Danke für Nichts (und Alles)! –  Briefe an die Väter

Danke für Nichts (und Alles)! – Briefe an die Väter

Das erste Mal ins Stadion mitgenommen zu werden, ist für viele der Beginn einer Fan-Beziehung mit Höhen und Tiefen. Die “Taufe” – oft geschlechtsklischeehaft vom Vater übernommen – führt insbesondere bei Hertha nicht unbedingt zu Ektase und Jubel, sondern zu Tränen, Wut und Leid. Unsere Autoren erinnern sich und fragen ihre Väter: “Wie konntest du mir das nur antun?!”

Briefe an die Väter

Johannes

Lieber Papa,

was hast du mir angetan? Was hast du deinem kleinen, unschuldigen und naiven, neunjährigen Sohn angetan, als er damals mit dir die Sportschau sah und diesem blonden und schreienden Torwart von den Bayern bei glanzvollen Paraden zugesehen hat? Oliver Kahn hieß der, oder? Und der kleine Junge wollte den Typen mal live sehen. In so einem Stadion, wo die immer Fußball spielen. Aber der spielte ja damals bei den Bayern und wir lebten in Berlin. Egal, unsere Stadt hat ja sicherlich auch einen Verein. Hertha hieß der oder? Komischer Name, aber eigentlich auch passend, schließlich sind in der Hauptstadt ja immer alle härter. Also fragte ich dich, fast schon beschämt, ob wir nicht einmal in solch ein Stadion gehen könnten, wusste ich doch, dass so ein Besuch sicherlich nicht billig werden würde.

Du sagtest mir zu, dass wir das demnächst sicherlich sehr gerne mal machen könnten. Die nächsten Wochen zogen ins Land und wir haben weiterhin gemeinsam Fußball geguckt und es war der Wahnsinn, wie du dafür gesorgt hattest, dass ich in diesen Bann dieses famosen Spiels gezogen wurde. In der Schule hatte ich damals mit meinen Freunden in den Pausen immer Fußball gespielt, ich wollte so sein wie der Brasilianer von Hertha, der mit den bunten Haaren, dieser Marcelinho, der war toll!!!

Und eines Tages bist du nach Hause gekommen und sagtest mir, du hättest eine Überraschung für mich… Mit großen Augen wartete ich gespannt auf das kleine Päckchen, was du mir überreichen wolltest. Ein Marcelinho-Trikot. Ein Marcelinho-Trikot von Hertha BSC. Dieses berühmte dunkelblau-weiß gestreifte Trikot. Es war fantastisch, bis heute ikonisch.

Direkt am nächsten Tag ging ich damit zur Schule und war der Star meiner Klasse. Man war das cool. In der Pause spielten wir dieses Mal “Weltmeister”. Jeder gegen jeden auf ein Tor. Und ich war gut, ich war richtig gut! Schließlich war ich Marcelinho und die anderen allerhöchstens Francesco Totti von Italien. Ich war hochgradig in diesen Verein verliebt. Ich war der Meinung, Hertha wäre das Nonplusultra im europäischen Fußball. Und du hast zusammen mit mir Tabellen studiert und mir Szenarien erklärt, wie es Hertha in die Champions League schaffen würde. Und dann war es endlich soweit. Du hast dein Versprechen eingelöst und wir sind zum Spiel Hertha BSC gegen den SV Werder Bremen ins Olympiastadion gegangen. Davor durfte ich mir sogar einen Schal aussuchen. Jenen Schal besitze ich selbstverständlich bis heute und wie es das ungeschriebene Gesetz so will, hab ich diesen natürlich bis heute nie gewaschen. Die paar Ketchup-Flecken gelten als schöne Erinnerungen an viele Fanjahre.

hertha

(Photo credit should read TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Der erste Blick durch den Eingang ins Stadion, in der Ferne sieht man die ersten Fans und dann der Eintritt in eine andere Welt. Dieses laute Toben, die vielen zehntausenden Menschen, ich war wie neugeboren. Und so ging das über viele Jahre. Es wurde nie schlechter. Aber irgendwann distanziertest du dich vom Fußball. Irgendwie hast du mich allein gelassen, du sorgtest dafür, dass ich von nun an alleine leiden musste, du hast die Spiele höchstens noch vorm Fernseher verfolgt. Aber aus dem Neunjährigen war mittlerweile ein Vierzehnjähriger geworden und der hatte Freunde, mit denen er regelmäßig ins Stadion ging. Viele Jahre später – ich war schon weit über 20 – überredete ich dich nochmal mitzukommen. Dieses Mal waren die Rollen also vertauscht. Und es war wunderbar. Ein tolles Vater-Sohn-Erlebnis.

Doch Papa, ich frage dich ein weiteres Mal. Was hast du mir angetan? Hättest du damals dem neunjährigen Jungen einfach gesagt, dass ein Stadionbesuch aus welchem Grund auch immer aktuell nicht möglich ist, wäre es vielleicht nie zu meiner Verliebtheit gekommen und dem alljährlichen Leid. Ich würde nicht jedes Wochenende zittern, ich würde mich nicht unter der Woche leer, wütend oder unrealistisch hoffnungsvoll fühlen. Ich müsste nicht an die Grenzen des Verstands gehen und mir die Nachspielzeit einer hochdramatischen Relegation vorm Fernseher zitternd und mit Hanteln in der Hand zur psychischen Ablenkung, ansehen. Ich müsste mir nicht ständig irgendwelche Sprüche anhören, was denn Die Hertha schon wieder für einen Mist bauen würde. Ich müsste auf der Arbeit gegen die Unioner Kollegen nicht dreimal innerhalb einer Saison der Depp sein, dessen Team sich bis auf die Knochen blamiert. Ich müsste so vieles nicht. Doch nun ist es so und es ist eine Lebenseinstellung. Papa, was hast du mir angetan?

Dein Johannes

 

Niklas

Lieber Papi,

Wenn du gewusst hättest, was du anrichtest. Hättest du es dennoch getan? 30. September 2000. Du willst deinen Kinder (5 & 9) etwas Gutes tun und nimmst die ins damals noch nicht vollständig überdachte Olympiastadion mit. Es sollte sich lohnen, die zu diesem Zeitpunkt schon alte, aber quicklebendige Dame gewinnt 4:2 gegen Köln. Alex Alves verwandelt vom Mittelpunkt. Hertha schließt die Saison auf dem fünften Platz ab. Europa. Gute Vorzeichen für eine langjährige Beziehung.

Konntest du ahnen, was 22 Jahre später geschieht? Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein. Ich gehe nach längerer Pause wieder in Stadion, befasse mich intensiver mit Hertha als je zuvor, doch statt Europa und Traumtoren finde ich nur Schmerz und Verwüstung vor. Du kennst das. Bist schließlich seit fast 50 Jahren Hertha-Fan. In deinem ersten Spiel kickte noch Ete Beer im Blau-Weißen Dress. Du hast die Hertha-Frösche erlebt und eiskalte Spiele mit 8.000 Zuschauern. Hättest du es nicht besser wissen müssen? Ich bin mir sicher, du wolltest damals nur das Beste, doch wurdest du Teil der anti-mephistophelischen Fußball-Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

Hertha hat mal wieder gegen den Abstieg gespielt. Emotionen machen zwar den Fußball aus, ich ertappe mich trotzdem dabei neidisch auf die Rot-Weiße Front zu schielen, an der die Valenz-Grenze klar verläuft. Du konntest nicht ahnen, was an diesem Tag im September geschieht. Meine Schwester hat es immerhin nicht so stark erwischt. Für mich war aber seit diesem Tag klar: In Berlin nur Hertha.

Geschah es im erzieherischen Interesse? Emotionsregulation und Belohnungsaufschub sind wichtige Fähigkeiten. Selten werden sie verlässlich eingeübt und auf die Probe gestellt, wie an den 34. Spieltagen der Hertha. „Die Leiden des jungen Niklas“ nach einer Idee seines Vaters.

Vielleicht verhält es sich ja ähnlich wie zur geliebt-gehassten Schullektüre. Frustriert über die Ausgüsse meist älterer weißer Herren, verwarf man das Lesen zwecks subjektiv sinnvollerer Beschäftigungen und beäugte neidisch die Bücher, die andere Klassen vorgesetzt bekamen. Erst Jahre später verstand man dankbar des Pudels Kern.

In diesem Sinne: danke für Nichts und danke für Alles. Lieber mit dir von den Rängen leiden, als im Wachkoma die 10. Meisterschaft in Folge performativ über sich ergehen lassen. Lieber alte Dame statt alter Liebe. Und lieber nicht nach Hause, als nach Köpenick.

Dein Niklas

P.S. Die Mutter wusste es auch nicht besser und bestärkt mich im Fan-Sein immer wieder.

 

Chris

Lieber Papa,

wie oft man es doch feststellen muss, auch als erwachsener Mensch, dass der Vater am Ende Recht behält … hätte ich bloß auf dich gehört. Dann würde mir der ganze Mist heute egal sein und ich hätte nicht all diese Tränen vergossen.

Dabei hattest du mich vorgewarnt. Nicht umsonst hast du Fußball gemieden, nicht umsonst war vor mir in der Familie kein Mensch auf die Idee gekommen, Fußballfan zu werden. „Alles Vollidioten im Fußball“, sagtest du damals. Außerdem sei es doch gefährlich, bei all diesen verrückten im Stadion. Das letzte was du wolltest, ist dein Sohn da mittendrin zu sehen.

Fast schon gezwungen habe ich dich, mich ins Olympiastadion zu bringen. Widerwillig hast du mich dorthin begleitet. Immerhin brachtest du mich zu richtigen Stadion: als Franzosen in Berlin hatten wir auch falsch abbiegen können, um aus Versehen bei Union zu landen. Doch schon im allerersten Spiel hätte ich es erkennen sollen: gegen den Fußballclub aus Gelsenkirchen gab es direkt eine Niederlage.

Doch dein Herz für dein Sohn war zu groß. Du sahst mich leiden und dachtest dir: zumindest einen Sieg möchte ich ihm schenken. Du nahmst mich also nochmal mit, dieses Mal gegen den Tabellenletzten aus Köln. „Typisch Hertha“ lernte ich an dem Tag, als gegen jede Erwartung Poldis Kölner unsere Hertha komplett auseinandernahmen.

Als es dann endlich soweit war, Auswärts in Frankfurt, Raffael aus spitzem Winkel die Führung erzielte und Marko Pantelic (Fußballgott!) den Sieg perfekt machte, war es schon zu spät. Ich war endgültig in diesem Wahn gefangen, zu tief um wieder herausgeholt zu werden. Für mich sollten noch viele Auswärtsfahrten und Heimspiele folgen, gemeinsam mit neuen Hertha-Freunden.

(Photo credit should read ARIS MESSINIS/AFP via Getty Images)

Du musstest weiterhin aus Liebe zu mir mitleiden. Wir sprachen über die „Flitzpiepen“ bei Hertha und wie sie mich Jahr für Jahr enttäuschten. Du hattest schon vor zehn Jahren gesagt: „Sie müssten eigentlich alle rauswerfen und wieder bei null anfangen!“. Und ich lachte nur und dachte mir, ich wisse es doch besser. Wie stolz und naiv man als Sohn sein kann.

Aber das verrückte an der ganzen Sache ist: ich bereue es nicht. Ich würde jedes Mal nochmal mit dir ins Olympiastadion gehen, diese Treppen hochlaufen und diese Emotionen verspüren. Hertha-Fan zu sein ist viel mehr als das, was auf dem Platz passiert. Eine Leidenschaft zu haben ist eine Bereicherung, egal wie schmerzhaft sie sein kann. Und ich bin mir sicher, dass ich mich in zehn Jahren immer noch mit dir gemeinsam über die „Flitzpiepen“ ärgern werde.
[Vermerk: „Flitzpiepen“ wurde hier als Ersatz für ein politisch nicht ganz korrektes französisches Schimpfwort benutzt, das aber ironisch/liebevoll und keineswegs beleidigend oder gar diskriminierend gemeint ist.]”

Dein Chris

 

Erinnerung an den Vater

 

Steven

Vor knapp 25 Jahren, am 8. November 1997, traf mein Vater eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Er nahm mich mit ins Olympiastadion. Hertha spielte gegen 1860 und gewann 2:0 nach zwei Standardtoren. Mein Vater sagte damals vor dem 2:0, welches zumindest in meiner Erinnerung nach einem Eckball entstand, dass Ecken immer gefährlich seien. Auch wenn ich aus heutiger Sicht massiv widersprechen würde, so sollte er zumindest an diesem Tag Recht behalten. Andreas Schmidt traf zum 2:0, die Fans tobten auf den damals noch im Olympiastadion verbauten Sitzbänken und ich war das erste Mal in meinem Leben verliebt.

Es hat einen Grund, warum Nick Hornbys Zitat, in welchem er die Entstehung der Liebe zu seinem Fußballverein beschreibt, fast schon inflationär genutzt wird, wenn es darum geht, eben jene Gefühle zu beschreiben.

Und wie auch Nick Hornby verschwendete ich keinen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit, die nun mein Leben begleiten sollten.

Mein Vater, das muss man ihm zugutehalten, hat so weit vermutlich gar nicht gedacht. Und auch das passt ja dann irgendwie zu diesem Verein, der fortan ein Teil von mir war.

Er wollte mit seinem Sohn zum Fußball gehen. Was man halt so macht, wenn der Sohn anfängt sich für Fußball zu interessieren und man als Vater, getrennt lebend von der Mutter, jedes zweite Wochenende den Jungen bei sich hat und irgendwas machen will, das klischeebedingt typisch Vater-Sohn ist. Und vermutlich auch die Mutter ein wenig provoziert. „Proletensport. Gefährlich. Die Asis in der U-Bahn.“ Ich liebte es, wenn die U-Bahn wippte, gesungen und gefeiert wurde.

Mein Vater, der eigentlich nicht so wirklich verbunden mit Hertha war, in den 90ern eher das magische Dreieck des VfBs bewunderte, nahm mich wohl auch deshalb mit, weil Hertha damals in die Bundesliga aufstieg. Mein Segen und Fluch. Für Hertha ging es steil bergauf. Champions League, ich sah Chelsea, Porto und Barcelona. Wobei – von Barcelona sah ich aus bekannten Gründen nicht viel. Sebastian Deisler war mein Held, mein erster Spielerflock war von ihm. Ein Glück hielt mein Vater mich davon ab, seine Trikots nach seinem feststehenden Abgang wegzuschmeißen. Meine Enttäuschung war grenzenlos.

Foto: Michael Cooper /Allsport

Dann die erste Dauerkarte mit ihm. Das war in der Saison 2002/03. Hertha hatte gerade Huub Stevens verpflichtet. Ich konnte ihn nicht leiden. Er war Schalker, das genügte damals. In Block P gab es zwei Dauerkarten zum Preis von einer, das war unser Glück. Mein Blick galt nicht nur dem Spielfeld, sondern immer intensiver auch dem Geschehen links von mir. Die Ostkurve faszinierte mich.

Meine Mutter, immer noch alles andere als ein Fan unseres damaligen Wochenend-Rituals, formulierte einen frommen Wunsch: „Bloß nicht in die Ostkurve“. Wie ein Hinweis auf einer Toilettentür: „Bemalen strengstens verboten!“. Wozu soll das bei einem renitenten Jungen führen? Natürlich in die Ostkurve! (Das Malen und Kritzeln habe ich mangels Talents übrigens meistens sein gelassen.)

Also ging ich mit 13 das erste Mal in die Kurve. Mein Vater war damals noch dabei. Irgendwann wollte ich mein eigenes Ding machen. Lernte eigene Leute kennen. Schrieb in den damals angesagten Fanforen im Internet unter Pseudonymen, die aus heutiger Sicht mindestens unangenehm sind, Analysen und Einschätzungen, welche wahrscheinlich ähnlich zur Fremdscham anregten, wie Kai Dittmanns Explosion beim Spiel der Hoffenheimer gegen den FC Bayern. Er stand auf für Dietmar Hopp, ich stand in der Ostkurve. Jetzt ohne meinen Vater, dafür mit Freunden und Leidensgefährten, die für einige Jahre meine Familie sein sollten. Mein Leben drehte sich um Hertha. Und bald auch um das Drumherum. Fahnen malen, Stellung beziehen. Während Hopps Hoffenheimer noch in der Regionalliga tingelten, begann bei mir ein Bewusstsein einzusetzen, sich für den Erhalt des Volkssports Fußball einzusetzen. Argumentativ damals vielleicht noch etwas unterkomplex, dafür mit voller Überzeugung. Fußball muss bezahlbar sein, Pro 15:30 und gegen den modernen Fußball. Mein Vater unterstützte mich. Zu diesem Zeitpunkt wohl weniger aus Zuneigung zu Hertha, sondern eher aus Zuneigung zu mir. Er zeigte mir, wie man Fahnen malt. Ohne Beamer und OH-Projektoren. Mit Rastermethode. Kästchen für Kästchen ein kleines Motiv vergrößern. Hätte ich nur einen Bruchteil meiner Energie und Leidenschaft für den Fußball in die Schule gesteckt, wäre mir wohl viel Ärger erspart geblieben.

Aber so funktionierte ich damals nicht. Ich wollte mehr. Das erste Auswärtsspiel. Heimlich in Rostock mit ein paar flüchtigen Bekannten. Regionalbahn. Es stapelte sich, war heiß. Ich hatte nicht mal eine Karte fürs Spiel. Ich sprach Kay Bernstein an. Den kannte ich. Das war der Typ, der damals mit Megaphon auf der Mauer stand und die Ostkurve anpeitschte. Eine Karte hatte er auch nicht, aber irgendwie regelte sich das. 5€ habe ich für den ermäßigten Stehplatz gezahlt. Vor dem Bahnhof warteten unglaublich viele Polizisten und ein paar Shuttle-Busse. Ich fuhr direkt im Ersten mit. Rostocker beschmissen den Bus mit Steinen, Scheiben gingen zu Bruch. Spätestens hier hätten vermutlich viele 15-Jährige gesagt, dass es das nicht sein muss. Ich wollte immer mehr, keine Ahnung warum. Meine Mutter erfuhr von alldem nichts. Mein Vater auch nicht immer alles. Dafür finanzierte er einen Teil der Fahrten. Es war mir wichtig, das genügte ihm. Auch wenn es dafür sorgte, dass wir immer seltener Zeit miteinander verbrachten.

Doch auch das sollte irgendwann vorbei sein. Sitzengeblieben, von der Schule geflogen und irgendwann in einem Alter, wo man mal klarkommen muss. Die Ausbildung als Hotelfachmann war so ziemlich das Letzte, was sich mit dem Fußball vereinbaren ließ. Vielleicht war das unterbewusst auch so gewollt. Der deutliche Bruch, weil ich alles andere nicht hinbekam. Meine Mutter war erstmal beruhigt. Ich zog es durch, auch wenn ich es teilweise hasste. Leidensfähigkeit hatte ich ja schon mit meinem Verein gelernt. Mein Vater wurde im gleichen Zeitraum schwer krank. Wenn es mein Dienstplan erlaubte, schaute ich fortan die Spiele nicht mehr im Stadion, sondern mit ihm vor dem Fernseher. Anfangs mit miserablen Streams in russischer Sprache auf meinem Röhrenmonitor. Aber da ich für alles, was mir wichtig ist, relativ schnell eine große Passion entwickeln kann, wurde irgendwann auch das Equipment besser. LigaTotal, Beamer und ein paar Kaltgetränke. Hertha war wieder unser Ding, so wie es früher war.

Einmal waren wir noch im Stadion. Luhukay war Trainer. Hertha spielte im kalten, halbleeren Olympiastadion gegen Nürnberg. 4. Minute. Eckball. Ronny auf Ramos, Kopfball, Tor. Logisch. Ecken sind ja gefährlich. Aber Hertha wäre natürlich nicht Hertha, wenn sie das Ding nicht noch in den Sand gesetzt hätten. 1:3 hieß es am Ende. Eine katastrophale Fehlentscheidung gegen Hertha und der Nürnberger Torhüter Raphael Schäfer, zu dem keiner meiner Gedanken abgedruckt werden sollte, komplettierten diesen verkorksten Abend. Meinem Vater war es körperlich zu viel. Es ging nicht mehr.

Wir schauten also die Spiele weiter zu Hause. Ich studierte mittlerweile und die Wochenenden waren wieder mein Highlight, wenn auch anders als früher. Irgendwann konnte er nicht mehr. Ich baute Fernseher und Rechner an seinem Krankenbett auf. Das letzte Spiel, welches wir gemeinsam sahen, war ein 1:4 von Hertha gegen Gladbach. Das war aber ebenso egal, wie die Tatsache, dass an diesem Tag nicht mal die Ecken gefährlich waren.

Seitdem gehe ich wieder häufiger ins Stadion, fahre ab und zu auswärts. Mein Sohn ist seit seiner Geburt Mitglied, wie auch mittlerweile viele meiner Freunde, die vor ein paar Jahren noch kaum was mit Hertha am Hut hatten. „Du bist schlimmer als die Zeugen Jehovas“ sagte letztens jemand, als ich wieder jemanden davon überzeugte, Mitglied bei Hertha zu werden. Wahrscheinlich wissen sie auch, dass es mich nur mit Hertha gibt. Mit allem, was dazugehört. Und bei all der Trauer, Freude, Frust, die damit verbunden sind, kann ich nur mit Dankbarkeit auf den 08. November 1997 zurückblicken. Hertha war unser Ding und es wird immer mein Ding bleiben.

Achja, meine Mutter? Die ist immer noch nicht so ganz begeistert …

Privat

 

[Titelbild: PATRIK STOLLARZ/AFP via Getty Images]

 

Interview Andrew Ullmann (FDP) „Stufenweise Wiedereröffnung der Stadien verantwortbar“

Interview Andrew Ullmann (FDP) „Stufenweise Wiedereröffnung der Stadien verantwortbar“

Die vergangenen Monate haben uns Herthafans einiges abverlangt. Nach einer Chaos-Saison kam es zur Corona-Pause, es folgte die Wiederaufnahme des Spielbetriebs – ohne Zuschauer. Tolle Hertha-Spiele, wie den Derby-Sieg, konnten wir nur am Fernseher miterleben. Wenn Mitte September die Liga wieder startet, könnte das so weitergehen. Denn Großveranstaltungen sind bis Ende Oktober untersagt. Doch es kommt Bewegung in die Sache: Die DFL hat ein Konzept zur Wiedereröffnung der Stadien vorgelegt. Und auch in der Politik gibt es Befürworter.

Hertha BASE sprach mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Andrew Ullmann. Ullmann ist Klinikprofessor für Infektiologie und sitzt im Gesundheitsausschuss des Bundestages – er kennt sich aus mit dem Coronavirus. Im Interview erklärt er, wie aus medizinischer Sicht Fußballspiele wieder mit Fans stattfinden könnten.

Hertha BASE: Herr Ullmann, Sie wohnen in Würzburg, sind Klinikprofessor für Infektiologie und seit 2017 Bundestagsabgeordneter für die FDP. Im Bundestag kümmern Sie sich normalerweise um gesundheitspolitische Themen. Kürzlich forderten Sie in einer Pressemitteilung aber, dass Spiele im Profifußball wieder mit Zuschauern stattfinden sollen. Was hat Sie zu dieser Forderung bewegt? Der inzwischen feststehende Aufstieg der Würzburger Kickers, infektiologische Beurteilungen oder politische Strategien?

Prof. Dr. Ullmann: Ich habe mich sehr über den Aufstieg gefreut, bin auch Dauerkartenbesitzer bei den Kickers. Natürlich war ich etwas traurig, dass der Aufstieg nicht gemeinsam mit den Fans in der Stadt gefeiert werden konnte. Meine Forderung nach den Zuschauern im Stadion ist aber politischer Natur. Ich habe mich kürzlich mit einigen Fraktionskollegen unterhalten, sie fragten mich, wie ich aus medizinischer Sicht mögliche Lockerungen bei Großveranstaltungen bewerten würde.

HB: Inzwischen sind die meisten Corona-Maßnahmen ja wieder zurückgeschraubt worden. Die Einschränkungen für Großveranstaltungen gelten allerdings noch, werden in den Ländern allerdings unterschiedlich ausgelegt. Gleichzeitig breitet sich das Coronavirus in anderen Teilen der Welt teils ungebremst aus. Meinen Sie wirklich, man sollte alle Maßnahmen zurückfahren?

Prof. Dr. Ullmann: Der Lockdown hat nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen gesellschaftlichen Schaden hinterlassen. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen haben die Menschen teilweise wie in Einzelhaft gelebt – wochenlang. Es gab familiäre Stresssituationen. Da ich fest von einer zweiten Infektionswelle ausgehe, finde ich es wichtig, dass wir den Menschen jetzt in den Bereichen, die Spaß und Freude bringen, wieder Luft zum Atmen geben.

Foto: IMAGO

HB: Erwiesen ist es nicht, aber es gibt die Theorie, dass einige Europapokalspiele im Februar und März sogenannte „Superspreading Events“ gewesen sein könnten. Wie könnte Ihre Forderung nach Zuschauern im Stadion trotzdem umgesetzt werden?

Prof. Dr. Ullmann: Wir brauchen ein absolut schlüssiges Konzept, weil wir nach wie vor sehr vorsichtig sein müssen und keine Ausbruchsituationen im Sinne von Superspreader-Events verursachen dürfen. Nach den heutigen Zahlen muss es eine stufenweise Wiedereröffnung der Stadien geben. Das wäre verantwortbar. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass man zunächst 25 bis 30 Prozent der ursprünglichen Besucher zulässt. Vielleicht könnte es ein Losverfahren geben, bei dem die Zuschauer per Mail einen Platz zugewiesen bekommen. Fest steht, dass wir den Abstand im Stadion brauchen. Wenn es keinen großen Ausbruch in Deutschland gibt und die erste Stufe eine Zeit lang gut funktioniert, könnte man ja irgendwann auf 50 Prozent der Zuschauer erhöhen. Im Fanblock, also auf den Stehplätzen wird es sicherlich schwierig sein, den Abstand einzuhalten. Aber auch hier könnten provisorische Absperrungsbänder eingezogen werden.

HB: Im Stadion lässt sich der Abstand vielleicht noch irgendwie realisieren. Aber die wirklich engen und „gefährlichen“ Kontakte gibt es doch vor und nach dem Spiel in der U-Bahn, am Bierstand oder in der Schlange vor dem Stadion. Ist der Blick ins Stadion daher nicht etwas zu kurz gedacht?

Prof. Dr. Ullmann: Natürlich muss es nicht nur im Stadion ein gutes Hygienekonzept geben. Deswegen plädiere ich auch dafür, dass zur Umsetzung der neuen Normalität in Stadien Round Tables in allen betroffenen Landkreisen gebildet werden. Da müssen die Vereine, die Gesundheitsämter aber auch der ÖPNV mit am Tisch sitzen und das Konzept ganzheitlich durchdenken.

Foto: IMAGO

HB: Inzwischen sind ja auch die Grundzüge eines Hygienekonzeptes für Bundesligastadien mit Zuschauern der DFL bekannt. Sie sind aber eher dafür, dass die Hygienemaßnahmen vor Ort, also am Spielort geplant werden?

Prof. Dr. Ullmann: Es kann und sollte schon ein zentrales Hygienekonzept geben, das aber regional angepasst werden sollte. Je nach Infektionsgeschehen und den örtlichen Gegebenheiten sind in manchen Stadien vielleicht strengere Maßnahmen nötig als in anderen. In Berlin sollte sich beispielsweise unbedingt U- und S-Bahn an dem Konzept beteiligen. In kleineren Städten gibt es keine U-Bahn, dafür stehen die Menschen vor dem Stadion enger zusammen und sollten hier mehr getrennt werden.

HB: Die Maskenpflicht steht ja zurzeit in der Diskussion. Fußballspiele finden im Freien statt, würden Sie bei einer möglichen Öffnung der Stadien trotzdem für eine Maskenpflicht beim Fußball plädieren?

Prof. Dr. Ullmann: Nein, ich denke, dass das nicht möglich sein wird. Allerdings möchte ich festhalten, dass ich für eine Beibehaltung der Maskenpflicht im Einzelhandel und ÖPNV bin. Viel wichtiger wäre für mich ein grundsätzliches Alkoholverbot.

HB: Das müssen Sie bitte erklären.

Prof. Dr. Ullmann: Auch wenn bei SARS-CoV-2 die Infektion wohl auch über Aerosole möglich ist, geht von der Tröpfcheninfektion wohl immer noch die größte Gefahr aus. Die Abstandsregeln sind daher sehr wichtig, auch im Freien. Alkohol enthemmt und verleitet die Menschen dazu, Regeln zu vernachlässigen.

Foto: IMAGO

HB: Ein eigenes Hygienekonzept liegt ja inzwischen auch von Union Berlin vor. Der Verein will alle Fans ins Stadion lassen, allerdings nur, wenn sie einen PCR-Test vorweisen können, der jünger als 24 Stunden ist. Union will diese Tests selbst bezahlen. Was halten Sie davon?

Prof. Dr. Ullmann: Grundsätzlich finde ich es gut, dass jetzt kreative Ideen bekannt werden. Man kann sich durchaus überlegen, einem solchen Versuchsballon mal eine Chance zu geben. Aus medizinischer Sicht ist das mit den Tests aber schwierig. Es ist durchaus vorstellbar, dass Menschen mit einem zunächst negativen PCR-Test 24 Stunden später trotzdem infektiös sind. Außerdem hört sich das Ganze sehr teuer an und ich sehe die Gefahr, dass Testkapazitäten an ihre Grenzen kommen. Aber was wir jetzt brauchen sind gute Ideen, Realitätsinn und Mut. Denn es ist die falsche Annahme, dass wir bald wieder zur alten Normalität auch in Stadien zurückkehren können, es wird eine neue Normalität geben, die wir uns erst noch schaffen müssen.

HB: Können wir davon ausgehen, dass die FDP-Fraktion in diesem Bereich nach der Sommerpause tätig wird?

Prof. Dr. Ullmann: Wir arbeiten derzeit schon an einigen Vorschlägen, die sich mit dem Umgang weiterer Ausbrüche aber auch mit der Prävention beschäftigen.

Foto: Andrew Ullmann

Zur Person:
Andrew Ullmann wurde 1963 in Los Angeles geboren. Anfang der 70er-Jahre zog er mit seiner Familie dann aber nach Deutschland, machte in Nordrhein-Westfalen Abitur und studierte in Bochum Medizin. Einen Teil seiner medizinischen Ausbildung bewältigte er in New York und an der Harvard Medical School. 2008 habilitierte er an der Uni-Klinik Mainz, 2012 folgte er einem Ruf als Universitätsprofessor für Infektiologie an die Uni-Klinik Würzburg. Seit 2003 ist Ullmann FDP-Mitglied.

In den vergangenen Jahren intensivierte er seine Parteiarbeit in der FDP Bayern, seit 2013 ist er Mitglied des Landesfachausschusses für Gesundheit in Bayern und auch des Bundesfachausschusses. 2015 wurde er zum Vorsitzenden der FDP in Würzburg gewählt. 2017 folgte der Einzug in den Bundestag über die Landesliste der FDP Bayern. Ullmann ist auch Fußballfan: Er ist Dauerkarteninhaber bei den Würzburger Kickers.

Pascal Grimm zu seiner Stadion-Petition: Anstoß für konstruktivere Gespräche

Pascal Grimm zu seiner Stadion-Petition: Anstoß für konstruktivere Gespräche

Vor über einem Jahr hat Hertha BSC seine konkreten Pläne für einen Stadionneubau veröffentlich – effektiv bewegt hat sich seitdem nichts. Die Verantwortlichen und der Berliner Senat finden einfach nicht zusammen, sodass aktuell Stillstand herrscht. Das angepeilte Datum der Stadioneröffnung am 25. Juli 2025 scheint sich momentan eher als weiteres Symbol für das Berliner Fingerspitzengefühl bei Großbauprojekten einzureihen, als dass es tatsächlich realisiert werden könnte. Eine Situation, die den Verein, die Politik, aber auch das Umfeld frustriert.

So sehr, dass nun gehandelt wird – und zwar in Person von Pascal Grimm. Der Hertha-Fan hat sich die Stadion-Thematik, wie viele andere, nicht mehr tatenlos mit ansehen können und startete daher am 15. August die Petition “Schluss mit der Hinhhaltetaktik – Neues Stadion für Hertha BSC!”, in der konkrete Forderungen an den Berliner Senat stellt, sich konstruktiv mit den Plänen der “Alten Dame” auseinanderzusetzen. Wir haben mit Pascal gesprochen, um uns erklären zu lassen, was die Intention seines Eingreifens ist, welche Vorwürfe er Senat wie Hertha selbst macht und ab wann er die Petition als Erfolg ansehen würde.

Herthas Plan für den Stadionneubau auf dem Olympiagelände (Foto: Hertha BSC / AS+P)

Hallo Pascal. Bevor wir uns mit deiner Petition auseinandersetzen – stell doch bitte dich und deine Beziehung zu Hertha BSC kurz vor.

Ich bin in Minden (Nordrhein-Westfalen) geboren, also nicht gerade im klassischen Hertha-Gebiet. Mit acht Jahren bin ich nach Berlin gekommen – das war 1999, eine für Hertha sehr erfolgreiche Zeit (Teilnahme an der Champions League). Ich bin damals das erste Mal ins Stadion mitgenommen worden, meine Großeltern hatten mir ein Hertha-Trikot geschenkt und damit war es dann entschieden. Ich habe selten wirklich in Berlin gewohnt, das tue ich jetzt das erste Mal so richtig. Seitdem versuche ich, so oft wie möglich im Stadion zu sein. Zudem bin ich sehr Foren-aktiv, vor allem auf transfermarkt.de. Ich bin aber an keinen Fanclub gebunden.

In deiner Petition erklärst du, welche Grundproblematiken es mit dem Olympiastadion als Spielstätte gibt. Warum siehst du einen Auszug Herthas als unvermeidlich an?

Da gibt es zwei Arten der Begründung. Das eine, das die Fans direkter anspricht, ist die Atmosphäre im Olympiastadion. Dazu gehört Dinge wie die große Entfernung der Zuschauerränge zum Spielfeld, aber auch die Witterungsbedingungen im Winter – also all das, was das Olympiastadion zu keiner modernen Fußballarena macht. Jeder, der mal eine Auswärtsfahrt in ein anderes Bundesliga-Stadion gemacht hat, wird diesen Unterschied gemerkt haben. Auch die Ostkurve würde in einem modernen Stadion noch imposanter zur Geltung kommen, da sich die Stimmung, die sie macht, nicht in der schlechten Stadion-Akustik verlieren würde. Es wird seitens des Vereins mit “Steil, nah, laut” geworben – darauf habe ich große Lust!

Die andere Begründung ist finanzieller Natur. Man ist als Verein langfristig besser aufgestellt, wenn man ein eigenes Stadion besitzt. Wie ich in der Petition angerissen hatte, würden bei einer eigenen Arena die Mietkosten, die aktuell beim Olympiastadion zu bezahlen sind, entfallen. Natürlich hat man bei einem Stadionbau Kredite abzuzahlen usw., aber man kann auch Nebeneinkünfte generieren, wie durch das Verkaufen der Namensrechte, dem Veranstalten von Konzerten und anderen Möglichkeiten. Wenn man im modernen Fußball mithalten will, muss man da einfach mitspielen.

Du sprichst zudem die Versäumnisse der Berliner Politik im Rahmen der Verhandlungen mit Hertha an, nennst hier beispielsweise den Vorschlag von Sport- und Innensenator Andreas Geisel (SPD), Flughafen Tegel als Standort zu nehmen. Welche konkreten Vorwürfe machst du dem Senat?

Ich habe den Eindruck, dass der Berliner Senat überhaupt kein Interesse daran hat, dieses Stadionthema voranzubringen. Es ist teilweise nachvollziehbar, warum die Politik Hertha nicht aus dem Olympiastadion ziehen lassen will, gleichzeitig muss der Senat aber einsehen, dass dieses Thema für den größten Sportverein der Stadt ein sehr bedeutsames ist. Man hat das Gefühl, der Senat wolle die Stadionfrage so lange hinauszögern, bis Hertha gezwungen wäre, einen neuen Mietvertrag für das Olympiastadion zu unterzeichnen, sodass sich das Thema zunächst einmal wieder erledigt hätte. Ohne Politik-Bashing betreiben zu wollen: in dieser Thematik frustriert mich der Senat schon sehr! Ganz unabhängig von der Frage, ob Hertha in seiner Kommunikation alles richtig machen würde. Bei dem kleinsten Hindernis knickt der Senat ein und spricht davon, dass das Ganze wohl nicht mehr machbar sei. Ich vermisse daher eine konstruktive Herangehensweise, eine gemeinsame Lösung zu finden.

“Herthas Taktik war zu offensiv”

Auch die Herthaner Verantwortlichen haben sich in der Vergangenheit nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Ist auch Schuld beim Verein zu suchen? Was hätte in der Kommunikation besser laufen müssen?

Meiner Meinung nach war die Taktik Herthas ein wenig zu offensiv. Man hat den Senat bei der Veröffentlichung der Pläne ein Stück weit vor vollendete Tatsachen gestellt und behaart nun auf dieser Extremposition. Ich würde mir auch eine Lösung auf dem Olympiagelände wünschen, weil sie in meinen Augen die beste wäre. Wie Hertha nach außen kommuniziert, ist aber nicht ideal und lädt den Senat zu seiner Trotzreaktion ein. So wird der “schwarze Peter” gerne zurück zu Hertha geschoben, obwohl ich den Senat in der Pflicht sehe, da auf Hertha zuzukommen. Die Parteien haben sich nun in eine gewisse Pattsituation hineinmanövriert und ich hoffe, dass die Petition ein Anstoß sein kann, um aus dieser wieder herauszukommen

Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images

Am 16. August hatte sich Herthas Vereinspräsident Werner Gegenbauer mit einem Brief an die Mitglieder gewendet, in dem er u.a. scharfe Kritik am Berliner Senat geäußert hatte. Einmal mehr nutzte man den Weg der Öffentlichkeit, um seinen Standpunkt klarzumachen. Welche Form des Dialogs würdest du dir von beiden Parteien wünschen?

Ich finde, auch das man sich das, was Präsident Gegenbauer öffentlich an Senat gerichtet hat, sparen kann. Man muss wieder mit- und weniger übereinander reden. Es könnte natürlich sein, dass im Hintergrund viel gesprochen wird, doch der Eindruck wird nicht gerade vermittelt, wenn Herr Geisel in Medien Interviews gibt und die Hertha-Verantwortlichen auf selbigem Wege darauf antworten. Ich würde mir daher von beiden Seiten einen konstruktiveren Umgang miteinander wünschen, aber auch vom Senat die Einsicht, dass eine Lösung her muss und man nicht auf Zeit spielen sollte.

“Sollte dies im Olympiapark nicht möglich sein, dann soll endlich aktiv und mit ernsthaftem Interesse eine realistische Alternative innerhalb der Stadtgrenzen gesucht und gefunden werden”, schreibst du in deiner Petition. Warum kann Brandenburg keine Option sein?

Meine absolute Wunschlösung liegt in Berlin, ich bin aber niemand, der das dogmatisch einfordern und damit Brandenburg grundsätzlich ausschließen würde. Ich könnte es mir unter gegebenen Umständen als Notlösung vorstellen, wenngleich ich es sehr schade fände, denn allein die Wege nach Brandenburg wären sehr weit, weshalb viele Hertha-Fans über eine Stunde zum Stadion bräuchten. Brandenburg würde auch nicht in Bezug auf die Identifikation mit Hertha als Berliner Verein helfen.

Hertha hat deinen Tweet zur Petition geteilt – wie fällt die Resonanz auf deine Petition bislang aus?

Es ist eben nicht nur der Verein selbst, der ein eigenes Stadion haben will. Auch die Fans setzen sich dafür ein und sind von dem derzeitigen Status frustriert, weshalb sie nicht länger zusehen wollen. Ich hatte die Petition zunächst im Hertha-Forum von transfermarkt.de und bei immerhertha.de gepostet, zusätzlich auf Twitter geteilt. Von dort aus ging es sehr schnell los, sich zu verbreiten und auch die ersten Einladungen zu ähnlichen geplanten Fan-Initiativen kamen rein. Aktuell ist ein Drittel des Quorums erreicht, was für die erste Woche echt ordentlich ist. Auch aus dem Umland gibt es viele UnterstützerInnen, knapp 1.000 Menschen aus Brandenburg haben unterschrieben. Die Petition ist noch über zweite Monate offen, sodass ich zuversichtlich bin, dass das Quorum erreicht wird – auch wenn das nicht das primäre Ziel ist. Es geht vielmehr um das Zeichen, das die Hertha-Fans sich nun auch engagieren und nicht nur an der Seitenlinie stehen.

Die sprichst die Zielsetzung deiner Petition an. Was kann mit den Unterschriften erreicht werden und ab wann gilt die Petition für dich selbst als erfolgreich?

Es ist wie folgt: bei 11.000 UnterzeichnerInnen aus Berlin würde die Petition in das Abgeordnetenhaus eingehen, welches sich dann mit dieser befassen müsste. Wie diese Prüfung der Thematik abläuft, kann ich auch nicht sagen, der Prozess ist nicht wirklich klar. Der viel größere Effekt ist die Aufmerksamkeit, die das Thema dadurch wieder bekommt. Daher freue ich mich auch über jede/n UnterstützerInnen, der/die nicht aus Berlin kommt, aber mit der Intention übereinstimmt. Der leichte öffentliche Druck, den die Petition auf den Senat ausüben könnte, hätte wohl den größeren Effekt als der rein bürokratische Prozess.

Danke für deine Zeit und viel Erfolg für deine Petition, Pascal!