Kaderanalyse 2019/20 – Herthas Sturm

Kaderanalyse 2019/20 – Herthas Sturm

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte. In diesem Teil wird die Position der Mittelstürmer näher beleuchtet.

Hertha und die Stürmer – ein schwieriges Thema. Denn gefühlt hat es nach Michael Preetz, Marcelinho und Marco Pantelic keinen Hertha-Stürmer mehr gegeben, der über Jahre hinweg, ligaweit und konstant für seine Torgefahr gefürchtet war. Durch Herthas neuen Reichtum, hoffnungsvolle Nachwuchsstürmer und die Trainerwechsel hat sich aber auch auf dieser Position in der abgelaufenen Saison viel getan. Grund genug, um den Sturm in unserer Kaderanalyse unter die Lupe zu nehmen.

Vedad Ibisevic – Ein versöhnliches Ende?

Stürmer werden bekanntlich nach Toren bewertet. Schaut man sich die Tor-Statistiken von Hertha aus der vergangenen Saison an, wird klar, dass die Effizienz der Torbeauftragten viel Luft nach oben hat. Denn unter den fünf Spielern mit den meisten Treffern ist Vedad Ibisevic der einzige „echte“ Stürmer. Der Bosnier Ibisevic hat mit zehn Saisontoren (Liga und Pokal) in der vergangenen Saison die meisten Tore erzielt, wobei sieben Tore in Ligaspielen und drei Tore in Pokalspielen erzielt wurden. Auch eine andere Statistik spricht für den 36-Jährigen: Mit durchschnittlich 136 Minuten hat Ibisevic von allen Hertha-Torschützen am wenigsten Zeit benötigt, um erneut zu treffen. Allerdings ist der „Vedator“ mit diesen Werten noch weit von der Ligaspitze entfernt: Robert Lewandowski (34 Ligatore, 72 Minuten/Tor) und Timo Werner (28 Tore / 106 Minuten/Tor) agieren in anderen Sphären.

Und dennoch hat Ibisevic für seine und Herthas Verhältnisse eine gute Saison gespielt, in der weniger die Quantität sondern mehr die Bedeutung seiner Treffer bestach. Man denke nur an das Spiel in Köln in der Hinrunde, in dem der Bosnier den „Effzeh“ nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit quasi im Alleingang mit einem Doppelpack besiegte. Nach einem missglückten Saisonstart war der Sieg gegen Köln im Herbst 2019 eines der wenigen Lebenszeichen der von Ante Covic geleiteten Hertha.

Foto: IMAGO

Schaut man auf die vergangene Saison zurück, waren es eher die Trainer als Ibisevic selbst, die dafür sorgten, dass der „Vedator“ nicht häufiger traf. Denn Covic und Klinsmann setzten beide konstant auf Selke, was sich als krasser Fehler herausstellte. Erst Bruno Labbadia, der mit dem Bosnier schon in Stuttgart erfolgreiche Zeiten erlebt hatte, erkannte die Qualitäten Ibisevics: Er kann aus dem Mittelfeld angespielt werden, die Bälle dabei „festmachen“, holt einige Freistöße in wichtigen Positionen heraus und – das zeigte das oben angesprochene Köln-Spiel par excellence – hat kluge Laufwege, die ihn immer wieder in die gefährlichen Räume bringen. Ein echter Torjäger eben.

Trotzdem soll Ibisevic in der kommenden Saison wohl nicht mehr für die Hertha auflaufen. Trotz spannender Nachwuchspieler und neu eingekaufter Stars ist dies ein riskantes Unterfangen: Ibisevic hatte zwar immer wieder auch schlechte Phasen. In seinen guten Zeiten war er aber immer wertvoll, teils spielentscheidend. Mit 56 Ligatoren für Hertha liegt er auf Platz zehn der Rekordtorschützen unseres Vereins. In allen seinen fünf Spielzeiten in blau-weiß gehörte Ibisevic mindestens zu den drei besten Torschützen der Mannschaft. Er und Salomon Kalou waren viele Jahre die Lebensversicherung der “alten Dame”. Nachdem die Leistungskurve in den jüngeren Zeit allerdings noch unten zeigte, wird die viel wichtigere Frage sein, wie das aus vielen jungen Spielern und Neueinkäufen zusammengesetzte Team den Abgang zweier „Leader“ (Ibisevic und Skjelbred) verkraften kann.

Ein offizielle Verabschiedung des “Vedators” hat es seitens des Vereins allerdings noch immer nicht gegeben. Es ist also nicht zu 100 Prozent auszuschließen, dass der 36-Jährige nicht doch noch eine weitere Saison in Berlin auf Torejagd geht. Hertha soll nach einem neuen Stürmer suchen, doch sollte dieses Unterfangen nicht glücken, weil z.B. kein geeigneter Kandidat zu finden oder nicht zu finanzieren ist, könnte es eine “Rückkehr” Ibisevic’ geben – sollte dieser keine interessantere neue Herausforderung angeboten bekommen. Falls dies jedoch das Ende gewesen sollte, kann Ibisevic als bester Hertha-Torjäger der vergangenen Saison guten Gewissens abdanken.

Davie Selke – Letzte Chance vertan

Nach der Saison 19/20 kann man nun wohl mit Sicherheit feststellen: Davie Selke wird keine Zukunft mehr bei Hertha BSC haben. Nach einer recht guten Saison 17/18 (zehn Tore in 27 Liga- und Pokalspielen) und einer schwächeren zweiten Hertha-Saison (drei Tore in 30 Spielen) folgte eine enttäuschende Hinrunde 2019, in welcher der mit vielen Hoffnungen verbundene Stürmer in 19 Spielen ein einziges Tor schoss.

Foto: IMAGO

Dabei kann sich Selke nicht darüber beschweren, dass er bei Hertha zu wenige Chancen bekommen hätte. Schon in der Saison 18/19 wurde er von Pal Dardai oft bevorzugt, zahlte das Vertrauen aber fast nie zurück. Und auch in der vergangenen Saison setzten Covic und Klinsmann klar auf Selke und degradierten den Mannschaftskapitän Vedad Ibisevic zum Bankdrücker. Klinsmann sah Selke sogar mittel- bis langfristig im Nationalkader – eine von vielen Fehleinschätzungen des ehemaligen Nationaltrainers. Dass Selke auch in der vergangenen Saison keinen Anschluss fand, lag an seinem Spielstil. Er ackert zwar auch im Mittelfeld, um sich Bälle zu erobern. Allerdings kann er im Gegensatz zu Ibisevic nur selten Bälle festmachen, auch seine Dribbling-Qualitäten lassen zu wünschen übrig. Hinzu kommen recht unkreative Laufwege, sodass er nur selten für Dynamik und Überraschungen im Spiel sorgt. Michael Preetz hatte einen ähnlichen Spielstil, der oft etwas unkonventionell bis ungeschickt wirkte. Allerdings hatte Preetz die Gabe, das Spiel besser zu lesen und in den richtigen Momenten am richtigen Fleck zu sein.

Die Zukunft des 25-Jährigen ist noch nicht final geklärt, schließlich muss Werder Bremen auch in der kommenden Saison die Klasse halten, damit die Kaufpflicht aktiviert wird – mindestens zehn Millionen würde Selke dann einbringen, womöglich sogar 15 Millionen, doch der damit verbundene Umstand, dass Bremen Europa erreicht, ist wohl illusorisch. Das ernüchternde Fazit zu Selke ist, dass der Stürmer ein nicht eingelöstes Versprechen ist. 2017 für damals viel Geld nach Berlin gekommen, sollte er die Zukunft des Berliner Mittelsturms sein, doch bis auf wenige Spiele, wie beispielsweise sein Doppelpack beim 3:2-Sieg über RB Leipzig, ist er diesen Erwartungen hinterhergehinkt. Es sollte nicht sein.

Krzysztof Piątek – Herthas neue Sturm-Hoffnung

Mit 24 Millionen Euro ist der Pole Krzysztof Piątek Herthas zweitteuerster Transfer der Vereinsgeschichte. Seine bisher größten Erfolge feierte Piątek zuvor in Italien, wo er zunächst für den CFC Genova 13 Tore in 19 Spielen machte und später in 36 Einsätzen 13 mal für den AC Mailand traf. Als Zlatan Ibrahimovic dann im Winter 19/20 nach Mailand wechselte, verlor der polnische A-Nationalspieler seinen Stammplatz und geriet zugleich ins Visier der Hertha, die nach einer sehr enttäuschenden Hinrunde eine „Tormaschine“ brauchte.

Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Piąteks Stil ist schnörkellos: Bekommt er einen Ball in aussichtsreicher Position, sucht er sofort den Abschluss. Kreatives Passspiel und die Einbindung in längere Ballstafetten gehören offenbar nicht zu seinen Stärken, was oftmals dazu führt, dass Piątek phasenweise „untertaucht“ und etwas wenig Anbindung ans Spiel hat. Das ist aber auch okay – schließlich benötigt Hertha nach den Abgängen von Ibisevic, Selke und Kalou schlichtweg einen Stürmer, der regelmäßig Tore schießt. Dass der Pole diese Rolle bei Hertha in der kommenden Saison einnimmt, ist nicht unwahrscheinlich. Denn in den letzten Saisonspielen zeigte Piątek eine zufriedenstellene Leistung. In seinen 16 Hertha-Spielen (Liga und Pokal) kam Piątek auf fünf Treffer und eine Vorlage.

Dennoch ist weiterhin Luft noch oben klar erkennbar. Das sieht auch Trainer Bruno Labbadia so, der zuletzt gegenüber dem Berliner Kurier sagte: “Er läuft viel und macht viel. Die Statistiken sind sehr gut. Was man sagen kann, Krzysztof arbeitet extrem viel – auch außerhalb des Platzes. Er hat Fähigkeiten, die er mehr einbringen muss. Wir müssen es schaffen, ihn in seiner Position besser einzusetzen. Und er muss auch daran arbeiten. Er muss präsenter im Strafraum werden. Er muss noch effektiver werden.”

Pascal Köpke – Abschied wahrscheinlich

Wenn man sich im Internet nach Toren von Pascal Köpke umschaut, bekommt man einige beeindruckende Szenen zu sehen. Allerdings erzielte Köpke diese Tore fast ausschließlich im Trikot der „Veilchen“ von Erzgebirge Aue. Satte 18 Scorer-Punkte in 34 Zweitliga-Spielen gingen damals in einer Saison auf sein Konto. Zur Hertha wechselte der Stürmer vor der Saison 18/19 und hat seit dem eigentlich nie eine entscheidende Rolle gespielt. In der vergangenen Saison kam Köpke auf vier Ligaspiele und einen Pokaleinsatz.

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Dieses eine Pokalspiel hatte es allerdings in sich: Sehr überraschend hatte ihn Jürgen Klinsmann gegen Schalke in die Startelf befördert. Und zum ersten Mal machte Köpke im Hertha-Dress einen Unterschied: In klassischer Mittelstürmer-Manier machte er das 1:0 und legte wenig später das 2:0 vom damaligen Neuzugang Krzysztof Piątek auf. In den Klinsmann-Wochen kam Köpke zu einigen wenigen Einwechslungen. Besonders dürfte diese Zeit für ihn auch gewesen sein, weil sein Vater kurzzeitig Torwarttrainer bei Hertha war.

Unter Bruno Labbadia spielte Köpke dann erneut keine Rolle mehr. Ein Abschied ist mit Blick auf die anstehenden Kaderveränderungen wahrscheinlich. Die damalige Verpflichtung des quirligen Angreifers war eine Spekulation auf die Zukunft: Der Sprung von Aue nach Berlin war so groß, dass es nicht unwahrscheinlich gewesen ist, dass Köpke eben jenen Schritt nicht vollziehen kann. Das Experiment gilt wohl als gescheitert, 13 Einsätze und gerade einmal 264 Minuten in zwei Jahren belegen diese These.

Daishawn Redan – Der ungeschliffene Diamant?

Daishawn Redan ist ein 19 Jahre junger Mittelstürmer, der in der niederländischen Ajax-Schule groß geworden ist, vor einigen Jahren zu Chelsea wechselte und seit Anfang der vergangenen Saison bei Hertha spielt. Redan wurde teilweise als das „Wunderkind“ von Ajax und Chelsea beschrieben – die Verpflichtung durch Hertha weckte daher Hoffnungen. Auch wenn wir von Redan noch nicht viel gesehen haben – seine Statistiken klingen spannend. In der niederländischen Jugendmannschaften traf Redan zuletzt fast in jedem Spiel. In der U18 und der U19 der Londoner erzielte der Niederländer 18 Tore.

Und auch im Hertha-Dress hat Redan schon getroffen: In seinen acht Einsätzen für die U23 von Michael Hartmann kam Redan auf vier Tore. Im Profi-Team wurde er bislang nur einmal eingesetzt: Bei der 0:3 Heimniederlage gegen Wolfsburg am 2. Spieltag. In der Rückrunde wurde Redan dann an den niederländischen Erstligisten FC Groningen verliehen, wo er einige Spiele bewältigte, aber keine Tore machte – bis die Saison 19/20 wegen des Coronavirus abgebrochen wurde. Gemeinsam mit Jessic Ngankam könnte sich Redan in der kommenden Saison um die Rolle des besten Nachwuchsstürmers streiten. In jedem Fall sollte Hertha ihn nicht voreilig ziehen lassen.

Jessic Ngankam – Herthas eigenes Sturm-Juwel

Immer wieder kommen aus der Hertha-Jugend vielversprechende Talente in die Profi-Mannschaft. Dass diese Spieler aber schon mit 18 oder 19 Jahren von mehreren europäischen Spitzenclubs gejagt werden, passiert nicht sehr oft. Bei Jessic Ngankam ist das aber der Fall. Obwohl im Mai dieses Jahres von Interesse aus München und Salzburg berichtet wurde, unterschrieb das Berliner Eigengewächs seinen ersten Profivertrag bei Hertha. Belohnt wurde er von Bruno Labbadia mit mehreren Einwechslungen. Im letzten Saisonspiel gegen Mönchengladbach sammelte Ngankam sogar seinen ersten Scorer-Punkt, als er Ibisevic seinen wohl letzten Hertha-Treffer auflegte. In Hartmanns U23 zeigte Ngankam in der vergangenen Saison, was in ihm steckt: In 22 Spielen traf er elf Mal – seine Torquoten in den Jugendmannschaften Herthas sind noch beeindruckender. Schön, dass Labbadia den Nachwuchsspielern häufig Chancen gibt. Ngankam hat sie verdient – es wäre toll, wenn er sich einen Platz im Team ergattert.

Muhammed Kiprit – Geht da noch was?

Einen ähnlichen Text wie über Ngankam hätte man in den vergangenen Jahren vor Saisonbeginn jeweils auch über Muhammed Kiprit schreiben können. Der gebürtige Berliner hat in der Jugend für Hertha viele Tore geschossen, 2018 wurde er dann zum Hertha-Profi. Doch seitdem steht die Entwicklung still. In der Rückrunde 18/19 wurde Kiprit für ein paar Monate nach Innsbruck verliehen. In der vergangenen Saison lief er dann wieder 21 mal für die U23 von Hertha auf – und machte beachtliche 16 Tore bei fünf Vorlagen. Alleine diese Werte zeigen, dass Kiprit als Stürmer wertvoll sein kann. Vielleicht bekommt er bei Labbadia ja noch eine Chance – es ist allerdings nicht davon auszugehen.

Fazit

Obwohl Hertha in der vergangenen Saison mit Ibisevic und später auch Piątek zwei klassische Strafraumstürmer hatte, die für wichtige Tore sorgten, gibt es nach wie vor ein Stürmerproblem. Das zeigen mehrere Statistiken. Mit sieben Ligatreffern sind Vedad Ibisevic und Dodi Lukebakio Herthas erfolgreichste Torschützen und rangieren damit auf Platz 33 der Torjäger-Liste der Bundesliga. Dass bei Hertha die Torgefahr zumeist nicht von Stürmern sondern von offensiven Mittelfeldspielern (Lukebakio, Cunha, Kalou, etc.) ausgeht, zeigt auch ein Blick in die Scorer-Liste der Liga. Mit sieben Treffern und sechs Vorlagen ist Lukebakio auf Platz 31 bester Herthaner. Das mag sicherlich auch an den vielen Trainerwechseln der vergangenen Saison liegen: Denn unter Klinsmann und Covic hatte der einzige treffsichere Stürmer Ibisevic in der Hinrunde wenig Einsatzzeit. Wer weiß, wie viele Tore der „Vedator“ gemacht hätte, wenn er Selkes Spielzeit bekommen hätte …

Foto: IMAGO

Hoffnung machen aber die jüngsten Entwicklungen unter Bruno Labbadia, der selbst jahrelang auf Torejagd ging. Einerseits erkannte Labbadia, dass Ibisevic nach seinen Hertha-Jahren als Stürmer am besten mit dem Rest der Mannschaft verbunden ist – der Bosnier zahlte dies mit guten Leistungen und Treffern zurück. Andererseits baute Labbadia gleichzeitig Neuzugang Piątek auf – der Pole wurde von Spiel zu Spiel besser und konnte zeigen, dass er Ibisevics Platz als gefährlicher Strafraumstürmer einnehmen könnte. Hoffnung machen auch Nachwuchs-Talente wie Ngankam oder Redan, die unter Labbadia sicherlich ihre Zeit bekommen werden.

Ganz egal, wer vorne spielt – Hertha muss auch spielerische Probleme lösen. Sowohl mit Ibisevic als auch mit Selke und Piątek hat es in der vergangenen Saison zu oft so gewirkt, als habe der Sturm keinen Anschluss ans Mittelfeld gehabt. Der Abstand der Stürmer zu den kreativen Passgebern war oft zu groß, sodass nur selten spielerisch-dynamisch Gefahr entstanden ist. Wünschenswert wäre es daher, dass der Strafraumstürmer Piątek einen weiteren spielstarken Stürmer an seine Seite bekommt. Vielleicht können diese Aufgabe ja die Talente Ngankam und Redan erfüllen – vielleicht aber auch ein weiterer Neuzugang.

[Foto: IMAGO]

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Flügelstürmer

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Flügelstürmer

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte. In diesem Teil wird die Position der Außenstürmer näher beleuchtet.

Lukebakio und die Veränderung des Stellenprofils

Er war der Spieler, dessen Transfer im Sommer an der Spree für das größte Erstaunen sorgte. Mit der Verpflichtung von Dodi Lukebakio landete Michael Preetz zum wiederholten Male einen echten Coup. Wie schon bei Mitchell Weiser, Valentino Lazaro und Niklas Stark – um nur einige zu nennen – schaffte es „Der Lange“ erneut, einen jungen Spieler mit hohem Entwicklungspotenzial in die Hauptstadt zu lotsen. Ein typischer Preetz-Transfer also? Nicht ganz. Denn die Ablösesumme von rund 20 Millionen Euro war ein Wert, an den man zu diesem Zeitpunkt im blau-weißen Umfeld noch nicht gewohnt war. Dass der Preis nach Lukebakios erster Bundesligasaison in Düsseldorf, in der er 14 Torbeteiligungen in 31 Spielen verzeichnete, seine Berechtigung hatte, daran gab es kaum Zweifel. Dass Hertha jedoch bereit ist, derartige Summen zu zahlen – das war neu. Doch Hertha war im zurückliegenden Transfersommer zweifelsohne zum Handeln gezwungen. Nachdem Valentino Lazaro den Klub gen Mailand verlassen hatte, war klar, dass es zwingend offensive Qualität für die rechte Seite brauchen würde. Auch, weil Mathew Leckie, der diese Position mehr oder weniger im Wechsel mit Lazaro bekleidete, zum einen in der Vorsaison primär durch Verletzungen auffiel und zum anderen auch bei vollständiger Gesundheit weit von der Form zu Beginn seiner Berlin-Zeit entfernt war. Da man sich entschied, auf der Rechtsverteidiger-Position nicht nachzurüsten und stattdessen auf Klünter und Pekarik zu vertrauen, war klar, dass es von nun an ein klar offensiv denkender Mann für den Flügel richten muss, der die fehlende Kreativität und Torgefahr seiner Hinterleute ausgleicht. Dementsprechend groß waren die Erwartungen an den – zu diesem Zeitpunkt – Rekordtransfer.

Lukebakios Treffer zum 2:0 im Derby gegen Union. (Photo by STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images)

Der Start sollte dann jedoch, analog zu dem des Vereins, etwas holprig verlaufen. War er am ersten Spieltag mit dem Tor in München, das Hertha zum Remis verhalf, noch obenauf, ging es danach ebenso rasant bergab. Die folgenden drei Spiele, die Hertha allesamt verlor, sah auch Lukebakio alles andere als gut aus. Immer wieder schlichen sich Schwächen in der Ballbehandlung sowie der Chancenverwertung ein, sodass Trainer Ante Covic seinen Königstransfer am fünften Spieltag erstmals auf die Bank beorderte. Nachdem Hertha gegen Paderborn den ersten Saisonsieg einfuhr, sollte sich Lukebakio auch bei den kommenden beiden Siegen gegen Köln und Düsseldorf sowie dem Remis in Bremen nicht in der Startelf wiederfinden.

Statt Stunk zu machen, bewies der Belgier jedoch Moral und empfahl sich über vielversprechende Kurzeinsätze, in denen er in allen drei Spielen jeweils an einem Treffer beteiligt war, wieder für die Startelf, aus der er seitdem auch nicht mehr wegzudenken ist. Sieben Treffer und ebenso viele Vorlagen können sich, insbesondere angesichts der durchwachsenen Saison von Hertha, durchaus sehen lassen. Dennoch ist es keineswegs so, als wäre der Offensivmann frei von Kritik. Zum Saisonendspurt hin wurde er von Labbadia nach schwacher Vorstellung in Dortmund öffentlich für seine Leistung kritisiert und trotz Herthas zu dem Zeitpunkt dünner Personaldecke im Spiel darauf auf die Bank gesetzt. Insbesondere die fehlende Bereitschaft zur Defensivarbeit und seine vermehrt lustlose Körpersprache standen in der Kritik. Doch auch aus diesem Zwischentief konnte sich Lukebakio befreien – erzielte zunächst ein Traumtor gegen Freiburg, das jedoch aberkannt wurde und war beim Überraschungssieg gegen Leverkusen – dann auch regulär – an beiden Treffern direkt beteiligt.

Fazit: Bei all der (berechtigten) Kritik, die sich Lukebakio in seinen beiden Schwächephasen anhören musste, sollte nicht vergessen werden, dass es hierbei um einen 22-jährigen geht, der noch weit entfernt von seinem Leistungszenit ist und aller Widerstände zum Trotz 14 Scorerpunkte vorweisen kann. Wenn Labbadia es schafft, Lukebakios klar benennbare Defizite zu beheben, dann kann Hertha in den kommenden Jahren noch viel Freunde an ihm haben.

Das Juwel im Entwicklungsstopp

Zahlen, wie sie Lukebakio vorweisen kann, hätte man sich in der abgelaufenen Saison auch von Javairo Dilrosun erhofft. Der bis zur Verpflichtung von Matheus Cunha wohl talentierteste und technisch versierteste Spieler im Berliner Kader, bringt in seinen Anlagen alles mit, das es braucht, um eine wichtige Rolle in Herthas ambitionierten Zukunftsplänen zu spielen. Zu Beginn der Saison sah es so aus, als könnte er diesen Erwartungen bereits jetzt schon gerecht werden. Nachdem er den Saisonauftakt verletzungsbedingt verpasste, zählte er ab dem fünften Spieltag zum Stammpersonal und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Hertha zwischenzeitlich zehn Zähler aus vier Partien einheimsen konnte. Vier Torbeteiligungen sammelte er in diesen Partien. Die drei Tore, die er dabei selbst schoss, waren allesamt solche für die Galerie. In dieser Phase war allein Dilrosuns Spielfreude das Eintrittsgeld wert.

Ließ sein Können leider viel zu selten aufblitzen: Javairo Dilrosun by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Doch leider waren mit dem abrupten Ende des zwischenzeitlichen Aufschwungs Herthas auch die Jubel-Wochen von Dilrosun vorbei. Zwar gehörte er unter allen drei Trainern bis zu Labbadia zum Stammpersonal, allein seine Leistungen rechtfertigten das Vertrauen nicht mehr. Vom siebten bis zum 28. Spieltag gelang dem Niederländer keine einzige Torbeteiligung mehr. Regelmäßig tauchte er komplette 90 Minuten ab. Zweifelsohne kann man die Schuld nicht allein ihm zuschreiben. Auch der fußballverneinende Stil von Klinsmann/Nouri tat sein Übriges. Dennoch darf und muss man von einem Spieler dieser Güteklasse mehr erwarten. Es passt zur Saison Dilrosuns, dass dieser sich, gerade, als Labbadia begann, auf ihn zu setzen und er sich gegen Augsburg mit einem – natürlich – sehenswerten Treffer für das Vertrauen revanchierte, erneut eine Verletzung zuzog und für den Rest der Saison ausfiel.

Fazit: Die nächste Saison könnte der Wegweiser sein, in welche Richtung sich Dilrosuns Karriere entwickelt. Bleibt er im Status des Talents hängen, das hin und wieder seine außergewöhnliche Klasse aufblitzen lässt, oder gelingt es ihm, Konstanz in seine Leistungen zu bringen? Viel wird auch davon abhängen, inwieweit er dabei von Verletzungen verschont bleibt. Ein anderer Faktor ist, welche Position Labbadia für den Flügelflitzer vorsieht. Denn auf Dilrosuns Stammposition – dem linken Flügel – fühlt sich neuerdings noch ein anderer Spieler recht wohl.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist hertha-bsc-v-sv-werder-bremen-bundesliga-1-1024x683.jpg
Matheus Cunha – ein Spieler für die besonderen Momente (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Hacunha Matata

Wo soll man da nur anfangen? All den Ärger, den man mit Hertha in den letzten Jahren, ach, Jahrzehnten hatte; all die verpassten Chancen auf das europäische Geschäft; all die Stresspickel, die hervortreten, wenn man an Jens Lehmann und Jürgen Klinsmann denkt – all das rät für ein paar Minuten in Vergessenheit, wenn man diesen Spieler auf dem Feld bewundern darf. Was Matheus Cunha seit seiner Ankunft aus Leipzig im Winter auf den Rasen zaubert, erinnert phasenweise tatsächlich an den großen Marcelinho.

In gerade einmal elf Partien brillierte sich der Brasilianer ins Herz aller blau-weißen Anhänger. Seine Torgefahr, seine Kreativität, seine Technik, seine Abschlussstärke – eigentlich kann man sich Spiel um Spiel nur verwundert die Augen reiben und fragen, wie sich ein Spieler dieser Qualität nach Berlin verirren konnte. Natürlich kann, wenn die rosa-rote Brille abgesetzt wird, auch hier an der einen oder anderen Stelle noch Luft nach oben erkannt werden. So darf sich Cunha hin und wieder auch gern mal etwas früher vom Ball trennen und sich des eigenen Spielwitzes etwas weniger bewusst sein. Andererseits: Wenn das Resultat dessen solche Tore, wie das gegen Hoffenheim sind, wer möchte ihm dann derartige Aktionen verbieten? In diesem Sinne: Einfach genießen, solange er noch nicht gemerkt hat, dass er eigentlich für Höheres bestimmt ist.

Fazit: Über den Sommer in Watte einpacken und beten, dass er fit bleibt.

Der unwürdige Abgang eines Superstars

Während man bei Cunha aus dem Schwärmen kaum herauskommt, verlief die Saison von Salomon Kalou gänzlich anders. Dabei wurde schon früh deutlich, dass es wohl nicht sein Jahr werden würde. Neu-Coach Ante Covic ließ Kalou lediglich bei der Niederlage gegen Wolfsburg von Beginn an spielen. Unter Klinsmann/Nouri wurde die Bilanz gar noch düsterer. Nur ein Kurzeinsatz über zwölf Minuten am 13. Spieltag gegen den BVB sollte hinzukommen. Dies waren gleichzeitig seine letzten Minuten im blau-weißen Trikot. In das Wintertrainingslager unter Jürgen Klinsmann durfte er nicht mehr mitfahren, ein frühzeitiger Abgang stand im Raum.

Gerade in den großen Spielen trumpfte Kalou immer wieder auf. (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Wie es dann letzten Endes zum finalen Aus bei Hertha kam, wurde hinlänglich durch jedes Medium getrieben und soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Die Umstände des Ganzen werfen aber doch ein paar Fragen auf. Dass Kalou für seine Aktion bestraft gehört, ist wohl unstrittig. Ob es aber angemessen war, ihn allein für die Verfehlungen eines ganzen Vereins, oder besser gesagt einer ganzen Branche, verantwortlich zu machen, darf zumindest in Frage gestellt werden. So muss sich Hertha, mal wieder, den Vorwurf gefallen lassen, einen verdienten Spieler nicht den ihm zustehenden Abschied bereitet zu haben. Immerhin muss man sich an der Stelle nochmal in Erinnerung rufen, dass hier von einem Spieler die Rede ist, der in 151 Spielen 65 Torbeteiligungen für Hertha sammelte und maßgenblich daran beteiligt war, aus der einstigen Fahrstuhlmannschaft einen Europa League-Teilnehmer zu machen. Doch nicht nur sportlich war auf den Ivorer Verlass.

Auch für die Kabine war „Sala“ ein enorm wichtiger Spieler, der stets für gute Laune sorgte und für Späße zu haben war. Der letzte „Spaß“ war nun zu viel des Guten. Es würde seiner Karriere aber nicht gerecht werden, wenn man ihn dadurch in Erinnerung behielte. Stattdessen sollte man sich lieber an seine Tore in den großen Spielen gegen Bayern und Dortmund erinnern, seinen Dreierpack zu Hause gegen Gladbach, seinen Hattrick in Hannover mit eingewickeltem Kopf. Und natürlich an dieses unvergessliche Grinsen, das jeden ansteckt.

Fazit: Danke, Sala!

Zeit für neue Aufgaben

Dass sich Hertha derzeit im Umbruch befindet, das zeigen die Transfers eindeutig. Verpflichtungen wie die von Piatek und Cunha wären noch vor einem Jahr ins Reich der Fabeln verwiesen worden. Mit den neuen Ansprüchen – ganz gleich, wie man diese empfindet – muss es zwangsläufig auch zu Abgängen kommen. Die Trainersöhne Palko Dardai und Maurice Covic werden unter Labbadia wohl keine Rolle spielen. Selbiges gilt für Mathew Leckie. Der Australier, der vor drei Jahren an die Spree wechselte und einen beeindruckenden Start hinlegte, konnte seither, teils wegen Verletzungen, teils aufgrund endlos scheinender Länderspielreisen, nicht mehr an seinen Beginn anknüpfen. Vor einigen Monaten gab er öffentlich zu Protokoll, im Sommer einen neuen Verein suchen zu wollen. Angesichts der Konkurrenz auf seiner Position und seinen sehr überschaubaren Spielminuten ein absolut nachvollziehbarer und konsequenter Schritt.

Empfehlung: Ein weiterer Allrounder muss her

Wenn man die aktuellsten Gerüchte um Cunha mal als solche verbucht und darauf vertraut, dass Herthas neue Liquidität auch dazu führt, größere Summen ablehnen zu können, hat man in dem Brasilianer sowie Lukebakio wohl die feste Flügelzange für die anstehende Saison. Dahinter hat man in Javairo Dirosun allerdings aktuell nur einen Spieler, der ein würdiger Vertreter sein kann und das auch nur, wenn er fit und in Form ist – beides hatte in seinen nun zwei Jahren in der Hauptstadt Seltenheitswert. Ein Spieler mit Offensivdrang, der im Idealfall beide Seiten bespielen kann und speziell Lukebakio unter (Leistungs-)Druck setzt, sollte in diesem Sommer auf Michael Preetz’ Einkaufsliste stehen.

Titelbild: STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images

Podcast #111 Saisonrückblick 19/20

Podcast #111 Saisonrückblick 19/20

Wir besprechen die denkwürdige Saison 19/20 noch einmal in Gänze für euch. Die erste Hälfte behandeln wir nur oberflächlich, da es schon einen ausführlichen Hinrundenrückblick gibt. Auf die Rückrunde und alle dort geschehenen Dinge gehen wir näher ein und beantworten auch wieder eure Twitterfragen. Danach gibt es noch einen Ausblick auf die kommende Spielzeit.

Wir wünschen euch ganz viel Spaß mit der Folge und freuen uns über eure Kommentare.

Teilt den Podcast gerne mit euren Freunden, der Familie oder Bekannten. Wir freuen uns über alle Hörer*innen.

(Photo by MICHAEL SOHN/POOL/AFP via Getty Images)

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Mittelfeld

Kaderanalyse 2019/2020 – Herthas Mittelfeld

„Wenn du ein gutes Mittelfeld hast, hast du ein gutes Team“, sagte einmal Casemiro, Mittelfeldspieler bei Real Madrid. Er muss es wissen, denn Real Madrid ist zuletzt erneut spanischer Meister geworden. Eigentlich wissen das auch die meisten, die sich mit Fußball länger befassen, denn insbesondere das zentrale Mittefeld ist das Herzstück einer Fußballmannschaft. Im nächsten Teil unserer Artikelserie geht es genau darum. Wie verlief die Saison für Herthas zentrale Mittelfeldspieler? Wie ist der Stand aktuell und wo ist noch Bedarf?

Mehrere Spieler im Mittelfeld sorgten bei der „alten Dame“ in der vergangenen Saison für Gesprächsstoff. Ob Marko Grujic mit blauem Auge zum Saisonstart, der Abgang von Eduard Löwen nach nur sechs Monaten in Berlin, die Rückkehr in Topform von Vladimir Darida oder auch der Abschied von Per Skjelbred: es war einiges los im „Herzstück“ der Hertha-Mannschaft. Da Mittelfeldspieler ganz besonders im Zusammenhang mit Ihren Mitspielern zu bewerten sind, wollen wir dieses Mal zunächst chronologisch vorgehen.

Saisonstart mit Grujic, Duda und Löwen

Erst Jubel, dann Schmerz beim Treffer von Marko Grujic. (Foto: Daniel Kopatsch/Bongarts/Getty Images)

Die älteren unter uns werden sich erinnern – denn dieser Saisonstart gegen den FC Bayern München ist gefühlt bereits 50 Jahre her. Marko Grujic krönte gegen den Rekordmeister während der Saisoneröffnung eine gute Leistung mit einem Tor. Im Adrenalinschub bemerkte er erst beim Jubeln, dass es ihn im Zweikampf mit Weltmeister Benjamin Pavard am Auge erwischt hatte und er ein blaues Auge davontragen würde.

Im Kader mit dabei waren in München übrigens Eduard Löwen und Sidney Friede. Beide spielten in dieser Hinrunde jedoch kaum bis gar keine Rolle und verließen die „alte Dame“ im Winter. In der Startelf stand dafür Ondrej Duda. Der Slowake fand nach einer überragenden Spielzeit 2018/19 allerdings nicht richtig zu seiner Form, profitierte sicherlich auch nicht vom Trainerwechsel. In den ersten fünf Partien (nur vier Punkte) spielte er von Beginn an, wurde beim ersten Saisonsieg gegen den SC Paderborn dann zur Halbzeit ausgewechselt.

Es folgten nur noch knapp 90 Minuten Einsatzzeit bevor er unter Jürgen Klinsmann nicht mal mehr im Kader stand. Er wurde im Winter zu Norwich City ausgeliehen, wo er jedoch nach dem „Re-Start“ nicht mehr erste Wahl war. Seine Zeit in der Premier League verlief zusammengefasst eher unglücklich, sein Verein musste absteigen und er selbst blieb ohne Erfolg (null Tore, null Vorlagen).

Skjelbreds Rückkehr, Grujic ohne Konstanz

Per Skjelbred war nicht als Stammspieler erwartet, meldete sich aber eindrucksvoll zurück. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Während Hertha unter Ante Covic zu Saisonbeginn vor sich hinkriselte, arbeitete sich nach den ersten zwei Niederlagen ein Spieler zurück in die Startelf, der im Sommer schon fast abgeschrieben wurde. Per Skjelbred stand am vierten Spieltag wieder in der Startelf und spielte eine wichtige Rolle im Laufe der Saison. Dabei übernahm er die defensive Rolle im zentralen Mittelfeld neben Marko Grujic. Die Offensivere Position davor gab Duda an Vladimir Darida ab. Der Tscheche wurde daraufhin eine der wenigen Konstanten im Spiel der „alten Dame“.

Anders verlief es für Marko Grujic. Dieser bekam zwar regelmäßig seine Einsätze, konnte allerdings nicht konstant seine Leistung abrufen. Teilweise blitze seine Qualitäten auf, wie beispielweise im Spiel gegen die Eintracht aus Frankfurt (2:2, ein Tor, eine Vorlage), in vielen anderen Spielen allerdings fiel er durch zu langsames Agieren, Foulspiele und Unkonzentriertheiten auf, die mitunter auch zu Gegentreffern führten. Die chaotische Zeit unter und nach Jürgen Klinsmann brachte auch beim Serben viel Unsicherheit. Die ständigen Wechsel in der Zentrale (mal spielte Skjelbred, mal Darida neben Grujic) halfen dabei sicherlich auch nicht.

Im Winter kam Klinsmanns Wunschspieler Santiago Ascacibar vom VfB Stuttgart und übernahm für die letzten Partien seines Trainers die Position des klassischen Sechsers. Der Argentinier kam in einer denkbar ungünstigen Zeit an, in welcher der Hauptstadtclub immer mehr im Chaos versank. Nach dem „Re-Start“ zog sich der 23-Jährige eine schwere Fußprellung und fiel für die restlichen Spiele aus. Allerdings muss man dem “Giftzwerg” zugute halten, dass er seine Aufgabe in den wenigen Spielen zufriedenstellend erledigte und noch zu den positiven Erscheinungen der Mannschaft gehörte.

Neues Selbstvertrauen im Mittelfeld unter Bruno Labbadia

Vladimir Darida für Labbadia nicht wegzudenken. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Als es dann wieder mit der Bundesliga losging und Hertha BSC unter Bruno Labbadia eindrucksvoll nach nur wenigen Spielen den Klassenerhalt sicher machte, glänzte ein Spieler ganz besonders. Die „Lunge der Liga“ Vladimir Darida sammelte nicht nur Rekorde durch seine Laufleistungen, er überzeugte auch spielerisch und gab der gesamten Mannschaft Sicherheit.  Dabei übernahm er erneut den etwas offensiveren Part zwischen „klassischer Zehn“ und „Achter“. Es war zu spüren, dass der 29-Jährige dann besonders stark ist, wenn er im System mit drei zentralen Mittelfeldspielern den offensiveren Part übernehmen kann. Auch das Pressing unter Bruno Labbadia passt perfekt zum Mittelfeld-Allrounder. Insgesamt konnte er drei Treffer erzielen und fünf weitere vorlegen.

Dabei unterstützt wurde er von einem wieder erstarkten Marko Grujic, der sich zu Saisonende nochmal spürbar verbessert zeigte. Auch Per Skjelbred zeigte starke Leistungen, bevor er aufgrund einer Verletzung ausfiel und erst in der letzten Partie einen Kurzeinsatz zum Abschied bekam. Arne Maier fiel fast die gesamte Hinrunde wegen einer Knieverletzung aus, kam aber trotz einer für ihn eher unrühmlichen Transferperiode in der Rückrunde zu vier Startelf- und acht Kurzeinsätzen. Niklas Stark musste auf der „Sechs“ für kurze Zeit aushelfen und sogar Lazar Samardzic feierte sein Debüt.

Die Saison fand also auch im zentralen Mittelfeld ein versöhnliches Ende, brachte aber auch für die Sommerpause viele Fragen mit sich, angesichts der vielen anstehenden Wechsel. Von den im Laufe unseres Rückblicks genannten Spielern sind einige keine Option mehr für die nächste Saison: Eduard Löwen, Per Skjelbred und Sidney Friede sind definitiv nicht mehr im Kader. Auch Marko Grujic ist nach Liverpool zurückgekehrt. Es steht noch nicht fest, ob ihn Hertha erneut für eine Saison an die Spree locken kann, oder ihn womöglich sogar fest verpflichtet. Was bleiben bei Hertha also für Optionen?

Offensive Optionen im Zentralen Mittelfeld

Dudas Rückkehr mit Fragezeichen. (Foto: Tim Keeton/Pool/AFP via Getty Images)

Mit Vladimir Darida wird glücklicherweise aus Hertha-Sicht weiter zu rechnen sein. Derzeit sollen die Verantwortlichen ein Angebot zur frühzeitigen Verlängerung für den Tschechen erarbeiten, dessen Vertrag aktuell noch bis 2021 läuft. Ein Verbleib ist also hochwahrscheinlich, Cheftrainer Labbadia stellte bereits klar, dass er auf den Laufstarken Spieler setzt. Die Blau-Weißen haben also mit ihm eine sehr gute Option für alle zentralen Positionen, wobei er insbesondere als offensiverer „Achter“ glänzen könnte.

Eine weitere Option für das offensive zentrale Mittelfeld wird der Rückkehrer Ondrej Duda sein. Dieser bleibt aber ein großes Fragezeichen, da er sich zunächst im Labbadia-System zurechtfinden muss. Da er bisher nur in einer Saison bei Hertha BSC so richtig einschlagen konnte, ist es schwierig ihn als „sichere“ Lösung anzusehen. Winterneuzugang und neuer Publikumsliebling Matheus Cunha ist als Offensiv-Allrounder zwar grundsätzlich auch als „Zehner“ denkbar. Im System unter Bruno Labbadia ist er jedoch eher als hängende Spitze oder frei in der Offensive gesetzt worden. Den Brasilianer besprechen wir in unserer Artikelserie, wenn wir bei Herthas Sturm angelangen.

Schließlich könnte auch der junge Lazar Samardzic in der neuen Saison eine Chance bekommen, sich zu zeigen. Der 18-Jährige machte sein Bundesligadebüt im Derby gegen Union Berlin (4:0) und bekam zwei weitere Kurzeinsätze. Der gebürtige Berliner gilt als Riesentalent, trat jedoch zuletzt für Hertha Fans eher negativ in Erscheinung: angeblich wolle er oder seine Berater einen Wechsel im Sommer forcieren. Sollte er jedoch bleiben, wäre sein Profil besonders interessant, da er auf seiner Position momentan nicht die größte Konkurrenz hat.

Maiers Rückkehr – Tousart und Ascacibar mit Rückstand

Tousart hat monatelang nicht mehr gespielt. (Foto: Philippe Desmazes/AFP via Getty Images)

Für die defensiveren Aufgaben steht wieder Arne Maier zur Verfügung. Verletzungen warfen den 21-Jährigen in dieser Saison zurück und bremsten seine bisher rasante Entwicklung im Profibereich. Sollte er jedoch fit bleiben und eine komplette Sommervorbereitung unter Bruno Labbadia absolvieren geht er mit einer sehr guten Ausgangslage in die neue Saison. Noch wichtiger als seine Qualitäten im defensiven Mittelfeld ist seine Fähigkeit, auf der „Acht“ eine Verbindung zwischen Defensive und Offensive herzustellen. Dafür wird er in Topform aufspielen müssen und einen defensiv aufgestellten Mitspieler im Mittelfeld als Absicherung brauchen, um im den Rücken freizuhalten.

Mit Lucas Tousart hat sich die „alte Dame“ einen Spieler für die kommende Saison geholt, der genau diese Absicherung herstellen kann. Er bringt nämlich Zweikampfstärke, Physische Präsenz, bedingungsloser Einsatz und Qualität mit. Über seine Stärken und Schwächen haben wir bereits im Januar einen längeren Artikel geschrieben: hier. Allerdings kommt der Franzose nicht gerade unter optimalen Umständen in die Hauptstadt an. Durch die frühzeitige Beendigung des Ligabetriebs in Frankreich und die anstehende Sommerpause fehlen ihm monatelange Spielpraxis. Er wird viele anspruchsvolle Trainingseinheiten unter Bruno Labbadia benötigen, um den Fitness-Rückstand aufzuholen und wieder auf Topniveau zu kommen. Schließlich wird er sich an die neue Liga, Mannschaft und Heimat gewöhnen müssen.

Es ist also eher unwahrscheinlich, zum Saisonstart einen topfitten und gut aufgestellten Lucas Tousart zu erwarten, sowohl Fans als auch Verein werden da geduldig sein müssen. Ähnliches wird mit Abstrichen auch für Santiago Ascacibar gelten: Die Corona-Pause und seine anschließende Verletzung werden zu einem ähnlichen Fitness-Zustand geführt haben. Seine Qualitäten als klassischer Sechser könnten allerdings im Verlauf der kommenden Saison, vor allem im Hinblick auf den Abgang von Per Skjelbred, besonders wertvoll werden.

Braucht Hertha noch Verstärkung?

Auch Santiago Ascacibar hat lange gefehlt. (Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Sowohl im offensiven, als auch im defensiven zentralen Mittelfeld gibt es also einige Unsicherheiten. Zwar klingt es zunächst sinnvoll, einen kreativen, offensivstarken zentralen Mittelfeldspieler zu holen, da es gerade dort nicht viele klare Optionen gibt. Doch mit der Rückkehr von Ondrej Duda, der Hochform von Vladimir Darida und den Qualitäten von Matheus Cunha ist die Baustelle in diesem Sommer womöglich etwas weiter hinten anzustellen.

Sowohl Ascacibar als Tousart sind für harte Zweikämpfe bekannt und sammeln regelmäßig Karten. Gelb- und womöglich auch Rot-Sperren sind vorprogrammiert, sodass die Möglichkeit besteht, dass beide zur selben Zeit nicht zur Verfügung stehen. Niklas Stark ist da sicherlich eine Option, um im defensiven Mittelfeld auszuhelfen, wenn in der Innenverteidigung kein Engpass besteht. Der junge Julian Albrecht aus der eigenen Jugend könnte ebenfalls seine Chance bekommen. Doch ein weiterer Spieler, der sowohl defensiv wie auch offensiv aushelfen könnte, würde eine mögliche Schwachstelle im „Herzstück“ der Mannschaft verhindern.

Es ist also nicht verwunderlich, dass Hertha sehr daran interessiert ist, Marko Grujic wieder zur Verfügung zu haben. Der 24-Jährige kennt mittlerweile sowohl die Bundesliga als auch seine Mitspieler bestens und wäre sofort eine Verstärkung, so inkonstant diese sein mag. Wenn ein gutes Mittelfeld ein gutes Team bedeutet, wird Hertha jedenfalls auch im zentralen Mittelfeld sehr überlegt agieren müssen, um angemessen gerüstet für die neue Spielzeit zu sein. Andernfalls werden auch potenzielle millionenschwere Einkäufe im Sturm nicht ausreichen, um endlich eine sorgenfreie Spielzeit von Hertha BSC zu erleben.

Die wichtigsten Gerüchte um weitere Kandidaten im zentralen Mittelfeld könnt ihr in unserer Gerüchteküche verfolgen!

Kaderanalyse 19/20 – Herthas Außenverteidigung

Kaderanalyse 19/20 – Herthas Außenverteidigung

Eine turbulente Spielzeit hat am 27. Juni ihr Ende gefunden. Zwar hat COVID-19 alle Bundesliga-Team gleichermaßen getroffen, vor der Pandemie hat Hertha BSC das Rennen als von Krisen gebeutelster Verein aber zweifellos gemacht. Selten ist es in der vergangenen Saison um Sportliches gegangen, doch genau diesem Thema wollen wir uns mit dieser Artikelserie widmen: In unserer Kaderanalyse wollen wir die einzelnen Positionen genauer unter die Lupe nehmen und die Frage beantworten, ob Hertha dort nach Verstärkungen für die kommende Saison suchen sollte.

Herthas Außenverteidiger waren in den letzten Jahren eine Schlüsselposition unter Ex-Trainer Pal Dardai. Mitchell Weiser und Valentino Lazaro agierten als verkappte Spielmacher von der Rechtsverteidigerposition und kurbelten die Offensive von hinten an. Herthas aktuelle Außenverteidiger konnten das in dieser Saison keine gleichwertige Bedeutung für das Spiel ihrer Mannschaft erlangen, doch der Reihe nach.

Lukas Klünter – Zu wenig für Herthas Ansprüche

Die Tatsache, dass Lazaro 2018 vom offensiven Flügelspieler zum Abwehrspieler umgeschult wurde, lag daran, dass Lukas Klünter den damaligen Trainer Pal Dardai in der Saison 2018/19 nicht vollends überzeugen konnte. Doch Nachfolger Ante Covic wollte auf den schnellen Mann, der 2018 aus Köln nach Berlin kam, setzen. Unter ihm und auch seinem Nachfolger Jürgen Klinsmann machte er fast jedes Spiel. Die Alternative Peter Pekarik war am Anfang der Saison mit einer Wadenverletzung außen vor und so spielte Klünter trotz wenig überzeugender Leistungen. Wenn Klinsmann oder Alexander Nouri mit einer Dreierkette spielen ließen, war Klünter allerdings kein Teil davon, weder als rechter Part des Verteidigertrios noch als Schienenspieler davor. Der Wechsel von Nouri zu Labbadia bedeutete dann das Ende der Startelfeinsätze für Klünter.

Foto: IMAGO

Laut Medienberichten hat Klünter wenig Aussicht auf Spielzeit in der kommenden Saison unter Labbadia und dürfte somit vor dem Absprung stehen. Dabei waren seine Anfänge bei Hertha recht vielversprechend. Er wurde wohl vor allem wegen seiner Schnelligkeit verpflichtet – die 100 Meter läuft er in rekordverdächtigen 10,6 Sekunden – doch spielerisch hat es nie für die Ansprüche der Blau-weißen gereicht. Das liegt zum Teil wohl daran, dass Klünter auf einem außergewöhnlichen Weg in den Profifußball fand: Er ist nämlich einer der wenigen aktiven deutschen Bundesligaspieler, die nicht durch eine der zahlreichen Jugendakademien zum Profi wurden, sondern sozusagen als Quereinsteiger zu einem späteren Zeitpunkt in den Profifußball fand. Somit hatte er trotz seiner beeindruckenden Physis nicht dieselbe fußballerische Ausbildung wie andere genossen – und das sieht man: Weder defensiv noch offensiv konnte er vollends überzeugen, was vielleicht auch an Valentino Lazaro und Mitchell Weiser lag. Die beiden Vorgänger auf seiner Position zeigten regelmäßig, wie viel Einfluss ein guter Außenverteidiger auf ein Spiel haben kann, Klünter konnte ihnen hierbei nie das Wasser reichen.

Ein ehrlicher Arbeiter, der defensiv ein paar wirklich gute Auftritte hatte, aber Konstanz vermissen ließ und wenig Entwicklungspotenzial aufweist. Eigentlich ein idealer Backup, bei dem man keine großen Bauchschmerzen hätte, wenn er die Stammwahl für diese Position für ein bis zwei Spiele vertreten müssten, aber mit 24 Jahren wird Klünter diese untergeordnete Rolle nicht zusagen. Der Rechtsverteidiger will spielen und bei Hertha wird dies höchst wahrscheinlich nicht auf regelmäßiger Basis möglich sein, sodass eine Trennung als wahrscheinlich gilt.

Marius Wolf – Bleibt er?

Ein weiterer Kandidat für die Position rechts hinten ist der vom BVB ausgeliehene Marius Wolf. Dem Vernehmen nach will Hertha den Frankfurter Pokalsieger von 2018 für ca. 5 Millionen Euro verpflichten, während die Dortmunder eher eine zweistellige Summe wollen. Das Tauziehen könnte also noch ein wenig dauern. Doch ist Wolf überhaupt der Rechtsverteidiger, den Hertha sich wünscht? Was Labbadia von Wolf hält, ist schwer zu sagen, da der 25-Jährige seit dem Antritt des neuen Cheftrainers verletzt gewesen ist und noch keine Minute unter ihm gespielt hat. Marius Wolf kann auf der rechten Seite im Mittelfeld oder in der Verteidigung spielen. Er besticht durch Vorwärtsdrang und dynamisches wie laufintensives Spiel, doch hat er ähnlich wie Klünter immer wieder Schwächen in der Verteidigung offenbart. Allerdings unterlief auch den hochgelobten Weiser und Lazaro mal ein defensiver Lapsus, auch sie entwickelten eher in der Offensive ihre Stärken.

Eine fester Wechsel Wolfs dürfte trotzdem keine Verpflichtung eines weiteren Rechtsverteidigers verhindern, da Wolf wohl nicht exklusiv für die Abwehr eingeplant wäre. Die Frage bleibt, was genau Labbadia sich von seinem Außenverteidiger erwartet. Will er mehr Offensivdrang oder vertraut er lieber auf einen defensiv verlässlichen Verteidiger wie Pekarik? Da heißt es abwarten und schauen, wen Michael Preetz als neuen Rechtsverteidiger aus dem Hut zaubern wird, denn Labbadia hat da mit Sicherheit ein Wörtchen mitzureden.

Peter Pekarik – Mr. Zuverlässig

Unter Bruno Labbadia war Wolf verletzt und Lukas Klünter hat in neun Spielen zusammengerechnet nicht einmal über 90 Minuten auf dem Platz gestanden. Stattdessen spielte Routinier Peter Pekarik überraschenderweise wieder eine tragende Rolle. Dessen Vertrag wurde nun um ein Jahr verlängert, was ein weiteres negatives Signal an Klünter sein dürfte. Vor Labbadias Übernahme stand Pekarik in nur einem von 25 Spielen auf dem Platz (beim 2:1-Sieg in Paderborn) und war oftmals nicht einmal Teil des Kaders. Der vierte Trainer der Saison setzte aber dann auf Erfahrung und davon hat Pekarik schließlich reichlich: Der 33-jährige Slowake steht seit 2012 bei Hertha unter Vertrag, ist jetzt durch Thomas Krafts Abgang der dienstälteste Herthaner und hat immerhin 188 Bundesligaspiele und 91 Länderspiele absolviert.

Foto: IMAGO

Im 11-Freunde-Magazin wurde Pekarik kürzlich noch als einer der „Verlässlichen“ genannt, also einer der Spieler, auf die man immer setzen kann. Der Routinier mag tatsächlich nicht der Schnellste oder ein Dribbelkönig sein, doch Labbadia setzte auf ihn, weil er weiß, was er an ihm hat: Man kann nicht von ihm erwarten, dass er den Gegner in Grund und Boden läuft wie Darida oder hinten alles wegverteidigt wie sein Nebenmann Boyata, doch wird er stets eine anständige Leistung bringen – Aussetzer, die Punkte kosten, kennt man von “Peka” quasi nicht. In seinen neun Bundesligaspielen diese Saison hat Pekarik das gezeigt und noch mehr: Er hat nämlich außerordentlichen Offensivdrang gezeigt und noch zwei Torvorlagen gegeben. Unvergessen war sein (missglückter) Schluss beim ersten Spiel nach dem Restart in Hoffenheim, der von Gegenspieler Bebou abgefälscht im Hoffenheimer Tor landete und somit den 3:0-Sieg einleitete.

Mit seinen Leistungen ließ Pekarik Labbadia auch gar keine andere Wahl als ihn weiter aufzustellen. Nun gehen der Slowake und Hertha etwas unverhofft gemeinsam auch in die kommende Saison. Pekarik wird auch 20/21 die Rolle des verlässlichen Backups ohne große Ansprüche einnehmen, der genau dann da ist, wenn man ihn braucht – und solche Spieler benötigt jede Mannschaft. Zudem wird Pekarik eine noch größere Vorbildsfunktion zuteil, da mit Thomas Kraft, Per Skjelbred, Salomon Kalou und Vedad Ibisevic zahlreiche andere Routiniers den Verein verlassen haben.

Zeefuik für rechts?

Pekarik bleibt also bei Hertha in der kommenden Saison, doch wird er wohl wieder als verlässlicher Backup dienen, auf den man zu jeder Zeit sorglos zurückgreifen kann. Stammspieler auf der rechten Abwehrseite soll ein neuer Mann werden. Michael Preetz ist momentan auf der Suche nach einem neuen und wohl jüngeren Rechtsverteidiger. Ein Name schwirrt seit über einem Monat umher: Deyovaisio Zeefuik vom FC Groningen (wohin Herthas Nachwuchstalent Daishawn Redan die letzten sechs Monate ausgeliehen war) könnte bei Hertha die vakante Stelle übernehmen. Der 22-jährige Niederländer mit surinamischen Wurzeln (übrigens genau wie Javairo Dilrosun) will unbedingt zu Hertha, doch der Wechsel scheint noch zu stagnieren. Zeefuiks eigener Wunsch dürfte Hertha bei den Verhandlungen in die Karten spielen, obwohl Southampton mit Trainer Ralph Hasenhüttl auch Interesse zu haben scheint. Auf jeden Fall werden es noch ein paar zähe Wochen werden bevor Labbadia sich selbst ein Bild von den Fähigkeiten des holländischen U21-Nationalspielers machen kann. Wie man in Video-Zusammenschnitten erkennen kann, wirkt der junge Niederländer in jedem Fall resolut in den Zweikämpfen – seine teils riskanten Tacklings erinnern an Torunarighas – aber auch von vielen temporeichen Flankenläufen und einer gewissen Übersicht lässt sich berichten.

Marvin Plattenhardt – Vorzug vor Mittelstädt?

Auf der linken Seite sieht die Situation ein wenig anders aus. Anders als auf rechts hat Hertha hier keinen Pekarik als Backup. Vielmehr hat Hertha hier zwei Konkurrenten, die beide schon lange in Berlin spielen und den Anspruch haben auf dem Platz zu stehen. Allerdings haben auch beide dieses Jahr auch nicht vollends überzeugt (aber welcher Herthaner hat das schon?).

Foto: IMAGO

Marvin Plattenhardt ist seit mittlerweile sechs Jahren Herthaner und darf sich seit 2017 auch Nationalspieler nennen. Seine Nominierung durch Joachim Löw und seine mittlerweile sieben Länderspiele verdiente er sich durch solide defensive Arbeit aber auch seine gefürchteten Freistöße und Flanken. Seit der WM 2018 allerdings, bei der er nur beim schwachen Auftritt der DFB-Elf gegen Mexiko ran durfte und seitdem kein Spiel mehr für Deutschland bestritt, hat er auch bei Hertha nicht mehr zu alter Stärke finden können. Oft wirken seine Offensivbemühungen zu einbeinig und nicht variabel genug. Er traute sich nur noch selten, sich überhaupt in die Offensive einzubringen. Dem Linksverteidiger fehlte es offensichtlich an Selbstvertrauen. Er konnte nur noch selten überzeugen, weder unter Dardai, noch unter seinen Nachfolgern Covic, Klinsmann und Nouri.

Erst in den letzten Wochen unter Bruno Labbadia kam „Platte“ wieder auf Touren und brachte es am Ende der Saison immerhin auf fünf Vorlagen in 17 Bundesligaspielen (drei der Vorlagen in sieben Spielen unter Labbadia). Nur eine Gehirnerschütterung, erlitten im Spiel gegen Leipzig, nach welcher er doch noch vor seiner Auswechslung ein Tor per Ecke vorbereitete, hielten ihn davon ab, jedes Spiel unter dem momentanen Trainer zu absolvieren. Es scheint also, als setze Labbadia auf den mittlerweile 28-Jährigen und man hört auch nicht, dass Hertha sich nach einem weiteren Linksverteidiger umsieht. Das liegt wohl auch an der Alternative zu „Platte“: Maximilian Mittelstädt.

Maximilian Mittelstädt – Wieder nur erster Herausforderer?

Der Berliner Mittelstädt steht seit 2012 bei Hertha BSC unter Vertrag und hat in dieser Saison vier Vorlagen und ein Tor bei 26 Bundesligaspielen gesammelt. „Maxi“ spielt auch öfter als linker Schienenspieler oder im linken Mittelfeld und kann vor allem durch seine Dynamik und teils sehr clevere Zweikampfführung glänzen. Im Vergleich zu seinem Konkurrenten hat er trotzdem eine Vorlage weniger bei neun Spielen mehr aufzuzeigen, doch er hat immerhin ein Tor in dieser Saison erzielt: Beim 2:4 in der Hinrunde gegen RB Leipzig umdribbelte Mittelstädt einen Gegenspieler, um dann aus 21 Metern einen satten Schuss (101 km/h) im linken Toreck unterzubringen. Seinen Offensivdrang zeigte er auch in weiteren Spielen, zum Beispiel gegen Bremen: Im Hinspiel (1:1) bereitete er zum Beispiel ein Tor Lukebakios vor und traf selbst mit einem Weitschuss die Oberkante der Latte. Im Rückspiel (2:2) bereitete er mit einem satten abgewehrten Schuss das Tor zum 2:2 von Matheus Cunha vor.

Das Eigengewächs sucht öfter den Weg nach vorne, um Flanken zu schlagen oder selbst abzuziehen. Doch auch Mittelstädt konnte in dieser Saison nicht restlos überzeugen und zeigte nur selten sein wahres Potenzial. Zu oft tauchte er offensiv ab oder sah defensiv nicht immer glücklich aus. Mit seinen 23 Jahren gilt er Mittelstädt noch als Talent, sodass ihm seine Leistungsschwankungen eher verziehen werden, als bei Konkurrent Plattenhardt. Vor allem am Anfang der Saison war er nach der U21-EM noch nicht ganz fit, doch am Ende der Ära Covic fand Mittelstädt zu immer besserer Form. In der Saison 2019/20 brachte der ehemalige U21-Nationalspieler zwei Drittel seiner Dribblings erfolgreich durch (18 von 27), während sein Konkurrent Plattenhardt sich nur selten in Dribblings traute (taucht nicht in der Statistik auf) und eher den einfachen Pass suchte – oftmals nach hinten.

Über die gesamte Saison gesehen saß Mittelstädt, der übrigens im Alter von 15 Jahren von einem gewissen Ante Covic zu einem Wechsel zu Hertha überzeugt wurde, nur dreimal 90 Minuten auf der Bank, während Nationalspieler Plattenhardt dieses Schicksal zwölfmal traf. Unter dem aktuellen Trainer sind beide Spieler zum Einsatz gekommen, doch wenn beide fit waren – am Anfang des Re-Starts gegen Hoffenheim, Union und Leipzig – gab der Berliner Cheftrainer dem ehemaligen Nürnberger Plattenhardt den Vortritt. Ein Grund dafür kann sein, dass Labbadia in der schwierigen Phase nach dem Restart vor allem auf Erfahrung und Stabilität setzte (siehe Ibisevic, Pekarik) und man wird sehen müssen wie dieser Zweikampf nach einer kompletten Vorbereitung weitergeht.

Dem Vernehmen nach sucht Hertha auf jeden Fall nicht aktiv nach einem weiteren Linksverteidiger. Der Trainer und Manager vertrauen also auf die beiden vorhandenen Spieler, wohl auch im Wissen, dass mit dem 17-jährigen Luca Netz auch noch ein Riesentalent heranwächst. Ob dieser in der nächsten Saison bereits Minuten in der ersten Mannschaft sammeln kann, darf man bezweifeln, doch es scheint, als plane Hertha mittel- bis langfristig mit ihm.

Fazit

Herthas Außenverteidigung ist bisher zwar nicht unbedingt das Prunkstück der Mannschaft, doch auf links sieht es aus, als gehe Hertha mit den beiden bisherigen Spielern (Mittelstädt und Plattenhardt) in die neue Saison. Hier wird es zu einem offenen Zweikampf kommen, während es auf rechts eher nach Veränderung aussieht: Pekarik hat verlängert und wird sich als routinierter Backup auf die Bank setzen, während Klünter den Verein aufgrund mangelnder Perspektive womöglich verlässt. Wolf könnte bei einem passenden Angebot Herthas bleiben, doch es wird definitiv noch ein Rechtsverteidiger verpflichtet werden. Das wird auch dringend nötig sein, um die neuen Ansprüche zu untermauern.

[Titelbild: IMAGO]