Bald ein Hertha-Team in League of Legends?

Bald ein Hertha-Team in League of Legends?

Seitdem Lars Windhorst im Sommer 2019 bei Hertha BSC eingestiegen ist, hat der Verein Geld. Fast 380 Millionen Euro hat der Geschäftsmann in die “alte Dame” investiert. Dass das Geld nicht nur für die Aufbesserung des Kaders genutzt wird, ist hinlänglich bekannt. Neben der Bereinigung von Altlasten, dem Stopfen der Finanzlöcher, die durch die Coron-Krise entstanden sind und der (infra-)strukturellen Aufwertung des Vereins soll ein Teil des Geldregens laut wiederkehrenden Gerüchten auch dafür genutzt werden, in die E-Sport Szene des Computerspiels „League of Legends“ (kurz: LoL) einzusteigen. Doch lohnt sich das? Und was ist League of Legends? Dieser Text soll einen kleinen Einstieg in das Game und die dazugehörige Szene geben.

Der E-Sport wächst rasant

Mit der Installierung des neuen alten CEO Carsten Schmidt hat sich einiges bei unserer Alten Dame getan. Vor allem das Projekt „Goldelse“ diente dazu, einen umfassenden Plan mit konkreten Maßnahmen für die langfristige Entwicklung des Vereins in allen Geschäftsbereichen zu erstellen. Das Kerngeschäft Fußball macht dabei natürlich den Löwenanteil aus. Doch auch andere Stellschrauben sollen angepasst oder sogar neu entwickelt werden.

Eine dieser Stellschrauben ist eine Erweiterung des Engagements im Bereich des E-Sports. Bisher ist Hertha, so wie mittlerweile der Großteil der Vereine aus Liga 1 und 2, in der Fußballsimulation „Fifa“ vertreten. Bei einem Fußballverein ist dies natürlich auch naheliegend. Doch im E-Sport Business ist Fifa bei weitem nicht der größte Fisch im Teich. Andere Spiele wie Counterstrike, Dota 2, Valorant oder eben League of Legends haben im Schnitt wesentlich mehr Zuschauer und höhere Preisgelder. Das Finale der letztjährigen LoL-Weltmeisterschaft hatte zum Beispiel 3,8 Millionen Zuschauer und fast 15 Millionen geschaute Stunden. Die nicht veröffentlichen Zahlen aus China, dem größten Markt, sind dabei noch nicht einmal mit eingerechnet.

hertha e-sport
(Photo by Hu Chengwei/Getty Images)

Logischerweise sind diese Zahlen noch nicht mit denen vom Fußball zu vergleichen (das WM-Finale 2018 beispielsweise schauten sich über 1 Milliarde Menschen live an). Dafür sind die strukturellen Unterschiede noch zu groß. Betrachtet man die jeweilige Historie der Sportarten, verwundert das natürlich auch nicht. Der Fußball begeistert seit mittlerweile über 100 Jahren Menschen jeder Altersklasse. Die ersten Anfänge des E-Sport hingegen liegen gerade erst einmal 20 Jahre zurück, LoL gibt es seit mittlerweile gut 10 Jahren.

Bei einem Blick auf die Zuschauerzahlen von früheren League-Weltmeisterschaften verdeutlich jedoch das enorme Wachstum dieser Branche: Sahen sich 2013 noch 35 Millionen Menschen während des gesamten Turnierverlauf Spiele an, waren es 2017 schon 380 Millionen. Das ist eine Verzehnfachung in nur vier Jahren. Und auch wie im Fußball gilt: Je mehr Zuschauer, desto mehr Geld für die Beteiligten. Durch Sponsoren, Werbeeinnahmen, freiwillige Abonnements auf den Streaming-Plattformen und Reichweite generiert der E-Sports zunehmend mehr Geld. Spitzenspieler in LoL verdienen mittlerweile drei Millionen Euro und mehr pro Jahr. Zahlen, von denen selbst einige Bundesliga-Profis träumen dürften. Schon auf den ersten Blick wird damit klar: ein Einstieg in dieses Geschäftsfeld könnte sich für Hertha lohnen. Doch dazu später mehr.

So funktioniert League of Legends

Bevor wir uns die direkten Vor- und Nachteile eines Engagements anschauen, soll kurz erklärt werden, worum es in League of Legends überhaupt geht bzw. wie das Spiel von Entwickler “Riot Games” gespielt wird.

LoL gehört zur Klasse der sogenannten „MOBAs“ (Multi Online Battle Arena). Jedes Team besteht aus fünf Spielern. Jeder Spieler wählt zu Spielbeginn einen Helden (Champion) aus, der verschiedene Fähigkeiten mitbringt. Insgesamt gibt es mittlerweile über 150 verschiedene Champions. Aufgrund dieser Anzahl gleicht keine Partie LoL der anderen und es treten jedes Mal neue Situationen auf, die entsprechend gelöst werden müssen. Im Laufe des Spiels erhält jeder Spieler Gold, sei es über das Töten von Vasallen (Minions) und Champions oder Zerstören von Objekten wie zum Beispiel Türmen. Dieses Gold wird in Items investiert, um die Fähigkeiten des eigenen Champions zu verstärken.

hertha esport
Die Karte, auf der in LoL gespielt wird

Damit nicht alle planlos über die Karte rennen, ist diese in die zwei Basen der Teams aufgeteilt, welche über drei Linien (Lanes) erreichbar sind. Zwischen den Lanes liegt der Dschungel (Jungle). Räumlich getrennt werden die beiden Hälften der Teams vom Fluss (River). Das Spiel wird gewonnen, indem man zuerst das Hauptgebäude, den sogenannten Nexus, in der gegnerischen Basis zerstört oder aber der Gegner aufgibt.

Stürmer und Spielmacher in LoL

Mit Spielbeginn hat jeder Spieler eine fest zugewiesene Position auf einer der Lanes bzw. im Jungle. Innerhalb des Spiels kann man sich jedoch theoretisch frei auf der Karte bewegen. Ein kleiner Fußballvergleich: Die Außenverteidiger sind grundsätzlich in der Verteidigung angesiedelt, bei Angriffen verschieben sie aber mit auf die offensiven Seiten um eine Seite zu überladen.

Aufgrund der zugewiesenen Position und des jeweils ausgewählten Champions besitzt jeder Spieler feste Aufgaben innerhalb des Teams und des Spiels. Einige Spieler müssen den Schaden machen, andere heilen ihre Mitspieler und wieder andere sind dazu da, um Gegner zu betäuben oder einfach nur Schaden „wegzustecken“.

hertha e-sport
(Photo by Getty Images/Getty Images)

Auch hier der Querverweis zum Fußball: Der Mittelstürmer ist da um Tore zu schießen, der 10er soll Kreativität in der Offensive erzeugen, ein 6er soll abräumen und der Torwart muss Bälle halten. So oder zumindest so ähnlich sind auch die Rollen in LoL verteilt, und genauso wie beim Fußball verschieben sich bestimmte Aufgaben je nach Spielsituation (auch der 9er muss beim Gegenpressing helfen, der 6er treibt das Spiel zum Teil auch mit nach vorne an etc.).

Und ebenso wie im Fußball werden Spiele nicht grundsätzlich darüber gewonnen, indem man die besseren Einzelkönner hat. League ist gleichermaßen ein Mannschaftsspiel und es gewinnt regelmäßig das Team, welches besser zusammenarbeitet. Auch wenn Einzelkönner zu haben sicher nicht schadet, da diese ein Spiel natürlich trotzdem stark beeinflussen können.

Der E-Sport wird immer professioneller

Professionelle LoL Teams bzw. Spieler trainieren heutzutage bis zu zwölf Stunden am Tag. Es gibt ganze Trainerstäbe, Fitnessprogramme, Ernährungsberatung, Mentalcoaching, Vereine, Strukturen. Der E-Sport entwickelt sich in einem rasanten Tempo und wird immer professioneller. Fußball und andere Sportarten sind dabei sicher Vorbilder.

Womit wir zu der wohl interessantesten und wichtigsten Frage kommen: Lohnt sich ein Einstieg von Hertha BSC in League of Legends? Hierbei sollte einmal in rein finanzieller Hinsicht und einmal in Reichweite bzw. Stärkung der Marke (auch wenn dieser Begriff im Zusammenhang mit Hertha ja nicht mehr genutzt werden soll) unterschieden werden.

Schalke 04 als Vorbild?

Starten wir mit den finanziellen Aspekten. Wie zu Beginn dargestellt, fließt immer mehr Geld in den E-Sports. Europas höchste und wichtigste Liga, die LEC, funktioniert nach dem Franchise-System. Das heißt es gibt zehn permanente Teams, die sich ihren Spot innerhalb der Liga gekauft haben und dafür nun an den Gewinnen beteiligt werden. Ein sportlicher Auf- oder Abstieg ist nicht möglich.

Dass dieses System mit Vor- und Nachteilen behaftet ist, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Schalke 04, Vorreiter in puncto E-Sport in Deutschland, hatte sich 2018 für kolportierte acht Millionen Euro in die LEC eingekauft. Aufgrund der schwierigen sportlichen Situation im fußballerischen Kerngeschäft und dem damit verbundenen Zwang möglichst schnell Geld zu generieren, wurde der Slot in diesem Jahr an eine andere Organisation verkauft. Der Betrag liegt laut Medienberichten bei ca. 25 Millionen Euro. Auch hier verdeutlicht sich noch einmal das Wachstum der Branche. Schalke 04 konnte so innerhalb von drei Jahren einen Gewinn von etwa 17 Millionen Euro erwirtschaften – Geld, das dem Verein gerade sichtlich hilft.

Hertha BSC wird jedoch keine 25 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen. Unser Verein strebt dem Vernehmen nach eine Teilnahme in der deutschen „Prime League“ an. Diese funktioniert ähnlich wie die Bundesliga. Es gibt verschiedene Divisionen und zwischen diesen entsprechende Auf- und Absteiger, die über Relegationsspiele ermittelt werden. Die besten Teams aus den regionalen Ligen in den verschiedenen Ländern Europas spielen halbjährlich in den „EU Masters“, einer Art Champions League gegeneinander.

Ist ein LoL-Einstieg momentan finanziell sinnvoll?

Die regionalen Ligen bzw. die EU Master fungieren dabei als Nachwuchsschmieden, jährlich wechseln die besten Spieler dann in die Teams der LEC. Auch wenn Hertha „nur“ in der Prime League starten will, wird dies etwas kosten. Ein komplett neues Team samt Staff müsste gekauft werden, dazu die benötige Infrastruktur bereitgestellt werden. Dies bewegt sich jedoch innerhalb eine Rahmens, der für einen Bundesligisten moderat sein sollte. Zumindest wenn ein paar Millionen der Windhorst-Investition dafür bereitstehen.

Nach den neuerlich aufgetretenen Berichten um das 30-Millionen Transferplus, welches Bobic erwirtschaften musste, dem geplanten Stadionneubau und der weiterhin sicher notwendigen Stopfung der Corona-Löcher stellt sich dennoch die Frage, ob nicht jeder Euro für den sportlichen bzw. fußballerischen Bereich benötigt wird.

(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Dass sich ein Lol-Einstieg irgendwann finanziell lohnen wird, ist wahrscheinlich unbestritten. Die Frage ist jedoch, wie lange das dauern wird und ob unter den aktuellen (finanziellen) Umständen bei Hertha dieser Schritt zum momentanen Zeitpunkt sinnvoll ist.

Im E-Sport ist, genauso wie im Fußball, der sportliche Erfolg natürlich maßgeblich. Je mehr man zu Beginn investiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass relativ schnell viel Erfolg erzielt wird. Der andere Ansatz wäre, mit einem möglichst geringen Budget zu starten, Nachwuchsspieler zu entdecken, auszubilden und dann mit Gewinn zu verkaufen. Welchen Ansatz Hertha verfolgen will oder wird, liegt dabei in der Entscheidung der Geschäftsführung.

LoL als Marketing-Boost?

Nun zu den marketingtechnischen Aspekten: Es kann nicht oft genug wiederholt werden, die E-Sport Szene wächst. Sie bindet junge Menschen an sich und begeistert sie. Wer es also schafft, Menschen über den E-Sport mit dem eigenen Verein in Berührung zu bringen, schafft Werte. Dies beginnt bei Dingen wie Trikotkäufen (auch E-Sportler tragen die Trikots der Vereine, für die sie spielen) und endet bei der Bindung an den Verein.

Je mehr Leute Fans der E-Sport Marke „Hertha BSC“ werden, desto größer ist die Chance, dass sich diese auch für den Fußball von Hertha BSC interessieren. Dies betrifft zwar nur einen geringen Prozentsatz, doch der Name Hertha BSC wird zwangsläufig bekannter und für den einen oder anderen sicherlich auch positiver besetzt werden. Und in einer Welt, in der die Marke eines Fußballvereins zunehmend über den Fußball hinausgeht (zum Beispiel Juventus und PSG als Modeunternehmen), kann eine Erweiterung in andere, moderne Bereiche wie den E-Sport sicherlich nicht schaden. Hertha bemüht sich im Projekt Goldelse sehr darum, weitere Einnahmequellen zu schaffen und die Internationalisierung des Vereins voranzutreiben.

(Photo by Chung Sung-Jun/Getty Images)

Zusammengefasst würde sich ein Einstieg in League of Legends für Hertha wahrscheinlich lohnen, wenn und solange der sportliche Erfolg stimmt. Es wird in der Hand der Verantwortlichen bei Hertha BSC liegen, eine nachhaltige Strategie zu entwerfen, damit ein Team (bestehend aus Spielern, Trainern und Strukturen) aufgebaut werden kann. Diese Aufgabe liegt spätestens mit dem für alle Seiten bedauernswerten Rücktritt von Carsten Schmidt primär in der Hand von Daniel Mileg. Mileg wurde bereits im August in die Geschäftsleitung geholt (Dienstantritt 01.10.2021)und hätte eigentlich direkt unter Carsten Schmidt gestanden. Laut der Hertha-Website wird einer seiner Kernbereiche der E-Sport sein. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Personalie entwickelt.

Sofern Hertha BSC es schafft, entsprechend kompetente Leute an Bord zu holen und die E-Sport-Abteilung im Bereich League of Legends strukturiert aufzubauen, kann darauf basierend eine positive Ausstrahlung und eine solide sportliche Basis entwickelt werden. In diesem Fall spricht sehr viel für den Einstieg in LoL und sehr wenig dagegen. Schalke 04 kann hier sicher, entgegen zum fußballerischen Bereich, ein Vorbild liefern. Doch wenn auch im E-Sport so gearbeitet wird, wie die vergangenen Jahre im Fußball, hat dies das Potential eine weitere Verschwendung von dringend benötigten Geldern zu werden. Es liegt also an Hertha, die Zukunft gehört Berlin!


Ach Übrigens, wer mal einen Blick in das Spiel werfen möchte: Momentan findet zum 11. Mal die Weltmeisterschaft in LoL statt. Hier spielen die besten Teams aus jeder Region um den mit Abstand wichtigsten und prestigeträchtigsten Titel der Szene. Alle Informationen sowie die Übertragungen (in deutscher, englischer und vielen anderen Sprachen) findet man unter diesem Link.

Ein Gasttext von Benedict Puls

Titelbild: Woohae Cho/Getty Images


Die Zukunft gehört dem Berliner eSport?

Die Zukunft gehört dem Berliner eSport?

50 Jahre nach der ersten Konsole für zuhause, ist eSport ein wirtschaftliches und kulturelles Epizentrum. Auch Hertha investiert in diesen Bereich. In diesem Artikel nehmen wir das Berliner Konzept und seine Akteure unter die Lupe. Hat Hertha hier die Chance auf den sportlichen Erfolg, der ihr auf dem realen Rasen bislang verwehrt blieb?

Wer sich Mitte August eines der neuen Hertha-Trikots sichern wollte, stand zeitweise vor geschlossenen Online-Türen. Nichts ging mehr, der Shop war unter der schieren Anzahl der Anfragen zusammengebrochen. Grund war nicht das ansprechende Design der Jerseys oder die Tatsache, dass sie zeitweise ohne Brustsponsor verfügbar waren, sondern ein ganz bestimmter Spielerflock. Doch wer Stars wie Matheus Cunha oder Lucas Tousart hinter dem Ansturm erwartete, rieb sich verwundert die Augen. Nicht die Namen jüngsten Rekordtransfers zwangen den Shop in die Knie, sondern ein Spieler, den man noch nie auf dem Rasen des Olympiastadions bewundern durfte.

Elias „EliasN97 / Eligella“ Nerlich (22) dürfte trotzdem Einigen ein Begriff sein. Der junge Berliner ist Kapitän des eSport FIFA-Teams von Hertha BSC. Die alte Dame investiert nämlich schon seit 2018 verstärkt in diesen aufstrebenden Wirtschaftszweig. Die Strategie umfasste dabei laut eigenen Angaben ein aufwendiges Talent-Scouting, sowie die Gründung der ersten eSport-Akademie der Bundesliga. Neben EliasN97 stehen noch vier weitere Talente bei Hertha unter Vertrag. Eligella scheint aber der schillernde Mittelpunkt der Akademie und des Marketingkonzepts zu sein. Neben der Tätigkeit als FIFA-Profi und Streamer, wird der Berliner, der mit Profis, wie Eigengewächs Jordan Torunarigha (23) und Ex-Herthaner Sidney Friede (22) gut befreundet ist, regelmäßig in die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins miteinbezogen.

So sammelte der eSportler in einem Spenden-Stream 6000€ für Beschäftigte der Charité und wirkte in Werbekampagnen von EDEKA mit. Der Erfolg dieser Vermarktung spricht durch den eingangs erwähnten Ansturm auf die limitierten Trikots für sich.  

Das Milliardengeschäft mit den Spielen

Kompetitive Computerspiele sind ein weltweites Milliardengeschäft, was sich auch in Deutschland zu lohnen scheint. Das Beratungsunternehmen „Deloitte“ prognostizierte 2016 eine jährliche Umsatzsteigerung von fast 30 Prozent. Von 50 Millionen Euro im Jahr 2016 sollte sich der deutschlandweite Umsatz 2020 auf 130 Millionen Euro entwickeln und damit Handball, Basketball und Eishockey hinter sich lassen. Das Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, zeigt sich an der realen Marktentwicklung. Sagte Deloitte 2016 für 2018 noch einen Umsatz von 90 Millionen Euro voraus, waren es am Ende nur 70. Nichts destotrotz ist der virtuelle Sport ein potenter Markt und zieht vermehrt Interessenten aus der ganzen Welt an.

Photo by Clive Rose/Getty Images

So hat unteranderem Nationaltorwart Bernd Leno ein eigenes eSports-Team und auch NBA Franchises wie die Golden State Warriors haben eigene virtuelle Ableger ins Leben gerufen. Anfängliche Einwände, wie vom damaligen FC Bayern Präsidenten Uli Hoeneß:  “Es wäre totaler Schwachsinn, wenn der Staat nur einen Euro dazugeben würde. Junge Leute sollen Sport auf dem Trainingsplatz treiben.”, wurden angesichts des Potentials dieses Phänomens zurückgestellt. Seit Anfang dieses Jahres haben die Münchener eine eigene eSport Abteilung. Dabei umfasst dieses Engagement eine mit kolportierten 15 Millionen Euro dotierte Partnerschaft mit dem Spieleentwickler KONAMI (Pro Evolution Soccer).

Der BVB hingegen, dessen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, das ganze Thema 2016 noch als „komplett scheiße“ abtat, plant auch nach aktuellem Stand nicht mit dem Aufbau einer eigenen Abteilung. Angesichts der steigenden Umsatzzahlen gibt es hier sicher noch viel Gelegenheit diese Haltung zu überdenken. 

Schalke mal ganz vorne

In Deutschland war Schalke 04 einer der ersten Profivereine, der den Sprung ins kalte Wasser des virtuellen Sports wagte. Jedoch begannen sie ihr Engagement nicht mit FIFA, sondern mit dem Platzhirsch des eSports: dem Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Spiel „League of Legends (LoL)“. Nach einem desaströsen, mit dem Abstieg endenden ersten Jahr in dieser Disziplin, kämpften sich die Gelsenkirchener in den darauf folgenden Spielzeiten in die höchste LoL-Liga zurück. Hier zählen sie nicht unbedingt zu den Top-Mannschaften, aber liegen stabil im Mittelfeld – etwas, das sich sich die Fußballer auf dem Platz für diese Saison wohl ebenfalls wünschen.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Paris Saint-Gemain. Als vielversprechendes Projekt gestartet, löste der französische Hauptstadtklub sein LoL-Team nach nur einem Jahr wieder auf.

Schalke hingegen weitete sein Engagement schrittweise aus. Neben einem LoL-Team, stellen die Knappen inzwischen auch ein FIFA und Pro Evolution Soccer Team. Das Ziel hierbei ist: „das Kerngeschäft Fußball mit einem nachhaltigen und profitablen Engagement [zu] unterstützen.“

Quo vadis, Hertha eSport?

Dass gutes Marketing alleine noch keine Spiele gewinnt (bitte auch Paul Keuter und Michael Preetz sagen), zeigt ein Blick auf die Tabelle der virtuellen Bundesliga. Hier steht Hertha, vertreten von EliasN97 und Leon „HBSC Blackarrow“ Aussieker abgeschlagen auf dem 19. von 22. Tabellenplätzen. Angesichts von Herthas Herangehensweise auf junge Talente zu setzen und diese zu Vollblutprofis auszubilden, ist eine verzögerte Erfolgsentwicklung sicherlich nachvollziehbar. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage, welches Ziel der Verein mit seinem eSports-Team verfolgt.

Foto: IMAGO

Im Moment hat der Verein nur die Fußballsimulation FIFA im Programm. Ob weitere Disziplinen folgen sollen, ist unklar. Trotz der erwähnten Millionenumsätze sind Sportsimulationen nicht unbedingt das Zugpferd des eSport. Hier dominieren Shooter, (Counterstrike, Overwatch) und MOBAs (League of Legends, DOTA II). Erstere sind für gestandene Sportvereine jedoch ein schwieriges Thema. Die Clubs haben kein Interesse daran mit Spielen assoziiert zu werden, die Gewalt explizit darstellen. Die virtuelle Terroristenjagd ist nicht unbedingt familientauglich. Ob eine Fußballsimulation-Abteilung, also wirklich einen wirtschaftlich signifikanten Beitrag zu den Finanzen eines Bundesligisten leisten kann, ist fraglich und wenn überhaupt nur über Sponsorendeals, wie im Fall Bayern Münchens, zu realisieren.

Zur Einordung: Der Sieger der virtuellen Bundesliga erhält in diesem Jahr neben dem Titel des deutschen Meisters ein Preisgeld von 45.000 €. Zum Vergleich: Hertha erzielte 2018, also vor dem Einstieg TENNORs einen Umsatz von ca. 150 Millionen €, wovon 4,1 Millionen als Gewinn verbucht werden konnten.

Alles nur PR?

Was will Hertha also erreichen? Die Investitionen in FIFA könnten sich in einer allgemeinen Bindung an den Verein niederschlagen. Hier muss allerdings festgestellt werden, dass FIFA-Zuschauer*innen wahrscheinlich eh fußballbegeistert sind. Ob eine gute Inszenierung, bei (aktuell noch) nicht existentem sportlichen Erfolg, Fans ihrem Stammverein abspenstig macht, wird sich zeigen. Grundsätzlich bietet eine eSport-Abteilung dennoch einen potenziellen Anlaufpunkt für junge Herthaner-to-be.

Wie das aussehen könnte, zeigt sich wieder am Beispiel Eligella. Fast tägliche Streams (nicht auf Facebook), aktive Instagram- und Twitter-Auftritte erzeugen Nähe und Bindung. Die Interaktion mit den Zuschauer*innen macht ihn viel nahbarer als manchen Akteur der Lizenzspielerabteilung. Dabei nimmt er kein Blatt vor dem Mund und tätigt manche Äußerungen, die sich ein Bundesligaspieler niemals trauen würden. Aber vielleicht ist es auch diese Eigenart, die ihm eine so treue Fanbase sichert.

Dass Hertha im Bereich der Fangewinnung auch das long-game spielt, zeigen auch Aktionen, wie Kids4Free, bei dem Kinder unter 14 Jahren Spiele der alten Dame umsonst besuchen dürfen.

Die Erfahrungen im FIFA-Bereich könnten auch dazu genutzt werden, um andere Disziplinen nach und nach zu besetzen. Gleichzeitig bietet jeder eSports-Titel natürlich auch einen Prestigegewinn.

Hertha ist mehr als nur Fußball

Was allerdings gerne vergessen wird, ist, dass Hertha mehr als nur eine Fußballabteilung ist. Neben dem schönen Spiel erprobt sich die alte Dame auch im Tischtennis, Kegeln und Boxen und neuerdings sogar Blindenfußball. In keinem dieser Bereiche allerdings mit jüngsten Erfolgen auf Bundesebene.

Bei allen strategischen Überlegungen muss man deshalb anerkennen, dass es sich bei den Hertha-eSport-Athleten um junge Menschen handelt, die es geschafft haben, ihr Hobby zum Beruf zu machen, was grundsätzlich unterstützenswert ist. Hier ist das von Hertha verfolgte ganzheitliche Trainingskonzept, inklusive Social Media und Ernährungsberatung samt Mentaltraining erstmal als vorbildlich zu bewerten. Auch wenn sportlicher Erfolg in allen Bereichen sicher großartig ist, darf man dabei seine Spieler nicht als bloßes Mittel zum Zweck ansehen.

Unterm Strich steht daher die Liebe zum (virtuellen) Sport und das Engagement eines Traditionsclubs. Beides könnte dazu beitragen, dass eSport sowohl von Sportfunktionären*innen, als auch Poliker*innen endlich ernst genommen wird. Die Ignoranz, die diesem Thema teilweise entgegengebracht wird, zeugt von einem erschreckend mangelhaften Verständnis der Lebensrealität von Jugendlichen.

Dass sich das ganze Projekt auch für die Spieler lohnt, konnte man zuletzt auf Elias‘ Instagram Account sehen. Stolz präsentierte das Berliner Aushängeschild seinen nagelneuen Mercedes AMG. Angesichts dessen, dass auch er Teil der Hertha-Familie ist, sei es ihm absolut gegönnt.

[Titelbild: IMAGO]