Neue Saison, neuer Trainer, neues Glück. Nach dem Tanz auf der Rasierklinge und spät gelungenen Klassenerhalt in der vergangenen Saison soll in der kommenden Spielzeit alles anders werden. Auf seiner Antritts-Pressekonferenz hat sich der künftige Cheftrainer von Hertha BSC, Sandro Schwarz, gemeinsam mit Geschäftsführer Fredi Bobic den Medien gestellt. Und dabei einen guten ersten Eindruck hinterlassen.
Unser Artikel zum Startschuss der Sommervorbereitung.
Eine bewegte jüngere Vergangenheit – auf beiden Seiten
Wenn man die Erlebnisse der letzten Wochen und Monate von Sandro Schwarz und Hertha BSC mit einem gemeinsamen Wort beschreiben müsste, wäre „intensiv“ vermutlich eine ziemlich gute Wahl. Während der Hauptstadtklub in den letzten drei Jahren von einer Chaossaison in die andere taumelte, erlebte Schwarz ein ganz persönliches Abenteuer mit Höhen und Tiefen. Im Herbst 2020 hat er mitten zur Corona-Hochzeit in Russland bei Dinamo Moskau angeheuert und dort eine Mannschaft aus dem Tabellenmittelfeld der Liga zu einem Spitzenteam geformt. Mit Start des unsäglichen Angriffskrieges in der Ukraine begann eine emotional schwierige Zeit für Schwarz, er entschied sich jedoch bis Saisonende bei seiner Mannschaft zu bleiben.
Seit Anfang Juni war dann klar, dass Sandro Schwarz neuer Cheftrainer bei Hertha wird. Zu Beginn kritisch beäugt, kristallisierte sich relativ schnell heraus, dass er womöglich genau der Trainer sein kann, den die krisengebeutelten Blau-Weißen gebrauchen können. „Ich freue mich jetzt hier zu sein und bin seit Samstag in Berlin“, stellte sich der neue Übungsleiter lächelnd und dennoch fokussiert vor. Urlaub habe er kaum gehabt, in den letzten zwei Wochen hätte es viele Gespräche mit Mitarbeitenden gegeben. Auch eine Besichtigung der Trainingsplätze und Infrastruktur auf dem Gelände rund um den Schenckendorffplatz stand schon auf dem Plan. Schwarz wirkt trotz fehlender Pause ziemlich ausgeruht, strahlt von Beginn an Zuversicht und eine gewisse Vorfreude aus.
Wunschlösung auf dem Trainerstuhl
Dass es einen Neustart auf der Trainerposition benötigt, stand schon seit längerer Zeit fest. Bereits im letzten Sommer galt Pal Dardai keinesfalls als Wunschlösung von Fredi Bobic. Dies zeigte sich in der Kommunikation von Trainer und Manager auch recht schnell öffentlich. Die anschließenden Lösungen mit Tayfun Korkut und Felix Magath waren jeweils von vornherein bis Saisonende begrenzt. Bobic bestätigte dies auf der Pressekonferenz auch noch einmal selbst: „Für mich war frühzeitig klar, dass wir nach einem neuen Trainer suchen werden.“
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Und auch wenn es mehrere Kandidaten gegeben hätte, wäre die Entwicklung wohl sehr deutlich in Richtung Schwarz gegangen. Aufgrund der Arbeit des gebürtigen Mainzers in Moskau ist Bobic sicher: „Ja, genau jetzt für diesen Zeitpunkt, für diese Situation bei Hertha BSC ist er der richtige Mann.“ Und führt weiter aus: „Ich brauche jemanden der 100 Prozent Überzeugung hat, diese nicht einfache Aufgabe hier bei der Hertha zu übernehmen.“ Zumindest überzeugt scheint Schwarz tatsächlich zu sein, laut eigener Aussage wäre er auch im Falle eines Abstiegs in die zweite Liga zum Hauptstadtklub gekommen.
Endlich ein klares Konzept
Das von Sandro Schwarz ausgerufene Saisonziel sieht auf den ersten Blick erst einmal recht ungewöhnlich aus: „Wenn unsere Zuschauer und Fans unabhängig vom Trikot sehen, dass es eine Hertha-Mannschaft ist, dann ist es eine erfolgreiche Saison.“ Bei genauerem Hinsehen ist dies jedoch genau das Ziel, welches Hertha BSC braucht. Im Vordergrund soll die sportliche Entwicklung stehen und nicht der Tabellenplatz. Realistisch betrachtet darf Europa eh keineswegs der Anspruch sein, dass man nicht absteigen darf, ergibt sich logischerweise von selbst.
Doch wie genau soll der sportliche Weg denn aussehen? Woran soll man die Mannschaft der „Alten Dame“ erkennen? „Es ist mir wichtig, dass wir sehr aktiv sind, dass wir eine sehr gute Struktur in der Arbeit gegen den Ball haben und dort auch mutig sind in unserer Verteidigung sind“, erläutert Schwarz. Nach vorne solle dann sehr zielstrebig gespielt werden. Und auch abseits des Spielerischen verfolgt der ehemalige Mainzer Coach eine klare Philosophie: „Wir wollen auch außerhalb des Platzes sehr geschlossen als Mannschaft auftreten“. Nachdem bei Hertha seit 2019 sieben verschiedene Trainer mit teils unterschiedlichen oder auch überhaupt nicht vorhandenen Konzepten tätig waren, könnte Schwarz die Grundlage für eine bessere Zukunft legen. Der konsequente Plan und die erkennbare Idee des neuen Übungsleiters sind ein elementarer Bestandteil dessen, wofür Hertha in Zukunft stehen soll.
Die Arbeitsweise von Sandro Schwarz
Um diesen Weg bestreiten zu können, wartet viel Arbeit auf den Chefcoach. Und auch dafür verfolgt er einen klaren Prozess: „Unser Anspruch ist es, vom ersten Tag sehr intensiv und fleißig zu sein. Nicht groß zu reden, sondern wirklich mit einer hohen Leistungsbereitschaft zu arbeiten.“ Zu Beginn der Sommervorbereitung stehen dabei klassischerweise die athletischen Grundlagen im Vordergrund, ehe es anschließend nach und nach an die taktischen Feinheiten geht.
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Grundsätzlich verfolgt Sandro Schwarz in seiner Arbeit einen sehr strukturierten Ansatz: „Ich bin ein sehr ordnungsliebender Mensch und ich bin der Überzeugung, dass eine gewisse Struktur Energie und Vertrauen gibt.“ Dies gelte sowohl fußballerisch als auch abseits des Feldes. Im Training sei vor allem eine hohe Wiederholungsrate der einzelnen Abläufe geplant. Dennoch will Schwarz seinen Schützlingen fußballerische Kreativität lassen und stellt klar: „Wir müssen den Jungs die Gewissheit geben wie das Spiel zu funktionieren hat, wie wir spielen wollen und dann aber auch es laufen zu lassen und die Freiheit zu geben“
Unterstützt wird er in seiner Arbeit dabei von Daniel Fischer, Volkan Bulut und Tamas Bodog, mit denen er zum Teil schon in Moskau zusammengearbeitet hat. Andres Menger und Vedad Ibisevic, über den Schwarz lobende Wort fand, sowie die bisherigen Athletiktrainer rund um Henrik Kuchno und Hendrik Vieth bleiben Hertha BSC erhalten.
Erneuter Kaderumbruch
Im Gegensatz zum Trainerteam steht der finale Kader derweil noch lange nicht fest. „Es wird wieder Zeit brauchen, bis der Kader komplett ist“, stellt Fredi Bobic klar. Der Markt sei noch relativ träge, insbesondere die Teams aus Südeuropa würden noch etwas Urlaub machen was die Kaderplanung angeht. Es ist als auch dieses Jahr damit zu rechnen, dass die Mannschaft nach Saisonbeginn im August weiter verändert wird und sich eine gewisse Unruhe dadurch nicht vermeiden lassen wird. Dass dies die Arbeit des Trainers erschwert, ist auch Bobic bewusst: „Es ist immer etwas unfair für das Trainerteam.“
Dennoch konnte der Manager heute etwas Einblick in die kommenden Transfers geben. So wird Santiago Ascacibar den Verein bei einem passenden Angebot verlassen dürfen, er wäre bereits während der Rückrunde auf Bobic zugekommen und hätte seinen Wechselwunsch für den Sommer geäußert. Auch Eduard Löwen ist momentan vom Training freigestellt, da er sich in Verhandlungen mit einem Verein befände. Auf der Torwartposition plane man fest mit Oliver Christensen als Stammspieler: „Da haben wir alle ein sehr gutes Gefühl dabei.“ Rune Jarstein ist Stand jetzt als Ersatztorhüter eingeplant, sollten dessen Fitnesswerte in den nächsten Wochen das nicht möglich machen, würde man sich gegebenenfalls auf dieser Position verstärken.
Bezüglich Kevin Prince Boateng konnte Bobic verkünden, dass dieser wohl bleiben wird, es hinge noch an ein paar vertraglichen Kleinigkeiten. Schwarz ist für einen persönliches Austausch mit Boateng sogar vor ein paar Tagen bereits einmal nach Berlin gekommen. Sein Fazit lautet: „Es war ein sehr gutes Gespräch, offen, klar und ehrlich von beiden Seiten aus und ich finde das ist eine gute Basis um weiter sehr gut zusammen zu arbeiten.“
Schwieriger Saisonstart
Dass gearbeitet werden muss, dürfte unzweifelhaft sein. Mit dem Zweitligisten Eintracht Braunschweig im DFB-Pokal und anschließenden Bundesligastart gegen den Stadtrivalen Union Berlin hätte das Auftaktprogramm knackiger kaum sein können. Angesprochen auf das Derby reagiert Schwarz mit der Aussage „Geiles Spiel“, bevor die Frage überhaupt zu Ende gestellt ist. Schon vor dem offiziellen Trainingsauftakt lebt er also vor, mit welcher Einstellung und Mentalität in Zukunft in Berlin-Charlottenburg gearbeitet werden soll.
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Gleichzeitig macht er im Laufe der Pressekonferenz mehrmals klar, dass mit Braunschweig noch vor Union ein Gegner wartet, der mitnichten ein Selbstläufer ist. Es wird das bereits dritte Duell der beiden Mannschaften während der ersten Runde des DFB-Pokals in fünf Jahren sein. Mit Blick auf die letzte Begegnung im Sommer 2020, Hertha verlor in einer denkwürdigen Partie mit 4:5, sollte jedem klar sein, dass die von Schwarz gebotene Vorsicht mehr als nur eine Plattitüde ist. Der frische Cheftrainer hat noch sechs Wochen, um die Grundlagen seines Stils in eine vom erneuten Umbruch begleitete Mannschaft einzuarbeiten. Die Aufgabe, sie könnte kaum schwerer sein und dennoch gibt es auf dem Olympiagelände zum ersten Mal seit langem so etwas wie Aufbruchstimmung. Die Saison 2022/23, sie kann kommen.
Gerade einmal einen Monat ist es her, dass die nervenaufreibende Spielzeit 2021/22 im Relegations-Rückspiel gegen den HSV ein dramatisches, aber positives Ende für Hertha fand. Und schon sind die Vorbereitungen für die neue Saison im vollen Gange. Der Spielplan ist veröffentlicht, Trainingsstart für Hertha ist kommende Woche. Fredi Bobic bastelt derweil fleißig am neuen Kader — und hat mit Jonjoe Kenny einen neuen Rechtsverteidiger gefunden.
Trent Alexander-Arnold, Reece James, Kieran Trippier, Kyle Walker — Zugegeben, wer an englische Rechtsverteidiger denkt, landet wohl kaum direkt bei Kenny. Dabei hat sich der 25-Jährige in der Bundesliga bereits einen Namen gemacht. In der Spielzeit 2019/20 war er vom FC Everton an Schalke 04 ausgeliehen, wo er 31 Bundesliga- und drei Pokalspiele bestritt.
Dabei kam Kenny auf drei Torvorlagen und zwei Tore. Zurück bei Everton, und auch per Leihe bei Celtic Glasgow, konnte sich Kenny nicht mehr langfristig als Stammspieler etablieren. Nun kommt er ablösefrei in die Hauptstadt.
Fanliebling auf Schalke
Seine Zeit auf Schalke war nicht nur wegen der hohen Einsatzzeiten die erfolgreichste in Kennys bisheriger Laufbahn. Bei den Königsblauen erfreute er sich größter Beliebtheit. Seine leidenschaftliche Art gefiel den Fans und er hatte großen Anteil am Aufschwung zum Saisonbeginn.
„Sollte es eine Möglichkeit geben, die Leihe zu verlängern, werden wir sprechen“, kündigte Schalkes damaliger Trainer David Wagner an. Doch die Bemühungen seitens S04 blieben unbelohnt, Kenny kehrte nach England zurück.
Die fünf Scorer in einer Spielzeit für Schalke stellen einen Ausreißer nach oben in Kennys Laufbahn dar. Bisher ist er wahrlich nicht durch Torgefahr in Erscheinung getreten. Seine Leistungsdaten lassen ein klares Profil erkennen.
Im Offensivspiel ist Kenny nicht zuhause, bereitete in der vergangenen Spielzeit für Everton in 15 Spielen nur ein Tor vor, erzielte kein eigenes. Durchschnittlich schlug er in 90 Minuten nur 1,33 Flanken und hatte 1,77 schusskreierende Aktionen. Auch mit durchschnittlich nur 0,8 Pässen in den Strafraum zählte er zu den Schwächsten auf seiner Position. Damit kam er auf gerade einmal 0,04 Expected Assists pro 90 Minuten.
Gegen den Ball indes sehen seine Zahlen besser aus. Zwar übte Kenny durchschnittlich nur 12,47 Mal Druck aus pro 90 Minuten (weniger als 56 Prozent der Außenverteidiger im Ligavergleich), doch gehörte mit seinen 36,2 Prozent dabei eroberten Bällen zu den Top-4 Prozent der Liga. Ebenfalls gehörte er bei den abgefangenen Pässen mit 2,83 zu den Top-7 Prozent der Liga. Ich mag es zu tacklen, zu verteidigen – aber auch, mich nach vorne einzuschalten”, beschreibt Kenny sein eigenes “aggressives” Spiel.
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Belebt den Konkurrenzkampf
Mit dem Ball sind von Kenny keine Wunder zu erwarten, doch gegen den Ball kann er sehr wertvoll werden. Allen voran, da er herausragend gut antizipiert und Bälle erobert. Zudem kommt er oft über seine hohe Schnelligkeit ins Spiel. Mit diesen Fähigkeiten könnte sehr gut in den Fußball von Herthas neuem Trainer Sandro Schwarz passen, der eine ständige Intensität und Aggressivität fordert.
Vom Profil her kann er Peter Pekarik gut ersetzen. Mit Julian Eitschberger lauert ein weiterer, talentierter Rechtsverteidiger auf Einsatzzeiten. Der Konkurrenzkampf ist eröffnet. Einzig Leihrückkehrer Deyovaisio Zeefuik scheint auf dieser Position außen vor zu sein.
Krzysztof Piatek (26) wechselt auf Leihbasis von Hertha BSC zur AC Florenz in die Serie A. Der zweitteuerste Zugang der Vereinsgeschichte verlässt den Verein damit (vorläufig) nach zwei sehr durchwachsenen Jahren – sowohl auf Vereins- als auch auf Spielerseite. Wir wollen einen Blick auf mögliche Vor- und Nachteile der Leihe werfen und einen kleinen Ausblick rund um die Personalie Piatek für den Sommer geben.
Wintertransferfenster 2020 – Eine neue Zeitrechnung brach an
Die Erwartungshaltung in jenem Moment war tatsächlich mit bloßen Händen greifbar. Eine ganz besondere Stimmung zirkulierte bei gefühlten 0° Celsius durch die für ein Freitagsspiel mit knapp 50.000 Fans durchaus gut gefüllte Schüssel des Olympiastadions. Wir schreiben den 31.01.2020, Ortszeit ca. 21:50 als Krzysztof Piatek in der 63. Minute von damaligen Cheftrainer und selbst ernannten Möchtegern-Manager Jürgen Klinsmann für Marius Wolf auf das Spielfeld geschickt wurde.
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Das Endergebnis von 0:0 gegen die in der Hinrunde der Saison noch stark aufspielenden Schalker konnte auch Piatek nicht beeinflussen, doch jeder spürte: Es hatte sich was geändert bei Hertha. Circa 80 Millionen Euro hatte der Verein für die Spieler Lucas Tousart (24), Santiago Ascacibar (24), Matheus Cunha (22) und eben Piatek bezahlt. Es waren die weltweit höchsten Ausgaben dieses Transferfenster.
Fast exakt zwei Jahre später hat sich das Kapitel des Polen bei Hertha vorerst erledigt. Es zieht ihn auf Leihbasis zurück in die Liga, in der er seinen Durchbruch geschafft hatte.
Kein Anknüpfen an alte Leistungen
In der Saison 2018/19 erzielte Piatek 19 Tore in 21 Spielen für den Genua CFC. Der damals 23-Jährige hatte sich auf die ganz große Fußballbühne geballert. Die AC Milan wurde aufmerksam und verpflichtete ihn im Winter 2019 für 35 Millionen Euro. In der Rückserie traf der „Pistolero“ auch dort noch elf Mal in ebenfalls 21 Spielen.
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Nachdem er in der Hinrunde 2019/20 deutlich abgebaut hatte (5 Tore in Spielen) verkaufte Milan den Mittelstürmer an die neureiche Hertha aus Berlin. In der Hauptstadt hatte man das Gefühl, bei den Großen angekommen zu sein. Ein Transfer in solcher Höhe von einem Topklub aus Europa ließ viele Fans träumen, eines Tages auf der gleichen Stufe wie die AC Mailand stehen zu können. Und Piatek sollte der Start sein.
Die anschließende Landung war ernüchternd: Lediglich 13 Tore (und vier Vorlagen) aus 59 Spielen im Hertha-Dress sind angesichts der gezahlten Ablöse bei Weitem zu wenig um um Europa mitspielen zu können. Im Gegenteil war es eher gerade genug um Hertha in den vergangenen beiden Spielzeiten in der Bundesliga zu halten.
Kein auf Piatek abgestimmtes Spielsystem
Dass der polnische Nationalspieler gewillt war, kann man ihm nicht absprechen. Gerade nach der schweren Verletzung zu Ende der vergangenen Saison und der dadurch komplett verpassten Sommervorbereitung kämpfte er sich durch seine Reha und legte sogar etwas an Muskelmasse zu.
Doch das Hertha-Spiel der vergangenen zwei Jahre war quasi nie auf Piatek zugeschnitten. Er ist ein klassischer „Knipser“, der durch gnadenlose Effizienz beim Torabschluss glänzt (man erinnere sich an das 3-1 Derby), jedoch nahezu gar nicht in das Herausarbeiten von Chancen eingebunden ist.
(Photo by Martin Rose/Getty Images)
Doch eben dieses Herausspielen fand bei Hertha kaum oder gar nicht statt, der Knipser verhungerte regelmäßig alleine vorne in der Box. Weder kamen Schnittstellenpässe aus dem Mittelfeld noch regnete es Flanken von Außen. Und auch wenn der „Pistolero“ rein menschlich und charakterlich äußerst sympathisch erscheint, zählen schlussendlich die Leistungen auf dem Platz.
Und spätestens in dieser Saison funktionierte selbst das reine Abschließen nur noch sehr bedingt. Als Beispiele sind die Kopfballchance gegen Frankfurt (8. Spieltag) oder die Großchance gegen Bielefeld (15. Spieltag) zu nennen. Auch wenn Piatek aus einer schweren Verletzung kam, ist das im Ergebnis leider einfach zu wenig. Der Wechsel zurück nach Italien, zur „Fiorentina“, scheint daher ein logischer Schritt zu sein, um an alte Leistungen anknüpfen zu können.
Vlahovic Nachfolger in Florenz?
In Florenz trifft Piatek auf einen der heiß gehandelsten Stürmer Europas: Dusan Vlahovic (21). Der Kroate traf diese Saison bereits 18 Mal in 21 Spielen und besitzt einen Marktwert von 70 Millionen Euro. Ein Abgang im Sommer ist extrem wahrscheinlich, im Winter zumindest möglich. Die Fiorentina spielte in dieser Saison bisher überwiegend in einem 4-3-3 mit lediglich einem zentralen Stürmer.
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Der zweite Mittelstürmer im Kader, Aleksandr Kokorin (30), kam bisher gerade mal auf vier Einsätze und damit nur zwei Prozent der möglichen Spielminuten. Es gibt somit zwei Szenarien: Entweder bleibt Vlahovic noch ein halbes Jahr, dann wird Piatek sich auch in Italien mit der Jokerrolle zufriedengeben müssen. Sollte sein Konkurrent noch im Winter wechseln könnte er Stürmer Nummer eins und Stammspieler werden.
Die AC Florenz befindet sich damit in einer komfortablen Lage. Piatek kann ein Halbjahr im Training und gegebenenfalls in Spielen begutachtet werden, man hätte einen potentiellen Ersatz für Vlahovic oder zumindest einen guten Back-Up für ihn. Passt Piatek in Verein, Umfeld und zeigt er in seinen Einsätzen gute Leistungen könnte Florenz mit der Kaufoption in Höhe kolportierten 15 Millionen Euro einen integrierten und funktionierenden Spieler verpflichten. Zündet er nicht wird er nach Berlin zurückgeschickt.
Doch auch Hertha und Piatek profitieren vom Deal.
Geldsegen für Hertha, Einsatzzeiten für Krzysztof Piatek
Mit über fünf Millionen Euro Jahresgehalt gehört Piatek zu den absoluten Topverdienern in Berlin. Ein Status, der anhand der gezeigten Leistungen kaum zu rechtfertigen ist. Da Florenz das Gehalt für ein halbes Jahr übernimmt, hat man zwischen zwei und drei Millionen Euro mehr auf dem Konto.
Geld, das durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und benötigte Spieler dringend gebraucht wird. Der polnische Nationalstürmer ist hinter Stevan Jovetic (32), Ishak Belfodil (29), Davie Selke (26) und zu Teilen Myziane Maolida (22) nur noch Stürmer Nummer vier bei Hertha. Selbst wenn Vlahovic in Florenz bleiben würde, stiege Piatek in der Hierarchie vermutlich deutlich auf und erhöht seine Chance auf Einsatzzeiten.
Ein Szenario, was sowohl sportlich für ihn selbst als auch marktwerttechnisch und somit finanziell für Hertha gut klingt. Es besteht natürlich dennoch die Gefahr, dass der Stürmer auch in Florenz nur Bankdrücker ist. Doch selbst in diesem Fall würde sich für ihn kaum etwas ändern, der Geldsegen aufgrund des eingesparten Gehalts für Hertha bleibt jedoch.
Wie sieht die Zukunft aus?
Wie geht es nach dem Abgang weiter? Sollte Hertha im Sturm nachrüsten? Diese Fragen stellen sich gerade vermutlich viele Hertha-Fans. In der aktuellen Saison wird sich wahrscheinlich vorläufig nicht viel ändern. Da Piatek ohnehin nicht zu viel Einsatzzeiten kam, wird man den Abgang sportlich vermutlich gut auffangen können.
Korkut wird in seinem 4-4-2 weiterhin auf das Duo Jovetic–Belfodil setzen und Selke einwechseln. Und selbst mit den tendenziell verletzungsanfälligen Jovetic und Belfodil hätte man mit Maolida und Marco Richter weitere Spieler, die im Sturm aushelfen können. Sofern ein zusätzlicher Rechtsaußen verpflichtet wird, wäre mit Richter sogar noch ein Spieler vorhanden, der theoretisch im Sturm spielen könnte. Zudem besteht auch die Option mit Spielern aus dem Nachwuchs wie Ruwen Werthmüller (20) oder Tony Rölke (18) nachzurüsten.
(Photo by Matthias Kern/Getty Images)
Wie es dann im Sommer mit Piatek weitergeht, steht allerdings in den Sternen. Zunächst kommt es natürlich darauf an, ob Florenz die Kaufoption zieht, eine andere Ablöse aushandelt oder Piatek nach Berlin zurückkehrt. Der Vertrag von Belfodil läuft aus, Selke soll dem Vernehmen nach verkauft werden. Mit Lukebakio und Ngankam werden zwei weitere Leihspieler zurückkehren.
Eine Aussage für den kommenden Sommer zu treffen, ist damit nahezu unmöglich. Die Karten liegen allerdings zunächst bei der AC Florenz und vor allem bei Piatek selbst. Durch gute Leistungen kann er sich ins Schaufenster spielen, die Verantwortlichen bei Florenz überzeugen und zumindest seinen Markt selbst erschaffen.
Fußballerisch hat Hertha-Neuzugang Fredrik André Bjørkan schon einiges erlebt. Der norwegische Linksverteidiger ist zwar erst 23 Jahre alt, trotzdem hat er mit seinem Heimatverein Bodø/Glimt schon fast alles durch, was der Fußball zu bieten hat: Vom Abstieg aus der Eliteserien 2016 bis zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte 2020 war Bjørkan dabei, von Spielen in der norwegischen zweiten Liga bis zu einem historischen 6:1 gegen die AS Roma und „The Special One“ José Mourinho. Zum neuen Jahr wechselt der Linksverteidiger nun zu Hertha BSC.
Endet die Plattenhardt-Ära?
Internationaler Fußball, der erste Titel seit langer Zeit, eine klare Spielphilosophie, Eigengewächse als tragende Säulen des Teams: Bodø/Glimt ist gewissermaßen dort, wo Hertha BSC gerne wäre. Der Transfer eines einzelnen Spielers aus Nord-Norwegen nach Berlin wird zwar nicht dazu führen, dass Hertha BSC im kommenden Sommer deutscher Meister wird. Und trotzdem, Fredrik André Bjørkan bringt das Potenzial mit, den Verein zumindest auf der Linksverteidiger-Position entscheidend voranzubringen.
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)
In den vergangenen Jahren gab es bei Hertha kaum eine Position, die keiner Veränderung unterworfen wurde. Im Zuge des Windhorst-Einstiegs wurde der Kader mehrfach umgebaut. Nur hinten links, da blieb alles, wie es seit dem Abgang von Johannes van den Berg war: Marvin Plattenhardt als Stammkraft, Maximilian Mittelstädt als sein Thronfolger. Mit Bjørkan kommt nun auch hier ein neuer Spieler – endlich, mag so mancher denken.
Bjørkan: Ein offensiver Linksverteidiger für Hertha?
In seinem ersten Interview bei Hertha beschreibt sich Bjørkan als „offensiver Linksverteidiger“, das Spiel nach vorne liegt ihm nach eigenen Aussagen am meisten. Dazu bringt er fünf Tore und vierzehn Vorlagen aus den letzten drei Jahren als Empfehlung mit – und dabei tritt er im Gegensatz zu Marvin Plattenhardt keine Standards.
Bjørkans größte Stärken kommen ohne Frage dann zum Tragen, wenn er den Ball am eigenen Fuß hat. Mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Physis kann er Drucksituationen gut im Dribbling lösen. Mit 54 erfolgreichen Dribblings in der aktuellen Saison liegt er in dieser Kategorie auf Platz eins in der Eliteserien. Dabei ist er aber längst nicht eindimensional und berechenbar und dribbelt immer die Linie entlang, sondern zieht auch gerne in die Mitte.
Dazu ist Bjørkan auch sehr kombinationssicher und bringt eine gute Übersicht mit: In der aktuellen Saison hat er ligaweit die meisten Pässe im letzten Drittel an den Mann gebracht, dazu stellt er mit 42 Torschussvorlagen den Bestwert in dieser Kategorie bei Bodø-Glimt. Beides ist für einen Außenverteidiger eher ungewöhnlich – und Zeichen dafür, wie wichtig Bjørkan für den Erfolg des Vereins ist und war.
Allerdings lassen sich auch andere Gründe für diese Zahlen finden. Durch die extrem hohen Ballbesitzanteile in der Eliteserien agiert Bodø/Glimt zumeist nur im Spielaufbau im 4-3-3 und in der gegnerischen Hälfte eher in einer Art 2-3-5, wobei Bjørkan in zwei verschiedenen Rollen eingesetzt wurde:
Häufig rückte Bjørkan ins Mittelfeld ein und spielte als invertierter Außenverteidiger in einer relativ zentralen Rolle im Dreiermittelfeld, in der seine Aufgaben eher denen eines zentralen Mittelfeldspielers ähnelten. Es ist in weiterer Beweis dafür, dass der 23-Jährige ein größeres Skillset als Herthas aktuelle Linksverteidiger mitbringt.
(Photo by Paolo Bruno/Getty Images)
Bjørkan spielte aber auch oft dort, wo man einen Linksverteidiger in der Offensive klassischerweise erwartet: Auf Linksaußen in der Nähe der Außenlinie. Dort stellte er auch seine Fähigkeit zu flanken unter Beweis, wobei er meist versucht, Situationen spielerisch und nicht mit hohen Bällen ins Zentrum zu lösen.
Und auch defensiv hat Bjørkan durchaus seine Stärken. Ligaweit hat er die meisten Bodenzweikämpfe gewonnen, bei einer Zweikampfquote von knapp 60 Prozent. Bei Kopfballduellen muss er dagegen noch zulegen, hier gewinnt er gerade einmal knapp jeden dritten. Wieviel Sicherheit und Stabilität Bjørkan in der Bundesliga ausstrahlen wird, lässt sich aber schwer abschätzen.
Aus Bodø ist er zudem ein aggressives Gegenpressing sowie generell hohes Pressing gewohnt. Vielleicht ist er also auch ein Vorgriff für den Fußball, den Hertha ab kommendem Sommer mit dem neuen Trainer spielen möchte.
Wie groß ist der Sprung aus der Eliteserien in die Bundesliga?
Angesichts der aktuellen Leistungen von Herthas Linksverteidigern dürfte eine Frage vielen Fans besonders unter den Nägeln brennen: Wie viel Zeit wird Bjørkan brauchen, bis er eine ernsthafte Alternative hinten links darstellt? Natürlich kann man diese Frage ohne hellseherische Fähigkeiten nicht beantworten. Aber man kann mithilfe von Quervergleichen zumindest versuchen, eine Antwort abzuschätzen.
Ein naheliegender Vergleichs-Kandidat ist mit Sicherheit Frankfurts Jens Petter Hauge, der im vergangenen Sommer von Bodø/Glimt nach Mailand wechselte. In seiner ersten Saison gelangen ihm für Milan fünf Tore und eine Vorlage in 23 Spielen, wobei er zumeist nur als Joker eingesetzt wurde. Allerdings war die Konkurrenzsituation in Milans Offensive auch eine andere, als Bjørkan sie bei Hertha auf seiner Position vorfinden wird.
Jens Petter Hauge versucht, sich bei Eintracht Frankfurt durchzusetzen. (Photo by Juergen Schwarz/Getty Images)
Auch zu Birger Meling lassen sich von Bjørkan aus einige Parallelen ziehen. Der Norweger wechselte vorletzten Sommer von Rosenborg Trondheim zu Nîmes Olympique nach Frankreich. Meling ist genau wie Bjørkan Linksverteidiger – und war in Nîmes vom Zeitpunkt seiner Ankunft nicht wegzudenken. In seiner ersten Ligue-1-Saison überzeugte er sogar so sehr, dass er zur neuen Saison zu Stade Rennais wechselte, dem Tabellen-Sechsten des Vorjahres.
Bei Bjørkan kann das natürlich alles ganz anders kommen – vom Senkrechtstarter, der Hertha-Fans ein bisschen träumen lässt, bis zu einer langen Eingewöhnungsphase à la Rune Jarstein scheint bei ihm alles möglich zu sein. Wenn er die Umstellung von der Eliteserien zur Bundesliga packt, bringt er aber Anlagen mit, die Herthas Abwehr in den kommenden Jahren entscheidend prägen können.
Etwas überraschend kam es am Deadline-Day auch in Herthas Innenverteidigung noch zu Veränderungen. Karim Rekik wechselte zum Europa-League-Sieger nach Sevilla, als Ersatz verpflichtete Hertha den paraguayischen Nationalspieler Omar Alderete aus Basel.
Basel-Experte und Opta-Mitarbeiter Chris Eggenberger beantwortete unsere Fragen zu Omar Alderete.
Alderete bringt Wucht mit
HERTHA BASE: Was sind deiner Meinung nach Alderetes größte Stärken?
Chris: „Alderete hatte in der letzten Saison eines der, wenn nicht das beste Kopfballspiel aller Verteidiger in der Schweizer Super League. Er gewann 71% seiner Kopfballduelle, zweitbester Wert aller Verteidiger der Liga. Seine Zweikampfquote von 64% war Bestwert aller regelmäßig eingesetzten FCB-Spieler. Zudem verzeichnete er die Bestwerte für Ballgewinne und Klärungsaktionen pro Spiel beim FC Basel.“
Neben Dedryck Boyata und Jordan Torunarigha bekommt Hertha demnach also einen dritten, sehr zweikampfstarken Spieler für die eigene Innenverteidigung. Für Trainer Bruno Labbadia dürfte das eine Erleichterung darstellen. Karim Rekik schien in seinen letzten Einsätzen für Hertha BSC insbesondere in diesem Bereich fehleranfällig, obwohl Zweikampfverhalten und Kopfballstärke eigentlich zu den wichtigsten Qualitäten eines Innenverteidigers zählen.
Und in welchen Bereichen liegen seine Schwächen? Wo ist noch Verbesserungsbedarf vorhanden?
„Arbeiten muss er meiner Meinung nach noch am einfachen Passspiel, er hatte in der letzten Saison nur 77% Passquote. Er nimmt gerne Risiken in Kauf, zum Beispiel bricht er gerne im Aufbauspiel mit dem Ball ins Mittelfeld und spielt viele Pässe ins finale Platzdrittel, was beim in vielen Spielen hoch stehenden FC Basel ein Vorteil war. Man hat manchmal das Gefühl, er will zu sehr nicht den einfachen Querpass spielen, was ihn in einer besseren Liga fehleranfällig machen könnte.“
Auch das kennt man bei Hertha mittlerweile gut – von Torunarigha, bei dem Vorstöße bis tief in die gegnerische Hälfte genauso zur Tagesordnung gehören. Trotzdem lag Torunarighas Passquote in der vergangenen Saison mit 85% deutlich höher. Herthas Eigengewächs scheint seine Vorstöße mittlerweile eher gezielt einzusetzen, wie Alderete sich bei Hertha einfügt, wird man sehen.
Foto: IMAGO
Kann Alderete Hertha sofort weiterhelfen, oder braucht er erst noch eine Eingewöhnungszeit?
„Beim FC Basel stand Alderete vom 1. Spieltag an in der Startelf und war von dieser auch schnell nicht mehr wegzudenken. Dafür war er von Anfang an individuell zu gut. In Basel hatte er 2019/20 aber auch die komplette Vorbereitung absolviert. Nun in der schon laufenden Saison zur Hertha zu stoßen, dürfte nicht ganz so einfach sein, fußballerisch traue ich es ihm aber absolut zu. Aufgrund des vollen Terminplans und der Verletzung von Torunarigha wird er Spielzeit bekommen, eine langsame Heranführung an die Bundesliga würde ihm aber sicher helfen.“
Dass Alderete schon im kommenden Spiel gegen den VfB Stuttgart in der Startelf steht, ist eher unwahrscheinlich. In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch gab der Paraguayer noch sein Pflichtspieldebüt als Nationalspieler und stößt damit erst kurz vor dem Spiel gegen den VfB erstmals zum Kader. In den darauffolgenden Spielen dürfte er aber zu einer realistischen Option werden – Torunarigha ist verletzt, Niklas Stark könnte dann wieder ins Mittelfeld vorrücken und Alderete den linken Innenverteidiger neben Kapitän Boyata geben.
„In einem Interview hat Alderete erzählt, dass er in Basel viel Zeit mit seinem paraguayischen Teamkollegen Blas Riveros verbrachte. Auch aufgrund der Sprachbarriere, die immer noch da zu sein scheint, dürften Cordoba und Ascacibar für ihn wichtig sein für die Eingewöhnung.“
Kartensammler Alderete
Alderete hat erst eine Saison in Europa gespielt – hältst du die Ablöse von 6,5 Millionen Euro trotzdem für einen fairen Preis?
„Alderete hat in der Europa League mit Basel auf sich aufmerksam gemacht und war ein unverzichtbarer Teil der besten Defensive in der Schweizer Liga. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Hertha nicht der einzige Interessent an ihm war. Ich traue ihm absolut zu, in ein paar Jahren Stammspieler bei einem überdurchschnittlichen Bundesligateam wie der Hertha zu sein. Daher geht ein Preis im mittleren einstelligen Millionenbereich meiner Meinung nach absolut in Ordnung. Wenn er sein Potenzial irgendwann einmal voll erreicht, liegt auch ein lukrativer Transfer zu einem Topklub in Europa im Bereich des Möglichen.“
In 54 Pflichtspielen für Basel handelte sich Alderete 13 gelbe Karten ein, dazu kommen noch drei Platzverweise. Ist der Paraguayer auf dem Platz ein Heißsporn oder hat er die Karten eher einem ungestümen Zweikampfverhalten zu verdanken?
„Die Antwort liegt wohl irgendwo zwischen Heißsporn und dem Zweikampfverhalten. Die gesamte Basler Mannschaft war in der vergangenen Saison anfällig für Karten. Bei der hohen Abseitslinie der Basler war bestimmt auch das eine oder andere taktische Foul dabei, das zu einer Gelben führte. Alderete muss aber sicher noch an seiner Coolness arbeiten, zwei seiner Platzverweise kassierte er zum Beispiel in den Schlussminute in Ligaspielen, die Basel verlor.“
Wirklich aussagekräftig dürfte Alderetes Karten-Statistik wohl aufgrund der Basler Spielweise nicht sein – und auch die mangelnde Coolness könnte eine positive Seite haben: Hertha fehlen insbesondere auf dem Platz Leader, die die Mannschaft mitreißen – und dabei eben vielleicht auch ab und zu über die Stränge schlagen.
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Wie taktisch variabel ist Alderete? In welchen Systemen kann er eingesetzt werden, und auf welchen Positionen?
„In Basel hat man ihn eigentlich nur als Innenverteidiger gesehen, meistens zur Linken seines IV-Kollegen Eray Cömert in einer Viererkette. Das sehe ich auch als seine stärkste Position, viel taktische Variabilität musste er in Basel nicht zeigen. In der Theorie sollte ihm als Linksfuß auch die linke Position einer Dreierkette liegen, dafür fehlt mir bei ihm aber aktuell noch die Qualität im Passspiel und etwas Tempo. In der Mitte einer Dreier- oder Fünferkette könnte er hingegen funktionieren, er könnte dann auch seine Vorstöße ins Mittelfeld einbringen.“
Wenn Hertha in Zukunft also auch mal mit drei Innenverteidigern auflaufen möchte, könnte Alderete als zentraler Innenverteidiger auflaufen – links dürfte in solch einer Konstellation wohl Torunarigha die Nase dank seiner Qualitäten mit dem Ball und auch seines Tempos vorn haben. Aber auch im Zentrum wäre er wohlmöglich nicht die erste Wahl, mit Boyata stünde dort auch eine andere Alternative bereit.
Der schwierige Übergang in die Bundesliga
Erst ein Jahr hat Alderete in Europa gespielt, jetzt wechselt er von einer doch eher kleineren Liga in die Bundesliga, eine der größten der Welt. Wird die Umstellung (höheres Niveau und Tempo) ihm eher Probleme bereiten oder passt er sich schnell an neue Gegebenheiten an?
„Ich habe das Gefühl, dass der Unterschied zwischen der Schweizer Super League und den Top-Ligen in den letzten Jahren recht stark gewachsen ist, so konnte sich z.B. ein Marek Suchy, den Alderete in Basel ersetzte, beim FC Augsburg nicht durchsetzen. Auch Kasim Adams, 2018 für 8 Millionen von Bern nach Hoffenheim, konnte sich noch nicht durchsetzen. Mit Manuel Akanji gibt es aber absolut auch noch positive Beispiele. Bei Alderete sehe ich eigentlich keine Gefahr, ich schätze ihn zum Beispiel stärker ein als Adams.
In der Bundesliga wird er Risiken in seinem Spielstil minimieren müssen und gegen schwächere Gegner muss auch sein Passspiel besser werden. Er hat auf jeden Fall die Fähigkeiten, sich an die Bundesliga anzupassen, meiner Meinung nach auch recht schnell. Er wird aber wie jeder andere unerfahrene Spieler Fehler machen.“
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Gibt es ein Spiel von Alderete, dass dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
„Eher einzelne Aktionen als Spiele. Zum Beispiel in der 90. Minute im Spitzenspiel gegen YB, als er nach einem Foul Gelb sah und dann im Frust den Ball wegschlug und Gelb-Rot sah. Aus positiver Sicht kommt mir sein “Lieblingstrick” in den Sinn, den Ball einmal über den Gegner lupfen und ab die Post nach vorne. Das ist als Innenverteidiger gefährlich, aber wenn’s funktioniert ein Highlight.“
Das Agieren der Hertha auf dem Transfermarkt wurde mit Spannung erwartet. Würde die alte Dame auf neureiche Shoppingtour gehen, wie im vergangenen Winter oder sich zwischen der harten Konkurrenz der internationalen Topklubs verspekulieren? Wir blicken genauer auf Herthas Transferschaffen und die Dynamiken des Transfermarktes.
Auf dem Markt gescheitert?
Die Umstände vor dem Transferfenster hätten für Hertha nicht besser sein können. Der prognostizierte, Corona bedingte Markteinbruch in Verbindung mit den Windhorst-Millionen sicherten den Berlinern schon im Vorfeld den Status als „Big-Player“. Nie waren die Erwartungen höher und nie waren die kolportieren Namen größer als in diesem Jahr. Doch die frühzeitige Freude wich bald der Ernüchterung der harten Realität. Von dem vorhergesagten Umbruch des Marktes war nichts zu spüren, wie Bruno Labbadia resigniert feststellen musste: “Es ist nicht mehr gesund. Egal, bei welchem Spieler du anfragst – selbst wenn er gerade ein halbes Jahr gespielt hat und du ein Talent in ihm siehst -, er kostet zehn, 15 Millionen – das ist einfach nicht normal.” Diese Einschätzung führte zu einer eher negativen Bilanz des Cheftrainers: „Wir haben uns die Transferperiode anders gewünscht, wir sind da gescheitert. Aber der Markt ist nicht aufgegangen.”
Doch was meint Bruno Labbadia damit? Ein Blick auf die Zahlen. Hertha hat in dieser Transferperiode insgesamt fünf komplett neue Spieler verpflichtet und hat dafür 33,5 Millionen Euro ausgegeben. Darüber hinaus wurde Eduard Löwen vorzeitig aus Augsburg zurückgeholt. Diese sechs Neuzugänge sind die Spieler, mit denen vor der Transfperiode nicht gerechnet werden konnte. Leihe-Enden, wie die von Nils Körper und Daishawn Redan sind hier nicht mit einberechnet, da sie nicht das Agieren in der diesjährigen Transferperiode widerspiegeln. Auf der Gegenseite haben 13 Spieler die erste Mannschaft verlassen. Dazu kommen Abgänge von Spielern der U23, wie Muhammed Kiprit, Dennis Smarsch und Luis Klatte. Für nur vier dieser Abgänge wurden Transfereinnahmen generiert. So belief sich das Transfereinkommen auf 12,3 Millionen (alle Finanzangaben im Laufe des Artikels wurden von transfermarkt.de bezogen). In der Bilanz macht das also 21,2 Millionen Euro mehr Ausgaben als Einnahmen.
Foto: IMAGO
Vergleichen wir das mit den letzten Jahren. In der Saison 19/20 holte der Verein zehn neue Spieler und gab dafür 110,7 Millionen aus. Hier fiel vor allem das Wintertransferfenster ins Gewicht. Beflügelt vom Einstieg des Investors gab Hertha hier 77 Millionen aus. Dem gegenüber standen neun Abgänge aus der ersten Mannschaft zuzüglich einiger Junger Spieler. Hertha nahm so 23,45 Millionen Euro ein, was unterm Strich ein Minus von 87,25 Millionen Euro ergibt. Das sind die beiden Saisons mit Lars Windhorst. In den Saisons davor waren die Einnahmen und Ausgaben wesentlich balancierter. 18/19 +0,9 Millionen, 17/18 +4, 16/17 -1,7. Hertha gibt also nicht nur wesentlich mehr aus, als sie einnimmt, sondern auch ein Vielfaches dessen, was sie in den Saisons vor dem Tennor Einstieg investiert hat. Das zeigt erstmal nur, dass das Geld auch tatsächlich in den Kader gesteckt wird.
Das vermeintliche Scheitern auf dem Transfermarkt bezieht sich also vermutlich eher darauf, dass nicht genügend Spieler verpflichtet werden konnten, um all die Abgänge angemessen kompensieren zu können. Das ist natürlich immer relativ zu den Spielern zu sehen, die den Verein verlassen haben. Die Not einen Alexander Esswein zu ersetzen ist geringer, als die einen neuen Leader, wie Vedad Ibisevic zu finden. Unabhängig davon wird das Ersetzen durch die von Bruno Labbadia angesprochenen Preise auf dem Transfermarkt in Kombinationen mit den Ambitionen des Clubs zusätzlich erschwert. Wurde die letzten Jahre immer mindestens ein Spieler ablösefrei verpflichtet, stürzte man sich dieses Jahr direkt ins Getümmel und bot fleißig mit. Die Tatsache, dass die finanzielle Potenz der Hertha allseits bekannt ist, half hier sicherlich nicht unbedingt weiter die Preise zu drücken. Das muss sich gar nicht bei den Ablösesummen äußern, sondern kann sich auch in den geforderten Gehältern und Handgeldern niederschlagen. Der schon fast sicher geglaubte Wechsel von Jeff Reine-Adélaïde soll, wenn man den unbestätigten Berichten Glauben schenken mag, letztendlich auch daran gescheitert sein, dass sein Berater und Bruder ein unverhältnismäßig hohes Honorar verlangt haben soll.
Die Rolle von Corona
Im Vorfeld der Wechselperiode wurde viel darüber spekuliert, wie sich die Pandemie auf die Preise auswirken würde. Es wurde angenommen, dass Vereine dringend Geld generieren müssten und Spieler deshalb besonders günstig von dannen ziehen lassen würde. Eine ideale Situation für eine finanzstarke Akteurin, wie Hertha. In der Tat scheint die aktuelle Situation viele Vereine hart zu treffen. Es ist wohl nur den Windhorst-Millionen zu verdanken, dass Hertha vergleichsweise gut durch die Krise kommt. So stellte Manager Michael Preetz klar, dass, wenn die aktuelle Geisterspielsituation anhielte, Hertha mit einem zweistelligen Millionenverlust rechnen müsse. Bei aller Euphorie darf man deshalb nicht vergessen, dass auch Hertha gut wirtschaften muss und nicht einfach das ganze Geld zum Fenster rausschmeißen darf.
Überhaupt scheint es so, als würde manch Verein an der falschen Stelle sparen. Der FC Arsenal kündigte unlängst seinem langjährigen Maskottchen, gab aber diese Periode 67,35 Millionen Euro mehr für Spieler aus, als es einnahm. Dass es aber auch wirklich Ernst werden kann, zeigt das Beispiel Schalke 04. Die Knappen (nomen est omen) gaben diese Saison nur 2 Millionen Euro für Transfers aus und konnten nur 4,5 Millionen Euro Einnahmen generieren (Allesamt aus der Leihgebühr von Weston McKennie). Gleichzeitig sahen sie sich zu drastischen Maßnahmen, wie den Kündigungen langjähriger Mitarbeiter*innen, genötigt.
Das sind alles allerdings nur die berühmten Einzelfälle. Spannender ist die Frage, inwieweit sich die Ausgaben insgesamt verändert haben. Im diesjährigen Sommertransferfenster gaben die Bundesligavereine insgesamt 320,4 Mio. Euro aus. Spitzenreiter war die Premier League mit 1,37 Milliarden Euro. Das ist ein krasser Unterschied zum letzten Jahr. Hier gaben die Bundesliga 1,07 Milliarden und die Premier League 2,93 Milliarden Euro aus. Im Jahr davor waren die Ausgaben noch höher. Die Premier League gab 4,38 Milliarden und die Bundesliga 1,55 Milliarden Euro für neue Spieler aus. Der Einfluss der Corona-Pandemie ist also direkt sichtbar. Anstatt ihre Spieler zu verschleudern, hielten die Vereine ihr Tafelsilber eher zusammen oder waren nur bereit sie für hohe Summen gehen zu lassen.
Was bleibt?
Auffällig ist, dass Hertha eine immer größere Rolle auf dem Transfermarkt einnimmt. Auch in Zeiten von Corona entfielen knapp 10% der Ausgaben der Liga auf die Spree-Athener. Im Ligavergleich gaben nur Bayern und Dortmund mehr Geld als wir aus. Dass die Verantwortlichen die Transferperiode dennoch als „gescheitert“ ansehen, hängt wohl eher mit der immensen Aufgabe und den eigenen Ansprüchen zusammen. Man muss dennoch beschwichtigend dagegenhalten, dass all zu hohe Erwartungen in dieser Saison eh fehl am Platz wären. Es soll eine Spielzeit des Umbruchs sein. Auf Teufel komm raus neue Spieler zu verpflichten, kann nicht im Sinne der langfristigen Strategie des Vereins sein. So wirken Notlösungen, wie die Rückholaktion um Eduard Löwen oder Last-Minute-Leihe von Matteo Guendouzi auf den ersten Blick etwas enttäuschend, andererseits bietet die aktuell mäßige Kaderbreite auch jungen Spielern die Gelegenheit sich beweisen zu können. Eigengewächs Jessic Ngankam wollte sich unbedingt ausleihen lassen, konnte aber im letzten Moment davon abgebracht werden. Das Inausichtstellen von Spielzeit könnte hier ein entscheidender Punkt gewesen sein.
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Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob die jungen Wilden entsprechendes Vertrauen auch zurückzahlen können. Das das möglich ist, zeigt das Beispiel Chelsea. Mit einer Transferssperre belegt, blieb den Londoner in der Saison 2019/20 nichts anderes übrig als auf die eigene Jugend zu bauen. Der Erfolg konnte sich durchaus sehen lassen. Allerdings schien er der Clubführung nicht auszureichen. Mit diesjährigen Ausgaben von 247,2 Mio. Euro setzten die Blues sich an die Spitze der Ausgaben.
Die Corona-Pandemie hat den Berliner Verantwortlichen sicherlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gleichzeitig ist sie aber auch eine willkommene Ausrede, um die Erwartungen an den Verein auf ein gesundes Niveau zu regulieren. Niemand außerhalb Herthas kennt die selbstgesteckten Ziele dieser Transferperiode, also kann niemand Außenstehendes hier ein Urteil abgeben, inwieweit diese erreicht oder nicht erreicht wurden. Von außen wirken alle bisherigen Transfers dennoch gut durchdacht. Es scheiterte eher an der Quantität, als Qualität. Dass ein Marko Gruijic nicht erneut ausgeliehen werden konnte und jetzt für Porto aufläuft, ist ärgerlich, aber angesichts seiner schwankenden Form nicht allzu sehr zu bedauern. Mario Götze wäre ein schillernder Name gewesen, hätte aber nicht wirklich in das System Labbadias gepasst. Somit lässt sich in der aktuellen Situation aus der Not durchaus eine Tugend machen. Das endgültige Scheitern lässt sich spätestens nach der Hinrunde feststellen.
Will Hertha auch in den nächsten Jahren ein bedeutender Akteur auf dem Transfermarkt sein, heißt es mit Umsicht zu handeln. Bleibt der sportliche Erfolg aus, so zahlt sich das Investment nur langsam zurück. Geduld heißt das Zauberwort. Das betrifft alle Beteiligten. Spieler, wie Fans.
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