Herthaner im Fokus: Eine Ohrfeige zum richtigen Zeitpunkt

Herthaner im Fokus: Eine Ohrfeige zum richtigen Zeitpunkt

Beim dramatischen Pokal-Aus in Braunschweig hat es aus Hertha-Sicht viel Licht und Schatten gegeben. Wir analysieren die Partie und einzelne Leistungen.

Ein besonderer Fußballabend

Gekämpft, gebissen, unfassbare Leidenschaft gezeigt, dem Heimteam über 120 Minuten Paroli geboten, am Ende unglücklich verloren und trotzdem die Herzen etlicher Fußballfans in ganz Deutschland gewonnen. Dem findigen Fußballfan ist wohl schnell aufgefallen, dass es bei dieser Beschreibung wohl eher um die Deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen geht, die am Sonntag zur selben Zeit wie Hertha BSC spielte. Und dass es für mich vor den beiden Spielen nicht einfach war, eine Entscheidung zu treffen, welches Spiel ich denn wohl eher verfolgen möchte, sagt viel über das Nationalteam aus, was in den letzten Wochen für eine Begeisterung sorgen konnte, die viele Fußballfans für eine Nationalmannschaft seit Jahren nicht mehr aufbringen konnten. Glückwunsch auch von uns zum hochverdienten zweiten Platz bei der Europameisterschaft!

Letztendlich hab ich mich für beide Spiele parallel entschieden, dank der heutigen technischen Möglichkeiten stellt das ja bekanntlich keine Probleme dar. Während auf meinem Second-Stream die Frauen um den Titel kämpften, zeigten Hertha BSC und Eintracht Braunschweig in der ersten Runde des DFB-Pokals einen offenen Schlagabtausch und rüttelten die Fans nach der für alle Seiten hochverdienten und auch bitter nötigen Sommerpause ordentlich wach. In einem furiosen und torreichen Spiel konnte die Hertha zunächst eine 2:0-Führung nach einer der besten Halbzeiten in den letzten Jahren nicht über die Zeit bringen und sich auch nach einem großen Kampf in der Verlängerung nicht mehr belohnen. Spät kassierte die Schwarz-Elf das 4:4. Das Elfmeterschießen entschied letztendlich den glücklicheren Sieger.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Die Startelf von Hertha: Viel Neues, aber auch Altbewährtes

In Braunschweig kam es für einige Herthaner zum ersten Pflichtspieleinsatz für den Verein. Mit Sandro Schwarz stand zum Saisonstart auch ein neuer Trainer an der Seitenlinie. In einem 4-3-3 stellte er das Team auf. Im Tor stand Oliver Christensen, der seinen Stammplatz in der Vorbereitung gegen Rune Jarstein verteidigen konnte. Als Linksverteidiger startete der neue Kapitän Marvin Plattenhardt, das Innenverteidiger-Duo der Schlussphase der letzten Saison, Marc-Oliver Kempf und Ex-Kapitän Dedryck Boyata, wurde auch im ersten Saisonspiel mit dieser Aufgabe betraut. Auf der rechten Seite sollte der britische Neuzugang Jonjoe Kenny agieren.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Einen weiteren Neuzugang bekamen die Fans von Hertha BSC im defensiven Mittelfeld zu sehen. Der Kroate Ivan Sunjic, vor einigen Wochen aus Birmingham gekommen, sollte als Abräumer fungieren und seinen zentralen Partnern Suat Serdar und Kevin-Prince Boateng den Rücken freihalten. Auf den Flügeln sollten der in der Vorbereitung überzeugende Myziane Maolida auf links und der aus Wolfsburg zurückgekehrte Dodi Lukebakio auf rechts wirbeln und für Tempo sorgen. Im Sturmzentrum setzte Schwarz auf Davie Selke.

Wir schauen in unserer Analyse heute auf destabilisierende Spieler, die das auf keinen Fall sein sollten und die Einseitigkeit unseres Kapitäns. Aber auch auf Spieler, die Lust auf mehr machen und die Lösung eines schier endlosen Problems.

Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata: Fehlende Abstimmung und Überforderung

Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata waren zum Ende der letzten Saison unter Felix Magath gesetzt und wichtige Garanten im Kampf um den Klassenerhalt. In der Vorbereitung konnten sie ihre Startelfambitionen unterstreichen und den Kampf gegen die Konkurrenz für sich entscheiden. Dedryck Boyata musste allerdings das Amt des Kapitäns einbüßen. Wie er damit zukünftig umgehen wird, soll die Zeit zeigen. Gegen Braunschweig zeigte er aber immerhin, dass er versucht, viel mit seinen Mannschaftskollegen zu kommunizieren. Doch bei vier Gegentreffern gegen einen Zweitligisten muss ein kritischer Blick auf das Innenverteidiger-Duo geworfen werden.

Beide agierten über die kompletten 120 Minuten (plus Nachspielzeiten) und konnten – und  damit beginnen wir mit den positiven Punkten – zumindest aktiv am Ball Präsenz zeigen und sich anbieten. Kempf hatte 102 Aktionen, Boyata gar 112. Doch der im letzten Winter aus Stuttgart nach Berlin gewechselte Kempf, der immerhin noch neun Bälle klären konnte, gewann nur sieben seiner 15 Zweikämpfe. Und dabei war vor allem interessant und bitter welche Zweikämpfe er eben nicht gewann. Beim zwischenzeitlichen 2:3 durch Braunschweigs Immanuel Pherai in der Verlängerung lässt er sich auf haarsträubende Art und Weise von Lion Lauberbach abkochen, der für seinen offensiven Kollegen nur noch vorlegen musste. Bereits beim 2:2 in der 66. Minute sah Kempfs Stellungsspiel alles andere als glücklich aus. Die Vorlage von Marx verpasste er, wirklich angreifen tat er den Vorlagengeber ebenso wenig. Den unrühmlichen Tiefpunkt beim Elfmeterschießen will man ihm zunächst gar nicht vorwerfen, denn mit einem Fehlschuss muss jederzeit gerechnet werden. Er passte lediglich zum extrem gebrauchten Tag von Marc-Oliver Kempf, der ursprünglich gar nicht zum Elfmeter antreten wollte. Ein Spieler seiner Klasse und seines Standings muss allerdings einem gewissen Druck standhalten. Bleibt zu hoffen, dass seine verschiedenen Aussetzer einer schlechten Tagesform verschuldet waren.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Dedryck Boyatas wohl größtes Manko ist sein Tempodefizit. Zwar zeigte er nach bereits fünf Minuten seine Klasse, als er den bereits geschlagenen Oliver Christensen unterstützte und nach Pherais Schuss zur Ecke klären konnte, doch wie sein Partner Kempf war seine Rolle beim 2:2 und 2:3 mehr als unglücklich. In beiden Fällen stand er zu offensiv – praktisch schon im Mittelfeld – wurde überlaufen und konnte nicht mehr rechtzeitig eingreifen. Doch Boyata musste schon zuvor feststellen, dass sein Tag nicht gut enden würde, als er nach 63 Minuten für einen Elfmeter der Braunschweiger sorgte. Immanuel Pherai machte der gesamten Hertha-Defensive das Leben schwer und nahm das ausgestreckte Bein des Belgiers dankend an. Es war unnötig und seiner gewünschten Qualität nicht würdig. Boyatas Ausfälle wirkten schwer auf das Ergebnis des Spiels, doch auch er hatte seine guten und zu beachtenden Szenen. Sechsmal klärte er die Bälle und verteilte 95 Pässe, von denen immerhin 83 den Adressaten fanden. In der 60. Minute scheiterte er denkbar knapp nach feiner Vorarbeit von Marvin Plattenhardt an Braunschweigs Torhüter Jasmin Fejzic. Es wäre das 3:0 gewesen und damit wahrscheinlich die Vorentscheidung.

Es war das erste Spiel von Boyata seit zwei Jahren, welches er für Hertha nicht als Kapitän bestritt. In der Saisonvorbereitung wurde er diesbezüglich von Marvin Plattenhardt abgelöst. Ihm selbst scheint es nicht geschadet zu haben. Auch wenn er sportlich nicht zu überzeugen wusste, bemühte er sich durchgehend mit seinen Mitspielern zu kommunizieren und taktische Anweisungen zu geben. Das Standing im Team scheint er weiterhin zu haben.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Oliver Christensen: Noch kein sicherer Rückhalt

Der Däne, der seit den Sommerabgängen von Alexander Schwolow und Marcel Lotka die Nummer eins im Tor der Hertha ist, spielte ein Spiel, welches noch nicht so einfach einzuordnen ist. Zunächst einmal war Oliver Christensen machtlos bei den Gegentoren, in diesem Fall trifft dem blonden Rückhalt keine Schuld. Doch Christensen strahlte nicht wie zuletzt in der Relegation seine Sicherheit und Coolness aus. Er wirkte oft fahrig, unsicher und musste sich das ein oder andere Mal auf sein Glück verlassen. Bereits nach fünf Minuten musste er sich bei Boyata bedanken, der aufmerksam genug war um das leere Tor zu verteidigen. In der 54. Minute half ihn der Pfosten als er bei Pherais Schuss erschreckend passiv wirkte. Der 23-Jährige tat sich mit den regnerischen Bedingungen schwer und wirkte alles andere als souverän.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Immerhin konnte er im Elfmeterschießen einen Elfmeter parieren. Etwas, was ihm in der regulären Spielzeit nicht gelingen sollte. Auch bei Oliver Christensen muss man mit Formschwankungen rechnen. Es wäre auch zu viel verlangt, durchgehend den unbekümmerten und vor Motivation strotzenden Christensen aus der Relegation spielen zu sehen, zumal es ihm die wackelige Viererkette auch nicht leicht machte.

Marvin Plattenhardt: Zu einseitig, aber erstmal gesetzt

Es war die erste richtige Prüfung als Kapitän. Marvin Plattenhardt, der dieses Amt seit wenigen Wochen inne hat, wurde gegen die Braunschweiger auf neue Faktoren getestet und gefordert. Er gewann während des Spiels keinen Zweikampf und musste 14 Ballverluste einstecken. Defensiv konnte der WM-2018-Teilnehmer also nicht viel aushelfen. Die Qualitäten des Marvin Plattenhardts sind der Fußballwelt hinlänglich bekannt. Sein linker Fuß gilt als einer der besten Deutschlands, regelmäßig konnte er das schon unter Beweis stellen.

Und auch gegen Braunschweig sollte ihm das in der 10. Minute gelingen. Seine feine Flanke wusste Davie Selke mit dem Kopf zu verwerten. Früh im Spiel hatte Hertha die Möglichkeit, die Weichen auf Sieg zu stellen. Immer wieder versuchte er sich an Flanken und Pässen. Starke 95 Prozent seiner Pässe, also 58 von 61 Versuchen, kamen bei den Mitspielern an. Doch auch Plattenhardt hat noch viel mit seiner Fitness zu tun, was vor allem bei seinem allgemeinen Tempodefizit nicht förderlich war. Der Linksverteidiger hatte viel mit sich selbst zu tun. Ein echter Kapitän ist er noch nicht, in dieser Rolle muss er noch hineinwachsen. Als Linksverteidiger ist er in vielen Situationen überfordert.

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(Photo by Matthias Kern/Getty Images)

Im Elfmeterschießen konnte er dem Druck nicht standhalten und scheiterte relativ kläglich am Braunschweiger Schlussmann. Doch auf dieser Position ist er als Kapitän erst einmal gesetzt. Allgemein bietet der Kader nur wenig Alternativen. Fredrik André Björkan konnte noch nicht überzeugen und der jahrelange Konkurrent und Hertha-Eigengewächs, Maximilian Mittelstädt, steht vor einem Abgang. Eine gewisse Zeit muss man den Verantwortlichen wohl zugestehen.

Myziane Maolida, Dodi Lukebakio, Chidera Ejuke: Hertha-Neuzugänge, die Spaß machen können

Die drei Flügelspieler sind für die Hertha alle auf ihre Art Neuzugänge. Chidera Ejuke, der erst vor kurzer Zeit aus Moskau nach Berlin gewechselt ist, konnte nach 72 Minuten Myziane Maolida ablösen und zunächst ansatzweise zeigen, warum Hertha BSC ihn für diese Saison verpflichtet hat. Er versuchte mit Tempo über die Außenpositionen für Torgefahr zu sorgen und bemühte sich, in der Offensive seinen Beitrag zu leisten. Dabei gelangen dem 24-Jährigen gleich mehrere gute Momente, die sein Talent allemal unterstreichen. Sein Auftritt machte Lust auf mehr.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Myziane Maolida durfte bis zur Einwechslung Ejukes wirbeln und für Torgefahr sorgen. Der Franzose, der bereits seit einem Jahr bei Hertha spielt und in seiner Debütsaison praktisch durchgehend enttäuschte, spielte gegen Braunschweig sein wohl bestes Spiel im Dress der Hertha. Und das lag nicht nur an seinem Tor, welches er in der 42. Minute nach Lukebakios Versuch per Abstauber erzielen konnte. Maolida wirkt seit Wochen wie ausgewechselt, zeigt ein größeres taktisches Verständnis und auch große Disziplin, diese umzusetzen. Insbesondere sein Zusammenspiel mit Dodi Lukebakio sorgte für große Gefahr in der Offensive. Neben seinem Tor konnte er sich Chancen erarbeiten, die durchaus das Potential hatten, ebenso für Tore zu sorgen. Die wohl größte in der 37. Minute, als er eine flache Hereingabe von Lukebakio wuchtig per Flachschuss aufs Tor beförderte. Braunschweigs Fejzic konnte die Situation aber vereiteln. Maolida setzte zu fünf Dribblings an, spielte 37 Pässe, von denen 31 ankamen. Der 23-Jährige hat die große Chance in dieser Saison sein schwaches erstes Jahr gutzumachen. Dazu braucht es große Disziplin und mentale Stärke. In einem System und Mitspielern, die ihm guttun, kann da einiges möglich sein und er wie ein Neuzugang wirken.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Dodi Lukebakio könnte einer dieser Mitspieler sein. Der Belgier, der nach einem enttäuschenden Jahr in Wolfsburg wieder zurück in Berlin ist, scheint vor Motivation zu strotzen. Gemeinsam mit Maolida konnte er eine Position bespielen, die bei der Hertha fast schon Jahre lang vakant war: die Flügelpositionen. Mit seiner Schnelligkeit stellte er die Gegner auf zahlreiche Proben. Selbst im Spiel ohne Ball zeigte sich Lukebakio verändert, ging in Zweikämpfe, half in der 52. Minute sogar beherzt in der Defensive aus. Insgesamt gewann der Stürmer elf seiner 16 Zweikämpfe. Für einen Offensivspieler eine beachtliche Statistik. 92 Prozent, also 32 von 36 Pässen kamen an. Auch eine Statistik, die für einen Offensivspieler eher selten ist. Immer wieder setzte Lukebakio zu Sprints und Dribblings an. Sechs seiner acht Dribblings gestaltete er dabei sogar erfolgreich. Seiner möglicherweise auch unfreiwilligen Vorlage auf Maolidas Tor, setzt er in der Verlängerung, in der 106. Minute, seinen Höhepunkt auf, als er sich auf der rechten Seite durchtankte und den Ball per sehenswerten Lupfer im Tor unterbrachte. Doch auch ihm gelang nicht alles. In der 91. Minute wäre es seine Aufgabe gewesen den späteren Torschützen Pherai vom Ball zu trennen. Auch per Foul wäre es in dem Moment okay gewesen, die gelb-rote Karte wäre angesichts der verbliebenden Spielzeit zu verkraften gewesen. Lukebakio zeigte sich hochmotiviert, spritzig und kraftvoll. Auch er könnte ein Gewinner des Systems von Schwarz werden. Doch es bleibt abzuwarten, wie gut er diese Form bestätigen kann.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Was sonst noch war

Gegen Braunschweig gab es einen offenen Schlagabtausch, einige weitere Spieler wussten zu überzeugen, wieder andere hatten Schwierigkeiten. Herthas neuer Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny reihte sich nahtlos in die überforderte Verteidigung ein, war insbesondere beim 2:2 viel zu passiv und verlor ganze 16 Mal den Ball. Defensiv war er keine große Hilfe. Er wird auf einen stabilen Abwehrverbund angewiesen sein.

Lucas Tousart erzielte eines der Tore, die wir verstärkt von der Mannschaft sehen wollen. Auch mal einen Schuss aus der zweiten Reihe wagen. Allgemein wirkt er weiterhin wie ein Antreiber, der ein Spiel an sich reißen möchte. Weniger mit Kreativität, vor allem mit Kampf und Leidenschaft. Er hat das Potential, Führungsspieler zu werden, Verantwortung im Elfmeterschießen anzunehmen, wäre der nächste große Schritt gewesen.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Ivan Sunjic wirkte in seinem ersten Spiel wie ein echter Stabilisator, der nicht nur seinen Mitspielern den Rücken freihielt, sondern zusätzlich viele Bälle forderte, intelligente Spielzüge einleitete und allgemein recht gut im Team angekommen zu sein scheint. Wie gut er diese Leistung bei den kommenden und schwereren Gegnern bestätigen kann, wird sich zeigen.

Stevan Jovetic macht Spaß. Gegen Braunschweig zeigte er wieder einmal seine Klasse am Ball und seine Spielintelligenz. Wenn er fit ist kann er dem Spiel der Hertha extrem guttun. Schön anzusehen war dabei seine Vorlage zum 4:3 auf Dodi Lukebakio.

Trotz ähnlicher Vorzeichen: Das war nicht „Typisch Hertha“

Nach drei Jahren Achterbahnfahrt sind die Nerven der Fans vollkommen verständlich maximal strapaziert. Doch man muss dem Team Zeit geben, sich zu finden und die Automatismen einzustudieren. Diese Niederlage ist nicht „Typisch Hertha“. Das Spiel verlief unglücklich, offenbarte eiskalt die Schwächen, die diese unfertige Mannschaft noch hat, doch ließ insbesondere in der Offensive aufblitzen, was möglich sein könnte. Mit Wilfried Kanga kommt nun ein Neuzugang für den Sturm dazu. Möglicherweise ein weiteres Puzzleteil, welches für die nötige Stabilität sorgen kann. Die vielen Einzelteile müssen greifen, Marvin Plattenhardt in seine Rolle wachsen. Marco Richter wird bald zurück im Training sein und kann eine wichtige Option für die Offensive werden.

Eine Ausscheiden aus dem Pokal in der 1. Runde ist ärgerlich, schade und ein deutlicher Stimmungskiller, doch man sollte es abhaken, analysieren, draus lernen und sich nun mit voller Konzentration der Bundesliga widmen. Die spielen zu dürfen, sollte nach dem Relegationsdrama Motivation genug sein. Die Ohrfeige von Eintracht Braunschweig kommt wahrscheinlich zum besten Zeitpunkt. Die Sinne sind geschärft, die Karten neu gemischt und die Bundesliga beginnt mit dem Kracher in Köpenick. Lasst uns mit Freude und dem Glauben an einen Sieg in dieses Spiel gehen. Auch Union konnte sich beim Pokalspiel in Chemnitz nicht mit Ruhm bekleckern und scheint noch einige Baustellen zu haben. Freuen wir uns auf das erste der zwei wichtigsten Spiele der Saison.

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)

Immer wieder die Flügelspieler: die Hertha-Dauerbaustelle

Immer wieder die Flügelspieler: die Hertha-Dauerbaustelle

Es stimmt: Im modernen Fußball sind feste Positionen auf dem Spielfeld nicht mehr so wichtig wie früher. Alles verläuft „fließend“, Spieler verschieben je nach Spielsituation ohnehin ständig, vielseitige Spieler werden wichtiger. Trotzdem muss man bei Hertha BSC feststellen: die offensive Flügelspieler-Position ist eine Dauerbaustelle. Gefühlt eine Ewigkeit ist es her, dass die „alte Dame“ auf der linken und rechten Außenbahn keinerlei Probleme hatte. Wie die aktuelle Lage ist und welche Hoffnungen man sich für die nächste Saison machen kann, wollen wir uns genauer anschauen.

Altbekannte Problematik – kaum Lösungen

Doch wann hatte Hertha BSC zuletzt eine wirklich gut besetzte offensive Außenbahn? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten: die meisten würden Namen wie Salomon Kalou und Valentino Lazaro nennen. Andere würden sogar noch weiter zurück in die Vergangenheit blicken und Bart Goor und Sebastian Deisler nennen.

Worauf sich alle einigen können: die Problematik der offensiven Flügelspieler schleppt die „alte Dame“ bereits seit einigen Jahren mit sich. Insbesondere die Anzahl der gelernten offensiven Außenbahnspielern im Kader nahm mit den Spielzeiten zuletzt immer weiter ab. In der Saison 2019/2020 hatte Hertha u.a. mit Kalou, Dilrosun oder Lukebakio immerhin sechs solcher Spieler im Kader. 2020/2021 waren es zu Saisonende nur noch vier, in der Hinrunde 2021/2022 sogar nur noch drei (Maolida, Richter und Jastrzembski).

(Foto: Michael Sohn/POOL/AFP via Getty Images)

Die negativen Auswirkungen dieser komplizierten Kadersituation spürte man spätestens in der Saison 2020/21. „Notlösungen“ waren Alltag: Matheus Cunha, der eigentlich zentraler agiert, wurde immer wieder als Außenspieler eingesetzt. Auch der eigentlich bereits abgeschriebene Matthew Leckie bekam wieder Einsatzminuten, weil der eigentlich gesetzte Dodi Lukebakio zu oft unmotiviert über den Platz spazierte. Nemanja Radonjic kam als Leihspieler im Winter und konnte gegen Saisonende immerhin einige Scorerpunkte sammeln, wurde jedoch im Sommer nicht fest verpflichtet.

Hertha-Transfers in 21/22

So wurde die Saison 2021/2022 in Sachen Qualität auf den Außenbahnen zum neuen Tiefpunkt. Mit Radonjic, Leckie und Cunha verließen drei Optionen für die offensive Außenbahn den Verein. Fredi Bobic gab zusätzlich noch die enttäuschenden Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio ab, holte dafür lediglich Marco Richter und Myziane Maolida. Die Knappheit auf diesen Positionen verstärkte sich also nochmal.

Zudem konnten beide Neuzugänge nicht voll überzeugen. Marco Richter zeigte immerhin phasenweise starke Einsätze, mit Höhepunkten wie zum Beispiel sein Doppelpack im Heimsieg gegen Borussia Dortmund. Er erzielte fünf Tore, allerdings ausschließlich in der Hinrunde. In der Rückrunde hatte er deutlich größere Schwierigkeiten, litt sicherlich auch unter der allgemein sehr schwachen Mannschaftsperformance. In dieser Phase konnte er sich zu selten durchsetzen, verlor viele Bälle und war kein entscheidender Faktor mehr.

(Foto: Daniel Kopatsch/Getty Images)

Maolida hingegen hatte bis auf seinen Treffer im ersten Einsatz in Bochum kaum gute Momente und war nicht die erhoffte Verstärkung. Auch der im Winter hinzugeholte Dong-Jun Lee konnte nicht helfen. Der Südkoreaner wurde zwar von Cheftrainer Tayfun Korkut im allerersten Spiel noch reingeworfen, zeigte sich aber sichtlich überfordert mit dem Niveau in der Bundesliga, verletzte sich auch recht früh und spielte insgesamt nur 116 Minuten.

Keine Flexibilität – Herthas Taktik begrenzt

Dazu kamen Covid-19 Erkrankungen, Verletzungen und Sperren. So gab es einige Spiele, in denen Herthas Trainerteam auf den Außen besonders kreativ aufstellen musste. Im Heimsieg gegen den VfB Stuttgart am 31. Spieltag war lediglich der Jugendspieler Anton Kade, ansonsten kein einziger gelernter offensiver Außenbahnspieler im Kader.

Herthas Cheftrainer setzten immer wieder Spieler wie Serdar als Außenbahnspieler ein, stellten zentrale Mittelfeldspieler wie Vladimir Darida oder Lucas Tousart auf die rechte Außenbahn. Am Ende konnte jedoch keine Variante besonders überzeugen. Diese Schwäche konnte also im Laufe der Saison nie behoben werden. Dadurch war die „alte Dame“ in ihrer Taktik stark eingeschränkt. Sowohl im Spielsystem als auch in der Umsetzung des Spielplans war das Team kaum flexibel, weil die Außenbahnen nur suboptimal besetzt werden konnten.

Ob sich die Blau-Weißen für die nächste Saison nun besser aufstellen können, ist fraglich. Aktuell hat man mit den Leihrückkehrern und Kaderspielern für die offensive Außenbahn sechs Spieler. Auf Marco Richter kann Hertha sicherlich setzen. Er besitzt genug Qualität und Erfahrung für die Bundesliga, konnte sich vergangene Saison einspielen und da bereits einige Treffer erzielen.

Kann Hertha auf die Rückkehrer setzen?

Myziane Maolida hingegen wird sich wesentlich steigern müssen, um eine gute Option für die Startelf zu werden. Es bleibt die Hoffnung, dass er nach einer schwierigen ersten Saison, ähnlich wie sein Landsmann Lucas Tousart doch noch zu der erhofften Verstärkung wird. Ähnliches gilt bei Dong-Jun Lee, den man nicht zu früh abschreiben sollte.

(Foto: Romain Perrocheau/AFP via Getty Images)

Der nur 24-jährige Javairo Dilrosun erlebte eine schlimme Saison bei Absteiger Bordeaux, konnte aber in der Schlussphase der Saison nochmal aufdrehen. Ob er aber eine wirkliche Option für das Team von Sandro Schwarz wird, ist fraglich. Dodi Lukebakio hingegen wird höchstwahrscheinlich abgegeben werden: der Belgier hat nicht nur in seiner Leihe beim VfL Wolfsburg enttäuscht, sein Gehalt wird Hertha wohl nicht eine weitere Saison stemmen wollen, beziehungsweise können.

Kélian Nsona ist schließlich eine absolute Wundertüte. Der junge Mann hat bisher noch keine Spielminute für Hertha BSC bestritten und ist sportlich klar als Neuzugang zu bewerten. Er wird jedoch auch unabhängig von seiner Fitness Zeit brauchen, um auf Bundesliga-Niveau zu kommen. Auf seinen Schultern sollte man also nicht zu viele Hoffnungen legen.

Fazit:

Die Kadersituation (über die wir auch ausführlich in unserer letzten Podcast-Folge sprechen!) wird sich in den nächsten Wochen und Monaten noch signifikant verändern. Zwar hat Hertha aktuell auf dem Papier genug offensive Außenspieler. Diese bringen jedoch so viele Fragezeichen und Unsicherheiten mit, dass es erneut keine klare Lösung des Problems auf dieser Position darstellt. Auf dem Transfermarkt wird Hertha aber nur begrenzte Möglichkeiten haben. Die finanzielle Lage ist bekannt, man wird auf ablösefreie Spieler oder auf Leihgeschäfte hoffen müssen.

Eines ist klar: eine Saison wie die letzte, mit einer so großen Lücke im System, sollte sich Hertha nicht erlauben. Am Ende könnte aber wie auch bei anderen Baustellen im Kader die Antwort sein: man muss sie als Mannschaft lösen. Sollten Sandro Schwarz und sein Trainerteam es schaffen, aus diesen Spielern ein echtes Team zu bilden, wird die Außenbahnproblematik nicht mehr so schwer wiegen. Wenn dann sogar der eine oder andere Spieler zu seiner Form findet und über mehrere Spiele hinweg überzeugt, könnte sich das Blatt auch endlich wieder wenden. Es wäre nämlich auch langsam Zeit für neue Helden.

(Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images)

 

Herthaner im Fokus: Bittere Heimpleite gegen Wolfsburg

Herthaner im Fokus: Bittere Heimpleite gegen Wolfsburg

Täglich grüßt das Murmeltier. Im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg ließ Hertha BSC viele Parallelen zum Saisonauftakt in Köln erkennen. Erneut gingen die Berliner in Führung, erneut verspielten sie diese wieder und verloren sogar. Erneut konnte die Mannschaft nicht viel länger als 30 Minuten wirklich überzeugen. Die 1:2-Niederlage zeigte auf, dass noch viel zu tun ist – in der Arbeit mit der Mannschaft als auch in der Kaderplanung.

Wir haben bei der bitteren Heimpleite vor 18.000 Zuschauer:innen wie immer auf die Leistungen einzelner Herthaner geblickt.

Dodi Lukebakio – Herthas Bester gegen Wolfsburg

Wie bei der Bewertung eines Schulreferates fangen wir mal bei den guten Dingen an. Denn: Dodi Lukebakio zeigte gegen Wolfsburg seine beste Leistung in einem Hertha-Pflichtspiel seit längerer Zeit. Wenn für die Hausherren offensiv etwas ging, dann über den Belgier.

Hertha und der VfL Wolfsburg lieferten sich im ersten Durchgang ein äußerst dröges Kräftemessen. Die “Wölfe” waren auf Spielkontrolle aus, fanden aber den Schlüssel nicht, die Berliner Defensive zu knacken. Hertha hingegen war sehr darauf bedacht, zunächst einmal sehr diszipliniert gegen den Ball zu arbeiten. Dadurch ergaben sich wenige spielerische Glanzmomente. Das nun wieder mit Fans bestückte Olympiastadion erhob sich meist nur, wenn Lukebakio am Ball war. In der ersten Halbzeit konnte er zwar auch noch nicht vollständig glänzen, doch mit ein bis zwei Aktionen zeigte er mehr, als der Rest seiner Mannschaft zusammen. Immer wieder ging der Belgier mutig ins Dribbling, versuchte sich auch an (sehr glücklosen) Abschlüssen. In einer Szene setzte er sich mit einer überraschenden Beschleunigung rechts auf dem Flügel durch, spielte sich bis in den Strafraum vor, doch seine Hereingabe fand keinen Abnehmer.

Hertha Wolfsburg
Foto: xSebastianxRäppoldx/xMatthiasxKochx

Vor allem im zweiten Durchgang sollte der Stern Lukebakios aufgehen. Von der ersten Minute an wirkte der 23-Jährige wie aufgedreht. Nahezu jede Offensivaktion lief über den Flügelspieler. Darüber hinaus sah man Lukebakio so engagiert gegen den Ball arbeiten wie selten zuvor. Immer wieder sprintete er mit in die Defensive, um dort die Bälle zu erobern. In der Phase zwischen der 45. und 65. Minute war es das Spiel des Dodi Lukebakio. Dieser holte in der 58. Minute den Foulelfmeter heraus, welchen er selbst souverän zum 1:0 verwandelte. Neben der individuellen Klasse, die man Lukebakio nie absprechen würde, stimmte in dieser Phase auch die Einstellung – und dann ist er eben ein sehr guter Fußballer.

Mit dem Bruch im Herthaner Spiel rund um 70 Minute herum wurde auch Lukebakios Spiel immer blasser. An der Niederlage konnte er nichts mehr ändern. Dennoch war es eine mehr als überzeugender Auftritt. Trainer Pal Dardai sagte nach dem Spiel: “Wenn alle so spielen wie Dodi, können wir mit Champions-League-Teams mithalten.”

Dedryck Boyata – Der Kapitän übernimmt wieder das Steuer

Positiv kann bei Dedryck Boyata weitergemacht werden. Herthas Kapitän feierte gegen Wolfsburg sein Saisondebüt, stand aus der Kalten direkt in der Startelf. So ist es nicht selbstverständlich, welch gutes Comeback der Belgier am Samstag hinlegte.

Pal Dardai versprach sich von der Startelfnominierung Boyatas mehr Stabilität für die Berliner Defensive, die gegen Köln teils vogelwild agierte. Von der ersten Minute versprühte der 30-jährige Innenverteidiger eben jene Sicherheit, er brauchte keine Anlaufszeit. Quasi mit der ersten Aktion ließ Boyata den heranpreschenden Wout Weghorst mit einer einfachen Finte aussteigen und spielte den Ball anschließend cool zu IV-Partner Niklas Stark. Im Spielaufbau steht der A-Nationalspieler zwar nicht für die spektakulären Bälle, aber Fehler leistet er sich hingegen auch beinahe nie. 97,3 Prozent seiner Pässe kamen beim Mitspieler an – die beste Quote aller Feldspieler in diesem Spiel! Mit seiner immensen Passsicherheit tat er dem Mannschaftsgebilde sichtlich gut.

Hertha Wolfsburg
Foto: IMAGO

Vor allem aber seine Lufthoheit war ein Faustpfand. Immer wieder suchte Wolfsburg seinen hochgewachsenen Stürmer mit Flanken oder versuchte mit Standards für Gefahr zu sorgen. Boyata verteidigte eben jene Hereingaben mit einer beeindruckenden Verlässlichkeit. Ecke um Ecke, Flanke um Flanke wurden aus dem Berliner Strafraum geköpft – am Ende der Partie hatte Boyata starke sechs Bälle geklärt, so viele wie sonst niemand.

Auch Boyata sah beim 1:1-Gegentreffer nicht ideal aus, allerdings sah man, dass er in der Szene einen Elfmeter verhindern wollte und Torschütze Ridle Baku nach außen drängte, um den Schusswinkel zu verschlechtern. Torhüter Alexander Schwolow hätte den Ball am kurzen Pfosten parieren müssen, dann wäre wohl auch nicht über Boyata geredet worden. Insgesamt kann man also von einem wirklich gelungenem Comeback des Hertha-Kapitäns reden.

Marvin Plattenhardt – Es war mehr drin

Manchmal bemisst sich die Beurteilung einer Leistung auch danach, was der Spieler nicht gemacht hat. So auch bei Marvin Plattenhardt, der am Samstag sehr viel Platz sehr ungenutzt ließ.

Es ist die 52. Minute. Hertha hat einen Freistoß aus sehr aussichtsreicher Position zugesprochen bekommen: Direkt vor dem Sechszehner, aber doch soweit entfernt, als dass man den Ball noch über die Mauer bekommt. Wer wird antreten? Vielleicht einer der Neuzugänge, Serdar oder Jovetic? Nein, Plattenhardt nimmt sich der Aufgabe an. Einst galt er als einer der besten Freistoßschützen der Liga, der letzte Treffer dieser Art liegt aber schon lange zurück. Am 11. März 2017 erzielte Plattenhardt gegen den BVB sein letztes direktes Freistoßtor – über vier Jahre sind seitdem vergangen. Aber vielleicht wird es ja jetzt etwas. “Platte” nimmt Anlauf, schießt, vielversprechende Flugkurve, doch der Ball bleibt in der Mauer hängen.

Foto: xSebastianxRäppoldx/xMatthiasxKochx

Diese Szene steht ein wenig stellvertretend für das Potenzial, dass Plattenhardt in diesem Spiel liegen ließ. Gemeint ist damit: Während Wolfsburg das Zentrum komplett dicht machte, wurde Hertha auf den Außenbahnen hingegen auffällig viel Platz gelassen. Vor allem auf der Wolfsburger rechten Seite ergaben sich immer wieder große Lücken, da Baku und Kevin Mbabu sehr offensiv agierten. So ergab sich regelmäßig die Möglichkeit, in eben jene freien Räume zu stoßen. Plattenhardt war zwar oft dort zu finden, doch ließ die vielen Möglichkeiten stets liegen. Viel zu selten versuchte der Linksverteidiger, auch mal in den Strafraum zu ziehen, um den Rückraum zu finden. Stattdessen flog eine Flanke nach der anderen in den Wolfsburger Strafraum, die ein so großgewachsenes IV-Duo wie John Anthony Brooks und Maxcence Lacroix vor keine Herausforderungen stellten. Zwei der insgesamt elf (!) Hereingaben Plattenhardts fanden einen Abnehmer.

Plattenhardts Offensivspiel am Samstag lässt sich mit dem Wort “schade” wohl am besten beschreiben. Es wäre sehr viel mehr drin gewesen, hätte er den Platz zu nutzen gewusst, den ihm Wolfsburg bot. Defensiv hatte er immer wieder kleinere Probleme mit dem Baku-Mbabu-Gespann, er ließ jedoch nichts sonderlich Gefährliches zu. Defensiv solide, so wie meistens, agierte der 29-Jährige. Zusammenfassend war es zwar keine auffällig schlechte Partie Plattenhardts, aber sie hätte eben so viel besser sein können. Und hier stellt sich dann schon die Qualitätsfrage, da es wahrlich nicht sein erster Auftritt dieser Art war. “Platte” fehlen oftmals Kreativität und Druck in seinen Aktionen – Hertha-Wolfsburg war ein gutes Beispiel dafür.

Suat Serdar – Auf der Doppelsechs verschenkt

Auf kaum einen Spieler freuten sich die Hertha-Fans vor dieser Saison so sehr wie auf Suat Serdar. Der Neuzugang hatte eine herausragende Vorbereitung gespielt, mit starken Spielen und phänomenalen Toren auf sich aufmerksam gemacht. Serdar schien das fehlende Puzzleteil im Hertha-Mittelfeld zu sein. Nach zwei Ligaspielen ist von dieser Anfangseuphorie nur noch wenig übrig.

Dabei kann der Ex-Schalker dafür womöglich sogar nur wenig. Wie schon im Spiel gegen Köln – wo er als Rechtsaußen ran musste – wurde Serdar gegen Wolfsburg auf einer ungewohnten Position eingesetzt. Um das Pressingverhalten zu verbessern, wurde Kevin-Prince Boateng von Dardai nach vorne gezogen, sodass im 4-2-3-1 agiert wurde. Serdar rutschte dafür auf die Doppelsechs, neben Santiago Ascacibar. Eine Rolle, die dem 24-Jährigen augenscheinlich nicht liegt.

Foto: xSebastianxRäppoldx/xMatthiasxKochx

“Ihn beraubte die tiefe Position seiner größten Stärken: Weil er das Spiel selbst eröffnen musste, konnte er weder seine Dynamik noch seine Drehungen in den freien Raum ausspielen. Warum Dardai stattdessen nicht Lucas Tousart aufbot, der gerne viel Feld vor sich hat, bleibt sein Geheimnis”, schrieb Till Oppermann in seinem Artikel zum Spiel für den rbb. Damit hat der werte Kollege das Hauptproblem perfekt erkannt. Serdar fehlte als reiner Sechser komplett die Tiefe und Vertikalität im Spiel – Eigenschaften, die ihn erst so stark und nützlich machen.

Serdars Positionierung war wohl einer der Hauptgründe, weshalb Hertha das Zentrum völlig aufgab und Wolfsburg das Spiel dadurch dominierte. Einzig in der großen Drangphase, die erste Viertelstunde der zweiten Halbzeit, konnte Serdar etwas von seinem Potenzial aufblitzen lassen. Ihn zog es immer wieder vor und in den Strafraum, er eroberte Bälle sehr früh, sicherte sie oder zog Fouls. Vor und nach dieser Phase war jedoch nur noch wenig von Serdar zu sehen. Man kann eigentlich nur dafür plädieren, den Neuzugang endlich auf seiner Paraderolle, der Achter-Position, einzusetzen. Mit dem vermeintlichen Ausfall von Boateng (gute Besserung!) hat Dardai wohl gar keine andere Wahl.

Und dann waren da noch …

Davie Selke: Mit Selke hat Dardai sein “Mentalitätsmonster” zurück. Der Mittelstürmer zeigte sogleich die Eigenschaften, die man an ihm so schätzt. Er kämpfte, presste und lief unermüdlich. Immer wieder rieb sich Selke in Zweikämpfen auf, erhob es beinahe zu einer Kunst, wie man möglichst viele Fouls ziehen kann. Mit dieser Art half er seinem Team in jedem Fall, sein Feuer überträgt sich nun einmal. In seiner Kerndisziplin, dem Toreschießen, konnte Selke jedoch nicht glänzen. Gegen Brooks und Lacroix hatte der recht alleingelassene Stürmer nur wenig Schnitte, kaum Bälle kamen bei ihm an. Ein einziger Torschuss belegt dieses Bild.

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Stevan Jovetic: Seien es Testspiele, die Pokalpartie in Meppen oder die ersten beiden Liga-Auftritte – Jovetic hatte bislang jeder Partie seinen Stempel aufgedrückt. So auch gegen Wolfsburg, als er kurz vor der Halbzeitpause für den verletzten Boateng in die Partie kam. Nach der Pause war Jovetic einer der Hauptgründe für Herthas beste Phase. Mit großer Übersicht und starkem Zug zum Tor war der 31-Jährige überaus präsent. In der 49. Minute zwang Jovetic Wolfsburgs Casteels zur Parade, hinzukamen ein weiterer Abschluss und zwei Torschussvorlagen. Jovetic macht bislang Spaß.

Fazit: Ja, ist denn schon wieder letzte Saison?

In Kombination mit dem Auftritt in Köln wirft das Wolfsburg-Spiel gravierende Fragen für Hertha auf. Wieso kann die Mannschaft nur maximal 30 Minuten eine stabile, gute Leistung zeigen? Warum bricht das Team immer wieder unerklärlicherweise zusammen? Wieso schlägt sich Hertha regelmäßig selbst?

Fragen, die von außen kaum beantwortet werden können. Dass das Team zu gutem Fußball in der Lage ist, wurde in der Vorbereitung, in Meppen, Köln und auch gegen Wolfsburg phasenweise bewiesen. Doch scheitert das Team aktuell schon daran, eine Konstanz über 90 Minuten aufzubauen. Womöglich hängen die letzten zwei Horror-Saisons noch immer in den Knochen und sobald man führt, ist die Angst zu verlieren größer als der Hunger, das zweite Tor zu schießen.

Zudem ist spürbar, dass die Saison bislang noch eine Operation am offenen Herzen ist. Der Kader ist noch nicht fertiggestellt, viele Baustellen und Fragezeichen begleiten ihn. Die Situation rund um Cunha macht die Lage nicht entspannter, zudem ist offensichtlich, dass es z.B. an Flügelspielern noch dringend fehlt. Hertha kommt nicht zur Ruhe, ein guter Saisonstart hätte hier Abhilfe leisten können. So werden es wohl sehr anstrengende Wochen – Druck ist auf jeden Fall da. Als nächstes wartet der FC Bayern, mit dann womöglich null Punkten aus drei Spielen muss gegen Bochum und Fürth gewonnen werden. Eine Situation, die man hätte vermeiden wollen und können.

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Herthaner im Fokus: Ernüchternde Auftaktniederlage in Köln

Herthaner im Fokus: Ernüchternde Auftaktniederlage in Köln

Hertha BSC ist mit einer 1:3-Niederlage gegen den 1.FC Köln in die neue Bundesliga-Saison gestartet. Nach etwa 20 Minuten hat das Team von Trainer Pal Dardai quasi das Fußballspielen eingestellt und Eigenschaften gezeigt, die Hertha in der vergangenen Saison zu einem Abstiegskandidaten machten: fehlender Siegeswille, mangelnder Zusammenhalt, schlechtes Zweikampfverhalten sowie ein unkreatives Offensivverhalten.

Baumgart-Elf schlägt Hertha mit hoher Intensität

Nach der vergangenen Saison trennte Hertha und Köln nicht viel: Die Domstädter gingen mit 33 Zählern in die Relegation, Hertha rette sich mit 35 Punkten. Für beide Vereine war also klar, dass etwas passieren muss, um nicht noch eine Zittersaison zu erleben. Knapp drei Monate hatten beide Vereine für diese Umstellungen, bevor sie am heutigen Sonntagabend am 1. Spieltag der neuen Saison aufeinandertreffen sollten.

Köln hat bislang keinen bezahlten Neueinkauf getätigt und einen fast unveränderten Kader – mit Steffen Baumgart allerdings einen neuen Trainer verpflichtet. Hertha hat mal wieder einiges umgestellt, insbesondere im offensiven Bereich Spieler abgegeben und schon zum jetzigen Zeitpunkt mehr als 15 Millionen Euro in Neuverpflichtungen investiert. Kurzum: Während Köln an seinen Kader glaubt und mit Steffen Baumgart insbesondere an der Mentalität des Teams schmieden will, hat Hertha weiter am Personal herumgebastelt.

hertha köln
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Nach dem Aufeinandertreffen beider Teams bleibt festzuhalten, dass die Kölner mit ihrer Strategie bislang deutlich besser gefahren sind. Trotz einer laut Pal Dardai nahezu perfekten Vorbereitung ist Hertha leider keinen Schritt weiter als im Mai. Ganz im Gegenteil: Die heutige Leistung erinnert an Tiefpunkte aus der vergangenen Saison. Das liegt auch an teilweise wirklich schlechten Einzelleistungen.

Matheus Cunha – Das Verfallen in alte Muster

Derzeit vergeht fast kein Tag, an dem der Brasilianer nicht mit irgendeinem europäischen Top-Club in Verbindung gebracht wird. Nach dem Gewinn der olympischen Goldmedaille hatte in der Tat kaum noch jemand damit gerechnet, dass Cunha überhaupt nochmal zurückkehrt nach Berlin. Umso überraschender war es, ihn heute in der Startelf zu sehen.

Leider stand Cunha im heutigen Köln-Spiel quasi sinnbildlich für das, was Hertha insgesamt zeigte: Ein engagiertes Auftreten im ersten Spieldrittel, dem ein Einstellen des Spielbetriebs folgte. Cunha begann furios, bekam einige kluge Bälle von Kevin-Prince Boateng durchgesteckt und funktionierte sehr gut im Zusammenspiel mit Stevan Jovetic und Suat Serdar. Das 1:0 hätte der Brasilianer per Kopf fast selbst erzielt, Kölns Keeper Horn konnte den Ball nur mit viel Not ablenken.

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Aber was ist dann passiert? Wie in seinen schlechtesten Spielen in der letzten Saison fiel Cunha nur noch durch Schwalben und halbherzig gefühlte Zweikämpfe auf. TV-Analyst und Ex-Fußballer Erik Meijer äffte Cunha nach dem Spiel in gewohnt provakanter Manier nach: Cunha hatte einen wichtigen Zweikampf gegen Kainz verloren und blieb sekundenlang auf dem Boden sitzen, beschwerte sich händeringend, während Kainz sich auf dem Weg zum Tor machte.

Wenn der Brasilianer in Berlin bleibt, sollte er endlich seine Bedeutung für diese Mannschaft verstehen. Er ist das offensive Gehirn Herthas, spätestens mit dem Gewinn der Goldmedaille ist Cunha auch Vorbild für jüngere Spieler. Meckern, hadern und über den Platz schlendern steckt an – im negativen Sinne.

Petr Pekarik – Große Überforderung

Leider eine extrem schlechte Leistung von Herthas Rechtsverteidiger. Pekarik wurde unzählige Male überlaufen, schätzte lange Bälle falsch ein, verlor wichtige Zweikämpfe an der Außenlinie und ließ somit zu, dass Köln nach Herthas Führung über die linke Angriffsseite mehrere gefährliche Flanken in den Strafraum brachte.

Das 1:1 durch Modeste hätte wegen eines Fouls an Marton Dardai wahrscheinlich nicht gegeben werden dürfen, die Flanke vorher war aber ein gutes Beispiel dafür, dass Pekarik über seine Seite einfach zu viel zuließ. Auch das 2:1 fiel über die Seite des slowakischen Nationalspielers. Nachdem Keeper Schwolow den Ball auf Pekariks Seite abfälschte, konnte Kainz problemlos und unbewacht einköpfen.

hertha köln
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Sicherlich hatte Pekarik auch damit zu kämpfen, dass Herthas Mittelfeldraute wenig abgestimmt wirkte und er somit quasi keinerlei Unterstützung auf dem Flügel bekam. Dennoch hatte der 34-Jährige einen rabenschwarzen Tag erwischt. Seine Auswechslung für Deyovaisio Zeefuik wirkte wie eine Erlösung.

Lucas Tousart – Weiterhin kaum Impulse

Mit 25 Millionen Euro ist Lucas Tousart weiterhin der teuerste Neueinkauf in Herthas Transfer-Geschichte. Bis heute hat Tousart es aber nicht geschafft, dem Hertha-Spiel seinen Stempel aufzudrücken.

Herthas neuer Ballverteiler und Gegenangriff-Verhinderer zugleich sollte Tousart werden, das Hertha-Team der Zukunft sollte um den Franzosen herum aufgebaut werden. Tousart wird dieser ihm zugeschriebenen Rolle bislang in keiner Weise gerecht. Ein einziges Mal mischte sich Tousart am heutigen Abend in die Offensive ein, sein Torschuss verpuffte harmlos. Sicherlich führt er viele wichtige Zweikämpfe – auch im eigenen Strafraum – und hilft somit in der Innenverteidigung aus.

hertha köln
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Aber Tousart müsste der Ausgangspunkt für Herthas Umschaltspiel sein, die Außenspieler in Szene setzen, öffnende Bälle spielen und noch viel wichtiger: die Mannschaft auch als Persönlichkeit antreiben. Nach einem Jahr Mannschaftszugehörigkeit darf er diese Eigenschaft gerne bald zeigen.

Und dann waren da noch …

Stevan Jovetic – Einer der wenigen Hoffnungspunkte in Herthas neuem Kader. Man merkt einfach, wie viel Spielerfahrung Stevan Jovetic mitbringt. Dass Jovetic beim 1:0 genau da steht, wo der Abpraller hinkommt, ist kein Zufall. Herthas Neueinkauf sieht Lücken in der gegnerischen Abwehr und weiß diese auch kreativ zu nutzen – entweder durch schöne, öffnende Bälle oder durch tiefe Laufwege. Leider ließ auch Jovetic sich aber anstecken von der sich breit machenden Uninspiriertheit.

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Dodi Lukébakio – Als seine Mannschaftskameraden das Spiel schon verloren gegeben hatten, kam Dodi Lukébakio ins Spiel. Lukébakio brachte noch einmal ein wenig Schwung in Herthas Offensive, traute sich mehr zu, ging auch mal in direkte Duelle. Aber auch bei Lukébakio fehlte die letzte Überzeugung. Freistehend vor dem Tor köpfte der Belgier über die Latte und auch er konnte nicht in die letzte, gefährliche Zone vordringen.

Fazit: Ein Schritt zurück

Man benötigt keine großen, wissenschaftlichen Ansätze, um eine Schlussfolgerung aus diesem Spiel zu ziehen. Hertha war in fast allen Belangen (Zweikampfquote, Passquote, gelaufene Kilometer, etc.) schlechter als Köln – obwohl das Team von Pal Dardai nominell sehr gut besetzt war und sogar 1:0 führte. Dass man eine verdient erzielte Führung so leichtfertig aus der Hand gibt, passiert Hertha nicht das erste Mal und ist eigentlich ein Beweis dafür, dass das Team weiterhin vor allem eines braucht: Willenskraft.

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