Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Flügelstürmer

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Flügelstürmer

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte. In diesem Teil wird die Position der Außenstürmer näher beleuchtet.

Lukebakio und die Veränderung des Stellenprofils

Er war der Spieler, dessen Transfer im Sommer an der Spree für das größte Erstaunen sorgte. Mit der Verpflichtung von Dodi Lukebakio landete Michael Preetz zum wiederholten Male einen echten Coup. Wie schon bei Mitchell Weiser, Valentino Lazaro und Niklas Stark – um nur einige zu nennen – schaffte es „Der Lange“ erneut, einen jungen Spieler mit hohem Entwicklungspotenzial in die Hauptstadt zu lotsen. Ein typischer Preetz-Transfer also? Nicht ganz. Denn die Ablösesumme von rund 20 Millionen Euro war ein Wert, an den man zu diesem Zeitpunkt im blau-weißen Umfeld noch nicht gewohnt war. Dass der Preis nach Lukebakios erster Bundesligasaison in Düsseldorf, in der er 14 Torbeteiligungen in 31 Spielen verzeichnete, seine Berechtigung hatte, daran gab es kaum Zweifel. Dass Hertha jedoch bereit ist, derartige Summen zu zahlen – das war neu. Doch Hertha war im zurückliegenden Transfersommer zweifelsohne zum Handeln gezwungen. Nachdem Valentino Lazaro den Klub gen Mailand verlassen hatte, war klar, dass es zwingend offensive Qualität für die rechte Seite brauchen würde. Auch, weil Mathew Leckie, der diese Position mehr oder weniger im Wechsel mit Lazaro bekleidete, zum einen in der Vorsaison primär durch Verletzungen auffiel und zum anderen auch bei vollständiger Gesundheit weit von der Form zu Beginn seiner Berlin-Zeit entfernt war. Da man sich entschied, auf der Rechtsverteidiger-Position nicht nachzurüsten und stattdessen auf Klünter und Pekarik zu vertrauen, war klar, dass es von nun an ein klar offensiv denkender Mann für den Flügel richten muss, der die fehlende Kreativität und Torgefahr seiner Hinterleute ausgleicht. Dementsprechend groß waren die Erwartungen an den – zu diesem Zeitpunkt – Rekordtransfer.

Lukebakios Treffer zum 2:0 im Derby gegen Union. (Photo by STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images)

Der Start sollte dann jedoch, analog zu dem des Vereins, etwas holprig verlaufen. War er am ersten Spieltag mit dem Tor in München, das Hertha zum Remis verhalf, noch obenauf, ging es danach ebenso rasant bergab. Die folgenden drei Spiele, die Hertha allesamt verlor, sah auch Lukebakio alles andere als gut aus. Immer wieder schlichen sich Schwächen in der Ballbehandlung sowie der Chancenverwertung ein, sodass Trainer Ante Covic seinen Königstransfer am fünften Spieltag erstmals auf die Bank beorderte. Nachdem Hertha gegen Paderborn den ersten Saisonsieg einfuhr, sollte sich Lukebakio auch bei den kommenden beiden Siegen gegen Köln und Düsseldorf sowie dem Remis in Bremen nicht in der Startelf wiederfinden.

Statt Stunk zu machen, bewies der Belgier jedoch Moral und empfahl sich über vielversprechende Kurzeinsätze, in denen er in allen drei Spielen jeweils an einem Treffer beteiligt war, wieder für die Startelf, aus der er seitdem auch nicht mehr wegzudenken ist. Sieben Treffer und ebenso viele Vorlagen können sich, insbesondere angesichts der durchwachsenen Saison von Hertha, durchaus sehen lassen. Dennoch ist es keineswegs so, als wäre der Offensivmann frei von Kritik. Zum Saisonendspurt hin wurde er von Labbadia nach schwacher Vorstellung in Dortmund öffentlich für seine Leistung kritisiert und trotz Herthas zu dem Zeitpunkt dünner Personaldecke im Spiel darauf auf die Bank gesetzt. Insbesondere die fehlende Bereitschaft zur Defensivarbeit und seine vermehrt lustlose Körpersprache standen in der Kritik. Doch auch aus diesem Zwischentief konnte sich Lukebakio befreien – erzielte zunächst ein Traumtor gegen Freiburg, das jedoch aberkannt wurde und war beim Überraschungssieg gegen Leverkusen – dann auch regulär – an beiden Treffern direkt beteiligt.

Fazit: Bei all der (berechtigten) Kritik, die sich Lukebakio in seinen beiden Schwächephasen anhören musste, sollte nicht vergessen werden, dass es hierbei um einen 22-jährigen geht, der noch weit entfernt von seinem Leistungszenit ist und aller Widerstände zum Trotz 14 Scorerpunkte vorweisen kann. Wenn Labbadia es schafft, Lukebakios klar benennbare Defizite zu beheben, dann kann Hertha in den kommenden Jahren noch viel Freunde an ihm haben.

Das Juwel im Entwicklungsstopp

Zahlen, wie sie Lukebakio vorweisen kann, hätte man sich in der abgelaufenen Saison auch von Javairo Dilrosun erhofft. Der bis zur Verpflichtung von Matheus Cunha wohl talentierteste und technisch versierteste Spieler im Berliner Kader, bringt in seinen Anlagen alles mit, das es braucht, um eine wichtige Rolle in Herthas ambitionierten Zukunftsplänen zu spielen. Zu Beginn der Saison sah es so aus, als könnte er diesen Erwartungen bereits jetzt schon gerecht werden. Nachdem er den Saisonauftakt verletzungsbedingt verpasste, zählte er ab dem fünften Spieltag zum Stammpersonal und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Hertha zwischenzeitlich zehn Zähler aus vier Partien einheimsen konnte. Vier Torbeteiligungen sammelte er in diesen Partien. Die drei Tore, die er dabei selbst schoss, waren allesamt solche für die Galerie. In dieser Phase war allein Dilrosuns Spielfreude das Eintrittsgeld wert.

Ließ sein Können leider viel zu selten aufblitzen: Javairo Dilrosun by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Doch leider waren mit dem abrupten Ende des zwischenzeitlichen Aufschwungs Herthas auch die Jubel-Wochen von Dilrosun vorbei. Zwar gehörte er unter allen drei Trainern bis zu Labbadia zum Stammpersonal, allein seine Leistungen rechtfertigten das Vertrauen nicht mehr. Vom siebten bis zum 28. Spieltag gelang dem Niederländer keine einzige Torbeteiligung mehr. Regelmäßig tauchte er komplette 90 Minuten ab. Zweifelsohne kann man die Schuld nicht allein ihm zuschreiben. Auch der fußballverneinende Stil von Klinsmann/Nouri tat sein Übriges. Dennoch darf und muss man von einem Spieler dieser Güteklasse mehr erwarten. Es passt zur Saison Dilrosuns, dass dieser sich, gerade, als Labbadia begann, auf ihn zu setzen und er sich gegen Augsburg mit einem – natürlich – sehenswerten Treffer für das Vertrauen revanchierte, erneut eine Verletzung zuzog und für den Rest der Saison ausfiel.

Fazit: Die nächste Saison könnte der Wegweiser sein, in welche Richtung sich Dilrosuns Karriere entwickelt. Bleibt er im Status des Talents hängen, das hin und wieder seine außergewöhnliche Klasse aufblitzen lässt, oder gelingt es ihm, Konstanz in seine Leistungen zu bringen? Viel wird auch davon abhängen, inwieweit er dabei von Verletzungen verschont bleibt. Ein anderer Faktor ist, welche Position Labbadia für den Flügelflitzer vorsieht. Denn auf Dilrosuns Stammposition – dem linken Flügel – fühlt sich neuerdings noch ein anderer Spieler recht wohl.

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Matheus Cunha – ein Spieler für die besonderen Momente (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Hacunha Matata

Wo soll man da nur anfangen? All den Ärger, den man mit Hertha in den letzten Jahren, ach, Jahrzehnten hatte; all die verpassten Chancen auf das europäische Geschäft; all die Stresspickel, die hervortreten, wenn man an Jens Lehmann und Jürgen Klinsmann denkt – all das rät für ein paar Minuten in Vergessenheit, wenn man diesen Spieler auf dem Feld bewundern darf. Was Matheus Cunha seit seiner Ankunft aus Leipzig im Winter auf den Rasen zaubert, erinnert phasenweise tatsächlich an den großen Marcelinho.

In gerade einmal elf Partien brillierte sich der Brasilianer ins Herz aller blau-weißen Anhänger. Seine Torgefahr, seine Kreativität, seine Technik, seine Abschlussstärke – eigentlich kann man sich Spiel um Spiel nur verwundert die Augen reiben und fragen, wie sich ein Spieler dieser Qualität nach Berlin verirren konnte. Natürlich kann, wenn die rosa-rote Brille abgesetzt wird, auch hier an der einen oder anderen Stelle noch Luft nach oben erkannt werden. So darf sich Cunha hin und wieder auch gern mal etwas früher vom Ball trennen und sich des eigenen Spielwitzes etwas weniger bewusst sein. Andererseits: Wenn das Resultat dessen solche Tore, wie das gegen Hoffenheim sind, wer möchte ihm dann derartige Aktionen verbieten? In diesem Sinne: Einfach genießen, solange er noch nicht gemerkt hat, dass er eigentlich für Höheres bestimmt ist.

Fazit: Über den Sommer in Watte einpacken und beten, dass er fit bleibt.

Der unwürdige Abgang eines Superstars

Während man bei Cunha aus dem Schwärmen kaum herauskommt, verlief die Saison von Salomon Kalou gänzlich anders. Dabei wurde schon früh deutlich, dass es wohl nicht sein Jahr werden würde. Neu-Coach Ante Covic ließ Kalou lediglich bei der Niederlage gegen Wolfsburg von Beginn an spielen. Unter Klinsmann/Nouri wurde die Bilanz gar noch düsterer. Nur ein Kurzeinsatz über zwölf Minuten am 13. Spieltag gegen den BVB sollte hinzukommen. Dies waren gleichzeitig seine letzten Minuten im blau-weißen Trikot. In das Wintertrainingslager unter Jürgen Klinsmann durfte er nicht mehr mitfahren, ein frühzeitiger Abgang stand im Raum.

Gerade in den großen Spielen trumpfte Kalou immer wieder auf. (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Wie es dann letzten Endes zum finalen Aus bei Hertha kam, wurde hinlänglich durch jedes Medium getrieben und soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Die Umstände des Ganzen werfen aber doch ein paar Fragen auf. Dass Kalou für seine Aktion bestraft gehört, ist wohl unstrittig. Ob es aber angemessen war, ihn allein für die Verfehlungen eines ganzen Vereins, oder besser gesagt einer ganzen Branche, verantwortlich zu machen, darf zumindest in Frage gestellt werden. So muss sich Hertha, mal wieder, den Vorwurf gefallen lassen, einen verdienten Spieler nicht den ihm zustehenden Abschied bereitet zu haben. Immerhin muss man sich an der Stelle nochmal in Erinnerung rufen, dass hier von einem Spieler die Rede ist, der in 151 Spielen 65 Torbeteiligungen für Hertha sammelte und maßgenblich daran beteiligt war, aus der einstigen Fahrstuhlmannschaft einen Europa League-Teilnehmer zu machen. Doch nicht nur sportlich war auf den Ivorer Verlass.

Auch für die Kabine war „Sala“ ein enorm wichtiger Spieler, der stets für gute Laune sorgte und für Späße zu haben war. Der letzte „Spaß“ war nun zu viel des Guten. Es würde seiner Karriere aber nicht gerecht werden, wenn man ihn dadurch in Erinnerung behielte. Stattdessen sollte man sich lieber an seine Tore in den großen Spielen gegen Bayern und Dortmund erinnern, seinen Dreierpack zu Hause gegen Gladbach, seinen Hattrick in Hannover mit eingewickeltem Kopf. Und natürlich an dieses unvergessliche Grinsen, das jeden ansteckt.

Fazit: Danke, Sala!

Zeit für neue Aufgaben

Dass sich Hertha derzeit im Umbruch befindet, das zeigen die Transfers eindeutig. Verpflichtungen wie die von Piatek und Cunha wären noch vor einem Jahr ins Reich der Fabeln verwiesen worden. Mit den neuen Ansprüchen – ganz gleich, wie man diese empfindet – muss es zwangsläufig auch zu Abgängen kommen. Die Trainersöhne Palko Dardai und Maurice Covic werden unter Labbadia wohl keine Rolle spielen. Selbiges gilt für Mathew Leckie. Der Australier, der vor drei Jahren an die Spree wechselte und einen beeindruckenden Start hinlegte, konnte seither, teils wegen Verletzungen, teils aufgrund endlos scheinender Länderspielreisen, nicht mehr an seinen Beginn anknüpfen. Vor einigen Monaten gab er öffentlich zu Protokoll, im Sommer einen neuen Verein suchen zu wollen. Angesichts der Konkurrenz auf seiner Position und seinen sehr überschaubaren Spielminuten ein absolut nachvollziehbarer und konsequenter Schritt.

Empfehlung: Ein weiterer Allrounder muss her

Wenn man die aktuellsten Gerüchte um Cunha mal als solche verbucht und darauf vertraut, dass Herthas neue Liquidität auch dazu führt, größere Summen ablehnen zu können, hat man in dem Brasilianer sowie Lukebakio wohl die feste Flügelzange für die anstehende Saison. Dahinter hat man in Javairo Dirosun allerdings aktuell nur einen Spieler, der ein würdiger Vertreter sein kann und das auch nur, wenn er fit und in Form ist – beides hatte in seinen nun zwei Jahren in der Hauptstadt Seltenheitswert. Ein Spieler mit Offensivdrang, der im Idealfall beide Seiten bespielen kann und speziell Lukebakio unter (Leistungs-)Druck setzt, sollte in diesem Sommer auf Michael Preetz’ Einkaufsliste stehen.

Titelbild: STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images

(T)ante Covic und die alte Dame

(T)ante Covic und die alte Dame

Ich hätte nicht in seiner Haut stecken wollen. Michael Preetz musste ja etwas schaffen, was völlig unmöglich war. Er sollten einen Lucien Klopp mit Berliner Schnauze finden. Einen Trainer, der nicht nur taktisch europäische Spitzenklasse ist, sondern auch ein Menschenfänger wie der Coach des FC Liverpool und dann eben auch einen, der beim Kieztraining nicht erstmal nachfragen muss, was gemeint ist, wenn die Frage kommt: “Kann ick mal n Foto schießen?!”

Alle suchten “The Next Nagelsmann”

Nein, Preetz war um seine Aufgabe nicht zu beneiden, zumal ja gefühlt die halbe Bundesliga “The Next Nagelsmann” suchte. Dass sich der Lange selbst in diese Situation hineinmanövriert hatte, geschenkt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ein echter Aufschrei durch die Fanbase ging, als das Ende der Trainer-Ära von Pal Dardai verkündet wurde. Ein bisschen Traurigkeit, ja. Aber nur, weil Dardai dieser manchmal sehr eigentümliche Kauz mit dem ungarischen Herzen auf der Zunge ist. Und nicht, weil er mit seinem begeisternden Fußball alle überzeugt hatte.

Dardais Aufgabe war ja von Beginn klar definiert: Hertha stabilisieren. Dafür bekommt er auf seinem Abschlusszeugnis eine 1+ mit Sternchen. Mehr Stabilität geht nicht, als die, die Dardai diesem Klub in seinen viereinhalb Jahren eingeimpft hat. Es hätte schon einen feuerspeienden Drachen gebraucht, um Dardais Team von seinem sicheren Bergfried zu stoßen. Seine Punkte hat er immer frühzeitig gesammelt und dass sich die Fans (mich eingeschlossen) über schwache Rückrunden echauffierten, liegt natürlich allein daran, dass Fußballfans nach wie vor schnell vergessen. So eine Rückrunde wie Dardais erste, als Hertha erst am letzten Spieltag mit einer Niederlage in Hoffenheim und nur aufgrund eines (!) mehr erzielten Tores in der Liga blieb, will sicherlich niemand eintauschen gegen das, was Dardai danach ohne die großen finanziellen Mittel aufs Parkett zauberte.

Champions-League-Trainer ohne Champions-League-Mannschaft

Jetzt darf der nächste ran. Und, das muss man Preetz lassen, er hat mit der Hochstufung des ehemaligen U15-, U19- und U23-Trainers Ante Covic, mehrere Baustellen auf einmal geschlossen, dass man schon unken könnte, dass er bald in Schönefeld vorstellig wird.

Da ist zum einen die in der aktuellen Saison stark gestiegene Erwartungshaltung, die mit der Verpflichtung eines Trainers wie André Villas-Boas in Sphären gestiegen wäre, die die der Fans von Game of Thrones bezüglich der letzten Staffel noch übertrifft. Der Portugiese wäre zudem vor allem eine Verpflichtung für die Außendarstellung des Klubs gewesen: Seht her, wir haben einen Champions-League-Trainer geholt. Hertha hätte in den Schlagzeilen gestanden, wäre mal wieder international beachtet und vielleicht auch mal kurz wieder bewundert worden. Doch da Champions-League-Trainer Villas-Boas keine Champions-League-Mannschaft vorgefunden hätte, war es schon gut so, dass er am Ende wohl zu teuer war. Ante Covic dagegen ist im Vergleich dazu eine Lösung, die im Rest der Welt nur eine Randnotiz unten links auf der Zeitungsseite war. Ante wer? Ach, ein zweiter Dardai. Alles klar. Hertha bleibt sich treu. Und an dieser Stelle sollten alle Hertha-Fans mal kurz darüber nachdenken, ob das nicht das Beste an der ganzen Nummer ist.

Foto: Holde Schneider/Bongarts/Getty Images

David Wagner wäre nämlich auch so einer gewesen, dem man schon qua seiner Vita keine Fehler verziehen hätte. Der war doch mal bei Schalke. Und der mit dem Wunder von Huddersfield im Gepäck – also der Geschichte, dass er mit einer völlig unterdurchschnittlichen Mannschaft in die Premier League aufgestiegen ist und sich dort sensationell gehalten hat – gestartet wäre. Das hätte ebenfalls für eine Erwartungshaltung gesorgt, die er einfach nicht hätte erfüllen können. Ante Covic dagegen ist erstmal ein unbeschriebenes Blatt. So leer wie das Olympiastadion ab 2025 – also bestimmt. Erwartungen an ihn? Die werden sich erst im Laufe der Saison entwickeln. Er hat schließlich noch keine Wunder vollbracht, soll mit der U23 lediglich guten Fußball gespielt haben. Er findet allerdings womöglich eine Profi-Mannschaft vor, die von Wundern so weit entfernt ist, wie Hertha von einer Einigung mit der Baugenossenschaft.

Investitionen müssen sitzen

Denn das ist ja die dritte Wahrheit der Verpflichtung von Ante Covic: Hertha ist nach wie vor – und erst recht nach dem Rückkauf der Anteile von KKR – kein Klub, der mit Geld um sich werfen kann, sondern einer, dessen Investitionen weiterhin sitzen müssen, um Erfolg zu haben. Und wenn Michael Preetz von einer Investition nicht überzeugt ist, dann lässt er sie lieber liegen und gibt einem eine Chance, der bislang noch keine hatte. Das kann man öde finden oder bodenständig. In jedem Fall ist es angesichts der Finanzsituation richtig.

Hinzukommt, dass Covic eine echte Verbesserung zu allem ist, was Preetz vorher so geholt hat. Oder will ernsthaft jemand nochmal einen Typ Markus Babbel? Michael Skibbe? Friedhelm Funkel? Otto Rehhagel?

Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images

Ich habe jetzt ein paar Tage Zeit gehabt, um über den Trainer Ante Covic nachzudenken. Ich habe alle Texte gelesen, mir alte und neue Videos angeschaut. Ich habe versucht, mich in die Mannschaft hineinzuversetzen: Wie nimmt sie seine Verpflichtung auf? Kann er, der doch eigentlich noch nichts erreicht hat, mit diesen zum Teil sehr abgezockten Jungs umgehen (ich schaue da vor allem dich an, Vedad Ibisevic!)? Wird er Erfolg haben, obwohl er möglicherweise einen schwächeren Kader vorfindet, als Dardai momentan? Und was wäre dann ein Erfolg? Nochmal Platz 10? Europa? Oder einfach eine attraktivere Spielweise?

Kommunikation ist alles

Vieles wird wegen dieser vielen Unwägbarkeiten darauf ankommen, wie er kommuniziert. Intern wie extern. Ersteres kann ich nicht beurteilen, letzteres Dank der vielen Videos im Netz schon. Und da scheint Covic durchaus zu wissen, welche Knöpfe er drücken muss, um beim Publikum anzukommen. Seine Pressekonferenzen nach den Spielen der U23 sind durchaus witzig, er findet oft die richtigen Worte, spricht aber auch klar an, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Allerdings ist die Fallhöhe auf diesem Niveau natürlich deutlich geringer. Wenn er in der Bundesliga einen Schiedsrichter so angehen würde, wie hier nach dem 1:3 gegen Chemnitz, wäre er sicher schnell ein Wochengehalt los.

Eine Unbekannte ist für mich noch der neue Co-Trainer Mirko Dickhaut. Diese Position war unter Dardai ja eine sehr wichtige, Rainer Widmayer hat – so kam es jedenfalls stets rüber – einen sehr besonderen Zugang zur Mannschaft gehabt, gefühlt durchaus auch als Gegenpol zum manchmal knurrigen Chef. Von Dickhaut, der mit Covic zusammen die Trainerlizenz gemacht hat, habe ich bis auf ein Video wenig Aktuelles gefunden, was ja erstmal normal ist, wenn man 2017 zuletzt in Führt aktiv an der Linie stand. Sich daraus ein Urteil zu bilden, ist allerdings schwierig. Außerdem sucht Hertha ja noch nach einem weiteren Zuarbeiter für Covic.

Vorfreude steigt

Aber je mehr ich mir von Ante Covic und über Ante Covic anschaute, desto mehr stieg die Vorfreude auf ein erstes Trainerjahr mit diesem Typen, der wirklich Herthaner ist, der nicht auf die Idee kommen wird, beim ersten echten Gegenwind sofort hinzuschmeißen (ich schaue dich an, Lucien F.!) oder bei dem man das Gefühl hat, dass er eigentlich gar nicht da sein möchte (stimmt, Markus B.?).

Vielmehr ist da eine gewisse Hoffnung, dass es vielleicht wieder klappen könnte mit einem Eigengewächs. Dass das das neue Ding von Hertha werden könnte und wir hinterher alle drüber lachen können, dass wir ernsthaft daran gezweifelt haben, ob (T)ante Covic unsere Alte Dame gut behandeln würde.

Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

[Eine Kolumne von Daniel Otto]