Herthaner im Fokus: Eine Ohrfeige zum richtigen Zeitpunkt

Herthaner im Fokus: Eine Ohrfeige zum richtigen Zeitpunkt

Beim dramatischen Pokal-Aus in Braunschweig hat es aus Hertha-Sicht viel Licht und Schatten gegeben. Wir analysieren die Partie und einzelne Leistungen.

Ein besonderer Fußballabend

Gekämpft, gebissen, unfassbare Leidenschaft gezeigt, dem Heimteam über 120 Minuten Paroli geboten, am Ende unglücklich verloren und trotzdem die Herzen etlicher Fußballfans in ganz Deutschland gewonnen. Dem findigen Fußballfan ist wohl schnell aufgefallen, dass es bei dieser Beschreibung wohl eher um die Deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen geht, die am Sonntag zur selben Zeit wie Hertha BSC spielte. Und dass es für mich vor den beiden Spielen nicht einfach war, eine Entscheidung zu treffen, welches Spiel ich denn wohl eher verfolgen möchte, sagt viel über das Nationalteam aus, was in den letzten Wochen für eine Begeisterung sorgen konnte, die viele Fußballfans für eine Nationalmannschaft seit Jahren nicht mehr aufbringen konnten. Glückwunsch auch von uns zum hochverdienten zweiten Platz bei der Europameisterschaft!

Letztendlich hab ich mich für beide Spiele parallel entschieden, dank der heutigen technischen Möglichkeiten stellt das ja bekanntlich keine Probleme dar. Während auf meinem Second-Stream die Frauen um den Titel kämpften, zeigten Hertha BSC und Eintracht Braunschweig in der ersten Runde des DFB-Pokals einen offenen Schlagabtausch und rüttelten die Fans nach der für alle Seiten hochverdienten und auch bitter nötigen Sommerpause ordentlich wach. In einem furiosen und torreichen Spiel konnte die Hertha zunächst eine 2:0-Führung nach einer der besten Halbzeiten in den letzten Jahren nicht über die Zeit bringen und sich auch nach einem großen Kampf in der Verlängerung nicht mehr belohnen. Spät kassierte die Schwarz-Elf das 4:4. Das Elfmeterschießen entschied letztendlich den glücklicheren Sieger.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Die Startelf von Hertha: Viel Neues, aber auch Altbewährtes

In Braunschweig kam es für einige Herthaner zum ersten Pflichtspieleinsatz für den Verein. Mit Sandro Schwarz stand zum Saisonstart auch ein neuer Trainer an der Seitenlinie. In einem 4-3-3 stellte er das Team auf. Im Tor stand Oliver Christensen, der seinen Stammplatz in der Vorbereitung gegen Rune Jarstein verteidigen konnte. Als Linksverteidiger startete der neue Kapitän Marvin Plattenhardt, das Innenverteidiger-Duo der Schlussphase der letzten Saison, Marc-Oliver Kempf und Ex-Kapitän Dedryck Boyata, wurde auch im ersten Saisonspiel mit dieser Aufgabe betraut. Auf der rechten Seite sollte der britische Neuzugang Jonjoe Kenny agieren.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Einen weiteren Neuzugang bekamen die Fans von Hertha BSC im defensiven Mittelfeld zu sehen. Der Kroate Ivan Sunjic, vor einigen Wochen aus Birmingham gekommen, sollte als Abräumer fungieren und seinen zentralen Partnern Suat Serdar und Kevin-Prince Boateng den Rücken freihalten. Auf den Flügeln sollten der in der Vorbereitung überzeugende Myziane Maolida auf links und der aus Wolfsburg zurückgekehrte Dodi Lukebakio auf rechts wirbeln und für Tempo sorgen. Im Sturmzentrum setzte Schwarz auf Davie Selke.

Wir schauen in unserer Analyse heute auf destabilisierende Spieler, die das auf keinen Fall sein sollten und die Einseitigkeit unseres Kapitäns. Aber auch auf Spieler, die Lust auf mehr machen und die Lösung eines schier endlosen Problems.

Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata: Fehlende Abstimmung und Überforderung

Marc-Oliver Kempf und Dedryck Boyata waren zum Ende der letzten Saison unter Felix Magath gesetzt und wichtige Garanten im Kampf um den Klassenerhalt. In der Vorbereitung konnten sie ihre Startelfambitionen unterstreichen und den Kampf gegen die Konkurrenz für sich entscheiden. Dedryck Boyata musste allerdings das Amt des Kapitäns einbüßen. Wie er damit zukünftig umgehen wird, soll die Zeit zeigen. Gegen Braunschweig zeigte er aber immerhin, dass er versucht, viel mit seinen Mannschaftskollegen zu kommunizieren. Doch bei vier Gegentreffern gegen einen Zweitligisten muss ein kritischer Blick auf das Innenverteidiger-Duo geworfen werden.

Beide agierten über die kompletten 120 Minuten (plus Nachspielzeiten) und konnten – und  damit beginnen wir mit den positiven Punkten – zumindest aktiv am Ball Präsenz zeigen und sich anbieten. Kempf hatte 102 Aktionen, Boyata gar 112. Doch der im letzten Winter aus Stuttgart nach Berlin gewechselte Kempf, der immerhin noch neun Bälle klären konnte, gewann nur sieben seiner 15 Zweikämpfe. Und dabei war vor allem interessant und bitter welche Zweikämpfe er eben nicht gewann. Beim zwischenzeitlichen 2:3 durch Braunschweigs Immanuel Pherai in der Verlängerung lässt er sich auf haarsträubende Art und Weise von Lion Lauberbach abkochen, der für seinen offensiven Kollegen nur noch vorlegen musste. Bereits beim 2:2 in der 66. Minute sah Kempfs Stellungsspiel alles andere als glücklich aus. Die Vorlage von Marx verpasste er, wirklich angreifen tat er den Vorlagengeber ebenso wenig. Den unrühmlichen Tiefpunkt beim Elfmeterschießen will man ihm zunächst gar nicht vorwerfen, denn mit einem Fehlschuss muss jederzeit gerechnet werden. Er passte lediglich zum extrem gebrauchten Tag von Marc-Oliver Kempf, der ursprünglich gar nicht zum Elfmeter antreten wollte. Ein Spieler seiner Klasse und seines Standings muss allerdings einem gewissen Druck standhalten. Bleibt zu hoffen, dass seine verschiedenen Aussetzer einer schlechten Tagesform verschuldet waren.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Dedryck Boyatas wohl größtes Manko ist sein Tempodefizit. Zwar zeigte er nach bereits fünf Minuten seine Klasse, als er den bereits geschlagenen Oliver Christensen unterstützte und nach Pherais Schuss zur Ecke klären konnte, doch wie sein Partner Kempf war seine Rolle beim 2:2 und 2:3 mehr als unglücklich. In beiden Fällen stand er zu offensiv – praktisch schon im Mittelfeld – wurde überlaufen und konnte nicht mehr rechtzeitig eingreifen. Doch Boyata musste schon zuvor feststellen, dass sein Tag nicht gut enden würde, als er nach 63 Minuten für einen Elfmeter der Braunschweiger sorgte. Immanuel Pherai machte der gesamten Hertha-Defensive das Leben schwer und nahm das ausgestreckte Bein des Belgiers dankend an. Es war unnötig und seiner gewünschten Qualität nicht würdig. Boyatas Ausfälle wirkten schwer auf das Ergebnis des Spiels, doch auch er hatte seine guten und zu beachtenden Szenen. Sechsmal klärte er die Bälle und verteilte 95 Pässe, von denen immerhin 83 den Adressaten fanden. In der 60. Minute scheiterte er denkbar knapp nach feiner Vorarbeit von Marvin Plattenhardt an Braunschweigs Torhüter Jasmin Fejzic. Es wäre das 3:0 gewesen und damit wahrscheinlich die Vorentscheidung.

Es war das erste Spiel von Boyata seit zwei Jahren, welches er für Hertha nicht als Kapitän bestritt. In der Saisonvorbereitung wurde er diesbezüglich von Marvin Plattenhardt abgelöst. Ihm selbst scheint es nicht geschadet zu haben. Auch wenn er sportlich nicht zu überzeugen wusste, bemühte er sich durchgehend mit seinen Mitspielern zu kommunizieren und taktische Anweisungen zu geben. Das Standing im Team scheint er weiterhin zu haben.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Oliver Christensen: Noch kein sicherer Rückhalt

Der Däne, der seit den Sommerabgängen von Alexander Schwolow und Marcel Lotka die Nummer eins im Tor der Hertha ist, spielte ein Spiel, welches noch nicht so einfach einzuordnen ist. Zunächst einmal war Oliver Christensen machtlos bei den Gegentoren, in diesem Fall trifft dem blonden Rückhalt keine Schuld. Doch Christensen strahlte nicht wie zuletzt in der Relegation seine Sicherheit und Coolness aus. Er wirkte oft fahrig, unsicher und musste sich das ein oder andere Mal auf sein Glück verlassen. Bereits nach fünf Minuten musste er sich bei Boyata bedanken, der aufmerksam genug war um das leere Tor zu verteidigen. In der 54. Minute half ihn der Pfosten als er bei Pherais Schuss erschreckend passiv wirkte. Der 23-Jährige tat sich mit den regnerischen Bedingungen schwer und wirkte alles andere als souverän.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Immerhin konnte er im Elfmeterschießen einen Elfmeter parieren. Etwas, was ihm in der regulären Spielzeit nicht gelingen sollte. Auch bei Oliver Christensen muss man mit Formschwankungen rechnen. Es wäre auch zu viel verlangt, durchgehend den unbekümmerten und vor Motivation strotzenden Christensen aus der Relegation spielen zu sehen, zumal es ihm die wackelige Viererkette auch nicht leicht machte.

Marvin Plattenhardt: Zu einseitig, aber erstmal gesetzt

Es war die erste richtige Prüfung als Kapitän. Marvin Plattenhardt, der dieses Amt seit wenigen Wochen inne hat, wurde gegen die Braunschweiger auf neue Faktoren getestet und gefordert. Er gewann während des Spiels keinen Zweikampf und musste 14 Ballverluste einstecken. Defensiv konnte der WM-2018-Teilnehmer also nicht viel aushelfen. Die Qualitäten des Marvin Plattenhardts sind der Fußballwelt hinlänglich bekannt. Sein linker Fuß gilt als einer der besten Deutschlands, regelmäßig konnte er das schon unter Beweis stellen.

Und auch gegen Braunschweig sollte ihm das in der 10. Minute gelingen. Seine feine Flanke wusste Davie Selke mit dem Kopf zu verwerten. Früh im Spiel hatte Hertha die Möglichkeit, die Weichen auf Sieg zu stellen. Immer wieder versuchte er sich an Flanken und Pässen. Starke 95 Prozent seiner Pässe, also 58 von 61 Versuchen, kamen bei den Mitspielern an. Doch auch Plattenhardt hat noch viel mit seiner Fitness zu tun, was vor allem bei seinem allgemeinen Tempodefizit nicht förderlich war. Der Linksverteidiger hatte viel mit sich selbst zu tun. Ein echter Kapitän ist er noch nicht, in dieser Rolle muss er noch hineinwachsen. Als Linksverteidiger ist er in vielen Situationen überfordert.

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(Photo by Matthias Kern/Getty Images)

Im Elfmeterschießen konnte er dem Druck nicht standhalten und scheiterte relativ kläglich am Braunschweiger Schlussmann. Doch auf dieser Position ist er als Kapitän erst einmal gesetzt. Allgemein bietet der Kader nur wenig Alternativen. Fredrik André Björkan konnte noch nicht überzeugen und der jahrelange Konkurrent und Hertha-Eigengewächs, Maximilian Mittelstädt, steht vor einem Abgang. Eine gewisse Zeit muss man den Verantwortlichen wohl zugestehen.

Myziane Maolida, Dodi Lukebakio, Chidera Ejuke: Hertha-Neuzugänge, die Spaß machen können

Die drei Flügelspieler sind für die Hertha alle auf ihre Art Neuzugänge. Chidera Ejuke, der erst vor kurzer Zeit aus Moskau nach Berlin gewechselt ist, konnte nach 72 Minuten Myziane Maolida ablösen und zunächst ansatzweise zeigen, warum Hertha BSC ihn für diese Saison verpflichtet hat. Er versuchte mit Tempo über die Außenpositionen für Torgefahr zu sorgen und bemühte sich, in der Offensive seinen Beitrag zu leisten. Dabei gelangen dem 24-Jährigen gleich mehrere gute Momente, die sein Talent allemal unterstreichen. Sein Auftritt machte Lust auf mehr.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Myziane Maolida durfte bis zur Einwechslung Ejukes wirbeln und für Torgefahr sorgen. Der Franzose, der bereits seit einem Jahr bei Hertha spielt und in seiner Debütsaison praktisch durchgehend enttäuschte, spielte gegen Braunschweig sein wohl bestes Spiel im Dress der Hertha. Und das lag nicht nur an seinem Tor, welches er in der 42. Minute nach Lukebakios Versuch per Abstauber erzielen konnte. Maolida wirkt seit Wochen wie ausgewechselt, zeigt ein größeres taktisches Verständnis und auch große Disziplin, diese umzusetzen. Insbesondere sein Zusammenspiel mit Dodi Lukebakio sorgte für große Gefahr in der Offensive. Neben seinem Tor konnte er sich Chancen erarbeiten, die durchaus das Potential hatten, ebenso für Tore zu sorgen. Die wohl größte in der 37. Minute, als er eine flache Hereingabe von Lukebakio wuchtig per Flachschuss aufs Tor beförderte. Braunschweigs Fejzic konnte die Situation aber vereiteln. Maolida setzte zu fünf Dribblings an, spielte 37 Pässe, von denen 31 ankamen. Der 23-Jährige hat die große Chance in dieser Saison sein schwaches erstes Jahr gutzumachen. Dazu braucht es große Disziplin und mentale Stärke. In einem System und Mitspielern, die ihm guttun, kann da einiges möglich sein und er wie ein Neuzugang wirken.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Dodi Lukebakio könnte einer dieser Mitspieler sein. Der Belgier, der nach einem enttäuschenden Jahr in Wolfsburg wieder zurück in Berlin ist, scheint vor Motivation zu strotzen. Gemeinsam mit Maolida konnte er eine Position bespielen, die bei der Hertha fast schon Jahre lang vakant war: die Flügelpositionen. Mit seiner Schnelligkeit stellte er die Gegner auf zahlreiche Proben. Selbst im Spiel ohne Ball zeigte sich Lukebakio verändert, ging in Zweikämpfe, half in der 52. Minute sogar beherzt in der Defensive aus. Insgesamt gewann der Stürmer elf seiner 16 Zweikämpfe. Für einen Offensivspieler eine beachtliche Statistik. 92 Prozent, also 32 von 36 Pässen kamen an. Auch eine Statistik, die für einen Offensivspieler eher selten ist. Immer wieder setzte Lukebakio zu Sprints und Dribblings an. Sechs seiner acht Dribblings gestaltete er dabei sogar erfolgreich. Seiner möglicherweise auch unfreiwilligen Vorlage auf Maolidas Tor, setzt er in der Verlängerung, in der 106. Minute, seinen Höhepunkt auf, als er sich auf der rechten Seite durchtankte und den Ball per sehenswerten Lupfer im Tor unterbrachte. Doch auch ihm gelang nicht alles. In der 91. Minute wäre es seine Aufgabe gewesen den späteren Torschützen Pherai vom Ball zu trennen. Auch per Foul wäre es in dem Moment okay gewesen, die gelb-rote Karte wäre angesichts der verbliebenden Spielzeit zu verkraften gewesen. Lukebakio zeigte sich hochmotiviert, spritzig und kraftvoll. Auch er könnte ein Gewinner des Systems von Schwarz werden. Doch es bleibt abzuwarten, wie gut er diese Form bestätigen kann.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Was sonst noch war

Gegen Braunschweig gab es einen offenen Schlagabtausch, einige weitere Spieler wussten zu überzeugen, wieder andere hatten Schwierigkeiten. Herthas neuer Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny reihte sich nahtlos in die überforderte Verteidigung ein, war insbesondere beim 2:2 viel zu passiv und verlor ganze 16 Mal den Ball. Defensiv war er keine große Hilfe. Er wird auf einen stabilen Abwehrverbund angewiesen sein.

Lucas Tousart erzielte eines der Tore, die wir verstärkt von der Mannschaft sehen wollen. Auch mal einen Schuss aus der zweiten Reihe wagen. Allgemein wirkt er weiterhin wie ein Antreiber, der ein Spiel an sich reißen möchte. Weniger mit Kreativität, vor allem mit Kampf und Leidenschaft. Er hat das Potential, Führungsspieler zu werden, Verantwortung im Elfmeterschießen anzunehmen, wäre der nächste große Schritt gewesen.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Ivan Sunjic wirkte in seinem ersten Spiel wie ein echter Stabilisator, der nicht nur seinen Mitspielern den Rücken freihielt, sondern zusätzlich viele Bälle forderte, intelligente Spielzüge einleitete und allgemein recht gut im Team angekommen zu sein scheint. Wie gut er diese Leistung bei den kommenden und schwereren Gegnern bestätigen kann, wird sich zeigen.

Stevan Jovetic macht Spaß. Gegen Braunschweig zeigte er wieder einmal seine Klasse am Ball und seine Spielintelligenz. Wenn er fit ist kann er dem Spiel der Hertha extrem guttun. Schön anzusehen war dabei seine Vorlage zum 4:3 auf Dodi Lukebakio.

Trotz ähnlicher Vorzeichen: Das war nicht „Typisch Hertha“

Nach drei Jahren Achterbahnfahrt sind die Nerven der Fans vollkommen verständlich maximal strapaziert. Doch man muss dem Team Zeit geben, sich zu finden und die Automatismen einzustudieren. Diese Niederlage ist nicht „Typisch Hertha“. Das Spiel verlief unglücklich, offenbarte eiskalt die Schwächen, die diese unfertige Mannschaft noch hat, doch ließ insbesondere in der Offensive aufblitzen, was möglich sein könnte. Mit Wilfried Kanga kommt nun ein Neuzugang für den Sturm dazu. Möglicherweise ein weiteres Puzzleteil, welches für die nötige Stabilität sorgen kann. Die vielen Einzelteile müssen greifen, Marvin Plattenhardt in seine Rolle wachsen. Marco Richter wird bald zurück im Training sein und kann eine wichtige Option für die Offensive werden.

Eine Ausscheiden aus dem Pokal in der 1. Runde ist ärgerlich, schade und ein deutlicher Stimmungskiller, doch man sollte es abhaken, analysieren, draus lernen und sich nun mit voller Konzentration der Bundesliga widmen. Die spielen zu dürfen, sollte nach dem Relegationsdrama Motivation genug sein. Die Ohrfeige von Eintracht Braunschweig kommt wahrscheinlich zum besten Zeitpunkt. Die Sinne sind geschärft, die Karten neu gemischt und die Bundesliga beginnt mit dem Kracher in Köpenick. Lasst uns mit Freude und dem Glauben an einen Sieg in dieses Spiel gehen. Auch Union konnte sich beim Pokalspiel in Chemnitz nicht mit Ruhm bekleckern und scheint noch einige Baustellen zu haben. Freuen wir uns auf das erste der zwei wichtigsten Spiele der Saison.

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)

Herthaner im Fokus: Hertha verspielt den dritten Matchball und muss in die Relegation

Herthaner im Fokus: Hertha verspielt den dritten Matchball und muss in die Relegation

Hertha BSC muss zehn Jahre nach dem legendären Abstiegsdrama in der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf wieder nachsitzen. Und das gegen den Hamburger SV. Mehr Drama, mehr Spannung und mehr Traditionen gehen eigentlich kaum. Gegen Borussia Dortmund musste die Mannschaft von Felix Magath eine 1:2-Niederlage hinnehmen und vergab damit den dritten und letzten Matchball im Kampf um den direkten Klassenerhalt. Während die Stuttgarter im Fernduell gegen den 1. FC Köln wiederum mit 2:1 siegten, sich für eine starke Aufholjagd in den letzten Spielen belohnten und den Klassenerhalt perfekt machten, half eine einmal mehr engagierte, letztendlich aber einfach zu schwache Vorstellung im Signal-Iduna-Park nicht mehr, um die rettenden Punkte bzw. den einen einzigen Punkt zu sammeln.

Vier Änderungen in der Hertha-Startelf

In Dortmund stellte Felix Magath die Mannschaft im üblichen 4-2-3-1-System auf. Allerdings änderte er sein Team auf vier Positionen, möglicherweise allein wegen der Belastungssteuerung, warten doch nun noch zwei weitere Partien am Donnerstag und den folgenden Montag, die möglicherweise beispielsweise für Kevin-Prince Boateng noch einmal kräftezehrende Spiele werden könnten. Eben jener Boateng saß, nachdem er in den letzten Wochen stets in der Startelf zu finden war, lange Zeit in Dortmund nur auf der Bank. Er wurde von Jurgen Ekkelenkamp ersetzt, der zuletzt kaum zum Einsatz kam.

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(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Außerdem kam es zu drei weiteren Änderungen in der Startelf. Auf der Linksverteidiger-Position kam der wiedergenesene Marvin Plattenhardt zum Einsatz. Der von der TSG Hoffenheim umworbene Marton Dardai, der ihn gegen Mainz noch positionsfremd vertreten hatte, war gegen den BVB auf Grund muskulärer Probleme nicht einmal im Kader. Der Rest der Verteidigung bestand aus der mittlerweile sich als Stammabwehr etablierten Truppe um Marcel Lotka im Tor, Kapitän Dedryck Boyata und Marc Oliver Kempf in der Innenverteidigung und Peter Pekarik als Rechtsverteidiger. Lucas Tousart und Santi Ascacibar wieder davor als Doppelsechs.

In der Offensive verzichtete Magath neben Boateng auch auf Vladimir Darida, der durch Maximilian Mittelstädt ersetzt wurde. Marco Richter saß nach seinem erkältungsbedingten Fehlen zunächst auf der Bank. Mittelstädt sollte sich um die linke Seite kümmern, während Suat Serdar wieder auf die rechte Seite ging. Für den Sturm wurde Davie Selke nicht mehr rechtzeitig fit. Ishak Belfodil vertrat ihn.

In unserer heutigen Analyse schauen wir auf Führungsfiguren, das Potential, welches auf der Bank schlummerte, eine unnötige gelbe Karte und was mit einer stabilen Abwehr in der Relegation möglich ist.

Ishak Belfodil: Er hätte mehr Vertrauen verdient gehabt

Dass gegen den BVB kein Offensivfeuer abgefackelt werden würde, war im Vorfeld natürlich jedem klar. Auch, dass es nicht zu dem atemberaubenden Schlagabtausch kommen würde, den die Mannschaften im Hinspiel geboten haben. Ishak Belfodil gelang es trotzdem eine gewisse Präsenz zu zeigen und stets Gefahr auszustrahlen. Dass er wie so oft in dieser Saison den Ball aber eher defensiv bekam oder zu weit auf den Außen, ist leider sein Schicksal, was der allgemeinen schwachen Offensive der Hertha geschuldet ist.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Gegen den BVB hatte der Algerier seinen goldenen Moment in der 18. Minute. Die Einladung des ausgestreckten Fußes von Dan-Axel Zagadou nahm er dankend an. Nach der Sichtung der Videobilder wurde zurecht auf Elfmeter entschieden. Ishak Belfodil verwandelte sicher per Flachschuss in die linke Ecke. Insgesamt hatte er wieder 33 Aktionen, verteilte viele Bälle. 18 seiner 24 Pässe kamen bei seinen Mitspielern unter. Für einen Offensivspieler sind 75 Prozent eine starke Quote. Sein Zweikampfverhalten ließ mit 25 Prozent siegreicher Aktionen allerdings stark zu wünschen übrig. Immerhin lief er über 10,21 km und war – gegenteilig dazu was man von ihm erwarten würde – extrem kommunikativ, motivierte seine Mitspieler, forderte Konzentration und wirkte zum Teil wie ein Spieler, der einen gewissen Stil eines Führungsspielers verkörperte.

Auch wenn ein fitter Davie Selke in den letzten Wochen für viel Gefahr sorgen konnte, hat Belfodil einmal mehr gezeigt, dass er ein Spieler ist, der in diesem Kader viel öfter einen Startelf-Einsatz verdient gehabt hätte. Am Ende hilft es nicht sich an vergebenen Chancen gegen Bielefeld und Mainz festzubeißen, aber wer weiß, was ein Ishak Belfodil, dem man mehr Vertrauen geschenkt hätte, hätte ausrichten können.

Maximilian Mittelstädt: Viel Einsatz, wenig Ertrag

Es tat gut, einen fitten und motivierten Maximilian Mittelstädt mal wieder von Anfang an spielen zu sehen. Er wurde zwar nach 65 Minuten für Fredrik-André Björkan ausgewechselt, doch er bemühte sich über die gesamte Zeit der Partie seinen Stempel aufzudrücken. Dortmunds Emre Can machte ihm als direkter Gegenspieler allerdings auch das Leben schwer. Immer wieder kam es zu Zweikämpfen, aber immerhin ging – Vorsicht Floskel – Mittelstädt immer dahin, wo es wehtut.

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(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Insgesamt hatte der Ex-Juniorenspieler 35 Aktionen, konnte zwölf seiner 18 Pässe positiv gestalten und gewann zusätzlich 67 Prozent seiner Zweikämpfe. Maximilian Mittelstädt wurde in seiner Karriere meistens als Linksverteidiger eingesetzt, immer wieder waren die Kritikpunkte, dass er defensiv zu viele Defizite habe, die verhindern würden, ihn als einen guten Verteidiger zu bezeichnen. Als Schienenspieler war und ist Mittelstädt immer eine Alternative, doch an beiden Enden fehlt leider eine Menge. Denn auch offensiv hat er Defizite, beispielsweise eine zu geringe Durchsetzungskraft und zu wenig Torgefahr.

Doch im Zusammenspiel mit der restlichen Offensive kann er durchaus noch zu einer interessanten und wichtigen Konstante werden. Und sei es nur als Einwechselspieler, wie gegen Stuttgart, wenn er als einer der wenigen fitten Spieler auf dem Platz noch mit einer Torvorlage glänzen kann.

Santiago Ascacibar: Dämliche gelbe Karte

Santiago Ascacibar war in dieser Saison extrem wichtig für die Hertha, ein Lautsprecher auf dem Feld, immer mit großem Einsatz und jemand, der für Kampf und Leidenschaft stand. Dass er ein Hitzkopf ist und auch gerne mal etwas härter auspackt, weiß man. Oftmals spielt er an der Grenze der Legalität und doch war es auch sein Verdienst, dass Dortmund fast die gesamte erste Halbzeit keine Chancen kreieren konnte.

Auch als Ballverteiler schafft es der Argentinier sich in seinen 88 Minuten Spielzeit in Szene zu setzen. 65 Prozent seiner 18 Pässe fanden die Mitspieler, leider gewann er nur zwei seiner sieben Zweikämpfe, zog zwei Fouls und war unglücklicher Part des Handspiels von Marvin Plattenhardt, welches zum Elfmeter für Borussia Dortmund in der 68. Minute führte, als der Ball von seinem angelegten Arm an den ausgestreckten Arm seines Mitspielers prallte. Ansonsten zog Ascacibar zwei Fouls, grätschte, tackelte und klärte zweimal den Ball in der Defensive.

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Unrühmlicher Höhepunkt war seine unnötige gelbe Karte vor dem Elfmeter der Dortmunder, als er Schiedsrichter Tobias Stieler zum wiederholten Male zu sehr auf die Pelle rückte, um die VAR-Bilder sehen zu können. Eine dämliche Aktion, die der Schiedsrichter mit der gelben Karte bestrafte. Die fünfte gelbe Karte der Saison, weshalb Ascacibar äußerst unnötig im Hinspiel gegen den HSV fehlen wird.  

Kevin Prince Boateng und Stevan Jovetic: Die individuelle Klasse wird für Hertha wichtig sein

Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic sind Spieler, die eine Mannschaft auf ein anderes Niveau heben können und dem Spiel eine gehörige Portion Struktur und Torgefahr einimpfen können. Doch dafür müssen sie auch fit sein und ihre Leistung länger als nur über ein paar Minuten abrufen können. Beide kamen erst nach 88 Minuten ins Spiel.

Boateng wurde, nachdem er in den letzten Wochen Lenker und Denker im Mittelfeld war, aber gegen Mainz auch leistungstechnisch abtauchte, mit der Bank bedacht. Einerseits wirkte er nach den vielen Einsätzen in letzter Zeit müde und überspielt, andererseits könnte Magath bereits die Relegation im Hinterkopf gehabt haben und wollte ihn dafür ein wenig schonen. Selbst wenn er nur clevere Fouls zieht, denn mehr konnte Boateng gegen Dortmund letztendlich auch nicht ausrichten, hat er einen gewissen Einfluss auf die Mannschaft. Die Hoffnung ist groß, dass er gegen den HSV, einen Gegner, der etwa auf Augenhöhe mit Hertha BSC ist, wieder die kreativen und denkenden Zügel in der Hand hat.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Im Gegensatz zu Boateng erspielte sich Stevan Jovetic sogar noch eine Torchance. Sein Torschuss aus halblinker Position ans Außennetz in der zweiten Minute der Nachspielzeit sorgte zwar für ein Aufhorchen, konnte im Endeffekt aber nichts mehr am Spielende ändern. Stevan Jovetic ist mit sechs Treffern Herthas bester Torschütze in dieser Bundesliga-Saison. Es wären mehr möglich gewesen, doch der Montenegriner hatte viel zu viel mit seinem Körper zu tun. Wenn er gegen den HSV fit sein sollte und mehr als eine halbe Stunde Spielzeit bekommen würde, kann er zu einer enormen Waffe werden. Doch auch die psychische Komponente könnte bei ihm spannend werden. Leider hat man im Laufe der Saison zu oft sehen müssen, wie schnell er in Frustration abrutscht, wenn seine Offensivaktionen nicht fruchten.

Dedryck Boyata und Marc Oliver Kempf: Kommunikativ und guter Abwehrverbund

Die Innenverteidigung hat sich mittlerweile gefunden. Die wohl allergrößte Baustelle unter vielen Baustellen dieser Saison konnte also spät zumindest provisorisch geschlossen werden. Beide agierten wieder über 90 Minuten in Dortmund und waren bei Leibe nicht für die Niederlage verantwortlich.

Dedryck Boyata klärte zehn Bälle aus dem Strafraum und machte es den Dortmundern wahnsinnig schwer Chancen zu kreieren. Es war spannend zu sehen, wie der BVB sich praktisch in Handball-Manier um den Strafraum herumspielen müsste, aber keine Lücke fand, weil die Abwehr um Boyata hervorragend im Verbund mauerte. Der Belgier spielte eines seiner besseren Spiele für die Hertha. Er gewann all seine Zweikämpfe, brachte 16 seiner 19 Bälle bei seinen Mitspielern unter, auch wenn das natürlich viele Sicherheitsbälle waren, da das Offensivspiel der Hertha zugegebenermaßen jetzt nicht gerade glühte.

Zwei Tacklings, einen weiteren Schuss geblockt und vor allem Erling Haaland das Leben in seinem letzten Spiel für Borussia Dortmund das Leben schwer gemacht. Kein schlechter Auftritt vom Kapitän, der auch kommunikativ dazugelernt zu haben scheint. Zumindest war er kommunikativer und motivierender als in den meisten seiner Spiele. Gut so, denn ein Kapitän, der dieses Amtes würdig ist, wird gegen den HSV in der Relegation dringend gebraucht.

(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Marc Oliver Kempf war wie immer wach und agil, verzichtete aber – wie schon gegen Mainz – auf wilde Harakiri-Aktionen. Er spielte zwar gewohnt körperbetont, doch auch er wagte es nicht, dem disziplinierten Abwehrverbund mit einer unnötigen Aktion Schaden zuzufügen. Er spielte für seine Verhältnisse gar besonnen. In seinem Spiel kam er in acht Zweikämpfe. Immerhin gewann er fünf davon. Er konnte zusätzlich einen Schuss blocken und klärte drei Aktionen. Zusätzlich fing er zwei Bälle von den Dortmundern ab.

Auch im Aufbauspiel schaltete sicher der Innenverteidiger ein und brachte mit 75 Prozent gelungener Pässe eine gute Quote zustande. Insgesamt war er an 26 Aktionen beteiligt. Klarer Wehrmutstropfen war allerdings sein praktisch nicht vorhandenes Zweikampfverhalten in der 84. Minute, als er dem flinken und einschießenden Youssoufa Moukoko zu viel Platz ließ. Trotz allem ein sehr disziplinierter Auftritt von Kempf, an dem es gegen den HSV anzuknüpfen gilt.   

Marcel Lotka und Davie Selke: Verletzungen zur Unzeit

Davie Selke verletzte sich unter der Woche im Training. Zunächst hieß es, dass seine muskulären Probleme auskuriert seien und man mit ihm in Dortmund planen würde, kurz vor dem Spiel war allerdings klar, dass der Ex-Bremer nicht zur Verfügung stehen würde. Was das für die Relegation bedeutet, ist noch nicht klar. Möglicherweise wollte Magath auch hier auf Nummer sicher gehen und ihn für die wichtigen Spiele schonen. Ein fitter Davie Selke wäre in solchen emotionsgeladenen Spielen immens wichtig. Auch wenn Ishak Belfodil spielerisch der bessere Spieler ist, beweist Selke eine Arbeitsmoral, die ihres Gleichen sucht. Und bekanntlich besitzt auch er eine Gabe, nämlich das Spielen mit der Psyche der Gegner. Hoffen wir, dass er bis Donnerstag fit wird.

Marcel Lotka krachte in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit ziemlich fies im Flug mit dem Gesicht mit dem Pfosten zusammen. Nach einer Behandlungspause ging es weiter für den Torhüter. Nach dem Spiel wurde berichtet, dass sich der junge Keeper einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Eine Hiobsbotschaft zur Unzeit. Die erste Frage ist natürlich, warum er überhaupt weiterspielen durfte. Der Umgang mit Kopfverletzungen im Fußball ist bekanntlich extrem bedenklich, auch hier wäre Fingerspitzengefühl dringend notwendig gewesen. Auf der Bank machte sich bereits Ersatztorwart Oliver Christensen bereit.

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Nun stellt sich auch die Frage, ob Lotka am Donnerstag einsatzbereit ist. Wie schwer sind die Verletzungen, wie hoch ist das Risiko einen Torhüter mit gebrochener Nase und einer Maske im Gesicht spielen zu lassen? Er ist ein extrem wichtiger Mann für die Hertha. Motiviert, baut auf und kommandiert und hat eine Ausstrahlung, die man in der aktuellen Situation dringend benötigt. Es passt leider in das gesamte Bild der Hertha-Saison, dass solch eine Verletzung ausgerechnet jetzt die Pläne durchkreuzt.

Nachsitzen gegen den HSV – Noch hat Hertha es in der eigenen Hand

Nach 34 Spieltagen muss man klar konstatieren, dass die Hertha sich über das Jahr hinweg nicht als bundesligataugliche Mannschaft präsentiert hat. Nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. Über die Gründe wird gesprochen und geschrieben werden. Auch wenn die Mannschaft mehrere Matchbälle hatte und extrem viele Momente durchlebt hatte, die für eine direkte Rettung gereicht hätten, steht die Mannschaft im Endeffekt verdient auf dem 16. Rang. Die zweitschlechteste Verteidigung, der drittschlechteste Sturm, ein Torverhältnis von 37:71, 19 Niederlagen und regelmäßige Offenbarungseide, sprechen eine deutliche Sprache und lassen keinen anderen Schluss zu.

Dass es am Ende noch zu so einem Abstiegsshowdown und Fernduell gegen den VfB Stuttgart – der wohlgemerkt ebenso wenig verdient die Klasse gehalten hat – kommen würde, ist einzig und allein der einzigen richtigen Entscheidung Fredi Bobics in dieser Saison zu verdanken. Die Einstellung von Felix Magath und Mark Fotheringham war der letzte Strohhalm und er hat einigermaßen gewirkt. Die Relegation gegen den Hamburger SV wird dramatisch werden, sie wird sich einbrennen in die Köpfe aller Beteiligten und aller Fans. Jeder hat noch die Bilder von 2012 vor Augen. Egal wie die Relegation ausgehen wird, es wird sich vieles verändern rund um Hertha BSC. Man hat es in der eigenen Hand den Mega-Crash zu verhindern. Der 1. FC Köln hat in dieser Saison gezeigt, wie man ein Relegationsdrama in positive Energie umwandeln kann und sich ein Jahr später für einen Europa-Cup qualifiziert.

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(Photo credit should read PATRIK STOLLARZ/AFP/GettyImages)

Gegen den HSV könnte es in alle Richtungen gehen, da Felix Magath bereits seit Wochen über dieses Ereignis spricht, kann man immerhin davon ausgehen, dass die Mannschaft auf den Gegner vorbereitet sein wird. Zusätzlich schwört sich das Team im Trainingslager ein. Es ist angerichtet, etwas Wichtiges zu schaffen. Es sind die wohl wichtigsten Spiele der letzten zehn Jahre. Seit dem Aufstieg 2013 war die Hertha nicht mehr so einer großen Druck-Situation ausgesetzt. Es ist höchstens noch vergleichbar mit der Situation vor einem Jahr. Damals konnten Pal Dardai, Admir Hamzagic und Zecke die Mannschaft praktisch auf ein Turnier einstellen. Es ist ihnen gelungen. Hoffen wir nun, dass es das Team noch einmal annimmt. Doch egal was geschieht, nach drei Jahren freiem Fall darf es bei Hertha kein „Weiter so“ geben. Es muss schonungslos analysiert und gehandelt werden.

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Herthaner im Fokus: Es brennt lichterloh

Herthaner im Fokus: Es brennt lichterloh

Zwei Punkte für Hertha aus fünf Bundesliga-Spielen im Jahr 2022, dazu das Aus im Pokal. Die neueste Niederlage gegen die Spielvereinigung aus Fürth war nicht nur ernüchternd, sie schlägt vor allem Alarm und das sehr laut. Wir analysieren das niederschmetternde 1:2, welches Hertha knietief im Abstiegskampf versinken lässt.

Fragen über Fragen

Es sind tiefgehende Probleme, die wieder einmal eiskalt offenbart wurden. Nur der VfB Stuttgart steht in der Rückrundentabelle noch schlechter da als Hertha BSC und auch in der gesamten Tabelle sind es gar nicht so viele Punkte, die die Vereine voneinander trennen.

Zum Spiel der Hertha in Fürth stellen sich viele Fragen. Welche, die sich bereits in den letzten Spielen gestellt haben, doch es kommen nach der Niederlage gegen den Tabellenletzten weitere hinzu. Wieder stellte Tayfun Korkut die Mannschaft im 4-2-2-2 auf, welches immer mehr seine Schwächen zu offenbaren zeigt.

Aber es hilft ja nichts. Wir wollen die Fangemeinschaft nicht allein lassen und schauen uns an, woran es gegen Fürth gehapert hat, welche Spieler aktuell mehr mit ihrem Frust zu kämpfen haben, welche Baustellen sich Tayfun Korkut mittlerweile selbst leistet und ja, wir tun es, wir suchen auch nach diesem Spiel die kleinsten positiven Dinge neben den vielen negativen Punkten heraus.

Vladimir Darida: Die Einstellung stimmt, der Ertrag nicht

Daridas Interview unmittelbar nach dem Spiel sprach Bände. Er konnte sich die Leistung in Fürth nicht erklären, verfiel in Floskeln, wirkte nahezu hilflos. Der Tscheche ist in seinem Alter und auch nach Dienstjahren einer der erfahrensten Spieler bei Hertha und hatte viele schwere Zeiten mitgemacht, aber aktuell wirkt auch er verzweifelt. Und das ist in der jetzigen Situationen höchst dramatisch.

Immerhin war er im Spiel ein Antreiber, versuchte viel zu kämpfen und das Offensivspiel anzukurbeln. Doch den ersten dunklen Moment hatte er nach nur wenigen Sekunden, als er in einem heftigen Pressball mit Paul Seguin verwickelt war. Herthas allgemeinen Pech und einer schlecht gestaffelten Abwehr war es geschuldet, dass die Fürther mit dem schnellsten Bundesligator in dieser Saison nach nur 26 Sekunden bereits auf die Siegerstraße einbiegen konnten.

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(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Darida selbst versuchte sich als Ballverteiler, immerhin kamen 87 Prozent seiner Bälle bei den Mitspielern an. Doch viel zu häufig waren es kurze Bälle, die kaum für Entlastung oder gar einen goldenen Moment in der Offensive sorgen konnten. Wieder lief er mit 13,45 km die längste Strecke aller Akteure auf dem Feld. Zusätzlich konnte er mit einer feinen Flanke vor das Tor in der 82. Minute das Tor von Linus Gechter vorbereiten. Doch seine Statistiken lesen sich okay, mehr aber auch nicht.

Überall fehlte ihm das Glück, die Präzision, er wirkte oft überhastet, zu oft wurden seine Schüsse und Flankenversuche geblockt. Bei seiner Erfahrung sollte man erwarten können, dass er mehr als nur sein Standardrepertoir anbieten kann, doch das ist bei Vladimir Darida leider nicht vorhanden gewesen.

Maximilian Mittelstädt: Kampf, Unglück und tiefer Frust

Auch er ließ mit seinen Aussagen nach dem Spiel im TV-Interview tief blicken. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Die Mannschaft schien mit dem Druck des Publikums nicht klargekommen zu sein. Thesen, über die man reden kann, doch sie dürfen keine Ausrede für die Leistung sein.

Maximilian Mittelstädt, der mit seinen 99 Ballaktionen wieder einmal der aktivste Berliner war, war auch in gewisser Weise ein Sinnbild für das Spiel der Hertha gegen den Tabellenletzten. Bemüht, mit vielen Pässen, aber auch immerhin mit 14 zum Teil haarsträubenden Fehlpässen in völlig unnötigen Situationen.

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Er versuchte sich regelmäßig in der Offensive, kam zu einem Torschuss selbst, bereitete vier weitere vor, aber auch er konnte in keiner Weise Druck für den Lucky Punch aufbauen. Sein Handspiel in der 69. Minute, welches zum Elfmeter führte, war unglücklich, aber nun einmal existent. Sein anschließender Ausraster gegen Schiedsrichter Daniel Schlager war ob der frustrierenden Situation allzu verständlich nur leider nicht zielführend.

Mittelstädt wollte, das ist ohne Zweifel, doch er konnte nicht. So wie das gesamte Team.

Linus Gechter: Der Sonnenstrahl am stark bewölkten Himmel

Wenn ein 17-jähriges Talent, welches gerade seinen sechsten Profieinsatz absolviert, bester Herthaner auf dem Platz ist, dann sollte dem gesamten Trainerteam und auch der gesamten Mannschaft bewusst sein, dass hier gehörig etwas schiefläuft.

Gechter musste regelmäßig in der Verteidigung brenzlige Situation klären, wie in der 18. Minute, als er den Fehler des in dieser Minute schwach agierenden Alexander Schwolow mit einer Klärungsaktion auf der Linie retten musste. Im Verlauf des Spiels war er 71 Mal am Ball, musste drei Schüsse der Fürther blocken und war im Vergleich zum routinierten Mannschaftskapitän Niklas Stark eindeutig der sicherere Mann.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Insbesondere weil Niklas Stark durch seine frühe gelbe Karte gehandicapt und viel damit beschäftig war, die Mitspieler zu ordnen, musste Gechter eine ganze Menge an spielerischen Situationen erledigen. Mit 11,92 km lief er wahnsinnig viel für einen Verteidiger, was aber auch mit seinen ständigen Läufen in den gegnerischen Strafraum zu erklären ist. Er versuchte es oft mit langen Bällen. Mit mäßigen Ertrag im Endeffekt. Zehn seiner 18 Versuche fanden den Mitspieler.

In der 82. Minute konnte er seine Leistung mit seinem ersten Profitor der Karriere krönen. Es half dem Team nicht mehr nennenswert. Doch auch nach diesem Tor war er der erste, der die Mitspieler antrieb, weiter zu kämpfen. Es wäre schön, diese Leistungen bald in Verbindung mit besseren Ergebnissen zu sehen.

Stevan Jovetic: Wut und Frustration in Person

Der Montenegriner ist einer der besten Spieler der Mannschaft und auch einer der erfahrensten. Doch Mitspieler in der aktuellen Verfassung hatte er wahrscheinlich noch nie oder nur selten. Wie schon gegen den VfL Bochum leistete sich Jovetic extrem viele Alleingänge. Er zeigte sich mit vielen Aktionen, versuchte zunächst auch seine Mitspieler in Szene zu setzen, verlor mit der Zeit aber an Geduld.

53 Mal war er am Ball, acht Torschüsse waren sein Beitrag in der Offensive. In der 49. Minute war es Keeper Linde, in dem er seinen Meister fand, wenige Minuten später setzte er einen Flachschuss an den Außenpfosten, in der 79. Minute verzog er sogar fünf Meter vor dem Tor stehend und setzte den Ball am Tor vorbei. Er und Marco Richter versuchten in der zweiten Halbzeit, das Spiel in der Offensive komplett an sich zu reißen.

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Jovetic gewann zusätzlich 75 Prozent seiner Zweikämpfe, was für einen Offensivspieler eine beachtliche Quote ist. Doch auch er musste mit elf Fehlpässen oft den Angriff aufs gegnerische Tor abbrechen. Mit 11,47 km war er zusätzlich sehr agil. Doch das Spiel und das fehlende Engagement seiner Mitspieler ließ ihn völlig verzweifeln.

Seine Frustration hilft seiner Konzentration und seinem Spiel leider kaum weiter, da er sich schnell in überhasteten Situationen verheddert und das Angriffsspiel der Hertha damit genauso zum Erliegen bringt. Es ist eine vergleichbare Situation wie du von Matheus Cunha in der vergangenen Saison. Hoffentlich kann Jovetic seinen (verständlichen) Ärger in Zukunft besser kanalisieren.

Marco Richter: Mit dem Kopf durch die Wand

Viele Fans fragen sich, warum Marco Richter aktuell so wenige Einsatzzeiten bekommt. Es scheint an mangelnder taktischer Disziplin und schwachen Trainingsleistungen zu liegen. Auch gegen Fürth saß er zunächst nur auf der Bank. Zur zweiten Halbzeit kam er für den schwachen und wirkungslosen Myziane Maolida und riss das Angriffsspiel der Hertha zusammen mit Stevan Jovetic an sich.

Er kam zu fünf Torschüssen, war schnell unterwegs und versuchte in der Offensive, seine Mitspieler oft mit einzubinden. Immerhin kamen 15 seiner 16 Pässe bei den Mitspielern an. Doch so sehr er das Ruder rumreißen und dem Spiel seinen Stempel aufdrücken wollte, so übermotiviert wirkte er zum Teil auch.

(Photo by Joosep Martinson/Getty Images)

Eine Mischung aus Übermotivation und purem Frust bewirkt ein Spiel, dass man gut mit der berühmten Metapher „Mit dem Kopf durch die Wand“ beschreiben könnte. Er war gefährlich, aber nie zwingend genug. Meist folgten gewaltvolle Abschlüsse, denen klar die Präzision fehlten, wie in der 55. Minute, als er auf der linken Seite im Strafraum in guter Position war, um den Ball für einen Mitspieler aufzulegen. Er wählte die brutale Variante und versuchte sich an einem wuchtigen Volley aus viel zu spitzen Winkel, den er ans Außennetz setzte.

Marco Richter ist immer eine Alternative für die Offensive. Er sollte im Normalfall den Vorzug vor Maolida erhalten, ein frustrierter Richter hilft der Mannschaft allerdings nur bedingt weiter. Auch diese Baustelle sollte schleunigst geschlossen werden.

Fazit: Es geht um den Klassenerhalt und um nichts weiter

In Berlin türmt sich ein Gewitter auf und es muss viel passieren, damit dieses einfach nur vorbeizieht. Aber das Risiko, dass es sich demnächst über dem Olympiagelände kräftig entlädt, ist sehr groß. Es gibt kaum noch positive Argumente, die die Mannschaft aktuell auf ihrer Seite hat und die Unruhe rund um den Verein macht das Ganze nicht besser.

Wie eingangs bereits erwähnt stellen sich viele Fragen. Was ist Tayfun Korkuts Plan? Hat er Alternativen für das System? Ist er in der Lage, Spielern wie Suat Serdar oder Jurgen Ekkelenkamp die gewünschten Positionen auf dem Platz zu geben, die sie für ihr Spiel benötigen? Erreicht er überhaupt die Mannschaft? Gelingt es ihm Marco Richter und Stevan Jovetic wieder mehr mit dem Team zu verbinden?

Die Mannschaft wirkt nicht homogen, nicht wie ein Team. Das mussten Vladimir Darida und Maximilian Mittelstädt in ihren Sky-Interviews nach dem Spiel praktisch still und heimlich zugeben. In Berlin brennt der Baum. Noch ist Zeit ihn zu löschen, doch die nächsten Aufgaben sind alles andere als einfach und lassen das Vertrauen in die zuständigen Verantwortlichen nach und nach schwinden.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Herthaner im Fokus: Last-Minute-Sieg in Meppen

Herthaner im Fokus: Last-Minute-Sieg in Meppen

Hertha hat die erste Pokalrunde überstanden. So weit, so gut. Dominiert hat die Elf von Pal Dardai den Drittligisten SV Meppen allerdings nur kurzzeitig. In der zweiten Halbzeit drohte das Spiel sogar zu kippen. Doch im Vergleich zur ersten Pokalrunde im vergangenen Jahr scheint das Team weiterentwickelt und stabiler zu sein. Das liegt auch an den gut ins System passenden Neueinkäufen. Die Herthaner im Fokus.

Braunschweig hinter sich lassen

Erinnert ihr euch noch an den Abend des 11. September 2020? An diesem Abend spielte Hertha in der ersten Pokalrunde gegen frisch aufgestiegene Zweitliga-Fußballer aus Braunschweig. 5:4 ging das Spiel verloren, gefühlt fiel nach jedem Braunschweig-Angriff ein Tor. Am heutigen Sonntagabend erinnerte Vieles an dieses Braunschweig-Spiel: Kleines Stadion, ein unterklassiger, aber hoch motivierter Gegner und eine an einigen Positionen neu besetze Berliner Mannschaft.

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Allerdings: Auf drei von vier Positionen spielte Hertha damals mit derselben Abwehrreihe wie heute. Neben Marvin Plattenhardt, Niklas Stark und Peter Pekarik spielte gegen Braunschweig noch Karim Rekik, heute stand Marton Dardai in der Innenverteidigung. Und trotzdem stand Hertha gegen Meppen größtenteils stabiler hinten drin.

Niklas Stark – Neue Sicherheit

Diese Stabilität ging in erster Linie von Niklas Stark aus. Auch Dardai verteidigte gut und antizipierte viele potenziell gefährliche Pässe. Insbesondere in Meppens Druckphase, Mitte der zweiten Halbzeit, gewann Stark einige wichtige Zweikämpfe und Laufduelle. In der 72. Spielminute wäre Meppens Tankulic alleine vor Alex Schwolow aufgetaucht, wenn Stark nicht schneller als der Angreifer gewesen wäre. Auch Meppen-Angreifer Fassbender wurde vom Hertha-Kapitän am heutigen Abend einige Male abgekocht.

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Besonders erwähnenswert ist Starks Leistung aber auch wegen seiner Offensivaktionen. Nach etwa 15 Minuten legte er Neuzugang Stevan Jovetic per Flanke einen Ball vor, einige schöne Flanken von Marvin Plattenhardt verpasste der gebürtige Franke per Kopf nur knapp. In den vergangenen beiden Spielzeiten waren Niklas Starks Leistungen teils sehr schwankend. Insgesamt wirkte Herthas Abwehrreihe oft unabgestimmt und fehleranfällig.

Das heutige Meppen-Spiel hat zumindest einen Hinweis darauf gegeben, dass Coach Pal Dardai es geschafft haben könnte, für mehr Geschlossenheit bei Hertha zu sorgen.

Suat Serdar – Das fehlende Puzzleteil

Mattéo Guendouzi, Lucas Tousart, Santiago Ascacibar, Sami Khedira, Vladimir Darida, Eduard Löwen – Herthas Besetzung im zentralen Mittelfeld war alleine schon von den Namen her toll in der vergangenen Saison.

Eine Eigenschaft fehlte allerdings allen diesen Mittelfeld-Regisseuren: die Torgefahr und die Tiefe im Spiel. Der ehemalige Schalker hat genau das, schon jetzt zeigt sich, dass Serdar mit seinen klugen Vertikal-Pässen vor und im Strafraum eine sehr intelligente Ergänzung des Hertha-Spiels ist. Gerade in Herthas stärkster Phase im heutigen Meppen-Spiel, in der ersten halben Stunde des Spiels, war Serdar fast ausschließlich an allen gefährlichen Aktionen beteiligt. Besonders beeindruckend ist sein Riecher für die gefährlichen Zonen auf dem Spielfeld. Serdar bekam heute einige Abpraller auf den Fuß – natürlich gehört dazu etwas Spielglück.

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Der 24-Jährige aber scheint dieses Spielglück auch ein bisschen zu erzwingen: Er bleibt nicht stehen, wenn seine Stürmerkollegen aufs Tor schießen, sondern rennt zeitgleich zum Schuss in den Strafraum, um die zweiten Bälle festzumachen. Ein toller Spieler, der Hertha in dieser Saison sicher viel Spaß machen wird.

Kevin-Prince Boateng – Hertha aus Leidenschaft

Kevin-Prince Boateng lässt derzeit keine Chance aus, zu betonen, dass es ihm eine große Freude sei, das Ende seiner Karriere im Hertha-Trikot verbringen zu dürfen. Alles Floskeln, könnte man meinen. Sowohl im Testspiel gegen Liverpool als auch im heutigen Pokalspiel bewies Boateng aber, dass er sein Hertha-Herz auch auf dem Fußballplatz zeigen kann.

Oft holt sich Boateng die Bälle vor der Abwehr ab, um sie dann klug weiterzuverteilen. Dass Marvin Plattenhardt am heutigen Sonntag so viele Flanken schlug, lag nicht nur daran, dass er oft vorausschauend bis zur Grundlinie hinunterlief. Diese Flanken konnte er in vielen Fällen nur schlagen, weil Boateng die meisten Bälle auf die Außenbahnen weiterleitet. Sollte sich noch Herthas Transfer-Wunsch nach einem oder zwei flinken Flügel-Flitzern erfüllen, dürften auch diese sich über viele Boateng-Bälle freuen. Fast noch wichtiger ist der Ex-Frankfurter aber als Taktgeber.

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Wenn Dardai und Stark aus der Innenverteidigung heraus das Spiel aufbauen, gibt Boateng Signale. Wenn er merkt, dass die Stimmung im Spiel kippt und der Gegner einen Lauf hat, steht er als Antreiber im Mittelkreis und motiviert seine Mitspieler. Oft schickt er den Empfängern seiner Pässe auch noch ein paar Worte hinterher, um auszudrücken, wo der Ball aus seiner Sicht als nächstes zu landen hat. Boateng wird von seinen Kollegen geschätzt – er könnte zum Klebstoff zwischen Herthas zum Teil unverbunden wirkenden Mannschaftsteilen werden.

Und dann waren da noch:

Stevan Jovetic: Torgefahr und Erfahrung – das bringt der Montenegriner Stevan Jovetic mit. Im Gegensatz zu vielen Neueinkäufen aus den vergangenen Jahren hat sich Jovetic quasi von der ersten Minute an im Liverpool-Spiel in die Mannschaft integriert. Auch heute wirkte es so, als ob der Angreifer schon jahrelang mit Dodi Lukébakio, Suat Serdar und Davie Selke zusammenspielte. Jovetic ist nicht der Schnellste. Aber er kennt dieses Spiel, hat Lust Tore zu schießen und kann Herthas Angeriff auf Anhieb gefährlicher machen.

Foto: xFrankxWenzel/Eibner/IMAGO

Davie Selke: Manche hätten keinen Cent darauf verwettet, dass Davie Selke nach seiner Rückkehr aus Bremen nochmals eine Minute für Hertha spielt. Aber er spielte eine stake Vorbereitung. Hinzu kommt, dass Pal Dardai auf Selkes Spielweise steht. Denn selbst wenn der hochgewachsene Stürmer nicht der brillanteste Techniker ist, so schafft er eines immer: Er stresst den Gegner. Selke steht den Abwehrspielern konstant auf den Füßen, wühlt sich in jeden Zweikampf hinein, kämpft um jeden Eckball, ist in jedem Kopfballduell im gegnerischen Strafraum präsent und macht sich auch verbal immer wieder bemerkbar. Davie Selke ist ein Unruheherd. Viele Hertha-Fans hoffen und meinen, dass er nur eine kleine Treffer-Serie braucht, um endlich wieder zu alter Stärke zurückzufinden. Wir wünschen es ihm.

Fazit: Mehr Stabilität, mehr Geschlossenheit

Hertha hat das Pokalspiel gegen Meppen weitgehend dominiert, nach der Halbzeitpause aber auch eine Phase des Schwimmens gehabt. Leider hat das Team auch heute wieder einige gefährliche Angriffe des Drittligisten zugelassen. Im Gegenteil zum Braunschweig-Spiel vor elf Monaten hat die Mannschaft aber nicht fünf Tore kassiert.

Die zentrale Achse Stark, Dardai – Boateng, Ascacibar, Serdar sorgt nicht nur für fußballerische Stabilität. Vielmehr scheinen diese Spieler auch zum neuen mentalen Grundgerüst des neuen Hertha-Teams zu werden, an dem sich neue und bislang wenig integrierte Spieler orientieren können. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Beobachtungen verstetigen.

[Titelbild: IMAGO]