Am Sonntagabend reist Hertha BSC nach München in die Allianz Arena, um dem FC Bayern weitere Punkte im Kampf um die neunte Meisterschaft in Folge zu klauen. Wir gehen unseren Vorbericht zu diesem Spiel mal anders an und überlassen Justin Kraft, Autor beim FC-Bayern-Blog Miasanrot.de, die Bühne. Er analysiert, wie der alten Dame ein Auswärtssieg in München gelingen kann.
Jahrelang galt die Reise nach München bei vielen Hertha-Fans als Sonderurlaub. Mal eben den einen oder anderen Biergarten mitnehmen und Teile der Stadt ansehen, anschließend eine Packung in der Allianz Arena abholen und wieder die lange Reise zurück in die Hauptstadt antreten. Zehn Heimspiele in Folge gewann der FC Bayern, teils sogar sehr deutlich. Der letzte Bundesliga-Sieg in München gelang Hertha im Jahr 1977 – einer von insgesamt zwei Erfolgen dort.
In der Allianz Arena gab es also noch keinen Sieg. Aber, und das macht die Reise diesmal vielleicht sogar lohnenswerter, in den letzten Jahren holte Hertha zumindest zwei Unentschieden aus drei Gastauftritten. 0:0, 0:1 und 2:2 lautet die Bilanz aus Sicht der Berliner. Nicht so schlecht, wenngleich gerade beim letzten Aufeinandertreffen auch einiges an Glück nötig war.
Die Vorzeichen auf einen weiteren Achtungserfolg stehen womöglich gar nicht mal so schlecht. Hertha wird nicht auf die übermächtigen Bayern treffen, die nach der Niederlage gegen Gladbach im Dezember 2019 nahezu jeden Gegner kurz und klein schossen. Sie treffen auf ein Team, das zuletzt etwas ins Straucheln geriet – wenn auch auf sehr hohem Niveau.
Der Rückblick zeigt: Bayern ist nicht unverwundbar
Schon gegen Sevilla deutete sich im UEFA-Supercup an, dass die Pause zwischen Champions-League-Finale und Saisonstart wahrscheinlich zu kurz gewesen ist. Kein Wunder also, dass die Münchner sich sehr darum bemühten, den eigentlichen Auftakt im Pokal gegen den 1. FC Düren zu verschieben. Eine Woche mehr, so wohl die Idee, würde die Köpfe nochmal frei machen. Das beeindruckende 8:0 gegen völlig desolate Schalker schien diesen Gedanken zu bestätigen: Die Angst vor einem weiteren Durchmarsch der Bayern wurde für viele zur Gewissheit. Wer soll diese Mannschaft denn überhaupt aufhalten?
Foto: IMAGO
Sevilla war nah dran, schaffte es aber ebenfalls nicht. Was für die Bundesliga aber blieb, war der aggressive, kompakte und zugleich spielerisch überzeugende Ansatz der Spanier, der die Bayern nicht nur vor Probleme stellte, sondern ihnen innerhalb der 120 Minuten alles abverlangte. Sevilla verteidigte in einem sehr engen 4-3-3, das die bayerische Schaltzentrale um Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller aus dem Spiel nehmen sollte. Die Außenverteidiger der Bayern ließ die Mannschaft von Julen Lopetegui bewusst etwas offen, um bei einer Spieleröffnung auf sie sofort zupacken zu können. Gerade Benjamin Pavard konnte so zu einigen Fehlern gezwungen werden.
Nach rund 20 Minuten und Rückstand gelang es den Bayern aber zunehmend, die Kontrolle an sich zu reißen. Das Mittelfeld kam nun mit dem Pressing des Gegners zurecht, insbesondere der nun tiefer agierende Müller und Kimmich lösten zunehmend Situationen auf, wodurch Bayern auch zu Chancen kam, die größtenteils ungenutzt blieben.
Bayerns Spieleröffnung gilt es zu stören
Sevilla kam nur noch selten vor das Tor der Bayern, kurz vor Schluss durch eine Unaufmerksamkeit der Bayern aber fast entscheidend. Diese Unaufmerksamkeiten sollten sich wenige Stunden später dann gegen Hoffenheim häufen. Mit den 120 intensiven Minuten gegen Sevilla in den Beinen, vor allem aber der extremen Belastung im Kopf, gelang es den Münchnern nicht, die notwendige Präzision auf den Platz zu bekommen. Hoffenheim nutzte das gnadenlos aus. Hoeneß stellte seine Mannschaft optimal auf den Serienmeister ein: In einem 5-3-2 verschlossen die Hoffenheimer ebenso wie Sevilla das Zentrum und erzwangen Spieleröffnungen auf die Außenverteidiger, die dann durch ein kompaktes Herausschieben der gesamten Mannschaft angegriffen wurden. Wieder zeigte sich Pavard als Schwachstelle, aber auch Davies ließ sich zu Ballverlusten hinreißen.
Der große Vorteil im Vergleich zu Sevillas Ausrichtung lag aber in der Breitenverteidigung. Bayerns Seitenverlagerungen blieben oft nutzlos, weil die Fünferkette schnell genug am Gegenspieler war. Entscheidend dafür war aber auch die Dreierreihe im Mittelfeld. Mit sehr viel Laufarbeit, hoher Intensität und taktisch kluger Positionierung gelang es ihnen, einerseits die ballnahen Räume zu schließen, gleichzeitig aber auch schnell in ballferne Räume zu verschieben, wenn der Ball verlagert wurde.
Flick gab nach der Partie anerkennend zu, dass Hoffenheim schlicht exakt die Räume verteidigt hat, die sein Team bespielen wollte. Welche Räume sind das aber vor allem? Im Spielaufbau muss es dem Gegner gelingen, vor allem Kimmich einzuschränken – einerseits durch hohen Druck, andererseits durch die Verteidigung seiner direkten Anschlussoptionen. Rückpass, Balleroberung oder Fehlpass sind die einzigen Optionen, die dem Gegner hier helfen. Kann Kimmich aufdrehen oder gar andribbeln, ist es schon zu spät.
Einfach wird es trotz der Blaupause Hoffenheim nicht
Ist das Zentrum zu dicht, bleiben die beiden Außenverteidiger als kurze Option. Hier hat sich gerade Hoffenheim sehr klug verhalten, indem sie leicht diagonal angelaufen sind. Dadurch fehlte es Pavard und Davies jeweils an Optionen im Halbraum oder in der Spielfeldmitte. Normalerweise sind beide auf ihre Art sehr pressingresistent. Pavard löst Situationen gern über kurze Dribblings oder sein gutes Passspiel und Davies ist vor allem über seine langen Dribblings und mit Doppelpässen gefährlich. Spielt Hernández links, ist er quasi eine Mischung aus beiden. Auch er kann dribbeln, ist zusätzlich aber auch gut darin, mit Pässen den Druck aufzulösen.
Foto: IMAGO
Diese Souveränität ging den Bayern zuletzt ab, weil einerseits der Druck der Gegner hoch war, andererseits aber auch die Form insbesondere bei Pavard, aber auch bei Davies nicht optimal zu sein scheint. Hertha kann das mit klugen Pressingbewegungen durchaus für sich nutzen, muss dann aber beim Herausschieben darauf achten, die Balance aus höherem Druck und einer gut organisierten Abwehrreihe zu halten. Schiebt die Abwehr nicht gut genug mit, öffnen sich zwischen den Linien Räume, die Bayern nahezu perfekt bespielen kann. Die Offensivspieler sind unglaublich laufintelligent, wissen exakt zu jedem Zeitpunkt, welche Zonen sie wie öffnen und erlaufen können.
Auch hier kann Hertha von Hoffenheim lernen: Die Hoeneß-Elf stand selbst bei höherem Pressing sehr kompakt. Alle Verteidiger schoben gut mit raus, achteten zugleich aber auf die gefährlichen langen Bälle der Münchner. Schalke beispielsweise lief teilweise komplett ins offene Messer, öffnete den schnellen Angreifern nicht nur die Türen und Fenster, sondern gleich alle Wände. Hoffenheim hingegen agierte hellwach und klug. Dieser Ansatz bedarf einer hohen Intensität bei gleichzeitig hoher Konzentration und Aufmerksamkeit – einfach geht anders, aber es ist eben ein Spiel gegen den Champions-League-Sieger.
Gelingt Hertha der ganz große Wurf?
Zusammenfassend muss Hertha also im Aufbauspiel sowohl Zentrum als auch Außenverteidiger unter Druck setzen, gleichzeitig die individuelle Klasse der Spieler sowie gefährliche Pässe zwischen die Linien verteidigen und auf hohe Bälle hinter die eigene Kette achten. Dann haben sie zumindest eine gute Chance auf Ballgewinne.
Doch so aussichtslos es scheint, dass eine Mannschaft all das schafft, so sehr dürfte es Hoffnung machen, dass die Bayern ihren Gegnern zuletzt nicht selten in die Karten spielten und sie bei diesem Vorhaben unterstützten. Kommt also etwas Glück hinzu, kann Hertha wohl auf den einen oder anderen guten Ballgewinn hoffen. Die Frage wird dann sein, ob sie es wie Hoffenheim schaffen, mit wenigen Kontakten zwei, drei Spieler ins Laufen zu bekommen. Hier dürfte die ganz große Hoffnung wahrscheinlich auf Matheus Cunha liegen, der mit seinen technischen Fähigkeiten dafür prädestiniert ist, der Schlüssel gegen Bayerns intensives Pressing zu sein.
Die Chance für Hertha ist an einen hohen theoretischen Anteil geknüpft. Wenn Hertha über sich hinauswächst, wenn Bayern ihnen etwas unter die Arme greift, weil sie zuletzt eine zu hohe Belastung auf mentaler und physischer Ebene hatten und wenn dann noch das Spielglück passt, dann ist ein Unentschieden, vielleicht sogar der große Wurf zum dritten Bundesliga-Erfolg in München möglich. Der einzige Wermutstropfen wäre dann, dass es diesmal keinen Sonderurlaub für Hertha-Fans in München gibt, bei dem man zumindest ernsthaft darauf hoffen darf, dass man erneut ein bisschen mehr mit in die Hauptstadt nehmen kann als Erfahrung.
So schnell kann es im Fußball gehen. Musste man letzte Woche nach blamablem Ausscheiden gegen Eintracht Braunschweig in der ersten Runde des DFB-Pokals und den Eindrücken nach einer schwachen Saison-Vorbereitung noch darum fürchten, dass auch der Ligastart komplett in die Hose gehen könnte, sieht die Welt nach dem 4:1 bei Werder Bremen wieder komplett anders aus. Zwar stimmte auch beim Auftritt an der Weser längst noch nicht alles, aber einen 8:0-Kantersieg am ersten Spieltag einer neuen Saison kann wohl kein Fan von seinem Verein verlangen.
Doch welche Schlüsse lassen sich nun nach den ersten beiden absolvierten Pflichtspielen ziehen? Zum einen ist klar zu erkennen, dass sich aktuell niemand wegen fehlender Torgefahr sorgen muss. Dodi Lukebakio scheint seine in der Vorsaison oftmals noch fehlende Kaltschnäuzigkeit entdeckt zu haben; Cunha trifft sogar in einem Spiel, in dem ihm sonst nicht allzu viel gelingen will; Neuzugang Jhon Cordoba knipst direkt in seinem ersten Spiel in blau-weiß und wenn Peter Pekarik plötzlich zum Goalgetter mutiert, wer soll dieses Team dann noch stoppen? Hört sich in der Theorie schön an. Doch leider zählt zum Fußball bekanntermaßen auch noch das Toreverhindern. Das hat in Bremen, bis auf eine Ausnahme, ebenfalls gut funktioniert. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Werder über weite Strecken des Spiels erschreckend ideenlos war. Da dürfte der kommende Gegner schon ein anderer Gradmesser für die Stabilität von Herthas Hintermannschaft werden.
Für den aktuellen Vorbericht haben wir uns Verstärkung in Form von Patricia geholt und der Frankfurt-Expertin unsere Fragen zu ihren Eindrücken rund um die Eintracht gestellt.
Das Schielen nach Europa
Nach dem 1:1 gegen Bielefeld gibt es für Frankfurt viel Luft nach oben. (Photo by Matthias Hangst/Getty Images)
Mit der Eintracht trifft Hertha auf eine Mannschaft, die sich den Start in die Saison sicherlich etwas anders vorgestellt hatte. Das 1:1 zum Auftakt gegen Aufsteiger Arminia Bielefeld ist eher ernüchternd. Zwar bewies die Eintracht immerhin Moral und war nach dem zwischenzeitlichen Rückstand das bessere Team mit einem klaren Chancenplus. Letzten Endes bleibt aber der Eindruck, dass sowohl im Spiel nach vorn als auch in der Rückwärtsbewegung noch Luft nach oben besteht.
Dies war auch schon in der ersten Pokalrunde der Fall, in der man, alles andere als dominant geschweige denn überzeugend, 1860 München knapp mit 2:1 schlagen konnte. So muss möglichst bald eine Steigerung erfolgen, will man sich den Traum von Europa, den Fredi Bobic jüngst formulierte, wieder erfüllen. Auch Patricia teilt diese Hoffnung: „[…] Die Sehnsucht nach Europa ist nach wie vor da. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, wird die Eintracht auch versuchen, die europäischen Plätze anzugreifen.[…] Gleichzeitig schränkt sie jedoch ein, dass […] die Corona-Krise […] der Eintracht in ihren Planungen sicherlich den ein oder anderen Strich durch die Rechnung gemacht [habe]. Einnahmen, mit denen man eigentlich fest geplant hätte, sind weggebrochen.“
Das Problem der Linkslastigkeit
So hat die Eintracht dieselbe Herausforderung, die so viele Vereine in Zeiten von Corona haben. Große Investitionen in den Kader sind – sofern man nicht jüngst einen spendierfreudigen Investor hinzugeholt hat – aktuell keine Option. Und dennoch lässt sich die derzeitige Transferphase, gerade mit Hinblick auf die finanziell angespannte Situation, als Erfolg verkaufen. Sicherlich auch dank der Erlöse aus den Verkäufen von Haller und Jovic im vergangenen Jahr war die Eintracht nicht gezwungen, Leistungsträger abzugeben. So sagt Patricia: „Das Grundgerüst des Kaders steht und ist – vorausgesetzt es gibt keine Last-Minute-Abgänge – aus letzter Saison zusammengeblieben: Trapp, Hinteregger, Kostic, Rode und Silva sind Leistungsträger, die in allen Mannschaftsteilen den Kern des Teams bilden.“
Wie schon im letzten Jahr könnte auch in dieser Spielzeit die Abhängigkeit von Kostic zum Problem werden. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)
Insbesondere bei André Silva dürften die Hoffnungen groß sein, dass er in seiner zweiten Spielzeit bei der Eintracht richtig durchstartet. Nimmt man noch Bas Dost dazu, braucht es nicht allzu viel Fantasie bei der Frage, welche Spieler aufseiten der Frankfurter in der Lage sein könnten, für 15+ Tore zu sorgen. Das Problem, das auch schon in der letzten Spielzeit offensichtlich wurde und für das es bisher keine Lösung zu geben scheint, ist allerdings die Unklarheit, wer diese 15+ Tore auflegen soll. Denn das Schema „Ball auf Kostic und der bringt den Ball schon irgendwie in die Mitte“ lahmte bereits in der letzten Spielzeit, da sich die Gegner zunehmend leichter darauf einstellen konnten. Der Eintracht fehlt es an einem Plan B, wenn Kostic mal einen schlechten Tag hat oder aus dem Spiel genommen wird. So fasst es Patricia treffend zusammen: „Nach wie vor ist die leichte Ausrechenbarkeit der Eintracht ein großes Problem. Kostic ist immer noch der wichtigste Spieler in der Offensivbewegung. Auf der rechten Seite fehlt (Stand jetzt) weiterhin ein offensiver Spieler für die Außenbahn. Auch im zentralen Mittelfeld mangelt es an Kreativität, weshalb Flanken und lange Bälle das Mittel der Wahl sind. In der Zentrale erhofft man sich, dass Kamada nach seiner Vertragsverlängerung nun den nächsten Schritt macht und konstantere Leistungen bringt. Die große Baustelle ist aber weiterhin die rechte Außenbahn. Es braucht hier dringend einen Gegenspieler zu Kostic, um die Disbalance im Angriffsspiel der Eintracht zu beheben.“
Weiteren Nachbesserungsbedarf sieht Patricia auf der 10, wo es einen Vertreter für Daichi Kamada benötigt sowie im Sturm, wo nach der etwas überraschenden Leihe von Goncalo Paciencia nach Schalke eine Lücke klafft: „Hütter lässt mit einer Doppelspitze spielen, Dost war letzte Saison extrem verletzungsanfällig und auf der Bank sitzt nur noch der junge Neuzugang Ache. Das kann im Sturm ganz schnell sehr eng werden.“, führt Patricia aus.
Maier auf Abwegen?
Während auch Hertha noch auf der Suche nach Verstärkungen, insbesondere auf rechten Offensivbahn sowie im zentralen Mittelfeld, ist, könnte sich derweil zuerst etwas auf der abzugebenden Seite tun. „Täglich grüßt das Murmeltier“ möchte man meinen, wenn zu lesen ist, dass der Berater von Arne Maier einen Wechsel des Berliner Eigengewächs ins Gespräch bringt. Der Wunsch nach mehr Spielzeit ist angesichts der überschaubaren Einsätze Maiers in diesem Kalenderjahr durchaus nachvollziehbar. Ob es aber der Weg an die Öffentlichkeit sein muss, ist die andere Frage. Dass dies Maiers Chancen auf einen Startelfeinsatz am Freitagabend steigert, darf jedenfalls stark bezweifelt werden. Nach der erfolgreichen Vorstellung vom vergangenen Wochenende und unter der Prämisse, dass sich spontan niemand mehr verletzt, wird Labbadia aller Wahrscheinlichkeit nach derselben Elf wie in Bremen vertrauen.
Am Samstagnachmittag steht das nächste Heimspiel für Hertha BSC an. Dass das kein Grund zur Freude für die Anhänger der „alten Dame“ ist, ist offensichtlich. Im Jahr 2020 gab es Zuhause nur einen Punktgewinn (0:0 gegen Schalke 04). Ansonsten gab es drei hohe Niederlagen, die letzte gegen Köln schmerzte dabei besonders, weil die Mannschaft mit 0:5 komplett unterging. Jetzt kommt mit dem SV Werder Bremen ausgerechnet ein Angstgegner ins Olympiastadion.
Seit 2013 konnte man nicht mehr gegen die Bremer drei Punkte holen. Dazu kommt, dass Hertha diese Saison öfter als Aufbaugegner für verunsicherte Mannschaften glänzen konnte. Um jedoch in dieser turbulenten Zeit nicht in Panik zu verfallen, wollen wir die nächste Partie objektiv betrachten. Dazu haben wir uns einen kompetenten Interviewpartner geholt, in Person von Kim (auf Twitter @kimosch46) der unter anderem beim Weserfunk regelmäßig zu hören ist. Mit ihm blicken wir auf die so wichtige Partie am Samstag.
Gespaltene Medienlandschaft bei Werder Bremen
Hertha BASE: Die klassische Frage zu Beginn: wie ist so die Stimmungslage in Bremen?
Kim: Liebes Tagebuch, im Moment ist es bei Werder sehr unruhig. Es scheint, als spalte sich die Fanszene sowie die Medienlandschaft in zwei Lager. In dem einen Lager sagen sie, Florian Kohfeldt habe keinen Mehrwert mehr für Mehrder… äh, Werder. In dem anderen Lager, zu dem ich mich selbst auch zähle, sagen sie, dass Florian Kohfeldt nach wie vor der richtige Trainer für Werder ist. Aber dazu später mehr. Ansonsten kann man sagen, dass es lange nicht solch eine Unruhe im und um den Verein gab. Dazu kommt eine immer stärker boulevardeske Berichterstattung über Werder. Es wird alles skandalisiert und dramatisiert und das in einer Situation, die sportlich schon dramatisch genug ist. Ach, liebes Tagebuch, es ist wirklich anstrengend zur Zeit.
Trainer Florian Kohfeldt (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)
Anstrengend war auch das Pokalaus gegen Frankfurt (2:0). Was nimmt die Mannschaft aus dieser Partie mit?
Kim: So, genug Bezug zu Tagebüchern jeglicher Art. Das Pokalspiel steht für die sportliche Misere: Zunächst steht Werder defensiv solide und versucht situativ den Gegner unter Druck und offensive Nadelstiche zu setzen. Dann kommt ein Rückschlag, meist durch einen Standard, und es gibt Unruhe. Im Pokalspiel war es noch okay nach dem Gegentor, offensiv fand Werder jedoch kaum statt. Die beiden einzigen Tore für Werder in der Liga im Jahr 2020 waren Eigentore. Einzig das Pokalspiel gegen den BVB ließ die Stürmer jubeln, ansonsten herrscht Ebbe in der Offensive. Was man jedoch mitnehmen kann: Defensiv war es weitestgehend in Ordnung und in den meisten Statistiken lag Werder vorne. Punkte in der Liga gibt es dafür jedoch keine.
Und trotzdem scheintFlorian Kohfeldt das Vertrauen der Vereinsführung zu behalten. Was denkst du über die Trainersituation?
Kim: Ich halte Kohfeldt nach wie vor für einen talentierten Trainer, der für Werder der richtige Coach ist. Die Situation ist auch gänzlich anders als bei Skripnik und Nouri zu bewerten. Kohfeldt ist großartig in der Kommunikation, die Mannschaft steht hinter ihm und spricht sich auch für ihn aus. Ein Bruch zwischen Team und Trainer ist nicht auszumachen. Darüber hinaus stellt sich ja auch immer die Frage nach einer Alternative: Wer wäre denn für Werder überhaupt verfügbar und auch ein klares Upgrade zu Kohfeldt? Der Kader ist so wie er halt ist, im defensiven Mittelfeld klafft eine eklatante Lücke, was aber in erster Linie Baumann anzukreiden ist und nicht Kohfeldt. Ich bin nach wie vor voller Hoffnung, dass Bremen mit Kohfeldt den Turnaround schafft!
Ohne Selke, Toprak und Pavlenka nach Berlin
Wie gut kann Bremen die Müdigkeit bis Samstag wegstecken?
Kim: Von Mittwoch bis Samstag sollte genug Regeneration möglich sein, zumal die Mannschaft auch von Frankfurt direkt nach Berlin reist. Das darf keine Ausrede sein!
Wie schätzt du die Stärken eures Teams ein? Was kann euch denn da unten raus holen?
Kim: Rashica, Selke (der gegen Hertha fehlt) und Bittencourt werden (hoffentlich bereits am Samstag) den Schalter umlegen und die Liga kurz und klein schießen. Nur durch Eigentore des Gegners wird man die Klasse nicht halten können.
Dafür habt ihr ja Hertha-Schreck Claudio Pizarro auf der Bank. Allerdings fallen jetzt Ömer Toprak und Torhüter Jiri Pavlenka (Muskelfaserriss) aus. Was wird sich im Team durch die Ausfälle am Samstag verändern?
Kim: Toprak ist glücklicherweise nicht so schwer verletzt wie befürchtet, wird gegen die alte Dame jedoch fehlen. Vogt wird deshalb vermutlich in die Innenverteidigung rücken und wohl Sahin in die Mannschaft spülen. Selke darf ja nicht spielen – was für eine Klausel, ach du meine Güte, Baumann! – was vielleicht zum Startelfdebüt von Nick Woltemade führen wird. Vielleicht wird aber auch Josh Sargent starten.
Davie Selke darf aufgrund einer Klausel nicht gegen Hertha spielen. (Gif: https://giphy.com/bundesliga )
À propos Selke: wie macht er sich bisher bei euch? Was hälst du von ihm?
Kim: Der Transfer ließ mich zwiegespalten zurück: Finanziell für Werder ein ordentliches Wagnis, dazu ist Davie auch nicht der Spieler, der die 10+x Tore garantiert. Aber er ist jemand, der voran geht und sich nicht versteckt, dazu für Kohfeldt Art des Fußballs auch der richtige Zielspieler. Ich hätte mir im Winter gewünscht, dass das Geld in einen zentralen Mittelfeldspieler gesteckt wird, aber das ist ja nicht Selke anzulasten. Im Pokal gegen den BVB hat man gesehen, welche Qualitäten er hat und ich hoffe, dass er diese nun konstant und über den Sommer hinaus für Werder zeigen wird.
Und zum Schluss noch die obligatorische Frage nach deinem Tipp für die Partie:
Kim: Die ersten Frames wird Hertha sich holen, dann wird Werder jedoch mit einem Maximum Break das Ruder herumreißen und großartiges Snooker spielen. 9:5 für Werder!
Erwachen der Macht im Hertha-Kader?
Wie wir bereits in unserer Rubrik „Herthaner im Fokus“ feststellten, war das Spiel in Düsseldorf vor allem durch die Spieler geprägt. Nouris taktische Umstellungen trugen keine Früchte, wieder einmal mussten die Berliner zur Halbzeit zwei mal wechseln. Nur durch eine Reaktion innerhalb der Mannschaft, insbesondere gepusht durch die erfahrenen Spieler im Team, konnte die Aufholjagd realisiert werden. Jetzt heißt es aber im Hinblick auf das Spiel am Samstag: war es nur eine einmalige Situation? Oder gab es im Hertha-Kader eine Art „Erwachen der Macht“?
Viel wurde spekuliert, dass sich die Mannschaft quasi „selbst“ leitet. Hertha scheint auch auf diese Reaktion aufbauen zu wollen: Thomas Kraft wurde in der Pressekonferenz als aktuelle Nummer Eins im Tor bekräftigt. Vor allem seine Rolle fürs Teamgefüge sei wichtig für die nächsten Partien. Auch Vladimir Darida, der eine der wenigen Säulen im Team zuletzt darstellt, wird wohl wieder in der Startelf stehen. Eine wichtige Säule fällt hingegen mit Dedryck Boyata weg. Der belgische Abwehrchef leidet noch unter Muskelproblemen. Er wird in der Innenverteidigung wohl durch Niklas Stark ersetzt, der nach Gelbsperre zurückkehrt. Zudem fällt weiterhin auch Peter Pekarik aus, Per Skjelbred hingegen könnte noch rechtzeitig fit werden. Auch Santiago Ascacibar steht wieder zur Verfügung.
Dedryck Boyata fällt am Samstag verletzt aus. (Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)
Kein Spiel für schwache Nerven
Die taktische Ausrichtung bleibt eine große Frage. Die ständigen Wechsel der letzten Wochen führen auch dazu, dass die Startelf kaum vorherzusagen ist. Sollte Hertha den Schwung der zweiten Halbzeit in Düsseldorf mitnehmen wollen, wird die Aufstellung am Samstag um 15:30 Uhr wohl ähnlich aussehen, wie in dieser zweiten Hälfte.
Die Antworten unseres Werder-Experten deuten schon an, dass Hertha auf eine Mannschaft am Samstag treffen wird, die ums Überleben kämpft. Bremen ist angeschlagen, unter Druck und dazu noch personell geschwächt. Hertha könnte durch einen Sieg einen Riesen-Schritt in Richtung Klassenerhalt machen. Bei dieser Ausgangslage klingeln bei allen Hertha-Fans schon die Alarmglocken.
Doch dieses Gerede von Aufbaugegner, Heimschwäche und positiven Druck muss endlich ein Ende finden. Die Mannschaft muss den Charakter-Test bestehen und endlich wieder gegen die Konkurrenz im Abstiegskampf ein Zeichen setzen. Die Trainerdiskussion gibt der Mannschaft keine Ausreden mehr. Die zweite Halbzeit in Düsseldorf und der anschließende Austausch der Spieler mit den Fans und später mit dem Trainer müssen eine positive Energie erzeugen. Diese Kraft wird notwendig sein: das Spiel am Samstag wird wieder kein Spiel für schwache Nerven.
Leichter wird es im Verlauf dieser Rückrunde nicht, Woche für Woche die Vorberichte zu schreiben. Als Hertha-Fan ist die aktuelle Lage so belastend, wie lange nicht mehr. Trotzdem geht das Leben weiter und es sind noch genug Spiele, um die Saison wieder einigermaßen versöhnlich zu beenden. Den Anfang könnte Hertha BSC direkt am Freitagabend machen, wenn es zu Fortuna Düsseldorf ins Rheinland geht.
In Düsseldorf hat die “alte Dame” zuletzt nur Horror-Szenarien erlebt und muss sich noch von der letzten Pleite erholen (1:4). Dazu kommt das “déjà-vu”: nach einer anderen Horror-Saison traf man in der Relegation aufeinander. Gute Erinnerungen sind diese zwei Spiele für Hertha-Fans sicher nicht. Dabei laufen Auswärtsspiele in dieser Rückrunde deutlich besser als die Auftritte zu Hause. Kann Hertha endlich wieder für positive Schlagzeilen sorgen?
Unser Fortuna-Düsseldorf-Experte Dennis (auf Twitter @Scheff83), und Podcaster bei “Neues vonne Pommesbude” , stand uns wieder einmal zur Seite. Er beantwortet unsere Fragen zu unseren Gastgebern.
“Mit neuem Feuer im Abstiegskampf”
Hertha BASE: Zunächst einmal: in Berlin ist gerade die Hölle los, wie ruhig ist es aktuell vergleichsweise in Düsseldorf, trotz Abstiegskampf?
Dennis: Bei der Fortuna war es in den letzten Wochen auch sehr unruhig, auch wenn das Ausmaß nicht diese “HSV-Züge” wie aktuell bei der Hertha angenommen hat. Nach der Entlassung von Friedhelm Funkel nach der Pleite in Leverkusen, hat in der letzten Woche überraschenderweise auch der sportliche Leiter Lutz Pfannenstiel seinen Abschied verkündet. Er wird aus persönlichen Gründen F95 am Saisonende nach erst knapp 1 1/2 Jahren verlassen. Kontinuität auf den wichtigsten Positionen im sportlichen Bereich sieht anders aus…
Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images
Im letzten Spiel konnte die Fortuna 2:0 in Freiburg siegen. Wie ist die Form der Mannschaft im Moment wirklich einzuschätzen?
Dennis: Seitdem Uwe Rösler das “Trainer-Zepter” schwingt, steht die Fortuna kompakter und spielt auch offensiver. Man ist wieder im Stande Chancen herauszuspielen und weniger von “Geniestreichen” eines Rouven Hennings abhängig. Der Sieg in Freiburg war sehr bedeutend, da dadurch nun der Abstand zum 15. Platz auf zwei Zähler geschmolzen ist. Schon in den Partien gegen Frankfurt und Wolfsburg (beide 1:1) wären Siege meines Erachtens verdient gewesen. Gegen Mönchengladbach spielte man eine Hälfte gut mit, am Ende fiel die 1:4-Niederlage um ein bis zwei Tore zu hoch aus.
Wie schätzt du die Stärken deines Teams ein? Was macht sie so stark im Vergleich zu den anderen Abstiegskandidaten?
Dennis: Die letzten Spiele haben Mut gemacht. Gegen Freiburg hat man gut verteidigt und die Chancen auch endlich mal genutzt. Erik Thommy hat herausragend gespielt. Trotz der angesprochenen Turbulenzen im Verein scheint die Mannschaft unbeeindruckt und agiert durch den Trainerwechsel mit “neuem Feuer” im Abstiegskampf. Jedem Spieler ist bewusst, dass allein der Klassenerhalt zählt und scheinbar ist deswegen auch F95 ein Schritt weiter als beispielsweise Werder Bremen. Die Mannschaft steht wieder deutlich kompakter und lässt wenige Großchancen im Strafraum zu. Das ist meines Erachtens aktuell der große Trumpf, da außer Hennings insgesamt leider doch wenig Torgefahr von der Fortuna ausgeht.
Unter Uwe Rösler wieder unangenehm zu bespielen
Wird es am Freitag im Team zu Änderungen kommen? Wer ist bei euch gesperrt oder verletzt?
Dennis: Fraglich ist Suttner in der hinteren Dreierreihe. Gießelmann hat ihn aber sehr gut gegen Freiburg vertreten. Vielleicht wird aber auch Jörgensen hinten aufgeboten. Als Aufbauspieler wäre Gießelmann aber besser geeignet. Ansonsten kann Rösler aus dem Vollen schöpfen. Kenan Karaman hat nach seiner langen gesundheitlichen Pause (Lungenentzündung) gegen Freiburg einen vielversprechenden Eindruck gemacht. Ich denke, er wird neben Hennings wieder als zweite Spitze auflaufen.
Wie stellt Funkel-Nachfolger Uwe Rösler sein Team auf? Was hat sich taktisch verändert?
Dennis: Er hat ein neues System etabliert mit einer Dreierkette und zwei Schienenspielern auf den Seiten. Fortuna spielt nun im 5-3-2 oder 3-5-2, je nach Spielverlauf. Die äußeren Innenverteidiger wie z. B. Ayhan sind sehr aktiv im Spielaufbau und das bringt eine große Dynamik ins Fortuna-Spiel. Wichtig für das Offensivspiel ist, dass Kevin Stöger nach seiner Kreuzbandverletzung wieder spielt. Er macht im zentralen Mittelfeld mit Winterneuzugang Valon Berisha den Unterschied aus. Beide Spieler bringen technische- und Pass-qualitäten mit, die im Kader vorher nicht vorhanden waren. Fortuna ist wieder unangenehm zu bespielen, die große offensive Durchschlagskraft fehlt aber weiterhin.
Schafft es Hertha mit individueller Klasse?
Was müsste Hertha schaffen, um bei euch Freitag zu punkten?
Dennis: Bei aller Häme in der letzten Woche – Hertha weiß, wie man auswärts punkten muss. In den letzten drei Auswärtsspielen gab es drei Siege, auch wenn das zum Teil fürchterliches Gebolze war. Dementsprechend gehe ich davon aus, dass das Spiel am Freitag kein Augenschmaus werden wird und von beiden eher defensiv geprägt ist. Hertha verfügt über die individuelle Klasse das Spiel nach Hause zu fahren.
Foto: Thomas F. Starke/Bongarts/Getty Images
Dodi Lukebakio kehrt zurück an alter Wirkungsstätte: wie wird er in Düsseldorf empfangen?
Dennis: Ich denke es wird gemischte Reaktionen des Publikums geben. Er hat eine tolle Saison bei der Fortuna gespielt, war aber auch nur ein Jahr hier.
Zum Schluss noch die Frage: was ist dein Tipp für Freitag?
Dennis: So wie die Saison läuft, wird Hertha kurz vor Schluss das 1:1 schießen.
Der sportliche Stand bei der “alten Dame”
Während der (noch in Lyon spielende) Hertha-Neuzugang Lucas Tousart in der Champions League zum Matchwinner gegen Juventus Turin wurde, verbrachten seine zukünftigen Mitspieler erneut eine turbulente Woche in Berlin. Abstiegskampf wäre an sich schon schwer genug, da hätten die Blau-Weißen gerne diese Woche auf den erneuten Wirbel um Jürgen Klinsmann und seinen Machtspielchen mit der Hertha-Chefetage verzichtet. Dabei wollen wir an dieser Stelle nur auf das sportliche eingehen, in der Hoffnung, dass es sich auch demnächst wieder nur um den runden Ball drehen wird.
Die schwierige Aufgabe in Düsseldorf muss Hertha BSC ohne Niklas Stark bestreiten. Dieser fehlt bei den Rheinländern gelb-gesperrt. Auch auf Santiago Ascacibar wird Hertha aufgrund dessen in Stuttgart gesammelten Karten verzichten müssen. Das könnte in Theorie eine Systemumstellung mitbringen, allerdings könnte Alexander Nouri auch einfach positionsgetreu seine gesperrten Spieler ersetzen.
Alexander Nouri sah sein Spielsystem allerdings nicht als Thema, wie er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel erklärte. Was wir in unserer letzten Podcast-Folge zu Herthas Taktik zu sagen hatten, findet ihr hier:
Gute Spieler hat Hertha noch in der Hinterhand. Jordan Torunarigha könnte zum Beispiel nach zuletzt starken Leistungen endlich wieder in der Startelf stehen. Arne Maier ist zurück im Mannschaftstraining und bis auf Peter Pekarik, der noch fraglich ist, stehen Alexander Nouri alle Profis zur Verfügung. Ausreden gibt es für den noch-Cheftrainer nicht: Hertha muss in Düsseldorf punkten.
Bunt, turbulent, laut, ein Hauch von Skandal und für Außenstehende zum Teil lächerlich und nüchtern schwer zu ertragen. Nein, es ist keine Beschreibung vom Kölner Karneval, sondern von den letzten Wochen bei Hertha BSC. So wirklich ist in Berlin keine Ruhe eingekehrt, trotz des knappen 2:1 Erfolgs gegen den SC Paderborn vergangenes Wochenende. Am Samstag um 15.30 Uhr ist der 1. FC Köln zu Gast im Olympiastadion. Die Kölner haben nur drei Punkte weniger im Abstiegskampf und wollen daher unbedingt zu Hertha aufschließen.
Während in Köln aktuell Karneval gefeiert wird, gab es in Berlin zuletzt nur selten Party-Stimmung, auch wenn ein Hauch von Samba in Person von Matheus Cunha zu spüren war. Um herauszufinden, welche Mannschaft am Samstag wohl die besseren Chancen hat, haben wir uns erneut Verstärkung geholt. Mit Thomas Reinscheid, Chefredakteur von effzeh.com blicken wir auf die Partie Hertha BSC – 1. FC Köln.
Der Gisdol-Effekt
Die starken Ergebnisse unter Neu-Coach Markus Gisdol in den letzten Monaten sorgen natürlich für gute Stimmung in der Domstadt. Thomas sagt uns zu der Lage am Rhein: „Die Stimmung ist mittlerweile prächtig, auch wenn es lange nicht danach aussah. Durch die starken Auftritte zum Ende der Hinrunde und den Heimsiegen zum Jahresstart hat sich der FC ein ordentliches Polster auf die Abstiegsränge geschaffen und kann etwas entspannter in die Spiele gehen. Nun muss das Team allerdings auch dran bleiben und die wichtigen direkten Duelle im Abstiegskampf für sich entscheiden.“
Köln in den letzten Monaten mit vielen Siegen. ( Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)
Zuletzt gab es nur zwei Niederlagen gegen Borussia Dortmund und den FC Bayern München. Ansonsten sammelte Köln seit der Niederlage gegen Union Berlin nur Siege. Auf die Frage, was sich, unter anderem mit dem Trainerwechsel zu Markus Gisdol, verändert habe sagt uns Thomas: „Die Mannschaft tritt geschlossener auf, läuft mehr und wirft sich in jeden Zweikampf. Es scheint, als haben die Spieler begriffen, was es im Abstiegskampf braucht, um erfolgreich zu sein. Vor allem durch die jungen Spieler wie Ismail Jakobs oder Noah Katterbach ist eine andere Intensität auf dem Platz zu erleben. Dazu hat der FC auch das notwendige Spielglück, das ihm über weite Strecken der Hinrunde nicht hold war.“
Die Niederlage vergangene Woche gegen den amtierenden Deutschen Meister sei bereits abgehakt. „Wie schon in Dortmund hat der FC zu Beginn der Partie seine Grenzen aufgezeigt bekommen, was aber gegen solche Spitzenteams nicht schlimm ist. Man muss daraus lernen – und das Positive, das in der zweiten Halbzeit gezeigt wurde, in die Partie in Berlin mitnehmen.“
Kölner Standards die große Gefahr für Hertha
Als größte Waffe bringen die Rheinländer dazu ihre Standardstärke mit: „Wir sind bei Ecken ungemein torgefährlich, zusammen mit Eintracht Frankfurt haben wir dort die meisten Treffer erzielt. Insgesamt sind unsere Standardsituationen eine echte Waffe geworden – völlig ungewohnt für den FC.“
Standards sind jedoch nicht die einzige Stärke unserer Gegner am Samstag: „Darüber hinaus hat die Gisdol-Elf mit Jonas Hector, Ellyes Skhiri und Mark Uth ein spiel- und laufstarkes Mittelfeldzentrum und mit Jhon Cordoba über einen körperlich beeindruckenden Angreifer, der sich in jeden Zweikampf wirft.“
Wir haben unseren Köln-Experten auch gefragt, womit sich der „FC“ noch schwer tut. Dazu sagt Thomas: „Aktuell verpennt der FC regelmäßig den Start ins Spiel. In Dortmund und gegen die Bayern hat uns das wohl das Spiel gekostet, gegen Wolfsburg und Freiburg konnte der Gegner das zum Glück nicht nutzen. Dazu ist im Spiel nach vorne noch viel Luft nach oben. Wir erobern uns regelmäßig in recht aussichtsreichen Situationen den Ball, um ihn dann durch große Hektik im Umschaltspiel leicht wieder herzuschenken.“
„Aggressiv und Zweikampforientiert“
Zu der Frage, wie sich die Karnevalszeit auf die Kölner Leistung auswirkt, antwortet unser Köln-Experte: „Eigentlich ist die Bilanz an Karneval fürchterlich, besonders in der Bundesliga. Liegt zumeist daran, dass der FC auswärts spielen muss. Aber: Im vergangenen Jahr holte der FC einen Tag vor Rosenmontag tatsächlich einen Sieg. Hoffentlich gelingt eine Wiederholung in dieser Saison.“
Sebastiaan Bornauw fehlt in Berlin aufgrund einer gelb-Sperre. (Foto: TF-Images/Getty Images)
Was die Aufstellung der Kölner angeht, wird es gezwungenermaßen zu Änderungen kommen. Innenverteidiger Sebastiaan Bornauw fehlt gelb-gesperrt, Linksverteidiger Noah Katterbach ist verletzt. Thomas verrät uns, wie Gisdol wohl beide Stammspieler ersetzen wird: „Für Katterbach wird sicherlich Jakobs nach hinten rücken und als Linksverteidiger agieren. Bei Bornauw, dessen Sperre echt unnötig zustande gekommen ist, ist die Frage, ob FC-Coach Markus Gisdol mit Toni Leistner eher auf die rustikale Variante setzt oder doch der spielerisch stärkere Jorge Meré zum Einsatz kommt. Ich tippe, um ehrlich zu sein, auf ersteres.“ Genannter Mere hatte auch einen eher unglücklichen Auftritt im Hinspiel, als er für ein grobes Foul an Vladimir Darida die rote Karte sah.
Trotz dieser beiden Wechsel tippt unser Köln-Experte nicht auf große Änderungen in der taktischen Einstellung der Mannschaft: „Wir werden keine Experimente versuchen, auch wenn zwei wichtige Stammspieler ausfallen. Intensiv gegen den Ball, mit schnellem Umschaltspiel nach vorne – das wird die Marschroute sein. Das sieht nicht immer schön aus, hat sich bisher aber als erfolgreich erwiesen.“ In der Presskonferenz sagt der Cheftrainer der Kölner, man wolle „aggressiv und zweikampforientiert spielen“.
1. FC Köln, Lieblingsgegner von Vedad Ibisevic
Köln wird also wie erwartet erneut eine schwere Aufgabe für die Mannschaft von Alexander Nouri werden. Die Bundesliga-Heimbilanz der „alten Dame“ gegen die Kölner kann sich zumindest sehen lassen: aus den letzten fünf Heimspielen holte man vier Siege und einen Remis. Die letzte Bundesliganiederlage Zuhause geht auf das Jahr 2009 zurück (0:1), im Pokal hingegen gewann Köln im Olympiastadion im Jahr 2017 mit 3:1.
Köln, Lieblingsgegner von Vedad Ibisevic.
Auch das letzte Spiel gegen die Rheinländer wird in beiden Fanlagern noch in den Köpfen sein. Mit 4:0 konnten sich die Herthaner durchsetzen. Zwei Treffer konnte dabei Kapitän Vedad Ibisevic erzielen, der allgemein besonders gerne gegen den „Effzeh“ trifft. In acht Spielen gegen die Kölner erzielte er neun (!) Treffer. Dazu schoss der gebürtige Bosnier seine zwei ersten Treffer für die Blau-Weißen im Olympiastadion gegen die Rheinländer (am 22.09.2015).
Unser FC Köln-Experte Thomas ist sich dieser Tatsache bewusst und hofft darauf, dass Ibisevic nicht zum Einsatz kommt: „(…) der Bosnier trifft gefühlt in jedem Spiel gegen den FC mehrfach. Im Hinspiel hat er das ja auch eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ich hatte gehofft, er hätte sich am vergangenen Wochenende die fünfte Gelbe Karte abgeholt, aber leider steht er euch gegen den FC zur Verfügung.“
Wer als Hertha-Fan hingegen auf ein (dieses Mal von der DFL anerkanntes) Tor von Matheus Cunha hofft, wird sich an einen anderen Brasilianer erinnern, der gegen den FC Köln ein unsterbliches Tor erzielte.
Wer soll es gegen Köln richten?
Zwar sind Alex-Alves-Vergleiche an dieser Stelle wohl verfrüht, allerdings scheint auch der Hype um Cunha aktuell sehr groß zu sein. Auch deshalb ist es wahrscheinlich, dass der 20-Jährige am Samstag erneut in der Startaufstellung der Hauptstädter stehen wird. Doch wie wird die Startelf der Berliner am Samstag aussehen?
Im Auswärtserfolg gegen den SC Paderborn überraschte Cheftrainer Alexander Nouri mit seiner Startelf. Peter Pekarik spielte von Beginn an, genauso wie Neuzugang Matheus Cunha. Die Doppelspitze Cunha-Piatek überzeugte phasenweise, obwohl beide bisher kaum miteinander trainiert hatten. Ob Nouri erneut auf diese Doppelspitze setzt, oder womöglich auf Köln-Schreck Ibisevic setzt, ist eine spannende Frage. Tatsächlich wurde der Bosnier in Paderborn gegen Spielende eingewechselt.
Darf Lukas Klunter gegen den Ex-Club spielen? (Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)
In der Pressekonferenz ließ sich Nouri nicht in die Karten schauen und gab keine Hinweise darauf, wer für das Spiel am Samstagnachmittag die Nase vorn hat. Optionen wird er genug haben: sowohl Niklas Stark als auch Per Skjelbred sind wieder fit und auch Marius Wolf ist nach seiner Sperre wieder verfügbar. Ein Luxusproblem im Abstiegskampf also, wenn man sich beispielsweise die Verletzungsmisere von Werder Bremen anschaut.
Fraglich ist auch, ob Ex-Kölner Lukas Klünter den Vorzug vor Peter Pekarik bekommt. Der gebürtige Euskirchener spielte in der Jugend des 1. FC Kölns und wurde dort auch Profi. Bereits 18 Mal wurde er diese Saison in der Bundesliga eingesetzt. In den beiden letzten Partien spielte er jedoch nicht. Auch Jordan Torunarigha und Vladimir Darida dürfen sich Hoffnungen auf einen Startelfeinsatz machen. Beide wurden gegen den SC Paderborn eingewechselt und konnten überzeugen.
Endlich wieder ein Heimsieg?
Ob Nouri den Schwung aus Paderborn mitnehmen will oder doch punktuell Änderungen vornimmt, wird sich zeigen. Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio werden sicher auch nicht lange mit Tribünen- oder Bankplätze zufrieden sein. Im Tor wird Thomas Kraft nach seiner kuriosen Handverletzung ausfallen, als zweiter Torwart wird der junge Dennis Smarsch auf der Ersatzbank sitzen.
Am tollen Support der Ostkurve liegt die negative Heimserie nicht. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)
Fakt ist: die Mannschaft tut sich gerade Zuhause schwer. Das letzte Mal konnten die Berliner am 14. Dezember 2019 gegen Freiburg mit 1:0 Zuhause gewinnen. Optimismus kommt also nicht so leicht auf, gerade für Hertha-Fans, die noch das letzte Heimspiel gegen den FSV Mainz 05 im Kopf haben (1:3-Niederlage).
Thomas hingegen glaubt an seine Mannschaft und tippt auf einen 2:0-Auswärtserfolg der Kölner: „Ein frühes Tor, dann irgendwann in der zweiten Halbzeit ein erfolgreicher Konter.“ Genau dieses Szenario wird Hertha BSC verhindern müssen. Sollten die Berliner die Schwäche des 1. FC Kölns in der Anfangsphase nutzen können, könnte das Spiel auch schnell in die „richtige“ Richtung kippen. Ob mit Köln-Schreck Ibisevic oder mit dem Brasilianer Cunha: die „alte Dame“ hat es selbst in der Hand. Ein Sieg, und der Klassenerhalt wäre zum Greifen nahe. Vielleicht kehrt dann auch wieder Ruhe in die Hauptstadt ein…zumindest bis zum Derby am 21. März.
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