Ja, Hertha BSC befindet sich mitten im Abstiegskampf. Ja, die Mannschaft bräuchte Ruhe und sollte sich aufs Sportliche konzentrieren. Aber die neuerliche, rassistische Entgleisung von Jens Lehmann lässt keinen anderen Schluss zu: Dass Hertha-Investor Lars Windhorst nun handelt und Lehmann aus dem Hertha-Aufsichtsrat kickt, ist nicht nur richtig sondern war längst überfällig. Ein Kommentar.
Lehmann und Hertha: Man hätte es wissen können
Vor knapp einem Jahr hat Deutschlands ehemaliger Nationaltorhüter Jens Lehmann Jürgen Klinsmann im Aufsichtsrat der Hertha BSC KG beerbt. Seitdem hat Lehmann nur Unheil, dümmliche Vorschläge und Negativ-Schlagzeilen über den Verein gebracht. Jüngstes Beispiel ist die rassistische Beleidigung, die Lehmann anscheinend unabsichtlich Sky-Experte und Ex-Profi Dennis Aogo zukommen ließ. Aogo kommentierte für den Pay-TV-Sender am gestrigen Dienstagabend das Champions League-Spiel Manchester City vs. Paris St. Germain. Nach seinem TV-Auftritt postete Aogo auf seinem Instagram-Kanal eine WhatsApp-Nachricht von Lehmann, in der der Hertha-Aufsichtsrat fragte: „Ist Dennis jetzt euer Quotenschwarzer?“.
Es ist nicht der erste unakzeptable Fehlgriff des Ex-Nationaltorhüters. Schon vor seiner Tätigkeit für Hertha fiel Lehmann immer wieder durch schräge Vorschläge und Kommentare auf. Vor etwa sieben Jahren äußerte er sich abschätzig zum Coming-Out von Ex-Mitspieler Thomas Hitzlsperger, in den Medien wurden Vorwürfe bezüglich einer möglichen Steuerhinterziehung gehen ihn bekannt und der Ex-Schalker und -Dortmunder musste sich schon vor Gericht wegen Beihilfe zur Unfallflucht rechtfertigen. Klar ist also: Alleine Lehmanns Berufung in den Aufsichtsrat war damals ein riesiger Imageschaden für den gesamten Verein, wie Hertha-BASE-Autor Simon schon im Mai 2020 kommentierte.
Lehmann schadete Hertha letztendlich nur
Doch auch während seiner Zugehörigkeit zu Hertha änderte sich wenig an Lehmanns Verhalten. Kurz nach seinem Einstieg erklärte er beispielsweise, dass jüngere Menschen wie Profifußballer mit dem Coronavirus „zurechtkommen“ müssten, außerdem verharmloste er das Virus mehrfach. Auch sportlich-fachliche Kommentare des Ex-Profis waren eher kontraproduktiv. In einem großen Interview forderte Lehmann die schnellstmögliche Qualifikation für den europäischen Fußball – in einer Situation in der Hertha schon damals ums Erstliga-Überleben kämpfte. Hinzu kam ein recht merkwürdiger Auftritt im „Doppelpass“, bei dem er Hertha-Boss Werner Gegenbauer als „guten Berliner Typen“ und „ein bisschen anders“ bezeichnete und auf die Frage, was Union besser mache als Hertha, eine unprofessionell ausweichende Antwort gab. Kurzum: Über die gesamte Dauer seiner Tätigkeit für Hertha hatte Lehmann keine Bindung zu den operativ Handelnden im Verein. Ganz im Gegenteil: Mit seinem Verhalten behinderte er sogar deren Bemühen um Herthas sportliche Zukunft.
Lars Windhorst hat in Interview immer bekundet, dass er sich für Klinsmann und später auch Lehmann im Aufsichtsrat bemüht habe, weil ihm der fußballerische Sachverstand fehle. Blickt man auf Lehmanns Post-Profi-Karriere, ist allerdings die Frage berechtigt, ob dieser fußballerische Sachverstand jemals vorhanden war. Als TV-Experte bei Spielen der Nationalmannschaft wurde er jedenfalls nicht zum Sympathieträger und bekam auch keinen Anschlussjob im Fernsehen. Übrigens: Auch aus diesem Grund ist Lehmanns Kommentar gegenüber Dennis Aogo deplatziert. Denn im Gegensatz zu Lehmann ist Aogo ein aufgeweckter, sympathischer und inhaltlich fundierter TV-Experte – was dafür spräche, dass Lehmann bei seiner Äußerungen nichts als der bloße Neid trieb. Aber auch auf Management-Ebene sind seine Schritte im Profibereich überschaubar: Nach nur drei Monaten als Co-Trainer des FC Augsburg wurde Lehmann von seinem Ex-Verein freigestellt – bis heute folgten keine weiteren Tätigkeiten im Trainerbereich.
Petry, Lehmann – Hertha handelt konsequent
Nach dem Rausschmiss von Torwart-Trainer Zsolt Petry, der sich in einem ungarischen Interview kürzlich homophob und rassistisch äußerte, ist Lehmanns Entlassung der zweite Mini-Skandal, der Hertha mitten im Abstiegskampf beschäftigt. Es bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft das Chaos, das den Verein in dieser Saison nicht loszulassen scheint, ignorieren kann.
Aber selbst wenn Hertha am Ende der Saison absteigen sollte – dass die Tennor Holding Lehmann aus dem Aufsichtsrat geschmissen hat, ist nicht nur richtig, sondern überfällig. Denn Werte wie Toleranz und Offenheit, mit denen sich Hertha richtigerweise offensiv schmückt, dürfen unter keinen Umständen kompromittiert werden.
Drei Monate nach Jürgen Klinsmanns unrühmlichen Abgang hat Lars Windhorst nun dessen Platz im Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA neu besetzt – mit keinem geringerem als dem ehemaligen Nationaltorwart Jens Lehmann. Herthas Investor Windhorst bescheinigt dem ehemaligen Spieler des FC Arsenal auf der Vereinshomepage „ein hohes Maß an Erfahrung und Professionalität“. Doch ist Lehmann die richtige Wahl gewesen?
Erfahrung bringt Lehmann sicherlich reichlich mit – er war als Spieler u. a. für den FC Arsenal und Borussia Dortmund aktiv, wurde Vize-Weltmeister und gewann den UEFA-Cup. Aber neben gelegentlichen Ausrastern auf dem Platz fiel der gebürtige Essener über all die Jahre immer wieder auch durch zweifelhafte Äußerungen abseits auf – zuletzt gleich mehrfach im Zuge der Corona-Krise. Ein kritischer Blick lohnt sich also allemal.
Die Befugnisse im Aufsichtsrat
Nun wird Lehmann also als Klinsmann-Nachfolger Mitglied des Hertha-Aufsichtsrates. Neben ihm berief Lars Windhorst übrigens auch Marc Kosicke, den Berater von u.a. Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann, in den Aufsichtsrat. Aber über welche Befugnisse werden die beiden als Mitglied dieses Gremiums überhaupt verfügen?
Zunächst sind neben den beiden „Neuen“ noch sieben weitere Personen im Aufsichtsrat vertreten – einem Gremium, das nur beschlussfähig ist, wenn eine Mehrheit der Mitglieder hinter dem jeweiligen Beschluss steht. Lehmann und Kosicke können also keine Alleingänge unternehmen, sie sind auf die Zustimmung der anderen AR-Mitglieder angewiesen.
Zu den Aufgaben und Befugnissen eines normalen Aufsichtsrates gehört die Überwachung der Geschäftsführung, zudem auch die Ernennung derselben. Durch die Struktur als GmbH & Co. KGaA ist das bei Hertha aber nicht der Fall: Die Geschäftsführung wird von der Hertha BSC Verwaltung GmbH übernommen, die von e. V. gehalten wird. Soll heißen: Lehmann ist bei Hertha Mitglied eines Gremiums, das auf die Geschäftsführung und somit das operative Geschäft des Vereins keinerlei Einfluss hat.
Gründe für die Berufung Lehmanns
Warum also wurde der Ex-Nationalspieler von Lars Windhorst in den Hertha-Aufsichtsrat berufen? Lehmann hat eine große Karriere hinter sich, sein Name ist auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt – vor allem dank seiner Zeit beim FC Arsenal und in der Nationalmannschaft.
Damit gehen gleichzeitig auch große Erfahrungen und ein gutes Netzwerk einher, Lehmann spielte über die Jahre mit vielen Größen des Sports zusammen (allein beim FC Arsenal u. a. Thierry Henry, Cesc Fàbregas, Dennis Bergkamp und Robert Pires). Von Lehmanns gutem Draht zu bekannten Ex-Profis und Vereinsverantwortlichen könnte Hertha profitieren, so wohl zumindest der Gedankengang von Investor Windhorst.
Der 50-Jährige verfügt außerdem über eine Trainerlizenz, war schon als Co-Trainer unter Ex-Arsenal-Coach Arsène Wenger und dem ehemaligen Augsburg-Trainer Manuel Baum aktiv. Neben seiner Spielerkarriere kann Lehmann somit auch auf weitere Erfahrungen im Profifußball verweisen. Und auch ein (nicht abgeschlossenes) Studium der Volkswirtschatslehre könnte sich bei seinen neuen Aufgaben als nützlich erweisen. Lehmann kennt sich also in vielen Fußball-relevanten Bereichen aus, keine ungünstigen Voraussetzungen für dessen neue Rolle als Aufsichtsorgan.
Alles andere als ein Musterprofi
Ein Mann, der Hertha also gut zu Gesicht stehen wird? Daran lässt sich zumindest zweifeln. Während und auch nach seiner Karriere fiel der Ex-Torhüter immer wieder durch unschöne Aktionen auf. Bereits in seiner aktiven Zeit war er als „Enfant terrible“ bekannt, mit fünf roten Karten führt er die Rangliste der Bundesliga-Keeper mit den meisten Platzverweisen an. Unvergessen dabei sicherlich, als Lehmann in Dortmund seinen Mitspieler Marcio Amoroso so wüst beschimpfte, dass der Schiedsrichter ihn kurzerhand mit vom Platz stellte.
Im Jahr 2016 stand Lehmann wegen mehrerer Verkehrsdelikte vor Gericht, er akzeptierte den Strafbefehl und zahlte über 40.000 Euro Strafe. Und erst 2018 wurde ihm in einem Bericht des Handelsblattes vorgeworfen, Steuern in Höhe einer knappen Millionen Euro hinterzogen zu haben, unter anderem mithilfe von Briefkastenfirmen. Lehmann kommentierte den Bericht damit, er sei „in wesentlichen Teilen unwahr und rechtswidrig“.
Ein braver Fußballprofi sieht also sicherlich anders aus. Wohlwollend lässt sich jedoch festhalten, dass Lehmann mit nichten der einzige ohne weiße Weste in diesem Geschäft ist. Auch andere Größen des Sportes fielen immer wieder durch ähnliche Delikte und Vorwürfe auf (z. B. Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo). Man sollte also vorsichtig sein, Lehmann aus diesen eher kleineren Vergehen für ewig zu verdammen, zumal er die Konsequenzen für seine Aktionen getragen hat.
Fragwürdige Aussagen trüben das Bild
Anders sieht es da bei Lehmanns Auftritt bei Sky90 vor sechs Jahren aus, kurz nach dem Outing seines ehemaligen Mitspielers Thomas Hitzlsperger. Den meisten Fußballfans dürfte dieser denkwürdige – oder besser gesagt bedenkliche – Auftritt Lehmanns noch gut im Gedächtnis sein. Herthas neues AR-Mitglied riet aktiven Fußballern damals vom Coming-out ab und sorgte mit diversen Vorurteilen gegenüber Homosexuellen für entsetzte Gesichter. Er bezeichnete Hitzlsperger unter anderem als „Betroffenen“ und Schwule als „etwas weicher“. Zudem habe „Hitze“ laut Lehmann „von seiner Spielweise überhaupt nicht den Anlass gegeben […], dass man hätte denken können, da ist irgendetwas“. Wie er reagiert hätte, wenn sich Hitzlsperger während seiner aktiven Zeit geoutet hätte? „Komisch, glaube ich. Man duscht jeden Tag zusammen, man hat Phasen, in denen es nicht so läuft. Aber Thomas Hitzlsperger ist […] ein sehr intelligenter Spieler“.
Als die Besetzung des Klinsmann-Postens im Aufsichtsrat bekanntgegeben würde, dürfte vielen Hertha-Fans dieser TV-Auftritt sofort wieder eingefallen sein – mit solchen Äußerungen ist Lehmann weit von dem entfernt, wofür Hertha stehen will. Seit Jahren engagiert der Verein sich gegen Homophobie und Intoleranz, räumt mit Vorurteilen auf und wirbt für eine moderne und offene Gesellschaft. Dann einen hohen Posten an eine Person zu vergeben, die mit fragwürdigen Positionen und haarsträubenden Vorurteilen gegenüber Schwulen auffällt, passt nicht ins Bild und zu den Werten, für die der Verein stehen und eintreten möchte. Dazu kommt, dass Jens Lehmann seinen Auftritt bei Sky90 nie relativiert oder sich dazu geäußert hat – er scheint zu seinen Aussagen zu stehen, die ein intolerantes Bild voller Vorurteile zeichnen. Wirklich anders lässt sich dieses Verhalten nicht interpretieren und das ist bedenklich.
Die Wahl Windhorst – ein Alleingang?
Ob der Posten wohl im Einverständnis des Vereins an Jens Lehmann vergeben wurde? Da Lars Windhorst 49,9% der Anteile an der KGaA hält, stehen im vier Plätze im Aufsichtsrat zu, die er nach seinem eigenen Willen besetzen kann. Und es hat den Anschein, dass er von diesem Recht auch Gebrauch macht: Herthas Manager Michael Preetz wirkte mit der Auswahl nicht wirklich glücklich, auf der Website wird er mit den Worten zitiert, man sei „über den Vorgang informiert worden“. Klingt nicht danach, dass Windhorst die Hertha-Verantwortlichen in seinen Entscheidungsprozess eingebunden hätte, sondern vielmehr den Verein vor vollendete Tatsachen gestellt hat.
Warum Hertha nicht euphorisch darauf reagierte, dass Windhorst einen so großen Namen wie Jens Lehmann für das „Projekt Big City Club“ gewinnen konnte, ließ sich bereits einen knappen Tag nach Bekanntgabe erahnen: Kurz nach seiner Berufung in den Hertha-Aufsichtsrat sorgte der Ex-Schalker bereits in einem Interview mit dem Sender beINSports für den nächsten Aufreger, als er das gesundheitliche Risiko durch den Covid-19-Virus herunterspielte. Mit Corona müssten die Spieler seiner Meinung nach zurechtkommen, „für junge, gesunde Menschen mit einem starken Immunsystem ist das keine so große Sorge“. Für diese Aussage wurde Lehmann in sozialen Medien und auch von Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD) kritisiert.
Mit seinen Äußerungen machte Lehmann allerdings klar, was Hertha von ihm zu erwarten hat. Er schreckt nicht davor zurück, seine fragwürdigen Meinungen in die Öffentlichkeit zu tragen – zu Themen, von denen er nur bedingt Ahnung zu haben scheint. Still wird Lehmann sein Amt jedenfalls nicht ausführen. Und bei all seinen unglücklichen Aussagen steht von nun an die Hertha-Plakette drauf.
Ein weiterer Imageschaden?
Er reiht sich dabei nahtlos in das Bild ein, das der Verein seit einem knappen Jahr in der Öffentlichkeit abgibt. Als Chaosklub, bei dem Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen. Hertha soll mittelfristig zu einer internationalen Marke werden, stattdessen dümpelt der Verein in der unteren Tabellenhälfte der Bundesliga umher. Über Wochen wirbt der Verein auf den Sozialen Medien für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Corona-Virus, bis Salomon Kalous Live-Video auftaucht und die gravierenden Verstöße einzelner Hertha-Spieler gegen das DFL-Hygienekonzept aufdeckt.
Die Berufung Lehmanns gefährdet hierbei besonders die Glaubwürdigkeit von Herthas gesellschaftlichem Engagement außerhalb des Platzes. Es hinterlässt aufgrund der Causa Hitzlsperger einen bitteren Nachgeschmack für all diejenigen, die sich im Namen des Vereins gegen Homophobie und Vorurteile engagieren. Es ist eben nicht miteinander zu vereinbaren, wenn Hertha sich gegen Intoleranz und für Corona-Schutzmaßnahmen einsetzt und dann Lehmann mit seinen mehr als streitbaren Aussagen durch die Medienlandschaft stolpert.
Besonders bitter ist es aber, dass diese erneute Negativ-Schlagzeile eigentlich gar nicht vom Verein selbst verursacht wurde, Lehmann wurde schließlich vom Investor nominiert. Mit dem Verkauf der Anteile hat man Lars Windhorst aber eben indirekt auch eingeräumt, das Bild des Vereins mitzubestimmen. Und dieses Recht nimmt der Investor wahr. Welche Gründe es hat, dass er nun ausgerechnet Jens Lehmann ausgewählt hat – und nicht einen anderen großen Namen, der gleichzeitig zu Hertha und den Werten des Vereins passt? Das wird den meisten Fans ein Rätsel bleiben – und Herthas Geschäftsführung dürfte es wohl nicht anders ergehen.
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