Herthaner im Fokus: Hertha scheitert an sich selbst

Herthaner im Fokus: Hertha scheitert an sich selbst

Zwei Handelfmeter gegen sich bekommen, einen maximal unnötigen Platzverweis kassiert und am Ende gegen einen schlagbaren Gegner mit 0:1 verloren. Nach dem 3. Spieltag der Fußball-Bundesliga sieht es für die Hertha alles andere als rosig aus. Und doch ist die Stimmung nicht so schlecht, wie es die Punkteausbeute vermuten lässt. „Heute fühl ich mich nicht unbedingt als Verlierer“, sagte beispielsweise Abwehrchef Marc Oliver Kempf nach dem Spiel im Interview bei DAZN. In Berlin scheint eine neue Erwartungshaltung eingekehrt zu sein, die aktuell definitiv hilfreich ist, denn in Aktionismus zu verfallen und radikale Konsequenzen zu fordern wäre so früh in der Saison fehl am Platz. Gegen Borussia Mönchengladbach zeigte sich das Team von Sandro Schwarz wieder gut geordnet, mit Zug zum Tor und vor allem wach. Man konnte stückweise sogar von den nächsten Fortschritten sprechen. Doch eine starke Teamleistung fiel am Ende individuellen Fehlern zum Opfer.

Eine Achse bei Hertha findet sich

Sandro Schwarz scheint eine Startelf gefunden zu haben für die Hertha. Gegen Borussia Mönchengladbach stellte er dasselbe Personal wie schon gegen Eintracht Frankfurt auf. Im Tor Oliver Christensen, die Verteidigung davor bestand aus Maximilian Mittelstädt, Marc Oliver Kempf, Filip Uremovic und Jonjoe Kenny. Im zentralen Mittelfeld agierten erneut Ivan Sunjic, Lucas Tousart, der wieder als Kapitän auflief und Suat Serdar, der sich mittlerweile als einer der stärksten Dribbler der Liga bezeichnen darf. In der Offensive vertraute Schwarz auf Chidera Ejuke auf links, Dodi Lukebakio auf rechts und Wilfried Kanga im Mittelsturm.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Eine tolle Nachricht war die Rückkehr von Marco Richter in den Kader. Nach überstandenem Hodentumor durfte er zumindest wieder auf der Bank Platz. In unserer heutigen Analyse schauen wir auf eine spannende Entwicklung in der Offensive, die Entwicklung der Führungsspieler, einen Torwart, der sich endlich auszeichnen konnte und leider auch die immer wiederkehrenden individuellen Fehler.

Dodi Lukebakio: Auf und neben dem Platz wichtiger denn je

Kaum zu glauben, aber es ist wahr. Dass Dodi Lukebakio nochmal ein wichtiger Spieler werden würde für die Hertha, hätte vor einem Jahr und schon gar nicht nach seiner durchwachsenen Leihe nach Wolfsburg niemand gedacht. Mittlerweile gibt der Belgier sogar Interviews, spricht über das Team, lobt seine Mitspieler und zeigt, wie wichtig ihm die neue Mission ist. Mit Sandro Schwarz hat er möglicherweise den richtigen Förderer gefunden, der an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen wusste. In Mönchengladbach war Lukebakio Herthas gefährlichster Spieler in der Offensive.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Er gab vier Torschüsse ab und konnte dabei auf ein ganzes Repertoire seiner Stärken zurückgreifen und von neuen profitieren. Bereits in der 4. Minute zeigte er seine Bissigkeit, ging direkt in den Zweikampf und nutze gegen die mitlaufenden Verteidiger seine Schnelligkeit. Einzig am Abschluss haperte es in dieser Szene. In der 43. Minute konnte er – von Ivan Sunjic gut in Szene gesetzt – seine spielerische Klasse zeigen und ins Dribbling gegen die Verteidigung gehen. Doch auch hier war sein Abschluss das Manko. In der 56. Minute versuchte er es Wilfried Kanga mit ins Spiel zu nehmen, doch sein Pass auf den Sturmkollegen wurde von der Verteidigung der „Fohlen“ zur Ecke geklärt. Eine der wenigen Chancen, in der man Lukebakio eher einen Abschluss als die Ballabgabe zugestehen wollte.

Ansonsten macht der Rechtsaußen seine Sache gut. 9,36 km Laufleistung sind für den manchmal faulen Lukebakio eine gute Strecke. Vor allem weil es immer mehr Szenen zu verzeichnen gibt, in denen er mit nach hinten arbeitet. Insgesamt war er 35 Mal am Ball und konnte acht seiner zwölf Pässe bei den Mitspielern unterbringen. Seine Zweikampfstatistik fällt mit vier von elf gewonnen Situationen etwas ab. Zusätzlich konnte er drei von sechs Dribblings erfolgreich durchführen. Dodi Lukebakio wirkt aktuell wie ausgewechselt. Einziges Thema scheint aktuell die Chancenverwertung zu sein. Doch bemüht er sich weiterhin so wie zuletzt in Mönchengladbach oder gegen Eintracht Frankfurt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wirklich Zählbares bei rauskommt. Es wäre ihm und Hertha zu wünschen, dass im Laufe der Saison aufkommender Druck nicht zu Rückfällen in alte Zeiten führen würde.

Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt: Individuelle Blackouts schaden Hertha

Es ist schwierig zu greifen. Das Team konnte in Mönchengladbach eine gute Leistung abliefern. „Doch irgendwas ist immer“, wagt man als Herthaner fast schon zu sagen. Auch Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt spielten eine akzeptable Partie. Doch am Ende stehen sie als Verlierer der Partie da. Ihre individuellen Fehler machten zunichte, was das Team gemeinsam aufbaute. Doch beim Weg nach Oben heißt es natürlich auch Rückschläge zuzulassen und daraus zu lernen.

Filip Uremovic spielte bis zur 69. Minute in der Innenverteidigung neben Marc-Oliver Kempf. Und er machte seine Arbeit nicht schlecht. Er gewann 80 Prozent seiner Zweikämpfe (vier von fünf), war 40 Mal am Ball und damit einer der aktiveren Akteure und musste sich auch mit seiner Passstatistik nicht verstecken. 30 seiner 34 Versuche kamen bei den Mitspielern an, also 88 Prozent. Somit hatte der Kroate auch einen gewissen Anteil am Spielaufbau. Zwei lange Bälle kamen in der Offensive an, hinten hielt er mit einer Klärung und einer Aktion, in der er dem Gegner den Ball ablief, den Strafraum sauber.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Was er sich allerdings vor der Ausführung des Elfmeters von Alassane Plea dachte, bleibt sein Geheimnis. Seine unnötige Störungsaktion wurde zurecht mit gelb bestraft. Der folgende Platzverweis nach seinem Handspiel in der 69. Minute war unglücklich, aber auch folgerichtig. Uremovic leistete der Mannschaft damit einen Bärendienst. Immerhin konnte der zweite Elfmeter von Oliver Christensen vereitelt werden. Doch solche Geschichten sind nicht förderlich für das Team und gelten schnellstmöglich abgestellt. Die Konsequenz aus dem Platzverweis ist eine neue Belegung der Innenverteidiger-Position. Marc Oliver Kempf scheint sich zunächst festgespielt zu haben als Abwehrchef. Der ehemalige, Dedryck Boyata, steht bekanntlich kurz vor einem Wechsel nach Brügge. Der logische Ersatz wird also Marton Dardai sein.

Auch Maximilian Mittelstädt zeigte im Großen und Ganzen wieder eine ordentliche Partie. Er lief 10,15 km und damit eine der weiteren Strecken der Berliner. Er ging in sieben Zweikämpfe, von denen er vier gewann. Ackerte wo es möglich war, entschied drei Tacklings für sich, klärte zwei Bälle, blockte Schüsse und lief zweimal dem Gegner den Ball ab. Die Statistiken zeigen also, dass Mittelstädt eine vollkommen akzeptable Partie absolvierte. Zusätzlich kamen von 29 Versuchen 25 erfolgreiche Pässe.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Doch Mittelstädt schafft es seit Jahr und Tag seine eigenen starken Leistungen selbst zu zerstören. Seine Fehleranzahl versaut dem Eigengewächs zu oft das Ansehen und dem gesamten Team die Punkteausbeute. Es ist nicht so, dass Mittelstädt keinen Einsatz zeigt, dahingehend ist er top. Doch Blackouts wie das Handspiel nach 32 Minuten – und da ist es egal, dass der Angriff auf einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters basierte – oder auch sein recht plumpes Einsteigen in der 86. Minute gegen Florian Neuhaus, bei dem er durchaus Glück hatte, dass Schiri Jöllenbeck weiterspielen lassen hat, sorgen zu oft für verzweifeltes Kopfschütteln.

Es bleibt festzuhalten, dass Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt dem Team viel gutes beifügen können. Doch um dauerhafte Leistungsträger zu werden, müssen dringend die individuellen Aussetzer abgestellt werden

Oliver Christensen: Die Chance sich auszuzeichnen

Gegen Hamburg in der Relegation nur sehr wenig zu tun gehabt, im Pokal und Derby sieben Gegentore kassiert und gegen Frankfurt auch keinen Ball auf das Tor bekommen – Oliver Christensen hatte noch nicht so viele Möglichkeiten sich auszuzeichnen. Insbesondere nach haltbaren Gegentoren kamen erste Diskussionen auf, in denen die Nummer-1-Qualitäten des Dänen angezweifelt wurden. Außerdem würde ihm nach der Degradierung Rune Jarsteins ein echter Herausforderer fehlen. Doch in Mönchengladbach wurde Christensen das ein oder andere Mal auf die Probe gestellt und konnte die Chance nutzen, sich ein wenig auszuzeichnen. Auch wenn bei weitem nicht alles klappte.

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(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Den persönlich goldenen Moment im Spiel hatte Christensen in der 70. Minute, als er den schwach geschossenen Elfmeter von Jonas Hofmann hielt. Doch von „schwach geschossen“ zu sprechen und damit Christensens Leistung abzuwerten, wäre ungerecht. Der Torhüter hätte genauso gut in die andere Richtung springen können. In dem Fall wäre die Qualität von Hofmanns Schuss uninteressant gewesen und man hätte lediglich von „verladen“ gesprochen. In diesem Sinne ist die Aktion Christensens gar nicht hoch genug einzuordnen. Auch beim Elfmeter von Plea in der 34. Minute war er in die richtige Ecke unterwegs. Doch der Schuss des Franzosen war zu stark. Christensen wurde im Laufe der Partie auf verschiedene weisen getestet. Bereits nach drei Minuten musste er einen Ausflug aus den Strafraum machen und per Kopf klären. Die kurz aufkommenden Sascha-Burchert-Erinnerungen konnte er nach Hofmanns Distanzschuss aber schnell zum Schweigen bringen, da er schnell genug zurück im Strafraum und zur Stelle war.

Insgesamt hatte der 23-Jährige einiges zu tun. Dreimal wurde er zu Paraden gezwungen, eine der größten Aktionen von ihm sollte ihm in der 17. Minute gelingen. Ivan Sunjics missglückter Klärungsversuch mutierte zur Torchance, der Gladbacher. Christensen reagierte hervorragend auf der Linie. Den Abpraller konnte Thuram nicht im Tor unterbringen. Er schoss den am Boden liegenden Torhüter an. Zuvor konnte Christensen von Glück sprechen, als Kempf den Versuch von Plea in der siebten Minute an den Pfosten lenkte. Christensen wäre vermutlich geschlagen gewesen. Auch wenn er sich mittlerweile mehrfach auszeichnen konnte, zeigte Christensen erhebliche Schwächen in der Strafraumbeherrschung und bei Standards. So zum Beispiel in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit, als er eine Freistoß-Hereingabe nicht unterbinden konnte. Es kam mehr zur Kollision mit Nico Elvedi, als dass er den Ball klären konnte.

Noch scheint nicht alles perfekt zu sein im Berliner Tor. Doch angesichts eines gehaltenen Elfmeters kann man Christensen zumindest zu einer deutlichen Leistungssteigerung gratulieren.

Lucas Tousart: Der Anführer etabliert sich

Der Franzose war bis zur 83. Minute dabei, ehe er Davie Selke Platz machte. Und der Kapitän auf Zeit ackerte wie jedes Spiel, zeigte Einsatz und Leidenschaft und wurde wieder einmal seinem Amt gerecht. Gegen Borussia Mönchengladbach lief er mit 10,49 km die längste Strecke aller Berliner. Sein Zusammenspiel mit Suat Serdar funktioniert immer besser und auch in der Zusammenarbeit mit Ivan Sunjic und Jean-Paul Boetius kann man immer mehr Fortschritte erkennen. Lucas Tousart brachte sich als Box-to-Box-Spieler sowohl defensiv als auch offensiv ein. Offensiv versuchte er sich zweimal an Abschlüssen. Sein wuchtiger Schuss aus 20 Metern in der 15. Minute verfehlte letztendlich aber sein Ziel deutlich. Insgesamt war er 35 Mal am Ball, spielte 22 Pässe von denen 17 ankamen und gewann 57 Prozent seiner Zweikämpfe. Defensiv setzte er zu drei erfolgreichen Tacklings an und eigentlich hätte sein Zweikampf in der 32. Minute auch als gewonnen in die Statistik eingehen müssen. Doch Schiri Jöllenbeck entschied zu Unrecht auf Foul. Nicht nur, dass Hertha damit eine aussichtsreiche Chance genommen wurde, der folgende Angriff der Mönchengladbacher sollte zum unglücklichen Handelfmeter führen.

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(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Auf Lucas Tousart ist aktuell in allen Belangen Verlass. Als Anführer etabliert er sich zunehmend. Er baut seine Mitspieler auf, kommuniziert mit Ihnen und vor allem dem Schiedsrichter. Dinge, die in den letzten Jahren verloren gegangen waren. In Berlin stellt sich die Frage, wann ein Kapitän eigentlich ein Kapitän ist? Nur, weil er die Binde trägt oder kann man die Funktion eines Kapitäns ohne diese durchführen? Diese Frage muss Sandro Schwarz beantworten, sobald gewisse Spieler wieder einsatzbereit sind.

Und nun? Nicht von Taktik und System abweichen – irgendwann folgen die Punkte

Im Pokal bereits ausgeschieden und nur ein Punkt aus drei Spielen. Vor der Saison war um ehrlich zu sein aber auch nicht mit mehr zu rechnen. Das Auftaktprogramm ist extrem hart. Nächste Woche kommt Borussia Dortmund nach Berlin. Im schlimmsten Fall könnten es dann auch die ersten vier Bundesligaspiele sein, die nicht gewonnen werden konnten. Aber zum aktuellen Zeitpunkt geht es darum noch nicht. Die bisherigen Gegner sind nicht die Kragenweite, der Punkt gegen Eintracht Frankfurt kann sogar als Bonus gesehen werden. Und auch wenn die Ergebnisse nicht stimmen, kann man der Mannschaft keine großen Vorwürfe machen. Die Einstellung passt, die Leistung ebenfalls. Aktuell scheitert man vor allem durch individuelle Aussetzer.

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(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Doch Sandro Schwarz Handschrift ist schon deutlich zu erkennen. Im Vergleich zur Vorsaison sind einige Schritte getan worden. Insbesondere an Spielern wie Dodi Lukebakio und Lucas Tousart ist das hervorragend zu erkennen, die unter Schwarz aufblühen. Bleibt die Mannschaft und das Trainerteam auf ihrem Kurs, werden schon bald Punkte folgen. Zusätzlich schließt bald das Transferfenster, Störfeuer, wie die um Rune Jarstein und Dedryck Boyata können gelöscht werden und das Team findet sich immer mehr. In Berlin herrscht also trotz der schwachen Punkteausbeute eine Ruhe, die es in den letzten drei Jahren so nicht gegeben hat. Sie kann nur hilfreich sein.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Als Sir Alex Ferguson Hertha-Trainer wurde

Als Sir Alex Ferguson Hertha-Trainer wurde

Wir Herthaner lieben unseren Verein. Und so viel Mist und Enttäuschung wie manchmal geschieht, irgendwie sehen wir am Ende doch noch das Licht eines schier endlosen dunklen Tunnels. Doch sind wir mal ganz ehrlich, auch wir Herthaner haben manchmal Träume. Träume von denen wir uns gar nicht zu erzählen trauen. Was müsste passieren, damit Hertha mal die Meisterschaft oder den Pokal holt? Könnte Hertha mal einen absoluten Superstar verpflichten, hinter dem ganz Europa her war? Oder wie wäre es mal mit einem absoluten Star-Trainer? Unser Autor hatte vor einigen Jahren den Traum, dass niemand geringeres als Sir Alex Ferguson das Ruder bei der Hertha übernehmen würde und begann die Geschichte aufzuschreiben. Nach vielen Jahren fand er die Idee wieder und schrieb sie weiter. Den ersten Teil findet ihr hier.

Urlaub in Miami

Gemütlich saß ich mit Cathy am Frühstückstisch. Es gab ihr selbstgebackenes Schwarzbrot deutscher Art. Das Brot, welches ich so liebte. Ich schmierte mir in Gedanken versunken die bittere Orangenmarmelade rauf und nahm einen Schluck meines mittlerweile kalten Pfefferminztees. Cathy summte die Musik aus unserem Radio mit. Gerade lief der Beatles-Klassiker „Yellow Submarine“. Wie oft hatte ich diesen Song in den letzten Jahren in den Stadien weltweit gehört? Hunderte Male. Die Fußballwelt wusste ihn umzudichten, ich fand jedes einzelne Cover grottig. Aber was weiß ich schon? Als alter Mann ist es nicht in meinem Ermessen darüber zu entscheiden. Viel mehr genoss ich die Stimmung, die seit einigen Monaten zwischen mir und Cathy bestand. Dass sie hier so fröhlich dieses Lind mitsummte, hatte viel mit meiner Entscheidung zu tun. Meiner Entscheidung, die Karriere als Fußballtrainer an den Nagel zu hängen. 27 Jahre stand ich praktisch dauerhaft unter Strom. Manchester United war mein Leben. Der Verein war unser Leben. Oder vielleicht unser Baby. Er entschied über unsere gesamte Zeit. Wann wir Zeit für uns hatten, wann wir in den Urlaub fahren konnten, wann wir Familie und Freunde treffen konnten, wann unsere eigenen Kinder uns besuchten. Seit mittlerweile einem Jahr war ich nicht mehr Trainer von Manchester United. Und ich war glücklich.

Die Zeit war so wahnsinnig intensiv und trotzdem so sehr kräftezehrend, dass auch ein Mann wie ich irgendwann ausgelaugt war. Zum Abschied konnten wir immerhin nochmal den Sieg der Premier League klarmachen. Das war ein tolles Erlebnis. Das Ausscheiden gegen Real Madrid im Achtelfinale im Frühjahr 2013 ist mir mittlerweile egal. Vor einem Jahr hätte es mich noch extrem gewurmt. Ich hätte Monate lang mit diesem Resultat zu kämpfen gehabt. Die beiden Final-Niederlagen 2011 und 2009 gegen Pep Guardiola und sein FC Barcelona mit Lionel Messi tun trotzdem noch irgendwie weh. Das sind Dinge, die ich nie ganz abschütteln kann, aber so etwas gehört womöglich zum Leben einfach dazu. Nun heißt es also das Rentnerleben in vollen Zügen zu genießen. Klar ins Old Trafford gehe ich auch immernoch, nur eben als Fan und nicht mehr als Coach.

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Cathy erzählte mir, dass sie heute sich mit einer Freundin treffen würde, ich könnte doch in der Zeit den Rasen mähen. Ich schaute aus dem Fenster unseres Ferien-Strandhauses in Miami. Ja, der Rasen könnte tatsächlich ein wenig Pflege vertragen. Warum eigentlich nicht? Ich fuhr auf unserem Rasenmäher über den 8000 Quadratmeter großen Rasen und versuchte mich an den Ideen von Uniteds Greenkeeper Scot Douglas. Ich war gut, ich war sogar sehr gut. Zugegeben, Scot machte sich diesbezüglich wesentlich besser, vor allem fuhr er immer gerade und weniger die Schlangenlinien, die ich hier gerade fabrizierte. Ich musste laut auflachen bei den Gedanken an Scot. Er war ein toller Kerl, wahrscheinlich würde er gerade selbiges wie ich machen. Es war ein leichtes ihn vor seiner Arbeit ab und an mal zu Seite zu nehmen und darum zu bitten, die ein oder andere Stelle im Rasen mal länger zu lassen. Die Dribbelkünstler dieser Welt hatten ihre Schwierigkeiten mit dem Rasen und kamen deshalb ungern ins Old Trafford. Ach man, die Gedanken schweifen eigentlich überall zurück zum Fußball. Ich weiß nicht, ob das ein Zeichen ist, dass ich noch nicht bereit für den Ruhrstand bin?

Überraschung in Berlin

Nach erledigter Arbeit setzte ich mich in das große, weiträumige Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an. Sky zeigte gerade eine Sendung zu den neuesten Transfers in der Fußballwelt. Und der ein oder andere Transfer wurde getätigt, den ich durchaus sehenswert fand. Klar, der James Rodriguez wechselt zu Real Madrid. War schon eine Klasse Weltmeisterschaft von ihm! Den hätte ich auch gerne mal trainiert. Salomon Kalou, ein toller Stürmer, der mich und meine Mannschaften das ein oder andere Mal im Trikot vom FC Chelsea London vor große Probleme stellte, wechselte wohl zu Hertha BSC. Einem Berliner Verein. Interessant. John Heitinga, ein niederländischer Verteidiger, den ich lange gerne bei Manchester United hätte spielen sehen wollen, wechselte ebenfalls nach Berlin. Auch Interessant, dachte ich, was sind die Pläne dieses Vereins? Viel wusste ich nicht über sie. Mein alter Business-Partner, Dieter Hoeneß, war schon lange weg dort, mittlerweile war der Verein ziemlich in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Möglicherweise wollte man das ändern mit dieser Transferoffensive. Ich erkundigte mich genauer. Sportdirektor war Michael Preetz. Klar, kein schlechter Mann, auch den hatte ich doch vor vielen Jahren mal im Visier. Damals 2001. Wir hatten uns letztendlich für Ruud van Nistelrooy entschieden. Aber ich erinnere mich, dass wir den Kerl aus Berlin lange auf dem Zettel hatten und es einige Diskussionen gab.

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Nun gut, nun also als Manager, ja wenn der was taugt, bitte. EILMELDUNG. Ich horchte auf. So gut die Transferphase von den Berlinern wohl lief, so groß war allerdings das soeben entstandene Problem auf der Trainerposition. Jos Luhukay, ein niederländischer Trainer, dem ich eins, zwei Mal auf internationalen Trainerkongressen begegnet bin, war wohl zurückgetreten. Er hatte Hertha BSC aus der 2. Bundesliga in die Bundesliga zurückgeführt und da den Klassenerhalt geschafft. Weshalb er zurückgetreten war, konnte man wohl so schnell nicht in Erfahrung bringen.

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In mir zog sich etwas zusammen. „Alex“, dachte ich, „nein, du bist zu alt. Das Leben und die Fußballwelt haben sich weiterentwickelt, du musst dich da erst einmal wieder finden. Und vor allem, Deutschland? Das ist mittlerweile eine der größten Fußballnationen. Vor wenigen Wochen sind sie Weltmeister geworden, vor einem Jahr standen die Bayern und Dortmund im Finale des Europapokals der Landesmeister. Champions League, nicht Landesmeister, die Namensänderung dieses Wettbewerbs würde ich mir wohl nie merken“, sagte ich laut in Richtung Fernseher. Weiterhin kribbelte es in meinen Fingern. Was sollte das bedeuten? Ich brauchte frische Luft. Ich machte einen Strandspaziergang, ließ den Wind durch meine Haare wehen, das rauschende Wasser kühlte meine Füße. War ich bereit? Hatte ich wirklich Lust? Was würde Cathy sagen? War sie bereit? Wir erlebten gerade einen zweiten Frühling unserer Ehe. Wir waren praktisch wie neu verliebt. Würde sie das mitmachen? Bevor ich irgendeine Entscheidung treffen würde, musste ich mit ihr sprechen.

Wie verabredetet holte ich Cathy am Abend bei ihrer Freundin ab. Gemeinsam gingen wir zu unserem Lieblingsitaliener am Strand von Miami. Wir tranken unseren geliebten Rotwein und schauten einander an. In ihrem weißen Abendkleid sah sie aus wie in jungen Jahren, als wir uns kennengelernt hatten. Cathy schaute mich tief an und schien zu wissen, dass mir etwas auf dem Herzen lag. Sie wollte, dass ich es erzählte, doch meine Zunge war wie gelähmt und ich wusste nicht wo und wie ich anfangen sollte. Sie schaute mich mit einer Mischung aus sorgenvoller und belustigter Mimik an. Irgendwann erzählte ich ihr, dass es da einen Verein geben würde, der einen Trainer bräuchte und ich mich irgendwie bereit fühlte. War eben noch Sorge in ihrem Blick, wich diese nun der reinen Belustigung. „Alex, ist das dein ernst?“, fragte sie mit eine herzlichen Lachen. „Denke schon“, antworte ich etwas beschämt und gleichzeitig fragend, weil ich nicht wusste, wo das hinführen sollte. „Alex, bist du dir sicher nochmal als Trainer arbeiten zu wollen? Und dann auch noch in Deutschland? Bei einem Verein, den ich nicht einmal kenne?“, fragte sie mich nochmal. „Ja Cathy, ich will das und ich denke ich kann das“, erwiderte ich. Cathys Miene wurde ernster, sie schaute mir tief in die Augen. Die Sekunden und wahrscheinlich Minuten und Stunden vergingen und dann sagte sie: „Wir machen das.”

Am nächsten Morgen erwachte ich in unserem Himmelbett. Ein wirkliches Erwachen war das eigentlich nicht. Die gesamte Nacht klebte die Satin-Bettwäsche an meinem verschwitzten Körper. Zu aufgeregt war ich bei dem Gedanken morgen mit meinem Berater zu telefonieren und ihm von meinen Plänen zu berichten. „So ein Mist, Will geht nicht an sein Telefon“, fluchte ich. Cathy erwiderte, dass der Kontakt zwischen mir und meinem Management seit einigen Monaten eingeschlafen war und sich möglicherweise die Nummern geändert haben könnten. Sie riet mir es einfach selbst zu versuchen. Ein Trainer bietet sich selbst bei einem Verein an? Ohne Management? Wo gabs denn sowas? Aber mir blieb auch keine andere Möglichkeit, also musste es dieser Weg sein. Also wählte ich wie ein Fan, der etwas im Fanshop bestellen wollte oder Fragen zu seiner Mitgliedschaft hatte, auf der Geschäftsstelle an. Mein deutsch war glücklicherweise noch soweit in Schuss, dass ich Gespräche führen konnte. Doch was sollte ich sagen? So ein Mist, im Vorfeld hätte ich mir mal Gedanken machen können, was ich jetzt überhaupt sage.

Wie schon erwartet musste ich für mein Anliegen eine Zahl anklicken, um zum Bereich weitergeleitet zu werden, den ich benötigte. „Für alle sonstiges Themen, wählen sie bitte die 7“, sagte die klare Frauenstimme auf dem Abspielband. „Schön jutn Tach, Klenke hier, Geschäftsstelle Hertha BSC, wat kannik für sie tun“, sagte eine rustikale Frauenstimme zur Begrüßung. „Hell… ähm Hallo, hier ist Alex Ferguson, könnte ich mit Herrn Preetz verbunden werden?“, fragte ich direkt. „Hier kann keena direkt mit den jroßen Fischn vabunden werdn, da müssn se schon ne wichtje Person sein. Und so lange se keen neua Traina für Hertha sind, brochen se dit in den nächsten Tagen ja nee erst beim Preetz versuchen. Wie heißen se nochma?“, antwortete die Dame. „Alex Ferguson, Sir Alex Ferguson. Und ich würde sehr gerne Trainer von Hertha BSC werden, weshalb ich anrufe“, erwiderte ich. Mir schien, dass die Frau jetzt kein Interesse hatte, sich mit der Thematik um meinen Berater zu beschäftigen. „Wie sind se Könich oder wat soll dit mit dem „Sir“? Wollnse me veräppeln oder wat sollik jetzt machen, hm?“. Die Dame wurde zunehmend unwirsch. „Bitte verbinden sie mich einfach mit Herrn Preetz, vielen Dank“, bat ich. Doch es war nichts auszurichten. Frau Klenke legte ohne ein Wort des Abschieds auf. Cathy und ich schauten uns enttäuscht an. Wie müsste man nun vorgehen? Und überhaupt, war ich mittlerweile so unbekannt, dass mich die Leute am Empfang nicht mehr kannten? Nach nur einem Jahr Rente? Ich musste schnell zurück ins Business.

Zurück in die Zukunft

Während ich überlegte und mit Cathy den Morgen einleitete, klingelte mein Handy. eine mir unbekannte Nummer wurde angezeigt. Normalerweise ging ich bei solchen Anrufen nicht ran, doch dieser Anruf kam auf meinem Diensttelefon rein. „Ferguson, hallo“, begrüßte ich die unbekannte Person knapp. „Alex, grüße dich, Will hier“, begrüßte mich mein alter Berater William McGinn. „Willy, gut, dass du anrufst, wir müssen unbedingt…“, begann ich, doch Will unterbrach mich. „Alex, ich wollte dich nur vorwarnen. Anscheinend hat irgendein Verrückter bei einem Berliner Verein angerufen und sich als dich ausgegeben und sich dort für den Trainerposten beworben. Also wundere dich nicht, wenn in den nächsten Tagen bisschen mehr über dich berichtet wird. Hab die Situation aber im Griff“, sagte Will. Etwas verlegen erklärte ich meinem Berater die Situation, von meinem Kribbeln, von Cathys Zustimmung, von meinem Gespräch mit Frau Klenke. Will antwortete etwas verwundert und belustigt: „Alex, bist du dir sicher, dass du dir das antun willst? Das wäre das absolute Himmelfahrtskommando. Ein mittelmäßiger Verein in Deutschland, Medienterror. Das brauchst du auf deine alten Tage nicht. Du bist doch glücklich im sonnigen Miami oder auf deinem schottischen Landsitz oder auf der Tribüne des Old Traffords. Alex, ich als dein Berater empfehle dir deutlich, trenn dich von diesen Gedanken. Wir finden was anderes für dich.“ Ich wurde sauer und konfrontierte Will mit der Tatsache, dass das gesamte Management neue Telefonnummern hatte und ich mich somit nicht mehr als Teil dieses Managements sehen würde. Will, der mit den Jahren aber zu einem Freund wurde, wusste mich zu beruhigen und schlug vor, nach Miami zu kommen, um noch einmal genau über all das nachzudenken.

(Photo by Robert Laberge/Getty Images).

Am nächsten Tag war nicht nur Will bei uns in Miami, in ganz Europa schrieben die Zeitungen und Internet und Fernsehen berichteten, dass ich wohl schon bald bei Hertha BSC unterschreiben würde. In Foren im Internet gab es gar Prozentsätze, die aussagen sollten, wie wahrscheinlich es sei, dass ich Trainer werden würde. Keine Zahl überschritt die 10 Prozent. Allgemein galt ich als zu alt, Hertha BSC als zu klein und unattraktiv. „Na denen werde ich es zeigen“, grummelte ich in mich hinein und Will, der neben mir saß, sah Cathy besorgt an. Er wandte sich zu mir: „Alex, warum bist du nicht früher auf mich zugekommen? Vor ein paar Wochen haben sie im Old Trafford Luis van Gaal vorgestellt. Das hättest du sein können. Die Legende kehrt zurück“, sagte er. Bei den letzten Worten blickte er mit starren Blick aufs Meer und gestikulierte, als würde vor ihm eine Schlagzeile aufkreuzen. „Und nun Hertha BSC? Die haben nicht annähernd diese Strahlkraft von Manchester United. Oder wie wäre es mit der Nationalmannschaft Englands? Roy Hodgens macht das nicht mehr lange mit.“ Ich erklärte meinen Manager, dass das nicht in Frage kommen würde, ich wollte etwas Neues. Eine ganz neue Herausforderung. Will grübelte und schien zu überlegen, ob es noch Sinn machte weiter zu diskutieren. Nach einer langen Stille schaute er wieder auf den Horizont am gefühlten Ende des Meeres und fragte: „Seid ihr sicher, dass ihr nach Berlin wollt, ja?“ und schaute danach eher Cathy als mich an. Wir nickten beide vehement.

“Gut Alex, morgen hast du ein Gespräch mit Michael Preetz und Werner Gegenbauer, das ist wohl der Präsident von Hertha BSC Berlin. „Hertha BSC, nicht Berlin, ohne Berlin also“, verbesserte ich Will. „Das ist denen sehr wichtig, Berlin ist da nicht mit im Namen mit drin“, betonte ich es ein weiteres Mal. Will sah mich irritiert an. „Ehm, ja wie gesagt, du hast morgen Abend in Berlin ein Gespräch mit Preetz und Gegenbauer, ich hab natürlich direkt schon etwas vorverhandelt, weil ich genau wusste, dass du deine Entscheidung nicht mehr ändern würdest“, zwinkerte er. „Aber ich muss dich vorwarnen, dein Grundgehalt bei Hertha BSC wird wahrscheinlich niedriger sein, als deine Punktprämie bei United. Finanziell wird das da keine große Geschichte für dich. Aber ich gehe davon aus, dass dir das bewusst ist oder?“, fragte er mich. „Du, ich will nur trainieren und im lauten, vollen Stadion wieder an der Seitenlinie stehen“, sagte ich ihm. „Also, wann geht der Flieger?“, fragte ich. „In zwei Stunden müssen wir am Flughafen sein. Hertha BSC stellt einen Privatjet. Also fang an zu packen.“, erwiderte Will.

(Photo credit should read TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

 

Berlin is Calling

Zwei Stunden später saß ich am Flughafen von Miami in einem Privatjet. Ich hatte nur einen kleinen Koffer mit ein wenig Kleidung und Schreibzeug für ein paar Tage dabei. Will saß neben mir, Cathy blieb in Miami, über alles Weitere wollten wir zu gegebener Zeit sprechen. „Und die kleine Maschine bringt uns über den großen Teich, ja?“, fragte Will mit besorgter Miene den Piloten, der uns persönlich empfing und uns unsere Plätze zuwies. „Selbstverständlich! Machen Sie es sich bequem, das Team wird sich um jeden Wunsch von Ihnen kümmern. Getränke- und Speisekarten finden Sie an ihren Plätzen, ebenfalls haben Sie im gesamten Flieger die Möglichkeit auf Internet zurückzugreifen.“, erwiderte der Pilot. Während Will noch immer etwas unruhig wirkte, machte ich es mir an meinem Platz gemütlich und bestellte einen heißen Pfefferminztee. „Für mich bitte einen Gin-Tonic“, sagte der schwitzende Will. „Bisschen früh für Alkohol Willy“, sagte ich und schaute in besorgt an. „Flugangst“, war das einzige, was Will von sich gab. Der arme Kerl musste innerhalb weniger Stunden diese Strecke zweimal fliegen. Wenn das kein echter Berater und Freund ist, weiß ich auch nicht, dachte ich. Über den Wolken dauerte es nicht lange und der Gin machte Will so müde, dass er einschlafen konnte und somit nicht mehr seinen Ängsten ausgesetzt war. Ich nutzte die Zeit für ein wenig Recherche. Ich öffnete meinen Laptop und suchte nach dem aktuellen Kader von Hertha BSC.

Und tatsächlich, viele Spieler waren keine Unbekannten. Zum Teil waren spannende Talente dabei, internationale Nationalspieler ebenso. Die Altersstruktur schien ebenfalls zu stimmen. Mit Salomon Kalou wurde sogar ein echter Superstar verpflichtet. Ein paar Kandidaten ließen mich durchaus aufhorchen. In der Verteidigung war John-Anthony Brooks. Ein US-Amerikaner, der wohl aus der Jugend Herthas stammte. Er hatte bei der Weltmeisterschaft auf sich aufmerksam gemacht. Definitiv ein Junge, der zu größerem berufen war. Mit John Heitinga stand praktisch schon ein weiterer Stammverteidiger bereit. „Abwarten Alex, vielleicht gefällt es dir ja gar nicht und du willst sofort wieder weg“, nuschelte ich in mich hinein, doch ein Lächeln konnte ich mir vor Vorfreude nicht verkneifen. Im Mittelfeld gabs auch allerlei spannende Spieler. Da war der Japaner Genki Haraguchi. Kam auch erst vor ein paar Tagen aus Japan. Ihn hatten wir auch lange bei Manchester United beobachtet. Einer machte mich stutzig. Ein Brasilianer Namens Ronny. Ich wusste nicht viel, nur hab ich mal gehört, dass er den härtesten Schuss der Welt haben sollte. Konnte das stimmen? Sofort kamen mir Erinnerungen von vielen und vor allem heimlichen Verhandlungen mit Roberto Carlos hoch. So sehr ich ihn wollte, es sollte nie passen. Er war zu glücklich in Madrid und später war ihm der Weg in die Türkei lieber. Schade, eines meiner größten Versäumnisse. Aber spannend, möglicherweise konnte ich hier also einen Roberto Carlos 2.0 in meinem Team vorfinden. Im Sturm gab es neben Salomon Kalou noch Julian Schieber, vor ein paar Jahren ein großes deutsches Talent. Er entschied sich im letzten Jahr meiner Amtszeit für einen Wechsel zu Borussia Dortmund anstatt nach Manchester. Man will es ihm nicht verübeln, die weite Fußballwelt tut nicht jedem gut. Aber ihn kannte ich, wir hatten mehrere Gespräche und kamen soweit ganz gut zurecht. Ein weiterer Stürmer war Sandro Wagner. Ein ehemaliges Talent von den Bayern. Auch ihn hatten wir ab und an Mal auf dem Zettel, doch viel entstehen sollte da nach einigen Scoutings nicht.

Während die Wolken an mir vorbeirauschten und die Stunden wie im Flug vergingen, stöberte ich weiter in den Untiefen des Internets, um so viel wie möglich über Hertha BSC zu erfahren. Ich freute mich ganz besonders auf das Olympiastadion. Ich war schon öfter vor Ort. 2012 erlebte ich, wie Borussia Dortmund den FC Bayern München im Pokalfinale auseinandernahm. Im Anschluss konnten wir den Transfer von Shinji Kagawa festmachen. 2006 sah ich zu, wie die Italiener in diesem altehrwürdigen Stadion Weltmeister wurden. Und 2011 sah ich sogar bei einem Spiel von Hertha BSC zu. Die Stimmung war prächtig, als ein gewisser Patrick Ebert die Mannschaft gegen Real Madrid in Führung schoss. Belustigt stellte ich also fest, dass mir der Verein gar nicht so unbekannt war, wie zunächst erwartet. Mein Handy klingelte. Es wird für mich niemals normal sein in einem Flugzeug telefonieren zu können, wurde uns allen doch über Jahrzehnte beigebracht, dass das zu unterlassen sei, sonst gäbe es Probleme mit der Flugzeugtechnik. Aber okay, je teurer das Umfeld, desto mehr ist möglich. Ich staunte nicht schlecht. Mein alter Bekannter, ja vielleicht auch Freund, Otto Rehhagel rief an. Klar, Otto war schließlich bis vor zwei Jahren auch noch Trainer bei der Hertha. Ich ging ran. „Otto mein Freund, schön von dir zu hören“, begrüßte ich ihn. „Na Alex, was liest man da in den Zeitungen? Stimmt das? Und wenn ja, warum erzählst du denn nichts?“, fragte er mich fast schon vorwurfsvoll. „Du, Otto, ich weiß es ja selbst erst seit wenigen Stunden und noch ist nichts unterschrieben“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Mein lieber, es wird spannend auf die alten Tage, das sag ich dir. Aber du bist ja wie ich ein alter Hase im Geschäft und weißt wie du mit den Medien umgehen musst. Gib den Berlinern was zu fressen und du kannst ganz entspannt arbeiten“, lachte er laut. „Otto, du bist doch mit denen abgestiegen, da hat dein Plan nicht ganz funktioniert oder?“, fragte ich ihn neckend.

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„Alex, wir haben gekämpft, ich hab motiviert, die beiden Jungs da an meiner Seite haben ne tolle Arbeit geleistet. Weiß gar nicht mehr wie die heißen, ist ja auch egal. Aber jedenfalls das Ding da in Düsseldorf. Das war ein Skandal, Alex. Haste damals gar nicht mitbekommen, ne?“, erwiderte er und wurde zunehmend lauter. Unaufhaltsam erzählte er mir von seiner Zeit in Berlin. Von den vielen Spielern, deren Namen er kaum noch kannte, von den Medien, die heiß auf seine privaten Geschichten waren, von seinem zwischenzeitlichen Denkmal vor dem Olympiastadion und von der Relegation. Die Fans hatten wohl vor Spielende das Feld gestürmt. Doch egal wie komisch es für Otto lief, er wünschte mir viel Spaß und Erfolg und gab mir seinen Segen. Er wollte nur das Beste für mich. Schon bald wollten wir uns in Berlin treffen und über alte Zeiten quatschen.  Ich schaute zu Will hinüber, der weiterhin tief schlief. Ich wollte ihm die letzten Stunden Ruhe gönnen, wie es weitergehen würde können wir auch in Berlin besprechen. Den Rest der Zeit könnte auch ich ein wenig Schlaf gebrauchen. Ich schloss die Augen und versank direkt im Reich der Träume.

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Berliner Leben

Gefühlt wenige Sekunden später weckte mich Will. Er schien wesentlich besser drauf zu sein, als noch zu Beginn unserer Reise. „Alex, wir sind da. Das hier ist der Flughafen Tegel. Mir wurde zugetragen, dass im ganzen Flughafen Journalisten sind, die deine Ankunft erwarten. Ich weiß nicht woher die das wissen, aber um den Stress aus dem Weg zu gehen, steht ein Fahrzeug bereit. Da steigen wir ein und wir werden zunächst in ein Hotel gefahren“, instruierte mich Will. Ich stimmte zu und trat an die frische Berliner Luft. Die angenehme Brise kühlte ein wenig bei den heißen, sommerlichen Temperaturen. Wir hatten kaum Zeit uns zu bewegen, praktisch mit dem nächsten Schritt landeten wir in der schwarzen Limousine, die für uns bereitstand. Der Fahrer, ein stattlicher Mann in einem teuren Anzug fragte uns wo es hingehen sollte. „Waldorf Astoria, das Hotel am Zoo bitte“, sagte Will, während er in seiner Tasche kramte, um sein Handy rauszusuchen. „Okay, nenn mir doch mal den Plan, wie läuft das jetzt?“, fragte ich ihn. „Wir fahren jetzt zum Hotel, wo du duschen kannst. Danach würde ich vorschlagen, dass wir uns ein nettes Lokal suchen, um etwas zu essen. Ich sterbe vor Hunger. Die Flugangst lässt meinen Hunger immer ganz verschwinden. Aber eben nur so lang wie ich im Flugzeug…“, sagte er, doch ich unterbrach ihn. „Willy, ja gerne, wir gehen was essen, aber bitte bleib beim Thema und erkläre mir wie es weitergeht“. Will schien sich wieder gefangen zu haben und erklärte mir, dass der Termin mit Michael Preetz und Werner Gegenbauer auf 19 Uhr in einem Tagungsraum im Hotel angesetzt war.

Die Stadt war komplett dicht wegen des Berufsverkehrs. Überall hupten die Autos, meckernde Leute brüllten aus ihren Karosserien und meinten so ihre Probleme lösen zu können. Ich kannte das aus Manchester, in Miami war es ebenfalls ähnlich. Die Berliner wirkten gehetzt. Mir fielen einige Aufkleber an Straßenlaternen und Ampeln auf. Die meisten waren blau-weiß. In diesem Teil der Stadt schien Hertha BSC also die klare Nummer 1 zu sein. Ich erinnerte mich, dass es zu DDR Zeiten den BFC Dynamo gab. Ein Verein, der damals in Serie die Meisterschaft holte. Allerdings gab es praktisch durchgehend Gerüchte, dass der Verein in der Hand der Regierung war und sämtliche Schiedsrichter praktisch dazu gezwungen wurden pro BFC zu pfeifen. Doch mittlerweile war dieser Verein mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit und in einer unterklassigen Liga unterwegs. „Gibt’s außer Hertha noch einen relevanten Verein in Berlin?“, erkundigte ich mich bei Will. „Um ehrlich zu sein, bin ich mir gerade nicht sicher wie das mit Union Berlin gehandhabt wird. Gehört wohl zu Berlin, sie selbst sehen sich aber nur als Köpenicker. Das ist ein Bezirk am östlichen Rand Berlins. Die spielen gerade in der zweiten Liga. Vielleicht schauen auch die irgendwann oben mal vorbei“, erzählte er mir. Der Stadtrivale spielt also eine Liga tiefer und scheint keine Gefahr darzustellen. So sah es auch viele Jahre in Manchester aus. City hat es nie geschafft in irgendeiner Form relevant zu werden. Und nun, mit ihren Finanzspritzen in der Hinterhand, sind sie ein ernsthafter Konkurrent. Mir wurde flau im Magen bei dem Gedanken, wie dieses Scheich-Produkt 2012 in letzter Sekunde die Meisterschaft feiern konnte. Wie sie uns vor große Probleme stellten und das in jedem Spiel. Schön war und ist das nicht. Aber gut, mit den neuen Begebenheiten muss ich mich ja nicht mehr beschäftigen. Zurück nach Deutschland mit den Gedanken. Union Berlin und damit noch ein ehemaliger DDR-Verein. Immerhin einer, der sich halten konnte. Das gelang nur den wenigsten. Hansa Rostock gabs auch im Osten. Mein alter Freund und ehemaliger Trainer Jörg Berger war vor einigen Jahren gestorben. Wehmütig versank ich etwas in Gedanken. Ich liebte die Ostsee. Das raue Klima war mir fast schon heimisch. Die See, die Hafenstädte, das kannte ich aus Manchester. Energie Cottbus gefiel mir auch immer. Alles kleine, quirlige Vereine, die den großen Mannschaften gerne in die Suppe spuckten.

Während ich in Gedanken versunken war, fuhren wir vor dem Luxushotel am Berlin Zoo vor. Es dauerte nicht lange und Will, unserem Fahrer und mir wurde bewusst, dass es nicht leicht werden würde, unerkannt ins Hotel zu kommen. Einige Boulevard-Journalisten hatten genau diesen Moment erwartet. Sie hatten wahrscheinlich seit geraumer Zeit auf uns gewartet und wollten nun natürlich Stimmen und Fotos bekommen. Das Sicherheitspersonal des Hotels hatte aller Hand zu tun. Trotz des großen Medienansturms wollten sie natürlich den normalen Betrieb am Laufen halten. Kaum stiegen wir aus der Limousine gingen Blitz – und Wortgewitter los. Windige Reporter wollten erfahren was mein Aufenthalt in der deutschen Hauptstadt zu bedeuten habe. Was ich bei Hertha BSC wolle und warum mir der Ruhestand nicht mehr gefallen würde. Schnell betraten Will und ich das Hotel. Angekommen am hölzernen Tresen der Rezeption, wurden wir von einem jungen Empfangsherren begrüßt. „Bitte entschuldigen Sie das Mediengewitter da draußen. Aber heute soll wohl ein prominenter Fußballtrainer hier einchecken. Albern ich weiß“, sagte er und wirkte dabei als wolle er sich mit Händen und Füßen entschuldigen wollen. In meinen Gedanken explodierte schon wieder etwas. War der Junge so desinteressiert in Sachen Fußball? Kannte man mich wirklich nicht mehr? Ich war entsetzt, aber irgendwo auch beruhigt, möglicherweise könnte ich hier in Berlin ein einigermaßen ruhiges Leben führen. „Was kann ich für sie tun? Ich bräuchte einmal ihren Namen“, sagte der Herr und schaute uns erwartungsvoll an. „Ferguson, der Fußballtrainer“, sagte ich ruhig und überreichte ihm meinen Reisepass. Die Aussage schien er überhört zu haben, zumindest wirkte er in keiner Weise so, als wäre ihm nun seine Eingangsaussage unangenehm. Er gab die Daten in das Betriebssystem ein. „Okay Herr Ferguson und Herr McGinn, die Ambassador Suite mit zwei Einzelbetten wurde für sie bereitgestellt. Ich führe sie gerne zu ihrem privaten Fahrstuhl. Sie müssen in den 30. Stock. Ihr Gepäck befindet sich bereits in ihrer Suite. Außerdem sehe ich im System, dass für 19 Uhr der Tagungsraum in der 26. Etage für sie gebucht ist“, sagte der Herr und deutete die Richtung, in die wir gehen mussten.

Mit gedämpften Schritten liefen wir durch die Lobby, an einer stattlich ausgestatteten Bar vorbei und betraten den großen und geräumigen Fahrstuhl. Angekommen in der Suite stockte insbesondere Will der Atem: „Heilige… das ist ja Luxus hier…“, staunte er nicht schlecht. Ich, der über viele Jahre mit einem der wohlhabendsten Vereine um die Welt gejettet bin, war das gewohnt. So oft wie ich von zuhause fern war, war es mir wichtig, es zumindest etwas gemütlich und heimisch zu haben. Zugegeben, die Suite hatte etwas besonders. Die Suite war rundum mit Panorama-Fenstern ausgestattet und einem großen Balkon. Die Sonne hing schon am Vormittag weit über der Stadt. Es schien ein hitziger Sommertag zu werden. „Alex, schau mal, die scheinen dich zu kennen“, rief Will und warf mir etwas zu. „Airwaves Kaugummi“, las ich laut vor und schaute Alex dabei irritiert an. „Na wegen Kaugummis beim Spiel kauen und so“, fügte er breit grinsend hinzu. Allerdings wirkte er mit jedem Wort immer unsicherer und schaute danach relativ bedröppelt zu Boden. Stimmt, während meiner Karriere kaute ich durchgehend Kaugummi während der Spiele. Aber nur der Beschäftigung wegen und um Stress und Aggressionen abbauen zu können. Im Privatleben hatte ich das gar nicht nötig und wenn ich ehrlich war, schmeckten mir die Dinger auch gar nicht. „Ich geh duschen“, sagte ich Will.

„Fantastisch oder Alex?“, fragte mich Will. Mein Freund und Berater genoss gerade in vollen Zügen das Gourmet-Restaurant Roca im Bauch des Hotels. Das Flanksteak mit Pfifferlingen war fast schon zur Hälfte verspeist, so sehr schling Will in den ersten Minuten. Ich genoss meinen Ceaser-Salat und ein Sprudelwasser. „Wollen wir gleich spazieren gehen?“, fragte mich Will. Er kannte sich wohl in Berlin relativ gut aus. Er hatte hier wohl mal eine Liebschaft, mit der er sich vielleicht später noch treffen wollte. Keine schlechte Idee, etwas Abstand von dem Wirbelwind würde auch mir mal ganz gut tun. Nach dem Essen flanierten wir ein wenig durch die Berliner Innenstadt. So gut es ging vermummte ich mich, um nicht von den lauernden Journalisten abgefangen zu werden. Ich trug einen grauen Anzug, eine getönte Pilotensonnenbrille und versuchte mit einem Hut meinen Kopf noch mehr zu verbergen. Es gelang. Wir liefen über den Bahnhofsplatz vom U-Bahnhof Zoologischer Garten, schauten uns die Boutiquen auf dem Kurfüstendamm an, die Theaterpläne der vielen kleinen versteckten Berliner Kulturlokale und genossen den hauptstädtischen Flair der Westberliner City.

Das Meeting

Der Tag verging schnell und der Termin mit den Hertha-Verantwortlichen rückte näher. Der gebuchte Tagungsraum war bereits betretbar. Zwei Kellnerinnen lieferten sämtliche Wünsche, die wir äußerten. Viele Wünsche hatten wir dabei gar nicht. Ein wenig Wasser stand bereits auf dem Tisch, Will wünschte sich noch ein wenig Apfelsaft. „Also Alex, harte Verhandlungen werden das nicht, denke ich. Paar Kleinigkeiten, paar Dinge wie viel Macht du im Verein haben wirst. Glaube das wird fair und schnell ablaufen“, sagte Will. Wir besprachen kurz wer wie viel Redeanteil haben würde und welche Bedingungen erfüllt werden müssten. Doch auch hier hatten wir keine hohen Anforderungen. Die Tür, die bereits zur Hälfte aufstand, wurde vorsichtig aufgeschoben. Ein schmales Gesicht mit Brille und Dreitagebart schaute unsicher in den Raum. „Werner, Ingo, wir sind richtig hier“, sagte Michael Preetz mit etwas zittriger Stimme. Er betrat den Raum in einem schwarzen Anzug, der ihm viel zu groß wirkte. Der Sportvorstand wirkte unsicher in seinem Auftreten, vielleicht war er aber auch aufgeregt. Ich kannte es nur zu gut, dass Menschen mir gegenüber so taten, als würden sie mit irgendeiner ihnen höher gestellten Person sprechen müssen. Ich versuchte also Lockerheit auszustrahlen und lächelte.

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Als zweites betrat Werner Gegenbauer den Raum. Er sah wesentlich entspannter aus, lief langsam durch den Raum und trug einen formstarken hellgrauen Anzug und lächelte sofort, als sich unsere Blicke trafen. Der dritte Mann, von dem ich bisher nichts wusste, war ein gewisser Ingo Schiller. Er wurde mir als der Finanzvorstand Hertha BSCs vorgestellt. Sein schütteres Haar auf dem Kopf machte er mit einem prächtigen Bart wieder wett. Auch er trug einen schicken Anzug. Mittelblau. In der Delegation sah er zweifellos am lässigsten aus. Fünf Leute also, die sich nun gegenüber saßen. „Meine Herren, schön, dass der Termin eingehalten werden konnte“, begann Gegenbauer das Gespräch. „Ich hoffe sie hatten einen angenehmen Flug Herr Ferguson und Herr McGinn?“, fragte Gegenbauer weiter. Es schien als würde er hier die Moderation als seine Funktion sehen. Wir einigten uns darauf, dass die Sprache während der Verhandlungen deutsch sein würde. Gegenbauer erzählte ein wenig über Hertha BSC. Er sprach über schwere Jahre. Dass der Verein in den vergangenen Jahren zweimal in die 2. Bundesliga abgestiegen sei und man sich nun endlich wieder langfristig in der Liga etablieren wollte. In diesem Sommer gab es bereits einige Transfers, die diese Richtung auch betonen sollten. „Herr Ferguson, warum eigentlich Hertha BSC und kein internationaler Topclub? Finanziell und sportlich gibt es sicherlich besser aufgestellte Vereine in Europa.“, sagte Ingo Schiller.

Ich erzählte offen und ehrlich von meinem inneren Drang. Von meinen Wünschen, meinen Gedanken und meiner unbändigen Lust. Wir sprachen über den aktuellen Fußball. Auch wenn ich schon ein Jahr raus war, war ich nicht komplett weg vom Fenster, auch meine taktische Expertise war noch nicht von vorgestern. Wir beschnupperten einander, zeigten Interesse an den Meinungen aller und auch Will versuchte sich einzubringen. Schließlich wollte auch er aus meinem vermeintlich letzten Vertrag noch ein stattliches Beraterhonorar abräumen. Auch wenn ich wahrscheinlich schon lange nicht mehr sein lukrativster Klient war. Der einzige, der sich bisher nicht äußerte war Michael Preetz. Es wirkte, als wäre er unter den Fittichen Gegenbauers. Sein Auftreten wirkte unsicher. Insbesondere als er von Gegenbauer und Schiller ins Gespräch gezogen wurde und seine Gedanken äußern sollte.

Er fing stotternd an, tat sich schwer, gewann aber mit zunehmender Stimmennutzung an Sicherheit: „Wir haben in den letzten Jahren spannende Trainer gehabt. Mit Otto Rehhagel hatten wir sogar einen echten Altstar. Mit ihnen würde eine ganz andere Strahlkraft nach Berlin kommen. Wir würden uns unendlich darüber freuen. Sie hätten freie Hand auf dem Transfermarkt, auch wenn finanziell nicht viel Spielraum wäre. Der Kader steht an sich, aber da lässt sich bekanntlich viel machen.“, begann er mir die Aufgabe schmackhaft zu reden. „Das Team ist fit, Hendrik Vieth und Hendrik Kuchno leisten alle Arbeit. Ein Trainingslager nach Schladming steht in zwei Wochen an. Bis zum Saisonstart stehen noch vier Testspiele auf dem Plan. Also allerlei Zeit für ein wenig taktisches“, fügte Preetz hinzu. Ich lächelte meinen wahrscheinlich baldigen Chef an und wollte ihm damit zeigen, dass er sich überhaupt nicht verstecken brauche. Doch jede Handlung des Sportdirektors zeigte enorme Unsicherheit. Beim Öffnen einer Apfelschorle zitterte er so sehr, dass ihm die gerade geöffnete Glasflasche aus der Hand rutschte. Werner Gegenbauer sah ihn tadelnd an. Auch ihm merkte man an, dass dieser Deal hier auf keinen Fall scheitern sollte. Früher hätte ich womöglich so ein Meeting schon längst wieder verlassen. Es wirkte zum Teil doch wie eine Pannenshow überforderter Männer, die bisher nur wenig seriöse Arbeit geleistet haben konnten. Nach über einer Stunde freundlicher Unterhaltung begonnen vor allem Will, Preetz und Schiller miteinander zu diskutieren. Und aha, siehe an. Auch Preetz wusste nun zu überzeugen und in seiner Rolle aufzugehen.

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Sein Verhandlungsgeschick war ausgesprochen spannend. Mit ihm und Will standen sich zwei ebenbürtige Verhandlungspartner gegenüber. Ebenbürtig und vor allem unterschätzt. Seit über 20 Jahren verhandelte Will meine Verträge. Sei es ein lukrativer Vertrag bei Manchester United oder auch nur ein kleiner Werbedeal. Enttäuscht war ich nie.

Ingo Schiller und Werner Gegenbauer beobachteten wie ich das Spektakel. Nach einigen Minuten stand der Vertrag praktisch. Ingo Schiller schrieb alle nieder und wollte den Vertrag heute noch offiziell aufsetzen. Am heutigen Tag würde es um eine mündliche Zusagen gehen, wie mir erklärt wurde. „Herr Ferguson, es freut mich ungemein, sie vorbehaltlich ihrer morgigen Unterschrift in der Hertha-Familie begrüßen zu können“, sagte Gegenbauer feierlich und reichte mir die Hand. Ich griff zu. Wir schauten uns tief in die Augen, der Handdruck war fest. Sehr fest. „Ich würde Sie dann also bitten morgen 10 Uhr in der Geschäftsstelle auf dem Olympiagelände zu erscheinen“, fügte Preetz hinzu, ohne mir in die Augen schauen zu können. Mit einem freundlichen Händedruck versicherte ich ihm, dass ich erscheinen würde. Auch Will schlug in alle geöffneten Hände ein und wirkte mehr als zufrieden. Die Hertha-Delegation verabschiedete sich. Am morgigen Tag würde es wohl den Vertrag geben, direkt ein Exklusivinterview mit dem Social-Media-Team des Vereins und für den Nachmittag würde eine Pressekonferenz angesetzt sein. Bis dahin sollte ich kein Wort mit der Presse wechseln.

„Alex, dann mach dich mal auf Wohnungssuche. Drei Jahre in der Stadt werden spannend. Und du willst doch wohl nicht hier im Hotel bis in alle Ewigkeiten leben oder?“, fragte Will. Er war stolz auf sich und sein Verhandlungsgeschick. Ihm war es gelungen einen netten kleinen Vertrag auszuhandeln. Etwas, was er sich bis vor kurzem nicht mehr zugetraut hätte. „Ich dachte mein Verhandlungsgeschick sei vollkommen eingerostet. Aber so hart der Brocken Preetz auch ist, fair ist er total!“, betonte Will und schaute vom Balkon der Luxussuite.  „Alex ich bin noch verabredet. Ich bin mir sicher du weißt einiges mit dem heutigen Tag anzufangen. Geh bald schlafen, morgen wird es nicht einfach!“, sagte er. „Wir fahren morgen gegen 9 Uhr hier los, also am besten 7:30 Uhr aufstehen, entspannt frühstücken und dann auf zum Olympiagelände“, erklärte er mir den Plan. Wills Abgang brachte mich auf die Idee endlich Cathy anzurufen. Meine Frau ging beim ersten Klingeln ran. Ich erzählte ihr alles. Von Wills Flugangst, vom Verein, von der Stadt, von der ungleichen Delegation Herthas, die mir heute begegnet ist und was morgen auf dem Plan stehen würde. „Cathy, es scheint so als würden wir die nächsten drei Jahre hier wohnen. Bist du dazu bereit?“, fragte ich sie. „Das bin ich. Ich nehme den nächsten Flug nach Berlin“, antwortete sie.

Herthaner im Fokus: Eine Leistungssteigerung führt zum ersten Punkt

Herthaner im Fokus: Eine Leistungssteigerung führt zum ersten Punkt

Es geht doch. Hertha BSC schafft es endlich, einem denkwürdigen Tag einen Stempel aufzudrücken und zu punkten – und das verdient. Gegen die Eintracht aus Frankfurt boten nämlich nicht nur die Berliner Fans mit einer wundervollen und sehenswerten Choreographie anlässlich des 130. Geburtstags von Hertha BSC ein Spektakel, sondern auch die Mannschaft konnte mit einer deutlichen Leistungssteigerung phasenweise aufblühen. Die Spieler zeigten eine Reaktion auf den schwachen Auftritt in Köpenick, das Aus im Pokal gegen Braunschweig und in einigen Mannschaftsteilen Fortschritte. Insbesondere in der Offensive. Doch während es vorne mittlerweile besser läuft, zeigen sich in der Defensive weiterhin altbekannte Schwächen. Dennoch ein Spiel, das vorsichtig Mut für die nächsten Wochen macht.

Hertha mit vier Neuen: Sandro Schwarz rotiert auf einigen Positionen

Doch um all das zu ermöglich, rotierte Sandro Schwarz auf einigen Positionen, zum Teil auch gezwungener maßen. Dabei blieb er seinem 4-3-3-System aber treu. Im Tor stand wieder einmal Oliver Christensen, die Verteidigung bestand aus Jonjoe Kenny, der die rechte Seite bespielen sollte und den beiden Innenverteidigern Filip Uremovic und Marc Oliver Kempf. Bis hierhin sollte sich also in der Verteidigung nicht viel ändern im Vergleich zum Derby. Doch auf der Position des Linksverteidigers ersetzte Maximilian Mittelstädt den kurzfristig ausgefallenen Kapitän Marvin Plattenhardt.

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Als Abräumer auf der Sechs durfte wieder Ivan Sunjic ran, vor ihm Suat Serdar und Lucas Tousart, der den bisher schwach und langsam spielenden Kevin-Prince Boateng ersetzte und nach seiner gelb-roten Karte im Relegationsspiel gegen Hamburg erstmals in der Bundesliga wieder spielberechtigt war. Zusätzlich lief der Franzose als Kapitän der Mannschaft auf. Offensiv vertraute Schwarz wieder auf die Dienste Dodi Lukebakios auf der rechten Seite und vor allem den beiden Neuzugängen Chidera Ejuke auf der linken Seite und Wilfried Kanga im Mittelsturm, die Myziane Maolida und Davie Selke ersetzten.

In unserer heutigen Analyse schauen wir auf unseren vielseitigen Sturm, die noch immer Sorgen bereitende Verteidigung und die Führungsspieler im Team.

Dodi Lukebakio: Wenn er will einer der Besten bei Hertha

Der Belgier macht es vor jedem Spieltag spannend. Wie ist seine Form? Wie viel Lust hat er auf das Spiel? Wie viel ist er bereit zu investiere? Auch nach drei Minuten wusste man das nicht so richtig einzuordnen. Eben gelang ihm eine punktgenaue Flanke in den Strafraum auf Suat Serdar, der damit die Hertha früh in Führung köpfen konnte, doch die Art und Weise wie Lukebakio zum Ball eher joggte als rannte, machte zunächst stutzig. Allerdings konnte man es ihm auch nicht verübeln, die Frankfurter Verteidiger machten es ihm zugegebener Maßen auch nicht schwer.

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Doch Dodi Lukebakio lieferte Antworten. Er war einer der besten Herthaner auf dem Platz, wusste sich und seine Mitspieler häufig in Szene zu setzen und machte der Abwehr das Leben schwer. Sein Zusammenspiel mit Jonjoe Kenny ist weiterhin alles andere als ausgereift, doch es wird zunehmend besser. In der Offensive hatte er mit Wilfried Kanga und Chidera Ejuke zwei Mitspieler, die wesentlich vielseitiger und schwerer zu verteidigen sind, als zuletzt Myziane Maolida und Davie Selke. 44 Mal war Lukebakio am Ball, drei Torschüsse gab er ab, drei Schlüsselpässe fügte er hinzu. Sechs Dribblings beendete er erfolgreich.

Seine Vorlage auf Stevan Jovetic per Heber über die gesamte Verteidigung in der 72. Minute hätte einen Treffer verdient gehabt. Zusätzlich gewann er 69 Prozent seiner Zweikämpfe. Keine schlechte Quote für einen Offensivspieler. Zusätzlich brachte er 16 seiner 23 Pässe an den Mann. Auch hierbei sind 70 Prozent für einen Offensivspieler eine vernünftige Quote. Gelingt es ihm noch mehr am eigenen Abschluss zu arbeiten und seine Effizienz auszubauen, kann Dodi Lukebakio für zahlreiche Tore sorgen. Die Hoffnung, den besten Lukebakio bei Hertha noch zu bekommen, könnte höher kaum sein. Es liegt an ihm, diese zu erfüllen.

Suat Serdar: Der Antreiber hat endlich bessere Mitspieler

Dem zentralen Mittelfeldspieler konnte gegen Frankfurt das gegeben werden, was ihn in seinem ersten Jahr bei Hertha meistens fehlte. Starke und mitspielende Kollegen. Zu oft versuchte er es in der Vergangenheit allein mit dem Kopf durch die Wand. Gegen die Hessen spielte sein Kopf wieder einmal eine Rolle. Dieses Mal aber eine sehenswerte. Nach Lukebakios feiner Flanke von der rechten Seite lief er perfekt in den Strafraum und wusste sich gegen Ansgar Knauff durchzusetzen. Das frühe 1:0 sorgte für eine Art Rückkehr der Sicherheit und des Selbstverständnisses im Spiel der Berliner. Serdar war im Laufe des Spiels einer der aktivsten. 56 Mal war er am Ball, vier seiner fünf Dribblings wusste er erfolgreich zu beenden.

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Er konnte 20 seiner 27 Pässe bei den Mitspielern unterbringen, nur seine Zweikampfquote von 43 Prozent ließ etwas zu wünschen übrig, doch seine Kollegen Ivan Sunjic und Lucas Tousart konnten ihn meist den Rücken freihalten oder zur Hilfe kommen. Suat Serdar sprüht aktuell vor Einsatzfreude und hatte es zumindest in jenem Spiel nicht nötig, auf Einzelaktionen zurückzugreifen. Zusammen mit den Offensivspielern konnte er das Angriffsspiel ordentlich ankurbeln, er kam insgesamt zu drei Abschlüssen. Neben seinem Tor war Serdar insbesondere in der 83. Minute im Mittelpunkt, als er in aussichtsreicher Position von Jonjoe Kenny in Szene gesetzt wurde. Doch sein Schuss, der aller Wahrscheinlichkeit nach im Tor gelandet wäre, wurde ausgerechnet vom eigenen Mann, nämlich Stevan Jovetic geblockt. Das Glück ist bekanntlich mit den Tüchtigen. Suat Serdar ist tüchtig und sollte er bei seinem Engagement bleiben, stehen die Chancen gut, dass er den Siegtreffer vielleicht auch mal erzwingen kann.

Lucas Tousart: Der wahre Hertha-Kapitän

Lucas Tousart entwickelt sich immer mehr zu dem Spieler, der einen bei Hertha BSC versprochen wurde. Gegen Eintracht Frankfurt führte er das Team das erste Mal in einem Pflichtspiel als Kapitän auf. Und er verhielt sich auch wie einer. Er kämpfte im Mittelfeld wo es ging, hielt insbesondere Suat Serdar den Rücken frei, bemühte sich der wackligen Innenverteidigung Unterstützung zu bieten und kommunizierte so oft es ging und nötig es war mit seinen Mitspielern und suchte wann immer es nötig oder praktisch war das Gespräch mit dem Schiedsrichter. 11,76 km lief er, Höchstwert auf dem Platz. Allgemein spulte die Mannschaft fünf Kilometer mehr ab, als gegen Union und zeigte auch daran gemessen einen höheren Einsatz.

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38 Mal war der Franzose am Spielgerät, gewann sieben seiner zwölf Zweikämpfe und brachte 18 seiner 26 Pässe beim Mitspieler unter. Wichtig war zudem, wie ballsicher er agierte, er verlor im Zentrum – anders als seine Mitspieler in Halbzeit zwei – kaum Bälle. Zusätzlich brachte er sich defensiv mit zwei erfolgreichen Tacklings ein. Sein großes Manko ist zweifelsohne sein Tempodefizit, was er mit robusten Zweikämpfen ausgleichen muss. Doch mit seiner starken und kämpferischen Haltung ist er des Kapitänsamts absolut würdig. Zumindest vertrat er Marvin Plattenhardt hervorragend und stand ihm in nichts nach. Ein wahrer Kapitän, der auch via Social Media sich sehr glücklich mit seiner Rolle zeigte und auch dahingehend für einen möglichen Konkurrenzkampf sorgen könnte.

Maximilian Mittelstädt: Seine Vielseitigkeit wird fast belohnt

Ohne Marvin Plattenhardt hier schlecht schreiben zu wollen, aber gegen Eintracht Frankfurt konnten gleich zwei Spieler Argumente liefern, weshalb Plattenhardt nicht unumstritten ist. Während Lucas Tousart als durchaus geeigneter Kapitän gelten könnte, schaffte es Maximilian Mittelstädt mit seinem ersten Saisoneinsatz Punkte zu sammeln. Der Wurf ins kalte Wasser aufgrund des kurzfristigen Ausfalls des normalerweise gesetzten Linksverteidigers Plattenhardt, tat dem Hertha-Eigengewächs zumindest nicht schlecht. Mit 10,2 gelaufenen Kilometern war er viel unterwegs. 77 Mal war er am Ball und damit einer der aktivsten der Hertha. Er zeigte sich als vielseitiger Linksverteidiger, wirkte wach, engagiert und mutig und vor allem motiviert. Auch er scheint körperlich und spielerisch im Vergleich zur letzten Saison zugelegt zu haben.

Zusätzlich war er kommunikativ, suchte seine Mitspieler, 22 seiner 31 Pässe kamen an. Mit sechs erfolgreichen Tacklings, zwei Klärungen und vier Aktionen, in denen er dem Gegenspieler den Ball ablaufen konnte, lieferte er einen sehenswerten Beitrag in der Verteidigung. Doch auch bei ihm ist das Tempo ein Manko. Ansgar Knauff und er lieferten sich zwar lange einen sehenswerten Zweikampf, doch zweimal musste er den Tempodribbler per Foul stoppen. Beim zweiten Foul in der 34. Minute sah er von Schiri Willenborg zurecht die gelbe Karte. Auch weitere Faride Alidou und Rendal Kolo Muani machten ihm das Leben schwer. Offensiv hatte Mittelstädt die Möglichkeit dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. In der 23. Minute setzte er Wilfried Kanga im Sturm sehenswert in Szene. Hätte der Angreifer seine Torchance vergolden können, hätte also auch Mittelstädt seine erste Torbeteiligung in dieser Saison verzeichnet.

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Insgesamt konnte Mittelstädt deutlich machen, dass er Ambitionen hat, auf mehr Einsätze zu bekommen. Durch seine Vielseitigkeit als Schienenspieler gelingt es ihm mehr als Plattenhardt, Offensive und Defensive im Blick zu halten. Gibt Sandro Schwarz ihm eine ehrliche Chance, ist ein offener Konkurrenzkampf um den Posten des Linksverteidigers möglich.

Wilfried Kanga und Stevan Jovetic: Potential zu gefährlichen Waffen

Wilfried Kanga und Stevan Jovetic sind Spieler, die einer Offensive extrem viel geben können. Beide kurbeln das Offensivspiel an und sind taktisch, spielerisch und technisch in der Lage, für viel Wirbel und Gefahr zu sorgen. Neuzugang Kanga durfte über 70 Minuten agieren und wusste vor allem in der ersten Halbzeit für Gefahr zu sorgen und auch phasenweise zu überzeugen. Allgemein zeigte sich der Franzose ballsicherer und vielseitiger als Konkurrent Davie Selke. Sein Engagement hätte er in der 23. Minute krönen können, als er Mittelstädts gefährlichen Pass im Strafraum empfing. Doch sein Schussversuch misslang – vermutlich wegen einer mangelhaften Rasenstelle – vollkommen. Aus nächster Nähe schoss der Stürmer deutlich über das Tor.

Es hätte das 2:0 sein können, ja vielleicht sogar müssen, womit das Spiel einen spannenden Verlauf hätte annehmen können. Im Zusammenspiel mit dem Rest des Teams gibt es sicherlich noch Luft nach oben, doch der erste Startelf-Einsatz ließ für die Zukunft gutes vermuten. Er gewann die Hälfte seiner Zweikämpfe, außerdem brachte er acht seiner sechzehn Pässe bei den Mitspielern unter. Kanga scheint gute Chancen zu haben, auch beim nächsten Spiel in der Startformation zu stehen. Vielleicht gelingt dann auch noch mehr Zählbares.

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(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Stevan Jovetic löste Kanga nach 70 Minuten ab und auch er hatte die Möglichkeit die Hertha auf die Siegesstraße zu bringen. Doch nur zwei Minuten nach seiner Einwechslung scheiterte er, nach sehenswerter Lukebakio-Vorlage, an seiner eigenen Hast und verzog freistehend vor Kevin Trapp. Seine Passqualitäten stellte er in der 83. Minute unter Beweis, als er Jonjoe Kenny auf der rechten Seite mitnahm. Die Hereingabe des Briten und der Abschluss Suat Serdars hätten für den goldenen Moment des Nachmittags sorgen können, doch ausgerechnet Jovetic selbst, der die Aktion kurz zuvor noch einleitete stand im Weg. Der Montenegriner zeigte in den wenigen Minuten wieder viel Qualität, sollte er körperlich in der Lage sein mehr Spielminuten zu absolvieren, wäre er für den Sturm eine enorme Waffe. 

Filip Uremovic und Marc-Oliver Kempf: Solide, aber wenn es schnell wird, brennt es

Das Innenverteidiger-Duo scheint erst einmal zu stehen. Wie schon in Köpenick sollten Filip Uremovic und Marc Oliver Kempf die defensive Zentrale dicht machen. Beide konnten mit soliden Leistungen auf sich aufmerksam machen, hatten aber auch große Schwierigkeiten.

Filip Uremovic war direkt früh gefordert. Bereits in der ersten Minute versuchten die Frankfurter in Person von Mario Götze Gefahr über Standards zu sorgen. Den Freistoß des WM-Helden von 2014 konnte Uremovic vor der Frankfurter Offensive klären. Der Kroate wusste eine solide Partie zu spielen, 16 seiner 18 Pässe kamen beim Mitspieler an, vier von fünf Zweikämpfen entschied er für sich. Sieben Mal klärte der Innenverteidiger zum Teil in höchster Not, drei Bälle schafft er den Gegenspielern abzulaufen. Doch den größten und entscheidenden Fehler beging er kurz nach der Pause. Die Frankfurter setzten ihn in der 48. Minute zu sehr unter Druck. Keine Chance dem Pressing zu entkommen, verlor er den Ball, der schnelle Angriff der Gäste führte zum Ausgleich durch Kamada. Sein Verhalten in dem Moment war alles andere als sehenswert und hilfreich, doch genauso wenig konnten seine Mitspieler ihn in der Situation unterstützen. Ihm also allein den Fehler zuzuschreiben, wäre zu einfach. Allgemein gelang es ihm aber auch nicht den schnellen Sturm der Frankfurter zu stoppen. Insbesondere Randal Kolo Muani, Lucas Alario und Rafael Borré wirbelten die Verteidigung der Hertha extrem durch. Das ein oder andere Tor mehr für die Eintracht wäre in manchen Phasen möglich gewesen. In der 83. Minute machte er nach Wadenkrämpfen Platz für Marton Dardai.

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Marc Oliver Kempf spielte unauffälliger als in Köpenick. Eine Tatsache, die bei dem meist aufopferungsspielenden Innenverteidiger besonders, aber keinesfalls schlecht ist. Wie Uremovic spielte er recht solide, gewann vier von sieben Zweikämpfen, lief zwei Bälle ab, klärte zwei weitere Aktionen und brachte 26 seiner 35 Pässe beim Mitspieler unter. Insbesondere mit langen Bällen gelang es ihm ein ums andere Mal das Offensivspiel anzukurbeln. Drei seiner fünf Versuche kamen an. Doch ein allseits bekanntes Problem konnte er nicht abstellen. Durch sein schwaches Stellungsspiel, das dringend von Nöten ist bei seinem Tempodefizit, konnte er der Verteidigung nur selten die notwendige Stabilität geben. Gegen die schnellen Offensivspieler des amtierenden Europa-League-Siegers sah er ein ums andere Mal sehr alt aus. Sowohl im Zusammenspiel mit Uremovic, als auch in den letzten Minuten mit Marton Dardai kamen die selben Fehler zustande.

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Bereits in der ersten Hälfte hätte Alario ins leere Tor einschieben können, in der zweiten Halbzeit konnten Kempf und die gesamte Hintermannschaft von Glück sprechen, dass Kamada, Kolo Muani und Co zu wenig Zielwasser getrunken zu haben schienen. Auch in der für den Schiedsrichter kniffligsten Situation in der 90. Minute, konnten er und Dardai Rafael Borré weder ins Abseits stellen, noch ihn anderweitig verteidigen. Er und Uremovic sind zwei grundsolide Verteidiger, ein spielerisch aktiverer Marton Dardai würde dem Spiel aber wahrscheinlich noch mehr Flexibilität verleihen. Die gute Nachricht für die Verteidiger ist, dass solch ein schneller Angriff nicht jedes Spiel gegen sie aufgestellt sein wird. Nicht jeder Angriff besteht aus Sheraldo Becker, Kolo Muani oder im schlimmsten Fall Sadio Mané. Aber auch für einen Spieler wie Marcus Thuram, der am kommenden Freitag das schwere Brett sein wird, müssen sich Sandro Schwarz und die Verteidigung Gedanken machen.

Eine Leistungssteigerung sorgt für Zuversicht

Nach dem wilden Kick in Braunschweig und der enttäuschenden Derby-Niederlage folgte nun die erste sehenswerte Vorstellung der Hertha in dieser Saison. Die Mannschaft hat bewiesen, wettbewerbsfähig zu sein, auch wenn man in der Defensive mit viel Glück gesegnet war. Andererseits muss man aber auch von Pech in der Offensive sprechen. Der Aufreger des Spiels ist bis heute natürlich Streitthema in den sozialen Medien. War die Berührung von Christensen an Borré ein straffälliger Elfmeter? War die Entscheidung Willenborgs korrekt? War der Eingriff des VAR korrekt? Es sind Fragen, die überemotionale Fans nicht beantworten können. Selbst geschultes Personal tut sich dabei schwer. Im Sinne des fairen Fußballs scheint es die richtige Entscheidung gewesen zu sein, den Elfmeter zurückzunehmen.

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(Photo by Gerald Matzka/Getty Images)

Auf einigen Szenen des Spiels lässt sich aufbauen. Die Offensive wirkt sehr viel eingespielter und lebhafter als zuletzt, genauso die Verbindung zum Mittelfeld. Die Rollen scheinen klarer verteilt zu werden und für einige Positionen entwickelt sich ein echter Konkurrenzkampf, der dem Team nur guttun kann. Dass hartnäckige Probleme, wie individuelle Aussetzer oder dass man vom Gegner nur so überrannt wird, noch vorhanden sind und nicht innerhalb weniger Tage abzustellen sind, sollte jedem klar sein. Das im Endeffekt leistungsgerechte Unentschieden, die traumhafte Choreographie der Hertha-Fans und eine deutliche Leistungssteigerung hätten für einen zufriedenstellenden Sonntag und eine angenehme folgende Woche sorgen können. Doch Hertha wäre nicht Hertha, wenn es nicht irgendwelche Probleme gäbe. Die Suspendierung Rune Jarsteins, egal weshalb und warum und wem dabei die Schuld zuzuweisen ist, kommt zu Unzeiten.

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Eine Hertha-Legende droht aus dem Verein geworfen zu werden, der Torwarttrainer ist mehr als angezählt und die Torhüter-Position stellt nun wieder eine Baustelle dar. Oliver Christensen benötigt einen Herausforderer, im Optimalfall einen gestandenen Bundesliga-Torhüter. Dieses Problem zu lösen wird nicht einfach werden, aber was ist dieser Tage schon einfach bei Hertha BSC? Bei Hertha sind bis zum Ende der Transferperiode noch viele Personalfragen zu klären, nun wohl oder übel eine weitere.

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Herthaner im Fokus: Der Derby-Fluch hält an

Herthaner im Fokus: Der Derby-Fluch hält an

Liebe Leserinnen und liebe Leser, lasst uns kurz einmal in die Vergangenheit schauen. Erinnert ihr euch an den 9. April dieses Jahres? Damals fand der 29. Spieltag der letzten Bundesliga-Saison statt und Hertha BSC wurde im eigenen Stadion sang– und klanglos von enorm starken Unionern überrannt. Am Ende stand eine auch in der Höhe vollkommen gerechtfertigte 1:4-Niederlage und man hing im tiefen Abstiegsschlamassel fest. Beim Blick auf die Startelf des damaligen Spiels fällt auf, dass die einzigen Akteure, die auch beim Derby am 1. Spieltag der neuen Saison in der Startelf standen, Myziane Maolida und Marc-Oliver Kempf waren. Mit Sandro Schwarz steht ein neuer Trainer mit neuer Philosophie, neuem Auftreten und neuer Spielidee an der Seitenlinie und generell hat sich seitdem vieles getan. Doch etwas ist geblieben. Eine spielerische und taktische Überforderung, eine unerklärliche Gelähmtheit einzelner Akteure und die spürbare Angst vor dem Versagen. Es ist mittlerweile ein Mysterium, dass es kaum einer Hertha-Mannschaft gelingt, diese Dinge abzulegen. Sehr wahrscheinlich stecken die Probleme also in noch unergründeten Ecken. Aber nun erst einmal zum Spiel.

Selbes System, selbe Mannschaft, aber einer fehlt

Sandro Schwarz stellte wie schon in Braunschweig die Mannschaft in einem 4-3-3-System auf. Die personelle Aufstellung war fast gänzlich dieselbe. Im Tor stand die dänische Nummer 1 Oliver Christensen. Kapitän Marvin Plattenhardt als Linksverteidiger und Jonjoe Kenny als Rechtsverteidiger auf den Außen. Vor der Verteidigung agierten Ivan Sunjic, Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar. In der Offensive sollten Myziane Maolida über links, Dodi Lukebakio über rechts und Davie Selke als üblicher Neuner für die Tore sorgen. Eine Änderung nahm Schwarz allerdings vor und die sorgte für Aufsehen und scheint kein Thema für nur ein Spiel zu sein.

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Der in Braunschweig unglücklich agierende Marc-Oliver Kempf durfte gegen Union Berlin als Abwehrchef fungieren. Ihn an die Seite gestellt wurde Filip Uremovic. Der kroatische Neuzugang kam also zu seinem Bundesliga-Debüt. Dedryck Boyata, der über Jahre die Rolle des Abwehrchefs einnahm, bekam also die Quittung für seine schlechte Leistung in Braunschweig und wohl auch im Training und wurde nicht einmal mehr für den Spieltags-Kader berücksichtigt.

In unserer Analyse schauen wir heute auf unseren Torhüter, die unsichere Verteidigung, das Führungsspieler-Vakuum und wer sich Hoffnungen auf die Startelf machen kann.

Oliver Christensen: Dankbare Bälle, aber auch viel Pech

Der neue Stammtorhüter der Hertha leistete gegen Union Berlin eine viel bessere Arbeit als zuletzt in Braunschweig. Er zeigte mehr Ruhe und mehr Sicherheit. Gute Paraden gegen die Unioner Offensive belegen das. Insbesondere gegen Ryerson, der einen starken Tag erwischte und die Verteidigung vor viele Probleme stellte. Von eben jenem Ryerson wurde Christensen in der 27. Minuten zu einer Glanzparade gezwungen. Sieht man die Situation sehr kritisch, muss man vielleicht sogar sagen, dass Christensen diesen Ball auch haben muss. Zumindest war es ein dankbarer Ball um sich als Torhüter sehenswert auszeichnen zu können. In der Vergangenheit konnte sich nicht jeder Herthaner zwischen den Torpfosten so auszeichnen. Insgesamt wurde er zu fünf Paraden gezwungen, zweimal konnte er den Ball in brenzliger Situation klären. Eine weitere Unioner Großchance vereitelte er direkt nach Beginn der zweiten Halbzeit, als er einen Kopfball von Becker zur Ecke lenken konnte.

Christensen war wach und bei Standards präsent, wie bei Trimmels Freistoß in der 80. Minute. Immer wieder versuchte er das Spiel der Hertha einzuleiten, 18 seiner 23 Pässe fanden den Mitspieler, acht seiner 13 Versuche lange Bälle bei seinen Kollegen unterzubringen, waren erfolgreich. Bei den Gegentoren trifft Christensen keinesfalls eine Hauptschuld, allerhöchstens zum Teil. Beim 0:1 durch Siebatcheu könnte man ihm ein schlechtes Stellungsspiel unterstellen, als er zu sehr auf die kurze Ecke spekulierte. Beim 0:2 wirkte er zu zögernd. Ein entschiedenes Rauskommen hätte womöglich einen Sieg im Zweikampf mit Becker bedeutet. Beim 0:3 sah er auf der Linie unglücklich aus. Doch eins vereint diese drei Gegentore. Bei allen schlief die komplette Verteidigung. Die schlief allerdings häufiger als nur die drei Mal. Und wenn am Ende der Kette Christensen nicht gewesen wäre, hätte das Spiel schon viel früher entschieden sein können.

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Die Absprache mit seinen Kollegen funktioniert noch nicht reibungslos, was angesichts der noch jungen Saison aber verständlich ist. Es wäre schön und vor allem sehr wichtig, sehr bald eine Stamm-Innenverteidigung zu haben. Bekanntlich war das letzte Saison die größte Baustelle der Hertha. Es ist oft gemein, Vergleiche zu ziehen, doch sieht man sich die Unterschiede zwischen Oliver Christensen und Marcel Lotka an, fällt auf, dass der Däne aktuell eher den ruhigen Akteur gibt und weniger den des Wachrüttlers. Dabei wird letzterer gerade dringend gebraucht.

Dedryck Boyata: Dramatischer Abstieg eines Führungsspielers

In Köpenick war er nicht nur nicht in der Startelf. Nein, der Belgier war nicht einmal im Kader. Laut Sandro Schwarz eine Konsequenz aus den Eindrücken vom Spiel in Braunschweig und der Trainingswoche. Es könnte also durchaus sein, dass das Spiel gegen die Löwen Dedryck Boyatas letztes Spiel im Dress der Hertha gewesen ist. Der Absturz des Innenverteidigers konnte schneller kaum gehen. Nach zwei Jahren wurde ihm die Kapitänsbinde abgenommen und nun wurde ihm auch der Rang als Abwehrchef abgelaufen. Sportlich hat Schwarz genug Argumente auf seiner Seite. Zumindest dann, wenn Marc-Oliver Kempf tatsächlich eine Reaktion im Training zeigte.

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In den letzten Jahren war Boyata trotz gelegentlicher Aussetzer einer der besten Verteidiger von Hertha BSC. Sein Standing im Team war extrem hoch, die Mannschaft wählte ihn nicht grundlos zweimal zum Kapitän. Doch er hatte zunehmend mit sich selbst zu kämpfen, zuletzt kamen Wechselgerüchte auf. Nachdem Boyata also noch die gesamte Vorbereitung mitgemacht hatte, steht sein Verbleib in Berlin nun mehr denn je auf der Kippe. Es droht der nächste Führungsspieler zu gehen. Es stellt sich die Frage, wie Sandro Schwarz und Fredi Bobic dieses Führungsvakuum angehen möchten. Insbesondere, wenn auch noch Maximilian Mittelstädt verkauft werden sollte. In der Innenverteidigung gibt es aktuell keinen, der auf diesem Niveau Boyatas Führungsrolle ausfüllen könnte.

Marc-Oliver Kempf: Kein Abwehrchef

Auch nicht Marc-Oliver Kempf. Der war in Köpenick zwar bemüht und gab sich nicht auf. Doch die Rolle Boyatas wird er Stand jetzt nicht ausfüllen können. Dafür hat auch er zu viel mit sich selbst und seinem riskanten Spiel zu tun. Immerhin konnte er sechsmal in teilweise höchster Not klären. 68 Mal war er am Ball. Doch viel zum Aufbauspiel konnte er nicht beitragen. Ganze elf Fehlpässe stehen in seiner Statistik, alles andere als sicher. Nur 45 Prozent, als neun von 20 Zweikämpfen konnte er für sich entscheiden. Beim ersten Gegentreffer war Siebatcheu zu schnell für ihn. Er konnte den Stürmer nicht mehr am Kopfball hindern. Ebenso war er beim 0:2 gegen den schnellen Becker zu langsam. Sein Klärungsversuch sah einigermaßen spektakulär aus, retten konnte er allerdings nichts mehr.

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Wir wissen nicht, wie die Spieler im Training drauf sind und was sie dort zu bieten haben. Doch auch wenn Kempf wohl eine gute Reaktion auf seine schwache Leistung in Braunschweig zeigte, konnte er diese leider nicht im Derby bestätigen. Und irgendwo sollte auch dieser Punkt in der Bewertung zählen. Es steht noch viel Arbeit für das Trainerteam an. Eine echte Hierarchie in der Verteidigung scheint es nicht mehr zu geben. Möglicherweise müssen die Karten gänzlich neu gemischt werden.
Doch immerhin …

Filip Uremovic: Kleiner Lichtblick, aber noch überfordert

… einer konnte die Situation zumindest etwas für sich nutzen. Neuzugang Filip Uremovic zeigte sich engagiert, konnte mehrmals klären. Allein schon nach wenigen Sekunden, als er Rani Khediras Torschuss blockte. Insgesamt blockte er drei Bälle und klärte drei weitere. Vier Tacklings gelangen ihm und zweimal konnte er einen Unioner durch einfaches Ablaufen vom Ball trennen. Insgesamt war er 61 Mal im Ballbesitz und konnte 90 Prozent, also 43 von 48 Pässen bei seinen Mitspielern unterbringen. Offensiv versuchte er es zum Beispiel in der Nachspielzeit. Sein Kopfball war allerdings letztendlich zu ungefährlich.

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Doch auch er musste bei den ersten beiden Gegentoren feststellen, dass es ihm deutlich an Tempo fehlt, um gegen schnelle Gegenspieler bestehen zu können. Im Gesamtgefüge war Filip Uremovic ein kleiner Lichtblick, der in brenzligen Situation allerdings noch schnell überfordert war. Die Kommunikation mit seinen Mitspielern ist noch nicht ausgereift. Trotzdem scheint er jemand zu sein, der den Konkurrenzkampf in der Innenverteidigung oder auch auf der Position des Rechtsverteidigers ankurbeln könnte. Gerade auf der rechten Außenposition scheint es nötig zu sein, denn …

Jonjoe Kenny: Maximal Überfordert

… ein weiterer Neuzugang, nämlich Jonjoe Kenny, tat sich im Derby sehr schwer und war des Öfteren maximal überfordert. Zwar konnte auch er ein paar Punkte für sich sammeln, wie fünf Aktionen, die er klären konnte. Insgesamt war Kenny 80 Mal am Ball und damit einer der aktivsten Herthaner, allerdings fabrizierte er dramatische 26 Ballverluste. Von ihm ging keine Sicherheit aus. Dank einiger Tacklings konnte er immerhin acht von 13 Zweikämpfen gewinnen. 37 seiner 55 Pässe kamen beim Mitspieler an, zu wenig für einen Spieler auf seiner Position. Auch Versuche die Offensive in Szene zu setzen schlugen häufig fehl. Nur einer von acht langen Bällen kam beim Mitspieler an. Immerhin konnte er in der 60. Minuten mit einer Flanke für Wilfried Kanga für etwas Torgefahr sorgen. Doch defensiv machte ihm insbesondere Unions Ryerson das Leben enorm schwer. Mehrmals kam er gegen den Norweger zu spät oder setzte zu einer schlechten Grätsche ins Lehre an.

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Aktuell ist Jonjoe Kenny einer der größten Verlierer der unsicheren Verteidigung. Möglicherweise kann er zu einer festen Größe wachsen, dazu ist aber allgemeine Abwehrsicherheit gefordert. Zudem ist er nicht darum zu beneiden, Boateng und Lukebakio, die beide defensiv kaum Unterstützung liefern, als Zuarbeiter auf seiner Spielseite zu haben. Urgestein Peter Pekarik oder Filip Uremovic sitzen ihm im Nacken und könnten nach zwei sehr schwachen Spielen den Briten auf seiner Position ablösen.

Das Mittelfeld: Einfallslos, langsam und kein Bindeglied

Das Dreiergespann, bestehend aus Abräumer Ivan Sunjic und Kevin-Prince Boateng und Suat Serdar blieb gegen Union extrem blass. Noch vor wenigen Tagen wurde insbesondere Ivan Sunjic für sein Spiel in Braunschweig gelobt. Doch kaum trifft man auf einen Gegner, dessen Qualitäten etwas höher anzusetzen sind, steht man vor Problemen. Zumindest scheint es so.

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Die drei wurden zunehmen kaltgestellt. Kevin-Prince Boateng ist aus körperlichen Gründen kaum in der Lage, Extrawege zu gehen und als wirkliches Bindeglied zwischen Sturm und Abwehr zu wirken. Suat Serdar versucht es zu häufig mit Solo-Aktionen. Seine Dribblings gehen meistens ins Leere oder in die Beine von Gegenspielern. Durch ihre Limitierungen waren sie auch nicht in der Lage die Offensive in Szene zu setzen. Davie Selke und Myziane Maolida hingen komplett in der Luft, Dodi Lukebakio konnte erst nach den verschiedenen Wechseln aufspielen. Das Spiel der Hertha wirkt momentan ideenlos und sehr statisch. Um sich ein endgültiges Urteil dazu bilden zu können, ist es allerdings noch zu früh. Das Dreiergespann jetzt schon wieder auseinanderzureißen würde die nächste große Baustelle im Team eröffnen. Womöglich kann hier der wohl festzustehende Neuzugang Jean-Paul Boetius Abhilfe schaffen.

Dodi Lukebakio: Mr. Derby arbeitet zu wenig

Ein kleiner, netter Fakt gefällig? Dodi Lukebakio ist Mr. Derby. Der Belgier hat mittlerweile drei Tore in Berliner Derbys erzielt und ist damit der torgefährlichste Spieler dieser Duelle, Sheraldo Becker ist ihm dicht auf den Fersen. Immerhin eine nette Statistik, die sich Herthaner schönreden können.

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Insgesamt war das Spiel von Dodi Lukebakio in der ersten  Halbzeit nicht vorhanden. Ähnlich wie bei der gesamten Offensive und dem Mittelfeld der Hertha. Er und Kenny konnten sich in keiner Weise ergänzen, das Spiel miteinander bestand praktisch nicht. Erst in der zweiten Halbzeit, beim Stand von 0:3, als Sandro Schwarz mehr dynamische Power einwechselte, konnte auch er sein Spiel entfalten. Nur eines von sechs seiner gefürchteten Tempodribblings konnte er in irgendeiner Form positiv gestalten. Insgesamt war er an 33 Aktionen beteiligt, der Großteil davon in der Schlussphase. Er brachte 71 Prozent, also zehn von 14 Pässen beim Adressaten unter. Sein Tor zum Ehrentreffer in der 85. Minute war sehenswert und zeigte, dass er das Spiel der Hertha durchaus beleben kann, allerdings nur im Zusammenspiel mit ähnlichen Spielertypen, die ihn ebenfalls in Szene setzen können. Ansonsten ist Dodi Lukebakio keine große Hilfe in einem Spiel, in dem vor allem verteidigt werden muss. Diese Form von Einsatz ließ er im Vergleich zum Pokal-Spiel leider vermissen. Das leidige Thema der Konstanz …

Wilfried Kanga und Chidera Ejuke: Hoffnungsvolle Power für die nächsten Wochen

Chidera Ejuke bekam bereits gegen Braunschweig seine ersten Minuten, Wilfried Kanga nun im Derby. Die beiden zeigten, dass sie in der Lage sind, das Angriffsspiel anzukurbeln und vor allem mit ihrem Tempo für Gefahr zu sorgen. Beide halfen ab der 56. Minute mit. Durch den unglücklichen 0:3-Treffer war da das Spiel allerdings schon vor ihrer Einwechslung entschieden. Ejuke setzte zu mehreren Dribblings an. Vier von fünf konnte er erfolgreich beenden. Alle seine Pässe – fünfzehn Stück – kamen an. Vier von fünf Zweikämpfen gewann er. Alles Statistiken, die belegen, dass er ein höheres Niveau als der Durchschnitt im Team hat. Er besitzt mehr Tempo, mehr Kraft und Durchsetzungsvermögen und zeigte viel mehr Engagement als Myziane Maolida, den er ersetzte.

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Wilfried Kanga war bei seinem Debüt wesentlich besser im Spiel als Davie Selke. Er zeigte sich ballsicher, passsicher – alle seine sechs Pässe kamen an – und nach 60 Minuten konnte er mit einem Schuss aus der Luft nach Flanke von Kenny auch für erste Gefahr sorgen. Zu diesem Zeitpunkt war es die erste Chance der Hertha aus dem Spiel heraus. Beide haben gezeigt, dass sie definitiv Anwärter auf einen Startelf-Platz sind und dem Offensivspiel der Hertha viel mehr Unberechenbarkeit ermöglichen können.

Vermasselter Saisonstart, aber es ist bei weitem nichts verloren

Von einem Zweitligisten aus dem Pokal geworfen, am ersten Spieltag das Derby verloren. Schlechter kann eine Saison eigentlich nicht starten und wir wollen das hier auch überhaupt nicht schönreden. Aber das Pokal-Aus muss man verkraften können, damit muss jede Mannschaft rechnen. Die Derbyniederlage ist gerade für den Kopf und für die Laune ein Problem. Doch wie man an der Reaktion der Hertha-Fans gesehen hat, weiß man diese einzuordnen. Die Anforderungen in Berlin sind mittlerweile andere, als in den letzten drei Jahren.

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Ein Abwärtsstrudel zu Beginn der Saison muss dringend unterbunden werden, wenn man nicht schon in einem ist. Sieht man diese Niederlage sportlich und vergleicht man sie mit einem Spiel gegen einen Gegner, der Union ebenbürtig gewesen wäre, also SC Freiburg, Borussia Mönchengladbach oder Mainz 05, wären Spiel und Ergebnis möglicherweise ähnlich gewesen. So muss vor allem der Kopf freigemacht werden um sich schnell von der Derby-Klatsche erholen zu können. In der Mannschaft hapert es an einfachsten und grundsätzlichen Dingen. Gegen Union fehlte die Kompromisslosigkeit in den Zweikämpfen. Fredi Bobic sagte im „Doppelpass“ bei Sport1, dass es Zeit brauchen würde, bis gewisse Dinge funktionieren. Zusätzlich betonte auch er, dass Dedryck Boyata sportlich aktuell keine Hilfe ist. Es kommen schwere Gegner auf die Hertha zu. Spiele, in denen es nicht leicht wird, zu bestehen. Aber man hat nichts zu verlieren und kann theoretisch befreit aufspielen. Die Mannschaft hat sich noch nicht gefunden, das Selbstverständnis fehlt bisher.

Es bedarf klarer Ansagen und Taten des Trainerteams, damit sich ein schlagkräftiges Team bilden kann. In nahezu allen Mannschaftsteilen gibt es Probleme, aber auch großes Potential diese zu beseitigen. Die Zeiten sind nicht einfach, aber die Saison ist lang und noch ist rein gar nichts verloren. Allgemein tut es Hertha-Spielern, Fans und dem Verein wohl besser, wenn man den Derbys und der Berliner Rivalität nicht mehr Bedeutung schenkt, als sie verdienen. Und schon gar nicht braucht man über jedes Stöckchen aus Köpenick springen, was hingehalten wird. Man muss sich auf sich selbst konzentrieren. Ausschließlich auf sich selbst.

(Titelbild: Martin Rose/Getty Images)

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Liebesbriefe an legendäre Derbyhelden

Am Wochenende startet die 60. Saison der Fußball-Bundesliga. Und diese Jubiläumssaison beginnt natürlich für Hertha BSC mit einem absoluten Kracher. Zum Auftakt geht es nach Köpenick zum Derby gegen den 1. FC Union Berlin. In der Vergangenheit gab es legendäre Spiele im Stadion an der Alten Försterei, genauso im Berliner Olympiastadion. Und auch wenn die letzten Derbys für die Alte Dame alles andere als gut endeten, können auch Hertha-Fans auf tolle Erlebnisse gegen den Stadtrivalen zurückschauen. Zeit, den Protagonisten dieser Spiele unsere Liebe zu gestehen.

Sandro Wagner, Maik Franz und Ronny: Wisst ihr noch damals?

Lieber Sandro, lieber Maik, lieber Ronny,

könnt ihr euch an jene Nacht am 3. September 2012 erinnern? Ja es ist schon zehn Jahre her und doch fühlt es sich noch frisch an. Es waren harte Zeiten. Wir waren zuvor in einem nervenaufreibenden Relegationsdrama in Düsseldorf gescheitert und die ersten Wochen der Saison liefen auch nicht so, wie wir es uns wünschten. Jos Luhukay meckerte gar auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. Und nun ging es schon am 4. Spieltag nach Köpenick. Wir hatten Druck. Ihr hattet Druck. Wir Fans hatten Sorgen. Wollten wir doch so schnell es geht, wieder zurück in die Bundesliga. In dem Hexenkessel im Stadion an der Alten Försterei ist es für Gegner niemals einfach. Doch ihr habt gezeigt, wer die Nummer 1 in Berlin ist.

Sandro, mit uns war es nicht immer einfach. Strenggenommen hast du dir nie wirklich was zu Schulden kommen lassen, das müssen wir so festhalten. Doch mit uns hat es nie so richtig geklappt, in den drei Jahren damals konntest du leider nicht oft überzeugen, doch in jener Nacht hast du dich unvergesslich gemacht. Als du den Ball im Strafraum von Peer Kluge zugespielt bekommen hast, hast du all dein Selbstbewusstsein und Mut genommen und gebündelt. Du hast es gemacht wie ein Stürmer, wie ein eiskalter Goalgetter, du hast geschossen, du hast getroffen. Du hast gejubelt, ja du hast auch ein wenig die Heimfans provoziert, aber das war okay, so bist du nun einmal. Wir führten plötzlich in Köpenick und für einen Moment war dieser Teil Berlins mucksmäuschenstill. Nie war unsere Liebe heißer, als in diesem Moment.

Lieber Maik, man, was warst du für ein Kämpfer. Irgendwo da draußen wirst du immer noch sein. Du warst damals oft verletzt und hast uns in vielen Situationen bitter gefehlt, doch an jenem Montag hast du gekämpft. Du warst der heiß geliebte Iron-Maik. Du warst nicht der Ballkünstler, du warst der Mann für das Grobe. Du warst der, den man für ein Derby brauchte. Du warst für Derbys geboren. Du warst das Derby. Bis heute schau ich mir liebend gern die Szenen an, als du Unions Stürmer Silvio an der Eckfahne in den letzten Sekunden des Spiels zusammenschreist. Die gelbe Karte für dich war das Zeichen deines unermüdlichen Einsatzes. Du hast gezeigt, wie viel dir das bedeutet, bis heute zeigst du es. Mit uns hat es gepasst, Maik, wir waren füreinander bestimmt in der damaligen Zeit. Es war wundervoll, es war einzigartig und es war eine goldene Liebe, die ewig brennt.

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Geliebter Ronny, es war dieses eine wundervolle Jahr. Es war nicht nur diese eine besondere Nacht, ja, sie war eine der intensivsten, genau wie ein halbes Jahr später im winterlichen Treiben im Olympiastadion. Du und dein linker Fuß, das war Liebe. Das war kraftvolle Liebe, ja fast schon brachiale Liebe. Und wir alle gemeinsam, du und dein linker Fuß und wir Fans, wir waren eine unzerstörbare Gemeinschaft. Wir brauchten einander und wir schenkten einander. Wir genossen, wir feierten, wir hatten heiße Momente. Dieses eine Jahr. Ronny, du hast 18 Tore geschossen, 14 weitere vorgelegt. Erinnere dich an jene Nacht in Köpenick. Der Ball lag genau da, wo du ihn haben wolltest. Vor dem Strafraum, relativ zentral. Mit Wucht zimmertest du das Spielgerät in die Maschen. Und erinnere dich an den folgenden Februar. Wie wir gemeinsam im weiten Rund des Olympiastadions gefeiert haben. Gemeinsam lagen wir schon mit 0:2 gegen die Köpenicker zurück. Und dann bist du zur Ecke angetreten und hast den Ball auf deinen Kumpel Adrian Ramos geflankt, der das machte, was er immer tat. Ein Tor erzielen. Und Ronny, dann sollte ein weiterer Höhepunkt unserer Liebe folgen. Als du in der 86. Minute einen deiner vielen Freistößen mit Kraft und Gefühl verwandelt hast, ist in uns allen etwas explodiert, was mehr als grenzenlose Liebe war. Du feiertest mit uns zusammen. Du jubeltest, wir jubelten, du stürztest im zusammengefegten Berliner Schnee und verletztest dich an der Hand. Für uns, für dich, für Hertha BSC. An diesem Abend, in jener Nacht waren wir nicht nur dein linker Fuß, wir waren nicht nur deine verletzte Hand, wir waren alle eins. Eins mit dir. Geliebter Ronny.

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Vedad Ibisevic, Matheus Cunha, Krzystof Piatek: Die Erinnerungen bleiben für immer

Oh Vedad, my Vedad. Bzw. Oh Captain, my captain. Denn das warst du. Du warst der Boss, du warst der Anführer, du warst unser Kapitän. Mit dir an unserer Seite fühlten wir uns über Jahre sicher. Du und dein graumeliertes Haar, du und deine spielerische Ruhe, du und deine Lust auf den Krawall mit Gegenspielern und Schiedsrichtern. Du hast dich für uns eingesetzt, du hast alles investiert, du hast so viel gegeben, wir haben versucht dir diese Liebe zurückzugeben. Bis heute gehören wir zusammen und schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen. Der damalige Abend. Du warst der Herbergsvater dieser Truppe, die sich nach einer brachialen Sturm und Drang Phase auf dem Transfermarkt gefunden hatte. Du bist geblieben, du wolltest den gemeinsamen Aufstieg, du hättest den gemeinsamen Abstieg mitgemacht. Und an jenem Abend, einem vorsommerlichen Mai-Tag, führtest du uns zu einem fulminanten Derby-Sieg. Du zeigtest, mit wem zu rechnen war. Du wolltest uns zeigen, wie sehr die Liebe und Kraft noch in dir brennt. Du zeigtest den jüngeren den Weg. Du warst es, der uns in der zweiten Halbzeit nach einer langen Geduldsprobe in Führung brachte, du hast deinen Mitspielern die Chancen und Tore aufgelegt. Du hast Dodi Lukebakio geschickt, du hast Matheus Cunhas am Vorabend der Geburt seines Kindes einen Dribbeltanz ermöglicht, gemeinsam habt ihr im leeren Olympiastadion gefeiert. Damals waren wir an den Bildschirmen dabei, wir feierten, wir brannten für euch. Irgendwie waren auch wir dabei. Zumindest in deinem Herzen.

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Matheus Cunha, was war das für eine heiße Zeit mit dir. Du hast Erinnerungen an alte Zeiten mit Marcelinho aufgefrischt. Wir waren verliebt. Nicht nur in die Vergangenheit, vielmehr in die Gegenwart und hoffentlich Zukunft. Du hast uns so viel bedeutet. Du hast eine Form von Spaß nach Berlin gebracht, den wir so lange nicht kannten. Du hast die Gegner zum Tanz aufgefordert, du hast gedribbelt, brilliert, ein Tor erzielt, du hast Spaß gehabt und Liebe verbreitet. Am Abend wurdest du Vater, du wolltest direkt nach deiner Auswechslung ins Krankenhaus zu deiner Frau. Wir wären sofort mitgekommen, hätten wir gedurft. Ein wahres Derby-Baby sollte zur Welt kommen. Doch Matheus, so heiß diese Liebe war, so kurz war sie. Wir waren zu klein für dich. Du wolltest in die weite Welt, du wolltest mehr und Neues kennenlernen. Und Matheus, das war okay. Wir haben dich in positiver Erinnerung, vielleicht denkst du auch ab und an noch an uns. Die Geburt deines Kindes wirst du immer damit verbinden, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.

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Krzystof, es ist kompliziert mit uns. Aber auch wir schätzen einander. Wir hatten im Winter 2020 große Lust aufeinander. Gemeinsam wollten wir unseren Spaß haben, wir wollten die große weite Welt erkunden, wir wollten einander wachsen und uns lieben. Doch es war schwierig mit uns. Aber lieber Krzystof, auch wenn es nicht immer einfach zwischen uns war, hatten wir diese eine Nacht. Diesen einen besonderen Moment im Olympiastadion. Als wir gemeinsam zu Derbyhelden werden wollten. Wir konnten wieder einmal nicht anwesend sein, doch wir haben dir genau zugeschaut. Wir haben deinen Kampf, deine Leidenschaft und deine Qualitäten bewundert, wir wollten mehr von dir. An jenem Abend hast du uns gezeigt, was möglich gewesen wäre mit uns. Wir haben das gesehen, wofür wir hofften bestimmt zu sein. Du erzieltest zwei tolle Tore. Du machtest uns zu Derbysiegern, du selbst wurdest zur Legende. Deshalb geliebter Krzystof, egal wie das zwischen uns endet, wir bereuen nichts. Du bist in unseren Herzen.