 Ballverluste musste er hinnehmen, Lukebakios Durchsetzungskraft war in der Vergangenheit schon deutlich besser. Zusätzlich wurde er aber auch dreimal recht übel gefoult und war immer wieder unter den Stuttgarter Fittichen, die ihm kaum Möglichkeiten zur Entfaltung gaben. Herthas einziger sich in Form befindender Offensivspieler ist dementsprechend auch eigentlich Herthas einzige Waffe. Wird er kaltgestellt, wird es mit der Offensive der Berliner problematisch.
Jonjoe Kenny, der ebenfalls wieder 90 Minuten auf dem Platz ackerte, hatte gegen die Stuttgarter Offensive einiges zu tun. Er konnte eine Aktion klären, blockte einen weiteren Schuss, fing zwei Bälle ab, entschied zwei Tacklings für sich. Doch seine Schwächen, die altbekannt sind, wurden gegen den VfB schnell wieder deutlich.
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70 Mal war er am Ball, einer der Höchstwerte bei Hertha. Doch dem gegenüber stehen auch 20 Ballverluste und 15 Fehlpässe. Ein Grund, weshalb Hertha kaum in der Lage war, einen Spielzug aufzubauen. Immerhin entschied er von seinen fünf Zweikämpfen drei für sich. Doch oft fehlen dem Briten die letzten Prozent Kreativität und Qualität im Passspiel. Doch auf der Habenseite Kennys steht seine Motivation und Leidenschaft. Dinge, die im Abstiegskampf noch wichtig werden können, schließlich geht es nur um dieses Thema in dieser Saison.
Marco Richter: Mehr Frust als Leistung
Marco Richters auffälligste Aktion war in der 34. Minute zu sehen, als er Konstantinos Mavropanos an der Seitenlinie anging und dafür die gelbe Karte sah. Den komischen Zwist mit dem Griechen schloss sich immer wieder auch Davie Selke an, wobei man nicht so ganz erkennen konnte, wer dort die angreifende und wer die schlichtende Rolle einnahm. Eben die klassischen Frotzeleien im Abstiegskampf, wenn man spielerisch stark limitiert ist.
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Sportlich hing Marco Richter in der Luft. Seit Wochen ist er außer Form und kann in keiner Weise das leisten, was Hertha in der aktuellen Situation benötigt. Gegen den VfB war Richter 24 Mal im Ballbesitz. Seine Passquote von 87 Prozent lässt sich zwar sehen, als Offensivspieler nur zwei von 15 Pässen fehlzuleiten, ist stark. Doch auch bei ihm mangelt es an Kreativität und vor allem Qualität. Nur zwei seiner sechs Zweikämpfe entschied er für sich. Nur einmal versuchte sich Richter an einem Dribbling, was letztendlich auch nicht in Erfolg umgemünzt werden konnte. Zusätzlich leistete sich Richter sieben Ballverluste.
Dass Richter aktuell in fast jedem Spiel in der Luft hängt und sich immer mehr wieder in Frustaktionen verstrickt, ist nicht seine alleinige Schuld. Das Offensivspiel der Hertha ähnelte nämlich zu großen Teilen dem Derby am ersten Spieltag. Auch dort war die Offensive praktisch kein Teil des Teams. Damals lag das an denselben Gründen, wie plötzlich jetzt auch wieder. Fehlende spielerische Klasse. Zwischen Angriff und Mittelfeld fehlt ein Bindeglied. Eigentlich ein Teil der Basics, die man mittlerweile trainiert haben müsste.
Davie Selke und Marvin Plattenhardt: Alibi-Fußball unter Bundesliga-Niveau
Sie mögen sympathische Persönlichkeiten sein, aber fußballerisch sind sie in keiner Weise auf einem geeigneten Niveau, um Hertha BSC in der aktuellen Situation zu helfen. Das zeigte der Auftritt in Stuttgart einmal mehr. Beide hatten einen Auftritt, den man genauso schon etliche Male gesehen hat. Während Davie Selke manchmal an eine Art schreckliches Abbild von Cristiano Ronaldo erinnert, leider aber nicht im sportlichen Sinne, sondern im nörgelnden und lamentierenden Bereich, vergisst man in feiner Regelmäßigkeit, dass Marvin Plattenhardt überhaupt auf dem Platz steht.
Davie Selke hatte eine Kopfballchance nach 38 Minuten. Viel mehr steht nicht auf der Habenseite des Stürmers. Die meiste Zeit war er beschäftigt mit Scharmützeln mit Waldemar Anton, Konstantinos Mavropanos oder dem Schiedsrichtergespann. Nebenbei war er in seinen 61 Minuten Spielzeit noch 13 Mal im Ballbesitz und brachte immerhin vier von seinen sechs Pässen an den Mann. Er gewann vier seiner zehn Zweikämpfe, verlor aber dem gegenüberstehend auch fünf Bälle. Wie Marco Richter litt Davie Selke unter dem nicht vorhandenen Aufbauspiel. Kaum ein Ball kam in eine für ihn aussichtsreiche Position, genauso muss er aber auch an seinen Laufwegen arbeiten. Zu oft zieht es ihn eher Richtung Außenpositionen, wo er noch weniger Einfluss auf das Spiel hat und oftmals nicht einmal die Bälle ankommen.
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Im Winter muss und wird Hertha in Person von Fredi Bobic sicherlich handeln. Möchte man den Gerüchten glauben, steht Selke ein halbes Jahr vor Vertragsende zum Verkauf. Sowohl für Hertha, als auch für ihn, wäre es eine sportliche Befreiung. Hertha braucht einen abschluss- und spielstarken Stürmer. Davie Selke schon lange nicht mehr und Wilfried Kanga noch nicht scheinen diese Rolle verkörpern zu können.
Sandro Schwarz dürfte eigentlich keine Argumente mehr auf seiner Seite haben, Marvin Plattenhardt weiterhin Chance um Chance als Linksverteidiger zu geben. Plattenhardt ist wie der Schüler, der bei den Lehrern noch immer einen Stein im Brett hat, weil er vor Jahren mal einer der Klassenbesten war. Ausgeruht auf alten Leistungen, hat er mehr oder weniger alle seine Stärken mittlerweile verloren. Und dabei war Marvin Plattenhardts Leistung gegen die Stuttgarter nicht einmal seine persönlich schlechteste in dieser Saison. Bis zum bitteren Ende war er auf dem Platz zu sehen, klärte zwei Aktionen, konnte zwei Tacklings für sich entscheiden und auch einen Ball abfangen. Aber das war es auch schon.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)
14 Mal verlor der Kapitän den Ball und hatte enorme Probleme mit Stuttgarts pfeilschnellen Außenstürmer Silas. Nur drei seiner neun Zweikämpfe konnte er für sich entscheiden. Auf Sicherheitsbälle bedacht konnte er immerhin 18 seiner 22 Pässe bei den Mitspielern unterbringen. Als Kapitän und als Defensivspieler sowieso, sollte man zumindest kommunikativ auf der Höhe sein. Beim 0:1 nach nur drei Minuten war Plattenhardt in einem Raum auf dem Feld, der jenseits von Gut und Böse war. Seine Position auf der linken Seite hatte er schon lange verlassen, um wie eine Art Innenverteidiger in dieser Situation zu agieren. Stuttgarts Guirassy lief Marc-Oliver Kempf im Rücken und Marvin Plattenhardt allgemein davon und schloss eiskalt ab. Plattenhardt konnte aufgrund seiner Tempodefizite nichts ausrichten, gleichzeitig Kempf aber auch in keiner Weise kommunikativ instruieren. Es ist zum Verzweifeln. Auch auf dieser Position wäre ein Personalwechsel im Winter dringend von Nöten.
Agustin Rogel: Krasses Leistungstief zur Unzeit
Der Uruguayer hatte in den letzten Wochen durch seine rustikale, körperliche Spielweise auf sich aufmerksam gemacht und sich als Partner von Marc-Oliver Kempf in der Innenverteidigung etabliert. Doch in den letzten Wochen befindet sich auch Agustin Rogel in einem Formtief, welches nicht nur zur Unzeit kommt, sondern auch für viele gefährliche Situationen vor dem Tor der Hertha sorgt.
(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)
Abgefälschte Bälle, Querschläger und unnötige Eckbälle reihen sich in seinem Spiel immer mehr an. Er konnte keinen Zweikampf für sich entscheiden. Immerhin sorgte er mit sieben Klärungsaktionen öfter für Ruhe im Berliner Strafraum. 66 Mal war er am Ball, zehn Mal verlor er diesen. Auch er versuchte im lahmenden Aufbauspiel der Hertha Sicherheit auszustrahlen. Viel mehr als defensive Zuspiele gelangen ihm allerdings nicht. 49 seiner 59 Pässe kamen bei den Mitspielern an, offensiv hatte er keine nennenswerten Momente. Schwach wie seine gesamte Vorstellung war dann sein Zweikampfverhalten in der letzten Aktion, als er Mavropanos nicht am Kopfball hindern konnte. Die Schwächephase von Rogel passt leider zur Gesamtsituation. Aktuell gelingt es ihm nicht seinen massigen Körper einzusetzen und der Abwehr die nötige Stabilität zu geben. Vielleicht hilft ihm die Winterpause zu alter Stärke zurückzufinden, wobei auch seine WM-Ambitionen noch vorhanden sein dürften.
Chidera Ejuke: Mit dem Kopf durch die Wand
Ab der 61. Minute ersetzte der Nigerianer Marco Richter. Im Gegensatz zum ehemaligen deutschen Juniorennationalspieler konnte er zumindest für etwas Wind und Druck sorgen. Doch immer wieder fehlt Chidera Ejuke die Übersicht und es wirkt wie das berühmte Agieren mit dem Kopf durch die Wand. Exemplarisch dafür die 84. Minute, als er nach einem üblen Fehlpass von Stuttgarts Torhüter Müller in Abschlussposition kam. Nach einem Dribbling, dem es aber schon an Tempo fehlte und immer mehr in symbolischer Kopflosigkeit mündete, ging sein Schuss aus zentraler und aussichtsreicher Position über das Tor.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Ihm fehlt nicht nur die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, sondern auch der Blick für seine Mitspieler. Nicht nur Wilfried Kanga wäre in diesem Moment in einer besseren Abschlussposition gewesen. Es sollte das einzige erfolgreiche Dribbling Ejukes bleiben. Insgesamt versuchte er sich an vier Stück. Die weiteren drei verpufften wirkungslos. 19 Ballaktionen stehen zudem sechs Ballverluste gegenüber. Trotz fehlender Übersicht könnte er vielleicht sogar wieder ein wenig vor Richter stehen. Allerdings ist auch diese Form des Konkurrenzkampfes auf erschreckend niedrigem Niveau.
Willkommen im Abstiegskampf
Wer die Situation noch nicht verstanden hat, der ist wohl fehl am Platz. Hertha steckt im tiefen Abstiegskampf, die Konkurrenz punktet und eigene Punkte sammelt man vergeblich. Das Spiel gegen die Stuttgarter ähnelte in vielerlei Hinsicht dem Spiel gegen den FC Schalke 04, als man mit Glück noch drei Punkte sammeln konnte. Nun fehlte Hertha das Glück und wie schon in Bremen kassiert man einen späten Nackenschlag. All das hat nichts mit Glück und Pech zu tun. Es ist die eiskalte und harte Realität, dass auch dieser Kader nicht das Niveau hat, um mehr als die aktuelle Platzierung zu ermöglichen. Diese Saison wird lang und endet schmerzhaft, wenn sich die Beteiligten und Verantwortlichen nicht im Winter ernsthaft zusammensetzen und ehrlich ihre Arbeit bewerten.
(Photo by Lars Baron/Getty Images)
Sandro Schwarz muss erklären, was er mit seinen verschiedenen Systemen bewirken möchte, weshalb Marvin Plattenhardt Kapitän und Stammspieler ist, Fredi Bobic muss seine Transferpolitik einmal mehr hinterfragen und Spieler wie Davie Selke, sollten sich Gedanken machen, inwiefern man dem Team helfen kann. Es wird ein stürmischer Winter und eine brutale Saison, wenn sich nicht ganz schnell etwas bewegt. Ein Spiel vor der WM steht noch an. Müde und überspielte Kölner. Eigentlich auch ein Pflichtsieg, wenn man konkurrenzfähig bleiben möchte.
(Titelbild: Alex Grimm/Getty Images)
von Johannes Boldt | Nov 7, 2022 | Bundesliga, Einzelkritik, Hertha BSC
Ein ausverkauftes Berliner Olympiastadion, eine weitere ansprechende Leistung der Hertha und am Ende steht eine Niederlage gegen den FC Bayern München fest. Höhepunkte der Veranstaltung sollten definitiv die zahlreichen Banner gegen die WM in Katar sein, die in beiden Fanlagern präsentiert wurden. Auf dem Rasen fand ein Spiel statt, welches zwei sehr verschiedene Halbzeiten zu bieten hatte. Während nach 45 Minuten und einer wilden ersten Halbzeit bereits der 2:3-Endstand auf der Anzeigetafel zu sehen war, war die zweite Hälfte bis auf einer kurzen Druckphase der Bayern durch solide Abwehrleistungen geprägt. Und die Gründe für die Niederlage waren insbesondere in der Topform und eiskalten Spielweise verschiedener Bayern-Spieler, wie Jamal Musiala oder Eric-Maxim Choupo-Moting zu finden. Und leider auch darin, dass Herthas Verteidigung in manch einem Moment überfordert und unaufmerksam war.
Schwarz setzt erstmals auf ein 4-4-2
Gegen den Rekordmeister stellte Sandro Schwarz seine Mannschaft in einem 4-4-2-System auf. Personell musste er verletzungs- bzw. gesundheitsbedingt zweimal wechseln. Jean-Paul Boetius ersetzte den in Bremen verletzt ausgewechselten Stevan Jovetic, Davie Selke den unter der Woche an Magen-Darm erkrankten Wilfried Kanga im Sturm. Dort wurde Selke von Dodi Lukebakio unterstützt, der von den Außen in die Mitte gewechselt ist. Boetius nahm zunächst die Position des linken Außenspielers dafür ein. Auf der rechten Seite agierte dafür Marco Richter. Im zentralen Mittelfeld war die übliche Achse, bestehend aus Lucas Tousart und Suat Serdar, zu finden. In der Verteidigung sollte sich wieder nichts verändern. Links Kapitän Marvin Plattenhardt, in der Innenverteidigung Marc-Oliver Kempf, Agustin Rogel und Jonjoe Kenny. Im Tor stand Oliver Christensen.
In unserer heutigen Analyse schauen wir auf die Offensivakteure, jemanden, der zum Leistungsträger herangewachsen ist und die Einwechslungen.
Dodi Lukebakio: Gegen Bayern gefährlich wie immer
Eigentlich sind alle Lobeshymnen über Dodi Lukebakio gesungen. Er ist in dieser Saison einfach einer der besten Spieler von Hertha BSC. Der Belgier wächst immer mehr zum Führungsspieler heran, was auch seine Ansprache ans Team vor dem Spiel zeigte. Und wie üblich gegen die Bayern, war er auch vor dem Tor gefährlich. Die kleine Umstellung von den Außen in die Sturmzentrale sollte sich auszahlen. Schon nach vier Minuten und einem siegreichen Laufduell gegen Dayot Upamecano zwang er Manuel Neuer zu seiner ersten Parade. Seinem Schuss auf die obere Torecke fehlte aber die nötige Kraft, um den wiedergenesenen deutschen Nationaltorhüter wirklich vor Probleme zu stellen. In der 40. Minute konnte er seine Mühe und seinen Einsatz vergolden. Nach einer Flanke von Richter ließ er Neuer per Direktabnahme keine Chance. Das 1:3 weckte Hertha kurz vor der Pause nochmal auf.
(Photo by Maja Hitij/Getty Images)
Insgesamt war Lukebakio 38 Mal am Ball, spielte 71 Prozent erfolgreiche Pässe, gewann 50 Prozent seiner Zweikämpfe und vollzog drei von vier Dribblings erfolgreich. Insgesamt wirklich starke Statistiken für einen Stürmer. Hinzu kommen drei Torschüsse, er bereitete einen weiteren vor, aber er hatte auch 12 Ballverluste, die man allerdings wohl gegen die Bayern mit einberechnen muss. In der zweiten Halbzeit konnte aber auch er kaum noch nennenswerte Akzente in der Offensive setzen. Dodi Lukebakios Form ist enorm wichtig für das Team. Er ist der beste Offensivspieler, Toptorjäger und der einzige, der regelmäßig zählbare Leistung liefern kann. In Herthas Situation Gold wert, aber leider zu wenig, wenn seine Mitspieler nicht ähnliches liefern können.
Jonjoe Kenny: Zum Leistungsträger herangewachsen
Einer, der nicht in der Offensive zu sehen ist, aber ebenfalls mittlerweile oft mit starken Leistungen glänzen kann, ist Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny. Der Engländer brauchte einige Spiele, um im Team anzukommen, doch mittlerweile ist er kaum noch wegzudenken. Neben Oliver Christensen, ist er der einzige Herthaner, der noch keine Minute in dieser Saison verpasst hat. Und auch gegen die Bayern zeigte er eine absolut ansprechende Leistung. Ganz nebenbei waren mit Sadio Mané und Kingsley Coman zwei absolute Weltstars seine direkten Gegenspieler.
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Er war 42 Mal am Ball, spielte 60 Prozent erfolgreiche Pässe und konnte solide 71 Prozent Zweikämpfe für sich entscheiden. In der Verteidigung hatte er gegen die stürmenden Bayern allerhand zu tun. Sechsmal klärte er den Ball aus dem Strafraum, blockte zwei Schüsse, lief drei Bälle ab und entschied fünf Tacklings für sich. Stolze Zahlen für den Dauerbrenner. Jonjoe Kenny ist sicherlich kein Spieler für die Galerie, doch er hat Herthas Dienstältesten Fußballer, Peter Pekarik, auf dieser Position endlich ersetzen können. Wahrscheinlich auch weil er dem Slowaken eben manchmal recht ähnlich ist.
Davie Selke: Deutscher Choupo-Moting… oder andersrum?
Aus Davie Selke wird in diesem Leben wohl kein eiskalter Vollstrecker vor dem Tor mehr. Zumindest nicht im Hertha-Trikot. Etwas, was man vor wenigen Wochen auch über Eric-Maxim Choupo-Moting dachte, bis der auf einmal in die Form seines Lebens kam und mittlerweile beim FC Bayern für etliche Tore sorgt. These: Würden Choupo-Moting und Selke die Teams wechseln, würde auch Selke eine Statistik wie der Kameruner vorweisen können. Im Endeffekt liegt es dann doch zu großen Teilen an den Mitspielern und am Kopf. Die beiden Tore, die Choupo-Moting Hertha einschenkte, hätte Selke nicht schöner veredeln können. Luftloch schießen und im Fallen mit dem Standbein den Ball ins Tor drücken – eben eine hohe Kunst besonderer Stürmer …
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Davie Selke war gegen die Münchner 64 Minuten lang auf dem Platz, eher er Wilfried Kanga Platz machen musste. Und wie immer war er bemüht, umtriebig und war hochmotiviert. Nach elf Minuten hatte er seine erste von drei Möglichkeiten vor dem Tor. Die Hereingabe von Marvin Plattenhardt konnte er aber nicht mit dem nötigen Druck auf Neuers Tor bringen. Keine Gefahr im Endeffekt. 30 Mal war Selke am Ball, spielte elf von siebzehn Pässen erfolgreich, gewann die Hälfte seiner Zweikämpfe und holte kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit den Elfmeter raus, als ihm Benjamin Pavard auf den Fuß stieg. Den Elfmeter verwandelte er selbst sicher. Der Anschlus war hergestellt.
Auch wenn die Statistiken von Selke keinesfalls schlecht sind, so fehlt ihm doch einiges, um ein wirklich entscheidender Faktor im Spiel der Hertha zu sein. Zu oft fehlt ihm das nötige Gefühl in der Ballbehandlung, wie in der 27. Minute, als es ihm nicht gelang den Ball in extrem aussichtsreicher Position zu kontrollieren. Die unfreiwillige Abgabe war immerhin die Vorlage einer guten Chance Marco Richters. Glück hatte Selke zusätzlich in der 16. Minute, als sein rüdes Foul gegen Upamecano eigentlich mit gelb hätte bestraft werden müssen. Der Stürmer war wie immer bemüht, konnte dank des Elfmeters Zählbares produzieren, insgesamt aber zu harmlos.
Marco Richter: Gut begonnen, stark nachgelassen
Marco Richter war wie immer sehr motiviert und glücklicherweise trotz Schwierigkeiten auf dem Platz nicht so schnell frustriert, wie häufiger in manchen Spielen in der Vergangenheit. In der 27. Minute hatte Richter schlichtweg Pech, es mit einem der besten Torhüter der Welt zu tun zu haben. Seinen wirklich sehenswerten Schlenzer aus der Drehung auf das linke, obere Toreck, hielt Manuel Neuer mit einer absoluten Glanzparade. Nicht viele Bundesligatorhüter sind in der Lage, solch einen Ball noch aus der Ecke zu fischen. In den meisten Spielen hätte Hertha hier wohl ein Tor feiern können. In der 40. Minute konnte er sich mit seinem Assist in die Statistiken eintragen. Seine Flanke von der rechten Seite war wohlgetimt, um Lukebakio den perfekten Torabschluss zu ermöglichen.
(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)
Gegen die Bayern war Richter 78 Minuten dabei, ehe er von Myziane Maolida ersetzt wurde. Die Verteidigung machte es ihm durchgehend schwer sich zu entfalten. 28 Mal war er am Ball, spielte acht von vierzehn Pässen erfolgreich, konnte aber nur drei von zehn Zweikämpfen für sich entscheiden. Zudem kommen zwölf Ballverluste. Insbesondere ab der zweiten Halbzeit konnte er kaum noch Einfluss auf das Offensivspiel der Hertha nehmen. Insgesamt hat Richter aktuell im Zweikampf um den Startelfplatz gegen Chidera Ejuke leicht die Nase vorn.
Die Wechsel verpuffen ohne nennenswerten Einfluss auf das Spiel
Und da sind wir bei einem Problem, was sich seit einigen Spielen bei Hertha durchzieht. Die Einwechslungen bringen aktuell kaum Zählbares zustande. Sie ordnen sich nahezu unsichtbar ins Spiel der Berliner ein, ohne Frische ins Team zu bringen oder einen gewissen Einfluss zu haben. Auch ein Grund, weshalb Richter ohne Probleme vor Ejuke in der Hierarchie stehen kann. Der Nigerianer hat natürlich ein bestechendes Tempo, aber seine Fehler in der Entscheidungsfindung auf dem Platz lassen einfach keine hilfreichen Aktionen zu. Pässe spielt er zu spät oder gar nicht, mal einen Torschussversuch abgeben, sucht man bei ihm ebenso vergeblich. Ejuke ist seit Wochen außer Form und schafft es Richter nicht zu ersetzen.
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Myziane Maolidas Vorstellung gegen Bayern war kläglich. Eingewechselt in der 78. Minute sollte er nochmal Offensivschwung bringen, herausgekommen ist rein gar nichts. Er war sieben Mal am Ball, davon verlor er ihn sechsmal. Keiner seiner drei Pässe kam beim Mitspieler an, nicht einmal aus kürzester Entfernung. Myziane Maolida fehlt Spielpraxis, ist aber kaum als Teil des Teams zu erkennen und sehr weit von Bundesliganiveau entfernt.
Wilfried Kanga und Kevin-Prince Boateng bemühten sich, konnten aber auch nichts in der Offensive ausrichten. Kanga wurde von Bayerns Abwehr kaltgestellt, lag in der Luft und brachte keinen Schuss oder auch nur Versuch auf das Tor von Neuer. Für Boateng ist das Spiel gegen die Bayern schlichtweg zu schnell gewesen, er ist nicht mehr in der Lage auf solch einem hohen Niveau noch mitzuhalten und dann auch noch klare Akzente zu setzen.
Maximilian Mittelstädt kam schon nach 65 Minuten für Marvin Plattenhardt. Auch wenn er keinen großen Einfluss auf das Spiel hatte, wurde in diesen Minuten schnell wieder deutlich, dass er einfach der bessere Linksverteidiger im Kader ist. Plattenhardt sah blass aus, allerdings konnten auch nicht Marc-Oliver Kempf und vor allem nicht Agustin Rogel überzeugen. Gerade Rogel hatte unglückliche Aktionen bei den Gegentoren.
Viel Lob bringt keine Punkte
Ja, eine Niederlage gegen die Bayern ist okay. Gegen den Rekordmeister zu punkten kann man nicht verlangen und schon gar nicht einplanen. Und Hertha gelang es wie gegen Leipzig nach einem deutlichen Rückstand das Spiel nochmal spannend zu machen, eine Qualität der Mannschaft. Aber am Ende sind nicht die Punkte, die man gegen Leipzig oder Bayern abgeben musste, das Problem. Da werden fehlende Punkte gegen Bremen, Hoffenheim oder Mainz zu einem Problem. Hertha steht nach 13 Spieltagen mit elf Punkten auf Platz 15. Zwei Siegen, stehen fünf Remis und sechs Niederlagen gegenüber. Das ist zu wenig, um von einer guten Bundesligasaison zu sprechen. Es hilft nichts, sich an immer den gleichen Lobeshymnen festzuhalten. Gute Spiele bedeuten nicht gleich Punkte und da ist letztendlich auch jede xGoals-Statistik unwichtig. Die Restsaison wird unglaublich hart, wenn man nicht gegen Stuttgart oder Köln einen Sieg, eigentlich zwei Siege, einfährt. In einer Woche wissen wir mehr.
(Titelbild: Maja Hitij/Getty Images)
von Yannik Dönnebrink | Sep 6, 2022 | Bundesliga, Einzelkritik, Hertha BSC
Nach zuletzt spielerisch ordentlichen Auftritte gegen starke Gegner mit dürftiger Punkteausbeute stand Hertha gegen den FC Augsburg tabellarisch schon etwas unter Druck. Gegen die bis dato enttäuschenden Augsburger sollten so die ersten drei Punkte eingefahren werden. Knapp 1.300 Hertha Fans begleiteten unsere Alte Dame auf dieser Mission. Um auf diverse Probleme mit digitalen und personalisierten Tickets aufmerksam zu machen, bot eine Berliner Ultra-Gruppierung dabei im Auswärtsblock für 50 Cent eine „traditionelle Eintrittskarte“ zum Anfassen und Sammeln an. (Hertha ist auf diesen Zug bereits aufgesprungen und bietet gegen Aufpreis wieder sogenannte Sammlertickets für Heimspiele an.) Und so konnten die Auswärtsfahrer:innen nach einem verdienten Sieg neben drei Punkten auch die passende Erinnerung mit zurück in die Hauptstadt nehmen.
Wir blicken auf einige Herthaner beim so wichtigen ersten Saisonsieg.
Jonjoe Kenny – Der neue Peter Pekarik
Der britische Neuzugang ist der einzige Feldspieler Herthas, der in dieser Spielzeit noch keine Minute verpasst hat. Still und heimlich hat er so mit Peter Pekarik die Dauerlösung der letzten Jahre vergessen gemacht – und erinnert doch an ihn. Wie der Slowake verrichtet auch Kenny eher unauffällig seine defensiven Arbeiten und schaltet sich dosiert in die Offensive ein. So auch gegen Augsburg, wo er einige Tiefenläufe anbot oder bei Hereingaben von links auch mal auf den zweiten Pfosten nach innen oder an die Strafraumkante nachrückte und so etwas Unordnung in die Augsburger Defensive brachte.
In der 34. Minute gelang ihm nach einem abgewehrten Ball aus dem Rückraum der erste halbwegs gefährliche Berliner Abschluss. Mitte der zweiten Hälfte bot sich ihm gar die große Gelegenheit, halbrechts im Strafraum die Führung auszubauen. Sein Abschluss rauschte aber am langen Eck vorbei. Auch am Ende der Partie blieb Kenny noch wach und bewies in der 93. Minute Übersicht. Nach dem Beinahe-Eigentor Filip Uremovics legte Kenny den Ball lang in den Lauf von Davie Selke, der wiederum den passiven Augsburger Verteidiger links liegen ließ und sich zum entscheidenden Tor aufmachte.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Defensiv stellte Augsburg Herthas Rechtsverteidiger zugegebenermaßen kaum vor Probleme. Und doch wurden diese erkennbar. Der 25-Jährige leistet sich hin und wieder technische Unsauberkeiten, Unkonzentriertheiten im Stellungsspiel und eine zu passive Zweikampfführung. Gegen den FCA wurde dies noch nicht bestraft. Spannend wird es aber gegen spielstärkere Gegner. Dann dürfte auch Dodi Lukébakios unterstützende Defensivarbeit wieder vermehrt in den Fokus rücken, der sich in dieser Saison zwar durchaus bemüht, aber doch meist defensiv etwas zu naiv zeigt.
Alles in allem ist Hertha auf der rechten Defensivseite aber solide besetzt. Das drohende Überalterungsproblem und damit eine mittlerweile jahrelange Baustelle ist vorerst beseitigt. Neubesetzung Jonjoe Kenny ähnelt in seiner Spielweise dabei erstaunlich dem langjährigen Dauerbrenner Peter Pekarik. Und dürfte die leidige Diskussion über Herthas rechte Abwehrseite damit hoffentlich ad acta legen.
Herthas Flügelspieler – Endlich Flügel, aber kein Grund für Hertha abzuheben
Wie schon in den letzten Partien setzte Hertha-Coach Sandro Schwarz in der Startformation wieder auf die beiden dribbelstarken Flügelspieler Chidera Ejuke und Dodi Lukébakio. Und wie schon in den letzten Partien fanden beide gut ins Spiel. In mittlerweile gewohnter Manier stellten die beiden Außen ihre Gegenspieler im Eins-gegen-Eins regelmäßig vor Probleme, konnten die Aktionen aber schlussendlich nicht in Zählbares ummünzen. Es fehlt noch zu häufig an der gewinnbringenden Anschlussaktion, sei es ein Abschluss oder Pass in die Gefahrenzone.
Ejuke war in der 35. Minute mit einem Schlenzer aufs lange Eck schon nah dran. Sein Gegenüber Lukebakio wirkt insgesamt zwar noch zielstrebiger in seinen Aktionen, kam gegen die Augsburger aber zu selten in gute Abschlusspositionen. Dafür hatte er dann das nötige Quäntchen Glück bei seinem Kopfballaufsetzer zum Führungstreffer in der 57. Minute aus zentraler Position nach Plattenhardts Hereingabe von der linken Seite.
(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)
Der Spielwitz der beiden Dribbelkünstler blitzte auch im Zusammenspiel mit dem eingewechselten Jean-Paul Boëtius einige Male auf. So etwa bei einem schlussendlich missglückten Hackenpass-Angriff kurz nach der Führung.
“Ausgerechnet” Marco Richter
In der 69. Minute kam schließlich Marco Richter gegen seinen Jugendverein in die Partie. Bereits in der letzten Woche hatte er gegen Dortmund bei seinem Comeback nach Hodenkrebs-Erkrankung beinahe für die Geschichte des Spieltags gesorgt. Doch seine Abnahme von der Strafraumkante klatschte nur gegen die Querlatte.
Gegen Augsburg kam Richter in einer Phase in die Partie, in der diese etwas vor sich hin plätscherte. Hertha riskierte nichts, der FCA wirkte ideenlos. Richter konnte das Spiel zwar nicht an sich reißen, zeigte sich aber typisch giftig. Der 24-Jährige war viel unterwegs und in ständiger Bereitschaft. Und so überraschte es nicht, dass er sich in der Nachspielzeit nach dem langen Ball auf Selke auf den weiten Weg aus der eigenen Hälfte in den gegnerischen Strafraum machte, um den Konter zum 0:2 zu veredeln und seine „Ausgerechnet“-Geschichte fertig zu schreiben.
(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)
Hertha hat plötzlich Optionen in der Offensive
Lukébakio ist nach wie vor in guter Form. Ejuke zeigt weiterhin gute Ansätze. Und mit Richter steht eine zusätzliche Alternative bereit, die nach überstandener Erkrankung und dem Torerfolg nun mit ordentlich Rückenwind in die kommenden Wochen geht.
Sandro Schwarz’ Idee, über die dribbelstarken Außen die gegnerische Abwehrkette aufzubrechen, bleibt sichtbar und im Vergleich zu Herthas Offensivansatz der letzten Jahre spektakulär. Es dürfte dafür weiterhin das Duo aus Lukébakio und Ejuke gesetzt sein, die ihre Sache bisher gut machen, wenngleich ein wenig mehr Ertrag dabei rumspringen könnte.
(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)
Spannend ist aber, dass man mit Richter und demnächst auch Jessic Ngankam zwei Alternativen in der Hinterhand hat, die deutlich abschlussorientierter, zentraler, wuchtiger und direkter agieren und dem Offensivspiel so eine komplett neue Ausrichtung geben können.
In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob die beiden vorerst gesetzten Flügelzauberer anfangen, Mittelstürmer Wilfried Kanga mit Flanken und Zuspielen zu finden. Oder ob es diesem sogar eher hilfreich sein könnte, wenn die wuchtigen Richter und Ngankam mit vorne ins Zentrum ziehen, die genannten drei die gegnerische Innenverteidigung beschäftigen und aus einem agilen zentralen Mittelfeld, etwa um Boëtius, gefüttert werden.
Nachdem die Außen jahrelang eine Problemzone waren, hat Hertha plötzlich wieder Möglichkeiten auf den Flügeln.
Und dann war da noch…
Arne Maier, der eine sehr unauffällige Leistung auf Augsburger Seite an den Tag legte. Das Ex-Hertha-Juwel verspielte in der 43. Minute einen der aussichtsreichsten Augsburger Angriffe vorschnell durch einen überhasteten Abschluss, bei dem er auch noch einen im Abseits stehenden Teamkollegen anschoss. Bezeichnend.
Marvin Plattenhardt, der offensiv wie defensiv eine eher unauffällige Leistung darbot. In Hälfte Zwei hatte er mit dem eingewechselten Ruben Vargas so seine Probleme. Seine zum Ende der letzten Saison unerwartet wiedergefundene Standardstärke ist auf ähnlich wundersame Weise wieder verflogen. Trotzdem bereitete der Hertha-Kapitän das 0:1 durch Lukébakio mit einer scharfen Halbfeldflanke vor und rechtfertigte so seine Aufstellung.
Filip Uremovic, der sich einige Male im Zweikampf leicht übertölpeln ließ und in einer dieser Situationen mit etwas Pech schon in der 23. Minute die rote Karte für eine Notbremse hätte sehen können. In der Nachspielzeit fabrizierte er beinahe ein Eigentor. So leitete er aber indirekt das entscheidende 2:0 ein. Mit Neuzugang Agustín Rogel und Youngster Linus Gechter nach überstandener Mandel-OP stehen in den nächsten Spiele zwei passable Alternativen in den Startlöchern, sollten sich Uremovics Unkonzentriertheiten nicht verflüchtigen.
(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)
Lucas Tousart, der sich immer mehr zum heimlichen Anführer der Hertha mausert. Neben Ivan Sunjic, der als Zerstörer seine Sache ordentlich macht, aber spielerische Defizite offenbart und ab und an mit einem unnötigen Ballverlust gefährliche Kontersituationen heraufbeschwört, und Suat Serdar, der angesichts einiger unerklärlicher Fehlpässe sein augenscheinliches Potenzial mal wieder nicht ausschöpft, gibt Tousart im zentralen Mittelfeld den Takt vor.
Der Franzose räumt defensiv auf, stopft Löcher und schaltet sich auch in die Offensive ein, wenngleich seine Offensivbemühungen in diesem Spiel nicht von Erfolg gekrönt waren. Bei seinem sträflich freien Kopfballversuch in der 81. Minute dürfte Vedad Ibisevic für diese Woche eine Einheit am Kopfballpendel notiert haben.
[Titelbild: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images]
von Johannes Boldt | Aug 8, 2022 | Bundesliga, Einzelkritik, Hertha BSC
Liebe Leserinnen und liebe Leser, lasst uns kurz einmal in die Vergangenheit schauen. Erinnert ihr euch an den 9. April dieses Jahres? Damals fand der 29. Spieltag der letzten Bundesliga-Saison statt und Hertha BSC wurde im eigenen Stadion sang– und klanglos von enorm starken Unionern überrannt. Am Ende stand eine auch in der Höhe vollkommen gerechtfertigte 1:4-Niederlage und man hing im tiefen Abstiegsschlamassel fest. Beim Blick auf die Startelf des damaligen Spiels fällt auf, dass die einzigen Akteure, die auch beim Derby am 1. Spieltag der neuen Saison in der Startelf standen, Myziane Maolida und Marc-Oliver Kempf waren. Mit Sandro Schwarz steht ein neuer Trainer mit neuer Philosophie, neuem Auftreten und neuer Spielidee an der Seitenlinie und generell hat sich seitdem vieles getan. Doch etwas ist geblieben. Eine spielerische und taktische Überforderung, eine unerklärliche Gelähmtheit einzelner Akteure und die spürbare Angst vor dem Versagen. Es ist mittlerweile ein Mysterium, dass es kaum einer Hertha-Mannschaft gelingt, diese Dinge abzulegen. Sehr wahrscheinlich stecken die Probleme also in noch unergründeten Ecken. Aber nun erst einmal zum Spiel.
Selbes System, selbe Mannschaft, aber einer fehlt
Sandro Schwarz stellte wie schon in Braunschweig die Mannschaft in einem 4-3-3-System auf. Die personelle Aufstellung war fast gänzlich dieselbe. Im Tor stand die dänische Nummer 1 Oliver Christensen. Kapitän Marvin Plattenhardt als Linksverteidiger und Jonjoe Kenny als Rechtsverteidiger auf den Außen. Vor der Verteidigung agierten Ivan Sunjic, Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar. In der Offensive sollten Myziane Maolida über links, Dodi Lukebakio über rechts und Davie Selke als üblicher Neuner für die Tore sorgen. Eine Änderung nahm Schwarz allerdings vor und die sorgte für Aufsehen und scheint kein Thema für nur ein Spiel zu sein.
(Photo by Mark Thompson/Getty Images)
Der in Braunschweig unglücklich agierende Marc-Oliver Kempf durfte gegen Union Berlin als Abwehrchef fungieren. Ihn an die Seite gestellt wurde Filip Uremovic. Der kroatische Neuzugang kam also zu seinem Bundesliga-Debüt. Dedryck Boyata, der über Jahre die Rolle des Abwehrchefs einnahm, bekam also die Quittung für seine schlechte Leistung in Braunschweig und wohl auch im Training und wurde nicht einmal mehr für den Spieltags-Kader berücksichtigt.
In unserer Analyse schauen wir heute auf unseren Torhüter, die unsichere Verteidigung, das Führungsspieler-Vakuum und wer sich Hoffnungen auf die Startelf machen kann.
Oliver Christensen: Dankbare Bälle, aber auch viel Pech
Der neue Stammtorhüter der Hertha leistete gegen Union Berlin eine viel bessere Arbeit als zuletzt in Braunschweig. Er zeigte mehr Ruhe und mehr Sicherheit. Gute Paraden gegen die Unioner Offensive belegen das. Insbesondere gegen Ryerson, der einen starken Tag erwischte und die Verteidigung vor viele Probleme stellte. Von eben jenem Ryerson wurde Christensen in der 27. Minuten zu einer Glanzparade gezwungen. Sieht man die Situation sehr kritisch, muss man vielleicht sogar sagen, dass Christensen diesen Ball auch haben muss. Zumindest war es ein dankbarer Ball um sich als Torhüter sehenswert auszeichnen zu können. In der Vergangenheit konnte sich nicht jeder Herthaner zwischen den Torpfosten so auszeichnen. Insgesamt wurde er zu fünf Paraden gezwungen, zweimal konnte er den Ball in brenzliger Situation klären. Eine weitere Unioner Großchance vereitelte er direkt nach Beginn der zweiten Halbzeit, als er einen Kopfball von Becker zur Ecke lenken konnte.
Christensen war wach und bei Standards präsent, wie bei Trimmels Freistoß in der 80. Minute. Immer wieder versuchte er das Spiel der Hertha einzuleiten, 18 seiner 23 Pässe fanden den Mitspieler, acht seiner 13 Versuche lange Bälle bei seinen Kollegen unterzubringen, waren erfolgreich. Bei den Gegentoren trifft Christensen keinesfalls eine Hauptschuld, allerhöchstens zum Teil. Beim 0:1 durch Siebatcheu könnte man ihm ein schlechtes Stellungsspiel unterstellen, als er zu sehr auf die kurze Ecke spekulierte. Beim 0:2 wirkte er zu zögernd. Ein entschiedenes Rauskommen hätte womöglich einen Sieg im Zweikampf mit Becker bedeutet. Beim 0:3 sah er auf der Linie unglücklich aus. Doch eins vereint diese drei Gegentore. Bei allen schlief die komplette Verteidigung. Die schlief allerdings häufiger als nur die drei Mal. Und wenn am Ende der Kette Christensen nicht gewesen wäre, hätte das Spiel schon viel früher entschieden sein können.
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Die Absprache mit seinen Kollegen funktioniert noch nicht reibungslos, was angesichts der noch jungen Saison aber verständlich ist. Es wäre schön und vor allem sehr wichtig, sehr bald eine Stamm-Innenverteidigung zu haben. Bekanntlich war das letzte Saison die größte Baustelle der Hertha. Es ist oft gemein, Vergleiche zu ziehen, doch sieht man sich die Unterschiede zwischen Oliver Christensen und Marcel Lotka an, fällt auf, dass der Däne aktuell eher den ruhigen Akteur gibt und weniger den des Wachrüttlers. Dabei wird letzterer gerade dringend gebraucht.
Dedryck Boyata: Dramatischer Abstieg eines Führungsspielers
In Köpenick war er nicht nur nicht in der Startelf. Nein, der Belgier war nicht einmal im Kader. Laut Sandro Schwarz eine Konsequenz aus den Eindrücken vom Spiel in Braunschweig und der Trainingswoche. Es könnte also durchaus sein, dass das Spiel gegen die Löwen Dedryck Boyatas letztes Spiel im Dress der Hertha gewesen ist. Der Absturz des Innenverteidigers konnte schneller kaum gehen. Nach zwei Jahren wurde ihm die Kapitänsbinde abgenommen und nun wurde ihm auch der Rang als Abwehrchef abgelaufen. Sportlich hat Schwarz genug Argumente auf seiner Seite. Zumindest dann, wenn Marc-Oliver Kempf tatsächlich eine Reaktion im Training zeigte.
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In den letzten Jahren war Boyata trotz gelegentlicher Aussetzer einer der besten Verteidiger von Hertha BSC. Sein Standing im Team war extrem hoch, die Mannschaft wählte ihn nicht grundlos zweimal zum Kapitän. Doch er hatte zunehmend mit sich selbst zu kämpfen, zuletzt kamen Wechselgerüchte auf. Nachdem Boyata also noch die gesamte Vorbereitung mitgemacht hatte, steht sein Verbleib in Berlin nun mehr denn je auf der Kippe. Es droht der nächste Führungsspieler zu gehen. Es stellt sich die Frage, wie Sandro Schwarz und Fredi Bobic dieses Führungsvakuum angehen möchten. Insbesondere, wenn auch noch Maximilian Mittelstädt verkauft werden sollte. In der Innenverteidigung gibt es aktuell keinen, der auf diesem Niveau Boyatas Führungsrolle ausfüllen könnte.
Marc-Oliver Kempf: Kein Abwehrchef
Auch nicht Marc-Oliver Kempf. Der war in Köpenick zwar bemüht und gab sich nicht auf. Doch die Rolle Boyatas wird er Stand jetzt nicht ausfüllen können. Dafür hat auch er zu viel mit sich selbst und seinem riskanten Spiel zu tun. Immerhin konnte er sechsmal in teilweise höchster Not klären. 68 Mal war er am Ball. Doch viel zum Aufbauspiel konnte er nicht beitragen. Ganze elf Fehlpässe stehen in seiner Statistik, alles andere als sicher. Nur 45 Prozent, als neun von 20 Zweikämpfen konnte er für sich entscheiden. Beim ersten Gegentreffer war Siebatcheu zu schnell für ihn. Er konnte den Stürmer nicht mehr am Kopfball hindern. Ebenso war er beim 0:2 gegen den schnellen Becker zu langsam. Sein Klärungsversuch sah einigermaßen spektakulär aus, retten konnte er allerdings nichts mehr.
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Wir wissen nicht, wie die Spieler im Training drauf sind und was sie dort zu bieten haben. Doch auch wenn Kempf wohl eine gute Reaktion auf seine schwache Leistung in Braunschweig zeigte, konnte er diese leider nicht im Derby bestätigen. Und irgendwo sollte auch dieser Punkt in der Bewertung zählen. Es steht noch viel Arbeit für das Trainerteam an. Eine echte Hierarchie in der Verteidigung scheint es nicht mehr zu geben. Möglicherweise müssen die Karten gänzlich neu gemischt werden.
Doch immerhin …
Filip Uremovic: Kleiner Lichtblick, aber noch überfordert
… einer konnte die Situation zumindest etwas für sich nutzen. Neuzugang Filip Uremovic zeigte sich engagiert, konnte mehrmals klären. Allein schon nach wenigen Sekunden, als er Rani Khediras Torschuss blockte. Insgesamt blockte er drei Bälle und klärte drei weitere. Vier Tacklings gelangen ihm und zweimal konnte er einen Unioner durch einfaches Ablaufen vom Ball trennen. Insgesamt war er 61 Mal im Ballbesitz und konnte 90 Prozent, also 43 von 48 Pässen bei seinen Mitspielern unterbringen. Offensiv versuchte er es zum Beispiel in der Nachspielzeit. Sein Kopfball war allerdings letztendlich zu ungefährlich.
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Doch auch er musste bei den ersten beiden Gegentoren feststellen, dass es ihm deutlich an Tempo fehlt, um gegen schnelle Gegenspieler bestehen zu können. Im Gesamtgefüge war Filip Uremovic ein kleiner Lichtblick, der in brenzligen Situation allerdings noch schnell überfordert war. Die Kommunikation mit seinen Mitspielern ist noch nicht ausgereift. Trotzdem scheint er jemand zu sein, der den Konkurrenzkampf in der Innenverteidigung oder auch auf der Position des Rechtsverteidigers ankurbeln könnte. Gerade auf der rechten Außenposition scheint es nötig zu sein, denn …
Jonjoe Kenny: Maximal Überfordert
… ein weiterer Neuzugang, nämlich Jonjoe Kenny, tat sich im Derby sehr schwer und war des Öfteren maximal überfordert. Zwar konnte auch er ein paar Punkte für sich sammeln, wie fünf Aktionen, die er klären konnte. Insgesamt war Kenny 80 Mal am Ball und damit einer der aktivsten Herthaner, allerdings fabrizierte er dramatische 26 Ballverluste. Von ihm ging keine Sicherheit aus. Dank einiger Tacklings konnte er immerhin acht von 13 Zweikämpfen gewinnen. 37 seiner 55 Pässe kamen beim Mitspieler an, zu wenig für einen Spieler auf seiner Position. Auch Versuche die Offensive in Szene zu setzen schlugen häufig fehl. Nur einer von acht langen Bällen kam beim Mitspieler an. Immerhin konnte er in der 60. Minuten mit einer Flanke für Wilfried Kanga für etwas Torgefahr sorgen. Doch defensiv machte ihm insbesondere Unions Ryerson das Leben enorm schwer. Mehrmals kam er gegen den Norweger zu spät oder setzte zu einer schlechten Grätsche ins Lehre an.
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Aktuell ist Jonjoe Kenny einer der größten Verlierer der unsicheren Verteidigung. Möglicherweise kann er zu einer festen Größe wachsen, dazu ist aber allgemeine Abwehrsicherheit gefordert. Zudem ist er nicht darum zu beneiden, Boateng und Lukebakio, die beide defensiv kaum Unterstützung liefern, als Zuarbeiter auf seiner Spielseite zu haben. Urgestein Peter Pekarik oder Filip Uremovic sitzen ihm im Nacken und könnten nach zwei sehr schwachen Spielen den Briten auf seiner Position ablösen.
Das Mittelfeld: Einfallslos, langsam und kein Bindeglied
Das Dreiergespann, bestehend aus Abräumer Ivan Sunjic und Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar blieb gegen Union extrem blass. Noch vor wenigen Tagen wurde insbesondere Ivan Sunjic für sein Spiel in Braunschweig gelobt. Doch kaum trifft man auf einen Gegner, dessen Qualitäten etwas höher anzusetzen sind, steht man vor Problemen. Zumindest scheint es so.
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Die drei wurden zunehmen kaltgestellt. Kevin-Prince Boateng ist aus körperlichen Gründen kaum in der Lage, Extrawege zu gehen und als wirkliches Bindeglied zwischen Sturm und Abwehr zu wirken. Suat Serdar versucht es zu häufig mit Solo-Aktionen. Seine Dribblings gehen meistens ins Leere oder in die Beine von Gegenspielern. Durch ihre Limitierungen waren sie auch nicht in der Lage die Offensive in Szene zu setzen. Davie Selke und Myziane Maolida hingen komplett in der Luft, Dodi Lukebakio konnte erst nach den verschiedenen Wechseln aufspielen. Das Spiel der Hertha wirkt momentan ideenlos und sehr statisch. Um sich ein endgültiges Urteil dazu bilden zu können, ist es allerdings noch zu früh. Das Dreiergespann jetzt schon wieder auseinanderzureißen würde die nächste große Baustelle im Team eröffnen. Womöglich kann hier der wohl festzustehende Neuzugang Jean-Paul Boetius Abhilfe schaffen.
Dodi Lukebakio: Mr. Derby arbeitet zu wenig
Ein kleiner, netter Fakt gefällig? Dodi Lukebakio ist Mr. Derby. Der Belgier hat mittlerweile drei Tore in Berliner Derbys erzielt und ist damit der torgefährlichste Spieler dieser Duelle, Sheraldo Becker ist ihm dicht auf den Fersen. Immerhin eine nette Statistik, die sich Herthaner schönreden können.
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Insgesamt war das Spiel von Dodi Lukebakio in der ersten Halbzeit nicht vorhanden. Ähnlich wie bei der gesamten Offensive und dem Mittelfeld der Hertha. Er und Kenny konnten sich in keiner Weise ergänzen, das Spiel miteinander bestand praktisch nicht. Erst in der zweiten Halbzeit, beim Stand von 0:3, als Sandro Schwarz mehr dynamische Power einwechselte, konnte auch er sein Spiel entfalten. Nur eines von sechs seiner gefürchteten Tempodribblings konnte er in irgendeiner Form positiv gestalten. Insgesamt war er an 33 Aktionen beteiligt, der Großteil davon in der Schlussphase. Er brachte 71 Prozent, also zehn von 14 Pässen beim Adressaten unter. Sein Tor zum Ehrentreffer in der 85. Minute war sehenswert und zeigte, dass er das Spiel der Hertha durchaus beleben kann, allerdings nur im Zusammenspiel mit ähnlichen Spielertypen, die ihn ebenfalls in Szene setzen können. Ansonsten ist Dodi Lukebakio keine große Hilfe in einem Spiel, in dem vor allem verteidigt werden muss. Diese Form von Einsatz ließ er im Vergleich zum Pokal-Spiel leider vermissen. Das leidige Thema der Konstanz …
Wilfried Kanga und Chidera Ejuke: Hoffnungsvolle Power für die nächsten Wochen
Chidera Ejuke bekam bereits gegen Braunschweig seine ersten Minuten, Wilfried Kanga nun im Derby. Die beiden zeigten, dass sie in der Lage sind, das Angriffsspiel anzukurbeln und vor allem mit ihrem Tempo für Gefahr zu sorgen. Beide halfen ab der 56. Minute mit. Durch den unglücklichen 0:3-Treffer war da das Spiel allerdings schon vor ihrer Einwechslung entschieden. Ejuke setzte zu mehreren Dribblings an. Vier von fünf konnte er erfolgreich beenden. Alle seine Pässe – fünfzehn Stück – kamen an. Vier von fünf Zweikämpfen gewann er. Alles Statistiken, die belegen, dass er ein höheres Niveau als der Durchschnitt im Team hat. Er besitzt mehr Tempo, mehr Kraft und Durchsetzungsvermögen und zeigte viel mehr Engagement als Myziane Maolida, den er ersetzte.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Wilfried Kanga war bei seinem Debüt wesentlich besser im Spiel als Davie Selke. Er zeigte sich ballsicher, passsicher – alle seine sechs Pässe kamen an – und nach 60 Minuten konnte er mit einem Schuss aus der Luft nach Flanke von Kenny auch für erste Gefahr sorgen. Zu diesem Zeitpunkt war es die erste Chance der Hertha aus dem Spiel heraus. Beide haben gezeigt, dass sie definitiv Anwärter auf einen Startelf-Platz sind und dem Offensivspiel der Hertha viel mehr Unberechenbarkeit ermöglichen können.
Vermasselter Saisonstart, aber es ist bei weitem nichts verloren
Von einem Zweitligisten aus dem Pokal geworfen, am ersten Spieltag das Derby verloren. Schlechter kann eine Saison eigentlich nicht starten und wir wollen das hier auch überhaupt nicht schönreden. Aber das Pokal-Aus muss man verkraften können, damit muss jede Mannschaft rechnen. Die Derbyniederlage ist gerade für den Kopf und für die Laune ein Problem. Doch wie man an der Reaktion der Hertha-Fans gesehen hat, weiß man diese einzuordnen. Die Anforderungen in Berlin sind mittlerweile andere, als in den letzten drei Jahren.
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Ein Abwärtsstrudel zu Beginn der Saison muss dringend unterbunden werden, wenn man nicht schon in einem ist. Sieht man diese Niederlage sportlich und vergleicht man sie mit einem Spiel gegen einen Gegner, der Union ebenbürtig gewesen wäre, also SC Freiburg, Borussia Mönchengladbach oder Mainz 05, wären Spiel und Ergebnis möglicherweise ähnlich gewesen. So muss vor allem der Kopf freigemacht werden um sich schnell von der Derby-Klatsche erholen zu können. In der Mannschaft hapert es an einfachsten und grundsätzlichen Dingen. Gegen Union fehlte die Kompromisslosigkeit in den Zweikämpfen. Fredi Bobic sagte im „Doppelpass“ bei Sport1, dass es Zeit brauchen würde, bis gewisse Dinge funktionieren. Zusätzlich betonte auch er, dass Dedryck Boyata sportlich aktuell keine Hilfe ist. Es kommen schwere Gegner auf die Hertha zu. Spiele, in denen es nicht leicht wird, zu bestehen. Aber man hat nichts zu verlieren und kann theoretisch befreit aufspielen. Die Mannschaft hat sich noch nicht gefunden, das Selbstverständnis fehlt bisher.
Es bedarf klarer Ansagen und Taten des Trainerteams, damit sich ein schlagkräftiges Team bilden kann. In nahezu allen Mannschaftsteilen gibt es Probleme, aber auch großes Potential diese zu beseitigen. Die Zeiten sind nicht einfach, aber die Saison ist lang und noch ist rein gar nichts verloren. Allgemein tut es Hertha-Spielern, Fans und dem Verein wohl besser, wenn man den Derbys und der Berliner Rivalität nicht mehr Bedeutung schenkt, als sie verdienen. Und schon gar nicht braucht man über jedes Stöckchen aus Köpenick springen, was hingehalten wird. Man muss sich auf sich selbst konzentrieren. Ausschließlich auf sich selbst.
(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)
von Johannes Boldt | Aug 2, 2022 | Bundesliga, Einzelkritik, Hertha BSC
Beim dramatischen Pokal-Aus in Braunschweig hat es aus Hertha-Sicht viel Licht und Schatten gegeben. Wir analysieren die Partie und einzelne Leistungen.
Ein besonderer Fußballabend
Gekämpft, gebissen, unfassbare Leidenschaft gezeigt, dem Heimteam über 120 Minuten Paroli geboten, am Ende unglücklich verloren und trotzdem die Herzen etlicher Fußballfans in ganz Deutschland gewonnen. Dem findigen Fußballfan ist wohl schnell aufgefallen, dass es bei dieser Beschreibung wohl eher um die Deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen geht, die am Sonntag zur selben Zeit wie Hertha BSC spielte. Und dass es für mich vor den beiden Spielen nicht einfach war, eine Entscheidung zu treffen, welches Spiel ich denn wohl eher verfolgen möchte, sagt viel über das Nationalteam aus, was in den letzten Wochen für eine Begeisterung sorgen konnte, die viele Fußballfans für eine Nationalmannschaft seit Jahren nicht mehr aufbringen konnten. Glückwunsch auch von uns zum hochverdienten zweiten Platz bei der Europameisterschaft!
Letztendlich hab ich mich für beide Spiele parallel entschieden, dank der heutigen technischen Möglichkeiten stellt das ja bekanntlich keine Probleme dar. Während auf meinem Second-Stream die Frauen um den Titel kämpften, zeigten Hertha BSC und Eintracht Braunschweig in der ersten Runde des DFB-Pokals einen offenen Schlagabtausch und rüttelten die Fans nach der für alle Seiten hochverdienten und auch bitter nötigen Sommerpause ordentlich wach. In einem furiosen und torreichen Spiel konnte die Hertha zunächst eine 2:0-Führung nach einer der besten Halbzeiten in den letzten Jahren nicht über die Zeit bringen und sich auch nach einem großen Kampf in der Verlängerung nicht mehr belohnen. Spät kassierte die Schwarz-Elf das 4:4. Das Elfmeterschießen entschied letztendlich den glücklicheren Sieger.
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Die Startelf von Hertha: Viel Neues, aber auch Altbewährtes
In Braunschweig kam es für einige Herthaner zum ersten Pflichtspieleinsatz für den Verein. Mit Sandro Schwarz stand zum Saisonstart auch ein neuer Trainer an der Seitenlinie. In einem 4-3-3 stellte er das Team auf. Im Tor stand Oliver Christensen, der seinen Stammplatz in der Vorbereitung gegen Rune Jarstein verteidigen konnte. Als Linksverteidiger startete der neue Kapitän Marvin Plattenhardt, das Innenverteidiger-Duo der Schlussphase der letzten Saison, Marc-Oliver Kempf und Ex-Kapitän Dedryck Boyata, wurde auch im ersten Saisonspiel mit dieser Aufgabe betraut. Auf der rechten Seite sollte der britische Neuzugang Jonjoe Kenny agieren.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Einen weiteren Neuzugang bekamen die Fans von Hertha BSC im defensiven Mittelfeld zu sehen. Der Kroate Ivan Sunjic, vor einigen Wochen aus Birmingham gekommen, sollte als Abräumer fungieren und seinen zentralen Partnern Suat Serdar und Kevin-Prince Boateng den Rücken freihalten. Auf den Flügeln sollten der in der Vorbereitung überzeugende Myziane Maolida auf links und der aus Wolfsburg zurückgekehrte Dodi Lukebakio auf rechts wirbeln und für Tempo sorgen. Im Sturmzentrum setzte Schwarz auf Davie Selke.
Wir schauen in unserer Analyse heute auf destabilisierende Spieler, die das auf keinen Fall sein sollten und die Einseitigkeit unseres Kapitäns. Aber auch auf Spieler, die Lust auf mehr machen und die Lösung eines schier endlosen Problems.
Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata: Fehlende Abstimmung und Überforderung
Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata waren zum Ende der letzten Saison unter Felix Magath gesetzt und wichtige Garanten im Kampf um den Klassenerhalt. In der Vorbereitung konnten sie ihre Startelfambitionen unterstreichen und den Kampf gegen die Konkurrenz für sich entscheiden. Dedryck Boyata musste allerdings das Amt des Kapitäns einbüßen. Wie er damit zukünftig umgehen wird, soll die Zeit zeigen. Gegen Braunschweig zeigte er aber immerhin, dass er versucht, viel mit seinen Mannschaftskollegen zu kommunizieren. Doch bei vier Gegentreffern gegen einen Zweitligisten muss ein kritischer Blick auf das Innenverteidiger-Duo geworfen werden.
Beide agierten über die kompletten 120 Minuten (plus Nachspielzeiten) und konnten – und damit beginnen wir mit den positiven Punkten – zumindest aktiv am Ball Präsenz zeigen und sich anbieten. Kempf hatte 102 Aktionen, Boyata gar 112. Doch der im letzten Winter aus Stuttgart nach Berlin gewechselte Kempf, der immerhin noch neun Bälle klären konnte, gewann nur sieben seiner 15 Zweikämpfe. Und dabei war vor allem interessant und bitter welche Zweikämpfe er eben nicht gewann. Beim zwischenzeitlichen 2:3 durch Braunschweigs Immanuel Pherai in der Verlängerung lässt er sich auf haarsträubende Art und Weise von Lion Lauberbach abkochen, der für seinen offensiven Kollegen nur noch vorlegen musste. Bereits beim 2:2 in der 66. Minute sah Kempfs Stellungsspiel alles andere als glücklich aus. Die Vorlage von Marx verpasste er, wirklich angreifen tat er den Vorlagengeber ebenso wenig. Den unrühmlichen Tiefpunkt beim Elfmeterschießen will man ihm zunächst gar nicht vorwerfen, denn mit einem Fehlschuss muss jederzeit gerechnet werden. Er passte lediglich zum extrem gebrauchten Tag von Marc-Oliver Kempf, der ursprünglich gar nicht zum Elfmeter antreten wollte. Ein Spieler seiner Klasse und seines Standings muss allerdings einem gewissen Druck standhalten. Bleibt zu hoffen, dass seine verschiedenen Aussetzer einer schlechten Tagesform verschuldet waren.
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Dedryck Boyatas wohl größtes Manko ist sein Tempodefizit. Zwar zeigte er nach bereits fünf Minuten seine Klasse, als er den bereits geschlagenen Oliver Christensen unterstützte und nach Pherais Schuss zur Ecke klären konnte, doch wie sein Partner Kempf war seine Rolle beim 2:2 und 2:3 mehr als unglücklich. In beiden Fällen stand er zu offensiv – praktisch schon im Mittelfeld – wurde überlaufen und konnte nicht mehr rechtzeitig eingreifen. Doch Boyata musste schon zuvor feststellen, dass sein Tag nicht gut enden würde, als er nach 63 Minuten für einen Elfmeter der Braunschweiger sorgte. Immanuel Pherai machte der gesamten Hertha-Defensive das Leben schwer und nahm das ausgestreckte Bein des Belgiers dankend an. Es war unnötig und seiner gewünschten Qualität nicht würdig. Boyatas Ausfälle wirkten schwer auf das Ergebnis des Spiels, doch auch er hatte seine guten und zu beachtenden Szenen. Sechsmal klärte er die Bälle und verteilte 95 Pässe, von denen immerhin 83 den Adressaten fanden. In der 60. Minute scheiterte er denkbar knapp nach feiner Vorarbeit von Marvin Plattenhardt an Braunschweigs Torhüter Jasmin Fejzic. Es wäre das 3:0 gewesen und damit wahrscheinlich die Vorentscheidung.
Es war das erste Spiel von Boyata seit zwei Jahren, welches er für Hertha nicht als Kapitän bestritt. In der Saisonvorbereitung wurde er diesbezüglich von Marvin Plattenhardt abgelöst. Ihm selbst scheint es nicht geschadet zu haben. Auch wenn er sportlich nicht zu überzeugen wusste, bemühte er sich durchgehend mit seinen Mitspielern zu kommunizieren und taktische Anweisungen zu geben. Das Standing im Team scheint er weiterhin zu haben.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Oliver Christensen: Noch kein sicherer Rückhalt
Der Däne, der seit den Sommerabgängen von Alexander Schwolow und Marcel Lotka die Nummer eins im Tor der Hertha ist, spielte ein Spiel, welches noch nicht so einfach einzuordnen ist. Zunächst einmal war Oliver Christensen machtlos bei den Gegentoren, in diesem Fall trifft dem blonden Rückhalt keine Schuld. Doch Christensen strahlte nicht wie zuletzt in der Relegation seine Sicherheit und Coolness aus. Er wirkte oft fahrig, unsicher und musste sich das ein oder andere Mal auf sein Glück verlassen. Bereits nach fünf Minuten musste er sich bei Boyata bedanken, der aufmerksam genug war um das leere Tor zu verteidigen. In der 54. Minute half ihn der Pfosten als er bei Pherais Schuss erschreckend passiv wirkte. Der 23-Jährige tat sich mit den regnerischen Bedingungen schwer und wirkte alles andere als souverän.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Immerhin konnte er im Elfmeterschießen einen Elfmeter parieren. Etwas, was ihm in der regulären Spielzeit nicht gelingen sollte. Auch bei Oliver Christensen muss man mit Formschwankungen rechnen. Es wäre auch zu viel verlangt, durchgehend den unbekümmerten und vor Motivation strotzenden Christensen aus der Relegation spielen zu sehen, zumal es ihm die wackelige Viererkette auch nicht leicht machte.
Marvin Plattenhardt: Zu einseitig, aber erstmal gesetzt
Es war die erste richtige Prüfung als Kapitän. Marvin Plattenhardt, der dieses Amt seit wenigen Wochen inne hat, wurde gegen die Braunschweiger auf neue Faktoren getestet und gefordert. Er gewann während des Spiels keinen Zweikampf und musste 14 Ballverluste einstecken. Defensiv konnte der WM-2018-Teilnehmer also nicht viel aushelfen. Die Qualitäten des Marvin Plattenhardts sind der Fußballwelt hinlänglich bekannt. Sein linker Fuß gilt als einer der besten Deutschlands, regelmäßig konnte er das schon unter Beweis stellen.
Und auch gegen Braunschweig sollte ihm das in der 10. Minute gelingen. Seine feine Flanke wusste Davie Selke mit dem Kopf zu verwerten. Früh im Spiel hatte Hertha die Möglichkeit, die Weichen auf Sieg zu stellen. Immer wieder versuchte er sich an Flanken und Pässen. Starke 95 Prozent seiner Pässe, also 58 von 61 Versuchen, kamen bei den Mitspielern an. Doch auch Plattenhardt hat noch viel mit seiner Fitness zu tun, was vor allem bei seinem allgemeinen Tempodefizit nicht förderlich war. Der Linksverteidiger hatte viel mit sich selbst zu tun. Ein echter Kapitän ist er noch nicht, in dieser Rolle muss er noch hineinwachsen. Als Linksverteidiger ist er in vielen Situationen überfordert.
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Im Elfmeterschießen konnte er dem Druck nicht standhalten und scheiterte relativ kläglich am Braunschweiger Schlussmann. Doch auf dieser Position ist er als Kapitän erst einmal gesetzt. Allgemein bietet der Kader nur wenig Alternativen. Fredrik André Björkan konnte noch nicht überzeugen und der jahrelange Konkurrent und Hertha-Eigengewächs, Maximilian Mittelstädt, steht vor einem Abgang. Eine gewisse Zeit muss man den Verantwortlichen wohl zugestehen.
Myziane Maolida, Dodi Lukebakio, Chidera Ejuke: Hertha-Neuzugänge, die Spaß machen können
Die drei Flügelspieler sind für die Hertha alle auf ihre Art Neuzugänge. Chidera Ejuke, der erst vor kurzer Zeit aus Moskau nach Berlin gewechselt ist, konnte nach 72 Minuten Myziane Maolida ablösen und zunächst ansatzweise zeigen, warum Hertha BSC ihn für diese Saison verpflichtet hat. Er versuchte mit Tempo über die Außenpositionen für Torgefahr zu sorgen und bemühte sich, in der Offensive seinen Beitrag zu leisten. Dabei gelangen dem 24-Jährigen gleich mehrere gute Momente, die sein Talent allemal unterstreichen. Sein Auftritt machte Lust auf mehr.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Myziane Maolida durfte bis zur Einwechslung Ejukes wirbeln und für Torgefahr sorgen. Der Franzose, der bereits seit einem Jahr bei Hertha spielt und in seiner Debütsaison praktisch durchgehend enttäuschte, spielte gegen Braunschweig sein wohl bestes Spiel im Dress der Hertha. Und das lag nicht nur an seinem Tor, welches er in der 42. Minute nach Lukebakios Versuch per Abstauber erzielen konnte. Maolida wirkt seit Wochen wie ausgewechselt, zeigt ein größeres taktisches Verständnis und auch große Disziplin, diese umzusetzen. Insbesondere sein Zusammenspiel mit Dodi Lukebakio sorgte für große Gefahr in der Offensive. Neben seinem Tor konnte er sich Chancen erarbeiten, die durchaus das Potential hatten, ebenso für Tore zu sorgen. Die wohl größte in der 37. Minute, als er eine flache Hereingabe von Lukebakio wuchtig per Flachschuss aufs Tor beförderte. Braunschweigs Fejzic konnte die Situation aber vereiteln. Maolida setzte zu fünf Dribblings an, spielte 37 Pässe, von denen 31 ankamen. Der 23-Jährige hat die große Chance in dieser Saison sein schwaches erstes Jahr gutzumachen. Dazu braucht es große Disziplin und mentale Stärke. In einem System und Mitspielern, die ihm guttun, kann da einiges möglich sein und er wie ein Neuzugang wirken.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Dodi Lukebakio könnte einer dieser Mitspieler sein. Der Belgier, der nach einem enttäuschenden Jahr in Wolfsburg wieder zurück in Berlin ist, scheint vor Motivation zu strotzen. Gemeinsam mit Maolida konnte er eine Position bespielen, die bei der Hertha fast schon Jahre lang vakant war: die Flügelpositionen. Mit seiner Schnelligkeit stellte er die Gegner auf zahlreiche Proben. Selbst im Spiel ohne Ball zeigte sich Lukebakio verändert, ging in Zweikämpfe, half in der 52. Minute sogar beherzt in der Defensive aus. Insgesamt gewann der Stürmer elf seiner 16 Zweikämpfe. Für einen Offensivspieler eine beachtliche Statistik. 92 Prozent, also 32 von 36 Pässen kamen an. Auch eine Statistik, die für einen Offensivspieler eher selten ist. Immer wieder setzte Lukebakio zu Sprints und Dribblings an. Sechs seiner acht Dribblings gestaltete er dabei sogar erfolgreich. Seiner möglicherweise auch unfreiwilligen Vorlage auf Maolidas Tor, setzt er in der Verlängerung, in der 106. Minute, seinen Höhepunkt auf, als er sich auf der rechten Seite durchtankte und den Ball per sehenswerten Lupfer im Tor unterbrachte. Doch auch ihm gelang nicht alles. In der 91. Minute wäre es seine Aufgabe gewesen den späteren Torschützen Pherai vom Ball zu trennen. Auch per Foul wäre es in dem Moment okay gewesen, die gelb-rote Karte wäre angesichts der verbliebenden Spielzeit zu verkraften gewesen. Lukebakio zeigte sich hochmotiviert, spritzig und kraftvoll. Auch er könnte ein Gewinner des Systems von Schwarz werden. Doch es bleibt abzuwarten, wie gut er diese Form bestätigen kann.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Was sonst noch war
Gegen Braunschweig gab es einen offenen Schlagabtausch, einige weitere Spieler wussten zu überzeugen, wieder andere hatten Schwierigkeiten. Herthas neuer Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny reihte sich nahtlos in die überforderte Verteidigung ein, war insbesondere beim 2:2 viel zu passiv und verlor ganze 16 Mal den Ball. Defensiv war er keine große Hilfe. Er wird auf einen stabilen Abwehrverbund angewiesen sein.
Lucas Tousart erzielte eines der Tore, die wir verstärkt von der Mannschaft sehen wollen. Auch mal einen Schuss aus der zweiten Reihe wagen. Allgemein wirkt er weiterhin wie ein Antreiber, der ein Spiel an sich reißen möchte. Weniger mit Kreativität, vor allem mit Kampf und Leidenschaft. Er hat das Potential, Führungsspieler zu werden, Verantwortung im Elfmeterschießen anzunehmen, wäre der nächste große Schritt gewesen.
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Ivan Sunjic wirkte in seinem ersten Spiel wie ein echter Stabilisator, der nicht nur seinen Mitspielern den Rücken freihielt, sondern zusätzlich viele Bälle forderte, intelligente Spielzüge einleitete und allgemein recht gut im Team angekommen zu sein scheint. Wie gut er diese Leistung bei den kommenden und schwereren Gegnern bestätigen kann, wird sich zeigen.
Stevan Jovetic macht Spaß. Gegen Braunschweig zeigte er wieder einmal seine Klasse am Ball und seine Spielintelligenz. Wenn er fit ist kann er dem Spiel der Hertha extrem guttun. Schön anzusehen war dabei seine Vorlage zum 4:3 auf Dodi Lukebakio.
Trotz ähnlicher Vorzeichen: Das war nicht „Typisch Hertha“
Nach drei Jahren Achterbahnfahrt sind die Nerven der Fans vollkommen verständlich maximal strapaziert. Doch man muss dem Team Zeit geben, sich zu finden und die Automatismen einzustudieren. Diese Niederlage ist nicht „Typisch Hertha“. Das Spiel verlief unglücklich, offenbarte eiskalt die Schwächen, die diese unfertige Mannschaft noch hat, doch ließ insbesondere in der Offensive aufblitzen, was möglich sein könnte. Mit Wilfried Kanga kommt nun ein Neuzugang für den Sturm dazu. Möglicherweise ein weiteres Puzzleteil, welches für die nötige Stabilität sorgen kann. Die vielen Einzelteile müssen greifen, Marvin Plattenhardt in seine Rolle wachsen. Marco Richter wird bald zurück im Training sein und kann eine wichtige Option für die Offensive werden.
Eine Ausscheiden aus dem Pokal in der 1. Runde ist ärgerlich, schade und ein deutlicher Stimmungskiller, doch man sollte es abhaken, analysieren, draus lernen und sich nun mit voller Konzentration der Bundesliga widmen. Die spielen zu dürfen, sollte nach dem Relegationsdrama Motivation genug sein. Die Ohrfeige von Eintracht Braunschweig kommt wahrscheinlich zum besten Zeitpunkt. Die Sinne sind geschärft, die Karten neu gemischt und die Bundesliga beginnt mit dem Kracher in Köpenick. Lasst uns mit Freude und dem Glauben an einen Sieg in dieses Spiel gehen. Auch Union konnte sich beim Pokalspiel in Chemnitz nicht mit Ruhm bekleckern und scheint noch einige Baustellen zu haben. Freuen wir uns auf das erste der zwei wichtigsten Spiele der Saison.
(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)
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