Abschied von Arne Friedrich: Die unromantische Realität

Abschied von Arne Friedrich: Die unromantische Realität

Die Woche ist gerade zur Hälfte rum und Hertha BSC hat schon wieder Schlagzeilen über Schlagzeilen produziert. Und dabei ist die Meldung, dass Arne Friedrich vorzeitig den Verein verlassen hat, nicht einmal die spektakulärste. Und doch die wohl emotionalste.

Ein letztes Mal Ehrlichkeit

Halbzeit im Berliner Olympiastadion. Arne Friedrich tritt recht zerknirscht zum Interview bei Sky an und versucht die mal wieder schwer enttäuschende Leistung der Hertha Mannschaft zu erklären. Hertha lag zu diesem Zeitpunkt 0:1 gegen Eintracht Frankfurt zurück. Seiner Forderung, dass die Mannschaft „endlich den Arsch hochkriegen müsse“, folgte keiner. Mit einer saftigen 1:4-Klatsche ging das Team wie so oft in den letzten Wochen unter. Der einzige, der „seinen Arsch hochkriegte“ war Arne Friedrich selbst. Und das zwei Tage später. Am Montag ging von mehreren Seiten die Meldung raus, dass er sein Engagement bei der Hertha vorzeitig abbrechen würde.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Friedrich selbst begründete via Social Media seinen vorzeitigen Abschied damit, dass sein Einfluss als Sportdirektor nicht mehr gegeben war. Fredi Bobic bestätigte das auf der am Dienstag angesetzten Pressekonferenz relativ nüchtern. Wie bereits erwähnt und hinlänglich bekannt, war der Abschied sowieso beschlossene Sache. Allerdings für den Sommer. Ob es einen neuen Sportdirektor geben würde, war noch nicht abschließend geklärt, wirkliche Gerüchte oder gar Meldungen gab es noch in keiner Weise. Und dennoch regt wieder einmal die Art und Weise, der Zeitpunkt und das komplette Bild, welches der Verein dieser Tage abgibt, zum tiefen Nachdenken an.

Friedrichs Engagement bei Hertha glich einer Zeitenwende

Hertha Ende November 2019: Seit dem Sommer war der Einstieg von Lars Windhorst und seiner Tennor-Holding beschlossene Sache, der Saisonstart verlief allerdings alles andere als zufriedenstellend und Trainer Ante Covic musste Platz machen. Jürgen Klinsmann, der zu dem Zeitpunkt als Berater von Lars Windhorst aktiv war, sollte als Nachfolger einspringen. Es begann eine der surrealsten Zeiten, die man als Hertha-Fan jemals kennenlernte. Facebook-Live-Auftritte, große Sprüche über die Champions League, Trainingslager in den USA, Treffen auf der Yacht von Lars Windhorst.

Mitten drin einer, den Klinsmann mitbrachte, aber als alter Bekannter kein neuer war: Arne Friedrich. Als sogenannter „Performance Manager“ war sein Aufgabenbereich schwer zu definieren. Mal sollte der ehemalige Profi, der immerhin von 2002-2010 auf 288 Pflichtspiele für Hertha BSC kommt, die Verteidigung trainieren, mal versuchte er mit seinen Erfahrungen aus US-amerikanischen Tagen Einflüsse aus dem Militär im Training der Hertha einzubinden und wieder ein anderes Mal, sorgte er mit Q&A’s auf Instagram für Fannähe.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Arne Friedrich gilt als attraktiv, eloquent, weltoffen und extrem wissbegierig. War er der Protagonist auf einer Pressekonferenz, konnten sich Journalist:innen über Offenheit und Warmherzigkeit freuen und zusätzlich über intelligente Aussagen. Friedrich strahlte eine riesige Professionalität aus, die neu war in Berlin. Bei Hertha hatte man sich mittlerweile an einen meist mies gelaunten Michael Preetz gewöhnt, der stets so wirkte, als hätte er sich lediglich dank des einen oder anderen Managementkurses ein etwas gehobenes Sprachniveau aneignen können. Von den polternden Pal-Dardai-Pressekonferenzen ganz zu schweigen. Jürgen Klinsmann wirkte dieser Tage auch mehr wie eine narzisstische und selbstverliebte Person, als ein gestandener ehemaliger Spieler und Trainer von Weltniveau.

Zusätzlich hatte Arne Friedrich schon in seiner aktiven Zeit in Berlin auf dem Platz einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als ehemaliger Kapitän, Leistungsträger und noch dazu als Herthas erfolgreichster Spieler der deutschen Nationalmannschaft genießt er seit vielen Jahren in Berlin Legendenstatus.

Aus dem Schatten von Preetz an die Spitze

Als im Frühjahr 2021 Hertha wieder im tiefen Abstiegskampf stand und neben dem damaligen Trainer Bruno Labbadia auch Michael Preetz gehen musste und damit eine zwölf Jahre lange Ära endete, schlug Friedrichs Zeit. Seine Stelle war von nun an definiert. Vom Performance-Manager zum Sportdirektor. Zusammen mit dem neuen Vorstand Carsten Schmidt überzeugte er Pal Dardai von seiner Rückkehr und seinen alten Freund und Kollegen aus der Nationalmannschaft, Sami Khedira, von einer letzten Profi-Station. Es folgte eine Rückrunde, die mit dem Klassenerhalt, nach der mittlerweile legendären Corona bedingten Pause, beendet wurde. Arne Friedrich selbst leitete sogar für einen Tag lang das Training und bezeichnete sich später mit einem Augenzwinkern als Hertha-Trainer, mit der kürzesten Amtszeit.

(Photo by MICHAEL SOHN/POOL/AFP via Getty Images)

Doch diese goldene Zeit Friedrichs, die dem Verein so viel Professionalität verlieh, sollte enden, als mit Fredi Bobic der neue Vorstand Sport an der Spree die Zügel in die Hand nahm. Friedrich sollte seine Position als Sportdirektor behalten, allerdings sollte von nun an Fredi Bobic die öffentlichen Termine wahrnehmen. Er war der lang gesuchte und seit vielen Wochen ersehnte Sportvorstand. Aus Frankfurt war Bobic nach Berlin gekommen, wo er bereits von 2003 bis 2005 für zwei Jahre spielte. Er hatte sich über die Jahre in der Bundesliga einen mehr als respektablen Ruf erarbeitet. Aus dem ehemaligen Abstiegskandidaten Eintracht Frankfurt hatte er innerhalb kurzer Zeit einen Pokalsieger und Europa-League-Halbfinalisten gemacht. Er war für unpopuläre Entscheidungen bekannt, aber eben auch für Erfolg.

Bobics radikaler Umbruch fordert Opfer – Am Ende auch Friedrich

Ab dem Sommer 2021 änderte sich der Wind in Berlin komplett. Als neuer starker Mann installierte Bobic neue Leute, trieb einen radikalen Kaderumbruch an, war mutig genug, sämtliche Leistungsträger der letzten Saison zu verkaufen und zeigte sich regelmäßig vor den Berliner Medien als professioneller, aber eiskalter und nicht gerade nahbarer Manager.

Die Installation verschiedener neuer Personen im Kader forderte Opfer alter Wegbegleiter. Der langjährige Teammanager und als Vereinsikone beliebte Nello DiMartino wurde in die Jugend geschickt. Mit Benjamin Weber ging nach 18 Jahren der Akademie-Leiter, der erfolgreiche Jugendtrainer Michael Hartmann wird ihm wohl folgen. Für den Abschied von CEO Carsten Schmidt, der wie Arne Friedrich Professionalität und eine gewisse Form von Sympathie und Wärme versprühte, konnte Bobic nichts. Schmidt ging bekanntlich aus privaten Gründen.

Doch der Aufgaben– und Machtbereich Bobics sollte sich dadurch nur vergrößern. Es folgte die Entlassung Pal Dardais und die Einstellung von Tayfun Korkut auf der Trainerposition. Angeblich war Arne Friedrich in diese Entscheidung mit eingebunden.

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(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Doch wie tief Arne Friedrich noch ins Tagesgeschäft mit eingebunden war, muss hinterfragt werden. Mehr als das ein oder andere Feld-Interview vor Spielen oder in der Halbzeitpause bot Friedrich kaum noch. Er wurde zunehmend isoliert. Trotz allem stellte er sich bei der Konfrontation zwischen Mannschaft und Ultras zwischen die Parteien um zu vermitteln. In der Szene und beim Team beliebt, konnte er immer ein Bindeglied darstellen.

Der Abschied kommt nicht überraschend

Auch wenn Arne Friedrich stets betonte, dass er Herthaner und dem Verein dankbar sei, war es nie sein Plan, länger als nötig zu bleiben. Friedrich, der bekannt für seinen speziellen Lebensstil ist und seinen Lebensmittelpunkt eher in den USA sieht, kam zufällig in die Rolle bei Hertha. Doch er war bereit für die neue Herausforderung. Er hat sie zu jeder Tages- und Nachtzeit mit unfassbar viel Herzblut ausgefüllt und war ein Gesicht des Vereins, für viele sogar eine Identifikationsfigur.

Und Er hat dem Verein in der Außendarstellung unfassbar gut getan. Doch Friedrich ist keiner, der es nötig hat sich anzubiedern. Sobald man ihm zeigt, dass er nicht mehr gebraucht wird, macht er Platz. Eine neue Herausforderung für sein Leben findet er ohne große Schwierigkeiten.

Und nun?

Der Aderlass, den die Hertha in den letzten Monaten hinnehmen musste, war schwer zu verdauen. Bis heute ist er das nicht komplett. Im Verein herrscht seit viel zu langer Zeit eine Unruhe, die ihres gleichen sucht.

Wie man den Streit mit dem Investor beilegen soll, ist eine der großen zentralen Fragen in den nächsten Tagen und Wochen. Wie die Mannschaft die Klasse halten soll, die wohl größte und besorgniserregende. Mit Arne Friedrich ist der letzte große Kopf der Prä-Bobic-Ära nun weg. Mittlerweile ist es Fredi Bobic gelungen keinen nennenswerten Gegenspieler im Verein mehr zu haben und seine Leute in vielen Bereichen zu installieren. Seine Entscheidungen beäugt er selbst nach außen hin vollkommen unkritisch.

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(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Die kontroverseste war definitiv die des Trainers. Die Tage zeigen mal wieder, dass es im Fußball viel um Business und Stärke geht und Romantik und Vergangenes oft keinen Platz haben. Die Mannschaft steht dem Abstieg in die 2. Bundesliga extrem nahe und Machtkämpfe und Kritikunfähigkeit sind fehl am Platz. Und gerade jetzt wären Ruhe und Professionalität gefragt. Charakterzüge, die Arne Friedrich mit Bravour ausfüllen konnte.

[Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images]

Nemanja Radonjic – mit 37 km/h von Marseille nach Berlin

Nemanja Radonjic – mit 37 km/h von Marseille nach Berlin

Ganz so teuer wurde dieses Jahr die Winter-Shoppingtour bei Hertha BSC nicht. 78 Millionen Euro gab man vergangene Wintertransferperiode für neue Spieler aus, darunter Matheus Cunha, Lucas Tousart, Santiago Ascacibar und Krzysztof Piatek. Dieses Mal gab die „alte Dame“ deutlich weniger Geld aus: Sami Khedira und Nemanja Radonjic sollten die dringend notwendigen Verstärkungen für die Rückrunde darstellen. Wir werfen einen Blick auf den deutlich weniger prominenten Serben, der aus dem krisengebeutelten Olympique de Marseille per Leihgeschäft kommt.

Dabei konnten wir auf die Eindrücke eines echten „OM“-Kenners zählen. Boris (auf Twitter @Marsilien) twittert seit einigen Jahren in deutscher Sprache über den südfranzösischen Verein. Er hat uns dabei geholfen, den jungen Serben besser einzuschätzen.

Radonjic in Marseille – Enttäuschte Erwartungen

Wirklich glücklich wurde Nemanja Radonjic in Marseille nie, wo er ab der Saison 2018/2019 spielte. Warum erklärt uns Boris: „Er kam als vermeintliches Riesentalent aus Belgrad, mit guten Referenzen als Flügelspieler der sowohl Tore als auch Assists schießen kann. Ich denke mal die Idee dahinter war einen Ersatz für (Florian) Thauvin zu haben, der eigentlich einen Wechsel in 2019 in Aussicht hatte.“

Foto: GERARD JULIEN/AFP via Getty Images

„Er hat sich aber nicht so richtig als Ersatz behaupten können“, musste unser Experte feststellen. „Zwar hat er eine gewisse Torgefährlichkeit zeigen können, besonders in schnellen Kontersituationen, aber seine Leistung im Spielaufbau hat Mängel aufgezeigt. Er kam auch dementsprechend zu sehr wenigen Assists. „ Tatsächlich konnte er in der verkürzten Spielzeit 2019/2020 in 21 Einsätzen nur eine Torvorlage abgeben, dafür immerhin fünf eigene Treffer erzielen.

So richtig rund lief es in der laufenden Saison auch nicht. Was ihm vorgeworfen wurde, verrät uns unser Experte: „Es mag hart klingen, aber am meisten wurde seine mangelnde Spielintelligenz kritisiert. Er ist noch ein bisschen unvollkommen, vergisst ein wenig seine Spielpartner. Seine Dribbelstärke und seine Schnelligkeit werden ihm oft zum Verhängnis, weil er oft versucht alleine durchzuziehen, anstatt im richtigen Moment zu passen.“

Allerdings muss Boris auch feststellen: „Die ganze Mannschaft hatte regelmäßige Probleme mit der Offensive, er war nicht der Einzige der es schwer hatte, unsere Stürmer zu finden.” Viel heftiger wurden die hochbezahlten Stars wie Florian Thauvin oder Dimitri Payet kritisiert, die ebenfalls immer wieder enttäuschten.

Von Chaosclub zu Chaosclub

Auch deshalb hinterlässt Radonjic trotz wenigen Einsatzminuten keine schlechten Erinnerungen in Marseille. Im Training sei er „nie schlecht aufgefallen, ich würde sagen dass er ziemlich spielfreudig ist und stets motiviert war“, sagt Boris. „Spielerisch wird er wohl keinen größeren Eindruck hinterlassen, aber er war den Leuten irgendwie sympathisch, er ist so eine Frohnatur. Ich denke mal, dass sich die Leute an ihn erinnern werden. Und er hat doch immerhin das eine oder andere Tor geschossen (sein Meisterwerk ist wahrscheinlich ein Siegestreffer in der Schlussminute gegen Brest).“

Wohl ein Highlight einer eher durchwachsenen Zeit in Marseille – sein Last-Minute Treffer gegen Brest

Radonjic spielte in der Hinrunde zwölf Partien in der Liga (zwei Tore, eine Vorlage) und zwei in der Champions League. Obwohl der 24-Jährige zuletzt wieder zum Einsatz kam und auch in der letzten Partie gegen Monaco treffen konnte, entschied er sich für den Neustart in Berlin. Dabei wird zusätzlich zur suboptimalen sportlichen und finanziellen Lage möglicherweise die Eskalation der Situation in Marseille zwischen Clubführung und Fans eine Rolle gespielt haben.

Mittlerweile befindet sich „OM“ in einer derart chaotischen Situation, dass selbst Hertha Fans in der Saison 2019/2020 schockiert wären. Am Wochenende stürmten Anhänger gewaltsam das Vereinszentrum und Anfang dieser Woche warf Trainer Vilas-Boas völlig überraschend das Handtuch. Was das angeht ist der serbische Nationalspieler also bestens gerüstet für seine Zeit in Berlin: mit großen Chaosclubs kennt er sich nun aus.

Radonjic – der nächste Serbe in der Hauptstadt

Hertha BSC und serbische Nationalspieler: da war doch was. Tatsächlich dürften einige Hertha-Fans noch schöne Spielszenen mit Marko Pantelic oder Gojko Kacar in emotionaler Erinnerung haben. In jüngerer Vergangenheit war es Marko Grujic, der als Serbe für Hertha BSC auf dem Platz stehen durfte. Letzterer soll tatsächlich auch eine Rolle im Transfer von Nemanja Radonjic gehabt haben.

Herthas Neuzugang erklärte, er sei sofort mit dem Ex-Herthaner in Kontakt getreten. „Marko war tatsächlich der Erste, den ich angerufen habe, nachdem klar war, dass Hertha Interesse hat (lacht). Er hat mir in unserem Gespräch nur das Beste über den Club und die Stadt erzählt, was mich in meinem guten Gefühl bestätigt hat!“, erzählte der 24-Jährige im Interview mit Hertha BSC.

Bis zum Sommer darf der junge Serbe für die „alte Dame“ zunächst auflaufen. Besonders teuer wird dieser Deal für Hertha BSC erstmal nicht. Die Leihgebühr ist wohl (auch mit Einsatz-Boni) unter einer Million geblieben und die Kaufoption sollte in dieser Höhe (12 Millionen Euro) eher eine Sicherheit für „OM“ darstellen. Hertha wird, sollte der junge Serbe überzeugen, am Ende der Spielzeit mit dem französischen Club sicherlich neu verhandeln. Eine ähnlich hohe Kaufoption gab es auch im Leihgeschäft mit Marius Wolf. Auch diese wurde nicht gezogen.

Was für ein Spielertyp ist Radonjic?

Das neue Umfeld scheint für den Serben jedenfalls nicht beunruhigend zu wirken: „Es ist für mich inzwischen auch nichts Neues mehr, an einen anderen Ort zu ziehen und dort anzukommen – daher denke ich, dass ich mich auch schnell an eine tolle Stadt wie Berlin gewöhnen kann und werde!“ Tatsächlich hat der 24-Jährige bereits einige Stationen in Europa hinter sich. Außerdem spielte er in der Champions League und bestritt 20 A-Länderspiele mit Serbien (4 Treffer).

Foto: Srdjan Stevanovic/Getty Images

Boris erwähnte bereits seine Schwächen, aber auch seine Stärken: Dribbelstärke, Torgefahr und Schnelligkeit. Letzteres sprach Radonjic in der Pressekonferenz selbst an, und erwähnte, dass er in Marseille bei Leistungstests im Training mit 37 Kilometer pro Stunde geblitzt wurde. Was Hertha sicher besonders helfen wird: der Flügelspieler ist beidfüßig und kann sowohl auf der favorisierten linken wie auch auf der rechten Außenbahn spielen.

Trotz der enttäuschenden Zeit in Marseille traut Boris dem Serben in Berlin etwas zu: „Es kann sich alles ändern, wenn er sich mit seinen Kollegen bei Hertha besser verträgt. Und ich meine auch, dass die Bundesliga ein besseres Spielfeld für solche Stürmerprofile ist, er wird wahrscheinlich nicht so eingeengt wie es in Frankreich der Fall ist.“

Dabei helfen könnte ihm seine Physis. Anders als sein Konkurrent auf der rechten Seite Dodi Lukebakio kann sich Radonjic durchaus auch körperlich durchsetzen. Das kann in der Bundesliga besonders wertvoll werden. So sieht es auch Arne Friedrich: „Er ist ein kleiner Bulle und hat die Robustheit für die Bundesliga”, und wenn Jemand über Robustheit sprechen kann, dann ist das sicherlich Herthas neuer Sportdirektor.

Nemanja Radonjic – für Hertha kein Risiko-Transfer

Obwohl er im Vergleich zu Sami Khedira für deutlich weniger Gesprächsstoff sorgt, sind die Chancen des Serben in den nächsten Wochen in der Startelf zu landen, deutlich größer. Dabei hilft ihm die personelle Situation bei Hertha BSC. Der verletzungsanfällige Javairo Dilrosun, der formschwache Dodi Lukebakio und der noch sehr junge Jessic Ngankam stellen seine stärkste Konkurrenz dar. Hertha hat schon seit dem Sommer 2020 zu wenig Optionen auf den Außenbahnen. Eine solche Alternative haben die Berliner jetzt mit dem Flügelstürmer endlich holen können.

So entschied sich Hertha also doch gegen die sehr teuren Alternativen. Eine Verpflichtung von Milot Rashica (an den Hertha Gerüchten zufolge interessiert war) hätte ähnliche Dimensionen eingenommen, wie vergangenen Winter ein Transfer von Matheus Cunha. Die Berliner gehen also eher einen Schritt zurück. Dieser Transfer erinnert eher an Zeiten vor den Tennor-Millionen. Doch genau das könnte der richtige Weg sein.

Schließlich stecken die Hauptstädter tief im Abstiegskampf und müssen mit Pal Dardai erstmal bis zum Sommer die Wende schaffen. Herthas Spiel wird in dieser Phase wohl nicht mehr revolutioniert werden. Mit Radonjic will man keinen Hurra-Fußball spielen, sondern so schnell wie möglich aus der roten Zone der Tabelle raus. Dabei könnten schnelle und robuste Spieler wie er möglicherweise noch sehr wertvoll werden.

Partygänger oder Instagram-Icon?

CHRISTOPHE SIMON/AFP via Getty Images

Wer den einen oder anderen Fan-Kommentar aus Marseille über Radonjic liest, dürfte sich etwas wundern. Ein Running-Joke scheint zu sein, dass der Serbe besonders feierwütig ist. Die Wahrheit sieht etwas anders aus, wie uns Boris erzählt. „Als er kam, hatte er eine Reputation als Partytyp, weil er in seiner Jugend deswegen vom Nachwuchszentrum von AS Rom geflogen ist. Es gab in Marseille zwar keine Vorfälle, aber er hat irgendwie diese Reputation behalten.“

Hertha-Affine Instagram-Nutzer:innen dürften auch gespannt sein: „Leute haben sich auch über ihn lustig gemacht, weil er auf Instagram einschlägige Frauenfotos geliked hat“, meint unser Experte. „Und dazu passend wäre auch dieses bizarre Video im US-Rapper/ModeIcon Style, das er im letzten Sommer gepostet hat. Ich kann mir vorstellen, dass er in Berlin bestimmt neuen Stoff für seinen Instagram-Account finden wird.”

Auf dem Platz wird Nemanja Radonjic Hertha BSC sofort weiterhelfen müssen. „Ich verspreche mir Tore und Torvorlagen”, hieß es von Arne Friedrich. Eine Garantie gibt es dafür natürlich nie. Ob Nemanja Radonjic wie sein Landsmann Marko Pantelic „die alte Dame“ langfristig prägt, ist vielleicht unwahrscheinlich. Das braucht Hertha BSC aber aktuell gar nicht primär.

Am Ende sind nicht die großen Namen, sondern die Zusammenstellung und die Breite des Kaders entscheidend. Hertha hat dringend einen fitten, schnellen und international erfahrenen Spieler gebraucht, der auf den Außenbahnen mit einer gewissen Sorglosigkeit für Entlastung sorgen kann. Genau einen solchen Spieler haben sich die Hauptstädter jetzt mit Nemanja Radonjic ins Boot geholt.

*Titelbild: IMAGO

Dárdai iacta est

Dárdai iacta est

Es ist passiert. Hertha hat den DeLorean rausgeholt und ist direkt ins Jahr 2015 zurückgekehrt. Doch statt Biff und einem spießigen Marty McFly wartet der Sportalmanach mit einem anderen bekannten Gesicht auf: Pál Dárdai ist wieder Cheftrainer der alten Damen und versucht sie in einer Sonderausgabe von Extreme Makeover wieder auf Spur zu bringen. Ein Kommentar.

Dárdai Ante Portas

Spätestens nach dem 1:4 gegen Bremen war klar, dass Michael Preetz nicht mehr zu halten sein würde. Mit ihm musste Cheftrainer Bruno Labbadia seinen Posten räumen. Zu wenig Punkte, ein unhomogenes Team samt enttäuschender Transferphase und geringe Chancen auf Besserungen ließen das Damoklesschwert schließlich auf die maßgeblich Verantwortlichen niederfallen. Schnell wurden gewichtige Namen kolportiert. Von Ralf Rangnick bis Peter Neururer schien jeder freie Trainer mit Hertha in Verbindung gebracht zu werden.

Medienberichte legten sich jedoch schnell fest: noch bevor CEO Carsten Schmidt Vollzug meldete, waren sich BILD, Kicker und sogar die Tagesschau einig: Hertha-Ikone und Milchreis-Sommelier Pál Dárdai sollte die krisengebeutelte alte Dame übernehmen. Die Personalie Arne Friedrich als handelnder Geschäftsführer Sport füllte bereits am Tag zuvor das Loch, was durch die Entlassung von 25 langen Hertha-Jahren hinterlassen wurde. Auf 227 Spiele mit 93 Toren folgen 231 Partien mit 14 Treffern.

Not the hero we deserved, but the hero we needed

Komplettiert wurde der Schultheiß-feuchte Traum durch „Zecke“ Neuendorf, der fortan das Vergnügen haben wird, an der Seite von Dárdai Cunha, Piatek und Co. das deutsche Wort „malochen“ beizubringen.

Während der Trainervorstellung wurde eines jedoch schnell klar: Hertha hat Pál Dárdai nicht verdient. In einer Welt in der Milliardenerträge nur durch vermeintlichen Kult aufgewogen werden können, in der sich jedes Wochenende 22 Millionäre zum Kicken treffen und die der Moloch auch in einer weltweiten Pandemie weitergefüttert werden muss, sind nur Torbeteiligungen von Artur Wichniarek seltener als echte Vereinstreue.

Foto: IMAGO

Im Sommer 2019 noch als wenig zukunftsträchtig geschasst, kehrt Dárdai nun an die Seitenlinie zurück. Viel hat sich geändert, doch wer die Trainervorstellung gesehen hat, kann sich sicher sein: Dárdai bleibt gleich. Ein Mann, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt, keinen Groll hegt, dem Geld egal ist und den Verein stets über seine eigenen Befindlichkeiten stellt. Wenn es jemanden gibt, von dem diese Werte auf die Individualisten-Truppe aus Westend abfärben kann, dann ist es Dárdai.

Ein Trainer sie alle zu binden

Der lang ersehnte Kulturwandel, er liegt in erreichbarer Ferne: Friedrich und Neuendorf stehen für eine neue Generation Hertha und auch wenn manch einer in der Verpflichtung Dárdais eine Zirkulärbewegung zu erkennen meint, kann dieser Schritt zurück, zwei nach vorne bedeuten.

Tennor Investment, Klinsmann-Posse und Chaoten-Saison haben Spuren bei den Fans hinterlassen. Der deutliche Protest gegen Preetz zeugt davon. Eine UN-Friedensmission war deshalb mindestens genauso nötig, wie die tabellarische Stabilisierung. Carsten Schmidt und Arne Friedrich haben beide zu viel Erfahrung, um das zu ignorieren. Beide wissen: ziehen die Fans nicht mit, spielt es auch keine Rolle, wer der Übungsleiter sein wird. Die Marke „Hertha BSC“ lässt sich nicht einfach aushöhlen und sportlicher Erfolg wird nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kurve entschieden.

Foto: IMAGO

Dárdai ist daher die logische Wahl. Um Hertha zu helfen, verordnet sich Hertha eine Kur Hertha.  Darüber hinaus hat der Gulasch liebende Ungar gezeigt, dass er es durchaus vermag sportlichen Erfolg zu verzeichnen. Seine Qualität liegt hier weniger in der taktischen Finesse, sondern in Fähigkeit durch Druck und Charme eine Mannschaft zu formen. Ist die individuelle Klasse unbestreitbar im aktuellen Kader zu finden, ist es genau diese Komponente, die fehlt.

Man kann an dieser Stelle ein kleines Gedankenexperiment anstellen: nehmen wir an, dass Dárdai die Fähigkeiten eines Kaders durch Zusammenschweißung potenzieren kann. Je höher das individuelle Niveau der Spieler, desto größer dann auch das Potential eines so geformten Teams. Nun stellen wir die rhetorische Frage: welches Potential wird letztendlich höher sein? Das der Mannschaft mit Hegeler, Allagui, Kauter und Konsorten oder das der um Cunha, Boyata und Tousart?

Aus der Not eine Tugend machen

Inwieweit die neue Troika das Fan-Herz nicht nur mit Nostalgie-Pflastern, sondern auch mit Erfolgsrausch zu heilen vermag, steht noch aus. Das Ergebnis dieser Frage bestimmt auch das Schicksal eben jenes Dreigespanns. Sollten sich gute Ergebnisse einstellen, gibt es eigentlich keinen Grund nicht Hand in Hand in die neue Spielzeit zu gehen. Hält man die Klasse jedoch nur mit Ach und Krach, ist jeder Vertrag das Papier nicht wert, auf dem er besiegelt wurde.

Sollte Pál Dárdai Hertha tatsächlich in eine rosig-blau-weiße Zukunft führen, dann ist nur die Genugtuung allen Kritiker:innen gegenüber schöner, als das Gefühl sich endlich wieder auf den Spieltag freuen zu können. Hertha würde so zum Paradebeispiel werden, wie man das Geschäft Fußball mit Tradition in Einklang bringen kann. Sollte Dárdai allerdings scheitern und entlassen werden, stellt sich die Frage, ob er je wieder antworten wird, wenn Hertha erneut um Hilfe ruft. Die Spielschau soll beginnen.

[Titelbild: IMAGO]