Was aus Herthas einstigen “Juwelen” wurde (Teil 1)
Bereits seit Jahrzehnten gilt Hertha BSC als herausragende Talentschmiede, schließlich fanden hier die Karrieren von Namen wie Jerome & Kevin-Prince Boateng, Ashkan Dejagah, Sejad Salihovic oder Nico Schulz ihren Anfang. Auch heute noch schafft es die blau-weiße Jugendakademie, vielversprechende Talente herauszubringen, wie das aktuell prominenteste Beispiel: Arne Maier. Doch nicht alle zunächst “gehypten” Namen schaffen es letztendlich auch, einen großen Fußabdruck im Profi-Fußball zu hinterlassen. Hier ist Teil 1 der Auflistung von verschiedenen Karrierewegen, die Herthaner Eigengewächse nahmen.
Anstoß für diesen Artikel ist der jüngst erschienene Kommentar beim Berliner Kurier. In diesem heißt es, die neue Ausrichtung unter Investor Lars Windhorst und Trainer/Aufsichtsratmitglied Jürgen Klinsmann würde den Weg für Eigengewächse verbauen. Große Namen und Summen würden verhindern oder es zumindest massivst erschweren, dass sich Talente wie Sidney Friede (nun bei Wehen Wiesbaden unter Vertrag), Palko Dardai, Maurice Covic (ausgeliehen nach Italien), Florian Baak oder Muhammed Kiprit bei den Profis durchsetzen können.
Hierzu muss konstatiert werden, dass sich die genannten Namen allerdings auch vor dem “Richtungswechsel” des Vereins und der Installation von Windhorst & Klinsmann nicht durchgesetzt hatten – und das in zwei bis drei Profi-Jahren und unter zwei verschiedenen Cheftrainern (Pal Dardai und Ante Covic). Es greift also zu kurz, nur die Zeit unter Klinsmann zu betrachten. Sicherlich gilt es weiterhin, mehr als nur ein Auge auf die eigene Jugend zu haben, doch Durchlässigkeit als Selbstzweck funktioniert nicht. Bringen Eigengewächse nicht das benötigte Niveau/Potenzial mit sich, wäre es unlogisch, diese dennoch krampfhaft in den Profi-Kader zu integrieren. Es bleibt abzuwarten, wie sich die genannten Spieler noch entwickeln, doch ist festzuhalten, dass es wohl nicht am aktuellen Trainerteam liegt, dass sie sich bei den Profis (noch) nicht durchsetzen. Sollten sie den Verein im Winter oder kommenden Sommer letztendlich doch verlassen, wird der Aufschrei nichtsdestotrotz groß sein.
Denn man kennt es ja: sobald ein Eigengewächs den Verein verlässt, ohne vorher 50 Spiele für die Profis absolviert zu haben, schreien viele Fans, die Verantwortlichen seien “blind”, würden der Jugend nicht vertrauen und nicht langfristig genug denken. Es gilt: verlässt ein Talent den Verein, das in den Jugendmannschaften auf sich aufmerksam gemacht hat, liegt der Fehler erst einmal beim Verein, der das Potenzial desjenigen falsch eingeschätzt habe. Doch stimmt das? Hat Hertha in den letzten Jahren grobe Fehleinschätzungen bei Eigengewächsen vorgenommen, die dann bei anderen Vereinen auf sich aufmerksam machten? Schauen wir nach.
Bigalke, Morales, Holland
Um nicht zu weit zurückzublicken, behandeln wir für diese Artikel-Reihe die Herthaner Eigengewächse ab dem Jahrgang 1990. Zu eben jenem gehören Sascha Bigalke, Fabian Holland und Alfredo Morales. Die heute allesamt 29-Jährigen tummeln sich aktuell zwischen Liga eins und drei Deutschlands. Alle drei wachen auch Junioren-Nationalspieler: Bigalke und Holland für Deutschland, Morales für die USA. Die Karrierewege der gebürtigen Berliner verliefen jedoch durchaus unterschiedlich.
Der erste der drei, der sein Glück abseits von Hertha suchte, war Sascha Bigalke. Der quirlige Spielmacher, dem in seinen jungen Jahren ein durchaus schwieriger Charakter nachgesagt wurde, gehörte dem Berliner Profi-Kader seit 2008 drei Jahre an, kam in der Zeit allerdings – auch aufgrund drei Mittelfußbrüchen – auf nur vier mickrige (no pun intended) Einsätze, sodass es ihn 2011 im Alter von 21 Jahren zur SpVgg Unterhaching zog. Bei dem Drittligisten avancierte Bigalke unverzüglich zum Leistungsträger und heuerte 2012 beim 1. FC Köln an, der damals in der zweiten Bundesliga spielte. Auch dort konnte der zentrale Mittelfeldspieler durchaus auftrumpfen, ehe ihn ein Kreuzbandriss aus der Bahn warf. Wirklich auf die Füße sollte Bigalke nach dieser schweren Verletzung erst einmal nicht mehr zurückfinden – es folgte nur noch ein einziger Einsatz für den “Effzeh”, ehe der Berliner 2014 nach Unterhaching zurückkehrte. Doch auch dort machten ihm Verletzungen zu schaffen, sodass er zwischen 2015 und 2016 sogar ein Jahr ohne Verein dastand. Ins Fernsehen sollte er es dennoch schaffen. “Alle guten Dinge sind drei”, dachten sich Bigalke und Unterhaching und gingen 2016 eine erneute Zusammenarbeit ein, die bis heute anhält. In mittlerweile knapp 200 Einsätzen für die Oberbayern gelangen Bigalke 48 Tore und 78 Vorlagen, also insgesamt 126 direkte Torbeteiligungen – eine überragende Quote, aber halt in der dritten und vierten Liga zusammengesammelt. Sicherlich wäre für den heute 29-Jährigen mehr drin gewesen, doch nach all den Verletzungen und einer einjährigen Arbeitslosigkeit wird er einfach nur froh sein, auf professionellem Niveau spielen zu können und das volle Vertrauen seines Vereins zu genießen.
Auch Alfredo Morales entschied sich ab einem gewissen Punkt gegen eine Zukunft bei seinem Heimatverein – 2013 war dies der Fall, als der zentrale Mittelfeldspieler zum FC Ingolstadt wechselte und damit lieber in der zweiten Liga blieb, als mit Hertha zusammen aufzusteigen und Erstligafußball zu erleben. Eine durchaus verständliche Entscheidung des damals 23-Jährigen, denn Morales hatte unter Trainer Jos Luhukay insgesamt nur neun Einsätze verbuchen können, gehörte also zu den Egänzungsspielern des Kaders und hätte in der ersten Liga vielleicht keine besseren Aussichten gehabt. Etwas verwundert waren die Fans dennoch, da Morales all seine neun Spiele in der Rückrunde absolviert hatte, also zunehmend wichtiger für das Team wurde und im Begriff war, eine wichtige Rolle bei Hertha einzunehmen. Nun gut, seinen Wunsch, absoluter Stammspieler zu werden, erfüllte er sich mit diesem Wechsel zumindest. Ganze fünf Jahre spielte Morales für die “Schanzer” und war sowohl in vier Zweitliga-Spielzeiten wie auch der einen im deutschen Oberhaus (2015/16) Stammkraft. 150 Pflichtspieleinsätze sammelte der Schulweltmeister von 2007 (wusstet ihr eigentlich, was “Chicharito” bedeutet?!), ehe er 2018 eine neue Herausforderung suchte und bei Fortuna Düsseldorf unterschrieb. Bei dem Bundesligisten gehört Morales zum erweiterten Kreis der Stammspieler, ohne im besonderen Maße auf sich aufmerksam zu machen. Ein etwas unterdurchschnittlicher Bundesligaspieler scheint aus dem Herthaner Eigengewächs geworden zu sein, das im September 2019 das letzte seiner bislang 16 Länderspiele für die USA absolviert hatte.
Zwar ist aus Fabian Holland kein Nationalspieler geworden, eine solide Karriere legt der heute 29-Jährige aber dennoch hin. Ganze zwölf Jahre war der Linksverteidiger Teil von Hertha BSC, ehe man ihn 2015 fest an den SV Darmstadt 98 abgab. In seiner Zeit bei der “alten Dame” hatte Holland mit mehreren Verletzungen zu kämpfen, vor allem aber mit Herzrhythmus-Störungen (Wolff-Parkinson-White-Syndrom), wegen denen er 2010 am Herzen operiert werden musste. Die meiste Zeit war der gebürtige Berliner Teil von Herthas U23, nur 2012/13 war Holland ein ernstzunehmender Part der Profis (18 Einsätze in Liga zwei). Da Holland nicht über die Rolle des Ergänzungsspieler hinauskam, ließ er sich 2014 zu den Darmstädtern ausleihen. Bei den Hessen wurde er auf Anhieb Stammspieler, sodass sie ihn ein Jahr später fest verpflichteten und seitdem konstant auf ihn setzen. Seit nunmehr sechs Spielzeiten trägt der Abwehrspieler das Trikot der “Lilien”, mittlerweile sogar deren Kapitänsbinde. Sicherlich ist aus Holland kein Star geworden, das war aber auch nicht zu erwarten. So will man meinen, er habe das bestmögliche aus seinem Potenzial und Verletzungsschicksal gemacht. Kapitän und Leistungsträger bei einem deutschen Zweitligisten zu sein, ist aller Ehren wert.
Radjabali-Fardi und Neumann
Mit deutlich mehr Talent als Holland, aber auch mit einer eindeutig tragischeren Laufbahn versehen – Shervin Radjabali-Fardi. Mit 17 Jahren galt der Linksverteidiger noch als eines der größten Talente des deutschen Fußballs. Damals – 2008 -gewann Radjabli-Fardi als Kapitän von Herthas B-Jugend die deutsche Meisterschaft und wurde daraufhin mit bronzenen Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet. Jugend-Nationalspieler war er bereits seit der U15 gewesen und sollte es bis zur U21 bleiben. Es schien alles für eine große Karriere zu sprechen und auch die ersten Schritte im Profi-Fußball schienen zu gelingen. Der gebürtige Berliner wurde von Profi-Trainer Lucien Favre mit ins Trainingslager genommen und am 17. Juli 2008 im Europapokal-Spiel gegen FC Nistru Otaci aus Moldawien erstmals eingewechselt – mit nur 17 Jahren und zwei Monaten ist Radjabali-Fardi bis heute der jüngste Spieler, der jemals in einem Pflichtspiel für Hertha auflief. Der erste Profi-Einsatz verdrehte dem noch jungen Spieler allerdings den Kopf. Die vielen Schulterklopfer ließen in dem Außenbahnspieler voreilige Zufriedenheit aufkommen.
“Ich glaube, mein Fehler war es, zu denken, dass der nächste Schritt von allein kommen würde. Vielleicht war ich einfach noch zu jung”, erklärte Radjabali-Fardi in einem Interview aus 2013. Eine Leihe (2011/12) zu Zweitligist Alemannia Aachen sollte ihm den Kopf waschen, denn dort entwickelte sich der heute 28-Jährige zum Stammspieler. Als es bei der Rückkehr nach Berlin hieß, mit der gewonnen Reife und Spielpraxis anzugreifen, ließ sein Köpfer Radjabali-Fardi im Stich – ein Kreuzbandriss, der ihn die gesamte Vorbereitung unter Trainer Jos Luhukay kostete und im darauffolgenden Winter letztendlich das Aus bei seinem Ausbildungsverein bedeuten sollte. Hertha plante nicht mehr mit seinem Eigengewächs, das einfach nicht die gewünschte Entwicklung genommen hatte. “Das ist unglaublich schade, weil Shervin hoch veranlagt ist“, sagte Manager Michael Preetz damals. 2013 schloss sich der Berliner mit iranischen Wurzeln Hansa Rostock an, wo seine Karriere neu angekurbelt wurde. In seinem ersten Jahr bei dem Drittligisten war Radjabali-Fardai unabdingbarer Stammspieler, absolvierte ganze 36 Spiele. Auch in seiner zweiten Spielzeit bei Hansa startete er als Stammkraft, doch dann der Schock: am 4. Spieltag riss erneut sein Kreuzband. Erst am 29. Spieltag konnte er sein Comeback feiern, nur um sich am 37. Spieltag die Achillessehne zu reißen. Von dieser so bitteren Saison sollte sich seine Karriere nicht mehr erholen. Nach der Saison 2014/15 trennten sich die Wege von Rostock und Radjabali-Fardi, der danach für keinen einzigen Verein mehr auflaufen sollte. Karriereende mit Mitte 20. Erst wollte der Kopf nicht, dann die Beine. Ein tragisches Ende für einen so vielversprechenden Spieler.
Auch Sebastian Neumann hat seine Fußballschuhe aufgrund von anhaltenden Verletzungsproblemen an den Nagel hängen müssen, aber immerhin erst mit 28 Jahren. Diese Entscheidung fiel vor erst knapp einer Woche. Doch der Reihe nach: auch Neumann wurde 1991 in Berlin geboren und wechselte in jungen Jahren in die Hertha-Akademie. Dort entwickelte sich der Innenverteidiger zum Profi, der 2010/11 unter Trainer Markus Babbel seine ersten Gehversuche im Männerbereich (elf Einsätze in Liga zwei) hatte. Nachdem der Hauptstadtverein in dieser Spielzeit wieder in die Bundesliga aufstieg, blieb wenig Platz für Neumann, der nach lediglich zwei Einsätzen im deutschen Oberhaus abgegeben wurde. Bei seinem neuen Klub, dem damaligen Drittligisten VfL Osnabrück, avancierte der Abwehrmann auf Anhieb zum Stammspieler. 2014 erfolgte dann der Wechsel zum VfR Aalen und auch dort machte Neumann auf sich aufmerksam, sodass ihn nur ein Jahr später Zweitligist Würzburg verpflichtete. In seinen beiden Jahren (das zweite in Liga drei) war der Berliner ebenfalls Leistungsträger und erneut wurde der Versuch gewagt, in der 2. Liga Fuß zu fassen – dieses Mal beim MSV Duisburg. Neumann konnte das Trikot der “Zebras” in zwei Jahren jedoch nur zehn Mal überstreifen. Grund hierfür waren anhaltende Verletzungsprobleme, vor allem eine Hüftverletzung setzte ihn außer Gefecht. Seine ganze Karriere hatte Neumann mit körperlichen Problemen zu kämpfen, seit Januar 2015 spielte er wegen einer Herzmuskel-Erkrankung sogar mit einem eingesetzten Defibrillator. Im Januar diesen Jahres dann die Entscheidung, die Karriere zu beenden. Eine Karriere, die ebenfalls vielversprechend begann – immerhin sammelte Neumann elf Einsätze für die deutsche U21-Nationalmannschaft – doch aufgrund von Verletzungen leider nie ihr volles Potenzial ausschöpfen sollte.
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