Herthaner im Fokus: Gerechte Punkteteilung

Herthaner im Fokus: Gerechte Punkteteilung

Auch mal einen dreckigen Sieg einfahren. Drei Punkte, ab nach Hause und gut ist es. Am Ende redet schließlich keiner mehr drüber, woher die Punkte kommen, die am Ende den Klassenerhalt bedeuten. Hertha BSC stand am Freitagabend ganz kurz davor, eben jenen dreckigen Sieg einzufahren. Doch am Ende war man zu passiv, zu ängstlich und zu zögerlich und musste mit dem Schlusspfiff den bitteren Mainzer Ausgleichstreffer hinnehmen. Ein Remis, was sich wie eine Niederlage anfühlt und mit dem man beim Blick auf die Tabelle nicht allzu viel anfangen kann. Und dabei spielte man gar keine schlechte erste Halbzeit und ging verdient durch den Kopfballtreffer von Lucas Tousart in Führung. Doch die über weite Strecken druckvolle und überlegende Leistung in der ersten Halbzeit konnte nach dem Seitenwechsel nicht bestätigt werden. Das Team zog sich zurück, ließ sich auf zahlreiche Zweikämpfe und vor allem Fouls ein, konnte offensiv praktisch keine Akzente mehr setzen und verfiel zum Teil in eine Passivität zurück, die sich alle Beteiligten als endgültig abgestellt gewünscht hätten.

Sandro Schwarz mit dem üblichen System und nur einer Änderung  

Im mittlerweile üblichen 4-3-3-System von Trainer Sandro Schwarz ändert sich, wie hinreichend bekannt, selten etwas. Bei seiner Rückkehr zum 1. FSV Mainz 05 sollte es in der Startelf nur zu einer Änderung kommen. Den erkrankten Suat Serdar ersetzte Schwarz positionsgetreu durch Jean-Paul Boetius. Ein Ex-Mainzer für einen Ex-Mainzer. Weitere Änderungen nahm er gegenüber dem 2:2 gegen Bayer 04 Leverkusen eine Woche zuvor nicht vor.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Im Tor stand Oliver Christensen, Linksverteidiger war wieder Kapitän Marvin Plattenhardt, die Innenverteidigung bestand aus Marc-Oliver Kempf und Filip Uremovic und die rechte Seite beackerte Jonjoe Kenny. Im Dreiermittelfeld spielten Ivan Sunjic, Lucas Tousart und der bereits erwähnte, in die Startelf rotierte Jean-Paul Boetius. In der Offensive sollten wieder Chidera Ejuke und Dodi Lukebakio auf den Außen und Wilfried Kanga im Mittelsturm für Torchancen sorgen.

In unserer Analyse schauen wir heute auf die Linksverteidiger, den Torschützen, eine Offensivkraft, die weitere Fortschritte macht und auf die Innenverteidigung, die allerhand zu tun hatte.

Marvin Plattenhardt und Maximilian Mittelstädt: Hertha hat ein Konkurrenz-Problem

Irgendwie ist es wie immer in den letzten Jahren. Hertha hat zwei solide Linksverteidiger, die ihre Stärken haben. Aber die genauso ihre Schwächen haben. Man weiß, was man bekommt. Hertha hat Marvin Plattenhardt und Maximilian Mittelstädt. Und beide bekamen im Spiel gegen Mainz ihre Einsatzzeiten. Marvin Plattenhardt bekam als Kapitän selbstverständlich wieder den Vortritt, doch es sollte sich im Laufe des Spiels zeigen, dass es gut war, dass Mittelstädt auf der Bank als Alternative saß. Zuletzt fehlte der ja bekanntlich öfter mal im Kader der Hertha.

Marvin Plattenhardt spielte ein relativ solides, aber nicht sonderlich auffälliges Spiel. Offensive Akzente konnte er praktisch keine setzen. Ihm gelang es nicht, die Offensive mit seinen scharfen Flanken in Szene zu setzen, er konnte selbst keine Abschlüsse erarbeiten und hatte eher mit seinem direkten Gegenspieler Edimilson Fernandes zu tun.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Insgesamt war Plattenhardt 47 Mal am Ball. Er spielte zwölf erfolgreiche Pässe, was bei 21 aber auch nur eine Erfolgsquote von 57 Prozent bedeutet. Als Linksverteidiger nur 57 Prozent der Zweikämpfe zu gewinnen, ist ebenfalls keine Leistung, die großartig hilfreich ist. Zusätzlich leistete er sich wieder 18 Ballverluste – viel zu viel. Immerhin entschied er zwei Tacklings für sich und konnte in der Defensive zwei Aktionen klären. Seine gelbe Karte in der 48. Minute wurde zurecht mit gelb bestraft. Ob der VAR-Einsatz in diesem Fall wirklich nötig war, ist fraglich. Auch wenn der Einsatz in der Zeitlupe schmerzhaft aussah, war zu erkennen, dass es sich nicht um ein rot-würdiges Foul handelte. Trotzdem musste er nach 55 Minuten für Maximilian Mittelstädt Platz machen.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Und der wirkte wie üblich auch deutlich spritziger als sein Konkurrent. Aber beim Blick auf die Statistik sieht man, wie ähnlich die beiden sich in ihren Leistungen sind. Er war 38 Mal am Ball. Hatte mit 62 Prozent erfolgreicher Pässe zumindest eine etwas bessere Zahl erarbeiten können. Er gewann fünf von neun Zweikämpfen, aber leistete sich neben acht Fehlpässen, auch 14 Ballverluste. Das ist, wie bei Plattenhardt, natürlich auch dem extrem intensiven Spiel in der zweiten Halbzeit verschuldet. Er setzte zu drei Dribblings an, von denen er zwei erfolgreich beenden konnte. Auch er konnte, wie die gesamte Hertha-Mannschaft in der zweiten Halbzeit, keine Offensiv-Akzente setzen.

So ganz schlau wird man aus den beiden Linksverteidigern nicht. Seit Jahren überreichen sie sich gegenseitig den Staffelstab, ohne sich nachhaltig durchsetzen zu können. Einen echten Konkurrenzkampf gibt es zwischen ihnen nicht.

Lucas Tousart: Der führende Fast-Matchwinner

Fast wäre er der Matchwinner des Kampfes in Mainz gewesen. Der Franzose belohnte sich für seine bisher sehr starke Saison und nickte nach 30 Minuten nach einer feinen Vorlage von Chidera Ejuke aus zentraler Position ins Tor ein. Eine ähnliche Chance hatte er bereits in Augsburg, als er sträflich frei zum Abschluss mit dem Kopf kam, diese aber nicht nutzen konnte.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Seine Werte ließen gegen die Mainzer zwar rein zahlenmäßig etwas zu wünschen übrig, allerdings hielt wie üblich insbesondere Ivan Sunjic ihm den Rücken frei. Insgesamt war er an 39 Ballaktionen beteiligt und spielte zehn von 19 Pässe erfolgreich. Während er allerdings nur 58 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnen konnte, rettete ihn Sunjic (70 Prozent) ein ums andere Mal. Die schwächeren Werte sind allerdings auch dem verschuldet, dass Tousart sich immer mehr ins Offensivspiel integriert. Defensiv rettete er sechs Mal unter Druck stehend im Strafraum, zwei Fouls musste er ziehen, selber zwei einstecken. Mit zwei Tacklings beackerte er seine Gegner. Wie üblich war er auch einer der lauffreudigsten Spieler der Herthaner. 11.58 km spulte der 25-Jährige ab. Nur Ivan Sunjic (11,72 km) lief mehr.

Doch im entscheidenden Moment konnte auch Tousart nicht nahe genug am Mann sein. Beim Gegentor in der vierten Minute der Nachspielzeit war er zu passiv, konnte seine Gegenspieler gleich zweimal nicht in den Griff kriegen und an Vorlage und Abschluss hindern und damit auch nicht den Titel des Matchwinners einfahren.

Chidera Ejuke: Wieder Zählbares, aber noch viel Luft nach oben

Chidera Ejuke kann Spaß machen, zeigt immer wieder sein enormes Potential, macht auf dem Feld Dinge, zu denen viele nicht in der Lage sind und trotzdem schlägt er zu wenig Ertrag raus. Gegen die Mainzer war der Nigerianer 83 Minuten dabei, ehe er durch Peter Pekarik ersetzt wurde, der zu dem Zeitpunkt als Verstärkung kam, um die Führung über die Zeit zu bringen.

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(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

43 Mal war der 24-Jährige am Ball, spielte 20 erfolgreiche Pässe. Insgesamt kamen 74 Prozent seiner Bälle bei den Mitspielern an, eine starke Quote für einen Offensivspieler. Doch beim Blick auf seine Zweikampfwerte sieht man wieder die Probleme. Nur zwei von acht (25 Prozent) konnte er für sich entscheiden. Viermal versuchte sich Ejuke an Dribblings, kein einziges konnte er erfolgreich beenden. Seine individuellen Aktionen landen zu häufig beim Gegner – insgesamt leistete sich Ejuke 19 Ballverluste – seine Mitspieler dagegen weiß er in Szene zu setzen. Wie in der 30. Minute, als seine Flanke auf Tousart sehenswert seinen zweiten Saisonassist bedeutete.

Zusätzlich war er der Hauptprotagonist der größten Hertha-Chance des Spiels in der 41. Minute. Nachdem er von Lukebakio im Strafraum halbrechts angespielt wurde, versuchte er es mit einem Schlenzer aufs lange Eck. Torhüter Robin Zentner rettete sein Team sehenswert. Insgesamt ein Spiel, das zeigt, wie wichtig Chidera Ejuke für Hertha sein kann, aber auch was offenlegt, wo die Schwächen des Linksaußen sind.

Filip Uremovic, Marc-Oliver Kempf, Marton Dardai: Innenverteidiger mit viel Risiko und viel Glück

Verletzungsbedingt bekamen gegen Mainz drei Innenverteidiger ihre Chance. Sandro Schwarz baute zunächst auf sein Stamm-Innenverteidiger-Duo, bestehend aus Filip Uremovic und Marc-Oliver Kempf.

Filip Uremovic spielte das Spiel über die voll Distanz und leistete eine solide Arbeit. Wie üblich zeigte er sich körperbetont, risikoreich und nachdem er sich in den letzten Spielen öfter den ein oder anderen heftigeren Aussetzer leistete, konnte er gegen Mainz wieder eine gefestigtere Leistung zeigen. Defensiv hatte er aller Hand zu tun.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

50 Ballaktionen hatte der Kroate, seine Passquote von 81 Prozent ist sehr sehenswert. er gewann sechs von sieben Zweikämpfen – 87 Prozent – und zog nur ein Foul. Sechs Mal klärte er im Strafraum, lief zahlreiche Bälle ab, tackelte und wusste eine klare Präsenz zu zeigen. Insgesamt ein sehr zufriedenstellender Auftritt des Neuzugangs, der auch nötig war, da er spätestens ab der 2. Halbzeit den Abwehrchef stellen musste.

Was aufgrund des gesundheitlichen Zustands von Marc-Oliver Kempf leider nötig war. Der 27-jährige Abwehrchef knickte in der 9. Minute bei seiner Lieblingsdisziplin, Blocken, übel um und musste behandelt werden. Zur Pause verabschiedete er sich. Eine schwere Verletzung scheint aber nicht vorzuliegen, zumindest gab es bereits Entwarnung.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Möglicherweise auch eingeschränkt durch seine Verletzung wirkte Kempf in seinem Spiel etwas behäbiger und tat sich schwerer als zuletzt. Er hatte 30 Ballaktionen, brachte 78 Prozent seiner Pässe beim Mitspieler unter und konnte drei von fünf, also 60 Prozent, seiner Zweikämpfe für sich entscheiden. Er leistete sich fünf Ballverluste, tat sich aber insbesondere in Laufduellen schwer, wie in der 37. Minute gegen Karim Onisiwo. Sein Glück, dass der Österreicher den leichten Kontakt als Anlass nahm, sich fallen zu lassen. In der strittigen Situation entschied Schiedsrichter Willenborg zurecht darauf, keinen Elfmeter zu geben.

Zur zweiten Halbzeit wurde Kempf durch Marton Dardai vertreten. Das Eigengewächs hat sich nach einer persönlich schweren letzten Saison mit der Rolle des Ersatz-Verteidigers abgefunden und kann mittlerweile feststellen, dass auch er Einsatzchancen und Minuten erhält. Und er leistete eine solide Arbeit. 31 Mal sah man ihm am Ball. In der intensiven Halbzeit tat er sich schwer im Spielaufbau.

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(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Nur sieben von 17 Pässen fanden die Mitspieler. 13 Ballverluste leistete der deutsche U21-Nationalspieler. Defensiv hatte auch er viel zu tun, da die Berliner ab der zweiten Halbzeit das Angriffsspiel praktisch einstellten und sich dem Mainzer Ansturm stellten. Sechsmal klärte er zum Teil in höchster Not, lief drei Bälle seinen Gegenspielern ab und entschied 66 Prozent seiner Zweikämpfe für sich. Zwei Tacklings entschied er für sich. Letztendlich war er einer der Protagonisten des von Sandro Schwarz als “Ringkampf” bezeichneten harten Spiels. Glück hatte er bei der Zweikampf-Bewertung von Schiri Willenborg. Nachdem er in der 64. Minute für sein Foul an Marlon Mustapha die gelbe Karte sah, hatte er Glück in der 76. Minute nicht vom Platz zu fliegen. Sein Einsteigen gegen Danny da Costa wurde allerdings nicht einmal als Foul gewertet. Glück für ihn und Glück für Hertha. Alles in allem zeigte sich Dardai nämlich wach, aktiv und als echte Alternative für die Innenverteidigung.

Eine gerechte Punkteteilung

Was fängt man nun mit dem Punkt an? Einsammeln und zufrieden sein muss wohl die Antwort lauten. Einen Punkt aus Mainz mitzunehmen, ist ein paar Tage nach dem Spiel ein vollkommen akzeptables Resultat. Die Entstehung ist trotzdem ärgerlich. Während die Hertha gerade in der ersten Halbzeit an den guten Leistungen aus den Vorwochen anknüpfen konnte, ließ man es in der zweiten Halbzeit dann doch sehr stark schleifen. Zu gehemmt und ängstlich war das Spiel der „Alten Dame“. Teilweise wirkte es wie ein Rückschritt. Der späte Gegentreffer war hart und bitter, aber aufgrund des Drucks, den die Mainzer ausübten, folgerichtig. Hertha steht nach sieben Spielen auf Platz 13, mit sechs erspielten Punkten. Sich an irgendwelchen theoretischen xG-Werten festzuhalten, die eine bessere Platzierung aussagen, hilft im Endeffekt nicht.

Jetzt, zur Länderspielpause, kann man aber festhalten, dass die Mannschaft ein ganz anderes Auftreten zeigt, als letzte Saison. Die Mannschaft spielt ansehnlichen Fußball, was fehlt, ist die Belohnung in Form von Toren und Punkten. Die Last der letzten drei Jahre wiegt noch immer schwer auf den Verein und einzelne Spieler. Sich von Sieg zu Sieg zu spielen hat vor der Saison niemand erwartet und erwartet jetzt auch keiner. Trotzdem muss man sich dem Risiko und der engen Tabelle bewusst sein. Nach der Länderspielpause müssen weitere Punkte gesammelt werden, um später eine ruhige WM-Pause genießen zu können. Die Qualität scheint da zu sein.

(Titelbild: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Herthaner im Fokus: Ein verdienter Punktgewinn

Herthaner im Fokus: Ein verdienter Punktgewinn

Dass Hertha-Präsident Kay Bernstein nicht wie er ursprünglich angekündigt hatte, bei unter 50.000 Zuschauern und Zuschauerinnen gegen Leverkusen wieder nach Hause gehen würde, war im Endeffekt sein Glück! Sicherlich, die Aussage war spaßig gemeint. Glücklicherweise, denn gegen die Werkself traten nur 40.643 Fans den Weg ins Berliner Olympiastadion an. Aber die sorgten nicht nur für eine grandiose Stimmung auf den Rängen, sie konnten vor allem ein starkes Bundesligaspiel der Hertha beobachten. Und auch der Präsident genoss die Stimmung.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Nachdem die erste Halbzeit ein rassiges Duell mit zahlreichen Torchancen auf beiden Seiten war, aber torlos endete, sorgten die Leverkusener in Person von Kerem Demirbay per Freistoß, Suat Serdar nach tollem Spielzug und  Marco Richter per Traumtor für Hertha und am Ende wieder Patrick Schick für Leverkusen, in der zweiten Halbzeit für die Tore. Dass das Spiel nur 2:2 endete, war vor allem deshalb diskussionswürdig, weil in den Schlussminuten Hertha BSC ein durchaus verdienter Handelfmeter verwehrt blieb, der die Gemüter tief erregte.

Sandro Schwarz baut eine Hertha-Achse

Auffallend war, dass Trainer Sandro Schwarz im Vergleich zum Augsburg-Spiel nicht viel änderte. Getreu dem alten Rehhagel-Motto „Never change a winning team“, sollte die Startelf sogar gänzlich gleich bleiben. Auch das 4-3-3-System blieb dementsprechend.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Im Tor stand Oliver Christensen, die Verteidigung bestand aus Kapitän und Linksverteidiger Marvin Plattenhardt, Marc-Oliver Kempf und Filip Uremovic in der Innenverteidigung und auf der rechten Seite Jonjoe Kenny. Davor agierten im zentralen Mittelfeld Ivan Sunjic, Suat Serdar und Lucas Tousart. Offensiv wechselten sich in der Spitze und auf den Außen Chidera Ejuke, Wilfried Kanga und Dodi Lukebakio ab. Einzig auf der Bank sollte der wiedergenesene Kevin-Prince Boateng Maximilian Mittelstädt verdrängen. Der Linksverteidiger war damit nicht einmal im Kader. Sandro Schwarz ist dabei eine feste Achse zu bauen. Das sieht man auch an den Wechseloptionen, die er tätigt. Immer mehr kristallisiert sich eine Stammelf und deren Vertreter heraus. Etwas, was man in Berlin lange vermissen musste.

In unserer heutigen Analyse schauen wir auf den immer sicherer werdenden Torhüter, eine Transformation zum endgültigen Abwehrchef, die Flexibilität in der Offensive und Lerneffekte.

Oliver Christensen: Ein immer sicherer Rückhalt

Bei Oliver Christensen lautet die Devise in gewisser Weise „Learning by doing“. Der Däne steigert sich mittlerweile von Spiel zu Spiel. Leistete er sich in den ersten Spielen noch einige Unsicherheiten, kann er sich mittlerweile auszeichnen und seinem Team wichtige Punkte retten. Christensen entwickelt sich aktuell zu einem der besseren Torhüter der Liga und insbesondere zu einem modernen und mitspielenden Keeper, was sich auch an Zahlen belegen lässt. Er besitzt den Mut, den Strafraum in brenzligen Situationen zu verlassen und Bälle zu klären, bevor sie überhaupt erst richtig gefährlich werden. Insgesamt war er 55 Mal am Ball. Regelmäßig wird er ins Aufbauspiel eingebunden, verteilt Bälle an seine Mitspieler – immerhin kamen dabei 31 seiner 45 Pässe an. Genauso versucht er es gerne auf direktem Weg die Offensive in Szene zu setzen. Denn auch an langen Bällen probiert sich der 23-Jährige. 16 seiner 23 Versuche fanden den Mitspieler. Zusätzlich brillierte er auch in den klassischen Torwartdisziplinen.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Während seine Strafraumbeherrschung immer besser wird, wurde er gegen Leverkusen zu drei Paraden gezwungen. Schon in der 11. Minuten reagierte er hervorragend nach Schicks Kopfballversuch aus wenigen Metern Entfernung. In der 26. Minute scheiterte Adam Hlozek mit einem Schuss am Schlussmann. Auch Torschütze Kerem Demirbay scheiterte zuvor am Torhüter. An den Gegentoren von eben jenem Demirbay und Schick konnte Christensen letztendlich herzlich wenig ausrichten. Insgesamt wächst in Berlin gerade ein hervorragender Torhüter heran. Wahrscheinlich sogar einer der Besseren in den letzten Jahren.

Marc-Oliver Kempf: Endgültig der Hertha-Abwehrchef

Eins kann der Innenverteidiger hervorragend: Blocken. Marc-Oliver Kempf blockt im Durchschnitt pro Spiel 1,8 Bälle – die meisten aller Bundesliga-Spieler. Eine Statistik, die sein Spiel wunderbar beschreibt. Die Spielweise des 27-Jährigen ist zwar hochriskant, aber oftmals die letzte und spektakulärste Rettung des Teams. Symptomatisch dafür seine Grätsche in der Nachspielzeit, mit der er Patrick Schicks Versuch klären konnte. Es war eine der letzten Aktionen des Spiels, das letzte bisschen an Kraftreserven pumpte Kempf aus sich raus, um den möglichen späten Gegentreffer zu verhindern. Insgesamt machte er seine Arbeit solide. Mit 63 Ballberührungen war er extrem aktiv. Er bot sich an, leistete viel Arbeit im Spielaufbau, brachte 43 seiner 57 Pässe, also 75 Prozent, bei seinen Mitspielern unter und konnte 67 Prozent seiner Zweikämpfe, also sechs von neun Aktionen, für sich entscheiden. Auch er versucht sich immer wieder an langen Bällen. Er spielte 13 Stück, sieben fanden ihr Ziel.

(Photo by Marc Atkins/Getty Images)

Insgesamt leistete er sich allerdings auch auf Grund seines gefährlichen Spiels 16 Ballverluste.  Auch sein Stellungsspiel lässt oft zu wünschen übrig. Bei Schicks Kopfball in der 11. Minute war er nicht dicht genug am Mann. Bei Leverkusens Versuch in der 63. Minute war er zu weit vom Geschehen entfernt, als wieder Schick die Chance aufs Tor hatte. Beim Gegentreffer zum 2:2 wirkte er zu passiv und konnte weder Serdar Azmoun noch Schick verteidigen. Dennoch, die Ausstrahlung Kempfs gefällt, er ist aktiv, kommunikativ, steigerte im Vergleich zum Saisonbeginn seine Leistungen und zahlt das Vertrauen aktuell zurück. Gerade weil die Hierarchie mit den Abgängen von Niklas Stark, Jordan Torunarigha und Dedryck Boyata in der Verteidigung komplett aufgebrochen wurde, ist es immens wichtig, dass er die Rolle des Abwehrchefs hervorragend ausfüllt.

Suat Serdar: Geniale Momente – Aber nur in der Spitze

Jemand, der in dieser Saison die Rolle des Mittelfeldmotors noch nicht ideal ausfüllen konnte, ist Suat Serdar. Gegen Leverkusen spielte er zwar ein besseres Spiel als zuletzt, doch oft bleibt er unter seinen Möglichkeiten. Seinen goldenen Moment wollte er am liebsten schon nach 47 Minuten haben. Einen abgefälschten Schuss von Chidera Ejuke staubte er aus kurzer Distanz ins Tor ab. Zurecht wurde der Treffer wegen Abseits aberkannt. Auf seinen dann auch wirklich zählbaren goldenen Moment musste er noch neun Minuten warten. Den Leverkusener Führungstreffer von Kerem Demirbay egalisierte er nach feiner und schneller Kombination von Wilfried Kanga und Chidera Ejuke mit einem platzierten Schuss ins linke untere Toreck.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Der 25-Jährige war in seinen 67 Minuten umtriebig, war an 40 Aktionen beteiligt und konnte 17 seiner 21 Pässe bei seinen Mitspielern unterbringen. Zusätzlich lieferte er drei lange Bälle. Seine Zweikampfwerte ließen zu wünschen übrig. Nur fünf seiner 13 Zweikämpfe gewann er. Suat Serdar verfiel auch gegen Leverkusen oft in Verhaltensweisen und Spielzüge aus den letzten Spielen. Zu oft lieferte er sich Dribblings, die keinen Wert hatten. Seine gelbe Karte, die er nach einem Foul an Charles Aranguiz erhielt, war gerechtfertigt. Schwarz erkannte den Konzentrationsverlust und entschied sich zum richtigen Zeitpunkt für einen Wechsel und brachte Jean-Paul Boetius. Suat Serdar kann Spaß machen und versucht auch in jedem Moment seine enorme fußballerische Klasse zu zeigen. Doch zu häufig entscheidet er sich für unnötige und inhaltsleere Aktionen, die dem Spiel der Mannschaft nicht weiterhelfen.

Lukebakio und Kanga: Irgendwann fallen die Tore

Die Offensive der Hertha gewinnt immer mehr an Flexibilität. Und insbesondere Dodi Lukebakio konnte auch schon mit Zahlen auf sich aufmerksam machen. Zwei Tore hat der Belgier bereits auf der Habenseite. Wilfried Kanga dagegen wartet noch auf sein erstes Erfolgserlebnis. Gegen Bayer Leverkusen standen beide 81 Minuten auf dem Feld.

Dodi Lukebakio war in der Offensive wieder einmal extrem umtriebig und sorgte stets für Gefahr. 31 Mal war er am Ball und schon nach vier Minuten hatte er mit der ersten Chance die mögliche Führung auf dem Fuß. Beziehungsweise auf dem Kopf, nachdem er von Marvin Plattenhardts Flanke in Szene gesetzt wurde, den Ball aber nicht mit Druck aufs Tor befördern konnte. In der 20. Minute setzte der einen weiteren Schuss am Tor vorbei, in der 70. Minute prüfte er Leverkusens Torhüter Lukas Hradecky. In der 37. Minute fehlte nicht viel und er hätte einen weiteren Assist auf seinem Konto. Doch seine gefühlvolle Vorlage konnte Wilfried Kanga nicht entscheidend verwerten. Insgesamt gewann der Belgier 67 Prozent seiner Zweikämpfe und spielte 73 Prozent erfolgreiche Pässe. Keine schlechten Bilanzen für einen Offensivspieler. Seine Form ist weiterhin in einem sehr starken Bereich.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Wilfried Kanga kämpft und ist bemüht. Doch vor dem Tor soll es aktuell noch nicht so klappen wie gewünscht. 33 Mal war er an Ballaktionen beteiligt, ließ sich immer wieder tiefer oder auf die Außen fallen, um Bälle festzumachen. Um sich hochkarätige Chancen auszuspielen, war er schlichtweg zu oft vom Tor entfernt. Zwölf von 21 Pässen konnte er bei Mitspielern unterbringen. 45 Prozent seiner Zweikämpfe gewann er. Auch für ihn als Offensivspieler keine schlechten Quoten. In der 37. Minute hatte er die Berliner Führung auf dem Fuß. Der Pfosten rettete Leverkusen und verhinderte den ersten Treffer Kangas.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Beim Ausgleichstreffer konnte er den Pass von Lucas Tousart mit dem Weiterleiten auf Vorlagengeber Chidera Ejuke hervorragend verwerten. Auch wenn er also selbst noch nicht zählbar in den Statistiken vorkommt, bewies er hier einmal mehr, wie wichtig er für das Team sein kann. Macht er so weiter, werden auch ihm irgendwann die Tore gelingen.

Chidera Ejuke: Richtige Entscheidungen bedeuten Zählbares

Chidera Ejuke spielte 67 Minuten und brachte zwei von sechs Dribblings erfolgreich zu Ende. Und da zeigt sich das Problem des Nigerianers. Zu oft ist er auf den individuellen Erfolg aus und will seine zweifelsohne hochklassige Kreativität spielen lassen. Doch zu häufig enden seine Versuche beim Gegner. Er kam auf 42 Ballaktionen, spielte 20 erfolgreiche Pässe und gewann sieben Zweikämpfe.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

83 Prozent Passquote lassen sich sehen, 54 Prozent Zweikampfquote könnte viel mehr sein, wenn der Linksaußen intelligenter spielen würde. Diese Intelligenz zeigte er in der 56. Minute, als er sich nicht für das Dribbling gegen die Leverkusener Verteidigung entschied, sondern den Ball für den freien Suat Serdar ablegte. Heißt also, richtige Entscheidungen bedeuten auch zählbaren Erfolg. Ein Learning für Ejuke, was hoffentlich zu mehr Effizienz und Erfolg führt.

Marco Richter: Der Konkurrenzkampf in der Offensive ist eröffnet

Der nächste Joker-Einsatz und wieder konnte Marco Richter dem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Nach 67 Minuten kam er für Chidera Ejuke ins Spiel und lieferte eine ansprechende und vor allem wache Leistung. Einen ersten Warnschuss gab er nach 73 Minuten ab, als ihm der Ball von Kanga vorgelegt wurde. Den Schuss setzte er aber links am Tor vorbei. Nur eine Minute später nutzte er eine Leverkusener Unaufmerksamkeit, nahm sich ein Herz und schoss den Ball sehenswert aus über 20 Metern ins linke Toreck. Ein Traumtor, wohl das schönste an diesem Spieltag.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Richter zeigte extreme Präsenz in den letzten Spielminuten war 18 Mal am Ball, spielte sieben erfolgreiche Pässe und gewann 80 Prozent seiner Zweikämpfe. Schade, dass sein Traumtor am Ende nicht der Siegtreffer war. Mittlerweile gilt er als ernsthafte Alternative in der Offensive. Es ist das gelungen, was der Plan war. Er kurbelt den Konkurrenzkampf an.

Die Einstellung und Leistung bei Hertha stimmen – Das Glück muss erzwungen werden

17:11 Schüsse, sechs km mehr als der Gegner gelaufen, 55 Prozent der Zweikämpfe gewonnen, zahlreiche sehenswerte Aktionen herausgespielt. Die aktuelle Hertha-Mannschaft leistet starke Arbeit. Gegen Leverkusen stimmte einmal mehr die Einstellung, die Spieler gingen ins Risiko, trauten sich Angriffe zu starten und kämpften leidenschaftlich um den Punkt. Auch wenn man immer noch auf Platz 15 steht, ist die Stimmung gut und die Chancen unten rauszukommen höher denn je.

(Photo by Reinaldo Coddou H./Getty Images)

Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich vieles geändert, was auch die Fanszene zu schätzen weiß. Das Glück im Abschluss – wie beispielsweise in Person von Wilfried Kanga – fehlt noch und muss möglicherweise erzwungen werden. Dazu gehört allerdings auch, dass man das “Glück” bei den Schiedsrichterentscheidungen wiederfindet. Die fragwürdige Bewertung des Handspiels von Odilon Kossounou durch Schiedsrichter Benjamin Brand in der 82. Minute erhitzte zurecht die Gemüter. Doch eins sollten diese Diskussionen bleiben – nämlich fair. Die Posse um den Twitter-Account Collinas Erben ist mehr als bedauerlich und wird der eigentlichen Leistung der Hertha nicht gerecht. Denn machen die Spieler auf dem Feld so weiter, werden Punkte bessere Tabellenplätze folgen.

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Herthaner im Fokus: Erleichternder Pflichtsieg

Herthaner im Fokus: Erleichternder Pflichtsieg

Nach zuletzt spielerisch ordentlichen Auftritte gegen starke Gegner mit dürftiger Punkteausbeute stand Hertha gegen den FC Augsburg tabellarisch schon etwas unter Druck. Gegen die bis dato enttäuschenden Augsburger sollten so die ersten drei Punkte eingefahren werden. Knapp 1.300 Hertha Fans begleiteten unsere Alte Dame auf dieser Mission. Um auf diverse Probleme mit digitalen und personalisierten Tickets aufmerksam zu machen, bot eine Berliner Ultra-Gruppierung dabei im Auswärtsblock für 50 Cent eine „traditionelle Eintrittskarte“ zum Anfassen und Sammeln an. (Hertha ist auf diesen Zug bereits aufgesprungen und bietet gegen Aufpreis wieder sogenannte Sammlertickets für Heimspiele an.) Und so konnten die Auswärtsfahrer:innen nach einem verdienten Sieg neben drei Punkten auch die passende Erinnerung mit zurück in die Hauptstadt nehmen.

Wir blicken auf einige Herthaner beim so wichtigen ersten Saisonsieg.

Jonjoe Kenny – Der neue Peter Pekarik

Der britische Neuzugang ist der einzige Feldspieler Herthas, der in dieser Spielzeit noch keine Minute verpasst hat. Still und heimlich hat er so mit Peter Pekarik die Dauerlösung der letzten Jahre vergessen gemacht – und erinnert doch an ihn. Wie der Slowake verrichtet auch Kenny eher unauffällig seine defensiven Arbeiten und schaltet sich dosiert in die Offensive ein. So auch gegen Augsburg, wo er einige Tiefenläufe anbot oder bei Hereingaben von links auch mal auf den zweiten Pfosten nach innen oder an die Strafraumkante nachrückte und so etwas Unordnung in die Augsburger Defensive brachte.

In der 34. Minute gelang ihm nach einem abgewehrten Ball aus dem Rückraum der erste halbwegs gefährliche Berliner Abschluss. Mitte der zweiten Hälfte bot sich ihm gar die große Gelegenheit, halbrechts im Strafraum die Führung auszubauen. Sein Abschluss rauschte aber am langen Eck vorbei. Auch am Ende der Partie blieb Kenny noch wach und bewies in der 93. Minute Übersicht. Nach dem Beinahe-Eigentor Filip Uremovics legte Kenny den Ball lang in den Lauf von Davie Selke, der wiederum den passiven Augsburger Verteidiger links liegen ließ und sich zum entscheidenden Tor aufmachte.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Defensiv stellte Augsburg Herthas Rechtsverteidiger zugegebenermaßen kaum vor Probleme. Und doch wurden diese erkennbar. Der 25-Jährige leistet sich hin und wieder technische Unsauberkeiten, Unkonzentriertheiten im Stellungsspiel und eine zu passive Zweikampfführung. Gegen den FCA wurde dies noch nicht bestraft. Spannend wird es aber gegen spielstärkere Gegner. Dann dürfte auch Dodi Lukébakios unterstützende Defensivarbeit wieder vermehrt in den Fokus rücken, der sich in dieser Saison zwar durchaus bemüht, aber doch meist defensiv etwas zu naiv zeigt.

Alles in allem ist Hertha auf der rechten Defensivseite aber solide besetzt. Das drohende Überalterungsproblem und damit eine mittlerweile jahrelange Baustelle ist vorerst beseitigt. Neubesetzung Jonjoe Kenny ähnelt in seiner Spielweise dabei erstaunlich dem langjährigen Dauerbrenner Peter Pekarik. Und dürfte die leidige Diskussion über Herthas rechte Abwehrseite damit hoffentlich ad acta legen.

Herthas Flügelspieler – Endlich Flügel, aber kein Grund für Hertha abzuheben

Wie schon in den letzten Partien setzte Hertha-Coach Sandro Schwarz in der Startformation wieder auf die beiden dribbelstarken Flügelspieler Chidera Ejuke und Dodi Lukébakio. Und wie schon in den letzten Partien fanden beide gut ins Spiel. In mittlerweile gewohnter Manier stellten die beiden Außen ihre Gegenspieler im Eins-gegen-Eins regelmäßig vor Probleme, konnten die Aktionen aber schlussendlich nicht in Zählbares ummünzen. Es fehlt noch zu häufig an der gewinnbringenden Anschlussaktion, sei es ein Abschluss oder Pass in die Gefahrenzone.

Ejuke war in der 35. Minute mit einem Schlenzer aufs lange Eck schon nah dran. Sein Gegenüber Lukebakio wirkt insgesamt zwar noch zielstrebiger in seinen Aktionen, kam gegen die Augsburger aber zu selten in gute Abschlusspositionen. Dafür hatte er dann das nötige Quäntchen Glück bei seinem Kopfballaufsetzer zum Führungstreffer in der 57. Minute aus zentraler Position nach Plattenhardts Hereingabe von der linken Seite.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Der Spielwitz der beiden Dribbelkünstler blitzte auch im Zusammenspiel mit dem eingewechselten Jean-Paul Boëtius einige Male auf. So etwa bei einem schlussendlich missglückten Hackenpass-Angriff kurz nach der Führung.

“Ausgerechnet” Marco Richter

In der 69. Minute kam schließlich Marco Richter gegen seinen Jugendverein in die Partie. Bereits in der letzten Woche hatte er gegen Dortmund bei seinem Comeback nach Hodenkrebs-Erkrankung beinahe für die Geschichte des Spieltags gesorgt. Doch seine Abnahme von der Strafraumkante klatschte nur gegen die Querlatte.

Gegen Augsburg kam Richter in einer Phase in die Partie, in der diese etwas vor sich hin plätscherte. Hertha riskierte nichts, der FCA wirkte ideenlos. Richter konnte das Spiel zwar nicht an sich reißen, zeigte sich aber typisch giftig. Der 24-Jährige war viel unterwegs und in ständiger Bereitschaft. Und so überraschte es nicht, dass er sich in der Nachspielzeit nach dem langen Ball auf Selke auf den weiten Weg aus der eigenen Hälfte in den gegnerischen Strafraum machte, um den Konter zum 0:2 zu veredeln und seine „Ausgerechnet“-Geschichte fertig zu schreiben.

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(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Hertha hat plötzlich Optionen in der Offensive

Lukébakio ist nach wie vor in guter Form. Ejuke zeigt weiterhin gute Ansätze. Und mit Richter steht eine zusätzliche Alternative bereit, die nach überstandener Erkrankung und dem Torerfolg nun mit ordentlich Rückenwind in die kommenden Wochen geht.

Sandro Schwarz’ Idee, über die dribbelstarken Außen die gegnerische Abwehrkette aufzubrechen, bleibt sichtbar und im Vergleich zu Herthas Offensivansatz der letzten Jahre spektakulär. Es dürfte dafür weiterhin das Duo aus Lukébakio und Ejuke gesetzt sein, die ihre Sache bisher gut machen, wenngleich ein wenig mehr Ertrag dabei rumspringen könnte.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Spannend ist aber, dass man mit Richter und demnächst auch Jessic Ngankam zwei Alternativen in der Hinterhand hat, die deutlich abschlussorientierter, zentraler, wuchtiger und direkter agieren und dem Offensivspiel so eine komplett neue Ausrichtung geben können.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob die beiden vorerst gesetzten Flügelzauberer anfangen, Mittelstürmer Wilfried Kanga mit Flanken und Zuspielen zu finden. Oder ob es diesem sogar eher hilfreich sein könnte, wenn die wuchtigen Richter und Ngankam mit vorne ins Zentrum ziehen, die genannten drei die gegnerische Innenverteidigung beschäftigen und aus einem agilen zentralen Mittelfeld, etwa um Boëtius, gefüttert werden.

Nachdem die Außen jahrelang eine Problemzone waren, hat Hertha plötzlich wieder Möglichkeiten auf den Flügeln.

Und dann war da noch…

Arne Maier, der eine sehr unauffällige Leistung auf Augsburger Seite an den Tag legte. Das Ex-Hertha-Juwel verspielte in der 43. Minute einen der aussichtsreichsten Augsburger Angriffe vorschnell durch einen überhasteten Abschluss, bei dem er auch noch einen im Abseits stehenden Teamkollegen anschoss. Bezeichnend.

Marvin Plattenhardt, der offensiv wie defensiv eine eher unauffällige Leistung darbot. In Hälfte Zwei hatte er mit dem eingewechselten Ruben Vargas so seine Probleme. Seine zum Ende der letzten Saison unerwartet wiedergefundene Standardstärke ist auf ähnlich wundersame Weise wieder verflogen. Trotzdem bereitete der Hertha-Kapitän das 0:1 durch Lukébakio mit einer scharfen Halbfeldflanke vor und rechtfertigte so seine Aufstellung.

Filip Uremovic, der sich einige Male im Zweikampf leicht übertölpeln ließ und in einer dieser Situationen mit etwas Pech schon in der 23. Minute die rote Karte für eine Notbremse hätte sehen können. In der Nachspielzeit fabrizierte er beinahe ein Eigentor. So leitete er aber indirekt das entscheidende 2:0 ein. Mit Neuzugang Agustín Rogel und Youngster Linus Gechter nach überstandener Mandel-OP stehen in den nächsten Spiele zwei passable Alternativen in den Startlöchern, sollten sich Uremovics Unkonzentriertheiten nicht verflüchtigen.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Lucas Tousart, der sich immer mehr zum heimlichen Anführer der Hertha mausert. Neben Ivan Sunjic, der als Zerstörer seine Sache ordentlich macht, aber spielerische Defizite offenbart und ab und an mit einem unnötigen Ballverlust gefährliche Kontersituationen heraufbeschwört, und Suat Serdar, der angesichts einiger unerklärlicher Fehlpässe sein augenscheinliches Potenzial mal wieder nicht ausschöpft, gibt Tousart im zentralen Mittelfeld den Takt vor.


Der Franzose räumt defensiv auf, stopft Löcher und schaltet sich auch in die Offensive ein, wenngleich seine Offensivbemühungen in diesem Spiel nicht von Erfolg gekrönt waren. Bei seinem sträflich freien Kopfballversuch in der 81. Minute dürfte Vedad Ibisevic für diese Woche eine Einheit am Kopfballpendel notiert haben.

[Titelbild: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images]

Herthaner im Fokus: Herz und Leidenschaft reichen nicht

Herthaner im Fokus: Herz und Leidenschaft reichen nicht

Hertha BSC schafft im mittlerweile dritten von vier Spielen zum Bundesliga-Start nicht, etwas Zählbares mitzunehmen. Angesichts des anspruchsvollen Programms in gewisser Weise verschmerzbar. Fans, Experten, aber vor allem Spieler und Trainerteam wissen den Start einzuordnen, weshalb in Berlin weiter ungestört gearbeitet werden kann.

Gegen Borussia Dortmund kam eine Mannschaft ins Berliner Olympiastadion, die sich zum Saisonbeginn schwergetan hat, weshalb sich Herthas Team mit seinem Offensivspiel nicht zu verstecken brauchte. Im mit 62.142 gut gefüllten, aber bei Weitem nicht ausverkauften Olympiastadion, in dem Frank Zander mal wieder die Hymne “Nur nach Hause” live performte, wurde der BVB allerdings seiner Favoritenrolle gerecht, erarbeitete sich zahlreiche Chancen und konnte dank des ersten Tors von Antony Modeste im schwarz-gelben Trikot nach 32 Minuten als Sieger vom Platz gehen.

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(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)

Sandro Schwarz stellte sein Team wieder im 4-3-3-System auf und änderte zum Teil gezwungenermaßen, zum Teil gewollt auf drei Positionen das Personal. Das Tor sollte wieder Oliver Christensen hüten, auf der linken Seite der Verteidigung ersetzte Kapitän Marvin Plattenhardt Maximilian Mittelstädt, der sich mit seinem unglücklichen Auftritt in Mönchengladbach beim Trainer zunächst nicht für weitere Startelfeinsätze empfehlen konnte. In der Innenverteidigung ersetzte Marton Dardai den gesperrten Filip Uremovic, neben ihm verteidigte Abwehrchef Marc Oliver Kempf. Als Rechtsverteidiger lief wieder Jonjoe Kenny auf. Im defensiven Mittelfeld agierte der in den vergangenen zwei Spielen als Kapitän aufgelaufene Lucas Tousart, vor ihm Suat Serdar und der für Ivan Sunjic in die Startelf rotierte Jean-Paul Boetius. In der Offensive vertraute das Trainerteam wieder auf Chidera Ejuke und Dodi Lukebakio auf den Flügeln und Wilfried Kanga in der Sturmspitze.

In unserer Analyse schauen wir heute auf die etwas alleingelassene Offensive, zwei Enttäuschungen, ein Duo für die nächsten Spiele und die getätigten Wechsel.

Chidera Ejuke und Dodi Lukebakio: Ohne sie geht’s nicht

Die beiden Außenspieler machen aktuell einfach Spaß. Viel zu lange mussten Hertha-Fans auf geeignete Flügelspieler im Team der Hertha warten. Doch noch gelingt es ihnen nicht, ihre guten Leistungen auch in Zählbares umzumünzen. Gegen die Dortmunder gelang es Ihnen neben ihrer Schnelligkeit noch ein wenig mehr Flexibilität einzubringen, in dem sie sich auf ihren Flügelseiten abwechselten. Chidera Ejuke spielte sogar sein erstes Spiel für Hertha BSC über die komplette Distanz.

Der Nigerianer war mit Wucht, Wendigkeit und Schnelligkeit unterwegs, setzte zu ganzen zehn Dribblings an, von denen er acht erfolgreich beendete. Allgemein war Ejuke 64 Mal am Ball. Er verteilte 39 davon, 32 fanden den Adressaten. Er ging in 16 Zweikämpfe, von denen er neun für sich entscheiden konnte. Der 24-Jährige versuchte, so gut es ging, das Offensivspiel anzukurbeln und in die Hände bzw. an die Füße zu nehmen.

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Mit Hilfe der zu kurz klärenden Dortmunder Verteidigung konnte er bereits in den frühen Anfangsminuten die erste große Chance der Hertha einleiten. Jonjoe Kennys Schuss lenkt der am jenen Samstagnachmittag glänzend aufgelegte Gregor Kobel um den Pfosten. Doch in der 21. Minute sah man auch bei Ejuke, Kanga und Lukebakio, dass die Abstimmung noch nicht optimal funktioniert. Die Überzahlsituation gegen die Dortmunder Verteidigung vertändelten sie leichtfertig. Generell musste sich Ejuke den Verteidigern zu häufig geschlagen geben. Ganze 20 Ballverluste musste er hinnehmen.

Dodi Lukebakio war gegen den BVB bemüht, aber weniger gefährlich und spritzig als noch eine Woche zuvor gegen Mönchengladbach. Auch er musste 16 Ballverluste verzeichnen, hatte im Vergleich zu seinem Partner Ejuke mit 38 Aktionen deutlich weniger Beteiligungen am Spiel und konnte auch nur einen Torschuss beitragen. Immerhin beendete er vier seiner sechs Dribblings erfolgreich, konnte sieben seiner dreizehn Zweikämpfe für sich entscheiden und spielte zwölf von neunzehn Pässen erfolgreich. So fungierte er immerhin in einigen Situationen als Ballverteiler. Der Belgier zeigte trotz fehlenden Glücks aber eine engagierte Leistung. Nach 75 Minuten musste er Platz machen für Marco Richter.

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(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)

Ihnen zusprechen muss man, dass die Verteidigung der Dortmunder zu den Besseren der Liga gehört. Nicht jede Partie können sie ihr Spiel entfalten. Wichtig wird allerdings in den nächsten Wochen sein, dass ihre Mühe belohnt wird. Doch dafür muss gearbeitet und das Glück erzwungen werden. Ohne die beiden Spieler erlahmt das Offensivspiel aktuell zu sehr, durch das Zentrum funktioniert nur selten etwas und die verteidigenden Gegner können sich immer mehr auf die beiden Schlüsselfiguren der Berliner einstellen. Wilfried Kanga ist bemüht, doch auch ihm fehlt noch sehr das Glück im Abschluss oder überhaupt die Chance sich in gefährliche Positionen zu spielen. Herthas Mittelstürmer hängt aktuell noch zu sehr in der Luft.

Jean-Paul Boetius: Enttäuschendes Startelfdebüt für Hertha

Der niederländische Neuzugang durfte nach zwei Einwechslungen sein erstes Spiel von Anfang an absolvieren und ersetzte Ivan Sunjic. Doch die Spieler der Borussia konnten Boetius praktisch durchgehend kaltstellen.

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Er konnte gegen Dortmund weder für produktiven Ballbesitz sorgen, noch die Offensive mit seiner Kreativität unterstützen. Dinge, die dringend nötig gewesen wären, um das Angriffsspiel flexibler zu gestalten. Insgesamt spielte er 23 Pässe, von denen 15 ankamen. Die Hälfte seiner sechs Zweikämpfe konnte er für sich entscheiden. Doch 14 Ballverluste sprechen eine deutliche Sprache. Auch defensiv gelang es ihm nicht eine Hilfe für das Team zu sein. Ein enttäuschendes Startelfdebüt endete nach 55 Minuten, als er für Stevan Jovetic ausgewechselt wurde.

Marc Oliver Kempf und Marton Dardai: Ein Duo mit Zukunft

Marton Dardai durfte sich auf seinen ersten Startelfeinsatz in dieser Saison freuen. Er ersetzte den gesperrten Filip Uremovic. Der Youngster und Marc Oliver Kempf zeigten, dass sie in der Lage sind, die Abwehr zusammenzuhalten, auch wenn der BVB oftmals auch an sich selbst scheiterte. Kempf avanciert immer mehr zum Abwehrchef. Gegen Dortmund spielte er eines seiner besten Spiele im Dress der Hertha.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Er entschied fünf Tacklings für sich, klärte drei Bälle zum Teil in höchster Not, blockte vier Dortmunder Versuche und lief noch dazu dreimal dem Gegner den Ball ab. Er gewann acht seiner vierzehn Zweikämpfe. Für Kempfs Verhältnisse eine durchaus vernünftige Quote. Die wichtigste Aktion hatte er in der 72. Minute, als er nach Bellinghams Schuss den Ball hinter den bereits geschlagenen Oliver Christensen von der Linie kratzte. Kempf versuchte so gut es ging den Spielaufbau zu gestalten. Er spielte 32 von 34 Pässen erfolgreich zu seinen Mitspielern und versuchte sich mit zahlreichen langen Bällen, von denen immerhin vier ankamen. Doch ihm muss man eine Mitschuld am Gegentreffer zusprechen. Zum wiederholten Mal war er nicht nahe genug an seinem Gegenspieler – in diesem Fall Modeste – und konnte ihn entscheidend am Kopfball hindern. Nach 80 Minuten machte er aus taktischen Gründen Platz für Davie Selke.

Marton Dardai dagegen spielte über die gesamte Spielzeit. Zugegeben, seine Leistung kam nicht an die von Kempf ran, doch er unterstützte in der Defensive mutig und engagiert. Insgesamt rettete er in der Defensive dreimal. Im Aufbauspiel brachte er sich mit 30 erfolgreichen Pässen gut ein. Generell war er mit 53 Aktionen sehr aktiv. Seine Zweikampfleistung ließ arg zu wünschen übrig. Nur einen seiner drei konnte er für sich entscheiden. Und auch er leistete sich einen Schnitzer, der beinahe bestraft wurde. In der 25. Minute unterlief ihm ein übler Fehlpass, der schnelle Gegenangriff mitsamt Torschuss von Antony Modeste ging nur knapp nicht in die Torstatistik ein.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Dennoch, Marton Dardais und insbesondere Marc-Oliver Kempfs Leistungen, lassen sich sehen. Die Dortmunder waren ihnen zwar extrem häufig überlegen, aber zeigen sie diese Leistungen gegen Mannschaften, mit geringerer Offensivpower, kommt die noch mehr benötigte Sicherheit auch in deren Spiel an.

Marvin Plattenhardt: Ein großes Fragezeichen

Nach dem er verletzungsbedingt zuletzt zwei Spiele ausgefallen war und Maximilian Mittelstädt ihn nicht von seinem Stammplatz verdrängen konnte, durfte Marvin Plattenhardt wieder als Linksverteidiger auflaufen. Zurecht, schließlich ist er der Kapitän der Mannschaft. Aber dieser Punkt scheint auch das einzige valide Argument zu sein, weshalb er in der Hierarchie über Mittelstädt steht. Zugegeben, auch Mittelstädt brillierte nicht, doch passt er nachweislich wesentlich besser ins System von Sandro Schwarz. Marvin Plattenhardt hatte gegen Borussia Dortmund enorme Probleme. Insbesondere im Defensivbereich. Und sein direkter Gegenspieler war niemand Geringeres als sein ehemaliger Mitspieler Marius Wolf. Ein – mit Verlaub – Fußballer mit, abseits seiner Dynamik, beschränkten Fähigkeiten. Jemand, der von einem soliden Bundesligaverteidiger zumindest phasenweise unter Kontrolle gekriegt werden sollte. Doch Plattenhardt erstarrte regelrecht in einigen Aktionen vor Verzweiflung, weil er kaum Licht in der Verteidigung und Aufbauspiel sah.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Mit 71 Ballberührungen war der WM-2018-Teilnehmer einer der aktivsten Herthaner. Immerhin konnte er das Angriffsspiel dank seiner Stärke – Flanken – ein wenig ankurbeln. Vier Torschüsse bereitete er vor. Doch für viel Gefahr konnte er nicht sorgen. Immerhin schaffte er defensiv vier Klärungsaktionen und entschied zwei Tacklings für sich. Doch 17 Ballverluste auf so einer wichtigen Position sind ein Hilferuf. Plattenhardt ist es nicht gelungen, die Ausstrahlung eines Kapitäns zu verkörpern, für Sicherheit zu sorgen oder voranzugehen. Er schwimmt zu sehr mit, weil er aufgrund von Verletzungen und der eigenen Leistung viel zu viel mit sich selbst beschäftigt ist. Ein Umstand der vor der Saison bekannt hätte sein müssen.

Allgemein muss sich der Verein bezüglich der Position des Linksverteidigers stark selbst hinterfragen. Wie kann es sein, dass man über zwei Linksverteidiger verfügt, die sich seit etwa sieben Jahren in feiner Regelmäßigkeit abwechseln, nie aber so etwas wie einen Konkurrenzkampf beginnen? Auch Verpflichtungen, die jenen provozieren hätten können, schlugen fehl. Fredrik André Björkan verlässt nach nur einer halben Saison aufgrund fehlender Qualität wieder den Verein.

Kevin Prince Boateng, Marco Richter und Stevan Jovetic: Die Wechsel sorgen für Erfrischung

Sandro Schwarz wechselte während der Partie viermal. Bis auf Davie Selke konnten sie auch auf sich aufmerksam machen. Sie brachten Frische und Torgefahr mit und wurden gezielt, intelligent und nahezu ohne Verzweiflungstaten ins Spiel gebracht. Gerade Stevan Jovetic gelang es, wie schon in den Spielen zuvor, das Offensivspiel an sich zu reißen. Doch auch er scheiterte am starken Gregor Kobel. Man merkt Jovetic die Spielfreude an und sieht, welche Qualitäten noch in ihm stecken. Gegen Dortmund kam der letztjährige mit sechs Toren teaminterne Torschützenkönig nach 55 Minuten für Boetius in die Partie. Es kommt auf den körperlichen Zustand Jovetics an, wie viele Minuten er in der Lage ist, in den nächsten Wochen abzuspulen. Jede Sekunde, die er auf dem Feld steht, kann helfen. Bleibt zu hoffen, dass er entspannt bleibt und nicht wie letzte Saison in Frust verfällt.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Kevin-Prince Boateng wurde nach 75 Minuten für Suat Serdar eingewechselt. Sein Beitrag war vor allem das Zerstören der Dortmunder Offensive. In seinen paar Minuten zog er vier Fouls. Er pushte seine Mitspieler, wusste das Spiel in der Schlussphase anzuheizen und war immerhin noch zehnmal am Ball. Er spielt neun Pässe, von denen sieben den Mitspieler fanden. Auch wenn er offensiv nichts ausrichten konnte, merkt man ihn die Lust und Leidenschaft an. Sein Herz brennt für Hertha. Doch wie bei Jovetic stellt sich jedes Spiel die Frage, wie viel der Körper noch mitmachen kann. Allein bei seinen Kurzeinsätzen verzichtet er auf lange Läufe. Seine Qualitäten erfrischen das Spiel der Hertha enorm. Doch für die Punkte kann er allein nicht mehr sorgen.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Für Marco Richter hätte es zum großen „Ausgerechnet-Moment“ kommen können. Es wäre eine beinahe kitschige, aber so wunderschöne Geschichte gewesen. Nach 75 Minuten betrat er das Spielfeld für Dodi Lukebakio. Der vor wenigen Wochen vom Hodentumor genesene Richter betrat unter tosenden Applaus das Spielfeld und hatte in der 79. Minute die Möglichkeit seinen Nachmittag zu vergolden. Doch Richters Schuss aus der Distanz wurde einmal mehr vom hervorragend reagierenden Kobel an die Latte gelenkt. Marco Richter zeigte, wie viel er dem Offensivspiel geben kann. Es kann allen Beteiligten nur guttun, wenn er für einen gewissen Konkurrenzkampf in der Offensive sorgt. Bei seinem Kurzauftritt war er neunmal am Ball, spielte drei von vier erfolgreichen Pässen und gewann 60 Prozent seiner Zweikämpfe. Es war toll ihn wieder auf dem Platz stehen zu sehen.

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Die wichtigen Spiele für Hertha kommen jetzt

Der Saisonstart ist, betrachtet man die Punkteausbeute, misslungen. Nur ein Punkt aus vier Spielen, ein Torverhältnis von 2:6, Derbyniederlage und das Aus im Pokal beim Tabellenletzten der 2. Bundesliga. Hertha steht nach vier Spieltagen auf einem direkten Abstiegsplatz. Doch ohne es schönreden oder nach Ausreden suchen zu wollen – die Niederlage gegen Dortmund hätte aufgrund des Chancenwuchers der Gäste viel höher ausfallen können – ist bis auf das Pokal-Aus nicht mit viel mehr zu rechnen gewesen. Im Gegenteil, der Punkt gegen Eintracht Frankfurt muss als Bonus gewertet werden.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Und die Fans, Spieler und Trainer scheinen genau das auch zu erkennen. Die Mannschaft musste im Sommer den dritten Umbruch in den letzten Jahren hinnehmen, ist noch in manchen Teilen in der Findungsphase, doch zeigt in vielen Bereichen mittlerweile Fortschritte. Herthas Konkurrenten sind in diesem Jahr nicht Union Berlin, Eintracht Frankfurt, Borussia Mönchengladbach oder Borussia Dortmund. Die wichtigen Spiele, in denen gepunktet werden muss, folgen jetzt. In Augsburg kann die Mannschaft nächsten Sonntag beginnen die Tabelle von hinten aufzurollen und den Fans, die sie seit Wochen großartig unterstützen, etwas zurückgeben. Nun zählen keine Ausreden mehr.

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Herthaner im Fokus: Der Derby-Fluch hält an

Herthaner im Fokus: Der Derby-Fluch hält an

Liebe Leserinnen und liebe Leser, lasst uns kurz einmal in die Vergangenheit schauen. Erinnert ihr euch an den 9. April dieses Jahres? Damals fand der 29. Spieltag der letzten Bundesliga-Saison statt und Hertha BSC wurde im eigenen Stadion sang– und klanglos von enorm starken Unionern überrannt. Am Ende stand eine auch in der Höhe vollkommen gerechtfertigte 1:4-Niederlage und man hing im tiefen Abstiegsschlamassel fest. Beim Blick auf die Startelf des damaligen Spiels fällt auf, dass die einzigen Akteure, die auch beim Derby am 1. Spieltag der neuen Saison in der Startelf standen, Myziane Maolida und Marc-Oliver Kempf waren. Mit Sandro Schwarz steht ein neuer Trainer mit neuer Philosophie, neuem Auftreten und neuer Spielidee an der Seitenlinie und generell hat sich seitdem vieles getan. Doch etwas ist geblieben. Eine spielerische und taktische Überforderung, eine unerklärliche Gelähmtheit einzelner Akteure und die spürbare Angst vor dem Versagen. Es ist mittlerweile ein Mysterium, dass es kaum einer Hertha-Mannschaft gelingt, diese Dinge abzulegen. Sehr wahrscheinlich stecken die Probleme also in noch unergründeten Ecken. Aber nun erst einmal zum Spiel.

Selbes System, selbe Mannschaft, aber einer fehlt

Sandro Schwarz stellte wie schon in Braunschweig die Mannschaft in einem 4-3-3-System auf. Die personelle Aufstellung war fast gänzlich dieselbe. Im Tor stand die dänische Nummer 1 Oliver Christensen. Kapitän Marvin Plattenhardt als Linksverteidiger und Jonjoe Kenny als Rechtsverteidiger auf den Außen. Vor der Verteidigung agierten Ivan Sunjic, Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar. In der Offensive sollten Myziane Maolida über links, Dodi Lukebakio über rechts und Davie Selke als üblicher Neuner für die Tore sorgen. Eine Änderung nahm Schwarz allerdings vor und die sorgte für Aufsehen und scheint kein Thema für nur ein Spiel zu sein.

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Der in Braunschweig unglücklich agierende Marc-Oliver Kempf durfte gegen Union Berlin als Abwehrchef fungieren. Ihn an die Seite gestellt wurde Filip Uremovic. Der kroatische Neuzugang kam also zu seinem Bundesliga-Debüt. Dedryck Boyata, der über Jahre die Rolle des Abwehrchefs einnahm, bekam also die Quittung für seine schlechte Leistung in Braunschweig und wohl auch im Training und wurde nicht einmal mehr für den Spieltags-Kader berücksichtigt.

In unserer Analyse schauen wir heute auf unseren Torhüter, die unsichere Verteidigung, das Führungsspieler-Vakuum und wer sich Hoffnungen auf die Startelf machen kann.

Oliver Christensen: Dankbare Bälle, aber auch viel Pech

Der neue Stammtorhüter der Hertha leistete gegen Union Berlin eine viel bessere Arbeit als zuletzt in Braunschweig. Er zeigte mehr Ruhe und mehr Sicherheit. Gute Paraden gegen die Unioner Offensive belegen das. Insbesondere gegen Ryerson, der einen starken Tag erwischte und die Verteidigung vor viele Probleme stellte. Von eben jenem Ryerson wurde Christensen in der 27. Minuten zu einer Glanzparade gezwungen. Sieht man die Situation sehr kritisch, muss man vielleicht sogar sagen, dass Christensen diesen Ball auch haben muss. Zumindest war es ein dankbarer Ball um sich als Torhüter sehenswert auszeichnen zu können. In der Vergangenheit konnte sich nicht jeder Herthaner zwischen den Torpfosten so auszeichnen. Insgesamt wurde er zu fünf Paraden gezwungen, zweimal konnte er den Ball in brenzliger Situation klären. Eine weitere Unioner Großchance vereitelte er direkt nach Beginn der zweiten Halbzeit, als er einen Kopfball von Becker zur Ecke lenken konnte.

Christensen war wach und bei Standards präsent, wie bei Trimmels Freistoß in der 80. Minute. Immer wieder versuchte er das Spiel der Hertha einzuleiten, 18 seiner 23 Pässe fanden den Mitspieler, acht seiner 13 Versuche lange Bälle bei seinen Kollegen unterzubringen, waren erfolgreich. Bei den Gegentoren trifft Christensen keinesfalls eine Hauptschuld, allerhöchstens zum Teil. Beim 0:1 durch Siebatcheu könnte man ihm ein schlechtes Stellungsspiel unterstellen, als er zu sehr auf die kurze Ecke spekulierte. Beim 0:2 wirkte er zu zögernd. Ein entschiedenes Rauskommen hätte womöglich einen Sieg im Zweikampf mit Becker bedeutet. Beim 0:3 sah er auf der Linie unglücklich aus. Doch eins vereint diese drei Gegentore. Bei allen schlief die komplette Verteidigung. Die schlief allerdings häufiger als nur die drei Mal. Und wenn am Ende der Kette Christensen nicht gewesen wäre, hätte das Spiel schon viel früher entschieden sein können.

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Die Absprache mit seinen Kollegen funktioniert noch nicht reibungslos, was angesichts der noch jungen Saison aber verständlich ist. Es wäre schön und vor allem sehr wichtig, sehr bald eine Stamm-Innenverteidigung zu haben. Bekanntlich war das letzte Saison die größte Baustelle der Hertha. Es ist oft gemein, Vergleiche zu ziehen, doch sieht man sich die Unterschiede zwischen Oliver Christensen und Marcel Lotka an, fällt auf, dass der Däne aktuell eher den ruhigen Akteur gibt und weniger den des Wachrüttlers. Dabei wird letzterer gerade dringend gebraucht.

Dedryck Boyata: Dramatischer Abstieg eines Führungsspielers

In Köpenick war er nicht nur nicht in der Startelf. Nein, der Belgier war nicht einmal im Kader. Laut Sandro Schwarz eine Konsequenz aus den Eindrücken vom Spiel in Braunschweig und der Trainingswoche. Es könnte also durchaus sein, dass das Spiel gegen die Löwen Dedryck Boyatas letztes Spiel im Dress der Hertha gewesen ist. Der Absturz des Innenverteidigers konnte schneller kaum gehen. Nach zwei Jahren wurde ihm die Kapitänsbinde abgenommen und nun wurde ihm auch der Rang als Abwehrchef abgelaufen. Sportlich hat Schwarz genug Argumente auf seiner Seite. Zumindest dann, wenn Marc-Oliver Kempf tatsächlich eine Reaktion im Training zeigte.

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In den letzten Jahren war Boyata trotz gelegentlicher Aussetzer einer der besten Verteidiger von Hertha BSC. Sein Standing im Team war extrem hoch, die Mannschaft wählte ihn nicht grundlos zweimal zum Kapitän. Doch er hatte zunehmend mit sich selbst zu kämpfen, zuletzt kamen Wechselgerüchte auf. Nachdem Boyata also noch die gesamte Vorbereitung mitgemacht hatte, steht sein Verbleib in Berlin nun mehr denn je auf der Kippe. Es droht der nächste Führungsspieler zu gehen. Es stellt sich die Frage, wie Sandro Schwarz und Fredi Bobic dieses Führungsvakuum angehen möchten. Insbesondere, wenn auch noch Maximilian Mittelstädt verkauft werden sollte. In der Innenverteidigung gibt es aktuell keinen, der auf diesem Niveau Boyatas Führungsrolle ausfüllen könnte.

Marc-Oliver Kempf: Kein Abwehrchef

Auch nicht Marc-Oliver Kempf. Der war in Köpenick zwar bemüht und gab sich nicht auf. Doch die Rolle Boyatas wird er Stand jetzt nicht ausfüllen können. Dafür hat auch er zu viel mit sich selbst und seinem riskanten Spiel zu tun. Immerhin konnte er sechsmal in teilweise höchster Not klären. 68 Mal war er am Ball. Doch viel zum Aufbauspiel konnte er nicht beitragen. Ganze elf Fehlpässe stehen in seiner Statistik, alles andere als sicher. Nur 45 Prozent, als neun von 20 Zweikämpfen konnte er für sich entscheiden. Beim ersten Gegentreffer war Siebatcheu zu schnell für ihn. Er konnte den Stürmer nicht mehr am Kopfball hindern. Ebenso war er beim 0:2 gegen den schnellen Becker zu langsam. Sein Klärungsversuch sah einigermaßen spektakulär aus, retten konnte er allerdings nichts mehr.

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Wir wissen nicht, wie die Spieler im Training drauf sind und was sie dort zu bieten haben. Doch auch wenn Kempf wohl eine gute Reaktion auf seine schwache Leistung in Braunschweig zeigte, konnte er diese leider nicht im Derby bestätigen. Und irgendwo sollte auch dieser Punkt in der Bewertung zählen. Es steht noch viel Arbeit für das Trainerteam an. Eine echte Hierarchie in der Verteidigung scheint es nicht mehr zu geben. Möglicherweise müssen die Karten gänzlich neu gemischt werden.
Doch immerhin …

Filip Uremovic: Kleiner Lichtblick, aber noch überfordert

… einer konnte die Situation zumindest etwas für sich nutzen. Neuzugang Filip Uremovic zeigte sich engagiert, konnte mehrmals klären. Allein schon nach wenigen Sekunden, als er Rani Khediras Torschuss blockte. Insgesamt blockte er drei Bälle und klärte drei weitere. Vier Tacklings gelangen ihm und zweimal konnte er einen Unioner durch einfaches Ablaufen vom Ball trennen. Insgesamt war er 61 Mal im Ballbesitz und konnte 90 Prozent, also 43 von 48 Pässen bei seinen Mitspielern unterbringen. Offensiv versuchte er es zum Beispiel in der Nachspielzeit. Sein Kopfball war allerdings letztendlich zu ungefährlich.

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Doch auch er musste bei den ersten beiden Gegentoren feststellen, dass es ihm deutlich an Tempo fehlt, um gegen schnelle Gegenspieler bestehen zu können. Im Gesamtgefüge war Filip Uremovic ein kleiner Lichtblick, der in brenzligen Situation allerdings noch schnell überfordert war. Die Kommunikation mit seinen Mitspielern ist noch nicht ausgereift. Trotzdem scheint er jemand zu sein, der den Konkurrenzkampf in der Innenverteidigung oder auch auf der Position des Rechtsverteidigers ankurbeln könnte. Gerade auf der rechten Außenposition scheint es nötig zu sein, denn …

Jonjoe Kenny: Maximal Überfordert

… ein weiterer Neuzugang, nämlich Jonjoe Kenny, tat sich im Derby sehr schwer und war des Öfteren maximal überfordert. Zwar konnte auch er ein paar Punkte für sich sammeln, wie fünf Aktionen, die er klären konnte. Insgesamt war Kenny 80 Mal am Ball und damit einer der aktivsten Herthaner, allerdings fabrizierte er dramatische 26 Ballverluste. Von ihm ging keine Sicherheit aus. Dank einiger Tacklings konnte er immerhin acht von 13 Zweikämpfen gewinnen. 37 seiner 55 Pässe kamen beim Mitspieler an, zu wenig für einen Spieler auf seiner Position. Auch Versuche die Offensive in Szene zu setzen schlugen häufig fehl. Nur einer von acht langen Bällen kam beim Mitspieler an. Immerhin konnte er in der 60. Minuten mit einer Flanke für Wilfried Kanga für etwas Torgefahr sorgen. Doch defensiv machte ihm insbesondere Unions Ryerson das Leben enorm schwer. Mehrmals kam er gegen den Norweger zu spät oder setzte zu einer schlechten Grätsche ins Lehre an.

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Aktuell ist Jonjoe Kenny einer der größten Verlierer der unsicheren Verteidigung. Möglicherweise kann er zu einer festen Größe wachsen, dazu ist aber allgemeine Abwehrsicherheit gefordert. Zudem ist er nicht darum zu beneiden, Boateng und Lukebakio, die beide defensiv kaum Unterstützung liefern, als Zuarbeiter auf seiner Spielseite zu haben. Urgestein Peter Pekarik oder Filip Uremovic sitzen ihm im Nacken und könnten nach zwei sehr schwachen Spielen den Briten auf seiner Position ablösen.

Das Mittelfeld: Einfallslos, langsam und kein Bindeglied

Das Dreiergespann, bestehend aus Abräumer Ivan Sunjic und Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar blieb gegen Union extrem blass. Noch vor wenigen Tagen wurde insbesondere Ivan Sunjic für sein Spiel in Braunschweig gelobt. Doch kaum trifft man auf einen Gegner, dessen Qualitäten etwas höher anzusetzen sind, steht man vor Problemen. Zumindest scheint es so.

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Die drei wurden zunehmen kaltgestellt. Kevin-Prince Boateng ist aus körperlichen Gründen kaum in der Lage, Extrawege zu gehen und als wirkliches Bindeglied zwischen Sturm und Abwehr zu wirken. Suat Serdar versucht es zu häufig mit Solo-Aktionen. Seine Dribblings gehen meistens ins Leere oder in die Beine von Gegenspielern. Durch ihre Limitierungen waren sie auch nicht in der Lage die Offensive in Szene zu setzen. Davie Selke und Myziane Maolida hingen komplett in der Luft, Dodi Lukebakio konnte erst nach den verschiedenen Wechseln aufspielen. Das Spiel der Hertha wirkt momentan ideenlos und sehr statisch. Um sich ein endgültiges Urteil dazu bilden zu können, ist es allerdings noch zu früh. Das Dreiergespann jetzt schon wieder auseinanderzureißen würde die nächste große Baustelle im Team eröffnen. Womöglich kann hier der wohl festzustehende Neuzugang Jean-Paul Boetius Abhilfe schaffen.

Dodi Lukebakio: Mr. Derby arbeitet zu wenig

Ein kleiner, netter Fakt gefällig? Dodi Lukebakio ist Mr. Derby. Der Belgier hat mittlerweile drei Tore in Berliner Derbys erzielt und ist damit der torgefährlichste Spieler dieser Duelle, Sheraldo Becker ist ihm dicht auf den Fersen. Immerhin eine nette Statistik, die sich Herthaner schönreden können.

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Insgesamt war das Spiel von Dodi Lukebakio in der ersten  Halbzeit nicht vorhanden. Ähnlich wie bei der gesamten Offensive und dem Mittelfeld der Hertha. Er und Kenny konnten sich in keiner Weise ergänzen, das Spiel miteinander bestand praktisch nicht. Erst in der zweiten Halbzeit, beim Stand von 0:3, als Sandro Schwarz mehr dynamische Power einwechselte, konnte auch er sein Spiel entfalten. Nur eines von sechs seiner gefürchteten Tempodribblings konnte er in irgendeiner Form positiv gestalten. Insgesamt war er an 33 Aktionen beteiligt, der Großteil davon in der Schlussphase. Er brachte 71 Prozent, also zehn von 14 Pässen beim Adressaten unter. Sein Tor zum Ehrentreffer in der 85. Minute war sehenswert und zeigte, dass er das Spiel der Hertha durchaus beleben kann, allerdings nur im Zusammenspiel mit ähnlichen Spielertypen, die ihn ebenfalls in Szene setzen können. Ansonsten ist Dodi Lukebakio keine große Hilfe in einem Spiel, in dem vor allem verteidigt werden muss. Diese Form von Einsatz ließ er im Vergleich zum Pokal-Spiel leider vermissen. Das leidige Thema der Konstanz …

Wilfried Kanga und Chidera Ejuke: Hoffnungsvolle Power für die nächsten Wochen

Chidera Ejuke bekam bereits gegen Braunschweig seine ersten Minuten, Wilfried Kanga nun im Derby. Die beiden zeigten, dass sie in der Lage sind, das Angriffsspiel anzukurbeln und vor allem mit ihrem Tempo für Gefahr zu sorgen. Beide halfen ab der 56. Minute mit. Durch den unglücklichen 0:3-Treffer war da das Spiel allerdings schon vor ihrer Einwechslung entschieden. Ejuke setzte zu mehreren Dribblings an. Vier von fünf konnte er erfolgreich beenden. Alle seine Pässe – fünfzehn Stück – kamen an. Vier von fünf Zweikämpfen gewann er. Alles Statistiken, die belegen, dass er ein höheres Niveau als der Durchschnitt im Team hat. Er besitzt mehr Tempo, mehr Kraft und Durchsetzungsvermögen und zeigte viel mehr Engagement als Myziane Maolida, den er ersetzte.

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Wilfried Kanga war bei seinem Debüt wesentlich besser im Spiel als Davie Selke. Er zeigte sich ballsicher, passsicher – alle seine sechs Pässe kamen an – und nach 60 Minuten konnte er mit einem Schuss aus der Luft nach Flanke von Kenny auch für erste Gefahr sorgen. Zu diesem Zeitpunkt war es die erste Chance der Hertha aus dem Spiel heraus. Beide haben gezeigt, dass sie definitiv Anwärter auf einen Startelf-Platz sind und dem Offensivspiel der Hertha viel mehr Unberechenbarkeit ermöglichen können.

Vermasselter Saisonstart, aber es ist bei weitem nichts verloren

Von einem Zweitligisten aus dem Pokal geworfen, am ersten Spieltag das Derby verloren. Schlechter kann eine Saison eigentlich nicht starten und wir wollen das hier auch überhaupt nicht schönreden. Aber das Pokal-Aus muss man verkraften können, damit muss jede Mannschaft rechnen. Die Derbyniederlage ist gerade für den Kopf und für die Laune ein Problem. Doch wie man an der Reaktion der Hertha-Fans gesehen hat, weiß man diese einzuordnen. Die Anforderungen in Berlin sind mittlerweile andere, als in den letzten drei Jahren.

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Ein Abwärtsstrudel zu Beginn der Saison muss dringend unterbunden werden, wenn man nicht schon in einem ist. Sieht man diese Niederlage sportlich und vergleicht man sie mit einem Spiel gegen einen Gegner, der Union ebenbürtig gewesen wäre, also SC Freiburg, Borussia Mönchengladbach oder Mainz 05, wären Spiel und Ergebnis möglicherweise ähnlich gewesen. So muss vor allem der Kopf freigemacht werden um sich schnell von der Derby-Klatsche erholen zu können. In der Mannschaft hapert es an einfachsten und grundsätzlichen Dingen. Gegen Union fehlte die Kompromisslosigkeit in den Zweikämpfen. Fredi Bobic sagte im „Doppelpass“ bei Sport1, dass es Zeit brauchen würde, bis gewisse Dinge funktionieren. Zusätzlich betonte auch er, dass Dedryck Boyata sportlich aktuell keine Hilfe ist. Es kommen schwere Gegner auf die Hertha zu. Spiele, in denen es nicht leicht wird, zu bestehen. Aber man hat nichts zu verlieren und kann theoretisch befreit aufspielen. Die Mannschaft hat sich noch nicht gefunden, das Selbstverständnis fehlt bisher.

Es bedarf klarer Ansagen und Taten des Trainerteams, damit sich ein schlagkräftiges Team bilden kann. In nahezu allen Mannschaftsteilen gibt es Probleme, aber auch großes Potential diese zu beseitigen. Die Zeiten sind nicht einfach, aber die Saison ist lang und noch ist rein gar nichts verloren. Allgemein tut es Hertha-Spielern, Fans und dem Verein wohl besser, wenn man den Derbys und der Berliner Rivalität nicht mehr Bedeutung schenkt, als sie verdienen. Und schon gar nicht braucht man über jedes Stöckchen aus Köpenick springen, was hingehalten wird. Man muss sich auf sich selbst konzentrieren. Ausschließlich auf sich selbst.

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)