Dárdai iacta est
Es ist passiert. Hertha hat den DeLorean rausgeholt und ist direkt ins Jahr 2015 zurückgekehrt. Doch statt Biff und einem spießigen Marty McFly wartet der Sportalmanach mit einem anderen bekannten Gesicht auf: Pál Dárdai ist wieder Cheftrainer der alten Damen und versucht sie in einer Sonderausgabe von Extreme Makeover wieder auf Spur zu bringen. Ein Kommentar.
Dárdai Ante Portas
Spätestens nach dem 1:4 gegen Bremen war klar, dass Michael Preetz nicht mehr zu halten sein würde. Mit ihm musste Cheftrainer Bruno Labbadia seinen Posten räumen. Zu wenig Punkte, ein unhomogenes Team samt enttäuschender Transferphase und geringe Chancen auf Besserungen ließen das Damoklesschwert schließlich auf die maßgeblich Verantwortlichen niederfallen. Schnell wurden gewichtige Namen kolportiert. Von Ralf Rangnick bis Peter Neururer schien jeder freie Trainer mit Hertha in Verbindung gebracht zu werden.
Medienberichte legten sich jedoch schnell fest: noch bevor CEO Carsten Schmidt Vollzug meldete, waren sich BILD, Kicker und sogar die Tagesschau einig: Hertha-Ikone und Milchreis-Sommelier Pál Dárdai sollte die krisengebeutelte alte Dame übernehmen. Die Personalie Arne Friedrich als handelnder Geschäftsführer Sport füllte bereits am Tag zuvor das Loch, was durch die Entlassung von 25 langen Hertha-Jahren hinterlassen wurde. Auf 227 Spiele mit 93 Toren folgen 231 Partien mit 14 Treffern.
Not the hero we deserved, but the hero we needed
Komplettiert wurde der Schultheiß-feuchte Traum durch „Zecke“ Neuendorf, der fortan das Vergnügen haben wird, an der Seite von Dárdai Cunha, Piatek und Co. das deutsche Wort „malochen“ beizubringen.
Während der Trainervorstellung wurde eines jedoch schnell klar: Hertha hat Pál Dárdai nicht verdient. In einer Welt in der Milliardenerträge nur durch vermeintlichen Kult aufgewogen werden können, in der sich jedes Wochenende 22 Millionäre zum Kicken treffen und die der Moloch auch in einer weltweiten Pandemie weitergefüttert werden muss, sind nur Torbeteiligungen von Artur Wichniarek seltener als echte Vereinstreue.
Im Sommer 2019 noch als wenig zukunftsträchtig geschasst, kehrt Dárdai nun an die Seitenlinie zurück. Viel hat sich geändert, doch wer die Trainervorstellung gesehen hat, kann sich sicher sein: Dárdai bleibt gleich. Ein Mann, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt, keinen Groll hegt, dem Geld egal ist und den Verein stets über seine eigenen Befindlichkeiten stellt. Wenn es jemanden gibt, von dem diese Werte auf die Individualisten-Truppe aus Westend abfärben kann, dann ist es Dárdai.
Ein Trainer sie alle zu binden
Der lang ersehnte Kulturwandel, er liegt in erreichbarer Ferne: Friedrich und Neuendorf stehen für eine neue Generation Hertha und auch wenn manch einer in der Verpflichtung Dárdais eine Zirkulärbewegung zu erkennen meint, kann dieser Schritt zurück, zwei nach vorne bedeuten.
Tennor Investment, Klinsmann-Posse und Chaoten-Saison haben Spuren bei den Fans hinterlassen. Der deutliche Protest gegen Preetz zeugt davon. Eine UN-Friedensmission war deshalb mindestens genauso nötig, wie die tabellarische Stabilisierung. Carsten Schmidt und Arne Friedrich haben beide zu viel Erfahrung, um das zu ignorieren. Beide wissen: ziehen die Fans nicht mit, spielt es auch keine Rolle, wer der Übungsleiter sein wird. Die Marke „Hertha BSC“ lässt sich nicht einfach aushöhlen und sportlicher Erfolg wird nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kurve entschieden.
Dárdai ist daher die logische Wahl. Um Hertha zu helfen, verordnet sich Hertha eine Kur Hertha. Darüber hinaus hat der Gulasch liebende Ungar gezeigt, dass er es durchaus vermag sportlichen Erfolg zu verzeichnen. Seine Qualität liegt hier weniger in der taktischen Finesse, sondern in Fähigkeit durch Druck und Charme eine Mannschaft zu formen. Ist die individuelle Klasse unbestreitbar im aktuellen Kader zu finden, ist es genau diese Komponente, die fehlt.
Man kann an dieser Stelle ein kleines Gedankenexperiment anstellen: nehmen wir an, dass Dárdai die Fähigkeiten eines Kaders durch Zusammenschweißung potenzieren kann. Je höher das individuelle Niveau der Spieler, desto größer dann auch das Potential eines so geformten Teams. Nun stellen wir die rhetorische Frage: welches Potential wird letztendlich höher sein? Das der Mannschaft mit Hegeler, Allagui, Kauter und Konsorten oder das der um Cunha, Boyata und Tousart?
Aus der Not eine Tugend machen
Inwieweit die neue Troika das Fan-Herz nicht nur mit Nostalgie-Pflastern, sondern auch mit Erfolgsrausch zu heilen vermag, steht noch aus. Das Ergebnis dieser Frage bestimmt auch das Schicksal eben jenes Dreigespanns. Sollten sich gute Ergebnisse einstellen, gibt es eigentlich keinen Grund nicht Hand in Hand in die neue Spielzeit zu gehen. Hält man die Klasse jedoch nur mit Ach und Krach, ist jeder Vertrag das Papier nicht wert, auf dem er besiegelt wurde.
Sollte Pál Dárdai Hertha tatsächlich in eine rosig-blau-weiße Zukunft führen, dann ist nur die Genugtuung allen Kritiker:innen gegenüber schöner, als das Gefühl sich endlich wieder auf den Spieltag freuen zu können. Hertha würde so zum Paradebeispiel werden, wie man das Geschäft Fußball mit Tradition in Einklang bringen kann. Sollte Dárdai allerdings scheitern und entlassen werden, stellt sich die Frage, ob er je wieder antworten wird, wenn Hertha erneut um Hilfe ruft. Die Spielschau soll beginnen.
[Titelbild: IMAGO]
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