Jahresrückblick: Teil 2 – Labbadia stabilisiert Hertha

Jahresrückblick: Teil 2 – Labbadia stabilisiert Hertha

Am Ende dieses verrückten Jahres blicken wir bei Hertha BASE in einer vierteiligen Serie auf die wichtigsten Ereignisse und Vorkommnisse bezüglich Hertha zurück.

Im zweiten Teil des Rückblicks dreht sich alles um den Restart der Bundesliga und Herthas erste Monate unter Nouri-Nachfolger Bruno Labbadia.

Labbadia folgt auf Nouri

Es war der 9. April, als bei Hertha BSC einmal mehr eine Gezeitenwende in Form eines Trainerwechsels vorgenommen wurde. Nachdem Alexander Nouri den Stuhl von Jürgen Klinsmann übernommen hatte, gelang es der Interimslösung nicht ansatzweise, die wankende alte Dame zu stabilisieren. Nun sollte Bruno Labbadia eben jene Aufgabe übernehmen.

An einem Montag ist der 54-Jährige bei der Pressekonferenz in Berlin offiziell vorgestellt worden. Bis zunächst Sommer 2022 soll er die Profi-Mannschaft von Hertha BSC leiten. Eine große Überraschung war die Nachricht nicht völlig: der Name „Labbadia“ geisterte bereits bei der Entlassung von Ante Covic im vergangenen Winter, und sogar als die Amtszeit von Pal Dardai zu Ende war, durch die Medien. 

Labbadia kam zusammen mit seinem Staff bestehend aus Eddy Sözer, Günter Kern und Olaf Janßen in die Hauptstadt. Und das nicht erst im Sommer, sondern bereits in der Corona-bedingten Ruhephase der Saison, die Michael Preetz als „vorgezogene Sommerpause“ bezeichnete. Dass Interimstrainer Nouri nur noch die „Lame Duck“ war, war kein Geheimnis. Von der Klubführung wurde bereits deutlich gemacht, dass im Sommer ein anderer Fußballlehrer die Mannschaft leiten würde.

Hertha ist Labbadias “Wunschverein”

Zum Teil ließen sich auch aus Spielerinterviews Zeichen herauslesen, dass Nouri nicht mehr zu hundert Prozent bei der Sache war. Beispielsweise behauptete Maximilian Mittelstädt, sein Trainer hätte ihn während dessen Quarantäne nicht einmal kontaktiert. Jetzt herrscht wieder Klarheit und die Trennung mit Jürgen Klinsmanns Team ist endgültig vollzogen – bis auf Arne Friedrich ist kein Mitarbeiter mehr bei Hertha beschäftigt, der zusammen mit Klinsmann kam. Torwarttrainer Zsolt Petry, die Athletiktrainer Henrik Kuchno und Hendrik Vieth bleiben dem Hertha-Stab erhalten.

Labbadia bei seiner ersten Pressekonferenz bei Hertha: “Hertha war mein Wunschverein im Sommer, jetzt auch. Ich sehe in der Mannschaft und im Verein Potenzial. In meiner Situation ist mir wichtig, mit welchen Menschen ich arbeite. Ich muss nicht mehr alles machen. Die Gespräche mit Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer haben mir richtig gut gefallen. Auch die Menschen, die ich bisher hier getroffen habe.”

Foto: IMAGO

„Mein Team und ich freuen uns total auf diese Aufgabe“, sagte Labbadia, nachdem seine Verpflichtung offiziell wurde, und ergänzte: „Es liegt viel Arbeit vor uns“. Wohl wahr, denn schließlich übernahm das neue Trainerteam eine Mannschaft, die bereits zuvor drei verschiedene Trainer hatte, all das Chaos der Saison mit durchleben musste und in den letzten sechs Spielen nur einmal gewonnen hatte.

Labbadia übernahm zwar eine Mannschaft, die zu jenem Zeitpunkt auf dem 14. Tabellenrang stand und klar im Abstiegskampf steckte, doch Labbadia wollte es allen beweisen, dass er mehr kann, als nur zu retten. “Unser Spiel bedarf vieler Sprints und Tempoläufe. Wir werden in allen Bereichen arbeiten: Athletik, Organisation, Taktik. Das findet nicht nur auf dem Platz statt. Das wird sehr intensiv. Einige sagen, es ist zu intensiv. Aber das ist unser Spiel. Für mich ist es ein geiles Spiel. Ich habe Bock auf Fußball. Ich lasse mir die Freude am Fußball nicht mehr nehmen. Ich will das leben”, gab sich Labbadia bei seiner Antritts-PK hoch motiviert.

“Sala, bitte lösch das!”

Labbadia habe sich eigentlich vorgenommen, “nicht mehr in den Abstiegskampf einzusteigen”, berichtete der neue Hertha-Trainer. “Aber beide Seiten mussten handeln, dann habe ich es gemacht, weil ich jetzt wahrscheinlich mehr Zeit habe als im Sommer.” Durch die Corona-bedingte Pause war es Labbadia und seinem Trainerteam möglich, ihre Ideen in einer Art Mini-Sommervorbereitung einstudieren zu lassen.

“Wir waren als einzige Mannschaft neben Eintracht Frankfurt 14 Tage in Quarantäne, die Mannschaft hatte zudem 14 Tage lang keinen Trainer. Das sind sehr ungewöhnliche Umstände. Aber es nützt ja nichts”, zeigte sich Labbadia damals pragmatisch. Wie alle anderen Bundesligisten musste auch Hertha unter besonderen Auflagen trainieren, zunächst konnten beispielsweise Übungen nur in Kleingruppen von bis zu acht Spielern absolviert werden – alles andere als normal, doch Labbadia wollte als dies nicht als Ausrede gelten lassen. Der Monat bis zum ersten Spiel sollte möglichst effizient und geräuschlos genutzt werden.

Foto: IMAGO

Fünf Tage vor Labbadias Amtsantritt hatte der Verein nämlich den jüngsten der so vielen Skandale dieser Spielzeit aushalten müssen. Nachdem der Verein den Klinsmann-Skandal abmoderiert hat, herrscht – auch aufgrund der Corona-bedingten Spielpause – zunächst einmal Ruhe. Bei dem nächsten Eklat ist einmal mehr Facebook der Handlungsort: Salomon Kalou hatte mit einem Live-Stream für große Unruhe gesorgt.

Das 25-minütige Video zeigte den Ivorer in den Spielerräumlichkeiten des Vereinsgeländes, vielmehr aber inwieweit die auferlegten Hygienevorschriften ignoriert wurden. Es war für die gesamte Öffentlichkeit sichtbar, wie sich Hertha-Spieler -und Betreuer die Hand geben, keinen Mindestabstand halten und auch die Corona-Testungen mangelhaft durchgeführt werden – in einer Zeit, in der Fußballdeutschland noch über die DFL-Konzepte zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs diskutiert hatte. Dieser Livestream sorgte dafür, dass sogar ein Markus Söder den Namen Kalous in den Mund nahm – 2020 hat wirklich einiges zu bieten. Kalou wurde aufgrund des unbefugten Aufnehmens vom laufenden Betrieb auf dem Vereinsgelände und seinen Teamkollegen suspendiert.

Labbadia gelingt ein herausragender Einstand

Die Schlagzeilen sollten also wieder auf dem Platz geschrieben werden und dort hatte Labbadia genug zu tun. Die damaligen Baustellen der Mannschaft sind nach drei Trainern schier endlos. Die mentale Verfassung und die Hierarchie des Teams wurden durch die Geschehnisse der letzten Monate zerrissen. Klinsmann und Nouri hatten den Kader fußballerisch heruntergewirtschaftet, nicht einmal mehr die zwischenzeitlich erreichte defensive Stabilität war mehr gegeben. Defensiv wie offensiv brannte es lichterloh.

In den Wochen vor dem ersten Spiel des Restarts gegen die TSG Hoffenheim musste also an zahlreichen Stellschrauben gedreht werden. Hertha musste sich die Basics wieder draufschaffen und ein klares System etablieren, an dem sich die Spieler aufrichten können. Auch das Errichten einer Achse war dringend notwendig, da die Mannschaften in den Monaten zuvor zu oft durchgeschüttelt wurde und nicht mehr wusste, woran sie denn ist.

Um etwas vorzuspulen: Labbadia und seinem Trainerteam gelang all dies in beeindruckender Weise, wie sich gegen Hoffenheim herausstellte. Bei seinem Debüt als Hertha-Coach konnte Labbadia einen größtenteils souveränen 3:0-Sieg einfahren. In jenem Spiel setzte der 54-Jährige auf ein grundsolides 4-2-3-1-System mit zahlreichen erfahrenen Führungsspielern, die von seinen Vorgängern teilweise aussortiert waren, in der Startelf. Rune Jarstein stand, nachdem er kurzzeitig von Thomas Kraft verdrängt worden war, wieder im Tor. Marvin Plattenhardt und Peter Pekarik besetzten die defensiven Flügel, Per Skjelbred das Zentrum und Kapitän Vedad Ibisevic den Strafraum.

Photo by Thomas Kienzle/Pool via Getty Images

All das sollte sich auszahlen, die vielen Führungskräfte verliehen Hertha eine nahezu ungewohnte Stabilität. Wie zu besten Dardai-Zeiten arbeitete das Team in Sinsheim aufopferungsvoll gegen den Ball und stand kompakt. Doch darüber hinaus war teilweise auffällig guter Fußball zu sehen, gepaart mit einer ungeheuren Effizienz. So war das Spiel gegen die TSG auch quasi die Geburtsstunde des Goalgetters Pekarik. Sein abgefälschter Schuss brachte die Berliner in Führung. Mit einem wahren Doppelschlag köpfte Ibisevic nach Flanke von Maxi Mittelstädt das 2:0 ein. Ein abermals herausragend aufgelegter Matheus Cunha sorgte mit einem starken Dribbling und ebenfalls gutem Abschluss dann für 3:0-Schlusspunkt. Ein rundum gelungener Auftakt in den Restart der Bundesliga.

Hertha verabschiedet sich vom Abstiegskampf

Der Auftakt war Labbadia und Hertha gelungen. Mit dem 3:0-Erfolg verabschiedete sich die “alte Dame” auch, wie in Retrospektive klar wird, bereits vom Abstiegskampf. Acht Punkte betrug der Abstand nun auf Platz 16, viel anbrennen sollte hier nicht mehr. Vom Auftaktsieg beflügelt ging es für Hertha mit dem Stadtderby gegen den 1. FC Union Berlin weiter. Das Hinspiel hatten die Blau-Weißen enttäuschend mit 0:1 verloren, diese Niederlage war womöglich der Anfang vom Ende des Ante Covic. Es stand also Wiedergutmachung an.

Photo by STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images

Und die lieferte die Mannschaft – wenn auch vor leeren Rängen im Olympiastadion. Ibisevic und Cunha trafen jeweils im zweiten Spiel infolge, zusammen mit Dodi Lukebakio und Dedryck Boyata sorgten sie für einen furiosen 4:0-Derbysieg, der zu keinem Zeitpunkt sonderlich gefährdet schien. Defensive Stabilität wurde mit mutigem wie schnellen Offensivfußball kombiniert, dem Union an jenem 27. Spieltag nichts entgegenzusetzen hatte. Es schien, als sei Labbadia der erste Trainer, der das theoretische Potenzial der Mannschaft zu 100 Prozent auf den Rasen bringen könnte. Die Defensive steht, das Mittelfeld ackert, Cunha und Lukebakio zaubern und Ibisevic zeigt sich eiskalt. Ein Derby ganz im Zeichen von “Warum denn nicht immer so?”

Mit nun 34 Punkten nach 27 Spielen und damit zehn Zählern Abstand auf den Relegationsrang konnte Hertha befreit aufspielen. Und das taten die Hauptstädter auch. Die zwei Siege zum Restart-Auftakt sorgten für eine breite Brust, die Mini-Vorbereitung unter Labbadia hatte für eine gute Gesamtorganisation auf dem Feld gesorgt. Auf den Derbysieg folgte ein mehr als überzeugendes 2:2-Unentschieden gegen RB Leipzig, das auch hätte gewonnen werden können. Drei Punkte gab es jedoch danach beim 2:0 gegen den FC Augsburg. Hertha hatte sich in einen kleinen Rausch gespielt und zehn Punkte aus den letzten vier Spielen geholt – nur der FC Bayern war mit zwölf Punkten besser aus der Corona-Pause gekommen.

Ein leerer Tank und wenig Spielglück

Der Rausch sollte damit allerdings auch erst einmal wieder beendet sein. Nach vier Spielen ohne Niederlage musste sich Hertha gegen Borussia Dortmund knapp mit 0:1 geschlagen geben. Es war das erste Spiel, in dem klar wurde, dass der Mannschaft so langsam die Körner ausgingen. Von mangelndem Willen konnte keine Rede sein, doch das so intensive Spiel Labbadias forderte in den letzten Spielen der Saison, die es mit ein paar englischen Wochen nicht einfacher machte, seinen Tribut.

Hertha verlor auch die nächsten zwei Spiel gegen Eintracht Frankfurt (1:4) und den SC Freiburg (1:2), wobei letzteres einen weiteren Trend zeigte: Hertha ging das Spielglück abhanden. So hätten viele Szenen jener Spiele mit etwas Fortune auch für Hertha ausgehen und somit in Punktgewinnen enden können. So wurde z.B. das herausragende Tor Lukebakios gegen Freiburg aberkannt, weil vorher ein Foulspiel Daridas erkannt wurde – ob man das jedoch entscheiden musste, ist fraglich. So konnte keinesfalls gesagt werden, dass Hertha nach dem ersten Rausch schlechte Spiele machte, aber der immer leerer werdende Tank und das ausbleibende Spielglück ließen Punkt um Punkt verpassen.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Dass die Mannschaft sich trotz unglücklicher Ergebnisse nicht hängen ließ, wurde zumindest mit dem 2:0-Sieg am 33. Spieltag gegen Bayer Leverkusen belohnt. Mit dem überzeugenden Heimerfolg durchbrach Hertha zudem die 40-Punkte-Marke – 41 Zähler und Platz zehn waren sicherlich nicht das, was man sich in Berlin vor der Saison als Ziel gesteckt hatte, unter den Gesamtumständen einer verrückten Saison allerdings wohl noch das Bestmögliche. Die Spielzeit endete mit 1:2-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach, die allerdings auch durch die großen personellen Probleme der Blau-Weißen bedingt war.

Fazit nach Restart

Ein Jahresrückblick hat an sich, dass man mit einem breiteten Horizont auf die Geschehnisse eines Jahres blicken kann, da man schließlich weiß, wie es weiterging. So ist das Fazit der ersten Wochen bzw. Monate unter Bruno Labbadia nach der Saison 2019/20 sicherlich positiver ausgefallen als es das mit heutigem Wissen über den bisherigen Verlauf der neuen Spielzeit tun würde.

Podcast #111 Saisonrückblick 19/20

So schien die Arbeit nach dem Bundesliga-Restart ein verheißungsvoller Anfang der Labbadia-Amtszeit zu sein. Er und sein Trainerteam haben Hertha BSC nicht nur stabilisiert, sondern in gewissen Aspekten beeindruckend schnell weiterentwickelt. Doch der Fußball, den man im Mai gegen Hoffenheim, Union oder Leipzig gesehen hat, hat sich in 20/21 noch sehr selten gezeigt.

Das liegt auch recht wahrscheinlich daran, dass Labbadia mit Spielern wie Skjelbred oder Ibisevic eine echte Achse etablieren konnte, die durch den Umbruch im vergangenen Sommer nahezu vollständig weggebrochen ist. So schien die Mannschaft zum Amtsantritt Labadias weiter als sieben Monate später. In kürzester Zeit hat Labbadia es geschafft, das Team auf Kurs zu bringen und seine Spielidee erfolgreich umzusetzen. Hertha spielte nach dem Restart nicht nur soliden, sondern streckenweise wirklich ansehnlichen Fußball, ohne jemals die Grundtugenden zu vergessen. Darüber hinaus stellte Labbadia unter Beweis, nicht nur mit erfahrenen Spielern arbeiten, sondern dahinter auch Eigengewächse heranführen zu können. So feierten Jessic Ngankam und Lazar Samardzic vergangene Saison ihr Bundesliga-Debüt. Spieler wie Marton Dardai, Omar Rekik oder Luca Netz wurden zudem fester Bestandteil des Profi-Trainings und fanden einige Mal den Weg in den Spieltagskader.

Über Labbadias Arbeit von dessen Amtsantritt am 9. April bis zu Saisonende 2020 können also eigentlich nur positive Wort verloren werden. Nur in Hinblick auf den weiteren Verlauf des Kalenderjahres, welches mit Platz 14 beendet wurde, verliert seine Anfangszeit bei Hertha etwas an Wert. Doch all das wird in Teil drei und vier des Jahresrückblicks unter die Lupe genommen.

[Titelbild: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images]

Vorschau: Herthas theoretische Chance auf den Auswärtssieg in München

Vorschau: Herthas theoretische Chance auf den Auswärtssieg in München

Am Sonntagabend reist Hertha BSC nach München in die Allianz Arena, um dem FC Bayern weitere Punkte im Kampf um die neunte Meisterschaft in Folge zu klauen. Wir gehen unseren Vorbericht zu diesem Spiel mal anders an und überlassen Justin Kraft, Autor beim FC-Bayern-Blog Miasanrot.de, die Bühne. Er analysiert, wie der alten Dame ein Auswärtssieg in München gelingen kann.

Jahrelang galt die Reise nach München bei vielen Hertha-Fans als Sonderurlaub. Mal eben den einen oder anderen Biergarten mitnehmen und Teile der Stadt ansehen, anschließend eine Packung in der Allianz Arena abholen und wieder die lange Reise zurück in die Hauptstadt antreten. Zehn Heimspiele in Folge gewann der FC Bayern, teils sogar sehr deutlich. Der letzte Bundesliga-Sieg in München gelang Hertha im Jahr 1977 – einer von insgesamt zwei Erfolgen dort.

In der Allianz Arena gab es also noch keinen Sieg. Aber, und das macht die Reise diesmal vielleicht sogar lohnenswerter, in den letzten Jahren holte Hertha zumindest zwei Unentschieden aus drei Gastauftritten. 0:0, 0:1 und 2:2 lautet die Bilanz aus Sicht der Berliner. Nicht so schlecht, wenngleich gerade beim letzten Aufeinandertreffen auch einiges an Glück nötig war.

Die Vorzeichen auf einen weiteren Achtungserfolg stehen womöglich gar nicht mal so schlecht. Hertha wird nicht auf die übermächtigen Bayern treffen, die nach der Niederlage gegen Gladbach im Dezember 2019 nahezu jeden Gegner kurz und klein schossen. Sie treffen auf ein Team, das zuletzt etwas ins Straucheln geriet – wenn auch auf sehr hohem Niveau.

Der Rückblick zeigt: Bayern ist nicht unverwundbar

Schon gegen Sevilla deutete sich im UEFA-Supercup an, dass die Pause zwischen Champions-League-Finale und Saisonstart wahrscheinlich zu kurz gewesen ist. Kein Wunder also, dass die Münchner sich sehr darum bemühten, den eigentlichen Auftakt im Pokal gegen den 1. FC Düren zu verschieben. Eine Woche mehr, so wohl die Idee, würde die Köpfe nochmal frei machen. Das beeindruckende 8:0 gegen völlig desolate Schalker schien diesen Gedanken zu bestätigen: Die Angst vor einem weiteren Durchmarsch der Bayern wurde für viele zur Gewissheit. Wer soll diese Mannschaft denn überhaupt aufhalten?

Foto: IMAGO

Sevilla war nah dran, schaffte es aber ebenfalls nicht. Was für die Bundesliga aber blieb, war der aggressive, kompakte und zugleich spielerisch überzeugende Ansatz der Spanier, der die Bayern nicht nur vor Probleme stellte, sondern ihnen innerhalb der 120 Minuten alles abverlangte. Sevilla verteidigte in einem sehr engen 4-3-3, das die bayerische Schaltzentrale um Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller aus dem Spiel nehmen sollte. Die Außenverteidiger der Bayern ließ die Mannschaft von Julen Lopetegui bewusst etwas offen, um bei einer Spieleröffnung auf sie sofort zupacken zu können. Gerade Benjamin Pavard konnte so zu einigen Fehlern gezwungen werden.

Nach rund 20 Minuten und Rückstand gelang es den Bayern aber zunehmend, die Kontrolle an sich zu reißen. Das Mittelfeld kam nun mit dem Pressing des Gegners zurecht, insbesondere der nun tiefer agierende Müller und Kimmich lösten zunehmend Situationen auf, wodurch Bayern auch zu Chancen kam, die größtenteils ungenutzt blieben.

Bayerns Spieleröffnung gilt es zu stören

Sevilla kam nur noch selten vor das Tor der Bayern, kurz vor Schluss durch eine Unaufmerksamkeit der Bayern aber fast entscheidend. Diese Unaufmerksamkeiten sollten sich wenige Stunden später dann gegen Hoffenheim häufen. Mit den 120 intensiven Minuten gegen Sevilla in den Beinen, vor allem aber der extremen Belastung im Kopf, gelang es den Münchnern nicht, die notwendige Präzision auf den Platz zu bekommen. Hoffenheim nutzte das gnadenlos aus. Hoeneß stellte seine Mannschaft optimal auf den Serienmeister ein: In einem 5-3-2 verschlossen die Hoffenheimer ebenso wie Sevilla das Zentrum und erzwangen Spieleröffnungen auf die Außenverteidiger, die dann durch ein kompaktes Herausschieben der gesamten Mannschaft angegriffen wurden. Wieder zeigte sich Pavard als Schwachstelle, aber auch Davies ließ sich zu Ballverlusten hinreißen.

Der große Vorteil im Vergleich zu Sevillas Ausrichtung lag aber in der Breitenverteidigung. Bayerns Seitenverlagerungen blieben oft nutzlos, weil die Fünferkette schnell genug am Gegenspieler war. Entscheidend dafür war aber auch die Dreierreihe im Mittelfeld. Mit sehr viel Laufarbeit, hoher Intensität und taktisch kluger Positionierung gelang es ihnen, einerseits die ballnahen Räume zu schließen, gleichzeitig aber auch schnell in ballferne Räume zu verschieben, wenn der Ball verlagert wurde.

Flick gab nach der Partie anerkennend zu, dass Hoffenheim schlicht exakt die Räume verteidigt hat, die sein Team bespielen wollte. Welche Räume sind das aber vor allem? Im Spielaufbau muss es dem Gegner gelingen, vor allem Kimmich einzuschränken – einerseits durch hohen Druck, andererseits durch die Verteidigung seiner direkten Anschlussoptionen. Rückpass, Balleroberung oder Fehlpass sind die einzigen Optionen, die dem Gegner hier helfen. Kann Kimmich aufdrehen oder gar andribbeln, ist es schon zu spät.

Einfach wird es trotz der Blaupause Hoffenheim nicht

Ist das Zentrum zu dicht, bleiben die beiden Außenverteidiger als kurze Option. Hier hat sich gerade Hoffenheim sehr klug verhalten, indem sie leicht diagonal angelaufen sind. Dadurch fehlte es Pavard und Davies jeweils an Optionen im Halbraum oder in der Spielfeldmitte. Normalerweise sind beide auf ihre Art sehr pressingresistent. Pavard löst Situationen gern über kurze Dribblings oder sein gutes Passspiel und Davies ist vor allem über seine langen Dribblings und mit Doppelpässen gefährlich. Spielt Hernández links, ist er quasi eine Mischung aus beiden. Auch er kann dribbeln, ist zusätzlich aber auch gut darin, mit Pässen den Druck aufzulösen.

Foto: IMAGO

Diese Souveränität ging den Bayern zuletzt ab, weil einerseits der Druck der Gegner hoch war, andererseits aber auch die Form insbesondere bei Pavard, aber auch bei Davies nicht optimal zu sein scheint. Hertha kann das mit klugen Pressingbewegungen durchaus für sich nutzen, muss dann aber beim Herausschieben darauf achten, die Balance aus höherem Druck und einer gut organisierten Abwehrreihe zu halten. Schiebt die Abwehr nicht gut genug mit, öffnen sich zwischen den Linien Räume, die Bayern nahezu perfekt bespielen kann. Die Offensivspieler sind unglaublich laufintelligent, wissen exakt zu jedem Zeitpunkt, welche Zonen sie wie öffnen und erlaufen können.

Auch hier kann Hertha von Hoffenheim lernen: Die Hoeneß-Elf stand selbst bei höherem Pressing sehr kompakt. Alle Verteidiger schoben gut mit raus, achteten zugleich aber auf die gefährlichen langen Bälle der Münchner. Schalke beispielsweise lief teilweise komplett ins offene Messer, öffnete den schnellen Angreifern nicht nur die Türen und Fenster, sondern gleich alle Wände. Hoffenheim hingegen agierte hellwach und klug. Dieser Ansatz bedarf einer hohen Intensität bei gleichzeitig hoher Konzentration und Aufmerksamkeit – einfach geht anders, aber es ist eben ein Spiel gegen den Champions-League-Sieger.

Gelingt Hertha der ganz große Wurf?

Zusammenfassend muss Hertha also im Aufbauspiel sowohl Zentrum als auch Außenverteidiger unter Druck setzen, gleichzeitig die individuelle Klasse der Spieler sowie gefährliche Pässe zwischen die Linien verteidigen und auf hohe Bälle hinter die eigene Kette achten. Dann haben sie zumindest eine gute Chance auf Ballgewinne.

Doch so aussichtslos es scheint, dass eine Mannschaft all das schafft, so sehr dürfte es Hoffnung machen, dass die Bayern ihren Gegnern zuletzt nicht selten in die Karten spielten und sie bei diesem Vorhaben unterstützten. Kommt also etwas Glück hinzu, kann Hertha wohl auf den einen oder anderen guten Ballgewinn hoffen. Die Frage wird dann sein, ob sie es wie Hoffenheim schaffen, mit wenigen Kontakten zwei, drei Spieler ins Laufen zu bekommen. Hier dürfte die ganz große Hoffnung wahrscheinlich auf Matheus Cunha liegen, der mit seinen technischen Fähigkeiten dafür prädestiniert ist, der Schlüssel gegen Bayerns intensives Pressing zu sein.

Die Chance für Hertha ist an einen hohen theoretischen Anteil geknüpft. Wenn Hertha über sich hinauswächst, wenn Bayern ihnen etwas unter die Arme greift, weil sie zuletzt eine zu hohe Belastung auf mentaler und physischer Ebene hatten und wenn dann noch das Spielglück passt, dann ist ein Unentschieden, vielleicht sogar der große Wurf zum dritten Bundesliga-Erfolg in München möglich. Der einzige Wermutstropfen wäre dann, dass es diesmal keinen Sonderurlaub für Hertha-Fans in München gibt, bei dem man zumindest ernsthaft darauf hoffen darf, dass man erneut ein bisschen mehr mit in die Hauptstadt nehmen kann als Erfahrung.

[Titelbild: IMAGO]

Das wünscht sich die Redaktion für die kommende Saison

Das wünscht sich die Redaktion für die kommende Saison

In wenigen Tagen beginnt die Bundesliga-Saison 2020/21. Bei vielen Hertha-Fans wird hierbei wieder das nervöse Zucken und die Schweißausbrüche anfangen – auch das Erstrundenaus im DFB-Pokal gegen Eintracht Braunschweig wird die Lust auf die kommende Spielzeit nicht unbedingt gesteigert haben. Die Hertha-BASE-Redaktion freut sich allerdings auf diese Saison, allerdings nur, wenn dabei auch zumindest Teile ihrer Wünsche erfüllt werden. Hierfür hat die Redaktion fünf Aspekte herausgearbeitet, die Hertha eine gute Saison und den Fans weniger schlaflose Nächte bereiten würden.

Ein Team sein – nicht nur auf dem Rasen

Es war der 11. Februar 2020, als eine Erklärung über Facebook-Fußball-Deutschland zunächst einmal ungläubig dreinblicken und danach kollektiv den Kopf schütteln ließ. Jürgen Klinsmann, der Held des Sommermärchens 2006, demontierte sich kurzerhand selbst, indem er mal eben sein eigenbestimmtes Ende als Hertha-Trainer bekanntgab. Eine Nachricht, die den ganzen Verein in totales Chaos stürzte. Doch neben den unzähligen, negativen Konsequenzen, die das Ganze für Hertha nach sich zog, gab es tatsächlich auch einen positiven Nebeneffekt. Denn zum ersten Mal in der abgelaufenen Saison zeigten alle handelnden Personen Einigkeit in der Öffentlichkeit. Von Preetz und Gegenbauer ist man dies nicht anders gewohnt. Doch seit dem vergangenen Sommer ist da noch eine dritte Person: Investor Lars Windhorst. Nicht wenige befürchteten, dass dessen vermeintliche Nähe zu Klinsmann nun auch zum Umdenken des einstigen „German Wunderkind“ führen und zusätzliches Wirrwarr in den Verein bringen könnte.

Sorgen wie diese traten auch zutage, weil sich Hertha – wie so oft – in der Außenkommunikation nicht gerade geschickt anstellte. Sprach Windhorst schon früh von Champions-League-Ambitionen, trat Preetz in der Öffentlichkeit immer wieder auf die Bremse. Umso wohltuender war es dann, als das angesprochene Trio infolge der Klinsmann-Posse gemeinsam vor die Presse trat und auch Lars Windhorst selbst klar machte, dass er und der Verein auf derselben Seite stünden und er mit Hertha ein „langfristiges Investment“ plane. Natürlich sind solche Sätze bei einem gewieften Geschäftsmann wie Windhorst immer mit Vorsicht zu genießen, doch auch er wird sich an diesen Worten messen lassen müssen, will er seinen Ruf nicht schädigen. Und dass ein Verein, der sich Verstärkung durch einen Investoren holt, nur dann erfolgreich arbeiten kann, wenn alle Parteien geeint auftreten, das zeigen Beispiele wie 1860 München und der Hamburger SV seit Jahren. Im Falle von Windhorst heißt das: es dürfen in der kommenden Saison gern ein paar weniger großspurige Aussagen getroffen werden. Vielleicht hilft ja ein Pokalaus gegen einen Zweitligisten dabei, etwas mehr Realismus walten zu lassen.

Alexander Jung

Foto: IMAGO

Endlich wieder Konstanz

Auch wenn der Saisonstart rund um die Testspiele und den DFB-Pokal alles andere als darauf schließen lässt, wünsche ich mir dieses Jahr: Konstanz. Konstanz in den individuellen Entwicklungen der Spieler, Konstanz auf der Trainerbank, Konstanz bei den Entscheidungen auf Management-Ebene und Konstanz nicht nur in einer Saisonhälfte. 

Die letzte Saison hat mit der wohl größtmöglichen Härte gezeigt, wie schnell sich aufgrund der neuen und im Verein noch unerfahrenen Investorensituation eine Krise zu einem bundesweiten Politikum entwickeln kann. Darum ist es diese Saison wichtiger denn je Konstanz zu entwickeln, dem Kader und vor allem den jungen Spielern zu vertrauen, Fehler zu akzeptieren und daraus langfristig und nachhaltig zu lernen.

Der Glaube, man muss die Sterne vom Himmel spielen, um schnellstmöglich in die europäische Spitzenklasse zu kommen, ist trotz den finanziellen Mitteln und einem qualitativ hochwertigen Kader mehr Träumerei und Gefahr für die kurzfristigen Entwicklungsschritte des Vereins – vor allem mit einem sehr jungen Kader. Konstanz entwickelt sich durch Geduld und Geduld durch die Akzeptanz von Fehlern und die akribische Arbeit aus diesen zu lernen.

Marcel Rombach

Keine Trainer-Diskussion

“Die höchsten Anforderungen stelle ich an mich selbst.” Bruno Labbadia, Hertha-Trainer seit der Corona-Unterbrechung, hat sich insbesondere in seinen ersten Wochen als Cheftrainer der Blau-Weißen einen Namen gemacht. Die Siege gegen Hoffenheim und Union haben ihm bei den Hertha-Fans viel Anerkennung eingebracht. Das Vertrauen in Labbadia, der sich für seine Zeit in Berlin viel vorgenommen hat, sollte man nicht so schnell verlieren – unabhängig von einer weniger erfolgreichen Vorbereitung oder Ergebnistalfahrten. Labbadia kann sowohl Teams in schwierigen Situation anleiten als auch, wie im Wolfsburg bewiesen, ein Team entwickeln und eine Spielidee implementieren. Dass dies bei Hertha Zeit braucht, sollte jedem klar sein. Junge Spieler bringen viel Potenzial mit, aber auch starke Schwankungen.

Es wird eine Saison mit Hochs und Tiefs – Bruno Labbadia wird daran mal mehr, mal weniger Anteil haben. In jedem Fall sollte seine Arbeit aber immer über einen längeren Zeitraum beurteilt werden, und “Trainer raus!”-Rufe haben sich auch in Krisenzeiten nur selten als hilfreich erwiesen. Um sich aus dem Abstiegskampf herauszuhalten, ist Herthas Mannschaft allemal gut genug. Das Eruieren der Entwicklung der Spieler sowie des taktischen Systems sollte man derweil auf das Saisonende verschieben, nach der vergangenen Spielzeit kann ein wenig Ruhe und Konstanz in Form von Bruno Labbadia dem Team nur gut tun.

Simon

Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Geduld statt Größenwahn

„Rom wurde nicht an einem Tag erbaut“ – heißt es so schön und erinnert uns daran, dass Dinge ihre Zeit brauchen. Aus dem Nichts kann man nicht in kurzer Zeit eine Weltstadt aufbauen, und aus einem Chaosclub entsteht nicht innerhalb eines Jahres ein solider, krisenfester Verein in der Top-7 der Bundesliga. Doch genau diese Tatsache scheinen viele vergessen zu haben. Gefühlt haben vor Anfang der neuen Saison mehr als die Hälfte der Deutschen Fußballfans Hertha BSC auf einen europäischen Tabellenplatz getippt. Und auch Hertha hat vor allem letzten Saison zu früh zu große Töne gespuckt.

Doch wie bereits in der Vorbereitung zu spüren war: der Aufbau der „neuen“ Hertha hat gerade erst begonnen. Alte Leistungsträger sind gegangen, neue junge unerfahrene Protagonisten dazugekommen. Neue Spieler kommen noch und eine interne Hierarchie hat sich noch nicht gebildet. Bruno Labbadia hat quasi als Chefkoch noch gar nicht alle Zutaten, und trotzdem erwarten viele bereits ein Fünf-Gänge-Menü mit Weinbeilage. Wie es zuletzt der Chefkoch selbst betonte, wird der gewählte Weg von Hertha BSC alles andere als leicht sein. Fußballerische Entwicklungen dauern immer länger und sind erst viele Monate später wirklich spürbar.

Genau aus diesem Grund wünsche ich mir für die neue Saison eine Hertha-untypische Reaktion auf Misserfolg: Geduld statt Größenwahn. Ich wünsche mir, dass trotz Rückschläge, Häme und Spott nicht wieder so schnell der Aufschrei nach schnellen und unüberlegten Lösungen laut wird. Sowohl die junge Mannschaft als auch der Trainerstab hat sich eine echte Chance verdient, etwas aus diesen neuen Möglichkeiten zu machen. Vergangene Saison haben wir erlebt, was uns Größenwahn bringt. Ich möchte endlich sehen, was Hertha mit Geduld, Vernunft und Kompetenz erreichen kann.

Chris Robert

Jugendarbeit weiter fördern

Was in diesen modernen Fußballzeiten, in denen der Sport immer zum Geschäft wird und die Seele auf der Strecke bleibt, lässt das Fanherz weiterhin unverändert höher schlagen? Wenn ein Spieler aus der eigenen Akademie sich das erste Mal bei den Profis das Trikot seines Vereins überstreift und zu seinem Debüt auf der großen Fußballbühne kommt. Einer von uns! Ein Berliner Junge! Es gibt wohl nichts identitätsstiftenderes.

Hertha hat in den vergangenen Jahren oft für dieses Gefühl gesorgt: Jordan Torunarigha (seit 2006 im Verein), Maxi Mittelstädt (seit 2012), Arne Maier (seit 2008) haben in den letzten Jahren als wahre Eigengewächse ihren Durchbruch bei der “alten Dame” gefeiert, nachdem sie nahezu jede Station im Jugendbereich abgeklappert hatten. Alle drei sind mittlerweile etablierte Bestandteile des Profi-Kaders. Auch Talente wie Palko Dardai, Dennis Smarsch, Julius Kade oder Dennis Jastrzembski haben Bundesliga-Einsätze für “ihren” Verein absolviert. Zuletzt ließ Trainer Bruno Labbadia mit Jessic Ngankam und Lazar Samardzic (okay, mittlerweile kein allzu gutes Beispiel mehr) zwei weitere Eigengewächse debütieren, Spieler wie Luca Netz, Marton Dardai und Omar Rekik könnten alsbald folgen. Die Förderung der Jugend hat bei Hertha große Tradition – “Aus Berlin für Berlin” hieß einst die Kampagne, die mit Eigengewächsen wie Patrick Ebert, Kevin-Prince Boateng und Ashkan Dejagah auf ewig verbunden sein wird.

All diese vielen Namen lösen etwas im Hertha-Fan aus und stehen für einen Weg. Ein Weg, der den gesamten Verein durchzieht und Hertha sympatisch macht. Ein Weg, der Fans gnädig stimmt und Fehler verzeihen lässt. Einem “von uns” ist man halt nicht lange böse, schließlich hat er Gegensatz zu den ganzen “Söldnern” ja wirklich die blau-weiße Fahne im Herzen und gibt alles – sicherlich eine sehr romantisierte Sichtweise auf die Dinge, aber um in diesem Millionengeschäft mit all den Allüren eines Vereins mit mittlerweile großem Investor im Rücken nicht die Identität zu verlieren, muss Hertha diesen Weg weiter gehen. Die Arbeit mit der eigenen Jugend ist die Arbeit mit der eigenen Region – wenn ein echter Berliner/Brandenburger Junge sein Bundesliga-Debüt im blau-weißen Trikot feiert, ist das wirkungsvoller als jede Marketingkampagne. “Die Zukunft gehört Berlin” – ein Claim, der nur so stark wie seine Umsetzung ist.

Marc Schwitzky

Viva con Hertha

Viva con Hertha

Mit der Aktion „1892 Liter Wasser“ wollen Fans von Hertha BSC den Obdachlosen und Bedürftigen Berlins in den so heißen Sommerwochen dringend benötigtes Wasser, aber auch Hygiene-Artikel und Kleidung zukommen lassen.

Am vergangenen Freitag waren es 35 Grad in Berlin – Eine Nachricht, die nach den zuletzt schon so heißen Wochen womöglich für Stöhnen gesorgt hat. Neben dem regelmäßigen Aufsuchen eines schattigen Plätzchens war auch das Trinken von Wasser wichtig, um sich vor der Hitze schützen zu können. Letzteres ist den Obdachlosen und Bedürftigen der Stadt allerdings aufgrund eines akuten Wassermangels nicht ohne weiteres möglich gewesen. Für Abhilfe will „1892 Liter Wasser“ sorgen – eine Aktion, die von Fans des Berliner Bundesligisten Hertha BSC vor knapp über einer Woche ins Leben gerufen wurde und das Ziel hat, diesen Menschen Wasser zukommen zu lassen. „Ohne großen Apparat kann die Hilfe schnell und direkt ankommen. Das Ziel von 1892 Liter bezieht sich auf das Gründungsjahr von Hertha BSC, letztendlich sind wir alle Hertha-Fans. Diese Zahl stellt aber kein unbedingtes Ende dar, wenn wir mehr Wasser verteilen, umso besser“, erklären Rémi Dubail, Initiator der Aktion, und Inis Heidekrüger.

Auch Hertha hilft

„1892 Liter Wasser“ wurde vom Hertha-Fanklub „Axel Kruse Jugend“ ins Leben gerufen, mittlerweile haben sich 13 Helfer*innen für die Initiative gefunden. „Es ist zwar ein Projekt der Axel Kruse Jugend, wir sind aber offen für die Zusammenarbeit mit anderen Fanclubs. So unterstützt uns beispielsweise auch der Fanclub Fanhaus 1892 e.V.“, berichten Rémi und Inis. Auch der Bundesligist selbst greift unter die Arme: „Außerdem wurden von Hertha BSC z. B. T-Shirts, Shorts und Unterwäsche angeboten, die wir gleichzeitig mit dem Wasser verteilen können und werden.“ Darüber hinaus hat der Verein vor wenigen Tagen einen Transporter zur Verfügung gestellt. Neben dem Hauptziel, vor allem Wasser an die Bedürftigen zu verteilen, sind auch Sachspenden wie Hygiene-Artikel oder frische Kleidung sehr willkommen. Wie für den äußerst digital auftretenden Fanklub üblich wirbt die Aktion auch aktiv auf Social Media. Die Reaktionen seien „sehr positiv! Wir veröffentlichen unsere Arbeit als @1892literwasser auf Facebook, Twitter und Instagram. Manche begrüßen unsere Arbeit, weitere signalisieren ihre Bereitschaft zu helfen, andere wollen „anpacken“. Jede/r reagiert unterschiedlich, je nach den Möglichkeiten.“

Spenden von Privatpersonen und Geschäften

Aktuell stammen die Spenden vor allem von den Helfer*innen selbst, aber auch von „Getränkegeschäften wie ‚Mein HOFFI im Gräfekiez‘, das seine Unterstützung sofort zugesagt hat.“ Darüber hinaus sei man dabei, Sammelorte einzurichten, die bald über Social-Media-Kanäle bekannt geben werden. Hilfe kommt aber auch zufällig zustande, wie sich am vergangenen Dienstag zeigte: Die Helfer*innen wollten gerade in einem Lidl am Kottbusser Tor acht Sechserträger Wasser nachkaufen. Vor dem Eingang trafen sie einen Mann im Hertha-Trikot, dem sie von der Aktion erzählten, woraufhin dieser spontan die Acht Wasserträger bezahlte.

„Wie krass seid ihr denn?“

„Wir sind alle begeistert, wie schnell und wie viel innerhalb der kurzen Zeit auf die Beine gestellt wurde“, zeigen sich Rémi und Inis stolz. „Der Stein ist von Freiwilligen ins Rollen gebracht worden, jeder bringt sich je nach Zeit, Fähigkeiten und Möglichkeiten ein.“ Und das Angebot wird von den Obdachlosen und Bedürftigen dankend angenommen. „Einer sagte uns: „Wie krass seid ihr denn?“ – Das war schön und ist den Schweiß und die Mühe wert!“ Während Hertha-Fans bereits seit Jahren mit der Aktion „Hertha wärmt“ für die Bedürfnisse Obdachloser im Winter Spenden sammeln, hat sich mit „1892 Liter Wasser“ nun also auch das Sommer-Pendant gefunden. „Das Wichtigste für uns ist, wie diejenigen, denen wir helfen wollen, darauf eingehen. Die Funken in den Augen sind unser Lohn.“

„Wir sind alle begeistert, wie schnell und wie viel innerhalb der kurzen Zeit auf die Beine gestellt wurde“, zeigen sich Rémi und Inis stolz. „Der Stein ist von Freiwilligen ins Rollen gebracht worden, jeder bringt sich je nach Zeit, Fähigkeiten und Möglichkeiten ein.“ Und das Angebot wird von den Obdachlosen und Bedürftigen dankend angenommen. „Einer sagte uns: „Wie krass seid ihr denn?“ – Das war schön und ist den Schweiß und die Mühe wert!“ Während Hertha-Fans bereits seit Jahren mit der Aktion „Hertha wärmt“ für die Bedürfnisse Obdachloser im Winter Spenden sammeln, hat sich mit „1892 Liter Wasser“ nun also auch das Sommer-Pendant gefunden. „Das Wichtigste für uns ist, wie diejenigen, denen wir helfen wollen, darauf eingehen. Die Funken in den Augen sind unser Lohn.“

[Foto: IMAGO]

Kaderanalyse 19/20 – Herthas Außenverteidigung

Kaderanalyse 19/20 – Herthas Außenverteidigung

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte.

Herthas Außenverteidiger waren in den letzten Jahren eine Schlüsselposition unter Ex-Trainer Pal Dardai. Mitchell Weiser und Valentino Lazaro agierten als verkappte Spielmacher von der Rechtsverteidigerposition und kurbelten die Offensive von hinten an. Herthas aktuelle Außenverteidiger konnten das in dieser Saison keine gleichwertige Bedeutung für das Spiel ihrer Mannschaft erlangen, doch der Reihe nach.

Lukas Klünter – Zu wenig für Herthas Ansprüche

Die Tatsache, dass Lazaro 2018 vom offensiven Flügelspieler zum Abwehrspieler umgeschult wurde, lag daran, dass Lukas Klünter den damaligen Trainer Pal Dardai in der Saison 2018/19 nicht vollends überzeugen konnte. Doch Nachfolger Ante Covic wollte auf den schnellen Mann, der 2018 aus Köln nach Berlin kam, setzen. Unter ihm und auch seinem Nachfolger Jürgen Klinsmann machte er fast jedes Spiel. Die Alternative Peter Pekarik war am Anfang der Saison mit einer Wadenverletzung außen vor und so spielte Klünter trotz wenig überzeugender Leistungen. Wenn Klinsmann oder Alexander Nouri mit einer Dreierkette spielen ließen, war Klünter allerdings kein Teil davon, weder als rechter Part des Verteidigertrios noch als Schienenspieler davor. Der Wechsel von Nouri zu Labbadia bedeutete dann das Ende der Startelfeinsätze für Klünter.

Foto: IMAGO

Laut Medienberichten hat Klünter wenig Aussicht auf Spielzeit in der kommenden Saison unter Labbadia und dürfte somit vor dem Absprung stehen. Dabei waren seine Anfänge bei Hertha recht vielversprechend. Er wurde wohl vor allem wegen seiner Schnelligkeit verpflichtet – die 100 Meter läuft er in rekordverdächtigen 10,6 Sekunden – doch spielerisch hat es nie für die Ansprüche der Blau-weißen gereicht. Das liegt zum Teil wohl daran, dass Klünter auf einem außergewöhnlichen Weg in den Profifußball fand: Er ist nämlich einer der wenigen aktiven deutschen Bundesligaspieler, die nicht durch eine der zahlreichen Jugendakademien zum Profi wurden, sondern sozusagen als Quereinsteiger zu einem späteren Zeitpunkt in den Profifußball fand. Somit hatte er trotz seiner beeindruckenden Physis nicht dieselbe fußballerische Ausbildung wie andere genossen – und das sieht man: Weder defensiv noch offensiv konnte er vollends überzeugen, was vielleicht auch an Valentino Lazaro und Mitchell Weiser lag. Die beiden Vorgänger auf seiner Position zeigten regelmäßig, wie viel Einfluss ein guter Außenverteidiger auf ein Spiel haben kann, Klünter konnte ihnen hierbei nie das Wasser reichen.

Ein ehrlicher Arbeiter, der defensiv ein paar wirklich gute Auftritte hatte, aber Konstanz vermissen ließ und wenig Entwicklungspotenzial aufweist. Eigentlich ein idealer Backup, bei dem man keine großen Bauchschmerzen hätte, wenn er die Stammwahl für diese Position für ein bis zwei Spiele vertreten müssten, aber mit 24 Jahren wird Klünter diese untergeordnete Rolle nicht zusagen. Der Rechtsverteidiger will spielen und bei Hertha wird dies höchst wahrscheinlich nicht auf regelmäßiger Basis möglich sein, sodass eine Trennung als wahrscheinlich gilt.

Marius Wolf – Bleibt er?

Ein weiterer Kandidat für die Position rechts hinten ist der vom BVB ausgeliehene Marius Wolf. Dem Vernehmen nach will Hertha den Frankfurter Pokalsieger von 2018 für ca. 5 Millionen Euro verpflichten, während die Dortmunder eher eine zweistellige Summe wollen. Das Tauziehen könnte also noch ein wenig dauern. Doch ist Wolf überhaupt der Rechtsverteidiger, den Hertha sich wünscht? Was Labbadia von Wolf hält, ist schwer zu sagen, da der 25-Jährige seit dem Antritt des neuen Cheftrainers verletzt gewesen ist und noch keine Minute unter ihm gespielt hat. Marius Wolf kann auf der rechten Seite im Mittelfeld oder in der Verteidigung spielen. Er besticht durch Vorwärtsdrang und dynamisches wie laufintensives Spiel, doch hat er ähnlich wie Klünter immer wieder Schwächen in der Verteidigung offenbart. Allerdings unterlief auch den hochgelobten Weiser und Lazaro mal ein defensiver Lapsus, auch sie entwickelten eher in der Offensive ihre Stärken.

Eine fester Wechsel Wolfs dürfte trotzdem keine Verpflichtung eines weiteren Rechtsverteidigers verhindern, da Wolf wohl nicht exklusiv für die Abwehr eingeplant wäre. Die Frage bleibt, was genau Labbadia sich von seinem Außenverteidiger erwartet. Will er mehr Offensivdrang oder vertraut er lieber auf einen defensiv verlässlichen Verteidiger wie Pekarik? Da heißt es abwarten und schauen, wen Michael Preetz als neuen Rechtsverteidiger aus dem Hut zaubern wird, denn Labbadia hat da mit Sicherheit ein Wörtchen mitzureden.

Peter Pekarik – Mr. Zuverlässig

Unter Bruno Labbadia war Wolf verletzt und Lukas Klünter hat in neun Spielen zusammengerechnet nicht einmal über 90 Minuten auf dem Platz gestanden. Stattdessen spielte Routinier Peter Pekarik überraschenderweise wieder eine tragende Rolle. Dessen Vertrag wurde nun um ein Jahr verlängert, was ein weiteres negatives Signal an Klünter sein dürfte. Vor Labbadias Übernahme stand Pekarik in nur einem von 25 Spielen auf dem Platz (beim 2:1-Sieg in Paderborn) und war oftmals nicht einmal Teil des Kaders. Der vierte Trainer der Saison setzte aber dann auf Erfahrung und davon hat Pekarik schließlich reichlich: Der 33-jährige Slowake steht seit 2012 bei Hertha unter Vertrag, ist jetzt durch Thomas Krafts Abgang der dienstälteste Herthaner und hat immerhin 188 Bundesligaspiele und 91 Länderspiele absolviert.

Foto: IMAGO

Im 11-Freunde-Magazin wurde Pekarik kürzlich noch als einer der „Verlässlichen“ genannt, also einer der Spieler, auf die man immer setzen kann. Der Routinier mag tatsächlich nicht der Schnellste oder ein Dribbelkönig sein, doch Labbadia setzte auf ihn, weil er weiß, was er an ihm hat: Man kann nicht von ihm erwarten, dass er den Gegner in Grund und Boden läuft wie Darida oder hinten alles wegverteidigt wie sein Nebenmann Boyata, doch wird er stets eine anständige Leistung bringen – Aussetzer, die Punkte kosten, kennt man von “Peka” quasi nicht. In seinen neun Bundesligaspielen diese Saison hat Pekarik das gezeigt und noch mehr: Er hat nämlich außerordentlichen Offensivdrang gezeigt und noch zwei Torvorlagen gegeben. Unvergessen war sein (missglückter) Schluss beim ersten Spiel nach dem Restart in Hoffenheim, der von Gegenspieler Bebou abgefälscht im Hoffenheimer Tor landete und somit den 3:0-Sieg einleitete.

Mit seinen Leistungen ließ Pekarik Labbadia auch gar keine andere Wahl als ihn weiter aufzustellen. Nun gehen der Slowake und Hertha etwas unverhofft gemeinsam auch in die kommende Saison. Pekarik wird auch 20/21 die Rolle des verlässlichen Backups ohne große Ansprüche einnehmen, der genau dann da ist, wenn man ihn braucht – und solche Spieler benötigt jede Mannschaft. Zudem wird Pekarik eine noch größere Vorbildsfunktion zuteil, da mit Thomas Kraft, Per Skjelbred, Salomon Kalou und Vedad Ibisevic zahlreiche andere Routiniers den Verein verlassen haben.

Zeefuik für rechts?

Pekarik bleibt also bei Hertha in der kommenden Saison, doch wird er wohl wieder als verlässlicher Backup dienen, auf den man zu jeder Zeit sorglos zurückgreifen kann. Stammspieler auf der rechten Abwehrseite soll ein neuer Mann werden. Michael Preetz ist momentan auf der Suche nach einem neuen und wohl jüngeren Rechtsverteidiger. Ein Name schwirrt seit über einem Monat umher: Deyovaisio Zeefuik vom FC Groningen (wohin Herthas Nachwuchstalent Daishawn Redan die letzten sechs Monate ausgeliehen war) könnte bei Hertha die vakante Stelle übernehmen. Der 22-jährige Niederländer mit surinamischen Wurzeln (übrigens genau wie Javairo Dilrosun) will unbedingt zu Hertha, doch der Wechsel scheint noch zu stagnieren. Zeefuiks eigener Wunsch dürfte Hertha bei den Verhandlungen in die Karten spielen, obwohl Southampton mit Trainer Ralph Hasenhüttl auch Interesse zu haben scheint. Auf jeden Fall werden es noch ein paar zähe Wochen werden bevor Labbadia sich selbst ein Bild von den Fähigkeiten des holländischen U21-Nationalspielers machen kann. Wie man in Video-Zusammenschnitten erkennen kann, wirkt der junge Niederländer in jedem Fall resolut in den Zweikämpfen – seine teils riskanten Tacklings erinnern an Torunarighas – aber auch von vielen temporeichen Flankenläufen und einer gewissen Übersicht lässt sich berichten.

Marvin Plattenhardt – Vorzug vor Mittelstädt?

Auf der linken Seite sieht die Situation ein wenig anders aus. Anders als auf rechts hat Hertha hier keinen Pekarik als Backup. Vielmehr hat Hertha hier zwei Konkurrenten, die beide schon lange in Berlin spielen und den Anspruch haben auf dem Platz zu stehen. Allerdings haben auch beide dieses Jahr auch nicht vollends überzeugt (aber welcher Herthaner hat das schon?).

Foto: IMAGO

Marvin Plattenhardt ist seit mittlerweile sechs Jahren Herthaner und darf sich seit 2017 auch Nationalspieler nennen. Seine Nominierung durch Joachim Löw und seine mittlerweile sieben Länderspiele verdiente er sich durch solide defensive Arbeit aber auch seine gefürchteten Freistöße und Flanken. Seit der WM 2018 allerdings, bei der er nur beim schwachen Auftritt der DFB-Elf gegen Mexiko ran durfte und seitdem kein Spiel mehr für Deutschland bestritt, hat er auch bei Hertha nicht mehr zu alter Stärke finden können. Oft wirken seine Offensivbemühungen zu einbeinig und nicht variabel genug. Er traute sich nur noch selten, sich überhaupt in die Offensive einzubringen. Dem Linksverteidiger fehlte es offensichtlich an Selbstvertrauen. Er konnte nur noch selten überzeugen, weder unter Dardai, noch unter seinen Nachfolgern Covic, Klinsmann und Nouri.

Erst in den letzten Wochen unter Bruno Labbadia kam „Platte“ wieder auf Touren und brachte es am Ende der Saison immerhin auf fünf Vorlagen in 17 Bundesligaspielen (drei der Vorlagen in sieben Spielen unter Labbadia). Nur eine Gehirnerschütterung, erlitten im Spiel gegen Leipzig, nach welcher er doch noch vor seiner Auswechslung ein Tor per Ecke vorbereitete, hielten ihn davon ab, jedes Spiel unter dem momentanen Trainer zu absolvieren. Es scheint also, als setze Labbadia auf den mittlerweile 28-Jährigen und man hört auch nicht, dass Hertha sich nach einem weiteren Linksverteidiger umsieht. Das liegt wohl auch an der Alternative zu „Platte“: Maximilian Mittelstädt.

Maximilian Mittelstädt – Wieder nur erster Herausforderer?

Der Berliner Mittelstädt steht seit 2012 bei Hertha BSC unter Vertrag und hat in dieser Saison vier Vorlagen und ein Tor bei 26 Bundesligaspielen gesammelt. „Maxi“ spielt auch öfter als linker Schienenspieler oder im linken Mittelfeld und kann vor allem durch seine Dynamik und teils sehr clevere Zweikampfführung glänzen. Im Vergleich zu seinem Konkurrenten hat er trotzdem eine Vorlage weniger bei neun Spielen mehr aufzuzeigen, doch er hat immerhin ein Tor in dieser Saison erzielt: Beim 2:4 in der Hinrunde gegen RB Leipzig umdribbelte Mittelstädt einen Gegenspieler, um dann aus 21 Metern einen satten Schuss (101 km/h) im linken Toreck unterzubringen. Seinen Offensivdrang zeigte er auch in weiteren Spielen, zum Beispiel gegen Bremen: Im Hinspiel (1:1) bereitete er zum Beispiel ein Tor Lukebakios vor und traf selbst mit einem Weitschuss die Oberkante der Latte. Im Rückspiel (2:2) bereitete er mit einem satten abgewehrten Schuss das Tor zum 2:2 von Matheus Cunha vor.

Das Eigengewächs sucht öfter den Weg nach vorne, um Flanken zu schlagen oder selbst abzuziehen. Doch auch Mittelstädt konnte in dieser Saison nicht restlos überzeugen und zeigte nur selten sein wahres Potenzial. Zu oft tauchte er offensiv ab oder sah defensiv nicht immer glücklich aus. Mit seinen 23 Jahren gilt er Mittelstädt noch als Talent, sodass ihm seine Leistungsschwankungen eher verziehen werden, als bei Konkurrent Plattenhardt. Vor allem am Anfang der Saison war er nach der U21-EM noch nicht ganz fit, doch am Ende der Ära Covic fand Mittelstädt zu immer besserer Form. In der Saison 2019/20 brachte der ehemalige U21-Nationalspieler zwei Drittel seiner Dribblings erfolgreich durch (18 von 27), während sein Konkurrent Plattenhardt sich nur selten in Dribblings traute (taucht nicht in der Statistik auf) und eher den einfachen Pass suchte – oftmals nach hinten.

Über die gesamte Saison gesehen saß Mittelstädt, der übrigens im Alter von 15 Jahren von einem gewissen Ante Covic zu einem Wechsel zu Hertha überzeugt wurde, nur dreimal 90 Minuten auf der Bank, während Nationalspieler Plattenhardt dieses Schicksal zwölfmal traf. Unter dem aktuellen Trainer sind beide Spieler zum Einsatz gekommen, doch wenn beide fit waren – am Anfang des Re-Starts gegen Hoffenheim, Union und Leipzig – gab der Berliner Cheftrainer dem ehemaligen Nürnberger Plattenhardt den Vortritt. Ein Grund dafür kann sein, dass Labbadia in der schwierigen Phase nach dem Restart vor allem auf Erfahrung und Stabilität setzte (siehe Ibisevic, Pekarik) und man wird sehen müssen wie dieser Zweikampf nach einer kompletten Vorbereitung weitergeht.

Dem Vernehmen nach sucht Hertha auf jeden Fall nicht aktiv nach einem weiteren Linksverteidiger. Der Trainer und Manager vertrauen also auf die beiden vorhandenen Spieler, wohl auch im Wissen, dass mit dem 17-jährigen Luca Netz auch noch ein Riesentalent heranwächst. Ob dieser in der nächsten Saison bereits Minuten in der ersten Mannschaft sammeln kann, darf man bezweifeln, doch es scheint, als plane Hertha mittel- bis langfristig mit ihm.

Fazit

Herthas Außenverteidigung ist bisher zwar nicht unbedingt das Prunkstück der Mannschaft, doch auf links sieht es aus, als gehe Hertha mit den beiden bisherigen Spielern (Mittelstädt und Plattenhardt) in die neue Saison. Hier wird es zu einem offenen Zweikampf kommen, während es auf rechts eher nach Veränderung aussieht: Pekarik hat verlängert und wird sich als routinierter Backup auf die Bank setzen, während Klünter den Verein aufgrund mangelnder Perspektive womöglich verlässt. Wolf könnte bei einem passenden Angebot Herthas bleiben, doch es wird definitiv noch ein Rechtsverteidiger verpflichtet werden. Das wird auch dringend nötig sein, um die neuen Ansprüche zu untermauern.

[Titelbild: IMAGO]