Maximilian Mittelstädt – das uneingelöste Versprechen

Maximilian Mittelstädt – das uneingelöste Versprechen

„Der Berliner Junge bleibt: Maxi Mittelstädt verlängert!“. Diese Überschrift zierte den Text zur Verlängerung von Herthas Eigengewächs am 18. Januar 2023. Exakt 141 Tage später verlässt der Linksverteidiger seinen Jugendklub Hertha BSC, um für die kommende Saison beim Erstligisten VfB Stuttgart anzuheuern. Unser Text zum Abschied von Maximilian Mittelstädt.

Die ersten Schritte im Hertha-Trikot

Im Sommer 2012 wechselt der in Berlin geborene Mittelstädt als 15-jähriger von Hertha 03 Zehlendorf zur „großen“ Hertha in die Jugend. Zweieinhalb Jahre später ist er zum ersten im Profikader dabei, bleibt jedoch zunächst ohne Einsatz. Zu Beginn der Saison 2015/16 folgten weitere Berufungen, ehe er am 2. März 2016 gegen Eintracht Frankfurt in der 90. Minute für Salomon Kalou eingewechselt wird und sein Profidebüt feiern darf. Zum Ende der Saison folgen zwei weitere Einsätze, jeweils direkt über 90 Minuten. Einmal gegen den FC Bayern München und am vorletzten Spieltag gegen Darmstadt, wo der Linksverteidiger seine erste Vorlage beisteuert, die 1:2-Niederlage jedoch nicht verhindern kann.

(Photo by Jörg Schüler/Getty Images for DFB)

Bereits damals hieß der Konkurrent auf seiner Position Marvin Plattenhardt. Dieser war 2014 von Nürnberg zu Hertha gewechselt und mit 23 Jahren schon ein etablierter Bundesligaspieler. Zusammen mit dem 19-jährigen Mittelstädt war Hertha herausragend für die nächsten Jahre aufgestellt: zwei deutsche, junge Außenverteidiger, die noch viel Entwicklungspotential aufwiesen und sich gegenseitig hochpushen sollten. Unter Trainer Pal Dardai fand genau diese Entwicklung statt und gipfelte 2018 in der Berufung von Plattenhardt in den WM-Kader von Jogi Löw.

Von Fortschritt zu Stillstand

In der Saison 2016/17 kam Plattenhardt auf 2.820 Minuten, Mittelstädt auf 1.028. Ein Jahr später waren es fast 3.500 Minuten für Plattenhardt und 1.153 Minuten für Mittelstädt. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass jeweils etwa 450 Minuten von Mittelstädts Einsatzzeit in der Regionalliga erfolgten, für einen nicht mal 20-jährigen Herausforderer allerdings nicht ungewöhnlich. Ab der Folgesaison gleichen sich die beiden Kontrahenten allerdings zunehmend an. Gerade einmal gut 100 Minuten war der erfahrenere Plattenhardt vorm Berliner Eigengewächs. Mittelstädt stand dabei in 25 Bundesligapartien auf dem Platz, Plattenhardt „nur“ 22. In der letzten Saison von Pal Dardais erster und bisher längster Amtszeit schien es, als sollte sich der Youngster langsam durchsetzen.

Mit der Demission Dardais und dem Einstieg von Lars Windhorst folgten viele Jahre Chaos beim Klub aus dem Berliner Westend. Inklusive der Einstellung von Ante Covic bis zur zweiten Rückkehrs Dardai zum Ende der abgelaufenen Saison fanden sage und schreibe neun Trainerwechsel an der Seitenlinie statt – und das in vier Jahren. Dies spiegelte sich auch auf Herthas linker Abwehrseite wider: während Mittelstädt in den Saison 2019/20 und 2020/21 jeweils mehr Minuten als Plattenhardt sammelte, dreht sich das Blatt in den letzten beiden Jahren wieder in Richtung des WM-Fahrers von 2018. Spätestens durch die Beförderung Plattenhardts zum Kapitän im letzten Sommer verfestigte sich der Status endgültig: Während der Torschütze vom Relegationsrückspiel über 2.500 Minuten absolvieren durfte – so viele wie seit der Saison 2017/18 nicht mehr (!) – sammelte das Eigengewächs Mittelstädt lediglich 841 Minuten. Weniger hatte er zuletzt ebenfalls 2017/18, damals kamen jedoch besagte Regionalliga-Spiele noch dazu. Das Auf und Ab, sowohl in sportlicher Hinsicht als auch neben dem Platz bei Hertha BSC, hatte seinen Tribut gezollt. Aus den zwei verheißungsvollen jungen Linksverteidigern waren zwei Profis geworden, die sich gegenseitig klein hielten anstatt sich aufzubauen und die so beide in ihrer Entwicklung stagnierten.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Hertha ist plötzlich blank

Daneben hatte dieser Zweikampf, der durch keinen der sportlich Verantwortlichen in Form eines Verkaufs aufgelöst wurde, verheerende Folgen für die Zukunft. Im Sommer 2021 verabschiedete sich mit Luca Netz der zweifache Gewinner der Fritz-Walter-Medaille aufgrund fehlender Perspektive in Richtung Borussia Mönchengladbach. In diesem Jahr folgte mit Lukas Ullrich der nächste verheißungsvolle Linksverteidiger in die gleiche Richtung. Da der Vertrag von Plattenhardt zudem ausläuft, dürfte Hertha BSC fest mit Mittelstädt als Führungsspieler und Stütze für die Mission Wiederaufstieg geplant haben. Mit dem etwas überraschend kommenden Abgang steht Hertha auf einmal Stand jetzt ohne Linksverteidiger da, eine undankbare Aufgabe für Manager Benny Weber.

Möglich macht dies eine Ausstiegsklausel, die aufgrund des Abstiegs auf etwa 500.000 – 800.000 Euro kolportiert wird und somit über eine Million niedriger als der derzeitige Marktwert (laut Transfermakt.de) liegt. Verhandelt wurde dies Klausel im Rahmen der groß zelebrierten Verlängerung Mittelstädts zum Beginn dieses Jahres, die unter anderem in Form eines 15-minütigen Interviews auf den vereinseigenen Kanälen gewürdigt wurde. „Ich muss nicht betonen, welchen Stellenwert Hertha BSC in meinem Leben besitzt“, ließ der Berliner zu diesem Zeitpunkt noch verlauten. Gut vier Monate später scheint der Stellenwert gesunken zu sein.

Ein leeres Bekenntnis

Groß verübeln kann man ihm das aus sportlicher Sicht nicht. Er kommt mit mittlerweile 26 Jahren langsam ins „beste Fußballalter“ und sollte den Anspruch haben, als Stammspieler gesetzt zu sein. Zudem kann ein Tapetenwechsel durchaus helfen, noch einmal einen kleinen Entwicklungssprung zu machen. Darüber hinaus dürfte die Bundesliga deutlich spannender sein, als mit Hertha in Zukunft nach Wiesbaden und Fürth zu fahren.

Hertha

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Auf der anderen Seite dürfte Mittelstädt nach dem Auslaufen des Vertrages von Plattenhardt in diesem Sommer als absolute Nummer eins auf seiner Position eingeplant gewesen sein. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass er ausgerechnet in dem Moment, in dem sein ärgster Konkurrent den Verein verlassen soll, selbst geht. Für die meisten Fans nach dem Lippenbekenntnis im Winter sicher eine große Enttäuschung, die auch durchaus ihre Berechtigung hat. Die Fußballromantiker unter ihnen hatte möglicherweise auf eine „One-Club-Man“ Karriere bei Mittelstädt gehofft – etwas, das heutzutage im Fußball quasi nicht mehr existiert.

Neue Baustellen – auf und neben dem Platz

Wie sehr der Abgang sportlich wiegt, lässt sich nur schwer beantworten. Zum einen bringt Mittelstädt viele Qualitäten mit, die ein moderner Außenverteidiger heutzutage aufweisen muss: aktives Verteidigen, Dynamik, eine gewisse Dribbelstärke und Offensivgefahr. Daneben ist das Niveau in der zweiten Liga durchaus niedriger als in der Bundesliga, Mittelstädt wäre höchstwahrscheinlich ein überdurchschnittlicher Spieler in der nächsten Saison gewesen.

Auf der anderen Seite konnte er sich in den letzten Jahren nie gegen den stark abbauenden Plattenhardt durchsetzen, auch wenn es aufgrund der Kapitänsbinde hier sicher nicht nur sportliche Gründe dafür gab. Daneben hat Mittelstädt in 145 Bundesligaspielen zwei Tore und 15 Vorlagen beigesteuert – kein überragender Wert. Natürlich muss der sportliche Kontext Herthas mit betrachtet werden. Sportlich unersetzbar scheint der Neu-Stuttgarter allerdings auch nicht zu sein. Schwerer wiegen dürfte eher der Verlust eines Eigengewächses, das sicher auch als Ansprechpartner und Mentor aus der eigenen Akademie für die neue Generation Hertha-Spieler rund um Scherhant, Maza, Klemens und co. gedacht war. Diese Rolle werden nun die selbst noch nicht komplett im Profifußball angekommenen Jessic Ngankam und Marton Dardai übernehmen müssen. Ob ersterer bleibt, ist derzeit dabei ebenfalls noch nicht ganz sicher.

Hertha

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Klar ist, Hertha verliert eine große Identifikationsfigur. Nach der langfristigen Verlängerung während der Winterpause ist das in dieser Hinsicht umso schmerzhafter. Die Enttäuschung, Wut oder Trauer vieler Fans ist daher gut nachvollziehbar. Zudem muss Hertha nun entweder ungeplant doch noch einmal mit dem eigentlich ausrangierten Plattenhardt verlängern oder eventuell sogar zwei neue Linksverteidiger finden, da U19-Spieler Eliyas Strasner wahrscheinlich noch nicht als Nummer zwei eingeplant werden kann. In Hinblick auf Herthas aktuelle Finanzlage keine dankbare Aufgabe. Gleichzeitig ist es eine Chance, nach Jahren des Stillstands sich auf der Position des Linksverteidigers endlich weiterzuentwickeln und so den Wiederaufstieg in den Angriff zu nehmen – womöglich ein Gleichnis für den Rest des Kaders und Teile des Vereins.

[Titelbild: Photo by Maja Hitij/Getty Images}

VfB Stuttgart – Hertha BSC: Drei Thesen

VfB Stuttgart – Hertha BSC: Drei Thesen

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, das merkt Hertha in dieser Woche, auch ohne international zu spielen, besonders deutlich. Bereits drei Tage nach dem knapp verlorenen Heimspiel gegen den FC Bayern München müssen sich die Männer von Sandro Schwarz auf den rund 600 km langen Weg nach Stuttgart machen, wo sie gegen die Schwaben vom VfB antreten. Kein einfaches, aber dafür umso wichtigeres Spiel für die Blau-Weißen Gäste.

Unsere drei Thesen zum Spiel in Stuttgart.

These 1: Frühes Tor für die Hauptstädter

Der VfB Stuttgart hat mit 24 Gegentoren die fünftmeisten der Liga kassiert. Zu nennen ist hier vor allem Torwart Florian Müller, der des Öfteren unglücklich aussieht und sich den einen oder anderen Patzer leistet. Erwähnenswert ist außerdem, dass acht der 24 Gegentore und damit ein Drittel der Treffer innerhalb der Anfangsviertelstunde fielen. Exemplarisch sind hier insbesondere die vergangenen drei Spieltage. Gegen Dortmund, Gladbach und Augsburg lag man nach zwei bzw. jeweils vier Minuten bereits in Rückstand. Zumindest gegen die Fuggerstädter konnte das Spiel durch ein Tor von Waldemar Anton in der Nachspielzeit noch gewonnen werden. Ein kleiner Flashback zum Last-Second Klassenerhalt in der letzten Saison, wodurch die Herthaner in die Relegation mussten.

Florian Müller

Photo by Maja Hitij/Getty Images

Womit wir zur Alten Dame kommen. Diese startet in dieser Saison regelmäßig gut in Spiele, ist meist sofort hellwach, griffig und mutig. Zwar konnte trotz dieses Aufwandes nur ein Tor vor der 15. Minute geschossen werden (Serdar gegen Frankfurt am zweiten Spieltag), doch verschlafen wurde nahezu kein Spiel. Hier liegt also durchaus eine Chance für Hertha, früh in Führung zu gehen. Stuttgart wird allerdings ein ganz besonderes Augenmerk drauflegen, nicht erneut ab Spielbeginn einem Rückstand hinterherzulaufen. Es ist daher natürlich bei Weitem kein Selbstläufer, solch einen Blitzstart hinzulegen.

These 2: Kempf mit einem arbeitsreichen Spiel

Marc Oliver Kempf kehrt nach seinem Wechsel vom VfB Stuttgart zu Hertha BSC im vergangenen Winter erstmals in die Mercedes Benz Arena zurück. Der dort ehemalige Kapitän wird hierbei zusammen mit seinem Innenverteidiger-Partner Agustin Rogel einiges zu tun haben. Verantwortlich dafür wird allem an Borna Sosa sein. Der kroatische linke Außenverteidiger schaltet sich gerne offensiv mit ein, sein Hauptwerkzeug dafür sind Flanken. Mit vier Torvorlagen führt Sosa diese Statistik teamintern an. Nachdem Sasa Kalajdzic die Schwaben im Sommer Richtung England verließ, heißen die Hauptabnehmer der Flanken mittlerweile Serhou Guirassy und Luca Pfeiffer.

Kempf und Sosa

Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images

Gleichzeitig stehen mit Silas Katompa-Mvumpa und Tiago Tomas zwei äußerst schnelle und technisch starke Stürmer bereit, die die Abwehr der Alten Dame auch auf dem Boden mehr als fordern werden. Für die letzte Reihe der Herthaner, allen voran Ex-Stuttgarter Kempf, wartet also viel Arbeit, wenn man erfolgreich aus dem Duell gehen möchte.

These 3: Hertha bleibt vor Stuttgart

Es ist kein Geheimnis: Hertha spielt besser, als es die Tabelle vermuten lässt. Es ist allerdings auch kein Geheimnis, dass es nach der Saison niemanden interessiert, ob man gut gespielt hat oder nicht, sollte der Abstieg die Folge sein. Positiv festzustellen ist, dass die Charlottenburger bisher beide ihrer „Muss-Spiele“ gegen Augsburg und Schalke gewinnen konnte. Allgemein fällt auf: Die Hauptstädter haben gegen jedes Team der momentanen Top-10 gespielt, auf der anderen Seite nur gegen drei der anderen sieben Mannschaften von der unteren Seite der Tabelle. Sollte auch das dritte „Muss-Spiel“ gegen den VfB Stuttgart gewonnen werden, stünde man drei Punkte vor den Gastgebern, und das mit dem deutlich besseren Torverhältnis. Die Chancen wären somit hoch, dass Hertha BSC die lange WM-Pause hinweg nicht auf einem Abstiegsplatz verbringen müsste. Bei einem Unentschieden bliebe man bis mindestens Samstag, ca. 17:25 Uhr vor dem heutigen Gastgeber.

Und da Hertha in Stuttgart nicht verlieren wird, stehen die Blau-Weißen so oder so auch nach dem 14. Spieltag vor den Schwaben.

[Titelbild: Maja Hitij/Getty Images]

Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Hertha muss nachsitzen. Wie vor zehn Jahren. Nach drei verpassten Matchbällen geht es in diesem Jahr gegen den HSV. Die Hamburger wollen ihrerseits nach vier Jahren Zweitklassigkeit ins Oberhaus zurückkehren. Wie der HSV es auf Position drei geschafft hat, welche Rolle der „Walter-Ball“ dabei spielt und warum es für beide Teams auch gegen ein Narrativ anzukämpfen geht, lest ihr im Gegner-Check.

Nach dem 34. Spieltag der regulären Saison gab es erstmals die Konstellation, dass der HSV dritter in der 2. und Hertha zeitgleich drittletzter in der 1. Liga waren. An jedem anderen Spieltag der Saison hätte das Aufeinandertreffen in der Relegation anders geheißen. 

Doch die Abschlusstabelle ist nun einmal entscheidend. Und so stehen sich in der Relegation zwei Schwergewichte des deutschen Fußballs gegenüber. Platz drei bedeutet für den HSV die beste Platzierung in ihrer Zweitliga-Geschichte. Der Erfolg ist eng verknüpft mit dem Trainer Tim Walter.

Mit “Walter-Ball” zum Erfolg

Christian Titz, Hannes Wolf, Dieter Hecking, Daniel Thioune. Der HSV hat nach dem Abstieg Trainer mit unterschiedlichsten Philosophien an der Seitenlinie gehabt. Mit Tim Walter ist man vor dieser Spielzeit dann durchaus ein Risiko eingegangen. Schließlich hatte Walter mit seiner Spielidee beim VfB Stuttgart im Unterhaus keinen Erfolg.

Dabei hat der 46-jährige ehemalige Trainer von Bayerns U23 und Holstein Kiel seine ganz eigene Idee entwickelt: den „Walter-Ball“. Sein Team tritt dabei in der Grundordnung 4-3-3 auf. Hier sind die Spieler extrem flexibel. Im Ballbesitz werden Positionen immer wieder getauscht, viel Bewegung ist der Schlüssel.

Will mit dem HSV aufsteigen: Tim Walter

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Das fängt im Spielaufbau an. Der HSV spielt keine langen Bälle, sondern sich stets flach raus. Dabei ist der Torwart der erste Aufbauspieler. Ist er im Ballbesitz, rücken die Außenverteidiger gerne mal auf, die Innenverteidiger schieben breit raus und ein Mittelfeldspieler lässt sich ins Zentrum fallen. Dabei folgt der Spielaufbau keineswegs einem Schema F. Variabilität ist auch hier der Schlüssel.

Der Vorteil des „Walter-Balls“: der HSV überbrückt schon im Aufbau, so er denn gelingt, die ersten Ketten des Gegners. Bei Ballverlusten setzt der HSV wuchtig nach, probiert den direkten Wiedergewinn zu erzwingen. Eine tiefere Analyse des „Walter-Balls“ lieferte Taktik-Experte Tobias Escher vor wenigen Monaten.

Die Schlüsselspieler

Walters anspruchsvolle Spielidee fängt beim Keeper an. Daniel Heuer Fernandes glänzt in dieser Spielzeit nicht nur als Elfmeter-Killer, sondern auch als guter Fußballer. Im Ballbesitz rückt er mitunter weit auf, um das Spiel aufzubauen. Was meistens funktioniert, birgt auch ein Grundrisiko. Wie im Spiel gegen den SC Paderborn, als ein Hamburger in der eigenen Hälfte den Ball verlor und der Paderborner Srbeny über den weit aufgerückten Heuer Fernandes einschießen konnte.

In der regulären Saison stellte der HSV mit 35 Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Hervorzuheben ist hierbei die Innenverteidigung, bestehend aus Kapitän Sebastian Schonlau und Mario Vuskovic. Mit 64,14 Prozent gewonnener Zweikämpfe ist Vuskovic der beste Hamburger in dieser Disziplin. Auf Platz drei kommt Schonlau, der 61,21 Prozent seiner Duelle gewinnt. Mit 91,17 Prozenr angekommenen Pässen wies Schonlau in dieser Hinsicht gleich den zweitbesten Wert der gesamten Liga auf.

Im Dreier-Mittelfeld ist der defensiv starke Jonas Meffert gesetzt. Seine knapp 90 Prozent angekommenen Pässe unterstreichen seinen Wert im „Walter-Ball“, immer wieder kann er sich fallen lassen und Bälle verteilen.

Vor ihm ist neben Ludovit Reis vor allem Sonny Kittel extrem auffällig. Der polyvalente Spieler kommt in dieser Saison auf neun Tore und 16 Vorlagen. Wie die gesamte Hamburger Offensive legt er Tore besonders gern per Flanke auf.

Und am aller liebsten auf Hamburgs Zielspieler Nummer eins in der Offensive: Mittelstürmer Robert Glatzel. Mit 22 Toren spielt der 28-Jährige seine persönlich stärkste Saison. Sowohl aus dem Mittelfeld, vor allem aber über die Flügel wird Glatzel immer wieder gesucht. Zwölf seiner Tore erzielte der 1,93m-große Stürmer per Kopf. Vor allem seinetwegen stellte der HSV die drittbeste Offensive der 2. Liga.

Bester Torschütze des HSV: Robert Glatzel

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

“Walter-Ball” knacken

Die drittbeste Offensive der Liga, die beste Defensive der Liga. Klingt im ersten Moment nicht wie der typische Drittplatzierte, der in die Relegation muss. Doch der HSV ließ im Saisonverlauf immer wieder Federn.

Denn der HSV zeigte sich im Vergleich zu den Aufsteigern aus Gelsenkirchen und Bremen zu oft verwundbar. Ein Paradebeispiel, wie man den HSV knacken kann, lieferte in der Rückserie Werder Bremen. Dem variablen Spielaufbau der Hamburger setzte man ein mannorientiertes Anlaufen entgegen, setzte die HSV-Defensive unter Dauerdruck. 

Werders zentrale Mittelfeldspieler übernahmen dabei Hamburgs Außenverteidiger, die Stürmer Werders verdichteten das Zentrum. So entwickelte Werder ein extrem hohes Pressing, zwang den HSV immer wieder zu Ballverlusten.

Das funktionierte, auch weil Werder im entscheidenden Moment taktisch umstellte. Mit der Führung im Rücken stand man tiefer, überließ dem HSV den Ball. Und konzentrierte sich darauf, Glatzel aus dem Spiel zu nehmen. Fast wie ein Bewacher stand ihm Bremens Ömer Toprak an der Seite.

Ausgebremst: Werder Bremen knackte den HSV

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Der Schlüssel zu diesem Sieg widerspricht zwar allem, wofür Hertha in dieser Saison steht. Denn mit gerade einmal durchschnittlich acht ballerobernden Aktionen pro Spiel in der gegnerischen Hälfte war in dieser Disziplin in der Bundesliga niemand so ungefährlich wie Hertha. Doch Mut sollte machen, dass dieses hohe Pressing gar keine 90 Minuten durchgezogen werden musste.

Um den HSV zu schlagen, muss Hertha in jedem Fall mutiger auftreten als zuletzt. Und auch taktisch variabler. Denn überlässt man den Hamburgern den Ball dauerhaft, werden sie Mittel finden, um Glatzel ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig muss das Risiko, selber das Spiel zu machen, oder früh zu pressen, immer wieder abgewägt werden. Denn so könnten sich Gelegenheiten für den HSV bieten und es steht viel auf dem Spiel…

Mit dem Narrativ brechen

Der HSV und die Relegation – das galt mal als die perfekte Symbiose. In den Jahren 2014 und 2015 rettete sich der einstige Bundesliga-Dino gleich doppelt über diesen Modus. Gegen Fürth half die Auswärtstorregel, gegen den Karlsruher SC ein zumindest zweifelhafter Freistoß. 2017 rette sich der HSV am letzten Spieltag spektakulär, entging einer erneuten Relegation erst in der 88. Minute.

Doch das Bild des Clubs, der in letzter Sekunde immer wieder den Kopf aus der Schlinge zieht, ist  längst verwischt. 2018 mussten die Hamburger den Gang in die Zweite Liga antreten. Es folgten drei Versuche der Rückkehr ins Oberhaus, alle endeten auf dem undankbaren vierten Platz. Teils verspielte man in der Hansestadt große Vorsprünge.

Und so tritt der HSV zum dritten Mal in acht Jahren in der Relegation an. Doch es geht nicht nur gegen Hertha, sondern auch gegen das Narrativ des Scheiterns. Aus den einst unabsteigbaren Hamburgern droht das genaue Gegenteil zu werden. Und auch der HSV weiß: Jedes weitere Jahr in der Zweiten Liga ließe die Lücke zum Oberhaus weiter wachsen.

Der HSV möchte kein weiteres Mal scheitern

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Doch nicht nur für den HSV geht es darum, eine sich selbsterfüllende Prophezeiung abzuwenden. Auch bei der Hertha würde ein Erfolgserlebnis eine Erzählweise über den Verein zumindest vorläufig verstummen. Denn nach einer Aneinanderreihung von Negativerlebnissen in den vergangenen Jahren wäre ein Abstieg, noch dazu über die Relegation, die es in den vergangenen Jahren stets gut mit dem Erstligisten meinte, der nur allzu gut ins Bild passende vorläufige Tiefpunkt.

[Titelbild: Martin Rose/Getty Images]