Die tabellarische Situation ist vor dem 34. Spieltag aus Hertha-Sicht klar und zugleich trügerisch. Bei einem Punktgewinn ist der Klassenerhalt sicher, genauso wenn der VfB Stuttgart nicht dreifach punktet. Vorteil VfB: Ein Heimspiel gegen den 1. FC Köln ist auf dem Papier zumindest die leichtere Aufgabe als ein Gastspiel beim BVB. Auf welche Duelle es im Signal-Iduna-Park ankommen kann, damit Hertha sein Schicksal in die eigene Hand nimmt, und die Klasse ohne ständigen Blick nach Stuttgart hält, lest ihr hier.
Für den BVB geht eine unruhige Saison zu Ende. Zunächst das Aus in der Champions League trotz leichter Gruppe, dann das Aus in der Europa League gegen den späteren Finalisten Glasgow Rangers. Im Pokal scheiterten die Schwarz-Gelben an Zweitligist St. Pauli. Das Meisterschaftsrennen in der Liga konnten sie nie offen halten.
Dazu die ständige Transferposse um Starstürmer Erling Haaland, der in Manchester City nun endlich einen Verein für die kommende Saison gefunden hat. Generell dürfte der Sommer in Dortmund einiges hergeben. Mit Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und Karim Adeyemi wurden immerhin schon drei namhafte Transfers eingetütet.
Dem Saisonabschluss wird bei Borussia Dortmund also entgegengefiebert. Und nach dem etwas blamablen 3:4 im letzten Heimspiel gegen den VfL Bochum dürfte es den Spielern wohl auch daran liegen, sich mit einem Erfolgserlebnis in die Sommerpause oder gar vom Verein zu verabschieden.
Marcel Lotka: Gegen den BVB zwangsläufig im Fokus
Einer, der den BVB-Spielern den Abschied in die spielfreie Zeit vermiesen könnte, ist mit Keeper Marcel Lotka einer, der im kommenden Jahr womöglich ihr Teamkollege sein könnte. Dass der HerthaBASE-Herthaner des Monats April am Sonnabend zwangsläufig im Mittelpunkt stehen wird, steht außer Frage.
Und das nicht wegen seines Patzers zuletzt gegen Mainz 05. Dass Lotka es besser kann, hat er in den Wochen davor mehrfach bewiesen. Vielmehr wegen des drohenden Rechtsstreits zwischen beiden Vereinen um seine Person. Als er bei Hertha sportlich keine Perspektive hatte, unterschrieb Lotka, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, einen Kontrakt bei Dortmund. Primär für die zweite Mannschaft gedacht. Weil Lotka, als die anderen Torhüter ausfielen, dann aber mit guten Leistungen auf sich aufmerksam machte, zog Hertha eine Klausel, die seinen Vertrag in der Hauptstadt über den Sommer hinaus verlängerte.
Wie die Rechtsfrage ausgeht, ist offen. Fakt ist: Beim Aufeinandertreffen beider Teams werden die Augen auf ihn gerichtet sein. Für einen 20-Jährigen eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch Lotka strahlte, seit er die Chance bei den Hertha-Profis bekam, auch mental die nötige Reife aus.
Gegen den BVB wird er nicht nur mental, sondern allen voran sportlich gefragt sein. Mit durchschnittlich 13,3 Versuchen pro 90 Minuten gibt Dortmund die viertmeisten Schüsse der Liga ab.
Zeigt sich Lotka von den Diskussionen um seine Person und dem Patzer aus der vergangenen Woche unbeeindruckt, kann er eine wichtige Grundlage bilden, damit Hertha zumindest einen Punkt holt.
Santiago Ascacibar und Lucas Tousart: Das Zentrum dicht halten
Während die Dortmunder bei den abgegebenen Torschüssen noch ganz oben dabei sind, sind sie in einer anderen Rubrik Vorletzter: Bei den geschlagenen Flanken aus dem Spiel. Kein Grund zur Sorge für den BVB, denn das Zentrum ist außergewöhnlich stark besetzt. Hier muss Hertha präsent sein.
Bereits auf der Sechs ist Dortmund mit Jude Bellingham extrem spielstark. Der Engländer ist im Spiel durchschnittlich 65,5 Mal am Ball. Dabei kommt er auf einen überragenden Wert von 3,2 schusskreierenden (top 15% im Ligavergleich) und sogar 0,6 torkreierenden Aktionen (top 5%). Auch die expected Assists pro 90 Minuten Bellinghams (0,15) unterstreichen seine für einen Sechser außergewöhnliche Torgefahr. Ihm immer wieder Druck zu geben, wird nicht alleine Aufgabe der beiden Sechser Herthas sein, hier müssen schon die Offensiven mithelfen.
Denn mit Marco Reus und Julian Brandt werden Lucas Tousart und Santiago Ascacibar zwei weitere, sehr spielstarke Gegenspieler haben. Brandt ist mit neun Saisontoren (dazu acht Assists) nicht nur Dortmunds zweitbester Torschütze, vielmehr ist er eine wichtige Anlaufstelle im Offensivspiel. Sein Wert von 5,43 progressiven Pässen auf 90 Minuten ist ein top-3% in der Liga. 3,17 Pässe spielt er ins letzte Drittel (top 6%). Gibt man Brandt zu viel Raum, weiß er ihn zu nutzen. Durchschnittlich bereitet er pro Spiel zwei Torschüsse direkt vor. Hieran gilt es ihn zu hindern.
Rein von den Statistiken kann Reus zwar nicht bei allem mithalten, doch seine Spielstärke ist unbestritten. Auch er spielt 3,06 Pässe ins letzte Drittel, bereitet 1,9 Torschüsse vor und weiß mit 0,93 torkreierenden Aktionen (top 4%) definitiv zu überzeugen.
Schwere Aufgaben für Tousart, der sich immerhin in einem Formhoch zu befinden scheint, und Ascacibar, der sich gegenüber seinem Auftritt gegen Mainz 05 steigern muss.
Offensive Flügel: Mehr Mut gefragt
Bei allem Lob für die starke BVB-Offensive, die Hintermannschaft kann in dieser Spielzeit nicht mithalten. 51 Gegentore kassierte Dortmund in dieser Saison bereits, die zweitmeisten in der oberen Tabellenhälfte. Besonders gegen Bochum fiel zuletzt wieder auf: Über die Flügel ist der BVB extrem anfällig.
Linksverteidiger Raphael Guerreiro mag offensiv zu den stärksten der Liga gehören, doch defensiv mangelt es an vielem. Nur 9,87 Mal übt er pro Spiel im Durchschnitt Druck aus (schwächste 5% im Ligavergleich) und das nur 3,01 Mal erfolgreich (ebenfalls schwächste 5%). Auch seine Werte von nur 1,48 Blocks und 2,22 Tackles unterstreichen, dass er defensiv nicht seine Stärken hat.
Etwas besser sehen die Werte bei Rechtsverteidiger Felix Passlack aus, der in dieser Spielzeit allerdings erst auf 472 gespielte Minuten kommt. An seiner Stelle könnte auch Ex-Herthaner Marius Wolf spielen, dessen Statistiken im Defensivbereich sich ähnlich wie die Guerreiros lesen. Zwar übt er 18,79 Mal Druck aus, doch kommt auch nur auf 1,46 Tackles, 1,46 Blocks und gerade einmal 0,44 klärende Aktionen.
Die Dortmunder Defensive auf den Außen zu beschäftigen, könnte Hertha also zu Chancen bringen. Denn sich alleine auf die Defensive zu konzentrieren, wäre gegen die zweitbeste Offensive der Liga naiv.
Hier scheint Felix Magath jedoch über seinen Schatten springen zu müssen, zuletzt ließ der Hertha-Trainer mit Suat Serdar und Vladimir Darida zwei zentrale Spieler auf den Außen beginnen. Stattdessen könnten Maximilian Mittelstädt und Myziane Maolida (oder ein fitter Marco Richter) ernsthafte Alternativen darstellen, um den BVB zu knacken.
[Titelbild: Boris Streubel/Getty Images]