Herthaner im Fokus: Herthas Abstieg nimmt Formen an

Herthaner im Fokus: Herthas Abstieg nimmt Formen an

Nachdem Hertha BSC in den letzten Wochen drei Matchbälle im Kampf um den Klassenerhalt verspielt hatte, steht man nun genau da, wo man niemals hinwollte, am Abgrund. Es fehlt nicht mehr viel. Gegen den Hamburger SV zeigten 76.000 Fans im ausverkauften Olympiastadion, was ihnen der Fußball, die beiden Vereine und die Bundesligazugehörigkeit bedeuten. Doch lediglich die vielen Zuschauer*Innen zeigten sich an diesem Abend erstligatauglich. Auf dem Rasen präsentierten sich zwei klassische Zweitliga-Mannschaften.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Magath experimentiert mit Personal und System

Dass mit Santiago Ascacibar ein wichtiger Baustein der Achse, die sich bei Hertha im Schlussspurt der Saison gebildet hatte, gelbgesperrt fehlen würde und ersetzt werden müsse, war im Vorfeld klar. Doch Anstatt ihn 1:1 zu ersetzen, was in Anbetracht des restlichen Kaders möglich gewesen wäre, baute Felix Magath auch das System um. In einem 4-2-2-2-System, also in der Tayfun-Korkut-Gedächtnis-Formation, stellte er die Mannschaft auf.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Der mit einer Gehirnerschütterung und einem Nasenbeinbruch ausfallende Torhüter Marcel Lotka wurde durch Oliver Christensen ersetzt. Er war damit der dritte Torhüter, den die Berliner in dieser Saison aus Verletzungsgründen einsetzen mussten. Im Vergleich zum Spiel in Dortmund blieb gegen den HSV die verteidigende Viererkette unberührt. Marvin Plattenhardt, Marc Oliver Kempf. Dedryck Boyata und Peter Pekarik sollten wie üblich den Ball vom Tor fernhalten. Im zentralen Mittelfeld ersetzte Niklas Stark nach einigen Erkältungstagen den gesperrten Santi Ascacibar. Daneben Lucas Tousart, der im Vergleich der kreativere Spieler ist. Davor sollten auf den Außen Maximilian Mittelstädt und Suat Serdar agieren. Im Sturm setzte Magath auf eine Doppelspitze um Ishak Belfodil und Jungspund Luca Wollschläger. Davie Selke fiel weiterhin mit muskulären Problemen aus.

Wir schauen in unserer heutigen Analyse auf die schwache Innenverteidigung, den ebenso schwachen Sturm, den dritten Torhüter der Saison, die Kämpfer in dieser schweren Situation, einen Streit von Alphatieren, der letztendlich genickbrechend ist und was noch ein letzten Fünkchen Hoffnung bietet.

Marc Oliver Kempf und Dedryck Boyata: Die gute Form ist weg

Das Innenverteidiger-Duo zeigte gegen den Hamburger SV aus welchem Grund auch immer eine Leistung, die an alte Korkut-Zeiten erinnerte. Beide waren stark überfordert mit den eigentlich ebenso zahnlosen Angriffen der Hanseaten.

Marc Oliver Kempf rutschte häufig in seine gefährlichen Aktionen ab, die ihn in der Vergangenheit schon negativ ausgezeichnet haben. Er hatte die meiste Zeit über deutliche Schwierigkeiten bei seinen Aktionen. Auch wenn er zwei Bälle klären und zwei weitere abfangen konnte, lieferte er kaum entlastende Momente. Dass er 44 Mal am Ball war und 34 seiner 38 Pässe beim richtigen Mann unter kamen, hat leider nichts mit Aktionen zu tun, die ein sehenswertes Angriffsspiel einleiten würden. Vielmehr handelte es sich um ideenloses Hintenrumgespiele mit seinen verteidigenden Kollegen. Immerhin brachte er drei von fünf langen Bällen an den Mann. Nennenswert für Aufsehen konnte er aber auch damit nicht sorgen. Ein neuer Unsicherheitsfaktor, der sich zwischendurch stabilisiert hatte.

Auch der Hertha-Kapitän Dedryck Boyata zeigte wieder altbekannte Schwächen. Auch er ging oft ungestüm zu Werke, ließ Kommunikation vermissen, lief viel dem Gegner hinterher und hatte in der 49. Minute sogar noch Glück bei seinem unnötigen Foul gegen Miro Muheim. Wäre sein Fuß bei der Aktion ein wenig höher oder tiefer gewesen, hätte sogar ein Platzverweis gedroht. So war der Belgier mit der gelben Karte gut bedient. Im Angriffskuddelmuddel des HSV schaffte er es oft noch irgendwie seine Füße dazwischen zu kriegen und schlimmeres zu verhindern. Er klärte fünf Bälle, fing vier weitere ab. Allerdings gewann er lediglich einen von drei Zweikämpfen. Eine schwache Quote, die er aber auch nicht zu verbessern im Stande war, da er kein Interesse an diesen Aktionen hatte. Wie Kollege Kempf hatte er massig Ballaktionen. 50 waren es bei ihm, 36 Pässe spielte er. 28 fanden den Mitspieler, auch hier wieder eher die Nebenmänner in der Verteidigung. Es war eine schwache Leistung eines untergehenden Kapitäns.

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Ishak Belfodil: Allein auf weiter Flur

Bayerns Trainer Julian Nagelsmann sagte vor einigen Monaten, Ishak Belfodil sei einer der unterschätztesten Stürmer der Bundesliga. Unter ihm hatte der Algerier einst ein prächtiges Jahr in Hoffenheim gespielt. Und auch bei Hertha zeigte er in dieser Saison oft seine Klasse. Immerhin kam er auf fünf Bundesliga-Treffer. Bei Herthas spielerisch nicht vorhandener Offensive ist das tatsächlich eine beachtliche Ausbeute. Ihn zeichnen Technik und Wille aus und beides zeigte er auch in diesem Spiel. Technisch war er der beste Herthaner, kämpfte um die Bälle, wusste sie zu behandeln und zu verwerten. Doch er war dabei allein auf weiter Flur. Das übliche Problem, dass er sich die Bälle aus der Tiefe oder von den Außen holen musste, bestand weiterhin und konnte unter der gesamten Saison nur sehr selten abgestellt werden. Die 44. Minute hätte sein goldener Moment werden können, als er Plattenhardts Flanke mit einem feinen Kopfball ins rechte Eck verwandelte. Leider stand er hauchzart im Abseits. In seinen 80 Minuten war er engagiert und motiviert, letztendlich aber glücklos.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Sehenswert war seine Aktion in der 61. Minute, als er sich ein Herz nahm und die Verteidiger Vuskovic und Schonlau auf der rechten Seite stehen ließ und mit Haken sich in den Strafraum dribbelte. Doch wie viele andere Spieler an dem Abend hatte auch er Probleme mit dem nassen Rasen und rutschte weg, was die Situation zusätzlich erschwerte. Trotzdem zwang er mit einem Schuss aufs rechte Eck Torhüter Heuer Fernandes zu einer Parade. Insgesamt gewann er allerdings auch nur zwei seiner sieben Dribblings. Doch die Mannschaft suchte ihn, 43 Aktionen hatte er. 16 Bälle verteilte er, zwölf kamen an. Seine 75 Prozent Passquote zeigen seine technischen Fähigkeiten und die hohe Konzentration, mit der er zu Werke ging. Doch auch er verlor 19 Mal den Ball und wurde mit zunehmender Spieldauer deutlich müder. Im Endeffekt sollten ihm und Stevan Jovetic im Rückspiel alle Freiheiten gelassen werden, um offensiv etwas zu Stande zu bringen.

Oliver Christensen: Einer für die Hertha-Zukunft

Oliver Christensen hatte gegen den HSV seinen ersten Profi-Einsatz für Hertha BSC. Viele Verletzungen und ein sich festgespielter Marcel Lotka hatten diesen Einsatz bisher verhindert. Und dafür, dass sein erster Einsatz in so einer Drucksituation stattfand, machte er seine Sache gut. Die Hamburger zwangen ihn zwar auch nur selten zu Paraden, doch das, was er auf sein Tor bekam, wurde von ihm verwertet. Dass ein Spieler, der noch nie auf diesem Niveau gespielt hatte, weiche Knie oder Anlaufschwierigkeiten haben würde, war klar. Doch auch die wusste er zu unterbinden.

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Die Rot-Hosen liefen den Dänen immer wieder extrem an, er schaffte es die Situationen allesamt zu lösen. Er konnte 14 von 34 Pässen an den Mann bringen. 41 Prozent sind nicht viel, aber eine akzeptable Quote für einen Torhüter, der ständig unter Druck gesetzt wird. Zusätzlich wurde er zu zwei Paraden gezwungen, auch war sein Stellungsspiel einwandfrei. Bei weiteren Spielen bekommt auch Christensen die nötige Routine um dauerhaft auf einem Bundesliga- oder Zweitliganiveau mithalten zu können. Also egal in welche Richtung sich die Personalie Marcel Lotka entwickelt, auf der Torhüter-Position scheint die Hertha aktuell keine allzu großen Baustellen zu haben.

Lucas Tousart und Peter Pekarik: Immerhin mit Kampf und Leidenschaft

Sie sind sicherlich nicht die größten Zauberer am Ball, aber sie sind Kämpfer. Sie stellen sich gegen alles, was ihnen in den Weg kommt, ignorieren den entstehenden Schmerz und teilen auch selbst sehr gerne aus.

Lucas Tousart ackerte und mühte sich ab, ging in enorm viele Zweikämpfe. 13 seiner 20 Duelle gewann er. Er war praktisch überall zu sehen und wirkte, als würde er den Part seines sonstiges Partners Ascacibar einfach mitmachen. Am Ball war er über 50 Mal. 78 Prozent angekommener Pässe – 21 von 27 – sind ebenfalls eine sehenswerte Quote. Er ging zusätzlich in fünf Tacklings und lief über 11,7 km. Drei von drei Dribblings beendete er erfolgreich. Doch das sind zwar alles schöne Zahlen und die Leistung Tousarts darf man auch durchaus loben, doch was nützt es wenn auch er letztendlich keinen Funken Offensivpower ausstrahlt? Trotzdem einer der besten Herthaner auf dem Feld. Beim Treffer konnte er Ludovit Reis nicht mehr an der abrutschenden Flanke hindern. Ihm da aber eine wirkliche Mitschuld zu unterstellen, wäre hart.

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Dauerbrenner Peter Pekarik ackerte ebenfalls über die volle Distanz. Mit 65 Aktionen war er einer der aktivsten Herthaner, gewann fünf seiner sieben Zweikämpfe. Und spielte 23 von 31 erfolgreichen Pässe. Viermal versuchte er es mit langen Bällen. Zwei kamen immerhin an. Außerdem fing er vier Bälle ab, doch auch 13 Ballverluste musste der nimmermüde Pekarik hinnehmen. In der 57. Minute konnte er den Pass auf der Außenbahn von Vorlagengeber Mulheim auf den Torschützen Ludovit Reis nicht verhindern. Zusätzlich hatte er großes Glück, dass bereits vor seinem Handspiel in der 32. Minute, welches einen Elfmeter zu Folge gehabt hätte, bereits der Hamburger Maximilian Rohr mit der Hand am Ball war.

Kevin Prince Boateng und Felix Magath: Kriegt euch (für Hertha) ein!

Während die Mannschaft mit jedem Spiel dem Abstieg näher entgegentaumelt, scheint nun wieder einmal ein Nebenschauplatz im Verein eröffnet zu sein. Die Kabinenfehde zwischen Kevin Prince Boateng und Felix Magath könnte durchaus schlimmeres angerichtet haben, als zunächst angenommen.

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Und sie passt ins Bild. Felix Magath ist kein wirklicher Teil dieses Hertha-Teams, er wirkt nahezu so, als wäre ihm das Ergebnis seiner Arbeit gar nicht mal so wichtig. Mittlerweile hält er sich an Minihoffnungen und einfachen Glücksmomenten fest. Ihm fehlen sämtliche Argumente, die er in fehlenden Spielern, wie Santiago Ascacibar sucht. Seine Experimente mit jungen Spielern mögen gut gemeint sein, helfen im Abstiegskampf allerdings nicht weiter. Luca Wollschlägers Einsatz war ähnlich fragwürdig wie Julian Eitschbergers im Derby gegen Union Berlin. Seine Wechsel gegen Hamburg verpufften entweder relativ wirkungslos (Stevan Jovetic, Marco Richter, Myziane Maolida) oder sorgten in Form von Linus Gechter zunächst für extreme Unsicherheit in der Defensive. Möglicherweise wäre Vladimir Darida die sichere Wahl gewesen.

Boateng dagegen, der zumindest in der ersten Halbzeit noch motivierte und gestikulierte, saß spätestens ab der zweiten Hälfte gefrustet auf der Bank ohne jene Coaching-Elemente zu verkörpern, die ihn in dieser Saison ausgezeichnet haben. Will man die Hypothek aus dem Hinspiel in Hamburg noch umbiegen, braucht man ein intaktes Team und keine Alphatierschlacht. Aktuell scheinen individuelle Interessen aber größer zu sein.

Santiago Ascacibar und Davie Selke: Das letzte Fünkchen Hoffnung

Wenn die Hoffnungen von Hertha wirklich auf Santiago Ascacibar und Davie Selke liegen, brennt es wirklich. Ascacibar wird im Rückspiel ziemlich sicher seine Position im defensiven Mittelfeld zurückbekommen. Davie Selke wird ebenfalls große Chancen auf ein paar Minuten haben, sofern er fit ist. Beide stehen für Kampf und Leidenschaft. Beide motivieren, betreiben Psychotricks ob mental oder körperlich und beide können genauso individuelle Momente kreieren.

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Aber das alles ist ein viel zu großes Fragezeichen. Aktuell bietet wenig Hoffnung, wenn die beiden in der Lage sein sollten, das Spiel der Mannschaft an sich zu reißen oder mit ihren Stärken den HSV vor ernsthafte Probleme zu stellen, gleicht das möglicherweise einem Wunder. Die Hoffnung bleibt trotzdem.

Der Abstieg naht – doch die Hoffnung bleibt bis zur aller letzten Sekunde

Diese Mannschaft kann es nicht. Sie ist weder spielerisch, körperlich noch psychisch dazu in der Lage ein großes Spiel in ihre Richtung zu lenken. Das hat sie in dieser Saison in drei Derbys, in drei Matchball-Spielen und gegen den HSV eindrucksvoll bewiesen. Ein vollkommen schief zusammengestellter Kader konnte von keinem Trainer in dieser Saison so aufgestellt werden, dass er ernsthaft wettbewerbsfähig ist. Unter Pal Dardai noch am ehesten, doch der ist bekanntlich seit einigen Monaten raus. Der Abstieg in die Zweitklassigkeit steht bevor, da braucht man sich nichts vormachen.

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Doch am Montag sitzen wir wieder alle zusammen vor den TV-Geräten, lieben und hassen diesen Verein, verzweifeln oder jubeln oder stehen in Hamburg im Block und feuern die Mannschaft an. So lange auch nur der kleinste Funken Hoffnung besteht, müssen die Fans und die Mannschaft dran glauben und gemeinsam für den Klassenerhalt arbeiten.

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Drei Thesen für Hertha BSC – Hamburger SV

Drei Thesen für Hertha BSC – Hamburger SV

Das Finale der Europa League ist vorbei – an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch an Eintracht Frankfurt und seine Fans – die Relegation steht an. Also vom Himmel zur Hölle. Es geht um eines der beiden wichtigsten Spiele der jüngeren Vereinsgeschichten für Hertha BSC und den Hamburger SV. Das Relegations-Hinspiel wird am heutigen Abend im Berliner Olympiastadion ausgetragen und die beiden größten Städte Deutschlands elektrisieren. Für das Spiel haben wir drei Thesen aufgestellt.

Das Olympiastadion wird zum Hexenkessel

Sie wird wieder zuschlagen. Die Macht des Olympiastadions. Das Stadion wird ausverkauft sein, die Fans beider Lager werden für eine enorme Stimmung sorgen und das Stadion zu einem Hexenkessel verwandeln und einen entscheidenden Einfluss auf das Spiel haben. Es handelt sich um zwei extrem leidgeprüfte Fangruppen von Vereinen, mit riesiger Tradition und Strahlkraft. Die Aufgabe der Mannschaften wird es sein, die Stimmung auf das eigene Spiel zu übertragen.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Das Team, welches das gelingt, steht dem Sieg deutlich näher. Um sich durch die Stimmung aber nicht lähmen zu lassen, gilt es einen freien und fokussierten Kopf zu bewahren und das Spiel als Geschenk und Chance anzunehmen. Trotz der schlechten Saison könnten einzelne Herthaner zu Legenden aufsteigen und bis in alle Ewigkeiten als große Retter angesehen werden.

Das Endergebnis wird mehr als nur eine Tendenz zeigen

Das Hinspiel der Relegation wird das entscheidende Spiel. Der Sieger wird mit mindestens zwei Toren Vorsprung, eher drei Toren Vorsprung den Platz verlassen. Angetrieben von der Stimmung und sich in einen Rausch spielend wird die in Führung gehende Mannschaft einen Zusammenbruch des Gegners ausnutzen und mit Leidenschaft das Spiel an sich reißen und für ein klares Ergebnis sorgen. Die beiden Mannschaften werden spielerisch und mental perfekt eingestellt sein, doch Nuancen und kleinste Fehler werden entscheidend sein.

Herthas individuelle Klasse wird entscheidend sein

Die Mannschaft, die eben jene Nuancen und Fehler nutzen wird, ist Hertha BSC. Die Teamleistung ließ in dieser Saison über die meiste Zeit zu wünschen übrig, erst in den letzten Wochen wuchs die Mannschaft zu einem Team zusammen und bildete eine Achse. Gegen die Hamburger werden individuelle Momente entscheidend sein. Kevin Prince Boateng wird Steckpässe spielen, Ishak Belfodil, Stevan Jovetic und Suat Serdar werden mit dem Ball und ihrer individuellen Klasse für enorme Torgefahr sorgen. Vladimir Darida, Dedryck Boyata und Peter Pekarik werden mit ihrer Erfahrung für Ruhe und Stabilität in der Defensive sorgen. Hertha wird zeigen, wer seit neun Jahren Bundesligist ist und wer seit vier Jahren Zweiligist.

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Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Hertha muss nachsitzen. Wie vor zehn Jahren. Nach drei verpassten Matchbällen geht es in diesem Jahr gegen den HSV. Die Hamburger wollen ihrerseits nach vier Jahren Zweitklassigkeit ins Oberhaus zurückkehren. Wie der HSV es auf Position drei geschafft hat, welche Rolle der „Walter-Ball“ dabei spielt und warum es für beide Teams auch gegen ein Narrativ anzukämpfen geht, lest ihr im Gegner-Check.

Nach dem 34. Spieltag der regulären Saison gab es erstmals die Konstellation, dass der HSV dritter in der 2. und Hertha zeitgleich drittletzter in der 1. Liga waren. An jedem anderen Spieltag der Saison hätte das Aufeinandertreffen in der Relegation anders geheißen. 

Doch die Abschlusstabelle ist nun einmal entscheidend. Und so stehen sich in der Relegation zwei Schwergewichte des deutschen Fußballs gegenüber. Platz drei bedeutet für den HSV die beste Platzierung in ihrer Zweitliga-Geschichte. Der Erfolg ist eng verknüpft mit dem Trainer Tim Walter.

Mit “Walter-Ball” zum Erfolg

Christian Titz, Hannes Wolf, Dieter Hecking, Daniel Thioune. Der HSV hat nach dem Abstieg Trainer mit unterschiedlichsten Philosophien an der Seitenlinie gehabt. Mit Tim Walter ist man vor dieser Spielzeit dann durchaus ein Risiko eingegangen. Schließlich hatte Walter mit seiner Spielidee beim VfB Stuttgart im Unterhaus keinen Erfolg.

Dabei hat der 46-jährige ehemalige Trainer von Bayerns U23 und Holstein Kiel seine ganz eigene Idee entwickelt: den „Walter-Ball“. Sein Team tritt dabei in der Grundordnung 4-3-3 auf. Hier sind die Spieler extrem flexibel. Im Ballbesitz werden Positionen immer wieder getauscht, viel Bewegung ist der Schlüssel.

Will mit dem HSV aufsteigen: Tim Walter

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Das fängt im Spielaufbau an. Der HSV spielt keine langen Bälle, sondern sich stets flach raus. Dabei ist der Torwart der erste Aufbauspieler. Ist er im Ballbesitz, rücken die Außenverteidiger gerne mal auf, die Innenverteidiger schieben breit raus und ein Mittelfeldspieler lässt sich ins Zentrum fallen. Dabei folgt der Spielaufbau keineswegs einem Schema F. Variabilität ist auch hier der Schlüssel.

Der Vorteil des „Walter-Balls“: der HSV überbrückt schon im Aufbau, so er denn gelingt, die ersten Ketten des Gegners. Bei Ballverlusten setzt der HSV wuchtig nach, probiert den direkten Wiedergewinn zu erzwingen. Eine tiefere Analyse des „Walter-Balls“ lieferte Taktik-Experte Tobias Escher vor wenigen Monaten.

Die Schlüsselspieler

Walters anspruchsvolle Spielidee fängt beim Keeper an. Daniel Heuer Fernandes glänzt in dieser Spielzeit nicht nur als Elfmeter-Killer, sondern auch als guter Fußballer. Im Ballbesitz rückt er mitunter weit auf, um das Spiel aufzubauen. Was meistens funktioniert, birgt auch ein Grundrisiko. Wie im Spiel gegen den SC Paderborn, als ein Hamburger in der eigenen Hälfte den Ball verlor und der Paderborner Srbeny über den weit aufgerückten Heuer Fernandes einschießen konnte.

In der regulären Saison stellte der HSV mit 35 Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Hervorzuheben ist hierbei die Innenverteidigung, bestehend aus Kapitän Sebastian Schonlau und Mario Vuskovic. Mit 64,14 Prozent gewonnener Zweikämpfe ist Vuskovic der beste Hamburger in dieser Disziplin. Auf Platz drei kommt Schonlau, der 61,21 Prozent seiner Duelle gewinnt. Mit 91,17 Prozenr angekommenen Pässen wies Schonlau in dieser Hinsicht gleich den zweitbesten Wert der gesamten Liga auf.

Im Dreier-Mittelfeld ist der defensiv starke Jonas Meffert gesetzt. Seine knapp 90 Prozent angekommenen Pässe unterstreichen seinen Wert im „Walter-Ball“, immer wieder kann er sich fallen lassen und Bälle verteilen.

Vor ihm ist neben Ludovit Reis vor allem Sonny Kittel extrem auffällig. Der polyvalente Spieler kommt in dieser Saison auf neun Tore und 16 Vorlagen. Wie die gesamte Hamburger Offensive legt er Tore besonders gern per Flanke auf.

Und am aller liebsten auf Hamburgs Zielspieler Nummer eins in der Offensive: Mittelstürmer Robert Glatzel. Mit 22 Toren spielt der 28-Jährige seine persönlich stärkste Saison. Sowohl aus dem Mittelfeld, vor allem aber über die Flügel wird Glatzel immer wieder gesucht. Zwölf seiner Tore erzielte der 1,93m-große Stürmer per Kopf. Vor allem seinetwegen stellte der HSV die drittbeste Offensive der 2. Liga.

Bester Torschütze des HSV: Robert Glatzel

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“Walter-Ball” knacken

Die drittbeste Offensive der Liga, die beste Defensive der Liga. Klingt im ersten Moment nicht wie der typische Drittplatzierte, der in die Relegation muss. Doch der HSV ließ im Saisonverlauf immer wieder Federn.

Denn der HSV zeigte sich im Vergleich zu den Aufsteigern aus Gelsenkirchen und Bremen zu oft verwundbar. Ein Paradebeispiel, wie man den HSV knacken kann, lieferte in der Rückserie Werder Bremen. Dem variablen Spielaufbau der Hamburger setzte man ein mannorientiertes Anlaufen entgegen, setzte die HSV-Defensive unter Dauerdruck. 

Werders zentrale Mittelfeldspieler übernahmen dabei Hamburgs Außenverteidiger, die Stürmer Werders verdichteten das Zentrum. So entwickelte Werder ein extrem hohes Pressing, zwang den HSV immer wieder zu Ballverlusten.

Das funktionierte, auch weil Werder im entscheidenden Moment taktisch umstellte. Mit der Führung im Rücken stand man tiefer, überließ dem HSV den Ball. Und konzentrierte sich darauf, Glatzel aus dem Spiel zu nehmen. Fast wie ein Bewacher stand ihm Bremens Ömer Toprak an der Seite.

Ausgebremst: Werder Bremen knackte den HSV

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Der Schlüssel zu diesem Sieg widerspricht zwar allem, wofür Hertha in dieser Saison steht. Denn mit gerade einmal durchschnittlich acht ballerobernden Aktionen pro Spiel in der gegnerischen Hälfte war in dieser Disziplin in der Bundesliga niemand so ungefährlich wie Hertha. Doch Mut sollte machen, dass dieses hohe Pressing gar keine 90 Minuten durchgezogen werden musste.

Um den HSV zu schlagen, muss Hertha in jedem Fall mutiger auftreten als zuletzt. Und auch taktisch variabler. Denn überlässt man den Hamburgern den Ball dauerhaft, werden sie Mittel finden, um Glatzel ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig muss das Risiko, selber das Spiel zu machen, oder früh zu pressen, immer wieder abgewägt werden. Denn so könnten sich Gelegenheiten für den HSV bieten und es steht viel auf dem Spiel…

Mit dem Narrativ brechen

Der HSV und die Relegation – das galt mal als die perfekte Symbiose. In den Jahren 2014 und 2015 rettete sich der einstige Bundesliga-Dino gleich doppelt über diesen Modus. Gegen Fürth half die Auswärtstorregel, gegen den Karlsruher SC ein zumindest zweifelhafter Freistoß. 2017 rette sich der HSV am letzten Spieltag spektakulär, entging einer erneuten Relegation erst in der 88. Minute.

Doch das Bild des Clubs, der in letzter Sekunde immer wieder den Kopf aus der Schlinge zieht, ist  längst verwischt. 2018 mussten die Hamburger den Gang in die Zweite Liga antreten. Es folgten drei Versuche der Rückkehr ins Oberhaus, alle endeten auf dem undankbaren vierten Platz. Teils verspielte man in der Hansestadt große Vorsprünge.

Und so tritt der HSV zum dritten Mal in acht Jahren in der Relegation an. Doch es geht nicht nur gegen Hertha, sondern auch gegen das Narrativ des Scheiterns. Aus den einst unabsteigbaren Hamburgern droht das genaue Gegenteil zu werden. Und auch der HSV weiß: Jedes weitere Jahr in der Zweiten Liga ließe die Lücke zum Oberhaus weiter wachsen.

Der HSV möchte kein weiteres Mal scheitern

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Doch nicht nur für den HSV geht es darum, eine sich selbsterfüllende Prophezeiung abzuwenden. Auch bei der Hertha würde ein Erfolgserlebnis eine Erzählweise über den Verein zumindest vorläufig verstummen. Denn nach einer Aneinanderreihung von Negativerlebnissen in den vergangenen Jahren wäre ein Abstieg, noch dazu über die Relegation, die es in den vergangenen Jahren stets gut mit dem Erstligisten meinte, der nur allzu gut ins Bild passende vorläufige Tiefpunkt.

[Titelbild: Martin Rose/Getty Images]

Herthas Abstieg 2012: Eine Achterbahn der Gefühle

Herthas Abstieg 2012: Eine Achterbahn der Gefühle

Raffaels Solo, Pyrotechnik, geklaute Elfmeterpunkte und eine schier endlose Ungewissheit in welcher Liga Hertha BSC denn im August starten würde. Die Monate Mai und Juni im Jahre 2012 glichen im Hertha-Kosmos eines jeden Fans einer vollkommen verrückten Achterbahn der Gefühle. Vieles gleicht heutzutage bei Hertha BSC der Situation von 2012. Doch auch interessante Entwicklungen in der gesamten Debatte um Fans, Pyrotechnik und Platzstürme sind im Vergleich zu damals festzustellen.

Markus Babbel, Michael Skibbe und Otto Rehhagel – Ähnlichkeiten zu heute sind vorhanden

Im Sommer 2011 feierte die Hertha den Wiederaufstieg in die Bundesliga. Der Abstieg ein Jahr zuvor galt als unglücklicher Unfall, der mit dem direkten Wiederaufstieg wieder gutgemacht wurde. Und auch die Hinrunde zeigte, die Berliner sind wettbewerbsfähig. Sie spielten sicherlich nicht die Sterne vom Himmel, doch mit einem stabilen Abwehrverbund sammelte man genügend Punkte, um sich im Mittelfeld der Tabelle festzusetzen. Doch Aufstiegstrainer Markus Babbel musste um Weihnachten rum die Koffer packen. Fehden mit der Vereinsführung ließen eine weitere Zusammenarbeit nicht zu. Ein sportlich nicht zu rechtfertigender Schritt, der die Berliner vor viele Fragezeichen stellte.

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Michael Skibbe, seines Zeichens damals ein Trainer, dessen Erfolge schon einige Jahre her waren, sollte die Mannschaft übernehmen und langfristig zum Erfolg führen. Doch den über Zweieinhalb Jahre laufenden Vertrag konnte der nicht ansatzweise erfüllen. Nach vier Bundesliga-Niederlagen und einer weiteren im Pokal verabschiedete sich der ehemalige Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft nach nur 50 Tagen im Amt. Die Hertha, mittlerweile tief im Abstiegskampf angekommen, brauchte eine große Lösung. Einen Namen, eine Person, die das Mediengewitter auf sich zog und dafür sorgen konnte, dass die weiteren Störfeuer im Verein keine Beachtung fanden. Mit der Hilfe von René Tretschok und Ante Covic wollte die Trainer-Legende Otto Rehhagel das Ruder rumreißen und die Mannschaft in der Bundesliga halten. Bei der Trainer-Wahl und den jeweiligen Begleitumständen lässt sich eine gewisse Gemeinsamkeit zur Situation 10 Jahre später nicht leugnen.

Die Wochen unter Rehhagel waren ein Schlagzeilen-Feuerwerk für die Berliner Medienlandschaft. Der Altmeister lieferte Sprüche für die Gazetten, erzählte von privaten Geschichten und versuchte gute Laune zu verbreiten. Das Spiel der Hertha sollte er allerdings nicht nennenswert verbessern. Doch trotz allem gelang es der Mannschaft um Raffael, Patrick Ebert und Co das Rennen um den Klassenerhalt offen zu halten. Am 34. Spieltag kam es zum Fernduell gegen den auf Platz 16 stehenden 1. FC Köln um den Relegationsplatz. Während die Mannschaft um Lukas Podolski gegen den FC Bayern München eine deutliche 1:4-Klatsche einstecken musste, hatte Hertha BSC die TSG 1899 Hoffenheim zu Gast. Die über 50.000 Fans bekamen im Berliner Olympiastadion ein Spiel zu sehen, welches von einer konzentrierten Hertha-Mannschaft dominiert wurde. Die TSG, die sich im Tabellen-Mittelfeld festgesetzt hatte und mit der Saison durch war, spielte trotzdem fleißig mit. Änis Ben-Hatira sorgte mit einem Doppelpack nach 78 Minuten für eine komfortable 2:0-Führung. Doch Hertha bewies, weshalb man um den Klassenerhalt bangte und kassierte in der 85. Minute unnötiger Weise den Gegentreffer zum 1:2 durch Marvin Compper. Die letzten Minuten des Spiels zogen sich hin, in den letzten Sekunden des Spiels sollten die Sinsheimer noch eine Ecke bekommen. Würde die zu einem Torerfolg führen, wäre die Hertha trotz der Kölner Niederlage gegen die Bayern abgestiegen. Doch die zu hoch getretene Ecke leitete Herthas Konter auf das leere Hoffenheimer Tor ein. Raffaels Lauf über 50 Meter, sein Abschluss ins leere Tor, die feiernde Mannschaft und die eskalierende Stimmung im Olympiastadion sind bis heute unvergessen und hatten das Potential eine Energie freizusetzen, die die Mannschaft durch die folgende Relegation hätte tragen können, schließlich war die Mannschaft deutlich besser aufgestellt als der kommende Gegner aus Düsseldorf.

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Hertha verliert in klassischer Hertha-Manier das Hinspiel

Über 68.000 Fans fanden sich am jenen Donnerstag-Abend im Olympiastadion zusammen. Die Stimmung kochte, wieder einmal war alles dafür angerichtet, das wohl wichtigste Spiel der jüngeren Vereinsgeschichte zu einem positiven Ergebnis zu führen. Und zunächst sah es auch danach aus. Die Hertha dominierte den Beginn der Partie und feierte nach 19 Minuten dank des damaligen Kopfballungeheuers Roman Hubnik die Führung. Nach einer Ecke von Ben-Hatira nickte der tschechische Innenverteidiger ein und ebnete so den Weg.

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Doch als wäre so etwas bis heute in der Hertha-DNA, schafften es die Berliner schon damals nicht, etwas Positives aus dem frühen Führungstreffer herauszuholen. Zwar erarbeitete sich das Team weiterhin zahlreiche Chancen, doch ein zweites Tor sollte nicht gelingen. Und für die vielen ausgelassenen Möglichkeiten wurde die Hertha – natürlich, so will es das Fußballgesetz – eiskalt bestraft. In der 64. Minute musste auch Torhüter Thomas Kraft hinter sich greifen und wenige Minuten später, in der 71. Spielminute, verlängerte Adrian Ramos eine Freistoßflanke der Düsseldorfer unglücklich ins eigene Tor. Die geschockten Berliner konnten die Niederlage nicht mehr abwenden, Ronny scheiterte mit einem wuchtigen Distanzschuss noch am Pfosten. Die kalte Dusche war perfekt, es war die psychologisch denkbar schlechteste Ausgangsposition, in die sich die Spieler gebracht hatten. Die gute Stimmung aus dem Hoffenheim-Spiel war vollkommen verloren gegangen.

Vier Tore, ein Platzverweis und Pyrotechnik: Ein denkwürdiges Rückspiel

In den folgenden Tagen gelang es der Hertha zumindest etwas zur Ruhe zu kommen. Am Wochenende fand in Berlin das DFB-Pokalfinale statt. Borussia Dortmund, das zuvor zum zweiten Mal in Folge den Meistertitel feierte, besiegte in einem denkwürdigen Spiel den FC Bayern München mit 5:2 und durfte sich damit auch Double-Sieger nennen. Die Medien hatten dieser Tage andere Themen als Hertha. Es ging um eine mögliche Wachablösung im deutschen Fußball, um die große Krise der Bayern und darum, was Jürgen Klopp und Mario Götze für riesige Typen waren.

Konzentriert und fokussiert ging es nach Düsseldorf in die Esprit-Arena. Und dort herrschte eine gewaltige Stimmung. Eine laute, geladene und heiße Stimmung. Die Düsseldorfer Fans, unter ihnen Edel-Fan Campino, wollten den Aufstieg ihrer Fortuna nach 15 Jahren Bundesliga-Abstinenz sehen. Mit 51.000 verkauften Karten war die Arena restlos ausverkauft. Und die Düsseldorfer Spieler schafften das, was den Hertha-Spielern im Hinspiel nicht gelungen war. Die Stimmung auf das eigene Spiel zu übertragen. Und das zeigten sie eindrucksvoll von Beginn an. Das Spiel war keine halbe Minute alt, als Maximilian Beister mit einem wuchtigen Distanzschuss das Führungstor für die Düsseldorfer erzielte.

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Die Hertha zeigte sich sichtlich beeindruckt, doch es gelang der Mannschaft einen offenen Schlagabtausch zu gestalten. Das Spiel wurde körperbetonter und emotionaler. Nach 22 Minuten köpfte Änis Ben-Hatira nach einem Freistoß Ronnys zum Ausgleich ein. Die Hiobsbotschaft sollte in der 54. Minute folgen, als der Torschütze wegen eines gelbwürdigen Fouls mit gelb-rot vom Platz flog.

Die Fans feiern zu früh: Das Spiel steht vor dem Abbruch

Es war die Eröffnung der großen und denkwürdigen Szenen, die sich in die Köpfe aller Zuschauer*Innen bis heute gebrannt haben. Denn nur fünf Minuten später konnten die Düsseldorfer ihre Überzahl ausnutzen und erneut in Führung gehen. Es folgte eine riesige Explosion der Gefühle in alle Richtungen. Auf beiden Seiten wurde fleißig Pyrotechnik gezündet, Feuerwerkskörper krachten laut unter dem Dach der Düsseldorfer Arena, viele Bengalos landeten auf dem Spielfeld. Das Spiel drohte abgebrochen zu werden, man entschied sich für eine Fortsetzung.

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Und die Spieler beider Mannschaften kämpften. 85. Minute, Raffael und Adrian Ramos kombinieren sich durch den Düsseldorfer Strafraum. Der Brasilianer schießt flach auf das Tor und schafft es die Düsseldorfer zumindest für einen Moment zum Schweigen zu bringen. Das Spiel war ausgeglichen und auf des Messers Schneide. Es war vollkommen offen, in welche Richtung es gehen sollte. Die Fans machten weiterhin Stimmung, eine ganze Hundertschaft der Polizei stellte sich bereits vor dem Block der Herthaner auf.

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Dass das keine wirklich deeskalierende Maßnahme war, hätte auch damals schon allen bewusst sein müssen und bekanntlich sollten wenige Minuten später nicht die Hertha-Fans der Grund für die nächste Unterbrechung sein. Ab Anbruch der sieben-minütigen Nachspielzeit war an eine geregelte Durchführung des Spiels kaum noch zu denken. Düsseldorfer Fans standen dicht gedrängt bereits am Spielfeldrand, an den Spielerbänken, in den Coachingzonen und sprangen praktisch im Sekundentakt von der Tribüne in den Innenraum. Man will es ihnen zehn Jahre später mit Blick auf die damaligen Szenen nicht verdenken, schließlich ging es um das größte Ereignis der jüngeren Düsseldorfer Vereinsgeschichte, allerdings hatte die Situation einen bedeutenden Einfluss auf den Spielverlauf. Fünf Minuten der Nachspielzeit waren abgelaufen, als sämtlichen Beteiligten die Situation vollkommen entglitt. Die zahlreichen Fans, die siegestrunken am Spielfeldrand standen, missverstanden einen Pfiff von Schiedsrichter Wolfgang Stark als Abpfiff. Die Menge war unaufhaltsam, stürmte den Platz und wollte den vermeintlich soeben gesicherten Aufstieg ihrer Mannschaft feiern.

Die Szenen überschlugen sich. Spieler und Schiedsrichter, Journalisten und Fotografen und Funktionäre suchten so schnell es ging den Innenraum des Stadions, Fans feierten, zündeten Bengalos auf dem Feld, während der Stadionsprecher die Fans per Mikrofon zurück auf die Tribüne bat. Ordner und Polizisten versuchten die Leute unter Kontrolle zu bringen und die Eingänge der Stadioninnenräume abzusichern, um so schnell es geht wieder für Ruhe zu sorgen.

Nach knapp 20 Minuten Unterbrechung fanden sich die Mannschaften wieder auf dem Feld ein, dessen Rasen mittlerweile stark ramponiert war. Einige der Fans, die sich zumindest friedlich wieder hinter die Werbebanden begeben haben, hatten sich bereits Andenken mitgenommen. Ein Elfmeterpunkt war bereits verschwunden. Die restliche Spielzeit sollte keine Wende mehr bringen, nach nicht einmal zwei Minuten beendete Schiedsrichter Stark die Partie beim Stand von 2:2. Fortuna Düsseldorf war aufgestiegen, die Emotionen der Fans fanden erneut kein Halten mehr. Der nächste und nun auch geduldete Platzsturm folgte. Der Aufstieg wurde gebührend gefeiert, auf der Tribüne sang Campino seinen Hit „An Tagen wie diesen“, der aus allen Stadionboxen dröhnte, begeistert mit.

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Die Nachwirkungen verstummten lange nicht

Bereits in den nächsten Minuten und Stunden des Abends und vor allem in den folgenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Hertha BSC wollte sich nicht einfach geschlagen geben, vor sämtliche juristischen Instanzen ziehen und die Ungerechtigkeit und Störung der Fans nicht einfach hinnehmen. Gegen Herthas Spieler Christian Lell und Levan Kobiashvili wurde ermittelt, in den Katakomben soll es während der Unruhe zu einer Auseinandersetzung mit dem Schiedsrichtergespann gekommen sein. Kobiashvili soll Wolfang Stark gar geschlagen haben. Die Folge war eine Sperre über ein halbes Jahr. Bis heute handelt es sich um die längste Strafe, die im deutschen Profifußball verhängt wurde.

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Trainer Otto Rehhagel sprach in den Tagen danach von Todesängsten, die seine Spieler hatten, als man vor den Fans flüchtete. Aussagen, die in Anbetracht der relativ friedlichen Partystimmung unter den Fans, für Schmunzeln sorgten. Hertha BSC kämpfte um Gehör und Recht. Es dauerte über einen Monat, bis Herthas Verantwortliche Mitte Juni den Abstieg endgültig akzeptierten. Hertha hatte da bereits mit Jos Luhukay einen neuen Trainer, Fortuna Düsseldorf unterbrach gar die Sommerpause und fing wieder mit dem Training an, weil eine Wiederholung des Rückspiels ernsthaft zur Debatte stand. Diese schier endlose Posse vor sämtlichen Gerichten ließ den Abstieg als ein surreales Ereignis erscheinen. Schließlich war das entscheidende Spiel schon einige Wochen her und als Fan konnte man sich bereits damit abfinden, welche Entscheidung wohl gefällt werden würde.

In den letzten zehn Jahren haben viele Debatten gefruchtet

Wer sich noch an die Szenen von damals erinnern kann oder sich eben jene bei YouTube zum Teil in voller Länge anschaut, wird feststellen, dass sich in den letzten zehn Jahren viel verändert hat in der deutschen Debattenkultur. Die Fangruppierungen in Deutschland haben mit viel Geduld und ebenso vielen Diskussionen mittlerweile für ein Umdenken gesorgt. Die Fankultur wird weniger pauschal kriminalisiert, Polizeieinsätze sind bei weitem noch nicht im gewünschten Intensitätsbereich, aber auch da wurden entsprechende Instanzen sensibilisiert. Pyrotechnik gilt nicht mehr als die Waffe der „Taliban des Fußballs“, wie früher auch gerne Ultra-Gruppierungen in klassischen deutschen Talkshows bezeichnet wurden. Sie ist zwar noch immer nicht erlaubt, doch die zündelnden Personen zeigen, dass sie in der Lage sind, die Fackeln ohne andere Menschen zu verletzen, zu nutzen.

Fanausschreitungen gibt es immer noch und sie wird es auch vermutlich immer geben, doch pauschale Kollektivstrafen gehören in den allermeisten Fällen ebenfalls der Vergangenheit an. Der damalige Platzsturm war aufgrund der Umstände hochproblematisch und hätte entsprechend hart sanktioniert werden müssen. Allerdings und das war auch damals ein Diskussionspunkt, es handelte sich um keine kriminellen Gestalten, die dort ihre Freude zum Ausdruck brachten. Es waren Fans aller Altersklasse, jeden Geschlechts und mit einem einzigen Gedanken: Die Düsseldorfer Aufstiegsfeier. Gerade in den letzten Wochen haben wir in zahlreichen Stadien Platzstürme dieser Art gesehen. Sie werden in keiner Weise mehr kriminalisiert. Zurecht. Es droht eher, dass der nächste Platzsturm mit einem müden Lächeln abgetan wird und schon bald als verpönt gilt

[Titelbild: PATRIK STOLLARZ/AFP/GettyImages]

Podcast #193 mit Max Dinkelaker (11Freunde)

Podcast #193 mit Max Dinkelaker (11Freunde)

Das schlimmste Szenario ist dann doch eingetroffen. Hertha BSC kann in Dortmund keinen Punkt holen, Stuttgart gewinnt gegen Köln, also müssen wir in die Relegation. Wir sprechen mit Max Dinkelaker vom Magazin 11Freunde über das vergangene Fußballwochenende und geben unsere Prognose ab, wie die Relegation für Hertha BSC laufen wird

Wir wünschen euch trotz allem viel Spaß und freuen uns über eure Kommentare. 

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