VfB Stuttgart – Hertha BSC: Drei Thesen

VfB Stuttgart – Hertha BSC: Drei Thesen

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, das merkt Hertha in dieser Woche, auch ohne international zu spielen, besonders deutlich. Bereits drei Tage nach dem knapp verlorenen Heimspiel gegen den FC Bayern München müssen sich die Männer von Sandro Schwarz auf den rund 600 km langen Weg nach Stuttgart machen, wo sie gegen die Schwaben vom VfB antreten. Kein einfaches, aber dafür umso wichtigeres Spiel für die Blau-Weißen Gäste.

Unsere drei Thesen zum Spiel in Stuttgart.

These 1: Frühes Tor für die Hauptstädter

Der VfB Stuttgart hat mit 24 Gegentoren die fünftmeisten der Liga kassiert. Zu nennen ist hier vor allem Torwart Florian Müller, der des Öfteren unglücklich aussieht und sich den einen oder anderen Patzer leistet. Erwähnenswert ist außerdem, dass acht der 24 Gegentore und damit ein Drittel der Treffer innerhalb der Anfangsviertelstunde fielen. Exemplarisch sind hier insbesondere die vergangenen drei Spieltage. Gegen Dortmund, Gladbach und Augsburg lag man nach zwei bzw. jeweils vier Minuten bereits in Rückstand. Zumindest gegen die Fuggerstädter konnte das Spiel durch ein Tor von Waldemar Anton in der Nachspielzeit noch gewonnen werden. Ein kleiner Flashback zum Last-Second Klassenerhalt in der letzten Saison, wodurch die Herthaner in die Relegation mussten.

Florian Müller

Photo by Maja Hitij/Getty Images

Womit wir zur Alten Dame kommen. Diese startet in dieser Saison regelmäßig gut in Spiele, ist meist sofort hellwach, griffig und mutig. Zwar konnte trotz dieses Aufwandes nur ein Tor vor der 15. Minute geschossen werden (Serdar gegen Frankfurt am zweiten Spieltag), doch verschlafen wurde nahezu kein Spiel. Hier liegt also durchaus eine Chance für Hertha, früh in Führung zu gehen. Stuttgart wird allerdings ein ganz besonderes Augenmerk drauflegen, nicht erneut ab Spielbeginn einem Rückstand hinterherzulaufen. Es ist daher natürlich bei Weitem kein Selbstläufer, solch einen Blitzstart hinzulegen.

These 2: Kempf mit einem arbeitsreichen Spiel

Marc Oliver Kempf kehrt nach seinem Wechsel vom VfB Stuttgart zu Hertha BSC im vergangenen Winter erstmals in die Mercedes Benz Arena zurück. Der dort ehemalige Kapitän wird hierbei zusammen mit seinem Innenverteidiger-Partner Agustin Rogel einiges zu tun haben. Verantwortlich dafür wird allem an Borna Sosa sein. Der kroatische linke Außenverteidiger schaltet sich gerne offensiv mit ein, sein Hauptwerkzeug dafür sind Flanken. Mit vier Torvorlagen führt Sosa diese Statistik teamintern an. Nachdem Sasa Kalajdzic die Schwaben im Sommer Richtung England verließ, heißen die Hauptabnehmer der Flanken mittlerweile Serhou Guirassy und Luca Pfeiffer.

Kempf und Sosa

Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images

Gleichzeitig stehen mit Silas Katompa-Mvumpa und Tiago Tomas zwei äußerst schnelle und technisch starke Stürmer bereit, die die Abwehr der Alten Dame auch auf dem Boden mehr als fordern werden. Für die letzte Reihe der Herthaner, allen voran Ex-Stuttgarter Kempf, wartet also viel Arbeit, wenn man erfolgreich aus dem Duell gehen möchte.

These 3: Hertha bleibt vor Stuttgart

Es ist kein Geheimnis: Hertha spielt besser, als es die Tabelle vermuten lässt. Es ist allerdings auch kein Geheimnis, dass es nach der Saison niemanden interessiert, ob man gut gespielt hat oder nicht, sollte der Abstieg die Folge sein. Positiv festzustellen ist, dass die Charlottenburger bisher beide ihrer „Muss-Spiele“ gegen Augsburg und Schalke gewinnen konnte. Allgemein fällt auf: Die Hauptstädter haben gegen jedes Team der momentanen Top-10 gespielt, auf der anderen Seite nur gegen drei der anderen sieben Mannschaften von der unteren Seite der Tabelle. Sollte auch das dritte „Muss-Spiel“ gegen den VfB Stuttgart gewonnen werden, stünde man drei Punkte vor den Gastgebern, und das mit dem deutlich besseren Torverhältnis. Die Chancen wären somit hoch, dass Hertha BSC die lange WM-Pause hinweg nicht auf einem Abstiegsplatz verbringen müsste. Bei einem Unentschieden bliebe man bis mindestens Samstag, ca. 17:25 Uhr vor dem heutigen Gastgeber.

Und da Hertha in Stuttgart nicht verlieren wird, stehen die Blau-Weißen so oder so auch nach dem 14. Spieltag vor den Schwaben.

[Titelbild: Maja Hitij/Getty Images]

Der Transfersommer von Hertha BSC – Ein Zeugnis für Fredi Bobic

Der Transfersommer von Hertha BSC – Ein Zeugnis für Fredi Bobic

Die Transferphase ist die wahrscheinlich hektischste Zeit im modernen Fußballzirkus. Täglich gibt es neue Gerüchte, ein Rekord nach dem anderen wird pulverisiert und der ein oder andere Lieblingsspieler verlässt unter Umständen den Verein. Auch bei Hertha gab es in diesem Sommer wieder einige Transferaktivitäten, mit die meisten in der Bundesliga. Viel Arbeit also für den Geschäftsführer Sport Fredi Bobic. In diesem Artikel wollen wir ein kleines Fazit zur Transferphase ziehen und dem Manager ein Zeugnis ausstellen.

Vorbemerkungen

Bevor wir komplett einsteigen noch ein paar Anmerkungen: Die Saison ist noch jung und vieles lässt nicht vorhersagen. Daher ist naturgemäß ein gewisser Teil an Spekulation und persönlichen Einschätzungen enthalten. Des Weiteren ist uns bewusst, dass all die folgenden Themenschwerpunkte miteinander verknüpft sind und sie daher nur bedingt einzeln zu betrachten sind. Anzumerken ist des Weiteren, dass dieser Artikel nicht den Anspruchl hat, jeden Transfer zu erwähnen oder zu analysieren. Auch eine tiefergehende Bewertung jeder einzelnen Position findet nicht statt. Ziel ist es, ein Gesamtbild der Transferphase unter verschiedenen Gesichtspunkten zu zeichnen, quasi das „bigger picture“ zu betrachten. Wer eine Auflistung und Bewertung der individuellen Transfers möchte, kann beispielsweise diesen RBB-Artikel lesen.

Trainer

Nicht selten heißt es, dass der Trainer der wichtigste Angestellte im Verein ist. Ein Blick auf Konkurrenten wie Mainz, Köln oder auch Bremen zeigt: ein unveränderter Kader kann je nach Übungsleiter zu völlig unterschiedlichen Leistungen in der Lage sein. Und auch wenn es schlussendlich natürlich immer um das Zusammenspiel sämtlicher Akteure im Klub geht, lässt sich die Bedeutung des Coaches nicht absprechen. Um die Trainer-Entscheidung Bobics nach dem Klassenerhalt einzuordnen, ist ein kurzer Blick auf die vergangene Spielzeit notwendig.

Eine persönliche Niederlage

Nachdem Vereinsikone Pal Dardai in der Saison 2020/21 in einem beeindruckenden Schlussspurt den Klassenerhalt geschafft hatte, erhielt der damalige Trainer (berechtigterweise) viel Dankbarkeit. Sowohl die Fans als auch Verantwortliche bei Hertha wie Arne Friedrich und Werner Gegenbauer stärkten dem Ungarn öffentlich den Rücken. Für den zu diesem Zeitpunkt neuen Sportchef wäre eine Demission des ehemaligen Rekordspielers vermutlich auf starken Gegenwind gestoßen, sodass er zunächst an Dardai festhielt.

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Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images

So wirklich glücklich wurden beide jedoch nie, im November folgte die Entlassung, Nachfolger Korkut war von Anfang an nur als Zwischenlösung geplant. Nach teils desaströsen Auftritten wurde Korkut anschließend von Felix Magath ersetzt. Die mehrmaligen Trainerwechsel bezeichnete Fredi Bobic auf der letzten Mitgliederversammlung als „persönliche Niederlage“.

Trainer mit klarer Philosophie

Nach einem Jahr Eingewöhnungszeit und dem Erarbeiten eines sportlichen Konzepts für den gesamten Verein installierte Bobic in diesem Sommer zum ersten Mal einen Wunschtrainer, der zur langfristigen fußballerischen Entwicklung passen soll. Die Wahl fiel auf Sandro Schwarz , der in seiner bisherigen Laufbahn zunächst in Mainz und anschließend in Russland bei Dinamo Moskau tätig war. Schwarz steht für die Art aktiven und pressing-orientierten Fußball, der in Westend zukünftig auf den Rasen gebracht werden soll. Bei seinen bisherigen Stationen war er dem Vernehmen nach mannschaftsintern extrem beliebt, eine seiner größten Stärken ist die Entwicklung von jungen Spielern.

Mit ihm auf der Bank ist bei Hertha erstmals seit langem ein spielerischer Plan erkennbar, auch wenn nach nunmehr bald drei Monaten Training und bisher sechs Pflichtspielen noch einiges an Arbeit vor ihm liegt. Es besteht jedoch durchaus Hoffnung, dass diese Verpflichtung durch Fredi Bobic den Grundstein für eine solidere Zukunft von Hertha legt und der Weg nach drei Jahren Abstiegskampf sukzessive wieder nach oben geht. Den Beweis, dass Schwarz sich dauerhaft in einer der besten Ligen der Welt durchsetzen kann, muss der vergleichsweise junge Trainer jedoch erst noch erbringen.

Fazit: Fredi Bobic hat mit Sandro Schwarz einen Trainer mit klarer und zum Verein passender Philosophie geholt. Basierend darauf, wie Herthas Standing auf dem Trainermarkt sein dürfte, eine solide und zukunftsfähige Wahl. Note: 2

Hertha-Finanzen

Vor gut drei Jahren investierte Lars Windhorst schrittweise etwa 370 Millionen Euro in den Verein. Dem Unternehmer schwebte damals ein vergleichsweise kurzfristig erfolgender Aufstieg Herthas in das europäische Geschäft vor. Ein paar schlechte Transferentscheidungen sowie eine weltweite Pandemie später ist vom Geld nicht mehr wirklich etwas übrig. Durch einen über die Jahre aufgeblähten Kader und fehlende Einnahmen weist Hertha ein jährliches Defizit wie kaum ein anderer Bundesligist vor. Für den verantwortlichen Geschäftsführer Sport keine angenehme Aufgabe. Alle Angaben beziehen sich auf transfermarkt.de.

Masse statt Klasse bei Hertha-Verkäufen

Nachdem Fredi Bobic bereits im vergangenen Sommer ein Transferplus von gut 20 Millionen Euro sowie einiges an eingespartem Gehalt erzielen konnte war auch dieses Jahr früh klar, dass man deutlich mehr Geld einnehmen muss als ausgegeben werden kann. Erneut legte man Spielern, die gehen wollten, keinen Stein in den Weg und erzielte durch Verkäufe Einnahmen in Höhe von 24 Millionen Euro.

Auffällig ist, dass Hertha kaum einen „großen“ Verkauf abwickelte, sondern sich hauptsächlich auf die pure Masse von Abgängen verließ. Begründen lässt sich das damit, dass nach den letzten Jahren schlichtweg kaum ein Spieler mehr im Kader war, der einen wirklich nennenswerten Marktwert besitzt. Doch auch Verkäufe im niedrigen bis mittleren Segment bei beispielsweise Arne Maier (5 Millionen zu Augsburg), Javairo Dilrosun (4 Millionen zu Feyenoord) oder auch Eduard Löwen (1 Million zu St. Louis) läppern sich und ergeben so die eben genannten Summe von 24 Millionen Euro. Zudem war bei Spielern von Torunarigha oder Ekkelenkamp von Gewinnbeteiligungen bei zukünftigen Weiterverkäufen zu lesen, sodass in den nächsten Jahren der ein oder andere Euro noch einmal folgen könnte.

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Photo by Boris Streubel/Getty Images

Negativ anzumerken ist hingegen, dass auch in diesem Sommer eine nicht unerhebliche Anzahl an Leihen abgeschlossen werden mussten. Neben Luca Wollschläger und Mesut Kesik, die als Jugendspieler jedoch anders zu bewerten ist, stehen Stand jetzt sechs Spieler im nächsten Sommer zunächst wieder bei Hertha im Kader. Vor allem bei Profis wie Santiago Ascacibar (Cremonese) und Omar Alderete (Getafe) hatten viele Fans auf Festverkäufe gehofft, um noch mehr Einnahmen zu generieren. Zu beachten ist dabei jedoch, dass im Zuge der Corona-Pandemie bis auf die Topklubs viele Vereine jeden Euro zweimal umdrehen und daher kaum bereit sind hohe Ablösen zu bezahlen. Und da man die eigenen Spieler auch nicht für den Bruchteil des Marktwertes abgeben möchte, sind Leihen unter dem Gesichtspunkt der eingesparten Gehälter am Ende immer noch sinnvoller, als die stadioneigene Tribüne zu füllen. Doch dazu später mehr.

Ablösefreie und günstige Zugänge

Auf der Zugangsseite legten Herthas Manager und sein Mitarbeiterstab rund um Kaderplaner Dirk Duffner das Hauptaugenmerk auf günstige Verstärkungen. Der einzige Neuzugang, für den man unmittelbar Geld auf den Tisch legen musste, ist Mittelstürmer Wilfried Kanga, der für 4 Millionen Euro aus Bern kam. Offiziell flossen zusätzlich 2 Millionen Euro nach Fürth um Jessic Ngankam „zurückzukaufen“, der nach der letztjährigen Leihe von den Kleeblättern per Kaufoption für 1,5 Millionen Euro fest verpflichtet wurde. Die weiteren Neuzugänge rund um Jonjoe Kenny (Everton) oder Filip Uremovic (Rubin Kazan) kamen zum Nulltarif. Daneben verstärkte man den Kader mit Leihen von Chidera Ejuke (ZSKA Moskau) und Ivan Sunjic (Birmingham).

Außerdem erhielten noch einige Jugendspieler wie Derry Scherhant oder Julian Eitschberger ihre ersten Profiverträge, werden aber sicher zunächst sukzessive an die Bundesliga herangeführt. Unterm Schlussstrich steht damit inklusive Leihgebühren ein Transferplus von etwa 18 Mio Euro, für die klammen Kassen der Blau-Weißen ein willkommener Geldregen.

Verbesserte Gehaltsstruktur bei Hertha

Neben den reinen Transfererlösen ist allerdings ein weiterer Punkt nicht zu vernachlässigen: die Gehälter. In den letzten Jahren von Michael Preetz (auch vor Windhorst) begann Hertha, hohe und zum Teil sehr hohe Gehälter zu zahlen. Ohne die Spieler verurteilen zu wollen, sind die Bezüge von Akteuren wie Davie Selke oder Vladimir Darida in keinem angemessenen Verhältnis zu deren sportlichen Leistung. Von den Deals ab Sommer 2019, allen voran Lucas Tousart und Krzysztof Piatek, ganz zu schweigen. Um mittel- und langfristig finanziell gesunden zu können, ist es unabdingbar, die Gehaltsstruktur wieder zu entschlacken und der aktuellen sportlichen Leistungsfähigkeit anzupassen. Über die Höhe der Gehälter kann natürlich nur spekuliert werden, doch es ist davon auszugehen, dass Hertha nach diesem Sommer Gehaltseinsparungen im zweistelligen Millionenbereich wird verbuchen können.

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Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Hierbei helfen natürlich auch die bereits angesprochenen Leihen. Mit Abgängen wie Krzysztof Piatek (Salernitana), Dedryck Boyata (Brügge) und Niklas Stark (Werder Bremen) wird man einige Großverdiener los, wenn auch zum Teil erst einmal nur zeitweilig. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass kaum ein Neuzugang mehr als 1,5 bis maximal 2 Millionen Euro verdienen wird. Bezieht man die reine Quantität auf Zu- und Abgangsseite mit ein, ergibt sich eine deutliche Einsparung an Gehältern bei gleichzeitiger Senkung des allgemeinen Gehaltsniveaus.

Fazit: Fredi Bobic konnte ein Transferüberschuss in Höhe von fast 20 Mio Euro erzielen, hat dabei die Gehaltsstruktur weiter korrigiert. Der ein oder andere weitere Festverkauf statt Leihe wäre wünschenswert gewesen, realistisch aber vermutlich kaum umsetzbar. Note: 1-

Problembaustellen und sportliche Qualität

Kommen wir zum „Herzstück“ und der entscheidenden Frage nach jeder Transferphase: Ist der finale Kader qualitativ ausreichend besetzt, um das sportliche Ziel realistisch erreichen zu können? Auch hierbei ist der Blick auf die vergangenen Jahre zwingend mit einzubeziehen. Nach drei Saisons Abstiegskampf ist klar, dass auch die Mannschaft mittlerweile klar zum unteren Bundesligadrittel in Hinblick auf die Qualität gehört. Dementsprechend sollte niemand einen Kader erwarten (dürfen), der in diesem Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben wird.

Neue Außenspieler

Würde man die Fans von Hertha BSC nach der aus ihrer Sicht größten Problembaustelle der letzten Saison fragen, würden viele sicher die Flügelspieler nennen. Nachdem Fredi Bobic im vergangenen Transfersommer von den wenigen nominellen Außenstürmern sogar noch welche abgegeben hatte, mussten alle drei Trainer auf Notlösungen wie Suat Serdar, Vladimir Darida und Jurgen Ekkelenkamp auf diesen Positionen zurückgreifen. Mit der Leihrückkehr von Dodi Lukebakio und der Verpflichtung von Chidera Ejuke konnte man diese eklatante Lücke schließen. Dazu kommen Marco Richter und andere Optionen wie Jessic Ngankam und Myziane Maolida. Und auch auf der rechten Verteidigerposition konnte man den dienstältesten Herthaner, Peter Pekarik, mit der Verpflichtung von Jonjoe Kenny etwas entlasten. Ansonsten wurden so gut wie alle Abgänge positionstreu zumindest quantitativ ersetzt.

Zu nennen ist auf jeden Fall noch die Situation im Tor. Nach dem ungeplanten Quasi-Abgang von Rune Jarstein fehlt ein erfahrener Back-Up Torwart. Für Stammtorhüter Olli Christensen ist der Vertrauensbeweis möglicherweise das richtige Zeichen. Doch es ist auch ein Spiel mit dem Feuer. Sollte der junge Däne ausfallen oder in ein ernsthaftes Formtief fallen ist es fraglich, ob Tjark Ernst (von Bochum gekommen) oder Robert Kwasigroch die Lücke füllen können.

Hertha

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Wacklige Hertha-Defensive

Nachdem die Frage über die ausreichende quantitative Besetzung im Großen und Ganzen positiv beantwortet werden konnte, bleibt jedoch noch offen, ob das auch auf die Qualität zutrifft. Es sei noch einmal der Hinweis auf die Entwicklung der letzten Jahre gegeben, doch am Ende muss Bobic es dennoch schaffen eine Truppe zusammenzustellen, die erfolgreich in der Bundesliga bleiben kann. Neben einem Fortschritt in der grundlegenden sportlichen Entwicklung und Einübung eine neuen, aktiven Spielstils ist der Klassenerhalt auch in diesem Jahr das klare Ziel. Und hieran darf zumindest diskutiert werden.

Gerade in der Defensive gibt es das ein oder andere Fragezeichen. In der Innenverteidigung fehlt der klare Anführer und „sichere Fels in der Brandung“. Auf rechts ist Kenny eine solide Wahl, aber mit ehemaligen Spielern wie Valentino Lazaro oder Mitchell Weiser nicht vergleichbar. Das ehemalige Prunkstück, die diese Position bei Hertha einst war, wartet noch immer auf einen würdigen Nachfolger. In Hinblick auf die linke Verteidigerseite geht man in eine weitere Saison mit Maxi Mittelstädt und Marvin Plattenhardt, die jeweils verschiedene Schwachstellen mitbringen, mit dem aktiven Verteidigen bzw. starken Flanken jedoch durchaus auch positive Aspekte aufs Feld bringen können. Ein Hoffnungsschimmer bei den Außenverteidigern stellen die Eigengewächse Julian Eitschberger und Lukas Ullrich dar, die im Laufe der Saison eventuell die ein oder andere Minute sammeln können.

Auf jeder Position doppelt besetzt

Eine weitere Position auf der es eventuell ebenfalls problematisch werden könnte, ist die des Mittelstürmers. Zwar kann Hertha dort auf eine Vielzahl von Spielern zurückgreifen, doch so hundertprozentig überzeugen kann keiner. Es bleibt abzuwarten, ob sich Wilfried Kanga an die Bundesliga gewöhnen wird und wie die Entwicklung von Nachwuchsspieler Ngankam voranschreitet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die „Alte Dame“ auf so gut wie jeder Position doppelt besetzt ist. Allein dies war in den vergangenen Jahren nicht unbedingt der Fall.

Des Weiteren sollte zumindest die bestmögliche Stammelf, wie auch immer sie nach persönlicher Präferenz aussieht, definitiv konkurrenzfähig sein. Bei den Back-Up Optionen wird es auf der ein oder anderen Position allerdings durchaus eng. Mit Spielern wie Prince Boateng und Stevan Jovetic hat man jedoch zumindest noch die ein oder andere Möglichkeit, die dem Kader eine gewisse Variabilität gibt, selbst wenn die Altstars beileibe nicht mehr stamm spielen können. Hinzu kommen ein paar vielversprechende Nachwuchsspieler, die in Anbetracht der Konkurrenz durchaus Chancen auf Einsätze haben dürften.

Fazit: Fredi Bobic hat es geschafft, dass der Kader von Hertha für die eigenen Verhältnisse keine eklatanten Baustellen aufweist. Das war vor allem in der letzten Saison noch anders. Qualitativ könnte es an der einen oder anderen Stelle allerdings dünn werden. In Anbetracht der letzten Jahre wäre aber auch ein kleines Wunder nötig gewesen, um auf jeder Position doppelt hochwertig genug besetzt zu sein. Note: 2+

Langfristige Planung bei Hertha

Es heißt ja oft, man solle im „Hier und Jetzt“ leben. Ein in vielerlei Hinsicht sehr weiser Ratschlag, doch man sollte die Zukunft dabei trotzdem nicht komplett aus den Augen verlieren. Und so wollen wir auch bei Hertha einen Blick auf die Situation im nächsten Sommer werfen. In Anbetracht der Kaderplanung ein nicht zu vernachlässigender Teil, der daher bei der Bewertung von Bobic zumindest nicht unerwähnt bleiben sollte.

Leihrückkehrer

Wie bereits angesprochen, musste man auch dieses Jahr auf ein paar Leihen zurückgreifen, um den Kader zu verschlanken sowieso Ausgaben zu reduzieren.  Unter dem finanziellen Aspekt die richtige Entscheidung, sofern Festverkäufe tatsächlich nicht möglich waren. Unter dem Gesichtspunkt der Kaderplanung im nächsten Jahr könnte daraus allerdings das ein oder andere Problem entstehen. Man wird sich, sollten die Kaufoptionen bei Ascacibar, Piatek und Co. nicht gezogen werden, erneut zunächst erst einmal auf Verkäufe kümmern müssen, bevor Neuzugänge präsentiert werden können. Zumindest im defensiven Mittelfeld hat man mit Ivan Sunjic immerhin selbst vorerst nur eine Leihe getätigt, sodass hier keine unmittelbare Überfüllung droht. Und auch Chidera Ejuke, dessen Vertrag bei seinem Stammverein ZSKA Moskau noch bis 2024 läuft, wird Stand jetzt erst einmal wieder weg sein. Wie es mit der sogenannten „Russland-Regel“ weitergeht, ist jedoch noch völlig offen. Fest planen sollte man mit einem Verbleib Ejukes aber bei Weitem nicht.

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Auslaufende Verträge

Ein weiterer Punkt sind die Spieler, deren Verträge bei Hertha im nächsten Sommer enden. Eine jahrlange Achse rund um Vladimir Darida, Peter Pekarik und Davie Selke geht in das letzte Vertragsjahr, auch Stevan Jovetic und Prince Boateng werden nach dem nächsten Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit weg sein. Positiv festzuhalten ist, dass keiner der Genannten unumstrittener Stammspieler oder Leistungsträger ist. Des Weiteren sind einige dieser Verträge wahrscheinlich (zu) hoch dotiert, sodass man ohne Mehrarbeit das Gehaltsbudget weiter entlasten kann. Inwiefern Bobic für diese Situation verantwortlich ist, kann zumindest bezweifelt werden. Weder hat ist er für die Gehälter noch die Vertragsenden verantwortlich, beides fällt in den Verantwortungsbereich von Michael Preetz. In der Bewertung des aktuellen Managers daher tendenziell ein Nullsummenspiel.

Interessant wird es auf der linken Verteidigerposition, wo die Verträge sowohl Mittelstädt als auch Plattenhardt noch nicht verlängert wurden. Mindestens einer von beiden wird über dieses Jahr hinaus wahrscheinlich nicht bei Hertha verbleiben. Mit Blick auf Nachwuchsspieler Ullrich (dessen Vertrag auch ausläuft), dem man eine Perspektive aufzeigen möchte, ein notwendiger Schritt. Hier wartet ein wenig Arbeit auf Fredi Bobic.

Aufgrund des radikalen Umbruchs der letzten Jahre sind die meisten aktuellen Spieler noch recht langfristig an Hertha gebunden. Einzig Dodi Lukebakio wird im nächsten Sommer in sein letztes Vertragsjahr gehen. Wie es mit ihm weitergehen wird, hängt stark von der Leistung des Belgiers in dieser Saison ab. Festhalten lässt sich, dass Bobic seinen großen Umbau mit dem nächsten Sommer vorläufig wird abschließen können. Es wird zu diesem Zeitpunkt kaum einen Spieler von vor seiner Amtszeit verblieben sein, spätestens dann ist er zu 100 Prozent für den Kader verantwortlich. Mit den vorprogrammierten Abgängen wird es automatisch etwas mehr Platz bei Hertha geben, kaum mehr einen Spieler jenseits der 30. Der vorläufige Neustart ist dann wahrscheinlich abgeschlossen, wie es ab diesem Punkt weitergeht wird, hängt auch stark vom Abschneiden in dieser Saison ab. Das Bett für einen, im Vergleich zu den letzten Jahren, relativ gesunden Kader ist jedoch gemacht.

Fazit: Fredi Bobic hat die Weichen für einen komplett neuen Kader gelegt. Ein Selbstläufer wird es allerdings auch im nächsten Sommer nicht. Insbesondere auf der Zugangsseite wird wahrscheinlich einiges an Arbeit zu erledigen sein. Hinzukommen die Leihrückkehrer, für die man neue Abnehmer finden muss. Die auslaufenden Verträge kann man Bobic nicht zugutehalten, da diese nur bedingt in seiner Entscheidung liegen. Note: 2-

Fazit

Ein weiterer wilder Transfersommer liegt hinter Hertha BSC. Für Bobic war es bereits die dritte Transferphase, die unter seiner Verantwortung stand. Im Großen und Ganzen lässt sich ein positives Fazit ziehen. Er hat frühzeitig einen passenden Trainer verpflichtet und einen nicht gerade unbedeutenden finanziellen Überschuss erwirtschaftet, sowohl mit Ablösen als auch gesenkten Gehaltskosten. Über die sportliche Qualität lässt sich streiten, man ist allerdings immerhin auf jeder Position doppelt besetzt. Es gibt ein paar Abstriche in der qualitativen Tiefe des Kaders, in Anbetracht von mehreren Jahren Abstiegskampf am Stück jedoch kaum vermeidbar. Für den nächsten Sommer ist man halbwegs solide aufgestellt, ein allzu großer Ausverkauf wird aller Voraussicht nicht notwendig sein. Negativ zu bewerten sind die erneuten Leihen, da man hier wahrscheinlich wieder Abnehmer wird suchen und sich auf einige Kompromisse hinsichtlich Ablöse einlassen müssen.

Von Bobic wird man erwarten, weitere sportliche Qualität zum kleinen Preis hinzuzufügen, um mittel- und langfristig eine Etablierung in der Bundesliga zu erreichen und den Blick dann eher nach oben als nach unten richten zu können. Für diesen Transfersommer hat der Manager eine sehr solide Arbeit geleistet und sich nach dem verkorksten letzten Jahr ein klein wenig rehabilitiert.

Gesamtnote: 2

Stimmt ihr der Bewertung zu oder seht ihr manche Punkte anders? Kommt gerne auf unseren Discord und diskutiert mit!

[Titelbild: Photo by Martin Rose/Getty Images]

Hertha BSC und Felix Magath – Eine Zweckgemeinschaft

Hertha BSC und Felix Magath – Eine Zweckgemeinschaft

Die Saison ist vorbei, die Mannschaft von Hertha BSC hat mit einem ungeahnten Kraftakt gegen den HSV über die Relegation die Klasse gehalten. Bereits unmittelbar nach Abpfiff des Rückspiels kündigte Trainer Felix Magath an, dass er bei Hertha nicht weiter machen wolle, das Projekt sei mit Ende des Spiels abgeschlossen. Auch der Nachfolger steht schon fest, Sandro Schwarz wird die Blau-Weißen in der nächsten Saison an der Seitenlinie betreuen. Grund genug, einen Rückblick auf Magath und dessen Zeit in der Hauptstadt zu werfen.

Als ich vor einigen Wochen beschlossen hatte, einen Rückblick über Magath schreiben zu wollen, ahnte ich noch nicht, welchen Rattenschwanz das nach sich ziehen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hertha gerade mit 2:0 gegen den VfB Stuttgart gewonnen und ich ging ziemlich sicher davon aus, dass wir mit Ende des 34. Spieltags über dem Strich stehen würden. Bekanntermaßen kam alles anders, Hertha musste zwei weitere Spiele im Kampf um den Platz in der Bundesliga absolvieren. Ausgerechnet gegen DEN Herzensklub von Magath, dem HSV. Ein Szenario, mit dem dieser seit Amtsantritt gerechnet hatte, wie er nach dem 1:1 bei Arminia Bielefeld zugab. Es würde ihn nicht überraschen, wenn es zu dieser Konstellation käme, sagte er. Und er sollte Recht behalten, wie so oft.

Eine überraschende Verkündung

Doch fangen wir vorne an. Also gut, ehrlich gesagt müsste man sehr weit vorne anfangen um zu verstehen, wieso Sportgeschäftsführer Fredi Bobic überhaupt in die Situation kam, Felix Magath an die Seitenlinie der Alten Dame holen zu müssen. Um es kurz zu machen: die bereits zweite Trainerlösung der Saison, Tayfun Korkut, scheiterte krachend, ein Verbleib des deutsch-türkischen Übungsleiters war nach der bis dato sieglosen Rückrunde acht Spieltage vor Schluss untragbar. Etliche Namen kursierten und die Fans stellten sich die berechtigte Frage, welcher Trainer sich die Gemengelage von sportlichem Misserfolg, schiefem Kader und ständigen externen Störgeräuschen freiwillig antun würde.

Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Und so zauberte Bobic einen Namen aus dem Hut, mit dem niemand ernsthaft gerechnet hätte: Felix Magath. Der Aschaffenburger war zuletzt vor fast zehn Jahren in der Bundesliga tätig. Anschließend folgten eher abenteuerliche Jobs wie die des Global Sports Directors bei den Würzburgers Kickers und Admira Wacker sowie zweifelhafte Auftritte als Cheftrainer in China und bei Fulham. Wie sollte dieser aus der Zeit gefallene Trainer im modernen Fußball bestehen oder gar Hertha BSC vor dem Abstieg retten? Deutschlandweit prasselte Häme, Spott und große Skepsis auf Hertha ein. Und auch die Fans des Charlottenburger Traditionsvereins zeigten sich zu großen Teilen mittelschwer entsetzt, nach Korkut schien dies nun die Krönung der schlechten Leistung von Bobic in dieser Saison zu sein.

Gutes Händchen bei der Staff-Auswahl

Doch schon auf der Antrittspressekonferenz zeigte Magath, dass er keineswegs der senile Rentner ist, den man aus dem Ruhestand zurück ins Rampenlicht der Bundesliga gezerrt hat. Er wirkte sortiert, unaufgeregt und gut vorbereitet. „Ich kann nicht anders. Ich bin Fußballer, ich will Fußball, ich liebe Fußball“, waren eine seiner ersten Worte. Man merkte schnell, dass dieser Mann die Möglichkeit genießt, sich noch einmal beweisen zu können. Auch wenn er das nach seiner spektakulären Meistersaison 2009 und den zahlreichen Rettungsaktionen bei anderen Bundesligisten eigentlich gar nicht mehr nötig hatte. Man spürte, Magath nahm diesen Job aus Überzeugung an und nicht, weil er musste. Die fürstliche Entlohnung von angeblich zwei Millionen Euro bei geglücktem Klassenerhalt spielte sicher auch eine Rolle, war aber wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für die Zusage des neuen Übungsleiters.

Der 68-jährige Cheftrainer kam jedoch nicht alleine, sondern brachte Werner Leuthard als Athletiktrainer und Mark Fotheringham als seinen Co mit. Fotheringham und Magath kannten sich aus gemeinsamen Zeiten bei FC Fulham, wo der Schotte damals noch als Spieler tätig war. Und es kam wie es kommen musste: in Berlin angekommen infizierte sich der neue Coach direkt mit Corona, durfte das erste Spiel unter seiner Amtszeit lediglich aus dem Hotel verfolgen. Die Verantwortung im Spiel gegen Hoffenheim kam vor Ort damit dem noch sehr unerfahrenen Mark Fotheringham zu.

Der Mann im Hintergrund

Was anschließend folgte, hätte märchenhafter nicht ablaufen können. Hertha gewann überraschend gegen die TSG mit 3:0, alle drei Tore folgten aus Freistößen von Marvin Plattenhardt. Jenem Plattenhardt, der die letzten Monate und Jahre über immer unsichtbarer wurde. Die vergangenen Glanzzeiten, welche ihm einen Platz bei der WM 2018 beschert hatten, waren längst vergessen. An der Seitenlinie pushte das Duo aus Fotheringham und Offensivtrainer Ibisevic die Mannschaft unermüdlich nach vorne, an Magath dachte während des Spiels niemand. Im Anschluss wurde sein Einfluss jedoch klar, er hatte vor dem Spiel und während der Halbzeit per Video zur Mannschaft gesprochen, war zudem das gesamte Spiel über Funk mit dem Trainerstab von Hertha verbunden.

Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images

Felix Magath hatte damit geschafft, was seinem Vorgänger Korkut in neun Partien davor nicht gelungen war, nämlich einen Sieg in der Rückrunde zu holen. In Berlin war damit zumindest der Glaube an einen möglichen Klassenerhalt wieder da, auch wenn Hertha vor dem Spiel auf dem 17. Tabellenplatz stand. Magath hatte seine erste Duftmarke gesetzt.

Derbydebakel

Ein paar Tage später ging es für die Profis von Hertha in ein Kurztrainingslager. Der Spitzname „Quälix“ kommt schließlich nicht von ungefähr. In Harsewinkel sollten die konditionellen Grundlagen für den Abstiegskampf im Rest der Saison gelegt werden. Das anschließende Spiel in Leverkusen ging knapp, aber verdient verloren. Hertha zeigte sich zwar engagiert, allerdings fehlte schlussendlich die Qualität, um sich gegen einen Champions-League-Aspiranten ernsthaft wehren zu können.

Spätestens nach dem verlorenen Derby gegen Union war von der positiven Stimmung seit Magaths Amtsantritt jeglicher Hauch verflogen. Auch der dritte Trainer der Saison schaffte es nicht, die Mannschaft in Derbystimmung zu versetzen. Die Kulisse im erstmals seit über zwei Jahren wieder ausverkauften Olympiastadion hätte besser nicht sein können, doch die Herthaner enttäuschten auf ganzer Linie. Mit 1:4 ging man regelrecht unter, bei Magath offenbarte sich erstmals eine Schwäche, die bis zum Hinspiel der Relegation immer wieder vortreten sollte: Fragwürdige Personalentscheidungen. Trotz eines fitten Maxi Mittelstädts brachte Felix Magath den 18-jährigen Julian Eitschberger von Anfang an. Der Youngster feiert somit ausgerechnet in einem der mit Abstand wichtigsten Spiele sein Profidebüt. Und wenn das alleine schon nicht reichen würde, geschah dies noch dazu auf einer Position, auf der Eitschberger als nomineller Rechtsverteidiger normalerweise gar nicht spielt.

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Magath hatte sich eindeutig verzockt, war er vielleicht doch nicht der richtige Mann in dieser Situation? Spätestens jetzt war klar, dass der Sieg gegen Hoffenheim nur bedingt mit dem neuen Cheftrainer zu tun hatte. Zu sehr zeigten sich altbekannte Probleme des Teams wie beispielsweise fehlende offensive Kreativität und defensive Instabilität. Ein Wunderheiler war Felix M. definitiv nicht, doch wirklich verübeln konnte man es ihm persönlich auch nicht. Kein Trainer der Welt ist in der Lage, einen komplett schief zusammengestellten Kader mitten in der Saison zum Funktionieren zu bringen, die Probleme lagen dafür viel zu tief. In der allgemeinen Katerstimmung inklusive der kritikwürdigen Trikotaktion einiger Fans verblieb lediglich der Funken Hoffnung, dass jede weitere Woche mehr Zeit bringt, damit Magath wenigstens kleine Stellschrauben verändern kann.

Erkennbare Fortschritte gegen die direkten Konkurrenten

Und er veränderte sie. In den richtungsweisenden Partien gegen die direkten Konkurrenten FC Augsburg, VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld präsentierte sich das Team von Hertha BSC wie ausgewechselt. Kampf, Leidenschaft und Wille waren auf einmal erkennbar. Auch wenn die fußballerische Idee weiterhin sehr simpel war. Man verteidigte kompakt, legte den Fokus stark auf die Defensive. Durch gezielte Konter und Flanken auf Davie Selke sollte Nadelstiche nach vorne gesetzt werden. Auch Standardsituationen stellten ein Mittel zum Erzielen von Toren dar. Dabei half natürlich, dass die Qualität der Gegner sich näher an Hertha orientierte, als es in den Spielen gegen Leverkusen und Union der Fall war. Auch die Spielverläufe lagen Hertha teilweise zu Gunsten. In Augsburg half ein einziger genialer Moment von Richter und Serdar direkt nach der Pause, gegen Stuttgart ging Hertha bereits in der vierten Minute durch Selke in Führung. Das sehr späte 2:0 ändert nur noch die Höhe des Siegs. Beim Auswärtsspiel auf der Alm in Bielefeld schoss Hertha das Führungstor nach einem Standard durch den vorhin bereits erwähnten Marvin Plattenhardt.

Doch was hatte Magath damit zu tun? Welche Veränderungen halfen der stark verunsicherten Mannschaft? Auffällig sind vor allem drei Dinge: Die Konstanz der gewählten Startaufstellung, das Hauptaugenmerk auf defensive Stabilität und Kevin-Prince Boateng.

Die beiden ersten Punkte bedingen sich dabei ein Stück gegenseitig. Wenn die Spieler wissen, wer neben ihnen steht, fällt die Abstimmung und damit auch das gemeinsame Verteidigen leichter. Die fehlende Konstanz, vor allem in der Innenverteidigung, führte oft zu großen Unsicherheiten und individuellen Fehlern. Magath setzte durchgängig auf die beiden erfahrenen Spieler Marc-Oliver Kempf und Kapitän Dedryck Boyata. Beide zeigten sich von Spiel zu Spiel sicherer. Hinzu kam die Doppelsechs bestehend aus Santiago Ascacibar und Lucas Tousart. Hertha hielt das Zentrum in der Folge oftmals und stand somit deutlich stabiler als im gesamten bisherigen Saisonverlauf. Man hatte endlich den Eindruck, dass die Spieler wüssten, welche Rolle und Aufgaben sie auf dem Feld einzunehmen hatten. Ein Verdienst, der maßgeblich auf Magath zurückgehen dürfte.

Wie der Phoenix aus der Asche

Mit der Defensive alleine gewinnt man jedoch keine Partien. Und hier kommt Prince Boateng ins Spiel. Jener Prince, der in den 29 Spieltagen vor dem Augsburg-Spiel insgesamt lediglich 422 Minuten auf dem Feld stand. Im Saisonendspurt folgten hingegen 361 weitere Minuten. Boateng brachte viele Eigenschaften mit, die Hertha während der gesamten Saison fehlten: Ballsicherheit, Spielkontrolle, offensive Kreativität und Leidenschaft. Von Magath als einziger wirklicher Führungsspieler im Kader identifiziert, zeigte dieser, warum man ihn vor der Saison geholt hat. Von außen betrachtet muss sich die Frage aufdrängen, ob Dardai und Korkut zu zögerlich waren, um Boateng reinzuwerfen oder ob dieser tatsächlich erst zum Saisonende wirklich fit wurde. Es ist schwer diese Frage ohne Einblicke ins Training und die exakte Belastungssteuerung zu beantworten – auffällig ist dennoch, dass von allen Trainern in dieser Saison erst Felix Magath den Mut besaß, voll auf Boateng zu setzen. Und der Prince zahlte dieses Vertrauen zurück.

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Psychospielchen und vergebene Chancen

Nach dem so späten wie unnötigen Ausgleichstreffer in Bielefeld verblieben Hertha noch zwei Matchbälle um den Klassenerhalt aus eigener Kraft festzumachen. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gab es vor allem zwei erwähnenswerte Äußerungen von Herthas Cheftrainer. Zum einen offenbarte er, dass er bereits mit Amtsantritt mit einer Relegation gegen den HSV rechnete. Ein Szenario, welches sich zwei Wochen später bewahrheiten sollte. Zum anderen stichelte Magath in Richtung seines ehemaligen Vereins Bayern München. Der feststehende Meister zeigte sich jedoch bis auf verbale Erwiderungen nicht wirklich beeindruckt, die Leistung gegen Stuttgart war weit von einer meisterwürdigen Form entfernt.

Da Hertha auf der anderen Seite bereits vor dem Spiel der Stuttgarter in der Allianz Arena selbst gegen Mainz verlor und auch das entscheidende Duell gegen den BVB am letzten Spieltag nicht für sich entscheiden konnte, musste der Weg in die Relegation gegangen werden. Dass der VfB Stuttgart sich selbst erst in der Nachspielzeit rettete, hinterlässt vor allem für Hertha-Fans einen faden Beigeschmack. Allerdings muss festgehalten werden, dass Hertha es über mehrere Spieltage selbst in der Hand hatte die Klasse zu halten. In den letzten drei Begegnungen am Stück kassierte man jeweils das entscheidende Gegentor in den letzten zehn Minuten. Ein Konzentrationsabfall, der nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit auftauchte, man erinnere sich an die Spiele gegen Wolfsburg, Leverkusen und Augsburg in der Hinrunde. Auch Magath zeigte sich in dieser Hinsicht recht machtlos. Er schaffte es nicht, der Mannschaft klar zu machen, dass ein Spiel 90 Minuten plus Nachspielzeit läuft. Ein Kritikpunkt, den sich der Coach gefallen lassen muss, dafür trat das Problem im Saisonschluss zu häufig auf.

Arbeitsverweigerung gegen den HSV

Und so ging es wie von Magath prophezeit gegen den Hamburger SV in die Relegation. Die Norddeutschen hatten ihre Hoffnung auf den Aufstieg eigentlich schon begraben, ehe sie mit fünf Siegen aus den letzten fünf Spielen überraschend noch auf den dritten Platz schafften. Die Mannschaft von Tim Walter stellt in gewisser Hinsicht das Gegenstück zu Hertha dar. Während die Berliner durch ihre defensive Spielweise auffielen, zeigte sich Hamburg während der Saison äußerst spielfreudig, kombinationsstark und offensiv ausgerichtet. Mit 64 Toren waren sie die drittgefährlichste Mannschaft im deutschen Unterhaus, gleichzeitig waren sie mit gerade einmal 35 Gegentoren das defensivstärkste Team.

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Im Hinspiel präsentierte sich Hertha vor ausverkauftem Olympiastadion äußerst ungefährlich und ambitionslos. Hamburg hatte mehr Aktionen, ohne dabei selbst jedoch wirklich zwingend zu werden. Durch eine missglückte Flanke erzielte Ludovit Reis eher zufällig das Siegtor für die Hanseaten. Magath schien es versäumt zu haben, der Mannschaft von Hertha klar zu machen, WIE wichtig die Relegationsspiele waren. Mit Wollschläger brachte Magath erneut wie schon gegen Union einen Nachwuchsspieler in einer Situation von Beginn an, die für ein solches Startelfdebüt gänzlich ungeeignet ist. Nachdem Wollschläger bereits in Bielefeld den Vorzug vor Belfodil erhalten hatte und maßgeblich am verpassten 2:0 beteiligt war, sollte er im ersten von zwei Endspielen um den Klassenerhalt die Sturmhoffnung darstellen. Man kann Wollschläger dafür keinen Vorwurf machen, genauso wenig wie für seine Einwechslung auf der Alm. Doch Magath steht für diese Entscheidungen zu 100 Prozent in der Verantwortung. Es entstand erneut der Eindruck, dass sich der Übungsleiter verschätzt hatte. In einer Situation in der ein solcher Fehler nicht zu tolerieren ist, noch dazu von jemanden, der die Erfahrung mehrerer Jahrzehnte als Spieler und Trainer vorzuweisen hat.

Am Ende reicht es

Doch im Rückspiel zeigte Magath dann, dass genau diese Erfahrung schlussendlich doch einer der entscheidende Faktoren zum Klassenerhalt war. Direkt nach Schlusspfiff gab er in einem Interview recht unumwunden zu, dass der von ihm so geschätzte Boateng zum Großteil für die Mannschaftsaufstellung verantwortlich war. Es erfordert eine gewisse Art der Größe seinen Spielern dermaßen zu vertrauen und eine der Kernaufgaben des Trainers, die Auswahl der Startelf, aus der Hand zu geben. Außerdem schien er vor dem Spiel die richtigen Worte gefunden zu haben, es war in vielen Belangen der vielleicht beste Auftritt der Hertha in dieser Saison. Plattenhardts Freistoß für die Ewigkeit steht symbolisch für das, was Magath in seinen zehn Wochen bei Hertha geschafft hat. Er hat den Spielern den Glauben an sich selbst zurück gegeben und diese zahlten es ihm mit den besten Leistungen der Spielzeit zurück. Boyata, Boateng, Selke, Tousart und ebenjener Plattenhardt stehen etwas symbolisch dafür, dass in diesem Team durchaus fähige Spieler vorhanden sind, es oftmals aber zusammen einfach nicht funktioniert hat. Diese über die letzten Monate im Großen und Ganzen gegangene Entwicklung, sowohl auf individueller als auch gesamtmannschaftlicher Ebene ist Magath hoch anzurechnen. Es lief nicht alles rund, auch die Trainerlegende konnte nicht alle Probleme des Kaders beheben. Doch dies ist auch nicht der Maßstab, an dem er zu messen ist. In Anbetracht der sportlichen Situation bei Magaths Amtsantritt und dem geschafften Klassenerhalt Ende Mai ist festzuhalten, dass Magath genug richtig gemacht hat, damit die Blau-Weißen auch im nächsten in der Bundesliga spielen dürfen.

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Keine Liebesgeschichte

Mit Schlusspfiff im Volksparkstadion war das Projekt Magaths beendet, dies bestätigte er vor den Mikrophonen selbst. Das sportliche Ende war jedoch noch nicht der endgültige Abschluss des gemeinsamen Kapitels. Wenige Tage später erschien beim Kicker ein Interview, in dem der Übungsleiter vergleichsweise offen über seine Zeit bei Hertha und die vielen tieferliegenden Probleme bei Hertha sprach. Er bemängelte die fehlende Hilfe im Verein, den schief zusammen gestellten Kader, welcher etliche Problemstellen aufweise und dass bei Hertha jeder zum größten Teil an sich selbst denken würde. Einen Eindruck, den vermutlich auch viele Fans von außen vorher schon hatten. Magath hat Hertha einmal mehr aufgezeigt, dass der geschaffte Verbleib in Deutschlands höchster Spielklasse lediglich den Anfang eines Prozesses darstellt. Ein Prozess den Hertha BSC dringend bedarf, um endlich langfristig besser aufgestellt zu sein. Das betrifft sowohl die Führungsebene als auch im Kader.

Magath scheint auch nach diesen zusammenschweißenden Wochen eine Distanz zum Charlottenburger Verein bewahrt zu haben. Am Ende war die Einstellung Magaths die richtige Entscheidung von Fredi Bobic, doch es scheint nicht als ob Magath langfristig viel positives mit diesem Intermezzo verbinden wird. Und so war es am Ende vor allem eins: eine Zweckgemeinschaft. Magath konnte es noch einmal allen beweisen, Hertha konnte in der Bundesliga bleiben. Eine Zusammenarbeit von der beide Seiten profitierten, doch nach nur drei Monaten gehen beide auch wieder getrennte Wege. Was sehr wahrscheinlich die richtige Entscheidung für jeden Beteiligten ist. Magath war bei Weitem nicht perfekt, aber er hat seine Aufgabe erfüllt und daher muss man vor allem eins sagen: DANKE Felix Magath.

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BVB – Hertha: Drei Schlüsselduelle

BVB – Hertha: Drei Schlüsselduelle

Die tabellarische Situation ist vor dem 34. Spieltag aus Hertha-Sicht klar und zugleich trügerisch. Bei einem Punktgewinn ist der Klassenerhalt sicher, genauso wenn der VfB Stuttgart nicht dreifach punktet. Vorteil VfB: Ein Heimspiel gegen den 1. FC Köln ist auf dem Papier zumindest die leichtere Aufgabe als ein Gastspiel beim BVB. Auf welche Duelle es im Signal-Iduna-Park ankommen kann, damit Hertha sein Schicksal in die eigene Hand nimmt, und die Klasse ohne ständigen Blick nach Stuttgart hält, lest ihr hier.

Für den BVB geht eine unruhige Saison zu Ende. Zunächst das Aus in der Champions League trotz leichter Gruppe, dann das Aus in der Europa League gegen den späteren Finalisten Glasgow Rangers. Im Pokal scheiterten die Schwarz-Gelben an Zweitligist St. Pauli. Das Meisterschaftsrennen in der Liga konnten sie nie offen halten.

Dazu die ständige Transferposse um Starstürmer Erling Haaland, der in Manchester City nun endlich einen Verein für die kommende Saison gefunden hat. Generell dürfte der Sommer in Dortmund einiges hergeben. Mit Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und Karim Adeyemi wurden immerhin schon drei namhafte Transfers eingetütet.

Dem Saisonabschluss wird bei Borussia Dortmund also entgegengefiebert. Und nach dem etwas blamablen 3:4 im letzten Heimspiel gegen den VfL Bochum dürfte es den Spielern wohl auch daran liegen, sich mit einem Erfolgserlebnis in die Sommerpause oder gar vom Verein zu verabschieden.

Marcel Lotka: Gegen den BVB zwangsläufig im Fokus

Einer, der den BVB-Spielern den Abschied in die spielfreie Zeit vermiesen könnte, ist mit Keeper Marcel Lotka einer, der im kommenden Jahr womöglich ihr Teamkollege sein könnte. Dass der HerthaBASE-Herthaner des Monats April am Sonnabend zwangsläufig im Mittelpunkt stehen wird, steht außer Frage.

Keeper Marcel Lotka spielt aktuell bei Hertha BSC, könnte ab Sommer aber für den BVB auflaufen.
(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Und das nicht wegen seines Patzers zuletzt gegen Mainz 05. Dass Lotka es besser kann, hat er in den Wochen davor mehrfach bewiesen. Vielmehr wegen des drohenden Rechtsstreits zwischen beiden Vereinen um seine Person. Als er bei Hertha sportlich keine Perspektive hatte, unterschrieb Lotka, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, einen Kontrakt bei Dortmund. Primär für die zweite Mannschaft gedacht. Weil Lotka, als die anderen Torhüter ausfielen, dann aber mit guten Leistungen auf sich aufmerksam machte, zog Hertha eine Klausel, die seinen Vertrag in der Hauptstadt über den Sommer hinaus verlängerte.

Wie die Rechtsfrage ausgeht, ist offen. Fakt ist: Beim Aufeinandertreffen beider Teams werden die Augen auf ihn gerichtet sein. Für einen 20-Jährigen eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch Lotka strahlte, seit er die Chance bei den Hertha-Profis bekam, auch mental die nötige Reife aus.

Gegen den BVB wird er nicht nur mental, sondern allen voran sportlich gefragt sein. Mit durchschnittlich 13,3 Versuchen pro 90 Minuten gibt Dortmund die viertmeisten Schüsse der Liga ab.

Zeigt sich Lotka von den Diskussionen um seine Person und dem Patzer aus der vergangenen Woche unbeeindruckt, kann er eine wichtige Grundlage bilden, damit Hertha zumindest einen Punkt holt.

Santiago Ascacibar und Lucas Tousart: Das Zentrum dicht halten

Während die Dortmunder bei den abgegebenen Torschüssen noch ganz oben dabei sind, sind sie in einer anderen Rubrik Vorletzter: Bei den geschlagenen Flanken aus dem Spiel. Kein Grund zur Sorge für den BVB, denn das Zentrum ist außergewöhnlich stark besetzt. Hier muss Hertha präsent sein.

Bereits auf der Sechs ist Dortmund mit Jude Bellingham extrem spielstark. Der Engländer ist im Spiel durchschnittlich 65,5 Mal am Ball. Dabei kommt er auf einen überragenden Wert von 3,2 schusskreierenden (top 15% im Ligavergleich) und sogar 0,6 torkreierenden Aktionen (top 5%). Auch die expected Assists pro 90 Minuten Bellinghams (0,15) unterstreichen seine für einen Sechser außergewöhnliche Torgefahr. Ihm immer wieder Druck zu geben, wird nicht alleine Aufgabe der beiden Sechser Herthas sein, hier müssen schon die Offensiven mithelfen.

Im Hinspiel besiegte Hertha den BVB mit 3:2.
(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Denn mit Marco Reus und Julian Brandt werden Lucas Tousart und Santiago Ascacibar zwei weitere, sehr spielstarke Gegenspieler haben. Brandt ist mit neun Saisontoren (dazu acht Assists) nicht nur Dortmunds zweitbester Torschütze, vielmehr ist er eine wichtige Anlaufstelle im Offensivspiel. Sein Wert von 5,43 progressiven Pässen auf 90 Minuten ist ein top-3% in der Liga. 3,17 Pässe spielt er ins letzte Drittel (top 6%). Gibt man Brandt zu viel Raum, weiß er ihn zu nutzen. Durchschnittlich bereitet er pro Spiel zwei Torschüsse direkt vor. Hieran gilt es ihn zu hindern.

Rein von den Statistiken kann Reus zwar nicht bei allem mithalten, doch seine Spielstärke ist unbestritten. Auch er spielt 3,06 Pässe ins letzte Drittel, bereitet 1,9 Torschüsse vor und weiß mit 0,93 torkreierenden Aktionen (top 4%) definitiv zu überzeugen.

Schwere Aufgaben für Tousart, der sich immerhin in einem Formhoch zu befinden scheint, und Ascacibar, der sich gegenüber seinem Auftritt gegen Mainz 05 steigern muss.

Offensive Flügel: Mehr Mut gefragt

Bei allem Lob für die starke BVB-Offensive, die Hintermannschaft kann in dieser Spielzeit nicht mithalten. 51 Gegentore kassierte Dortmund in dieser Saison bereits, die zweitmeisten in der oberen Tabellenhälfte. Besonders gegen Bochum fiel zuletzt wieder auf: Über die Flügel ist der BVB extrem anfällig.

Linksverteidiger Raphael Guerreiro mag offensiv zu den stärksten der Liga gehören, doch defensiv mangelt es an vielem. Nur 9,87 Mal übt er pro Spiel im Durchschnitt Druck aus (schwächste 5% im Ligavergleich) und das nur 3,01 Mal erfolgreich (ebenfalls schwächste 5%). Auch seine Werte von nur 1,48 Blocks und 2,22 Tackles unterstreichen, dass er defensiv nicht seine Stärken hat. 

Etwas besser sehen die Werte bei Rechtsverteidiger Felix Passlack aus, der in dieser Spielzeit allerdings erst auf 472 gespielte Minuten kommt. An seiner Stelle könnte auch Ex-Herthaner Marius Wolf spielen, dessen Statistiken im Defensivbereich sich ähnlich wie die Guerreiros lesen. Zwar übt er 18,79 Mal Druck aus, doch kommt auch nur auf 1,46 Tackles, 1,46 Blocks und gerade einmal 0,44 klärende Aktionen.

Myziane Maolida könnte aufgrund seiner Position gegen den BVB zur Alternative werden.
(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Die Dortmunder Defensive auf den Außen zu beschäftigen, könnte Hertha also zu Chancen bringen. Denn sich alleine auf die Defensive zu konzentrieren, wäre gegen die zweitbeste Offensive der Liga naiv.

Hier scheint Felix Magath jedoch über seinen Schatten springen zu müssen, zuletzt ließ der Hertha-Trainer mit Suat Serdar und Vladimir Darida zwei zentrale Spieler auf den Außen beginnen. Stattdessen könnten Maximilian Mittelstädt und Myziane Maolida (oder ein fitter Marco Richter) ernsthafte Alternativen darstellen, um den BVB zu knacken.

[Titelbild: Boris Streubel/Getty Images]

Hertha BSC – Arminia Bielefeld: Silber sicherstellen

Hertha BSC – Arminia Bielefeld: Silber sicherstellen

Die Stimmung rund um Hertha BSC könnte unter Würdigung der Gesamtumstände kaum besser sein. Mit dem zweiten Sieg in Folge gegen einen direkten Abstiegskonkurrenten hat man sich in eine hervorragende Ausgangslage für die Klassenerhalt gebracht. Doch die Saison ist nicht vorbei, ein Verbleib in der Bundesliga noch lange nicht sicher. Es gilt daher, auch gegen die Arminia aus Bielefeld an die letzten Leistungen unbedingt anzuknüpfen.

Unser Artikel zur Pressekonferenz vor dem Spiel.

Magath mahnt bei Hertha zur Vorsicht

Die pure Erleichterung und Freude, die im gesamten Stadion nach dem Tor von Belfodil zum 2:0-Endstand gegen Stuttgart zu spüren war, dürfte bei vielen Fans von Hertha auch noch tagelang danach angehalten haben. Alle wussten: dieser Moment könnte der Entscheidende im Hinblick auf den Klassenerhalt werden.

Doch Cheftrainer Felix Magath stellt klar, dass man sich noch keinesfalls am Ziel befinde: „Wir sind auf dem Weg und haben jetzt vielleicht Bronze erreicht. Wir können jetzt in Bielefeld noch Silber holen und nur darauf werden wir uns fokussieren.“ Er wäre schon zu lange dabei und hätte zu oft Dinge erlebt, die sich dann völlig verkehrt haben. Fest steht: Rechnerisch hat Hertha den Klassenerhalt nicht sicher, selbst mit einem Sieg gegen Bielefeld könnte man sich unter Umständen „nur“ das Erreichen der Relegation sichern.

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„Es geht um drei Punkte in Bielefeld, die wollen wir holen, dann haben wir wahrscheinlich wieder einen großen Schritt in Richtung Klassenerhalt, aber für was es dann reicht, werden wir hinterher auf der Tabelle ablesen können“, arbeitet Magath heraus. Der Fokus auf das eigene Spiel wurde somit noch einmal betont, auch wenn es auf der Bank sicher den einen oder anderen Blick nach Stuttgart geben dürfte, unabhängig vom eigenen Spielstand.

Nahezu unveränderte Personallage und Tousart-Lob

Was die Aufstellung angeht, lässt der Übungsleiter die Frage nach einer möglichen neuen Doppelspitze aus Selke und Belfodil schmunzelnd offen: „Lassen Sie mich heute und morgen noch ein bisschen spielen mit dem Gedanken, dass die beiden auch mal beginnen könnten, aber sicher bin ich mir dahingehend noch nicht.“

Es wäre durchaus überraschend, sollte sich die zuletzt erfolgreiche Aufstellung ändern, lediglich der nach Gelbsperre zurückgekehrte Marco Richter wird den jetzt gesperrten Vladimir Darida ersetzen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die exakt gleiche Elf wie gegen den FC Augsburg beginnen wird. Was die weiteren fehlenden Spieler angeht, hat sich im Vergleich zur letzten Woche nichts geändert, Stevan Jovetic, Lukas Klünter, Dong-Jun Lee, Kelian Nsona und Alexander Schwolow stehen weiterhin nicht zur Verfügung.

Ein besonderes Lob erfuhr derweil Rekordeinkauf Lucas Tousart: „Er ist ein echter Mannschaftssportler.“ Tousart sei ein kompletter Mittelfeldspieler, sowohl defensiv als auch offensiv. Gleichzeitig denkt Magath, das Problem für Tousarts bisherigen Schwierigkeiten in dieser Saison gefunden zu haben. Die Olympiateilnahme im letzten Sommer habe dazu geführt, dass er nicht die notwendige Pause gehabt hätte, um richtig frisch in der Saison anzukommen.

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Und auch die ungünstige sportliche Situation sei beim Einleben nicht förderlich gewesen. Eine Aussage, die man so sicher auf den Großteil der Neuzugänge in den letzten Jahren anwenden kann.

Kampfbereiter Gegner auf der Alm

Was das kommende Spiel angeht, weiß der Trainer genau, was ihn erwartet: „Das wird eine ganze harte Nuss in Bielefeld, denn auf der Alm ist es sowieso schwierig zu spielen.“ Und schiebt hinterher: „Mir braucht keiner was zu erzählen, freudig fahre ich da nicht hin, sondern konzentriert und fokussiert auf diese Aufgabe, es wird 90 Minuten ein harter Kampf, denn Bielefeld kämpft natürlich gegen uns um ihre letzte Chance uns in diesen Abstiegskampf mit reinzunehmen und daher erwarte ich eine ganz heiße und harte Partie und es wird eng werden.“

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Etwas überraschend kam es vor gut einer Woche beim kommenden Gegner zu einem Trainerwechsel. Der Torwarttrainer Marco Kostmann übernahm für den freigestellten Frank Kramer. Als Co-Trainer steht im Michael Henke zur Seite, der in dieser Rolle unter anderem schon für Ottmar Hitzfeld tätig war.

Magath zeigte sich ob der neuen möglichen taktischen und personellen Marschroute der Bielefelder allerdings nicht sonderlich besorgt: „Nach der Analyse kann man sagen, es hat sich ja nicht viel verändert bei der Arminia durch den Trainerwechsel, insofern denke ich können wir auf die Erfahrung, die wir im Laufe der Saison mit und über die Arminia gesammelt haben auch für uns kalkulieren am Wochenende.“ Klar ist aber, freiwillig wird Bielefeld keine Punkte in die Hauptstadt ziehen lassen, eine Selbstläufer wird die Partie für Hertha unter keinen Umständen.

Ungeklärte Situation zwischen Mannschaft und Fans

Der Trikot-Aktion nach dem Derby zog deutschlandweit Aufmerksamkeit auf sich. Nach den letzten zwei Spielen kam die Mannschaft aufgrund der Vorkommnisse jeweils nicht in die Kurve zum Feiern. Darauf angesprochen, ob es mittlerweile einen Dialog zwischen Mannschaft und Fans gäbe, sagte Magath: „Es gab dahingehend noch keinen Austausch, wir werden uns auch jetzt nicht vor diesem Auswärtsspiel mit dieser Problematik ablenken lassen, sondern wir werden uns auf die Partie fokussieren, damit wir da die Punkte holen. Aber rechtzeitig zum letzten Heimspiel werden wir sicher dann Gespräche geführt haben und sehen, wie wir das lösen können.“

Im Idealfall kann man zu diesem Zeitpunkt gegen Mainz bereits den Klassenerhalt feiern. Es wäre schade, wenn die Saison mit solch einem faden Beigeschmack endet. Eine Versöhnung zwischen den Beteiligten wäre daher sicher wünschenswert. Klar ist, dass die Unterstützung am kommenden Wochenende gesichert ist – das Auswärtskontingent in Bielefeld ist vollkommen ausgeschöpft. Fast 3.000 Fans werden der Mannschaft von Hertha BSC somit dabei helfen, auch den dritten Abstiegskracher in Folge zu gewinnen.

[Titelbild: Maja Hitij/Getty Images]