Kaderanalyse 2020/2021 – Herthas offensive Flügelspieler

Kaderanalyse 2020/2021 – Herthas offensive Flügelspieler

Endlich ist die Alptraum-Saison 2020/2021 vorbei. Nach einer hochemotionalen Schlussphase gab es doch noch ein „Happy End“ für Hertha BSC. Diese verrückte Spielzeit haben wir sehr ausführlich in unserer Saisonrückblick-Podcastfolge besprochen. Doch jetzt wollen wir uns der Kaderanalyse widmen. Dabei gehen wir nicht nur auf die abgelaufene Saison ein, sondern werfen auch einen Blick nach vorne. Welche Kaderstellen müssen Bobic, Dufner, Friedrich und co. noch dringend bearbeiten? Wo hat man Bedarf, welche Spieler werden wohl den Verein verlassen?

Im nächsten Teil unserer Kaderanalyse widmen wir uns den offensiven Flügelspielern der Hertha. Bekanntlich wurde die Kaufoption für Nemanja Radonjic nicht gezogen, hinter den Kulissen arbeitet man wohl aber dennoch an einem Transfer des 25-jährigen Flügelstürmers. Auch in seinem zweiten Jahr konnte Dodi Lukebakio nicht vollends überzeugen. Und was passiert mit dem jungen Javairo Dilrosun?

Flügelfokus unter Dardai

Vieles deutet darauf hin, dass Hertha BSC in der kommenden Saison vornehmlich in einem 4-3-3 auflaufen wird. Dafür wurde mit Suat Serdar ein spielstarker „Achter“ verpflichtet, der das Mittelfeld im Offensivspiel gefährlicher gestalten soll. Arne Maier kehrt nach seiner Leihe zu Arminia Bielefeld nach Berlin zurück. Lucas Tousart scheint gesetzt zu sein.

Für eine 4-3-3-Formation sind spielstarke Außenspieler unabdingbar. Sie müssen auch ohne klassischen „Zehner“ stark genug sein, per Dribbling an ein oder zwei Gegenspielern vorbei zu kommen und den Stürmer mit Flanken oder präzisen Pässen vor den Fünfmeter-Raum füttern. Wie steht es um die offensiven Außenspieler, die Hertha aktuell im Kader hat?

Mathew Leckie – er wird nicht vermisst werden

Trotz seiner überwiegenden Rolle als Reservist, hat sich der Australier nie lauthals beschwert. Er gilt als Musterprofi, der keine Unruhen in einen Verein bringt. Pal Dardai ist das bekanntlich sehr wichtig. Auch deshalb – vor allem aber wegen der Schnelligkeit von Mathew Leckte – wird Dardai ihn insgesamt 17 Mal in der Bundesliga eingesetzt haben. Doch spielerisch in Szene gesetzt hat er sich dabei nie.

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Foto: IMAGO

Das bekräftigt auch seine Startelf-Quote von nur mageren 15 Prozent. In seinen 17 Einsätzen, die wenigsten von Beginn an, schoss er kein Tor und legte lediglich eines auf. Und viel mehr ist über ihn eigentlich auch nicht sagen, außer: Inzwischen ist Mathew Leckie in seine Heimat gewechselt, zum Melbourne City FC. Menschlich sicher ein wichtiger Teil der Mannschaft, wird man ihn rein sportlich wohl weniger vermissen.

Dodi Lukebakio – kriegt er noch eine Chance?

Hertha hat mit Dodi Lukebakio und Javairo Dilrosun lediglich zwei etatmäßige Außenspieler in den eigenen Reihen. Damit könnte Lukebakio eine noch letzte Chance bekommen. Womöglich gelingt noch ein kostengünstiger Transfer von Nemanja Radonjic und sicher wird Hertha generell noch auf der Suche nach einem oder zwei Außenspielern sein. Doch mindestens vier Spieler braucht es auf den Außenbahnen, tritt man mit einem 4-3-3 an. Auch in etlichen anderen Spielsystemen sind mindestens vier offensive Außenspieler im Kader Pflicht. Besser wären gar fünf Spieler. Ein Abgang Lukebakios scheint demnach unrealistisch, auch wenn sportlich vieles dafür spricht.

Denn auch in seinem zweiten Jahr konnte sich Dodi Lukebakio nicht nachhaltig positiv empfehlen. Es sind altbekannte Probleme, die einen Durchbruch verhindern. Seine fehlende Spannung zeigt sich auf dem Spielfeld zu oft, seine mangelnde Defensivarbeit ist weiterhin ein Problem. Bekanntlich ist Dardai ein Freund von Spielern, die auf dem Platz arbeiten, kämpfen und leidenschaftlich sind. Taktische Disziplin ist ihm sehr wichtig. Vor allem auch die unnötige gelb-rote Karte im so wichtigen Spiel gegen Schalke, hat Dardai (zurecht) auf die Palme gebracht.

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Foto: SVEN SIMON/ Ralf Ibing/firo Sportphoto/pool/IMAGO

Hertha braucht in der kommenden Saison Konstanten, keine Unsicherheitsfaktoren. Kontinuierlich wäre es, dem launigen Außenspieler noch eine dritte und letzte Chance zu geben. Sein Talent blitzte auch in der vergangenen Saison auf. Fünf Tore und fünf Vorlagen in 29 Spielen – in einer spielerisch verkorksten Saison – bestätigen das. Und auch die Hertha-Verantwortlichen werden wissen, dass Lukebakio weiterhin Potenzial hat, sich zu steigern. Doch wie lange reicht die Geduld noch?

Mit 13 Millionen Euro hat Lukebakio auch keinen geringen Marktwert. Und so konstant es wäre, ihn zu behalten – so könnte sich auch ein kostengünstiger Spieler finden lassen, der weitaus weniger Unsicherheiten verkörpert und dessen Leistungen nicht so sehr schwanken. Gerüchte gibt es bisher keine – doch der Transfermarkt ist noch lange auf.

Javairo Dilrosun – der verletzte Wunderknabe

Wie Lukebakio konnte auch Javairo Dilrosun sein ungeheures Talent zu selten zeigen. Das liegt weniger an schwankenden Leistungen, als vielmehr daran, dass der schüchterne Niederländer häufig von Verletzungen geplagt ist. Vornehmlich auch deshalb kam er in der vergangenen Saison lediglich auf zwölf Bundesliga-Einsätze. Selten spielte er jedoch von Beginn an, weil er nach seinen Verletzungen immer wieder leicht herangeführt wurde. In den zwölf Spielen schoss er kein Tor, steuerte aber immerhin zwei Vorlagen bei.

Medial wurde bereits über eine Leihe von Dilrosun spekuliert. Aber auch er könnte davon profitieren, dass es kaum offensive Außenspieler im Verein gibt. Es ist ähnlich wie bei Lukebakio – will man nicht alles wieder auf den Kopf stellen, muss auch er gehalten werden. Lediglich einer von ihnen könnte verkauft werden. Wenn jedoch Beide gehalten werden und Lukebakios Leistungen auch in der kommenden Saison so stark schwanken, könnte Dilrosun davon profitieren.

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Foto: IMAGO

Um auf den offensiven Außenbahnen gefährlich zu sein, hilft es, zwei inversive Spieler auf den Positionen zu haben. Sollte Radonjic noch verpflichtet werden, könnte er auf der linken Außenbahn nach innen ziehen und mit seinem starken rechten Fuß den Torabschluss suchen. Ähnlich wie Dilrosun, der bekanntlich einen starken linken Fuß hat – und dann von der rechten Seite aus agieren könnte. Zudem scheint es bei Dilrosun realistischer zu sein, dass er sein Potenzial voll ausschöpfen kann, als bei Lukebakio. Denn an seiner Einstellung scheitert sein Spiel bisher nicht – dafür muss er aber verletzungsfrei bleiben.

Nemanja Radonjic – der launige Wirbelwind

Lange sah es in der vergangenen Saison nicht danach aus, als würden die Hertha-Verantwortlichen Nemanja Radonjic verpflichten. Erst im Schlussabschnitt, allen voran nach der Quarantäne, zeigte er, was in ihm steckt. Doch die Kaufoption in Höhe von zwölf Millionen Euro war den Verantwortlichen zu teuer – spekuliert wird aber, dass Hertha weiterhin an ihm interessiert ist, zu kostengünstigeren Konditionen. Und auch Radonjic bekannte sich nach der Saison zu Hertha und lies verlauten, dass er gerne in Berlin bleiben würde.

Zu Beginn ist er vor allem dadurch aufgefallen, sich zu oft zu verzetteln – ihm fehlte im letzten Drittel die Durchschlagskraft. Dennoch war er in seinen zwölf Einsätzen einer der wenigen aus dem Berliner Kader, der es auch mal mit zwei oder drei Gegenspielern aufnehmen konnte. Dadurch riss er immer wieder Lücken in die gegnerische Abwehr – und konnte am Ende der Saison ein Tor und zwei Vorlage verbuchen. Sein Mut war in den letzten Saisonspielen von großem Wert.

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

Doch wie es oft so ist mit den spielstarken Kreativen – mit seiner Einstellung zeigte er sich nicht immer von seiner besten Seite. Oft war man bei ihm an Cunha erinnert. Denn wenn etwas nicht klappte, wirkte Radonjic zunehmen frustriert und gelangweilt. Etwas, dass Dardai nicht leiden kann. Und sich Hertha in der kommenden Saison eigentlich nicht mehr leisten will.

Das Genie, welches er hingegen zeigte, würde eine Verpflichtung – zu einem einstelligen Millionenbetrag – aber rechtfertigen. Inzwischen kennt er die Stadt und das Team, seinen Leistungen wird das sicher helfen. Sicher wären nicht wenige Hertha-Fans enttäuscht, ihn in der kommenden Saison auf den Außen wirbeln zu sehen.

Fazit – Hertha braucht neuer Flügelspieler

Davon ausgehend, dass Hertha in der kommenden Saison mit fünf offensiven Außenspielern starten wird, scheint die Lage für die Verantwortlichen knifflig. Verkauft man Lukebakio oder Dilrosun, müssen direkt fünf neue (Radonijic mitgezählt) gekauft werden – eher unwahrscheinlich. Selbst wenn nur einer von Beiden gehen sollte, müssen dennoch vier neue geholt werden. Insbesondere wenn Lukebakio verkauft wird und der verletzungsanfällige Dilrosun bleibt.

Bleiben jedoch beide und kommt Radonjic, müssten lediglich zwei neue Spieler für die Außenbahnen geholt werden. Dann könnte man für einen auch tiefer in die Tasche greifen. Sollten die Transfers einschlagen und die Spieler frei von Verletzungen bleiben, bietet sich in der Winterpause – oder auch nach der Saison – immer noch die Gelegenheit, etwa Lukebakio abzugeben. Fest steht aber: Hertha hat hier dringenden Bedarf.

[Titelbild: IMAGO]

Herthaner im Fokus: VfB Stuttgart – Hertha BSC

Herthaner im Fokus: VfB Stuttgart – Hertha BSC

So wirklich zufrieden kann Hertha BSC mit dem Punktgewinn beim VfB Stuttgart nicht sein. Wie schon öfters in dieser Saison kamen die Berliner in der ersten Halbzeit nicht in die Partie. Nach einer grausigen Leistung in Halbzeit eins lief man lange einem Rückstand hinterher, bevor der junge Luca Netz doch noch einen Auswärtspunkt sicherte. Wie jede Woche versuchen wir etwas detaillierter auf einzelne Spielerleistungen einzugehen.

Herthas Problem ist jedoch schon länger die Tatsache, dass Individualitäten an sich nichts bedeuten, wenn die Profis sich nicht als Mannschaft verstehen. Auch unter Pal Dardai hat sich eines noch nicht verändert: Hertha BSC ist noch keine Einheit auf dem Platz. In Stuttgart war die erste Halbzeit ein kollektives Versagen. Wir versuchen trotzdem auf individuelle Spielerleistungen einzugehen.

Mannschaftspressing Fehlanzeige – Defensive Standardschwäche

Eigentlich sah es in den ersten Minuten nicht verkehrt aus. Hertha übte in den ersten Momenten des Spiels ein hohes Pressing auf die Stuttgarter Spieler aus, an dem sich alle Blau-Weißen beteiligten. So wurde der Spielaufbau des VfBs schon in deren Hälfte des Feldes gestört, Herthas Profis trauten sich Vorstöße zu und konnten mehrere Bälle erobern.

Doch nach etwa zehn Minuten verschwand dieses Mannschaftspressing von Hertha fast komplett. Von Minute zu Minute wurde die Defensive immer individueller geführt. Nur noch einzelne Spieler pressten die Schwaben und wurden dabei relativ einfach umspielt. Dies führte dazu, dass die Gastgeber immer besser ins Spiel kamen und deutlich dominanter auftraten als die Gäste. Herthas Verteidiger waren zunehmend im Blickpunkt. Peter Pekarik und Maximilian Mittelstädt kamen in der ersten Halbzeit nur zu wenigen Vorstößen, die auch schnell verpufften.

Foto: IMAGO

Herthas Innenverteidigung blieb trotz allem weitestgehend stabil und erlaubte sich nur wenige grobe Fehler. Auffällig war in beiden Halbzeiten, dass der Spielaufbau von Hinten oft von Omar Alderete übernommen wurde. Dieser hatte jedoch große Schwierigkeiten, seine Mitspieler zu finden. Immer wieder musste er lange Bälle schlagen, die nur selten ankamen. Zudem verlor er den Ball gleich zwei Mal in gefährlicher Lage vor dem eigenen Strafraum, was zu Chancen für den VfB führte.

In der wohl schlechtesten Phase, die Schlussviertelstunde der ersten Halbzeit, war Pal Dardais Team insbesondere defensiv schwach. Defensivstandards wurden außergewöhnlich schlecht verteidigt. Mehrmals standen bei Eckbällen und Freistöße gleich zwei oder sogar drei gegnerische Spieler frei im Strafraum und konnten auf Jarsteins Kasten köpfen. So war es keine große Überraschung mehr, als Sasa Kalajdzic in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit völlig frei zum Flugkopfball kam und traf. Hertha ging mal wieder mit einem Rückstand in die Halbzeitpause.

Steigerung in Halbzeit zwei – Eiskalt eingenetzt

In der zweiten Halbzeit hatte Hertha BSC deutlich mehr Spielanteile. Dadurch wurde auch die Defensive entlastet und Herthas Außenverteidiger konnten etwas mehr Vorstöße riskieren. Vor allem Maximilian Mittelstädt wurde auf seiner linken Seite aktiver. Dieser versuchte einige Vorstöße und schlug einige Flanken. Dabei fehlte erneut die Präzision, sodass er trotz großen Aufwands kaum eine Chance einleiten konnte. Seine Passquote (nur 67 Prozent) war am Ende leider eine der schwächsten auf dem Platz. Auch seine Zweikampfquote war mit 42 Prozent nicht besonders zufriedenstellend. Im Vergleich wies der etwas defensiver agierende Peter Pekarik eine Passquote von 86% auf.

Beide Verteidiger wurden schließlich zehn Minuten vor Schluss ausgewechselt. Mathew Leckie und Luca Netz kamen in die Partie. Der 17-Jährige krönte sich nach nur drei Minuten zum jüngsten Torschützen der Hertha-Geschichte. Sein etwas glücklicher Treffer zum Punktgewinn kommt dabei nicht allzu überraschend. Schon in seinen ersten Einsätzen für die Profis war er insbesondere durch seine gefährlichen Vorstöße aufgefallen.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Obwohl der junge Berliner noch am Anfang seiner Entwicklung steht, wird ihn sein erstes Bundesligator sicherlich beflügeln. Seine Sorglosigkeit tat jedenfalls seiner Mannschaft in der Schlussphase gut und sorgte dafür, dass die „alte Dame“ nicht erneut mit leeren Händen nach Hause fliegen musste.

Hört auch im Hertha Base Podcast rein: in der aktuellen Folge besprechen wir das Auswärtsspiel in Stuttgart!

Khediras Einwechslung bringt neuen Schwung

Ausschlaggebend dafür war auch ein gewisser Sami Khedira. Der 33-Jährige schlug die Vorlage für seinen fast doppelt so jungen Mitspieler. Erst in der 58. Minute wurde er für Santiago Ascacibar eingewechselt. Der Südamerikaner zeigte sich wie schon gegen Eintracht Frankfurt und FC Bayern München bissig und fleißig.

Foto: Matthias Hangst/Getty Images

Allerdings ging er genauso wie seine Mitspieler in der ersten Halbzeit komplett unter. Ascacibar gewann nur wenige Zweikämpfe (Zweikampfquote 29 Prozent) und stand oft nicht richtig. Außerdem erlaubte er sich Foulspiele in Strafraumnähe, die zu gefährlichen Freistöße für seinen Ex-Klub führten. Auch Matteo Guendouzi hatte große Schwierigkeiten, auf der offensiven zentralen Mittelfeldposition für Aufsehen zu sorgen. Das tat der Franzose vielmehr im negativen Sinne, da er sich einige schmerzhafte Ballverluste erlaubte.

Die Einwechslung von Sami Khedira brachte sofort eine spürbare Dominanz und Ruhe zurück in das zentrale Mittelfeld. Der Weltmeister hatte fast genauso viele Ballaktionen wie Ascacibar (mit weniger Spielzeit) und zeigte sich dafür zweikampfstark und passgenau. Einige Bälle des VfBs konnte er abfangen. Seine fehlende Spritzigkeit und Geschwindigkeit machte er mit gutem Stellungsspiel wieder wett. Hinzu kommt seine so wichtige, aber auch etwas zufällige Torvorlage für Netz.

Herthas Suche nach der Achse

Außerdem gab er Lucas Tousart (von Sky-Kommentatoren neuerdings “Nicolas Toussart” getauft) mehr Sicherheit. Der Franzose war bis dahin im Vergleich zu seinen Mitspielern im zentralen Mittelfeld einer der aktivsten. Er führte viele Zweikämpfe und unterbrach einige Angriffe der Schwaben.

Er steigerte sich aber nach der Einwechslung von Khedira nochmal spürbar und konnte mehr Akzente nach vorne setzen. In der Schlussphase (85.) beispielsweise, als er einen Konter mit einleitete und Nemanja Radonjic in die Spitze schicken konnte. Am Ende war er mit 12,87 gelaufene Kilometer auch der laufstärkste Spieler auf dem Platz.

Herthas Achse steht also weiterhin nicht fest. Lucas Tousart dürfte wohl nach zuletzt drei guten Auftritten in Folge gesetzt sein. Matteo Guendouzi strahlte hingegen zuletzt weniger Frische und Spielwitz als noch vor einigen Monaten aus. Die neue Rolle von Sami Khedira könnte da ein wichtiger Faktor werden. Dessen Präsenz scheint seine Mitspieler zu beflügeln und zumindest ein wenig Ruhe in das Chaos zu bringen. Die nächsten Wochen werden zeigen, wer sich im zentralen Mittelfeld endgültig durchsetzen kann. Dardai muss mal wieder Lego spielen.

Matheus Cunha – Weiter glücklos

Endgültig durchgesetzt hat sich Matheus Cunha bei Hertha schon lange. Doch der wohl gefährlichste Spieler in den Berliner Reihen wartet mittlerweile schon seit November 2020 auf einen eigenen Treffer. Nachdem er kurz vor Ende der Partie gegen Bayern schon eine Riesenmöglichkeit vergeben hatte, bekam er auch in Stuttgart einige Möglichkeiten. Viele dieser Möglichkeiten leitete er selbst ein.

Der Brasilianer war erneut ein Aktivposten, war für seine Gegenspieler nur sehr schwer zu halten und zeigte sich auch im Pressing und in Defensivzweikämpfen sehr fleißig. Er gewann die meisten Berliner Zweikämpfe (22) und war erneut mit Abstand der Spieler auf dem Platz mit den meisten erfolgreichen Dribblings (8). Was bei ihm erneut fehlte, war der Glück im Abschluss.

(Photo by RALPH ORLOWSKI/POOL/AFP via Getty Images)

Lob gab es diese Woche dafür vom neuen Mitspieler Sami Khedira: „Matheus Cunha ist ein unfassbarer Fußballer“. Doch gerade im Abstiegskampf wird seine Qualität auch zu Toren führen müssen. Die Enttäuschung über die vergebenen Chancen war Matheus Cunha immer wieder anzumerken. Gegen den Ex-Club Leipzig bekommt der 21-Jährige die nächste Chance, die Durststrecke zu beenden.

Nemanja Radonjic – noch kein Durchbruch

Ebenfalls enttäuscht von der eigenen Leistung dürfte Nemanja Radonjic sein. Der Neuzugang war wie schon im ersten Einsatz gegen Bayern in einigen Szenen zu sehen. Dass Geschwindigkeit allein nicht zum Erfolg führt, ist selbstverständlich. Warum der junge Flügelstürmer allerdings auf seine stärkste Waffe im entscheidenden Moment verzichtete, bleibt ein Rätsel. Gleich zwei Mal lief der Serbe gegen Stuttgart mit dem Tempo eines Windhundes seinen Gegenspielern davon, beide Male stoppte er jedoch völlig unerklärlich ab und ging ins Dribbling.

Somit gab er seinen Vorsprung freiwillig auf und schaffte sich unnötige Hindernisse. Dazu verstolperte er mehrere Bälle und war mitverantwortlich dafür, dass Herthas Angriffe in der Schlussphase zu oft nicht zu Ende gebracht wurden. Womöglich bremste ihn auch eine leichte Verletzung. Über die vergebenen Chancen dürfte er sich trotzdem tierisch ärgern.

Lukebakio mehr Flamingo als Känguru

Wer „tierisch“ liest, musste diese Woche schnell an Pal Dardai denken. Dieser gab in der Pressekonferenz einen kleinen Exkurs über Kängurus und erklärte, welche Gemeinsamkeiten dieses Tier mit Dodi Lukebakio hat. Ähnlich wie ein rotes Känguru also, soll Dodi Lukebakio sein. Da müssen wir ihm leider widersprechen. Auch wir bei Hertha BASE sind nämlich echte Tierexperten.

Kängurus sind kräftige Tiere, die sich nur schwer aus dem Gleichgewicht bringen lassen und zum Teil auch durch ihre Körpergröße bedrohlich wirken können. Was die Physis angeht, ähnelt Dodi Lukebakio in der Tierwelt vielleicht eher dem Flamingo, der mit einem Fuß sein ganzes Körpergewicht hält. Ein solches kann man durch einen kleinen Schubser schon aus dem Weg räumen. Wie auch in so vielen Partien in dieser Spielzeit konnte sich der Belgier nämlich körperlich nie gegen seine Gegenspieler durchsetzen.

Foto: IMAGO

Die vom Cheftrainer gelobte Geschwindigkeit des Angreifers konnte dieser ebenfalls nur selten unter Beweis stellen. Zu oft stand am Ende eines Vorstoßes nur ein einfacher Ballverlust. Zu oft war schnell die Enttäuschung in seinem Gesicht zu lesen. Allgemein war die Körpersprache von Dodi Lukebakio wieder alles andere als inspirierend. Seine Mitspieler wird er damit sicher nicht mitreißen können. Ob Flamingo oder Känguru: der belgische Nationalspieler spielt bisher eine höchst enttäuschende Saison.

Alligatoren oder Schafe und Lämmer – Hertha braucht einen Leitwolf

Lukebakio ist nicht der Einzige, der bisher in dieser Saison seine Charakterstärke vermissen lässt. Pal Dardai muss nicht wie befürchtet „20 Alligatoren“ managen, doch eine Mannschaft voller Schafe und Lämmer möchte ein Trainer sicherlich auch nicht haben. Momentan ist die blau-weiße Truppe noch ein bunter Haufen völlig unterschiedlicher Spieler und Charakter, mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Die fehlende Kohäsion der Spieler untereinander war in der ersten Halbzeit gegen Stuttgart stark zu spüren. Dabei sah das Team weniger nach einer hungrigen Wolfsmeute und eher wie die Arche Noah aus.

Vielleicht kann ein Alpha-Tier, ein Leitwolf diese Meute doch noch vereinen. Die Hoffnung auf eine zufriedenstellende Saison ist nach den letzten Ergebnissen jedenfalls verschwunden. Jetzt bleibt noch die Hoffnung, den kompletten Absturz zu verhindern. Dafür wird die „alte Dame“ auch im schweren Programm der nächsten Wochen punkten müssen.

*Titelbild: IMAGO

Nemanja Radonjic – mit 37 km/h von Marseille nach Berlin

Nemanja Radonjic – mit 37 km/h von Marseille nach Berlin

Ganz so teuer wurde dieses Jahr die Winter-Shoppingtour bei Hertha BSC nicht. 78 Millionen Euro gab man vergangene Wintertransferperiode für neue Spieler aus, darunter Matheus Cunha, Lucas Tousart, Santiago Ascacibar und Krzysztof Piatek. Dieses Mal gab die „alte Dame“ deutlich weniger Geld aus: Sami Khedira und Nemanja Radonjic sollten die dringend notwendigen Verstärkungen für die Rückrunde darstellen. Wir werfen einen Blick auf den deutlich weniger prominenten Serben, der aus dem krisengebeutelten Olympique de Marseille per Leihgeschäft kommt.

Dabei konnten wir auf die Eindrücke eines echten „OM“-Kenners zählen. Boris (auf Twitter @Marsilien) twittert seit einigen Jahren in deutscher Sprache über den südfranzösischen Verein. Er hat uns dabei geholfen, den jungen Serben besser einzuschätzen.

Radonjic in Marseille – Enttäuschte Erwartungen

Wirklich glücklich wurde Nemanja Radonjic in Marseille nie, wo er ab der Saison 2018/2019 spielte. Warum erklärt uns Boris: „Er kam als vermeintliches Riesentalent aus Belgrad, mit guten Referenzen als Flügelspieler der sowohl Tore als auch Assists schießen kann. Ich denke mal die Idee dahinter war einen Ersatz für (Florian) Thauvin zu haben, der eigentlich einen Wechsel in 2019 in Aussicht hatte.“

Foto: GERARD JULIEN/AFP via Getty Images

„Er hat sich aber nicht so richtig als Ersatz behaupten können“, musste unser Experte feststellen. „Zwar hat er eine gewisse Torgefährlichkeit zeigen können, besonders in schnellen Kontersituationen, aber seine Leistung im Spielaufbau hat Mängel aufgezeigt. Er kam auch dementsprechend zu sehr wenigen Assists. „ Tatsächlich konnte er in der verkürzten Spielzeit 2019/2020 in 21 Einsätzen nur eine Torvorlage abgeben, dafür immerhin fünf eigene Treffer erzielen.

So richtig rund lief es in der laufenden Saison auch nicht. Was ihm vorgeworfen wurde, verrät uns unser Experte: „Es mag hart klingen, aber am meisten wurde seine mangelnde Spielintelligenz kritisiert. Er ist noch ein bisschen unvollkommen, vergisst ein wenig seine Spielpartner. Seine Dribbelstärke und seine Schnelligkeit werden ihm oft zum Verhängnis, weil er oft versucht alleine durchzuziehen, anstatt im richtigen Moment zu passen.“

Allerdings muss Boris auch feststellen: „Die ganze Mannschaft hatte regelmäßige Probleme mit der Offensive, er war nicht der Einzige der es schwer hatte, unsere Stürmer zu finden.” Viel heftiger wurden die hochbezahlten Stars wie Florian Thauvin oder Dimitri Payet kritisiert, die ebenfalls immer wieder enttäuschten.

Von Chaosclub zu Chaosclub

Auch deshalb hinterlässt Radonjic trotz wenigen Einsatzminuten keine schlechten Erinnerungen in Marseille. Im Training sei er „nie schlecht aufgefallen, ich würde sagen dass er ziemlich spielfreudig ist und stets motiviert war“, sagt Boris. „Spielerisch wird er wohl keinen größeren Eindruck hinterlassen, aber er war den Leuten irgendwie sympathisch, er ist so eine Frohnatur. Ich denke mal, dass sich die Leute an ihn erinnern werden. Und er hat doch immerhin das eine oder andere Tor geschossen (sein Meisterwerk ist wahrscheinlich ein Siegestreffer in der Schlussminute gegen Brest).“

Wohl ein Highlight einer eher durchwachsenen Zeit in Marseille – sein Last-Minute Treffer gegen Brest

Radonjic spielte in der Hinrunde zwölf Partien in der Liga (zwei Tore, eine Vorlage) und zwei in der Champions League. Obwohl der 24-Jährige zuletzt wieder zum Einsatz kam und auch in der letzten Partie gegen Monaco treffen konnte, entschied er sich für den Neustart in Berlin. Dabei wird zusätzlich zur suboptimalen sportlichen und finanziellen Lage möglicherweise die Eskalation der Situation in Marseille zwischen Clubführung und Fans eine Rolle gespielt haben.

Mittlerweile befindet sich „OM“ in einer derart chaotischen Situation, dass selbst Hertha Fans in der Saison 2019/2020 schockiert wären. Am Wochenende stürmten Anhänger gewaltsam das Vereinszentrum und Anfang dieser Woche warf Trainer Vilas-Boas völlig überraschend das Handtuch. Was das angeht ist der serbische Nationalspieler also bestens gerüstet für seine Zeit in Berlin: mit großen Chaosclubs kennt er sich nun aus.

Radonjic – der nächste Serbe in der Hauptstadt

Hertha BSC und serbische Nationalspieler: da war doch was. Tatsächlich dürften einige Hertha-Fans noch schöne Spielszenen mit Marko Pantelic oder Gojko Kacar in emotionaler Erinnerung haben. In jüngerer Vergangenheit war es Marko Grujic, der als Serbe für Hertha BSC auf dem Platz stehen durfte. Letzterer soll tatsächlich auch eine Rolle im Transfer von Nemanja Radonjic gehabt haben.

Herthas Neuzugang erklärte, er sei sofort mit dem Ex-Herthaner in Kontakt getreten. „Marko war tatsächlich der Erste, den ich angerufen habe, nachdem klar war, dass Hertha Interesse hat (lacht). Er hat mir in unserem Gespräch nur das Beste über den Club und die Stadt erzählt, was mich in meinem guten Gefühl bestätigt hat!“, erzählte der 24-Jährige im Interview mit Hertha BSC.

Bis zum Sommer darf der junge Serbe für die „alte Dame“ zunächst auflaufen. Besonders teuer wird dieser Deal für Hertha BSC erstmal nicht. Die Leihgebühr ist wohl (auch mit Einsatz-Boni) unter einer Million geblieben und die Kaufoption sollte in dieser Höhe (12 Millionen Euro) eher eine Sicherheit für „OM“ darstellen. Hertha wird, sollte der junge Serbe überzeugen, am Ende der Spielzeit mit dem französischen Club sicherlich neu verhandeln. Eine ähnlich hohe Kaufoption gab es auch im Leihgeschäft mit Marius Wolf. Auch diese wurde nicht gezogen.

Was für ein Spielertyp ist Radonjic?

Das neue Umfeld scheint für den Serben jedenfalls nicht beunruhigend zu wirken: „Es ist für mich inzwischen auch nichts Neues mehr, an einen anderen Ort zu ziehen und dort anzukommen – daher denke ich, dass ich mich auch schnell an eine tolle Stadt wie Berlin gewöhnen kann und werde!“ Tatsächlich hat der 24-Jährige bereits einige Stationen in Europa hinter sich. Außerdem spielte er in der Champions League und bestritt 20 A-Länderspiele mit Serbien (4 Treffer).

Foto: Srdjan Stevanovic/Getty Images

Boris erwähnte bereits seine Schwächen, aber auch seine Stärken: Dribbelstärke, Torgefahr und Schnelligkeit. Letzteres sprach Radonjic in der Pressekonferenz selbst an, und erwähnte, dass er in Marseille bei Leistungstests im Training mit 37 Kilometer pro Stunde geblitzt wurde. Was Hertha sicher besonders helfen wird: der Flügelspieler ist beidfüßig und kann sowohl auf der favorisierten linken wie auch auf der rechten Außenbahn spielen.

Trotz der enttäuschenden Zeit in Marseille traut Boris dem Serben in Berlin etwas zu: „Es kann sich alles ändern, wenn er sich mit seinen Kollegen bei Hertha besser verträgt. Und ich meine auch, dass die Bundesliga ein besseres Spielfeld für solche Stürmerprofile ist, er wird wahrscheinlich nicht so eingeengt wie es in Frankreich der Fall ist.“

Dabei helfen könnte ihm seine Physis. Anders als sein Konkurrent auf der rechten Seite Dodi Lukebakio kann sich Radonjic durchaus auch körperlich durchsetzen. Das kann in der Bundesliga besonders wertvoll werden. So sieht es auch Arne Friedrich: „Er ist ein kleiner Bulle und hat die Robustheit für die Bundesliga”, und wenn Jemand über Robustheit sprechen kann, dann ist das sicherlich Herthas neuer Sportdirektor.

Nemanja Radonjic – für Hertha kein Risiko-Transfer

Obwohl er im Vergleich zu Sami Khedira für deutlich weniger Gesprächsstoff sorgt, sind die Chancen des Serben in den nächsten Wochen in der Startelf zu landen, deutlich größer. Dabei hilft ihm die personelle Situation bei Hertha BSC. Der verletzungsanfällige Javairo Dilrosun, der formschwache Dodi Lukebakio und der noch sehr junge Jessic Ngankam stellen seine stärkste Konkurrenz dar. Hertha hat schon seit dem Sommer 2020 zu wenig Optionen auf den Außenbahnen. Eine solche Alternative haben die Berliner jetzt mit dem Flügelstürmer endlich holen können.

So entschied sich Hertha also doch gegen die sehr teuren Alternativen. Eine Verpflichtung von Milot Rashica (an den Hertha Gerüchten zufolge interessiert war) hätte ähnliche Dimensionen eingenommen, wie vergangenen Winter ein Transfer von Matheus Cunha. Die Berliner gehen also eher einen Schritt zurück. Dieser Transfer erinnert eher an Zeiten vor den Tennor-Millionen. Doch genau das könnte der richtige Weg sein.

Schließlich stecken die Hauptstädter tief im Abstiegskampf und müssen mit Pal Dardai erstmal bis zum Sommer die Wende schaffen. Herthas Spiel wird in dieser Phase wohl nicht mehr revolutioniert werden. Mit Radonjic will man keinen Hurra-Fußball spielen, sondern so schnell wie möglich aus der roten Zone der Tabelle raus. Dabei könnten schnelle und robuste Spieler wie er möglicherweise noch sehr wertvoll werden.

Partygänger oder Instagram-Icon?

CHRISTOPHE SIMON/AFP via Getty Images

Wer den einen oder anderen Fan-Kommentar aus Marseille über Radonjic liest, dürfte sich etwas wundern. Ein Running-Joke scheint zu sein, dass der Serbe besonders feierwütig ist. Die Wahrheit sieht etwas anders aus, wie uns Boris erzählt. „Als er kam, hatte er eine Reputation als Partytyp, weil er in seiner Jugend deswegen vom Nachwuchszentrum von AS Rom geflogen ist. Es gab in Marseille zwar keine Vorfälle, aber er hat irgendwie diese Reputation behalten.“

Hertha-Affine Instagram-Nutzer:innen dürften auch gespannt sein: „Leute haben sich auch über ihn lustig gemacht, weil er auf Instagram einschlägige Frauenfotos geliked hat“, meint unser Experte. „Und dazu passend wäre auch dieses bizarre Video im US-Rapper/ModeIcon Style, das er im letzten Sommer gepostet hat. Ich kann mir vorstellen, dass er in Berlin bestimmt neuen Stoff für seinen Instagram-Account finden wird.”

Auf dem Platz wird Nemanja Radonjic Hertha BSC sofort weiterhelfen müssen. „Ich verspreche mir Tore und Torvorlagen”, hieß es von Arne Friedrich. Eine Garantie gibt es dafür natürlich nie. Ob Nemanja Radonjic wie sein Landsmann Marko Pantelic „die alte Dame“ langfristig prägt, ist vielleicht unwahrscheinlich. Das braucht Hertha BSC aber aktuell gar nicht primär.

Am Ende sind nicht die großen Namen, sondern die Zusammenstellung und die Breite des Kaders entscheidend. Hertha hat dringend einen fitten, schnellen und international erfahrenen Spieler gebraucht, der auf den Außenbahnen mit einer gewissen Sorglosigkeit für Entlastung sorgen kann. Genau einen solchen Spieler haben sich die Hauptstädter jetzt mit Nemanja Radonjic ins Boot geholt.

*Titelbild: IMAGO