Fredrik André Bjørkan – Eine Zeitenwende für Herthas Linksverteidigung?

Fredrik André Bjørkan – Eine Zeitenwende für Herthas Linksverteidigung?

Fußballerisch hat Hertha-Neuzugang Fredrik André Bjørkan schon einiges erlebt. Der norwegische Linksverteidiger ist zwar erst 23 Jahre alt, trotzdem hat er mit seinem Heimatverein Bodø/Glimt schon fast alles durch, was der Fußball zu bieten hat: Vom Abstieg aus der Eliteserien 2016 bis zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte 2020 war Bjørkan dabei, von Spielen in der norwegischen zweiten Liga bis zu einem historischen 6:1 gegen die AS Roma und „The Special One“ José Mourinho. Zum neuen Jahr wechselt der Linksverteidiger nun zu Hertha BSC.

Endet die Plattenhardt-Ära?

Internationaler Fußball, der erste Titel seit langer Zeit, eine klare Spielphilosophie, Eigengewächse als tragende Säulen des Teams: Bodø/Glimt ist gewissermaßen dort, wo Hertha BSC gerne wäre. Der Transfer eines einzelnen Spielers aus Nord-Norwegen nach Berlin wird zwar nicht dazu führen, dass Hertha BSC im kommenden Sommer deutscher Meister wird. Und trotzdem, Fredrik André Bjørkan bringt das Potenzial mit, den Verein zumindest auf der Linksverteidiger-Position entscheidend voranzubringen.

Bjørkan hertha
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

In den vergangenen Jahren gab es bei Hertha kaum eine Position, die keiner Veränderung unterworfen wurde. Im Zuge des Windhorst-Einstiegs wurde der Kader mehrfach umgebaut. Nur hinten links, da blieb alles, wie es seit dem Abgang von Johannes van den Berg war: Marvin Plattenhardt als Stammkraft, Maximilian Mittelstädt als sein Thronfolger. Mit Bjørkan kommt nun auch hier ein neuer Spieler – endlich, mag so mancher denken.

Bjørkan: Ein offensiver Linksverteidiger für Hertha?

In seinem ersten Interview bei Hertha beschreibt sich Bjørkan als „offensiver Linksverteidiger“, das Spiel nach vorne liegt ihm nach eigenen Aussagen am meisten. Dazu bringt er fünf Tore und vierzehn Vorlagen aus den letzten drei Jahren als Empfehlung mit – und dabei tritt er im Gegensatz zu Marvin Plattenhardt keine Standards.

Bjørkans größte Stärken kommen ohne Frage dann zum Tragen, wenn er den Ball am eigenen Fuß hat. Mit seinen technischen Fähigkeiten und seiner Physis kann er Drucksituationen gut im Dribbling lösen. Mit 54 erfolgreichen Dribblings in der aktuellen Saison liegt er in dieser Kategorie auf Platz eins in der Eliteserien. Dabei ist er aber längst nicht eindimensional und berechenbar und dribbelt immer die Linie entlang, sondern zieht auch gerne in die Mitte.

Dazu ist Bjørkan auch sehr kombinationssicher und bringt eine gute Übersicht mit: In der aktuellen Saison hat er ligaweit die meisten Pässe im letzten Drittel an den Mann gebracht, dazu stellt er mit 42 Torschussvorlagen den Bestwert in dieser Kategorie bei Bodø-Glimt. Beides ist für einen Außenverteidiger eher ungewöhnlich – und Zeichen dafür, wie wichtig Bjørkan für den Erfolg des Vereins ist und war.


Wie wir die Verpflichtung von Frederik Andre Bjørkan finden, haben wir auch in unserer aktuellen Podcast-Folge besprochen, in der wir auch auf das Debüt von Tayfun Korkut beim 2:2 gegen den VfB Stuttgart eingehen.


Bjørkan in Bodø/Glimts taktischer Ausrichtung

Allerdings lassen sich auch andere Gründe für diese Zahlen finden. Durch die extrem hohen Ballbesitzanteile in der Eliteserien agiert Bodø/Glimt zumeist nur im Spielaufbau im 4-3-3 und in der gegnerischen Hälfte eher in einer Art 2-3-5, wobei Bjørkan in zwei verschiedenen Rollen eingesetzt wurde:

Häufig rückte Bjørkan ins Mittelfeld ein und spielte als invertierter Außenverteidiger in einer relativ zentralen Rolle im Dreiermittelfeld, in der seine Aufgaben eher denen eines zentralen Mittelfeldspielers ähnelten. Es ist in weiterer Beweis dafür, dass der 23-Jährige ein größeres Skillset als Herthas aktuelle Linksverteidiger mitbringt.

(Photo by Paolo Bruno/Getty Images)

Bjørkan spielte aber auch oft dort, wo man einen Linksverteidiger in der Offensive klassischerweise erwartet: Auf Linksaußen in der Nähe der Außenlinie. Dort stellte er auch seine Fähigkeit zu flanken unter Beweis, wobei er meist versucht, Situationen spielerisch und nicht mit hohen Bällen ins Zentrum zu lösen.

Und auch defensiv hat Bjørkan durchaus seine Stärken. Ligaweit hat er die meisten Bodenzweikämpfe gewonnen, bei einer Zweikampfquote von knapp 60 Prozent. Bei Kopfballduellen muss er dagegen noch zulegen, hier gewinnt er gerade einmal knapp jeden dritten. Wieviel Sicherheit und Stabilität Bjørkan in der Bundesliga ausstrahlen wird, lässt sich aber schwer abschätzen.

Aus Bodø ist er zudem ein aggressives Gegenpressing sowie generell hohes Pressing gewohnt. Vielleicht ist er also auch ein Vorgriff für den Fußball, den Hertha ab kommendem Sommer mit dem neuen Trainer spielen möchte.

Wie groß ist der Sprung aus der Eliteserien in die Bundesliga?

Angesichts der aktuellen Leistungen von Herthas Linksverteidigern dürfte eine Frage vielen Fans besonders unter den Nägeln brennen: Wie viel Zeit wird Bjørkan brauchen, bis er eine ernsthafte Alternative hinten links darstellt? Natürlich kann man diese Frage ohne hellseherische Fähigkeiten nicht beantworten. Aber man kann mithilfe von Quervergleichen zumindest versuchen, eine Antwort abzuschätzen.

Ein naheliegender Vergleichs-Kandidat ist mit Sicherheit Frankfurts Jens Petter Hauge, der im vergangenen Sommer von Bodø/Glimt nach Mailand wechselte. In seiner ersten Saison gelangen ihm für Milan fünf Tore und eine Vorlage in 23 Spielen, wobei er zumeist nur als Joker eingesetzt wurde. Allerdings war die Konkurrenzsituation in Milans Offensive auch eine andere, als Bjørkan sie bei Hertha auf seiner Position vorfinden wird.

Jens Petter Hauge versucht, sich bei Eintracht Frankfurt durchzusetzen. (Photo by Juergen Schwarz/Getty Images)

Auch zu Birger Meling lassen sich von Bjørkan aus einige Parallelen ziehen. Der Norweger wechselte vorletzten Sommer von Rosenborg Trondheim zu Nîmes Olympique nach Frankreich. Meling ist genau wie Bjørkan Linksverteidiger – und war in Nîmes vom Zeitpunkt seiner Ankunft nicht wegzudenken. In seiner ersten Ligue-1-Saison überzeugte er sogar so sehr, dass er zur neuen Saison zu Stade Rennais wechselte, dem Tabellen-Sechsten des Vorjahres.

Bei Bjørkan kann das natürlich alles ganz anders kommen – vom Senkrechtstarter, der Hertha-Fans ein bisschen träumen lässt, bis zu einer langen Eingewöhnungsphase à la Rune Jarstein scheint bei ihm alles möglich zu sein. Wenn er die Umstellung von der Eliteserien zur Bundesliga packt, bringt er aber Anlagen mit, die Herthas Abwehr in den kommenden Jahren entscheidend prägen können.

[Titelbild: Paolo Bruno/Getty Images]

Kaderanalyse 2020/21 – Herthas Innenverteidigung

Kaderanalyse 2020/21 – Herthas Innenverteidigung

Endlich ist die Alptraum-Saison 2020/2021 vorbei. Nach einer hochemotionalen Schlussphase gab es doch noch ein „Happy End“ für Hertha BSC. Diese verrückte Spielzeit haben wir sehr ausführlich in unserer Saisonrückblick-Podcastfolge besprochen. Doch jetzt wollen wir uns der Kaderanalyse widmen. Dabei gehen wir nicht nur auf die abgelaufene Saison ein, sondern werfen auch einen Blick nach vorne. Welche Kaderstellen müssen Bobic, Dufner, Friedrich und co. noch dringend bearbeiten? Wo hat man Bedarf, welche Spieler werden wohl den Verein verlassen?

Begonnen hatten wir mit der Torhüter-Position. Nun widmen wir uns der blau-weißen Innenverteidigung. Auf dieser Position hat es in der abgelaufenen Saison zahlreiche Änderungen und vielleicht sogar schon einen Generationswechsel gegeben.

Jordan Torunarigha – (wieder) viel Verletzungspech

Wie für den gesamten Verein Hertha BSC lief die Saison 2020/2021 auch für Jordan Torunarigha insgesamt enttäuschend. Als klarer Stammspieler war „Air Jordan“ in die Spielzeit gestartet, schien alles vorbereitet für den Schritt zum Hertha-Leistungsträger.

Als Nebenmann von Dedryck Boyata hatte Torunarigha gegen Ende der Vorsaison nicht nur defensiv stabile und fehlerlose Leistungen abgeliefert, sondern insbesondere mit seinem Spielaufbau für Aufsehen gesorgt. Neben vielen guten Verlagerungen und Laserpässen hatte Torunarigha mit seinen Dribblings bis tief in die gegnerische Hälfte häufig dafür gesorgt, dass Herthas manchmal arg statisches und einfallsloses Aufbauspiel an Dynamik gewann.

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Foto: IMAGO

Zu Saisonbeginn schien Karim Rekik zunächst Torunarighas einziger Konkurrent im Kampf um den Platz in der linken Innenverteidigung zu sein. Mit einer enttäuschenden Leistung beim Erstrundenaus im DFB-Pokal untermauerte dieser allerdings eher den Status von Herthas Nummer 25. Nachdem er im DFB-Pokal noch seine lächerliche Sperre hatte absitzen müssen, konnte Torunarigha somit erst am ersten Bundesliga-Spieltag in Bremen in die neue Saison starten. Bei Herthas 4:1-Auswärtssieg fiel er nicht groß auf – für einen Innenverteidiger eher Kompliment als Kritik.

Bereits das zweite Spiel gegen Eintracht Frankfurt war für Torunarigha im Rückblick der „Kipp-Punkt“ der Saison. Im Spiel gegen Frankfurt verletzte sich der 23-Jährige am Syndesmoseband. Besonders schmerzte der Ausfall, weil sich Torunarigha gegen die Eintracht extrem stark präsentierte. Hertha verlor das Spiel zwar, mit seinem Aufbauspiel war der Innenverteidiger aber einmalmehr eine der Lichtblicke bei Hertha. An diesem Abend schaltete er sich auch immer wieder in der höchsten Angriffszone ein, das einzige Tor für Hertha fiel nach einer seiner Hereingaben. Mit dieser Sicherheit und spielerischen Klasse sollte man Torunarigha bis zum Saisonende nicht mehr erleben.

Leichte Formverbesserung Torunarighas unter Dardai

Kurz vor seiner Rückkehr nach dem Syndesmoseband-Anriss gab es für Torunarigha dann schon den nächsten Rückschlag in Form einer Corona-Infektion. Nicht nur sein Comeback verzögerte sich nochmals, auch seine Auftritte litten zunächst unter dieser verlängerten Pause. Zwar kehrte er im Dezember in die Hertha-Startelf zurück, allerdings war ihm sowohl die Stabilität als auch sein Spielwitz abhandengekommen – der Verteidiger wirkte blass und unsicher. In Torunarighas Abwesenheit war mit Omar Alderete ein neuer Konkurrent zu Herthas Kader gestoßen und hatte Karim Rekik ersetzt. Nach mehreren wackligen Auftritten entschloss sich der damalige Trainer Bruno Labbadia deshalb, Torunarigha wieder durch Alderete zu ersetzen.

Nach der Rückkehr von Pál Dárdai, unter dem Torunarigha einst seinen Durchbruch bei den Profis gefeiert hatte, rotierte er dann zunächst zurück in die Startelf. Zum Rückrundenbeginn lieferte er gegen Frankfurt und Bayern zumindest solide Spiele ab. Aber es kam, wie es kommen musste – Torunarigha verletzte sich erneut, dieses Mal an der Hüfte. Erst im Saisonendspurt kehrte er wieder zurück, da sich aber inzwischen mit Márton Dárdai die Überraschung der Saison auf seiner etatmäßigen Position festgespielt hatte, blieb Herthas Nummer 25 fortan nicht mehr als die Rolle als Rotationsspieler und Joker. Nur gegen Freiburg konnte Torunarigha sein volles Potenzial auf ungewohnter Position als Linksverteidiger nochmal aufblitzen lassen.

Foto: nordphotox/xEngler/IMAGO

Dass die Saison für Torunarigha absolut mies lief, illustrieren auch seine Statistiken. Seine Zweikampfquote fiel von 53 auf 34 Prozent, bei den Kopfballduellen liegen 54 Prozent deutlich unter den 74 der Vorsaison. Spielte Torunarigha 2019/2020 noch 4.3 lange Bälle pro Spiel (mit einer Erfolgsquote von 60 Prozent), waren es 2020/2021 nur noch 2.2 – und nicht mal jeder zweite Versuch kam an. Klar ist: Mit Torunarigha brach Hertha bereits am zweiten Spieltag eine wichtige Stütze aus der Defensiv-Achse weg. Mit Sicherheit war dies weder der erste, noch der einzige Grund für Herthas enttäuschende Saison. Trotzdem fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass 2020/2021 mit einem durchgehend fitten Torunarigha in Top-Form wohl anders gelaufen wäre.

Omar Alderete – eine durchwachsene Debütsaison für Hertha

Erst am spätesten Deadline-Day der jüngeren Bundesliga-Geschichte, dem 15. Oktober, stieß Omar Alderete zu Herthas Mannschaft. Der Paraguayer kam für ungefähr sechs Millionen Euro aus Basel – und wurde direkt gebraucht. Durch die Verletzung von Jordan Torunarigha und den Abgang von Karim Rekik wurde Alderete nach nur kurzer Eingewöhnungszeit schon eine knappe Woche später ins kalte Wasser geschmissen.

In den folgenden Wochen konnte man bei Alderete ein Phänomen beobachten, dass bei vielen Last-Minute-Neuzugängen auftritt: Der Neuzugang startete mit überzeugenden Auftritten im Hertha-Trikot, obwohl er Abläufe und Mannschaft zu diesem Zeitpunkt kaum kannte. Auch in seinen ersten Spielen machte der Paraguayer zwar bei weitem nicht alles richtig, trotzdem lieferte er zunächst solide ab. Beim 2:5 gegen Borussia Dortmund machte er wie auch Herthas andere Abwehrspieler ein schwaches Spiel. Tendenziell hatte man zu diesem Zeitpunkt der Saison das Gefühl, dass Alderete nach gutem Start bald in das für Neuzugänge nicht ganz unübliche Leistungsloch fallen würde.

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Exakt zu Torunarighas Rückkehr Anfang Dezember fiel Alderete dann allerdings erstmal aus – und rückte erst in den letzten Spielen unter der Regie von Bruno Labbadia wieder in die Startelf, der ihn nach seiner Genesung wieder Jordan Torunarigha vorzog. „Jordany“ war zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit in schwacher Form. Trotzdem zeigte Alderetes Comeback, welch hohes Standing er bei Labbadia genoss.

Alderete: Zwischen Genie und Wahnsinn

Unter Pál Dárdai hatte Alderete allerdings schnell einen schweren Stand. Gegen den VfB Stuttgart durfte er zwar von Beginn an spielen, wurde im Nachgang des Spiels allerdings öffentlich von seinem Trainer angezählt. Der Grund: Alderete hatte das Spiel entgegen von Dárdais Wunsch immer wieder durch die Mitte eröffnet und sich damit nicht an die taktischen Vorgaben gehalten. Dárdai Senior beförderte als Konsequenz Dárdai Junior in die Startelf, an ihm kam Alderete bis Saisonende nicht mehr vorbei. Einzig in den finalen englischen Wochen im Abstiegskampf kam der 24-Jährige wieder zum Einsatz. Mit seinen Leistungen gegen Freiburg, Schalke und Köln stellte er unter Beweis, dass er für Hertha allemal ein guter Back-Up ist.

Seinen Ruf, dass er besonders zweikampf- und kopfballstark sei, konnte Alderete in seiner Debütsaison in Blau-Weiß noch nicht rechtfertigen. Mit 51 Prozent Zweikampfquote liegt er unter Herthas Innenverteidigern auf Platz 3. Ebenfalls 51 Prozent gewonnene Luftduelle sind gleichbedeutend mit Platz drei – vor seinen Konkurrenten Torunarigha und Dárdai. In diesem Bereich hätte der 24-Jährige mit Sicherheit besser abgeschnitten, wenn nicht auch Unkonzentriertheit und Schlampigkeit Teil seines Spiels wären. Sein Passspiel und Spielaufbau sind sehr risikofreudig. Vielen Hertha-Fans sind wohl noch einige Szenen aus der vergangenen Spielzeit in Erinnerung, in denen seine flachen Pässe durchs Zentrum fast eine Katastrophe ausgelöst hätten. Mit 80 Prozent hat Alderete passenderweise auch die schwächste Passquote unter Herthas Innenverteidigern.

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Foto: Christopher Neundorf/Kirchner-Media/pool/IMAGO

In der finalen Bewertung von Alderetes zugegebenermaßen nicht optimal gelaufener ersten Hertha-Saison darf man allerdings auch nicht vergessen, wie die äußeren Begleitumstände für den Paraguayer aussahen: Erst eine Saison hatte er zuvor in Europa gespielt, in der im Vergleich eher schwächeren Schweizer Super League. Erst am letzten Tag der Transferperiode stieß er zu einem Team, in dem zu diesem Zeitpunkt keine Hierarchie vorhanden war. Dazu die Corona-Pandemie – für Alderete war die erste Saison in Deutschland mit Sicherheit keine einfache. Sollte der Paraguayer also auch über den Sommer bei Hertha bleiben, kann man sich durchaus Hoffnung machen, dass er in der Zukunft noch bessere Leistungen als 2020/2021 zeigt.

Márton Dárdai – die Hertha-Neuentdeckung

Auf Instagram wurde er zu Herthas Spieler der Saison gewählt, kurz vor Saisonende verlängerte er seinen Vertrag. Die Rede ist, na klar, von Márton Dárdai. Seit Saisonbeginn befand sich der mittlere der Dárdai-Söhne im Dunstkreis des Hertha-Kaders, kam in der Hinrunde unter Bruno Labbadia zu zwei Kurzeinsätzen.

Die Leistungsexplosion, mit der deutsche U19-Nationalspieler im letzten Saisondrittel entscheidenden Anteil an einer erstarkten Hertha-Defensive hatte, kam für die meisten Fans eher überraschend. Nachdem Pál Dárdai ihn quasi aus dem Nichts gegen RB Leipzig in die Startelf beordert hatte, verpasste Dárdai Junior nur noch drei Spiele, zwei davon verletzungsbedingt. Von seiner ersten Startelfminute an machte Dárdai den Eindruck, keinerlei Anpassungsprobleme ans Profi-Level zu haben. Defensiv machte er stets einen souveränen und abgeklärten Eindruck, der größte Zugewinn für Hertha waren trotzdem seine Qualitäten im Spielaufbau. Auch wenn er eine andere Stilistik mitbringt als ein Jordan Torunarigha in Topform, half er Hertha mit seinen präzisen langen Bällen und Verlagerungen sehr weiter.

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Dabei strahlte er zudem eine Ruhe aus, die für sein Alter zumindest ungewöhnlich scheint. Nie hatte man den Eindruck, da stünde ein Spieler mit weniger als einem Dutzend Bundesliga-Partien auf dem Platz. Dárdai vollbrachte keine Wunderdinge und sorgte auch nicht mit Dribblings tief in die gegnerische Hälfte für Furore. Aber er war mit gerade mal 19 Jahren eine feste Konstante in einem Team, das mitten im Abstiegskampf steckte. Noch dazu mit der Schwierigkeit, als Trainersohn besonders kritisch beäugt zu werden – Dárdais Leistungen kann man kaum hoch genug einschätzen.

Dardai muss sein Niveau langfristig bestätigen und an Schwächen arbeiten

Als der 19-Jährige gegen RB Leipzig zum ersten Mal die Hertha-Standards trat, dürfte der eine oder andere Fan doof aus der Wäsche geschaut haben. Ein Ecken tretender Innenverteidiger? Wo gibts denn sowas? Bei Hertha, und hoffentlich noch lange. Denn in den finalen Spielen hatte man immer mehr den Eindruck, dass Dárdais Standards für Gefahr sorgten. So bereitete er zum Beispiel das wichtige Tor von Lucas Tousart in Mainz vor.

Eine der kleinen Schwächen, die Dárdai hat, ist allerdings sein Kopfballspiel. Mit nur knapp 29 Prozent gewonnener Duelle liegt er in dieser Kategorie deutlich hinter Herthas anderen Innenverteidigern zurück. Ein weiteres Argument dafür, dass er auch in Zukunft die Freistöße und Ecken schießen darf? In anderen Rubriken wie Pass- oder Zweikampf-Quote (82 bzw. 51 Prozent) liegt Dárdai im Vergleich mit seinen Konkurrenten im Mittelfeld. Bei den langen Bällen ragt er dafür heraus: Mit fünf erfolgreichen langen Pässen pro Spiel liegt er deutlich vor den anderen Innenverteidigern bei Hertha. Der Wert ist mehr als das Doppelte vor dem Jordan Torunarighas. Auch seine Quote kann sich mit 58 Prozent hier sehen lassen.

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Trotz einer tollen Durchbruchs-Saison tut man als Hertha-Fan aber gut daran, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben. In der Vorbereitung wird es für Dárdai zunächst einmal darum gehen, seinen Stammplatz gegen die starke Konkurrenz zu behaupten – das wird schwer genug. Bei seinem noch extrem jungen Alter ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass Dárdai irgendwann in der kommenden Saison ein kleineres oder größeres Leistungsloch haben wird. Mit Pál Dárdai steht aber der perfekte Förderer bereit, der die Eigengewächse in Herthas Kader nicht fallen lassen wird – sein Sohn Márton gehört aktuell zu den vielversprechendsten.

Niklas Stark – Saisonstart auf ungewohnter Position

“Es wäre legitim, Niklas Stark als Gesicht der vergangenen Saison heranzuziehen: Mit ordentlich Potenzial unter der Haube hoffnungsvoll in die Spielzeit gestartet, brutal aufs Gesicht gefallen, Verletzungsprobleme, mehr Enttäuschungen als alles andere, letztendlich aber ein versöhnliches Ende, das Hoffnung für die kommende Saison macht”, lautete die Einleitung in der Vorjahres-Kaderanalyse zu Niklas Stark. Man hätte diese Worte für die abgelaufene Saison wohl nahezu kopieren können und es wäre kaum jemanden aufgefallen.

Denn erneut hatten sich Hertha und Stark für diese Spielzeit viel vorgenommen. Hertha wollte die europäischen Plätze angreifen, Stark den nächsten Schritt in seiner Karriere machen und sich weiter in der deutschen Nationalmannschaft etablieren – schließlich würde eine Europameisterschaft im Sommer 2021 anstehen. Doch wie schon 2019/20 kam alles anders bzw. schlechter. In der Vorsaison hatte sich Stark in ein Formloch Marke Mariannengraben gespielt. Der Vizekapitän wurde zu solch einem Unsicherheitsfaktor, dass er den Konkurrenzkampf in der Innenverteidigung gegen Torunarigha und Boyata verlor. Herthas damaliger Trainer Bruno Labbadia entschied sich daraufhin, Stark im Saisonendspurt stattdessen im defensiven Mittelfeld auflaufen zu lassen. Auf dieser Position sollte der zweifache Nationalspieler dann auch in die abgelaufene Spielzeit gehen.

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In seinem Amt als Vizekapitän bestätigt, wurde Stark von Labbadia beinahe die gesamte erste Halbserie auf der “Sechs” eingesetzt. Elf der 13 ersten Bundesliga-Partien bestritt der gelernte Innenverteidiger vor und nicht in der Abwehr. Labbadia schätzte die defensive Stabilität, die Stark mit sich brachte. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison war Herthas größtes Manko die fehlende Balance im Spiel. Spielten die Blau-Weißen offensiv, ging dies sehr zu Lasten der Defensivkompaktheit. Hier leistete Stark Abhilfe. Er nahm die klassische (und mittlerweile eher veraltete) Rolle des Abräumers ein. Stark sollte sich vor allem um Defensivaufgaben kümmern, Konter abfangen, Luftduelle gewinnen und zur Not mit in die Abwehr rücken. Im Ballbesitz hielt sich Stark dafür sehr zurück (Mittellinie ist Lava), der Ball wurde meist sehr schnell und uninspiriert weitergeleitet.

Stark findet unter Dardai zu alter Stärke

Es war alles andere als spektakulär, Stark bei seiner Arbeit im defensiven Mittelfeld zuzuschauen. Der 26-Jährige arbeitete eben mehr als er spielte. Gegen den Ball konnten ihm kaum Vorwürfe gemacht werden, er stabilisierte das so wackelige Gebilde sichtlich. Das Spiel mit dem Ball aber ging Stark vollkommen ab, sodass wenig Kreativität aus dem Mittelfeldzentrum heraus zu erwarten war. Endlos viele lange Bälle chippte Stark in der ersten Saisonphase zum Gegner. Stark auf der Sechs spielen zu lassen, hatte allerdings den positiven Nebeneffekt, dass er nach seiner grausigen Vorsaison vorsichtig wieder an das Spiel gewöhnt wurde. Als Mittelfeldspieler konnte er all die Defensivaufgaben eines Innenverteidigers mimen, ohne aber das Risiko des “letzten Mannes”. Stark wuchs auf der Sechs wieder in seine angestammte Rolle des Innenverteidigers hinein.

Davon profitierte Pal Dardai nach dem Trainerwechsel. Stark hatte schon in den letzten Spielen Labbadias wieder als Teil der Abwehrreihe fungiert – Dardai machte keine Anstalten, daran etwas zu ändern. Der Ungar kennt Stark exzellent und vertraute ihm bedenkenlos, als er ihn zum festen Bestandteil der neuen Achse machte. Dardai setzte ab dessen viertem Spiel gegen RB Leipzig auf eine Dreierkette mit überraschender Besetzung: Stark, Dardai und Lukas Klünter. Die drei Defensivspieler ergänzten sich hervorragend. Dardai war vor allem für die Spieleröffnung zuständig, der so schnelle Klünter für die Laufduelle, sodass sich Stark voll und ganz auf seine Kerngebiete konzentrieren konnte. Als eine Art Schlachtturm war Stark vor allem für direkte Zweikämpfe, Luftduelle und Blocks verantwortlich. Er sollte immer einen Fuß oder Kopf in den Offensivaktionen des Gegners haben, stets nahe am Gegenmann sein.

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

In diese Rolle wuchs Stark mit jedem Spiel besser hinein. Es war bemerkenswerte Entwicklung bei ihm zu beobachten. Vor nicht allzu langer Zeit schlotterten Hertha-Fans noch die Knie, wenn es darum ging, dass Stark im entscheidenden Moment da sein musste. Zu viele individuelle Fehler waren ihm über mehr als ein Jahr unterlaufen. Nun aber konnte man sich sicher sein, dass Stark die Situation unter Kontrolle bekommen wird. Der 26-Jährige war im letzten Saisondrittel endlich wieder der Rückhalt, den man so lange vermisst hatte. Darüber hinaus war auch eine menschliche Weiterentwicklung zu erkennen. Früher oftmals im Chaos mit untergegangen, agierte Stark unter Dardai tatsächlich als klarer Führungsspieler. Er wurde seinem Amt als Kapitän vollends gerecht, indem er auf dem Feld dirigierte, Mitspieler wachrüttelte, motivierte und empathische Interviews gab. Er wurde eine echte Persönlichkeit auf dem Platz. Stark schien sich nun endlich wieder voll und ganz mit Hertha zu identifizieren.

Diese enorme Leistungssteigerung und das Hineinwachsen in die Führungsrolle lassen darauf hoffen, dass Stark nun einen wichtigen Entwicklungsschritt seiner Karriere vollbracht hat – etwas, von dem er selbst und Hertha profitieren. Es scheint gut möglich, dass Stark in der kommenden Saison nicht nur Vize- sondern alleiniger Kapitän wird und damit ein nicht wegzudenkender Teil der neuen Hertha-Achse.

Dedryck Boyata – Kein geeigneter Hertha-Kapitän?

“Auch wenn zwei der vier Profi-Innenverteidiger bei Hertha eine Saison zum Vergessen hinter sich haben, ist hier keine Baustelle aufzumachen”, schrieben wir noch im vergangenen Sommer. Mit Torunarigha und Boyata schien sich nach Bundesliga-Restart ein solch starkes Innenverteidiger-Duo gefunden zu haben, dass auch in der kommenden Saison kein Weg an ihnen vorbeiführen sollte. Wie bereits bei Torunarigha angerissen, hatte das Verletzungspech einen anderen Plan und machte auch Boyata keinen Halt.

Dabei begann die Saison für den Belgier so vielversprechend. Erst vor einem Jahr wurde Boyata von Glasgow nach Berlin gewechselt, doch aufgrund seiner konstant starken Leistungen aus der Vorsaison wurde der 30-Jährige zum neuen Hertha-Kapitän gewählt. Damals erschien der Abwehrmann als logische Wahl. Schließlich ging er mit Leistung voran, zudem spricht er gleich mehrere Sprachen. Mit all seiner (internationalen) Erfahrung sollte er neu zusammengewürfelte Mannschaft anführen.

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Foto: IMAGO

Dass die Entscheidung, Boyata zum Kapitän zu ernennen, allerdings nicht mit vollster Überzeugung getroffen wurde, legt allein der Zeitpunkt schon offen. Am ersten Spieltag gegen Werder Bremen war es noch der letztjährige Vize-Kapitän Stark, der die Binde trug. Trainer und Mannschaft hatten sich bis dahin immer noch nicht auf einen Spielführer einigen können. Die Saison sollte in der Retrospektive zeigen, weshalb Boyata damals als die wohl einzige, im nachhinein aber falsche Option für dieses Amt gewesen ist.

Boyata konnte seine starke Debütsaison nicht bestätigen

Diese Einschätzung ist zum einen in Boyatas Leistungskurve begründet. Eines der großen Argumente für das Kapitänsamt wird gewesen sein, dass man in dem belgischen Nationalspieler einen herausragenden Rückhalt hat. “Mit einer überragenden Konstanz und allen nötigen Werkzeugen eines Innenverteidigers hat Boyata sich seinen Stammplatz in der Innenverteidigung redlich verdient”, hieß es in unserer letztjährigen Analyse. “In einer mehr als turbulenten Saison mit teils vogelwilden Auftritten und sich immer wieder verändernden Aufstellungen war auf den 29-Jährigen stets Verlass.” Diese Bewertung lässt sich jedoch nicht auf die abgelaufene Spielzeit übertragen.

Boyata kam nämlich, wie die gesamte Mannschaft, nicht gut in die Saison. Zwar wurde das Auftaktspiel gewonnen, doch danach folgten zunächst fünf Spiele ohne einen weiteren Sieg. Dies lag auch an den schwachen Defensivleistungen der Berliner. Elf (!) Gegentore kassierte Hertha in den genannten Partien. Die Abwehr schwamm gewaltig, sie war vielmehr ein ständiger Gefahrenherd als sicherer Rückhalt. Boyata gelang es keineswegs, seiner Abwehrreihe zu stabilisieren, der Neu-Kapitän ging eher mit im Chaos unter. So verursachte er beispielsweise gegen Eintracht Frankfurt (1:3) einen Elfmeter, der zur SGE-Führung führte. In dieser Saisonphase ließ Boyata all die Eigenschaften vermissen, die ihn in der Vorsaison so stark gemacht hatten.

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Das belegen allein die Zahlen schon eindrucksvoll, denn Boyata hat sich in sämtlichen Defensivdisziplinen – im Vergleich zur Vorsaison – verschlechtert. Von durchschnittlich 2,2 abgefangenen Bällen ging es runter auf 1,4 pro Spiel. Tackles brachte er nur noch 0,7 statt 0,9 pro Partie durch. Die Klärungen sanken sogar von 5,6 auf 3,5. Sicherlich muss auch bei Boyata das Verletzungspech berücksichtigt werden. Der Verteidiger fehlte Hertha vom 14. bis zum 28. Spieltag der vergangenen Saison. Ein Ermüdungsbruch setzte ihn für knapp drei Monate außer Gefecht. Wer weiß, wie lange Boyata schon vor dieser Diagnose mit körperlichen Problemen, die seine Leistung beeinträchtigt haben könnten, zu kämpfen hatte. Doch wie Boyata mit dieser Verletzung umgegangen ist, ist das zweite gewichtige Argument dafür, dass er seiner Kapitänsrolle nicht gerecht geworden ist.

Verlässt Boyata Hertha nach nur zwei Jahren?

Anstatt alles daran zu setzen, die Verletzung vernünftig auszukurieren und dem in Abstiegsnot befindenden Team schnellstmöglich wieder zu helfen, entschied sich Boyata dafür, voreilig zur Nationalmannschaft zu reisen. Dort kam der Routinier auch zum Einsatz, um sich dadurch aber einen Muskelfaserriss zuzuziehen. Der Körper war noch nicht bereit. Ein Umstand, der Trainer Dardai maßlos verärgerte. Man hätte Boyata bei Hertha wohl deutlich dringender gebraucht als bei Belgien. So verpasste der Abwehrspieler drei weitere Trainingswochen und zwei zusätzliche Spiele.

Foto: Poolfoto Maik Hölter/TEAM2sportphoto/IMAGO

Man kann Boyata allerdings zugute halten, dass er nach seiner Rückkehr noch einmal wichtig für Hertha wurde. In dem engen Spielrhythmus nach der Quarantäne griff Dardai auch auf den etatmäßigen Kapitän zurück, der Anfangs zwar noch ziemlich wackelte, mit jedem Spiel aber sicherer wurde. Mit seinem Tor gegen Schalke trug Boyata sogar sehr aktiv zum Klassenerhalt bei. Unvergessen ist der Moment, als Boyata nach Abpfiff völlig ausgelaugt zusammensank – er hatte alles gegeben und war seiner Führungsrolle wirklich gerecht geworden.

Doch wie geht es nun mit Boyata bei Hertha weiter? Medienberichten zufolge könnte er Berlin verlassen, der Verein soll bei einem passenden Angebot gesprächsbereit sein – sein Vertrag läuft 2022 aus. Der Zweikampf mit Stark scheint verloren, auch wenn die Karten in der Sommervorbereitung stets neu gemischt werden und Dinge wie Verletzungen immer passieren können. Dennoch scheint es nicht unwahrscheinlich, dass sich Boyata bei der EM für neue Aufgaben empfiehlt und Hertha den Generationswechsel in der Innenverteidigung weiter vorantreibt. Wie so oft muss man abwarten. Die vergangene Saison lässt einen zumindest mit gemischten Gefühlen zurück.

Lukas Klünter – Comeback auf überraschender Position

Jemanden, den man bei der Kaderanalyse zuvor nicht für die Innenverteidigung vorgesehen hatte, ist Lukas Klünter. Einst wurde der Ex-Kölner für die Rechtsverteidiger-Position verpflichtet, doch dort scheint der 25-Jährige immer weniger Licht zu sehen. Deyovaisio Zeefuik ist offensiv vielseitiger, Peter Pekarik taktisch disziplinierter. Die Aussichten, in der Saison auf Einsatzminuten zu kamen, sahen also düster aus.

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

Dies bestätigte sich unter Bruno Labbadia auch zunächst. Bis zum 19. Spieltag – als Dardai übernahm – stand Klünter nicht eine einzige Minute auf dem Feld. “Klünti” stand sogar nur fünfmal überhaupt im Kader. Bis dahin spielte der so schnelle Abwehrspieler keinerlei sportliche Rolle für Hertha. Mit dem Trainerwechsel veränderte sich jedoch alles. Gleich im ersten Spiel unter Dardai stand Klünter in der Startelf – erstmals seit März 2020, also fast einem Jahr. Im Spiel gegen die Eintracht wurde er allerdings noch als Rechtsverteidiger eingesetzt. Sobald Dardai aber auf Dreierkette umgestellt hatte, fand sich Klünter in der Innenverteidigung wieder.

Die Aufgabenverteilung war klar: Klünter sollte Schienenspieler Zeefuik Rückendeckung für dessen Offensivläufe geben. Mit seiner herausragenden Schnelligkeit war er exzellent darin, gegnerische Konter im Laufduell abzufangen. So schenkte Klünter Herthas Defensive eine neue Stabilität, da diese deutlich seltener überspielt werden konnte. Dabei agierte Klünter wenig spektakulär, teilweise fiel in einem Spiel kaum auf (was nichts schlechtes ist). Dardai wusste, dass Klünter weniger im direkten Zweikampf und vielmehr in Laufduellen seine Stärke hat, weshalb er vor allem Stark ersteres übernehmen ließ. Klünter sollte vor allem auf sein Positionsspiel achten und Lücken in der Abwehr zulaufen. Diesen “einfachen” Auftrag erledigte er überaus diszipliniert.

Wo liegt die Zukunft von Klünter?

Nun stellt sich auch bei Klünter die Frage nach der Aussicht für die kommende Spielzeit. Auf der Rechtsverteidiger-Position wird er erneut kaum eine Perspektive haben. Zeefuik hat sich zwar noch nicht vollends etabliert, wird aber vorgezogen werden. Dazu wird Pekarik seinen Vertrag wohl noch einmal um ein Jahr verlängern. Darüber hinaus ist nicht klar, ob sich Hertha auf dieser Position nicht noch einmal verstärken will.

So bliebe eigentlich nur ein Platz in der Innenverteidigung. Doch auch dort wird es Klünter nicht leicht haben. Dardai, Torunarigha und Stark werden ihm vorgezogen werden, womöglich bleibt Boyata auch oder jemand neues kommt noch hinzu. Allerdings ist die Bewertung Klünters eine andere. Der 25-Jährige wird womöglich gar nicht an den Anspruch haben, absoluter Stammspieler zu sein – auch solche Profis braucht man im Kader.

Wenn die vergangene Saison eins gezeigt hat, dann: Jeder im Kader wird gebraucht und auf Klünter ist im Zweifelsfall Verlass. Das wird Dardai sehr an ihm schätzen, sodass Klünter wohl wieder öfter auf der Bank sitzen, aber auch auf seine Minuten kommen wird. Eigenschaften wie Teamgeist, Einsatzwille und Professionalität werden von ihm vorgelebt und genau das braucht eine Mannschaft.

Text von: Marc Schwitzky & Simon

[Titelbild: xMatthiasxKochx/IMAGO]

Peter Pekarík – eine Insel von Konstanz bei Hertha BSC

Peter Pekarík – eine Insel von Konstanz bei Hertha BSC

Torhüter, instabile Innenverteidiger-Duos oder formschwache Offensivkräfte: Hertha BSC hatte in der laufenden Saison schon viele verschiedene Problemzonen. Die Position des Rechtsverteidigers gehörte bisher nicht dazu. Das hat vor allem mit Peter Pekarík zu tun.

Eigentlich war er ja nur noch als Back-Up und Übergangslösung eingeplant. Einen neuen Einjahresvertrag hatte Peter Pekarík im letzten Sommer noch einmal unterschrieben, nachdem er sich gegen Saisonende plötzlich wieder in Herthas Stammelf gespielt hatte. Und obwohl der Slowake nach dem Bundesliga-Restart durchaus ansprechende Leistungen abgeliefert hatte, sollte Pekarík eigentlich Stück für Stück ins zweite Glied rücken und Neuzugang Deyovaisio Zeefuik seine Rolle hinten rechts in der Berliner Abwehrkette überlassen.

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So oder so ähnlich dürften die Pläne von Herthas Verantwortlichen im letzten Sommer gewesen sein, als sie die ‚Baustelle Rechtsverteidiger‘ gedanklich als erledigt abhakten. Ein halbes Jahr später ist Pekarík für Hertha wichtig wie lange nicht mehr: Nachdem er im letzten Jahr von Pál Dárdais erster Amtszeit genau wie unter dessen Nachfolgern Ante Covic, Jürgen Klinsmann und Alexander Nouri kaum eine Rolle gespielt hatte, ist er in der aktuellen Saison Herthas Feldspieler mit den fünftmeisten Spielminuten, nur zwei Mal stand der 34-Jährige nicht in der Startelf.

Die Gründe für diese überraschende Entwicklung sind vielfältig. Ein Teil liegt sicher darin begründet, dass Deyovaisio Zeefuik bisher nicht die erhoffte Verstärkung ist und war. Nachdem es zu Saisonbeginn tatsächlich so aussah, als würde Ex-Trainer Labbadia den jungen Niederländer peu à peu aufbauen, wurde Zeefuik nach seiner Gelb-Roten-Karte gegen RB Leipzig de facto aussortiert. Seine weiteren Kurzauftritte überzeugten ebenso wenig, Zeefuik wirkte nicht griffig und konzentriert genug, beinahe allen seiner Aktionen fehlte die Spannung.

Mister Zuverlässig schlägt zurück

Der wichtigste Faktor ist aber Pekarík selbst, der mit seinen Leistungen verblüfft. Jahrelang als einer der torungefährlichsten Bundesliga-Spieler überhaupt verschrien, hat er in den letzten zwölf Monaten wettbewerbsübergreifend vier Tore erzielt – doppelt so viele wie in den sieben Jahren Hertha zuvor.

Der Expected-Goals-Wert gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Abschluss auch tatsächlich im Tor landet

Wenn man in dieser Saison einen Blick auf die Expected-Goal-Statistiken wirft, wird eines klar: Was die von ihm ausgehende Torgefahr angeht, ist Pekarík mitnichten einer der schwächeren Bundesliga-Rechtsverteidiger. In diesem Ranking liegt er unter anderem auch vor Stefan Lainer und Lars Bender – obwohl deren Mannschaften im Allgemeinen deutlich offensiver als Hertha agieren. Diese Weiterentwicklung hätte ihm wohl kaum einer zugetraut, gerade in seinem mittlerweile hohen Fußballer-Alter von 34 Jahren.

Parallel zu seinem entdeckten Torriecher hat Pekarík aber nicht seine Zuverlässigkeit verloren. Mitnichten agiert der Rechtsverteidiger sorglos oder risikoreich. Seine Passquote von 81,4% ist im Liga-Vergleich einer der besten Werte. Nicht umsonst hat er sich den Spitznamen „Mister Zuverlässig“ verdient. Pekarík ist Herthas Tiefkühlpizza: Immer da, wenn er gebraucht wird, und man weiß, was man bekommt.

Gleichzeitig darf man aber auch keine Wunderdinge von ihm erwarten. Im Spielaufbau der Blau-Weißen nimmt er meistens keine allzu wichtige Rolle ein, das zeigt auch die Anzahl der von ihm gespielten ‚Progressive Passes‘, die unter dem Liga-Schnitt liegt.

Neben dem Spiel mit dem Ball gehört vor allem das Verteidigen zu Pekaríks Aufgabengebiet. Meistens tut er das ganz unaufgeregt, unauffällig und solide. Auffällige Fehler unterlaufen ihm auch aufgrund seiner Erfahrung nur selten, sein Zweikampfverhalten ist ein guter Mix zwischen abwartend und aggressiv.

Bei aller angenehmen Unauffälligkeit, mit der der Slowake Ruhe in Herthas Defensivverbund bringt, muss man aber auch feststellen, dass Pekarík kein exzellenter Verteidiger (mehr) ist. Weder gewinnt er viele Tacklings, noch kann er besonders viele Bälle klären. Zum Vergleich: Maximilian Mittelstädt liegt in beiden Statistiken deutlich vor dem 34-Jährigen – und das, obwohl ‚Peka‘ deutlich mehr Minuten gespielt hat.

Wie geht es weiter?

Im kommenden Sommer läuft Pekaríks Vertrag bei Hertha aus, ob das Arbeitspapier ein weiteres Mal verlängert wird, ist nicht klar. In jedem Fall wird man sich in Berlin nach Verstärkungen umsehen – die auch eine Verjüngung gegenüber Pekarík darstellen sollten, um dem Slogan ‚Die Zukunft gehört Berlin‘ wieder gerechter zu werden.

Gleichzeitig hat man mit Lukas Klünter und Deyovaisio Zeefuik noch zwei andere Rechtsverteidiger mit Steigerungspotenzial im Kader, der Transferfokus dürfte also eher in die Richtung eines gestandeneren Spielers gehen.

(Photo by Clemens Bilan – Pool/Getty Images)

Und wer weiß? Vielleicht gibt es im Zuge dessen auch eine teilweise Abkehr von der Big-City-Transferpolitik der letzten Jahre, mehr in Richtung der erfolgreichen Wechselgeschäfte, die bei Hertha vor dem Windhorst-Einstieg vollzogen wurden.

Ein Blick auf die obigen Grafiken lässt schnell erkennen, dass man sich wohl außerhalb der Bundesliga wird umschauen müssen. Die Spieler der direkten Konkurrenten sind für Hertha entweder nicht zu haben oder schlicht nicht gut genug.

Drei mögliche Kandidaten für die Pekarík-Nachfolge

Im Zuge dessen könnte der Blick wie schon in der Vergangenheit in die Ligen der deutschen Nachbarländer schweifen und so auch Clinton Mata wieder ein Thema bei Hertha BSC werden. Schon letztes Jahr war der 28-Jährige vom FC Brügge mit Hertha in Verbindung gebracht worden. Der Angolaner ist insbesondere defensiv solide, aber auch im Kombinations- und Aufbauspiel bringt Mata einiges mit. Neben der Rechtsverteidigerposition kann er auch als Innenverteidiger spielen. Unklar ist allerdings, ob er Brügge überhaupt verlassen möchte.

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Eine andere Option könnte der Schweizer Silvan Hefti werden. Aktuell ist der 23-jährige Spieler bei den Young Boys, zuvor war er bereits zwei Jahre lang Kapitän des FC St. Gallen. Womöglich könnte Teamkollege Fabian Lustenberger also ein paar gute Worte für Hertha einlegen. Mit bereits über 170 Erstliga-Spielen verfügt er trotz seines Alters schon über einige Erfahrung und könnte nach Kevin Mbabu und Jordan Lotomba schon der dritte Rechtsverteidiger in drei Jahren werden, der von Bern aus in eine Top-Fünf-Liga wechselt.

Hefti verteidigt gegenüber Pekarík etwas aktiver und aggressiver, aber nicht kopflos. Auch in Ballbesitz ist er etwas agiler als der Slowake, sucht Eins-gegen-Eins-Situationen – und kann sehr gute Flanken schlagen. In der Saison 2019/2020 legte er beim FC St. Gallen insgesamt sieben Tore auf und erzielte drei selbst.

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Auch mit Jonas Svensson könnten sich die Hertha-Verantwortlichen beschäftigen. Der 27-jährige Norweger spielt aktuell in Alkmaar, im Sommer läuft aber sein Vertrag aus, der Spieler möchte die Eredivisie verlassen.

Mit seinem hohen Endtempo und generellen Spielweise erinnert er eher an Zeefuik als Pekarík, ist dabei aber deutlich weiter in seiner Entwicklung als der Niederländer: Mit 27 ist er gestandener Profi, deutlich routinierter und auch abgebrühter. Durch seine geringe Körpergröße (1,70 Meter) hat er eine Schwäche in Kopfballduellen, ist aber insbesondere am Ball ein guter Spieler.

[Titelbild: Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images]

Sami Khedira – endlich Ruhe und Konstanz?

Sami Khedira – endlich Ruhe und Konstanz?

„Ich will spielen, ich will Verantwortung übernehmen, ich will etwas erreichen“ – das waren die ersten Worte Sami Khediras bei seiner offiziellen Vorstellung als Hertha-Neuzugang. Der ehemalige Weltmeister und Champions-League-Sieger soll in Berlin helfen, in einer führungslos wirkenden Mannschaft wieder eine neue Hierarchie aufzubauen.

Italien-Experte Christian Bernhard von u.a. der Süddeutschen Zeitung und DAZN beantwortete unsere Fragen zu Sami Khediras Zeit bei Juventus Turin.

Zumindest ein leicht unwohles Gefühl dürfte dem einen oder anderen Hertha-Fan der Transfer von Sami Khedira bereiten. Ein abgehalfterter Star, der seine beste Zeit wohl hinter sich hat? Das hat starke Big-City-Club-Vibes, die in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder aus Medien und Vereinsumfeld zu vernehmen waren.

In der aktuellen Saison hatte Khedira vor seinem Wechsel zu Hertha kein Spiel bestritten, in den letzten Jahren wurde er immer wieder massiv von Verletzungen ausgebremst. Schreit nach dem nächsten Missverständnis, der nächsten Katastrophe – oder?

Khediras Rolle(n) bei Juventus

Je genauer man sich mit der Verpflichtung Khediras auseinandersetzt, desto mehr positive Aspekte lassen sich aber für Hertha aus diesem Transfer herausziehen. Das startet bei den Modalitäten, zu denen Khedira nach Berlin kommt: Für den 33-Jährigen verlangte Juventus keine Ablöse mehr, sein Vertrag läuft erstmal nur bis zum Saisonende, minimales Risiko für den Verein.

Sportlich gesehen ist Khediras Position im zentralen Mittelfeld sicher nicht die, auf der Hertha am dringendsten Bedarf an Verstärkungen hat. Mit Guendouzi, Tousart, Darida, Löwen und Ascasíbar stehen schon einige Kandidaten für diese Position bereit. Trotzdem könnte Khedira Herthas Spiel nochmal eine neue Facette verleihen:

(Photo by Valerio Pennicino/Getty Images)

Christian Bernhard sagt dazu: „Khedira hatte besonders unter Maurizio Sarri eine wichtige Rolle inne, weil er auf dem Feld für die Stabilität und Balance der Mannschaft wichtig war. Seine Erfahrung und Gabe, Spiel-Situationen gut zu lesen und zu antizipieren, machten ihn zu einem wichtigen Element für Sarri. Unter Massimiliano Allegri hatte er noch eine etwas dynamischere Rolle, dort kamen seine Offensivfähigkeiten mehr zum Tragen, weil er sich immer wieder gut mit in das Offensivspiel einschaltete.“

Herthas Mittelfeld sucht die innere Mitte

Stabilität und Balance – Punkte, die Hertha in der bisherigen Saison schmerzlich vermisste. Das Mittelfeld, welches sich in den meisten Saisonspielen aus Vladimir Darida, Mattéo Guendouzi und Lucas Tousart zusammensetzte, wirkte nur selten ausbalanciert. Auch Stabilität ging dem Hertha-Spiel weitestgehend ab, man erinnere sich an die Hinrunden-Auftritte gegen den FC Bayern oder Borussia Dortmund. “Vogelwild” nannte Dardai seine Mannschaft nach dem Frankfurt-Spiel.

Auch Fähigkeiten im offensiven Bereich ließ Herthas Mittelfeld in dieser Saison erschreckend oft vermissen. Vladimir Darida erwischte einige, wenige Gala-Tage (im Hinspiel gegen Bremen oder gegen Schalke), aber abgesehen davon vermisste Hertha offensiv strukturgebende Mittelfeldspieler häufig schmerzlich.

In den ersten beiden Spielen seiner zweiten Amtszeit als Cheftrainer setzte Dárdai wieder auf „sein“ altbewährtes 4-2-3-1. Die Position, auf der Khedira in jüngster Vergangenheit am häufigsten zum Einsatz kam, ist in diesem System aber nicht vorhanden. „Unter Sarri kam er letzte Saison meist in einem 3er-Mittelfeld auf einer der Achter-Positionen, meist halblinks, zum Einsatz. Auch unter Allegri hat er meistens auf der Acht gespielt”, so Christian.

Nach seiner Einwechslung gegen den FC Bayern ließ sich aber schon erahnen, was der Plan mit Khedira in Herthas neuem Spielsystem sein könnte. Khedira wird wohl meistens auf einer der beiden Sechser-Positionen auflaufen. Dárdai sagte nach der Partie gegen Bayern auch, dass er von dort mit seiner Routine und Erfahrung auch ein wichtiger Bezugspunkt für Herthas Innenverteidiger werden könnte.

Endlich ein Anführer?

Neben seinen sportlichen Qualitäten dürfte genau diese Erfahrung ein zentraler Bestandteil von Herthas Entscheidung gewesen sein, Khedira zu verpflichten. Im Laufe der Jahre hat der 33-Jährige Seite an Seite mit dem einen oder anderen Weltklasse-Spieler gekickt und zudem auch bewiesen, dass er sich auch in einer Mannschaft voller Stars seinen Platz sichern kann. In seinen Jahren bei Juventus Turin führte er die italienische alte Dame sogar einige Male vertretungsweise als Kapitän auf den Platz.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

„Khedira war besonders für die jungen Juve-Mittelfeldkollegen ein Orientierungspunkt. So hat Rodrigo Bentancur, der seit vergangener Saison ein wichtiger Faktor im Juve-Spiel ist, erzählt, dass er sich Khedira als Beispiel genommen hat, als es darum ging, seine Torgefahr aus dem Spiel heraus zu steigern. Er beobachtete Khediras Timing und Abläufe für das offensive Miteinschalten sowie die Läufe in den gegnerischen Strafraum genau. Bentancur bezeichnete Khedira diesbezüglich als ‚bestes Beispiel'”, berichtet uns Christian.

Es braucht nicht allzu viel Vorstellungskraft, dass der Weltmeister von 2014 auch für die vielen jungen und talentierten Spieler in Berlin zu einer Art Mentor werden könnte. Im Optimalfall könnte er auch auf Spieler wie Lucas Tousart oder Santi Ascasíbar einen positiven Einfluss haben. Khedira hat im Fußball alles gesehen und erlebt, quasi jeden relevanten Titel gewonnen, Drucksituationen sind ihm alles andere als fremd.

Khedira scheint also tatsächlich in vielerlei Hinsicht ein guter Transfer für Hertha zu sein. Auch seine Persönlichkeit unterscheidet sich von vielen der Spieler, mit denen Hertha im Zuge der Windhorst-Millionen immer wieder in Verbindung gebracht wurde: „Khedira wurde aufgrund seiner Professionalität und ruhigen Art in Turin sehr geschätzt.“

Verletzungsgeschichte und fehlende Spielpraxis als Wehrmutstropfen

Leise Zweifel bleiben trotzdem. Die Einwechslung Khediras beim 0:1 gegen die Bayern war sein erster Pflichtspieleinsatz seit Juni 2020, das letzte Spiel über volle 90 Minuten ist sogar schon fast anderthalb Jahre her. Für Hertha wird es darum gehen, ihn zunächst mit kürzeren Einsätzen wie gegen die Bayern wieder spielfit zu bekommen, ohne dabei zu schnell vorzugehen und die nächste Verletzung zu riskieren.

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Während in den letzten Jahren auch immer wieder Verletzungen die Pläne Khediras durchkreuzten, wurde er im Vorlauf der aktuellen Saison bei Juventus schlichtweg im Zuge des Umbruchs aussortiert: „In dieser Saison waren nicht-sportliche Vertragsgründe ausschlaggebend, dass er unter Andrea Pirlo nicht zum Einsatz kam. Juve wollte sich im vergangenen Sommer im Rahmen der Kader-Verjüngerung und des Umbruchs unter Pirlo von ihm trennen. Sein hohes Gehalt und seine Verletzungsanfälligkeit haben bei diesen Überlegungen wohl auch eine Rolle gespielt. Als er auch nach der Sommer-Transferperiode noch in Turin war, entschied der Verein, ihn nicht in den Spielkader aufzunehmen. Mittrainiert hat er aber die gesamte Saison, auch bei den Video- und Taktik-Einheiten war er mit dabei. Was ihm fehlt, ist klarerweise der Wettkampfrhythmus, aber Trainingseinheiten hat er genug in den Beinen.“

Als Juventus sich zu Saisonbeginn äußerst inkonstant und wackelig präsentierte, forderten Medien und Fans eine Rückkehr Khediras in die Mannschaft von Andrea Pirlo – was noch einmal verdeutlicht, was für ein hohes Standing der Ex-Stuttgarter beim italienischen Serienmeister der vergangenen Jahre genoss.

Würde man sagen: „Pál, khe dir a Mittelfeldspieler aussuchen“ – es wäre gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass Dárdai mit Khedira im Gepäck wieder auftauchen würde. Vieles spricht nämlich für den 77-fachen deutschen Nationalspieler, auch wenn eine gewisse Skepsis vorerst bleiben wird.

[Titelbild: IMAGO]

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – TSG Hoffenheim

Herthaner im Fokus: Hertha BSC – TSG Hoffenheim

Mit einer am Ende deutlichen 0:3-Heimniederlage gegen Hoffenheim beendet Hertha BSC die Hinrunde der Saison 2020/2021. Nach einer ordentlichen Anfangsphase (inklusive verschossenem Elfmeter) verpassten es die Berliner, mit letzter Konsequenz auf die Führung zu drücken. Nach einer knappen halben Stunde kamen die Gäste zur schmeichelhaften Führung, im Anschluss gelang Hertha kaum noch etwas.

Bereits nach den beiden letzten Auftritten auf der Alm in Bielefeld (0:1) und gegen den 1. FC Köln (0:0) waren bei den meisten Hertha-Fans die Erwartungen für das Spiel gegen die ebenfalls kriselnden Hoffenheimer (ein Sieg in den letzten sechs Bundesliga-Spielen) gering. Und Hertha wurde einmal mehr seinem Ruf als „Aufbaugegner“ gerecht – individuell gab es dabei nur wenige Lichtblicke.

Maximilian Mittelstädt – nicht wirklich besser als Plattenhardt

Eine Entscheidung Labbadias, die schon in den vergangenen Monaten immer wieder für Diskussionen sorgte, war die Bevorzugung von Marvin Plattenhardt auf der Linksverteidigerposition. Plattenhardt wurde trotz durchwachsener Leistungen immer wieder Maxi Mittelstädt vorgezogen – dabei waren viele Hertha-Fans der Meinung, dass Mittelstädt sich insbesondere zu Saisonbeginn ordentlich präsentiert hatte.

Durch Plattenhardts Verletzung durfte Mittelstädt gegen Hoffenheim zum zweiten Mal hintereinander von Beginn an ran, das Fazit fällt eher weniger gut aus.

In der Anfangsphase war Mittelstädt unauffällig: Defensiv könnte man das durchaus als Kompliment auffassen, allerdings übten die Gäste auch nur wenig Druck aus, Hertha hatte Ballbesitzanteile von über 70 Prozent.

Und auch offensiv war Mittelstädt quasi unsichtbar. Guendouzi übernahm im Aufbau seine Position hinten links – wohin Mittelstädt auf diese Rochade hin verschwand, war nicht immer leicht festzustellen. Nach einer knappen halben Stunde setzte er mal Córdoba mit einer Flanke in Szene, der Kolumbianer köpfte allerdings über den Kasten. Kurz nach der Halbzeit wiederholte sich dieses Muster: Am Hoffenheimer Strafraum bekam Mittelstädt von Guendouzi den Ball, fand mit seiner Flanke Córdoba – und dieser setzte seinen Kopfball übers Tor.

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Bei der Entstehung des ersten Gegentores machte Mittelstädt eine unglückliche Figur. Er rückte aus der Viererkette, um den Ballführenden Baumgartner unter Druck zu setzen – kam dabei allerdings zu spät und öffnete so den Raum für den Torschützen Sebastian Rudy.

Insbesondere sein zu Saisonbeginn besserer Offensivoutput im Vergleich mit Plattenhardt wurde Mittelstädt hoch angerechnet, gegen Hoffenheim war davon allerdings nur wenig zu sehen. Defensiv unterliefen Herthas Eigengewächs eigentlich keine großen Fehler, trotzdem sprach seine Auswechslung nach 60 Minuten Bände für seine Leistung. Auch weil der erst 17-jährige Luca Netz keinen Deut schlechter machte.

Omar Alderete – Das Thema mit den Ansätzen

In der Hertha-Innenverteidigung lief einmal mehr der Paraguayer Omar Alderete neben Kapitän Niklas Stark auf. Defensiv waren beide in der Anfangsphase kaum gefordert, dafür aber umso mehr im Spielaufbau. Dabei übernahm Alderete einmal mehr den risikoreicheren Part, und zumindest in der ersten halben Stunde war er ein ums andere Mal der X-Faktor in Herthas Spielaufbau: Mit flachen Pässen ins Zentrum auf Cunha, eine der beiden Spitzen oder Guendouzi gelang es ihm gleich mehrere Male, zumindest eine der Hoffenheimer Verteidigungslinien zu überspielen.

Allerdings schlichen sich auch hin und wieder kleinere Fehler ins Spiel Alderetes – einmal vertändelte er in zentraler Lage fast den Ball an einen Hoffenheimer, aus einem Fehlpass nah am eigenen Tor konnten die Hoffenheimer kein Kapital schlagen. Und auch eine Situation, in der Alderete seinen Gegenspieler mit etwas übertriebenem Körpereinsatz „rammte“ und abdrängte, dürfte für die eine oder andere gehobene Augenbraue gesorgt haben.

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In der zweiten Halbzeit waren aber auch bei Alderete jegliche spielerische Anlagen verschwunden, die man in der ersten Hälfte noch bestaunen durfte. Wie auch sein Nebenmann Stark agierte Alderete meistens nach der Devise „lang und weit bringt Sicherheit“, wenn keine einfache Lösung in Sicht war.

Defensiv war der Paraguayer eigentlich nur beim 0:1 zu weit von seinem Gegenspieler entfernt, sonst konnte der Neuzugang die eine oder andere brenzlige Situation bereinigen. Gleichzeitig strahlte er mit seiner etwas aggressiveren Spielweise aber auch nicht unbedingt Ruhe aus.

Dodi Lukébakio – symptomatisch für eine ganze Saison

Nach einigen enttäuschenden Auftritten zuletzt hatte Labbadia mit der Rückkehr von Matheus Cunha die Möglichkeit, Dodi Lukébakio zunächst einmal auf der Bank zu lassen. Nach seiner Einwechslung gelang es dem Belgier allerdings nicht mehr, noch etwas Nennenswertes zu Herthas Offensivbemühungen beizutragen.

Wie so oft in den vergangenen Wochen ging in seinen knapp 30 Minuten auf dem Platz quasi keine Gefahr von Lukébakio aus. Mit seiner ersten Aktion rutschte er auf dem Rasen des Olympiastadions weg – direkt in einen Hoffenheimer Gegenspieler, eine (etwas harte) gelbe Karte war die Konsequenz.

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Und auch beim 0:2 demonstrierte Lukébakio einmal mehr eine seiner gravierendsten Schwächen: Schon in der Entstehung war er zu weit von seinem Gegenspieler entfernt, woraufhin dieser den Ball relativ unbedrängt in den Rückraum zurücklegen konnte. Allerdings hatte Lukébakio den Spieler schon bis zur Grundlinie verfolgt – und weil er sich im Anschluss nicht schnell genug wieder nach vorne bewegte, hob er das Abseits des Torschützen Kramaric auf.

Mit seinem Joker-Einsatz sollte Lukébakio wohl eigentlich zeigen, warum er in Zukunft wieder die richtige Wahl für die Hertha-Startelf wäre. Mit diesem Auftritt ist ihm das aber sicherlich nicht gelungen – eher im Gegenteil.

Lucas Tousart – endlich Stütze und Ballverteiler

Wenn es dann doch noch eine positiv hervorzuhebende Leistung an diesem aus Hertha-Sicht sehr tristen Abend gab, war das mit Sicherheit Lucas Tousart. Der Franzose scheint nach seiner Verletzung immer besser in Tritt zu kommen, gegen Hoffenheim machte er trotz seiner schwachen Mitspieler ein ordentliches Spiel und zeigte, warum Hertha ihn geholt haben könnte.

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Immer wieder konnte Tousart das Spiel erfolgreich verlagern, insbesondere seine hohen Seitenwechsel auf die aufgerückten Außenverteidiger deuteten seine Klasse hier und da an. In einigen Situationen zeigte sich der Franzose aber auch als kombinationssicher, löste unter Mithilfe seiner Nebenleute die eine oder andere Pressingsituation.

Nach dem Seitenwechsel war Tousart dann vor allem als Organisator zwischen den beiden Hertha-Innenverteidigern gefragt. Als Sechser wusste der Franzose in den vergangenen Wochen mit dem Ball deutlich mehr zu überzeugen als zuvor Niklas Stark – sehr wahrscheinlich, dass Tousart auch nach der Genesung von Dedryck Boyata weiterhin Herthas defensiver Mittelfeldspieler Nummer eins bleibt.

Und dann waren da noch …

Deyovaisio Zeefuik, der nach seiner Einwechslung zur Halbzeit defensiv nicht wirklich auf der Höhe wirkte und offensiv zumindest zwei haarsträubende Fehlpässe spielte.

Krzysztof Piatek, der in der ersten Viertelstunde Herthas beste Tormöglichkeit vom Punkt vergab. Danach wirkte der Pole engagiert – und profitierte durchaus von Sturmpartner Jhon Córdoba, er wirkte besser ins Hertha-Spiel eingebunden als in seinen Einsätzen als alleinige Spitze.

Matheus Cunha, der Herthas Offensive eben auch nicht immer retten kann – gegen Hoffenheim erwischte der Brasilianer wieder einen schlechteren Tag, ließ sich durch viele kleine Nickligkeiten der Gegner provozieren und rieb sich daraufhin in Diskussionen auf.

Mattéo Guendouzi, bei dem im Spielverlauf der Verzweiflungspegel ins Unermessliche stieg – in der Schlussphase versuchte der Franzose, es mit allen allein aufzunehmen und ein Solo-Tor à la Cunha zu erzielen. War dabei aber eher weniger erfolgreich und konnte Herthas Spiel auch sonst nicht die Struktur geben, für die er in seinen ersten Spielen gesorgt hatte.

Das Fazit fällt nach dem Spiel gegen Hoffenheim ernüchternd aus – es wird sich wohl etwas ändern müssen bei Hertha BSC, damit sich langfristige Verbesserungen einstellen. Punkt.

[Titelbild: Photo by Boris Streubel/Getty Images]