Die Zukunft gehört dem Berliner eSport?

von Sep 23, 2020

50 Jahre nach der ersten Konsole für zuhause, ist eSport ein wirtschaftliches und kulturelles Epizentrum. Auch Hertha investiert in diesen Bereich. In diesem Artikel nehmen wir das Berliner Konzept und seine Akteure unter die Lupe. Hat Hertha hier die Chance auf den sportlichen Erfolg, der ihr auf dem realen Rasen bislang verwehrt blieb?

Wer sich Mitte August eines der neuen Hertha-Trikots sichern wollte, stand zeitweise vor geschlossenen Online-Türen. Nichts ging mehr, der Shop war unter der schieren Anzahl der Anfragen zusammengebrochen. Grund war nicht das ansprechende Design der Jerseys oder die Tatsache, dass sie zeitweise ohne Brustsponsor verfügbar waren, sondern ein ganz bestimmter Spielerflock. Doch wer Stars wie Matheus Cunha oder Lucas Tousart hinter dem Ansturm erwartete, rieb sich verwundert die Augen. Nicht die Namen jüngsten Rekordtransfers zwangen den Shop in die Knie, sondern ein Spieler, den man noch nie auf dem Rasen des Olympiastadions bewundern durfte.

Elias „EliasN97 / Eligella“ Nerlich (22) dürfte trotzdem Einigen ein Begriff sein. Der junge Berliner ist Kapitän des eSport FIFA-Teams von Hertha BSC. Die alte Dame investiert nämlich schon seit 2018 verstärkt in diesen aufstrebenden Wirtschaftszweig. Die Strategie umfasste dabei laut eigenen Angaben ein aufwendiges Talent-Scouting, sowie die Gründung der ersten eSport-Akademie der Bundesliga. Neben EliasN97 stehen noch vier weitere Talente bei Hertha unter Vertrag. Eligella scheint aber der schillernde Mittelpunkt der Akademie und des Marketingkonzepts zu sein. Neben der Tätigkeit als FIFA-Profi und Streamer, wird der Berliner, der mit Profis, wie Eigengewächs Jordan Torunarigha (23) und Ex-Herthaner Sidney Friede (22) gut befreundet ist, regelmäßig in die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins miteinbezogen.

So sammelte der eSportler in einem Spenden-Stream 6000€ für Beschäftigte der Charité und wirkte in Werbekampagnen von EDEKA mit. Der Erfolg dieser Vermarktung spricht durch den eingangs erwähnten Ansturm auf die limitierten Trikots für sich.  

Das Milliardengeschäft mit den Spielen

Kompetitive Computerspiele sind ein weltweites Milliardengeschäft, was sich auch in Deutschland zu lohnen scheint. Das Beratungsunternehmen „Deloitte“ prognostizierte 2016 eine jährliche Umsatzsteigerung von fast 30 Prozent. Von 50 Millionen Euro im Jahr 2016 sollte sich der deutschlandweite Umsatz 2020 auf 130 Millionen Euro entwickeln und damit Handball, Basketball und Eishockey hinter sich lassen. Das Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, zeigt sich an der realen Marktentwicklung. Sagte Deloitte 2016 für 2018 noch einen Umsatz von 90 Millionen Euro voraus, waren es am Ende nur 70. Nichts destotrotz ist der virtuelle Sport ein potenter Markt und zieht vermehrt Interessenten aus der ganzen Welt an.

Photo by Clive Rose/Getty Images

So hat unteranderem Nationaltorwart Bernd Leno ein eigenes eSports-Team und auch NBA Franchises wie die Golden State Warriors haben eigene virtuelle Ableger ins Leben gerufen. Anfängliche Einwände, wie vom damaligen FC Bayern Präsidenten Uli Hoeneß:  “Es wäre totaler Schwachsinn, wenn der Staat nur einen Euro dazugeben würde. Junge Leute sollen Sport auf dem Trainingsplatz treiben.”, wurden angesichts des Potentials dieses Phänomens zurückgestellt. Seit Anfang dieses Jahres haben die Münchener eine eigene eSport Abteilung. Dabei umfasst dieses Engagement eine mit kolportierten 15 Millionen Euro dotierte Partnerschaft mit dem Spieleentwickler KONAMI (Pro Evolution Soccer).

Der BVB hingegen, dessen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, das ganze Thema 2016 noch als „komplett scheiße“ abtat, plant auch nach aktuellem Stand nicht mit dem Aufbau einer eigenen Abteilung. Angesichts der steigenden Umsatzzahlen gibt es hier sicher noch viel Gelegenheit diese Haltung zu überdenken. 

Schalke mal ganz vorne

In Deutschland war Schalke 04 einer der ersten Profivereine, der den Sprung ins kalte Wasser des virtuellen Sports wagte. Jedoch begannen sie ihr Engagement nicht mit FIFA, sondern mit dem Platzhirsch des eSports: dem Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Spiel „League of Legends (LoL)“. Nach einem desaströsen, mit dem Abstieg endenden ersten Jahr in dieser Disziplin, kämpften sich die Gelsenkirchener in den darauf folgenden Spielzeiten in die höchste LoL-Liga zurück. Hier zählen sie nicht unbedingt zu den Top-Mannschaften, aber liegen stabil im Mittelfeld – etwas, das sich sich die Fußballer auf dem Platz für diese Saison wohl ebenfalls wünschen.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Paris Saint-Gemain. Als vielversprechendes Projekt gestartet, löste der französische Hauptstadtklub sein LoL-Team nach nur einem Jahr wieder auf.

Schalke hingegen weitete sein Engagement schrittweise aus. Neben einem LoL-Team, stellen die Knappen inzwischen auch ein FIFA und Pro Evolution Soccer Team. Das Ziel hierbei ist: „das Kerngeschäft Fußball mit einem nachhaltigen und profitablen Engagement [zu] unterstützen.“

Quo vadis, Hertha eSport?

Dass gutes Marketing alleine noch keine Spiele gewinnt (bitte auch Paul Keuter und Michael Preetz sagen), zeigt ein Blick auf die Tabelle der virtuellen Bundesliga. Hier steht Hertha, vertreten von EliasN97 und Leon „HBSC Blackarrow“ Aussieker abgeschlagen auf dem 19. von 22. Tabellenplätzen. Angesichts von Herthas Herangehensweise auf junge Talente zu setzen und diese zu Vollblutprofis auszubilden, ist eine verzögerte Erfolgsentwicklung sicherlich nachvollziehbar. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage, welches Ziel der Verein mit seinem eSports-Team verfolgt.

Foto: IMAGO

Im Moment hat der Verein nur die Fußballsimulation FIFA im Programm. Ob weitere Disziplinen folgen sollen, ist unklar. Trotz der erwähnten Millionenumsätze sind Sportsimulationen nicht unbedingt das Zugpferd des eSport. Hier dominieren Shooter, (Counterstrike, Overwatch) und MOBAs (League of Legends, DOTA II). Erstere sind für gestandene Sportvereine jedoch ein schwieriges Thema. Die Clubs haben kein Interesse daran mit Spielen assoziiert zu werden, die Gewalt explizit darstellen. Die virtuelle Terroristenjagd ist nicht unbedingt familientauglich. Ob eine Fußballsimulation-Abteilung, also wirklich einen wirtschaftlich signifikanten Beitrag zu den Finanzen eines Bundesligisten leisten kann, ist fraglich und wenn überhaupt nur über Sponsorendeals, wie im Fall Bayern Münchens, zu realisieren.

Zur Einordung: Der Sieger der virtuellen Bundesliga erhält in diesem Jahr neben dem Titel des deutschen Meisters ein Preisgeld von 45.000 €. Zum Vergleich: Hertha erzielte 2018, also vor dem Einstieg TENNORs einen Umsatz von ca. 150 Millionen €, wovon 4,1 Millionen als Gewinn verbucht werden konnten.

Alles nur PR?

Was will Hertha also erreichen? Die Investitionen in FIFA könnten sich in einer allgemeinen Bindung an den Verein niederschlagen. Hier muss allerdings festgestellt werden, dass FIFA-Zuschauer*innen wahrscheinlich eh fußballbegeistert sind. Ob eine gute Inszenierung, bei (aktuell noch) nicht existentem sportlichen Erfolg, Fans ihrem Stammverein abspenstig macht, wird sich zeigen. Grundsätzlich bietet eine eSport-Abteilung dennoch einen potenziellen Anlaufpunkt für junge Herthaner-to-be.

Wie das aussehen könnte, zeigt sich wieder am Beispiel Eligella. Fast tägliche Streams (nicht auf Facebook), aktive Instagram- und Twitter-Auftritte erzeugen Nähe und Bindung. Die Interaktion mit den Zuschauer*innen macht ihn viel nahbarer als manchen Akteur der Lizenzspielerabteilung. Dabei nimmt er kein Blatt vor dem Mund und tätigt manche Äußerungen, die sich ein Bundesligaspieler niemals trauen würden. Aber vielleicht ist es auch diese Eigenart, die ihm eine so treue Fanbase sichert.

Dass Hertha im Bereich der Fangewinnung auch das long-game spielt, zeigen auch Aktionen, wie Kids4Free, bei dem Kinder unter 14 Jahren Spiele der alten Dame umsonst besuchen dürfen.

Die Erfahrungen im FIFA-Bereich könnten auch dazu genutzt werden, um andere Disziplinen nach und nach zu besetzen. Gleichzeitig bietet jeder eSports-Titel natürlich auch einen Prestigegewinn.

Hertha ist mehr als nur Fußball

Was allerdings gerne vergessen wird, ist, dass Hertha mehr als nur eine Fußballabteilung ist. Neben dem schönen Spiel erprobt sich die alte Dame auch im Tischtennis, Kegeln und Boxen und neuerdings sogar Blindenfußball. In keinem dieser Bereiche allerdings mit jüngsten Erfolgen auf Bundesebene.

Bei allen strategischen Überlegungen muss man deshalb anerkennen, dass es sich bei den Hertha-eSport-Athleten um junge Menschen handelt, die es geschafft haben, ihr Hobby zum Beruf zu machen, was grundsätzlich unterstützenswert ist. Hier ist das von Hertha verfolgte ganzheitliche Trainingskonzept, inklusive Social Media und Ernährungsberatung samt Mentaltraining erstmal als vorbildlich zu bewerten. Auch wenn sportlicher Erfolg in allen Bereichen sicher großartig ist, darf man dabei seine Spieler nicht als bloßes Mittel zum Zweck ansehen.

Unterm Strich steht daher die Liebe zum (virtuellen) Sport und das Engagement eines Traditionsclubs. Beides könnte dazu beitragen, dass eSport sowohl von Sportfunktionären*innen, als auch Poliker*innen endlich ernst genommen wird. Die Ignoranz, die diesem Thema teilweise entgegengebracht wird, zeugt von einem erschreckend mangelhaften Verständnis der Lebensrealität von Jugendlichen.

Dass sich das ganze Projekt auch für die Spieler lohnt, konnte man zuletzt auf Elias‘ Instagram Account sehen. Stolz präsentierte das Berliner Aushängeschild seinen nagelneuen Mercedes AMG. Angesichts dessen, dass auch er Teil der Hertha-Familie ist, sei es ihm absolut gegönnt.

[Titelbild: IMAGO]

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Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, hat sich die Gruppa Süd entschlossen, Geld zu sammeln und damit die Menschen in und um die Kriegsgebiete zu unterstützen. Davon werden speziell Hygieneartikel für Frauen und Babys sowie haltbare Lebensmittel gekauft. Die Spenden werden direkt an die polnisch-ukrainische Grenze geliefert, sodass den Menschen unmittelbar geholfen wird.

ÜBER DEN AUTOR

Niklas Döbler

Niklas Döbler

Hat Psychologie nur deshalb studiert um mit dem Frust des Hertha-Fan-Seins umgehen zu können. Schreibt viel zu komplizierte Texte über viel zu einfache Themen.

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