Hertha BSC muss zehn Jahre nach dem legendären Abstiegsdrama in der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf wieder nachsitzen. Und das gegen den Hamburger SV. Mehr Drama, mehr Spannung und mehr Traditionen gehen eigentlich kaum. Gegen Borussia Dortmund musste die Mannschaft von Felix Magath eine 1:2-Niederlage hinnehmen und vergab damit den dritten und letzten Matchball im Kampf um den direkten Klassenerhalt. Während die Stuttgarter im Fernduell gegen den 1. FC Köln wiederum mit 2:1 siegten, sich für eine starke Aufholjagd in den letzten Spielen belohnten und den Klassenerhalt perfekt machten, half eine einmal mehr engagierte, letztendlich aber einfach zu schwache Vorstellung im Signal-Iduna-Park nicht mehr, um die rettenden Punkte bzw. den einen einzigen Punkt zu sammeln.
Vier Änderungen in der Hertha-Startelf
In Dortmund stellte Felix Magath die Mannschaft im üblichen 4-2-3-1-System auf. Allerdings änderte er sein Team auf vier Positionen, möglicherweise allein wegen der Belastungssteuerung, warten doch nun noch zwei weitere Partien am Donnerstag und den folgenden Montag, die möglicherweise beispielsweise für Kevin-Prince Boateng noch einmal kräftezehrende Spiele werden könnten. Eben jener Boateng saß, nachdem er in den letzten Wochen stets in der Startelf zu finden war, lange Zeit in Dortmund nur auf der Bank. Er wurde von Jurgen Ekkelenkamp ersetzt, der zuletzt kaum zum Einsatz kam.
Außerdem kam es zu drei weiteren Änderungen in der Startelf. Auf der Linksverteidiger-Position kam der wiedergenesene Marvin Plattenhardt zum Einsatz. Der von der TSG Hoffenheim umworbene Marton Dardai, der ihn gegen Mainz noch positionsfremd vertreten hatte, war gegen den BVB auf Grund muskulärer Probleme nicht einmal im Kader. Der Rest der Verteidigung bestand aus der mittlerweile sich als Stammabwehr etablierten Truppe um Marcel Lotka im Tor, Kapitän Dedryck Boyata und Marc Oliver Kempf in der Innenverteidigung und Peter Pekarik als Rechtsverteidiger. Lucas Tousart und Santi Ascacibar wieder davor als Doppelsechs.
In der Offensive verzichtete Magath neben Boateng auch auf Vladimir Darida, der durch Maximilian Mittelstädt ersetzt wurde. Marco Richter saß nach seinem erkältungsbedingten Fehlen zunächst auf der Bank. Mittelstädt sollte sich um die linke Seite kümmern, während Suat Serdar wieder auf die rechte Seite ging. Für den Sturm wurde Davie Selke nicht mehr rechtzeitig fit. Ishak Belfodil vertrat ihn.
In unserer heutigen Analyse schauen wir auf Führungsfiguren, das Potential, welches auf der Bank schlummerte, eine unnötige gelbe Karte und was mit einer stabilen Abwehr in der Relegation möglich ist.
Ishak Belfodil: Er hätte mehr Vertrauen verdient gehabt
Dass gegen den BVB kein Offensivfeuer abgefackelt werden würde, war im Vorfeld natürlich jedem klar. Auch, dass es nicht zu dem atemberaubenden Schlagabtausch kommen würde, den die Mannschaften im Hinspiel geboten haben. Ishak Belfodil gelang es trotzdem eine gewisse Präsenz zu zeigen und stets Gefahr auszustrahlen. Dass er wie so oft in dieser Saison den Ball aber eher defensiv bekam oder zu weit auf den Außen, ist leider sein Schicksal, was der allgemeinen schwachen Offensive der Hertha geschuldet ist.
Gegen den BVB hatte der Algerier seinen goldenen Moment in der 18. Minute. Die Einladung des ausgestreckten Fußes von Dan-Axel Zagadou nahm er dankend an. Nach der Sichtung der Videobilder wurde zurecht auf Elfmeter entschieden. Ishak Belfodil verwandelte sicher per Flachschuss in die linke Ecke. Insgesamt hatte er wieder 33 Aktionen, verteilte viele Bälle. 18 seiner 24 Pässe kamen bei seinen Mitspielern unter. Für einen Offensivspieler sind 75 Prozent eine starke Quote. Sein Zweikampfverhalten ließ mit 25 Prozent siegreicher Aktionen allerdings stark zu wünschen übrig. Immerhin lief er über 10,21 km und war – gegenteilig dazu was man von ihm erwarten würde – extrem kommunikativ, motivierte seine Mitspieler, forderte Konzentration und wirkte zum Teil wie ein Spieler, der einen gewissen Stil eines Führungsspielers verkörperte.
Auch wenn ein fitter Davie Selke in den letzten Wochen für viel Gefahr sorgen konnte, hat Belfodil einmal mehr gezeigt, dass er ein Spieler ist, der in diesem Kader viel öfter einen Startelf-Einsatz verdient gehabt hätte. Am Ende hilft es nicht sich an vergebenen Chancen gegen Bielefeld und Mainz festzubeißen, aber wer weiß, was ein Ishak Belfodil, dem man mehr Vertrauen geschenkt hätte, hätte ausrichten können.
Maximilian Mittelstädt: Viel Einsatz, wenig Ertrag
Es tat gut, einen fitten und motivierten Maximilian Mittelstädt mal wieder von Anfang an spielen zu sehen. Er wurde zwar nach 65 Minuten für Fredrik-André Björkan ausgewechselt, doch er bemühte sich über die gesamte Zeit der Partie seinen Stempel aufzudrücken. Dortmunds Emre Can machte ihm als direkter Gegenspieler allerdings auch das Leben schwer. Immer wieder kam es zu Zweikämpfen, aber immerhin ging – Vorsicht Floskel – Mittelstädt immer dahin, wo es wehtut.
Insgesamt hatte der Ex-Juniorenspieler 35 Aktionen, konnte zwölf seiner 18 Pässe positiv gestalten und gewann zusätzlich 67 Prozent seiner Zweikämpfe. Maximilian Mittelstädt wurde in seiner Karriere meistens als Linksverteidiger eingesetzt, immer wieder waren die Kritikpunkte, dass er defensiv zu viele Defizite habe, die verhindern würden, ihn als einen guten Verteidiger zu bezeichnen. Als Schienenspieler war und ist Mittelstädt immer eine Alternative, doch an beiden Enden fehlt leider eine Menge. Denn auch offensiv hat er Defizite, beispielsweise eine zu geringe Durchsetzungskraft und zu wenig Torgefahr.
Doch im Zusammenspiel mit der restlichen Offensive kann er durchaus noch zu einer interessanten und wichtigen Konstante werden. Und sei es nur als Einwechselspieler, wie gegen Stuttgart, wenn er als einer der wenigen fitten Spieler auf dem Platz noch mit einer Torvorlage glänzen kann.
Santiago Ascacibar: Dämliche gelbe Karte
Santiago Ascacibar war in dieser Saison extrem wichtig für die Hertha, ein Lautsprecher auf dem Feld, immer mit großem Einsatz und jemand, der für Kampf und Leidenschaft stand. Dass er ein Hitzkopf ist und auch gerne mal etwas härter auspackt, weiß man. Oftmals spielt er an der Grenze der Legalität und doch war es auch sein Verdienst, dass Dortmund fast die gesamte erste Halbzeit keine Chancen kreieren konnte.
Auch als Ballverteiler schafft es der Argentinier sich in seinen 88 Minuten Spielzeit in Szene zu setzen. 65 Prozent seiner 18 Pässe fanden die Mitspieler, leider gewann er nur zwei seiner sieben Zweikämpfe, zog zwei Fouls und war unglücklicher Part des Handspiels von Marvin Plattenhardt, welches zum Elfmeter für Borussia Dortmund in der 68. Minute führte, als der Ball von seinem angelegten Arm an den ausgestreckten Arm seines Mitspielers prallte. Ansonsten zog Ascacibar zwei Fouls, grätschte, tackelte und klärte zweimal den Ball in der Defensive.
Unrühmlicher Höhepunkt war seine unnötige gelbe Karte vor dem Elfmeter der Dortmunder, als er Schiedsrichter Tobias Stieler zum wiederholten Male zu sehr auf die Pelle rückte, um die VAR-Bilder sehen zu können. Eine dämliche Aktion, die der Schiedsrichter mit der gelben Karte bestrafte. Die fünfte gelbe Karte der Saison, weshalb Ascacibar äußerst unnötig im Hinspiel gegen den HSV fehlen wird.
Kevin Prince Boateng und Stevan Jovetic: Die individuelle Klasse wird für Hertha wichtig sein
Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic sind Spieler, die eine Mannschaft auf ein anderes Niveau heben können und dem Spiel eine gehörige Portion Struktur und Torgefahr einimpfen können. Doch dafür müssen sie auch fit sein und ihre Leistung länger als nur über ein paar Minuten abrufen können. Beide kamen erst nach 88 Minuten ins Spiel.
Boateng wurde, nachdem er in den letzten Wochen Lenker und Denker im Mittelfeld war, aber gegen Mainz auch leistungstechnisch abtauchte, mit der Bank bedacht. Einerseits wirkte er nach den vielen Einsätzen in letzter Zeit müde und überspielt, andererseits könnte Magath bereits die Relegation im Hinterkopf gehabt haben und wollte ihn dafür ein wenig schonen. Selbst wenn er nur clevere Fouls zieht, denn mehr konnte Boateng gegen Dortmund letztendlich auch nicht ausrichten, hat er einen gewissen Einfluss auf die Mannschaft. Die Hoffnung ist groß, dass er gegen den HSV, einen Gegner, der etwa auf Augenhöhe mit Hertha BSC ist, wieder die kreativen und denkenden Zügel in der Hand hat.
Im Gegensatz zu Boateng erspielte sich Stevan Jovetic sogar noch eine Torchance. Sein Torschuss aus halblinker Position ans Außennetz in der zweiten Minute der Nachspielzeit sorgte zwar für ein Aufhorchen, konnte im Endeffekt aber nichts mehr am Spielende ändern. Stevan Jovetic ist mit sechs Treffern Herthas bester Torschütze in dieser Bundesliga-Saison. Es wären mehr möglich gewesen, doch der Montenegriner hatte viel zu viel mit seinem Körper zu tun. Wenn er gegen den HSV fit sein sollte und mehr als eine halbe Stunde Spielzeit bekommen würde, kann er zu einer enormen Waffe werden. Doch auch die psychische Komponente könnte bei ihm spannend werden. Leider hat man im Laufe der Saison zu oft sehen müssen, wie schnell er in Frustration abrutscht, wenn seine Offensivaktionen nicht fruchten.
Dedryck Boyata und Marc Oliver Kempf: Kommunikativ und guter Abwehrverbund
Die Innenverteidigung hat sich mittlerweile gefunden. Die wohl allergrößte Baustelle unter vielen Baustellen dieser Saison konnte also spät zumindest provisorisch geschlossen werden. Beide agierten wieder über 90 Minuten in Dortmund und waren bei Leibe nicht für die Niederlage verantwortlich.
Dedryck Boyata klärte zehn Bälle aus dem Strafraum und machte es den Dortmundern wahnsinnig schwer Chancen zu kreieren. Es war spannend zu sehen, wie der BVB sich praktisch in Handball-Manier um den Strafraum herumspielen müsste, aber keine Lücke fand, weil die Abwehr um Boyata hervorragend im Verbund mauerte. Der Belgier spielte eines seiner besseren Spiele für die Hertha. Er gewann all seine Zweikämpfe, brachte 16 seiner 19 Bälle bei seinen Mitspielern unter, auch wenn das natürlich viele Sicherheitsbälle waren, da das Offensivspiel der Hertha zugegebenermaßen jetzt nicht gerade glühte.
Zwei Tacklings, einen weiteren Schuss geblockt und vor allem Erling Haaland das Leben in seinem letzten Spiel für Borussia Dortmund das Leben schwer gemacht. Kein schlechter Auftritt vom Kapitän, der auch kommunikativ dazugelernt zu haben scheint. Zumindest war er kommunikativer und motivierender als in den meisten seiner Spiele. Gut so, denn ein Kapitän, der dieses Amtes würdig ist, wird gegen den HSV in der Relegation dringend gebraucht.
Marc Oliver Kempf war wie immer wach und agil, verzichtete aber – wie schon gegen Mainz – auf wilde Harakiri-Aktionen. Er spielte zwar gewohnt körperbetont, doch auch er wagte es nicht, dem disziplinierten Abwehrverbund mit einer unnötigen Aktion Schaden zuzufügen. Er spielte für seine Verhältnisse gar besonnen. In seinem Spiel kam er in acht Zweikämpfe. Immerhin gewann er fünf davon. Er konnte zusätzlich einen Schuss blocken und klärte drei Aktionen. Zusätzlich fing er zwei Bälle von den Dortmundern ab.
Auch im Aufbauspiel schaltete sicher der Innenverteidiger ein und brachte mit 75 Prozent gelungener Pässe eine gute Quote zustande. Insgesamt war er an 26 Aktionen beteiligt. Klarer Wehrmutstropfen war allerdings sein praktisch nicht vorhandenes Zweikampfverhalten in der 84. Minute, als er dem flinken und einschießenden Youssoufa Moukoko zu viel Platz ließ. Trotz allem ein sehr disziplinierter Auftritt von Kempf, an dem es gegen den HSV anzuknüpfen gilt.
Marcel Lotka und Davie Selke: Verletzungen zur Unzeit
Davie Selke verletzte sich unter der Woche im Training. Zunächst hieß es, dass seine muskulären Probleme auskuriert seien und man mit ihm in Dortmund planen würde, kurz vor dem Spiel war allerdings klar, dass der Ex-Bremer nicht zur Verfügung stehen würde. Was das für die Relegation bedeutet, ist noch nicht klar. Möglicherweise wollte Magath auch hier auf Nummer sicher gehen und ihn für die wichtigen Spiele schonen. Ein fitter Davie Selke wäre in solchen emotionsgeladenen Spielen immens wichtig. Auch wenn Ishak Belfodil spielerisch der bessere Spieler ist, beweist Selke eine Arbeitsmoral, die ihres Gleichen sucht. Und bekanntlich besitzt auch er eine Gabe, nämlich das Spielen mit der Psyche der Gegner. Hoffen wir, dass er bis Donnerstag fit wird.
Marcel Lotka krachte in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit ziemlich fies im Flug mit dem Gesicht mit dem Pfosten zusammen. Nach einer Behandlungspause ging es weiter für den Torhüter. Nach dem Spiel wurde berichtet, dass sich der junge Keeper einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Eine Hiobsbotschaft zur Unzeit. Die erste Frage ist natürlich, warum er überhaupt weiterspielen durfte. Der Umgang mit Kopfverletzungen im Fußball ist bekanntlich extrem bedenklich, auch hier wäre Fingerspitzengefühl dringend notwendig gewesen. Auf der Bank machte sich bereits Ersatztorwart Oliver Christensen bereit.
Nun stellt sich auch die Frage, ob Lotka am Donnerstag einsatzbereit ist. Wie schwer sind die Verletzungen, wie hoch ist das Risiko einen Torhüter mit gebrochener Nase und einer Maske im Gesicht spielen zu lassen? Er ist ein extrem wichtiger Mann für die Hertha. Motiviert, baut auf und kommandiert und hat eine Ausstrahlung, die man in der aktuellen Situation dringend benötigt. Es passt leider in das gesamte Bild der Hertha-Saison, dass solch eine Verletzung ausgerechnet jetzt die Pläne durchkreuzt.
Nachsitzen gegen den HSV – Noch hat Hertha es in der eigenen Hand
Nach 34 Spieltagen muss man klar konstatieren, dass die Hertha sich über das Jahr hinweg nicht als bundesligataugliche Mannschaft präsentiert hat. Nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. Über die Gründe wird gesprochen und geschrieben werden. Auch wenn die Mannschaft mehrere Matchbälle hatte und extrem viele Momente durchlebt hatte, die für eine direkte Rettung gereicht hätten, steht die Mannschaft im Endeffekt verdient auf dem 16. Rang. Die zweitschlechteste Verteidigung, der drittschlechteste Sturm, ein Torverhältnis von 37:71, 19 Niederlagen und regelmäßige Offenbarungseide, sprechen eine deutliche Sprache und lassen keinen anderen Schluss zu.
Dass es am Ende noch zu so einem Abstiegsshowdown und Fernduell gegen den VfB Stuttgart – der wohlgemerkt ebenso wenig verdient die Klasse gehalten hat – kommen würde, ist einzig und allein der einzigen richtigen Entscheidung Fredi Bobics in dieser Saison zu verdanken. Die Einstellung von Felix Magath und Mark Fotheringham war der letzte Strohhalm und er hat einigermaßen gewirkt. Die Relegation gegen den Hamburger SV wird dramatisch werden, sie wird sich einbrennen in die Köpfe aller Beteiligten und aller Fans. Jeder hat noch die Bilder von 2012 vor Augen. Egal wie die Relegation ausgehen wird, es wird sich vieles verändern rund um Hertha BSC. Man hat es in der eigenen Hand den Mega-Crash zu verhindern. Der 1. FC Köln hat in dieser Saison gezeigt, wie man ein Relegationsdrama in positive Energie umwandeln kann und sich ein Jahr später für einen Europa-Cup qualifiziert.
Gegen den HSV könnte es in alle Richtungen gehen, da Felix Magath bereits seit Wochen über dieses Ereignis spricht, kann man immerhin davon ausgehen, dass die Mannschaft auf den Gegner vorbereitet sein wird. Zusätzlich schwört sich das Team im Trainingslager ein. Es ist angerichtet, etwas Wichtiges zu schaffen. Es sind die wohl wichtigsten Spiele der letzten zehn Jahre. Seit dem Aufstieg 2013 war die Hertha nicht mehr so einer großen Druck-Situation ausgesetzt. Es ist höchstens noch vergleichbar mit der Situation vor einem Jahr. Damals konnten Pal Dardai, Admir Hamzagic und Zecke die Mannschaft praktisch auf ein Turnier einstellen. Es ist ihnen gelungen. Hoffen wir nun, dass es das Team noch einmal annimmt. Doch egal was geschieht, nach drei Jahren freiem Fall darf es bei Hertha kein „Weiter so“ geben. Es muss schonungslos analysiert und gehandelt werden.
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)