Am Ende dieses verrückten Jahres blicken wir bei Hertha BASE in einer vierteiligen Serie auf die wichtigsten Ereignisse und Vorkommnisse bezüglich Hertha zurück.
Im dritten Teil des Rückblicks geht es um eine wohl noch nie derart erlebte Sommerpause. Wir erinnern uns zurück an eine suboptimale Vorbereitung, durch die sich Bruno Labbadias Team quälen musste.
Viele Fragezeichen nach der Saison – Umbruch deutet sich an
Da war es endlich soweit: die so chaotische Saison 2019/20 war endlich zu ende und Hertha machte sich für den großen Umbruch im Sommer bereit. Bruno Labbadia hatte es also geschafft, den kompletten Absturz der „alten Dame“ zu verhindern. Der nächste Schritt sei klar: man wolle die Mannschaft gut zusammenstellen, einen Spielstil entwickeln. „So wie man ein Haus aufbaut, sollte man auch eine Mannschaft aufbauen. Vom Grundstock, denn ohne den kann kein Haus stehen bleiben“, erklärte Herthas Chefcoach zu Beginn der Vorbereitung. Anders ausgedrückt: die bereits im letzten Teil angesprochene zentrale Achse muss bis Saisonstart feststehen und die Basis für Herthas Spiel darstellen. Genau diesbezüglich stellten sich bereits nach der letzten Partie in Gladbach große Fragen.
Tatsächlich fielen aus der so wichtigen zentralen Achse mit Per Skjelbred, Marko Grujic und Vedad Ibisevic gleich drei (!) Spieler weg. Skjelbred wechselte zurück in die Heimat und der Vertrag mit Ibisevic wurde nicht verlängert. Eine „schwere Entscheidung“, wie Labbadia später erklärte, doch man habe sich bewusst für den „schwierigen Weg“ entschieden, eine junge Mannschaft zusammenzustellen.
Am Ende verließen im Sommer gleich acht Spieler, die eine geringe bis hochwichtige Rolle im Kader spielten, die „alte Dame“. Salomon Kalou, Marko Grujic, Per Skjelbred, Vedad Ibisevic, Alexander Esswein, Karim Rekik, Marius Wolf, Thomas Kraft und Arne Maier: dass es zu lange dauern würde, auf jeden dieser Spieler einzugehen, zeigt bereits, wie groß der Umbruch im Kader war. Um diese Abgänge aufzufangen, sollten neue Spieler auf folgende Positionen geholt werden: Tor, rechte Verteidigung, Achterposition, rechte Außenbahn und Sturm.
Vom „Performance Manager“ zum Sportdirektor
Eine große Aufgabe also im Sommer, für die jedoch nicht nur Michael Preetz und Bruno Labbadia verantwortlich werden sollten. Bereits Ende Juni wurde Arne Friedrich zum Sportdirektor bei Hertha BSC ernannt. Der ehemalige Kapitän der Blau-Weißen wurde endlich vom schwammigen Titel „Performance Manager“ befreit. Seine Ernennung sollte nach Angaben des Vereins gerade keine Entmachtung von Manager Michael Preetz sein. Der 41-Jährige sollte stattdessen ein Bindeglied zwischen Mannschaft und Geschäftsführung darstellen.
Darüber hinaus sollte er mit in der Kaderplanung eingebunden werden. Er sei: „in Absprache mit dem Geschäftsführer mitverantwortlich für die sportliche Planung und die Kaderplanung, für strategische Themenfelder, die aufkommen, und auch für das Personal-Management.” Nach der unübersichtlichen und chaotischen Saison klang zumindest diese personelle Entscheidung sinnvoll. “Wir wollen im nächsten Jahr in ruhigere Fahrwasser, daran arbeiten wir”, meinte der neue Sportdirektor. Eine Aussage, die im Rückblick natürlich alles andere als prophetisch gelten kann.
Michael Preetz sollte jedoch in diesem Sommer jede Unterstützung gut gebrauchen können. Die Transferperiode gestaltete sich aufgrund der Corona-Situation besonders schwierig. Hertha musste außerdem wie auch andere Vereine in Deutschland, durch die fehlenden Zuschauereinnahmen in dieser und letzter Saison zweistellige Einnahmeverluste hinnehmen. Auch deshalb sollte die Botschaft am ersten Juli 2020 die Hertha-Verantwortlichen besonders erfreut haben. Die Tennor Holding B.V. stockte ihre Anteile auf und versprach die Zahlung von rund 150 Millionen Euro.
„Geldregen“ als Fluch und Segen
Eine gerade in Corona-Zeiten fast schon ungesund hohe Summe sollte also in Herthas Kasse fließen. Ein riesiger „Geldregen“ also für Hertha BSC. Der Investor-Club konnte wieder wie im Winter die großen Millionen raushauen und bereits in der Saison 2020/21 eine neue Macht in der Bundesliga darstellen. So zumindest klang es bundesweit in den Medien und in sozialen Netzwerken. Die Realität jedoch, war wie schon so oft eine völlig andere.
Im Sommer flossen von den 150 Millionen „nur“ 50. 100 weitere sollten im Oktober folgen, was jedoch, wie wir heute wissen, ausblieb. Michael Preetz konnte also nicht plötzlich 150 Millionen Euro für neue Spieler ausgeben. Auf den Punkt brachte es Herthas Cheftrainer: „Wir haben ein Stück Geld bekommen, worüber wir sehr froh sind, aber wir brauchen eine Einordnung, es ist nicht so, dass wir uns damit eine Mannschaft aufbauen können“. Stattdessen wolle man „klug vorgehen und genau schauen, wer zu den Spielern, die schon hier sind, passt.” Die Abgänge würde man nicht durch große Stars ersetzen können “(…) es ist nicht so, dass wir fünf, sechs Top-Spieler holen können“, so Labbadia.
Doch diese Erkenntnis schien nicht überall angekommen zu sein. Tatsächlich gestaltete sich die Suche nach neuen Spielern umso schwieriger: Hertha galt für andere Vereine und Spieleragenten als „stinkreich“ und wurde vor horrenden Preisschildern gestellt. Verhandlungen schienen oft an zu hohe Erwartungen zu scheitern. Michael Preetz, der zu Beginn der Transferperiode noch optimistisch schien, musste schnell feststellen: „Wir spüren, dass eine andere Erwartungshaltung da ist.“
Gerüchtefestival und späte Transfers
Dies zeigte sich auch ganz besonders daran, dass es im Sommer einen regelrechten Gerüchtefestival rund um Herthas angebliche Neuzugänge gab. Kaum ein Tag verging ohne eine Meldung: Hertha BSC sei an diesen Topspieler interessiert. Es fielen Namen wie Draxler, Götze, Boateng, Trapp, Reine-Adelaide, Calhanoglu oder Jovic. Und auch wenn es teilweise konkrete Gespräche mit einigen Spielern gab, blieben die allermeisten Gerüchte gegenstandlos. Im Sommer hatten wir hier eine Übersicht über Transfergerüchte erstellt, die mit der Zeit auch recht lang wurde.
Preetz hatte mehrmals betont, dass der Markt gegen Ende der Transferperiode noch aktiver werden würde, und Hertha dort gute Chancen hat, zuzuschlagen. Am Ende blieb jedoch das Gefühl, er habe sich geirrt. Auch gegen Ende blieb der Transfermarkt vergleichsweise ruhig. Herthas Manager konnte die Transfers von Mario Götze, Reine-Adelaide und Marko Grujic nicht vollenden, musste auf Alternativen ausweichen.
Auf den bereits angesprochenen fünf gewünschten Positionen kamen nur vier Spieler: als Torhüter Alexander Schwolow, als rechter Verteidiger Deyovaisio Zeefuik, auf der Acht Mattéo Guendouzi und als Stürmer Jhon Córdoba. Ein Spieler für die Außenbahn wurde nicht geholt und ansonsten nur Spieler ersetzt (Eduard Löwen für Arne Maier, Omar Alderete für Karim Rekik). Vollkommen zufrieden war Cheftrainer Labbadia nach der Transferperiode jedenfalls nicht: „Wir haben eine andere Vorstellung gehabt“, sagte er zu den Transfers. „Aber wir haben noch das Bestmögliche daraus gemacht.“
Niederlagen und Torlosserie vor der Saison
Herthas neue zentrale Achse war also in der Sommervorbereitung erstmal nur Zukunftsmusik: mit Lucas Tousart kam bereits am 1. Juli ein wichtiger Neuzugang für das zentrale Mittelfeld, es folgten relativ zeitnah Deyo Zeefuik für die rechte Verteidigung und Alexander Schwolow, der immerhin die Torhüterdiskussion beendete. Letzterer wurde auch angeblich vor der Nase eines gewissen Ruhrpott-Vereins weggeschnappt, was im Hertha-Lager einige besonders freute. Spieler wie Mattéo Guendouzi oder Jhon Cordoba kamen allerdings erst nach Saisonbeginn, verpassten somit die gesamte Vorbereitung.
Somit fehlten Spieler, die für das Offensivspiel und die Torgefahr eine zentrale Rolle übernehmen sollten. Das sollte auch im Laufe der Vorbereitung in Testspielen besonders spürbar werden. Zwar begannen die Blau-Beißen mit einem 2:0 Erfolg gegen Viktoria Köln. Es folgte aber eine torlose Testspiel-Niederlagenserie: 0:1 gegen Ajax Amsterdam, 0:4 gegen PSV Eindhoven. Zum Abschluss einer misslungenen Vorbereitung gab es noch ein 0:2 gegen den Hamburger SV. In diesen Spielen war deutlich zu spüren, dass noch ein sehr langer Weg für Labbadias Trainerteam zu gehen ist. Besonders die Spiele gegen die niederländischen Mannschaften deuteten darauf hin, dass Hertha noch sehr weit davon weg ist, ernste europäische Ambitionen haben zu dürfen.
Ein richtiger Rhythmus sollte erst gar nicht aufkommen für die Spieler von Bruno Labbadia. Noch vor dem ersten Testspiel gegen Köln wurde die Partie gegen Saint Étienne abgesagt. Der französische Erstligist hatte Corona-Fälle zu beklagen. Es sollte nicht das erste Testspiel bleiben, das abgesagt werden sollte. Auch das Spiel gegen PSV Eindhoven sollte ursprünglich zwei Mal 90 Minuten dauern. Daraus wurde nur eine Partie. So konnte Herthas Coach nicht wie geplant den Spielern die gewünschte Spielpraxis geben.
Länderspielpausen – Herthas Vorbereitungs-Killer
Auch das Aufbauen eines Teamgefühls und die Bildung einer echten „Mannschaft“ wurde durch die Corona-Lage erschwert. Eine Reise ins Sommertrainingslager war auch für Hertha BSC keine Option. Stattdessen verbrachten die Spieler die Vorbereitung auf dem Klubgelände, wo auch extra Schlafplätze eingerichtet wurden.
Immerhin konnte Matheus Cunha im Trainingspiel ein sehenswertes Tor mit Marcelinho-Vibe erzielen:
Viel schwerwiegender wurde jedoch die Tatsache, dass Bruno Labbadia in den letzten zwei entscheidenden Wochen der Vorbereitung auf seine Nationalspieler verzichten musste. Die Länderspielpause Anfang September stellte die letzte große Hürde dar. Die berufenen Spieler wurden auch ohne große Rücksicht auf die Bedürfnisse des Vereins in Risikogebiete geschickt, und dort teilweise nicht einmal eingesetzt. Trotzdem mussten diese Spieler zunächst bei ihrer Rückkehr dem Teamtraining fernbleiben. So fehlte z.B. Krzysztof Piątek im Pokalspiel in Braunschweig.
Im letzten Test gegen Hamburg war sogar fraglich, ob Hertha überhaupt eine Mannschaft zusammenbekommt. „Wir hoffen, dass wir zumindest elf Spieler zusammen bekommen“, hieß es vom Coach. Auf diese Länderspielpause angesprochen wirkte bis heute Labbadia fast schon frustriert. Kein Wunder: schließlich konnte er beispielsweise erst am 22. September die Kapitänsfrage klären, da er zuvor wochenlang nicht alle Spieler beisammen hatte. Allein das zeigt bereits, wie viel Hektik und wie wenig Zeit es gab, um den von Hertha gestarteten Umbruch ordentlich umzusetzen.
Fazit der Vorbereitung – Schwierigkeitsgrad zu hoch
Abschließend muss man feststellen: das, was für jede Bundesligamannschaft eigentlich als Basis für die Saison dienen sollte, erwies sich für Hertha BSC diesen Sommer eher als eine zusätzliche Last. Am Ende stolperte man sich eher durch. Die von vielen erwartete Shopping-Tour mit Windhorst-Millionen blieb aus, die großen Namen ebenfalls. Der große Umbruch in der Mannschaft erfolgte allerdings trotzdem notgedrungen, durch die vielen Abgänge.
Sicherlich mussten alle Teams durch die Corona-bedingte außergewöhnliche Lage viele Komplikationen erleiden. Doch ein neuer Trainer, im neuen Kontext und mit einer Mannschaft im Umbruch, ist es noch eine größere Herausforderung gewesen. Was im „normalen“ Kontext bei Hertha so oder so eine schwierige Aufgabe gewesen wäre, schien im aktuellen Kontext noch eine Spur schwieriger zu sein. Vor allem, um diesen „nächsten Schritt“ zu gehen, den Hertha bereits vor anderthalb Jahren erreichen wollte.
Eines muss man jedenfalls feststellen: gut erholt, gut vorbereitet und ohne Zweifel im Gepäck kam die „alte Dame“ ganz sicher nicht in die neue Saison. Vielleicht hätte man den Schwierigkeitsgrad runtersetzen sollen.
Vor genau einer Woche erreichte mich die Whatsapp-Nachricht eines mir bekannten Berliner Sportjournalisten. Er könne mir ein paar Anekdoten zu dem „Blender“ Jürgen Klinsmann erzählen, mit dem es laut ihm kein gutes Ende nehmen würde. Damals war die Hertha-Welt noch eine andere und auch wenn ich weiterhin gewisse Zweifel an der Arbeit Klinsmanns hatte, so verwunderten mich diese Aussagen in ihrer Schärfe dann doch. „Naja, wie schlimm können die Geschichten schon sein“, fragte ich mich. Das war am 4. Februar. Sieben Tage später brennt der Verein, nachdem Klinsmann völlig überraschend seinen Rücktritt als Cheftrainer Herthas verkündet hat und mittlerweile muss ich der Nachricht meines Kollegen Recht geben. Ein Versuch der Einordnung.
Der morgendliche Gang auf Twitter gehört mittlerweile zur Alltagsroutine dazu. Ein bisschen über das Tagesgeschehen informieren, über die aktuelle Politik schimpfen – das Übliche halt. Dass am Dienstagmorgen jedoch eine mediale Bombe platzen sollte, mitten im Epizentrum meines Vereins, hätte ich nicht gedacht. Immer mehr Menschen teilten einen Facebook-Link von Jürgen Klinsmanns Account. „Na, welche größenwahnsinnige Zukunftsfantasie hat sich Jürgen dieses Mal ausgedacht, die alle zum Lachen bringt“, hatte ich mir gedacht, doch beim Lesen seines Posts fiel mir die Kinnlade herunter. Klinsmann verkündete, nicht länger Cheftrainer von Hertha BSC zu sein. „(…) Ich bin fest davon überzeugt, dass die Hertha das Ziel – den Klassenverbleib – schaffen wird. (…) Als Cheftrainer benötige ich allerdings für diese Aufgabe, die noch nicht erledigt ist, auch das Vertrauen der handelnden Personen. Gerade im Abstiegskampf sind Einheit, Zusammenhalt und Konzentration auf das Wesentliche die wichtigsten Elemente. Sind die nicht garantiert, kann ich mein Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen und kann meiner Verantwortung somit auch nicht gerecht werden“, schreibt „Klinsi“.
Schlechter Stil Klinsmanns
Rumms! Das Aus nach zehn Wochen, nach genau genommen 76 Tagen. Twitter überschlug sich: Panik hier, Häme da, verzweifelte Versuche einer ersten Einordnung dort. Sicherlich lief es zuletzt sportlich nicht mehr so erfolgreich wie im Hinrunden-Endspurt unter Klinsmann: in den letzten fünf Spielen vor Jahresende holte die Mannschaft unter ihm sehr solide acht Punkte, doch in den vier Partien in 2020 nur vier Zähler, zusätzlich das Pokal-Aus auf Schalke. Und klar, die 1:3-Heimniederlage gegen Mainz 05 war enttäuschend. Doch all das konnte doch nicht diesen plötzlichen Rücktritt erklären, oder? Schließlich präsentierte sich Klinsmann in den Tagen nach der Pleite noch gewohnt positiv gestimmt und beteuerte in seinem Facebook-Live vom Montag die gute Entwicklung der Mannschaft. „Die nächsten Spiele werden nicht einfach, aber wir sind insgesamt auf dem richtigen Weg und guter Dinge, dass wir noch mehr Punkte einfahren werden“, so seine Prognose. Wie üblich schien Klinsmann alles locker zu nehmen und gute Stimmung zu verbreiten. Zu dem Zeitpunkt, als er in seinen Laptop grinste, stand seine Entscheidung, zurückzutreten, aber schon fest. „Aaand the Oscars goooeees tooo …“
Doch auch der Verein selbst wurde ob dieser Entscheidung lange im Dunkeln gelassen. Klinsmann verkündete sein Ende als Cheftrainer eigenmächtig auf Facebook und ließ den Hertha-Verantwortlichen gar keine Chance, die Sache einigermaßen souverän über die Bühne zu bringen. „Wir sind von dieser Entwicklung am Morgen überrascht worden. Insbesondere nach der vertrauensvollen Zusammenarbeit hinsichtlich der Personalentscheidungen in der für Hertha BSC intensiven Wintertransferperiode gab es dafür keinerlei Anzeichen“, erklärte Geschäftsführer Sport Michael Preetz ein paar Stunden nach dem Facebook-Beitrag Klinsmanns. Bis dahin ist Klinsmann also schlechter Stil und dem Verein größeres Chaos zu attestieren. Besonders, wenn man erfährt, dass Investor Lars Windhorst bereits Montagabend von Klinsmann über dessen Entscheidung informiert wurde und dieser es obendrein nicht für nötig hielt, mal selbst den Hörer in Hand zu nehmen und die Berliner Verantwortlichen zu informieren. Doch sollte das alles fast nur die Spitze Eisbergs sein, auf den die „alte Dame“ zusteuert. Denn wie mittlerweile klar ist: das Klinsmann-Aus resultierte aus einem scharfen Machtkampf.
Klinsmann ging es nicht um Hertha
Wie mehrere Medien berichten und Klinsmann mittlerweile in einem fragwürdigen Bild-Interview bestätigt, soll er für die kommende Saison geplant haben, zum in England bereits etablierten Job des „Teammanagers“ aufzusteigen, sprich weiterhin Cheftrainer Herthas zu sein, aber auch deutlich mehr Kompetenzen im Gestalten der Hertha-Zukunft zu erhalten und somit auch deutlich in den Aufgabenbereich von Michael Preetz einzugreifen. „Nach meinen Verständnis sollte ein Trainer die gesamte sportliche Verantwortung tragen. Also auch über Transfers.“ Hinzu sollte eine Gehaltvorstellung kommen, die jeglichen Realitätssinn vermissen ließ. An diesem Punkt wurde es den alten Hertha-Kräften um Preetz und Präsident Werner Gegenbauer zu bunt. Sie verwiesen darauf, dass zunächst einmal der Klassenerhalt gesichert werden müsste, um die sportliche Situation neu zu bewerten und die zukünftige Ausrichtung zu planen. Dieses Machtwort veranlasste Klinsmann, unverzüglich hinzuschmeißen und den Verein – so deutlich muss man es sagen – im Stich zu lassen. „Die Anhänger, die Spieler und die Mitarbeiter sind mir in dieser Zeit natürlich ans Herz gewachsen und deshalb werde ich weiter mit der Hertha fiebern“, heißt es in seiner Rücktrittserklärung. Nein, Jürgen, hier ging es dir nur um dich. Sei ehrlich, du hast dich daran berauscht, doch noch einmal Trainer eines Bundesligisten sein zu dürfen, nachdem dein Ruf durch das Bayern-Intermezzo so gelitten hatte. Du hattest die große Bühne vermisst, wolltest deinen Namen über dem „spannendsten Projekt Europas“ hängen haben und als großer Macher glänzen, der den schlafenden Riesen aus Berlin emporsteigen lässt. Hertha war Mittel zum Zweck, um deinen Namen im deutschen Fußball reinzuwaschen, doch als man dir zum ersten Mal „nein“ sagte, bist du gegangen.
Wer nach zehn Wochen hinschmeißt, weil der Verein sich nicht seinen Allmachtsfantasien hingeben will, dem geht es nicht um die Sache. Nein, hier erkennt man den fehlenden Respekt vor dem Verein Hertha BSC. Anstatt seinen Stolz runterzuschlucken und den Klub, wie versprochen, vor dem Abstieg zu bewahren, bockt Klinsmann lieber rum und stellt sich über diesen. „Wenn ich etwas übernehme, mache ich das nicht halb“, posaunte er bei seinem Amtsantritt im November noch herum. Soviel dazu. Ohnehin entpuppen sich die vielen Aussagen des Sommermärchen-Machers mit dieser Aktion als heiße Luft und Wichtigtuerei. Nein, was hatte Klinsmann mit Hertha nicht alles vor. Dieses Jahr Klassenerhalt, ab nächstem Jahr Europa und irgendwann die Weltherrschaft. Natürlich schreckte man auch als Hertha-Fan bei diesen Aussagen auf, doch irgendetwas in einem freute sich über diese Ambitionen. Lange genug hatte man das Dasein als „graue Maus“ der Liga gefristet, lange genug wurde man für eben jenes kritisiert. Mit Klinsmann schien ein neues Zeitalter angebrochen zu sein, er schien den Verein, der schon viel zu lange in seiner eigenen Suppe schwamm, aufzuwecken. Da störten seine regelmäßigen Ausbrüche des Größenwahns kaum, denn endlich passierte etwas in dem Verein. Alte Strukturen wurden aufgebrochen, neues Personal eingestellt und angefangen, eine neue Mentalität zu etablieren. All das kann man auch machen, wenn man mit ganzem Herzen bei der Sache ist und eben nicht nach zehn Wochen wieder geht. Mein Gott, habe ich mir bei allen Zweifeln einfach nur gewünscht, dass das alles klappt und man das Gegenbeispiel zu einem Hamburger SV, 1860 München oder Hannover 96 werden könnte. Wie blöd ich mir jetzt vorkomme, Klinsmann und seine Rhetorik so lange verteidigt zu haben. „Lasst ihn doch erstmal machen“, „Ist doch gut, dass jetzt mal Schwung reinkommt und neue Wege gegangen werden“ – ich fühle mich peinlich berührt. Weil ich ihm auf den Leim gegangen bin, wie so viele andere auch. Der Sommermärchen-Macher weiß nun einmal um sein Charisma.
Der Machtkampf mit Windhorst
Stattdessen fühlt es sich so an, als wenn einem mehrere Teller mit Spaghetti Bolognese, auf die man sich riesig gefreut hatte, runtergefallen und man versteinert auf seinen Küchenboden voller Scherben und verteiltem Essen blickt, weil man nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll. Denn was bleibt? Klinsmann hat in seiner Zeit als Cheftrainer etliche (verdiente) Spieler wie Salomon Kalou und Ondrej Duda vom Hof gejagt, weil sie angeblich nicht sein Konzept (was auch immer das beinhaltet) gepasst haben sollen. Ganze Räumlichkeiten des Vereinsgeländes wurden nach seinen Vorstellungen umgestaltet. Zudem wurden 75 (!) Millionen Euro im Winter für Neuzugänge ausgegeben, die allesamt angegeben haben, auch wegen des Namens Klinsmann nach Berlin gewechselt zu sein. Insgesamt vier Spieler hat man hinzugeholt und sieben abgegeben – alles auf Klinsmanns Wunsch hin. All das, damit er nach fünf Spielen im Jahr 2020 hinschmeißt und damit seinem Egoismus freien Lauf lässt. Klinsmann hat einen absoluten Scherbenhaufen hinterlassen.
Dass man sich ihm zunächst so ausgeliefert hatte, kann der Vereinsführung sicherlich negativ ausgelegt werden und erhält durch die Windhorst-Komponente noch eine weitere Dimension. Der Investor, der im zurückliegenden Sommer für 225 Millionen Euro 49,9 Prozent der Anteile der Hertha BSC KGaA erworben hatte, hatte Klinsmann als seinen engen Vertrauten bei Hertha installiert – erst als Aufsichtsratsmitglied, dann als Cheftrainer. Die beiden befanden sich stets im engen Austausch – so verwundert es auch nicht, dass Windhorst vor den Hertha-Verantwortlichen vom Klinsmann-Aus wusste. Auch wenn Preetz immer wieder betonte, wie lange er und Klinsmann sich bereits kennen und über etwaige Möglichkeiten der Zusammenarbeit diskutierten, so ist festzuhalten, dass Klinsmann ein Windhorst-Mann ist. Wie Klinsmann mit dem Klub in nur zehn Wochen umspringen durfte und dass er nahezu keinen Stein auf dem anderen ließ, ist somit der feste Beweis für den bereits riesigen Einfluss Windhorts. All das, vor dem man im Vorfeld bei solch einem Investor gewarnt wird, scheint sich bewahrheiten. Schritt für Schritt wird versucht, Einfluss auf die sportlichen Geschicke des Vereins zu nehmen und seine eigenen Leute in das Projekt einzubauen. „Wir sind nicht Spielball, sondern Treiber dieser Entwicklung“, beteuerte Präsident Gegenbauer auf der Mitgliederversammlung im November letzten Jahres. Durch die Ereignisse der letzten Monate lässt sich diese Aussage mehr als nur anzweifeln. Womöglich ist den Verantwortlichen durch den nimmersatten Machthunger Klinsmanns endlich klar geworden, dass Lars Windhorst alles andere als ein stiller Teilhaber ohne eigene Vorstellungen ist. Aktuell zeichnet sich ein deutlicher Machtkampf zwischen dem „alten“ Hertha-Lager und den neuen Mächten ab. Öffentlich wird zumindest das Bild vermittelt, momentan eher gegen- als miteinander zu arbeiten.
Auch Preetz gibt ein schlechtes Bild ab
Natürlich muss auch die Personalie Michael Preetz noch kritisch aufgegriffen werden. Sieht man die einstige Entscheidung, Jürgen Klinsmann als Übungsleiter zu installieren, als reine Trainerwahl an, hat Herthas Geschäftsführer einmal mehr aufs falsche Pferd gesetzt – in der laufenden Saison nach Ante Covic sogar zum zweiten Mal. Funkel, Babbel, Skibbe, Rehhagel, Luhukay, Covic und Klinsmann – bis auf Pal Dardai sind sämtliche Trainer unter Preetz gefloppt oder haben sich nicht nachhaltig halten können. Einzig die ungarische Vereinsikone hat eine Ära prägen können und auch hier ließ sich nicht von der Weitsicht Preetz‘ reden, da dieser Dardai zunächst als reinen Feuerwehrmann installierte und es sich als überraschender Glücksfall hinausstellte, dass er viereinhalb Jahre lang insgesamt erfolgreich arbeitete. Dardai war einst die letzte Patrone von Preetz, der sich nach der vergangenen Saison entschied, dass die Entwicklung unter Dardai nicht steil genug voranschritt. Dafür gab es sicherlich stichhaltige Argumente und auch ich selbst glaube nach wie vor, dass Dardai seinen Zenit bei Hertha erreicht hatte. Entscheidet man sich aber bewusst dafür, den eigenen Trainer „ohne große Not“ vor die Tür zu setzen, um nun den nächsten Entwicklungsschritt einzuläuten, dann muss man auch liefern – sprich eine große Lösung mit Signalwirkung präsentieren.
Letztendlich wurde es Ante Covic, den man aufgrund seines Stallgeruches als Wunschlösung präsentierte. Schnell wurde jedoch klar, dass die große Bundesliga-Bühne mit all ihren Aufgabenbereichen eine Nummer zu groß für den einstigen U23-Trainer Herthas war. Nach nur vier Monaten und zwölf Ligaspielen trennte man sich von Covic, der offensichtlich überfordert war. Es ist einer der wichtigsten Aufgaben des Managers, den richtigen Trainer auszuwählen, doch einmal mehr hatte Preetz in dieser Hinsicht versagt. Es sollte zu seinen Kompetenzen gehören, so etwas wie den Fall Covic vorauszuahnen und sich dementsprechend von Anfang an für einen anderen Trainer zu entscheiden. Stattdessen war die Berliner Schnauze einmal mehr größer als die Realität, denn Preetz lief mit der Entscheidung für Covic mit Ansage in die Kreissäge und hatte den Verein somit einmal mehr in den Abstiegskampf geführt – der Moment, in dem man sich verzweifelt an Klinsmann wandte und erneut einen Schritt näher an den Abgrund trat. Die ganze Causa Klinsmann hätte mit einer vernünftigen Trainerwahl im vorangegangenen Sommer verhindert werden können, so ist man aber Opfer seiner eigenen Taten geworden. Einmal mehr hat Preetz alle Warnsignale ignoriert und mangelndes taktisches Geschick bewiesen.
Es gibt zwei Lesarten des Machtwortes der Hertha-Verantwortlichen. Entweder hat Michael Preetz dem Größenwahn Klinsmanns Einhalt geboten und noch schlimmeres verhindert, oder aber er hat nur seine eigene Haut gerettet. Preetz ist schließlich schon öfter nachgesagt worden, sich krampfhaft an seinen Posten zu klammern und nichts zuzulassen, dass ihn in seiner Bedeutung für den Verein schwächen könnte. So wird es kein Zufalle gewesen sein, dass “Performance-Manager” Arne Friedrich erst mit dem Amtsantritt Klinsmann im Verein untergebracht wurde. Friedrich ist eine Identifikationsfigur des Vereins, die man viel früher hätte binden können, doch besteht die Möglichkeit, dass Preetz dies aktiv geblockt hat. Das mag Kaffeesatzleserei sein, aber ein anderes Bild wird von Preetz nicht vermittelt. Am Donnerstag (11.30 Uhr) wird es eine Pressekonferenz mit Preetz, Präsident Werner Gegenbauer und Investor Lars Windhorst geben, die eventuell noch mehr Aufschluss gibt. Präsentiert man sich als Einheit oder gibt man einmal mehr ein katastrophales Gesamtbild ab?
Was bleibt?
Jürgen Klinsmann, der sein Engagement im nachhinein als „Himmelfahrtskommando“ bezeichnet hat, soll sich übrigens bereits auf dem Weg in die kalifornische Wahlheimat befinden. Der Enkeltrick bei der Berliner „alten Dame“ hat nicht geklappt. Was bleibt, ist ein teurer und nach seinen Wünschen zusammengewürfelter Kader mit einigen unzufriedenen weil unfair behandelten Spielern, ein kompletter Betreuerstab ohne genaue Zukunft und eine taktisch heruntergewirtschaftete Mannschaft, die außer solidem Verteidigen nichts neues dazugelernt hat. Also nichts. Oder eigentlich sogar weniger als nichts. Hinzukommt nämlich noch ein massiger Imageschaden für Hertha (also eigentlich beide Seiten), der es dem Verein immens schwermachen wird, in Zukunft Verhandlungen mit Spielern und Trainern zu führen. Also danke für nichts, Jürgen. Das „HaHoHe“ am Ende deines Facebook-Posts hättest du dir sparen können, denn ein Herthaner warst du nie und wirst du auch nie sein. Es ist nämlich absolut unvorstellbar, dass er wie angekündigt noch einmal als Aufsichtsratsmitglied fungieren wird. Nach dieser Aktion ist keine weitere Zusammenarbeit denkbar. Das blau-weiße Tischtuch ist zerschnitten. Um es noch einmal zusammenzufassen: Klinsmann kam, erhielt ohnehin schon mehr Kompetenzen als andere Bundesliga-Trainer, durfte im Winter mehr Geld als jeder (!) andere Verein der Welt ausgeben, schmeißt dann nach fünf Spielen in 2020 hin, weil er verrückterweise nicht die Vereinsführung übernehmen durfte, verkündet unabgesprochen sein Ende per Facebook und erdreistet sich dann auch noch, nicht einmal einen Tag später per Interview nachzutreten. Das ist so schäbig, da fehlen einem die Worte.
Und Hertha? Der Verein hat sich in den letzten Monaten so oft der Lächerlichkeit preisgegeben, dass ich schon gar nicht mehr mitzählen kann. Es ist seit längerem einfach nur beschämend, Fan dieses Vereins zu sein und so langsam verliere ich auch die Lust daran. Früher war man den anderen zumindest egal, nun ist man die Lachnummer der Liga. Alles, was man sich in den letzten Jahren so mühsam aufgebaut hat, scheint man sich innerhalb von wenigen Monaten mit Arsch eingerissen zu haben. Die nächsten Entscheidungen müssen sitzen, sonst wird dieser Klub unter dem Druck des eigenen Anspruches kollabieren. In der Windhorst-Spirale kann es nur nach oben oder unten gingen, aber Mittelmaß ist keine Möglichkeit mehr.
Ich hätte nicht in seiner Haut stecken wollen. Michael Preetz musste ja etwas schaffen, was völlig unmöglich war. Er sollten einen Lucien Klopp mit Berliner Schnauze finden. Einen Trainer, der nicht nur taktisch europäische Spitzenklasse ist, sondern auch ein Menschenfänger wie der Coach des FC Liverpool und dann eben auch einen, der beim Kieztraining nicht erstmal nachfragen muss, was gemeint ist, wenn die Frage kommt: “Kann ick mal n Foto schießen?!”
Alle suchten “The Next Nagelsmann”
Nein, Preetz war um seine Aufgabe nicht zu beneiden, zumal ja gefühlt die halbe Bundesliga “The Next Nagelsmann” suchte. Dass sich der Lange selbst in diese Situation hineinmanövriert hatte, geschenkt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ein echter Aufschrei durch die Fanbase ging, als das Ende der Trainer-Ära von Pal Dardai verkündet wurde. Ein bisschen Traurigkeit, ja. Aber nur, weil Dardai dieser manchmal sehr eigentümliche Kauz mit dem ungarischen Herzen auf der Zunge ist. Und nicht, weil er mit seinem begeisternden Fußball alle überzeugt hatte.
Dardais Aufgabe war ja von Beginn klar definiert: Hertha stabilisieren. Dafür bekommt er auf seinem Abschlusszeugnis eine 1+ mit Sternchen. Mehr Stabilität geht nicht, als die, die Dardai diesem Klub in seinen viereinhalb Jahren eingeimpft hat. Es hätte schon einen feuerspeienden Drachen gebraucht, um Dardais Team von seinem sicheren Bergfried zu stoßen. Seine Punkte hat er immer frühzeitig gesammelt und dass sich die Fans (mich eingeschlossen) über schwache Rückrunden echauffierten, liegt natürlich allein daran, dass Fußballfans nach wie vor schnell vergessen. So eine Rückrunde wie Dardais erste, als Hertha erst am letzten Spieltag mit einer Niederlage in Hoffenheim und nur aufgrund eines (!) mehr erzielten Tores in der Liga blieb, will sicherlich niemand eintauschen gegen das, was Dardai danach ohne die großen finanziellen Mittel aufs Parkett zauberte.
Champions-League-Trainer ohne Champions-League-Mannschaft
Jetzt darf der nächste ran. Und, das muss man Preetz lassen, er hat mit der Hochstufung des ehemaligen U15-, U19- und U23-Trainers Ante Covic, mehrere Baustellen auf einmal geschlossen, dass man schon unken könnte, dass er bald in Schönefeld vorstellig wird.
Da ist zum einen die in der aktuellen Saison stark gestiegene Erwartungshaltung, die mit der Verpflichtung eines Trainers wie André Villas-Boas in Sphären gestiegen wäre, die die der Fans von Game of Thrones bezüglich der letzten Staffel noch übertrifft. Der Portugiese wäre zudem vor allem eine Verpflichtung für die Außendarstellung des Klubs gewesen: Seht her, wir haben einen Champions-League-Trainer geholt. Hertha hätte in den Schlagzeilen gestanden, wäre mal wieder international beachtet und vielleicht auch mal kurz wieder bewundert worden. Doch da Champions-League-Trainer Villas-Boas keine Champions-League-Mannschaft vorgefunden hätte, war es schon gut so, dass er am Ende wohl zu teuer war. Ante Covic dagegen ist im Vergleich dazu eine Lösung, die im Rest der Welt nur eine Randnotiz unten links auf der Zeitungsseite war. Ante wer? Ach, ein zweiter Dardai. Alles klar. Hertha bleibt sich treu. Und an dieser Stelle sollten alle Hertha-Fans mal kurz darüber nachdenken, ob das nicht das Beste an der ganzen Nummer ist.
David Wagner wäre nämlich auch so einer gewesen, dem man schon qua seiner Vita keine Fehler verziehen hätte. Der war doch mal bei Schalke. Und der mit dem Wunder von Huddersfield im Gepäck – also der Geschichte, dass er mit einer völlig unterdurchschnittlichen Mannschaft in die Premier League aufgestiegen ist und sich dort sensationell gehalten hat – gestartet wäre. Das hätte ebenfalls für eine Erwartungshaltung gesorgt, die er einfach nicht hätte erfüllen können. Ante Covic dagegen ist erstmal ein unbeschriebenes Blatt. So leer wie das Olympiastadion ab 2025 – also bestimmt. Erwartungen an ihn? Die werden sich erst im Laufe der Saison entwickeln. Er hat schließlich noch keine Wunder vollbracht, soll mit der U23 lediglich guten Fußball gespielt haben. Er findet allerdings womöglich eine Profi-Mannschaft vor, die von Wundern so weit entfernt ist, wie Hertha von einer Einigung mit der Baugenossenschaft.
Investitionen müssen sitzen
Denn das ist ja die dritte Wahrheit der Verpflichtung von Ante Covic: Hertha ist nach wie vor – und erst recht nach dem Rückkauf der Anteile von KKR – kein Klub, der mit Geld um sich werfen kann, sondern einer, dessen Investitionen weiterhin sitzen müssen, um Erfolg zu haben. Und wenn Michael Preetz von einer Investition nicht überzeugt ist, dann lässt er sie lieber liegen und gibt einem eine Chance, der bislang noch keine hatte. Das kann man öde finden oder bodenständig. In jedem Fall ist es angesichts der Finanzsituation richtig.
Hinzukommt, dass Covic eine echte Verbesserung zu allem ist, was Preetz vorher so geholt hat. Oder will ernsthaft jemand nochmal einen Typ Markus Babbel? Michael Skibbe? Friedhelm Funkel? Otto Rehhagel?
Ich habe jetzt ein paar Tage Zeit gehabt, um über den Trainer Ante Covic nachzudenken. Ich habe alle Texte gelesen, mir alte und neue Videos angeschaut. Ich habe versucht, mich in die Mannschaft hineinzuversetzen: Wie nimmt sie seine Verpflichtung auf? Kann er, der doch eigentlich noch nichts erreicht hat, mit diesen zum Teil sehr abgezockten Jungs umgehen (ich schaue da vor allem dich an, Vedad Ibisevic!)? Wird er Erfolg haben, obwohl er möglicherweise einen schwächeren Kader vorfindet, als Dardai momentan? Und was wäre dann ein Erfolg? Nochmal Platz 10? Europa? Oder einfach eine attraktivere Spielweise?
Kommunikation ist alles
Vieles wird wegen dieser vielen Unwägbarkeiten darauf ankommen, wie er kommuniziert. Intern wie extern. Ersteres kann ich nicht beurteilen, letzteres Dank der vielen Videos im Netz schon. Und da scheint Covic durchaus zu wissen, welche Knöpfe er drücken muss, um beim Publikum anzukommen. Seine Pressekonferenzen nach den Spielen der U23 sind durchaus witzig, er findet oft die richtigen Worte, spricht aber auch klar an, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Allerdings ist die Fallhöhe auf diesem Niveau natürlich deutlich geringer. Wenn er in der Bundesliga einen Schiedsrichter so angehen würde, wie hier nach dem 1:3 gegen Chemnitz, wäre er sicher schnell ein Wochengehalt los.
Eine Unbekannte ist für mich noch der neue Co-Trainer Mirko Dickhaut. Diese Position war unter Dardai ja eine sehr wichtige, Rainer Widmayer hat – so kam es jedenfalls stets rüber – einen sehr besonderen Zugang zur Mannschaft gehabt, gefühlt durchaus auch als Gegenpol zum manchmal knurrigen Chef. Von Dickhaut, der mit Covic zusammen die Trainerlizenz gemacht hat, habe ich bis auf ein Video wenig Aktuelles gefunden, was ja erstmal normal ist, wenn man 2017 zuletzt in Führt aktiv an der Linie stand. Sich daraus ein Urteil zu bilden, ist allerdings schwierig. Außerdem sucht Hertha ja noch nach einem weiteren Zuarbeiter für Covic.
Vorfreude steigt
Aber je mehr ich mir von Ante Covic und über Ante Covic anschaute, desto mehr stieg die Vorfreude auf ein erstes Trainerjahr mit diesem Typen, der wirklich Herthaner ist, der nicht auf die Idee kommen wird, beim ersten echten Gegenwind sofort hinzuschmeißen (ich schaue dich an, Lucien F.!) oder bei dem man das Gefühl hat, dass er eigentlich gar nicht da sein möchte (stimmt, Markus B.?).
Vielmehr ist da eine gewisse Hoffnung, dass es vielleicht wieder klappen könnte mit einem Eigengewächs. Dass das das neue Ding von Hertha werden könnte und wir hinterher alle drüber lachen können, dass wir ernsthaft daran gezweifelt haben, ob (T)ante Covic unsere Alte Dame gut behandeln würde.
Neueste Kommentare